Abenteuer Via Francigena

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Abenteuer Via Francigena
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Hermine Stampa-Rabe

Abenteuer Via Francigena

Hermine Stampa-Rabe

Abenteuer Via Francigena

Zu Fuss von Canterbury nach Rom

Shaker Media

Bibliografiche Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie, detaillierte bibliografiche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Herstellung und Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

Lektorat: Lektorat: Dagmar Rehberg, Borgstedt

Fotos: Hermine Stampa-Rabe

Georg-Pfingsten-Str. 19, 24143 Kiel

Tel.: 0049 431 735565

Email: hermine.stampa-rabe@web.de

Copyright Shaker Media 2009

Alle Rechte, auch das des auszugsweisen Nachdruckes, der auszugsweisen oder vollständigen Wiedergabe, der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen und der Übersetzung, vorbehalten.

ISBN 978-3-8442-8279-5

Für Klaus, Olaf, Ines, Achim, Alexandra,

Annika, Steffen, Gudrun, Carlos und Anna-Lena

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre

E N G L A N D

Der Weg von Canterbury nach Calais

Verlaufen

F R A N K R E I C H

Am Ärmelkanal nach Wissant

Der Weg von Calais nach Reims

Gen Südwesten durch Frankreich

Die ungastliche Stadt

Als Chaussee-Hase weiter

Arras, eine Traumstadt

Das schreckliche Essen

Vorbei an Soldaten-Friedhöfen

Am Somme-Kanal

Du bist verrückt!

Ein paradiesisches Fleckchen Erde

Alle Zimmer ausgebucht!

Meine beiden Engel

Der Weg von Reims nach Besancon

Das Pilgerpärchen

Auf dem Bauernhof

Die Einladung

Herzlicher Empfang

Meine geheimnisvolle Wirtin

Francois

Zu Gast im Schloss

Wassertreten in meinen Wanderschuhen

Durch das Französische Jura-Gebirge

Eine Spinne gefällig?

Weiter auf dem idyllischen Chemin

S C H W E I Z

Der Weg von Lausanne über die Alpen nach Aosta

Durch die Reben

Es geht wieder mit Rucksack weiter

Über die Alpen

Letzter schwieriger Aufstieg

Im Hospiz auf dem Col du Grand-Saint-Bernard

I T A L I E N

Als Bergziege durch das Aosta-Tal

Bei Padre Louis

Eine verrückte Wanderung im Regen

Der Weg von Aosta nach Lucca

Ein Hund versperrt mir den Weg

Das Orchester der Düfte

Bis fast zum Gipfel? Nein!

Wasserkaskaden wie ein silbernes Feuerwerk

Die Sperrfestung Bard

Endlich habe ich die Alpen hinter mir

Unter Fröschen, Schlangen und Mücken

Flucht aus dem Kloster

Durch die Toskana

Sono a pezzi!

Über den Cisa-Pass

Wie soll es weitergehen?

Die Le Cinque Terre Bootsfahrt

Notlösung per Bahn von Avenza nach Viterbo

Die letzten 100 km wieder zu Fuss nach Rom

Teil II der Via Francigena: Mein Leidensweg

Der Weg von Lucca nach Rom

Meine armen Füsse

In Flip-Flops geht es weiter

Notlösung, um weiter zu kommen

Muss ich meine Pilgerwanderung abbrechen?

Ich kann wieder wandern!

Heidi will so rasch wie möglich nach Hause

Durch ein Landschaftsschutzgebiet der Toskana

Zur Raubritter-Burg

Ein langer Marsch

Vom Journalisten fotografiert

Montefiascone - für mich ein Fiasko

Ankunft in Rom

Erneutes Treffen mit meiner wunderbaren Cousine

Zurück nach Kiel

Via Francigena

Die Etappen

Datum Von – bis

03. Mai 2008 Canterbury – Dover

04. Mai 2008 Dover - Calais, Frankreich

 

05. Mai 2008 Calais – Wissant

06. Mai 2008 Wissant – Guines

07. Mai 2008 Guines – Liques

08. Mai 2008 Liques – Therouanne

09. Mai 2008 Therouanne - Calonne Ricouart

10. Mai 2008 Calonne Ricouar – Arras

11. Mai 2008 Erster Ruhetag in Arras

12. Mai 2008 Zweiter Ruhetag in Arras

13. Mai 2008 Arras – Bapaume

14. Mai 2008 Bapaume – Peronne

15. Mai 2008 Peronne – Ham

16. Mai 2008 Ham – Laon

17. Mai 2008 Laon – Reims

18. Mai 2008 Ruhetag in Reims

19. Mai 2008 Reims - Chalons-en-Champagne

20. Mai 2008 Chalons-en-Champagne – Coole

21. Mai 2008 Coole - Meix-Thiercelin

22. Mai 2008 Meix-Thiercelin - Brienne-le-Château

23. Mai 2008 Brienne-le-Chateau - Bar-sur-Aube

24. Mai 2008 Bar-sur-Aube - Autre Aube

25. Mai 2008 Ruhetag in Autre-Aube

27. Mai 2008 Ruhetag in Langres

28. Mai 2008 Langres - Les Archots

29. Mai 2008 Les Archots – Champlitte

30. Mai 2008 Champlitte - Mercey-sur-Saone

31. Mai 2008 Mercey-sur-Saone – Besancon

01. Juni 2008 Ruhetag in Besancon

02. Juni 2008 Besancon - Ornans

03. Juni 2008 Ornans - Mouthier-.Haute- Pierre

04. Juni 2008 Moutier-Haute-Pierre - Vallorbe, Schweiz

05. Juni 2008 Vallorbe – Lausanne

06. Juni 2008 Erster Ruhetag in Lausanne

07. Juni 2008 Lausanne – Montreux

08. Juni 2008 Montreux - St.-Maurice

09. Juni 2008 Zweiter Ruhetag in Lausanne

10. Juni 2008 St. Maurice – Martigny

11. Juni 2008 Martigny – Orsieres

12. Juni 2008 Orsieres - Bourg-Saint-Pierre

13. Juni 2008 Bourg-Saint-Pierre - Col du Grand-Saint-Bernard

14. Juni 2008 Ruhetag auf dem Col du Grand-Saint-Bernard

15. Juni 2008 Col du Grand-Saint-Bernard - Saint Oyen

16. Juni 2008 Saint Oyen – Aosta

17. Juni 2008 Aosta – Nus

18. Juni 2008 Nus - Saint Vincent

19. Juni 2008 Saint Vincent – Verres

20. Juni 2008 Verres - Pont-Saint-Martin

21. Juni 2008 Pont-Saint-Martin – Ivrea

22. Juni 2008 Ivrea - San Germano Vercellese

23. Juni 2008 San Germano Vercellese – Vercelli

24. Juni 2008 Vercelli – Robbio

25. Juni 2008 Robbio – Mortasa

26. Juni 2008 Mortara - Gropello Caiaroli

27. Juni 2008 Gropello Caiaroli – Pavia

28. Juni 2008 Pavia -S. Christina

29. Juni 2008 S. Christina – Piacenza

30. Juni 2008 Piacenza - Fiorenzuola d'Arda

01. Juli 2008 Fiorenzuola d'Arda – Fidenza

02. Juli 2008 Fidenza – Medesano

03. Juli 2008 Medesano – Sivizzano

04. Juli 2008 Sivizzano -Berceto

05. Juli 2008 Berceto -Cisa-Pass

06. Juli 2008 Cisa-Pass – Aulla

07. Juli 2008 Aulla – Sarzana

08. Juli 2008 Sarzana - Marina-Massa-Carrara

09. Juli 2009 Erster Ruhetag in Marina-Massa-Carrara

10. Juli 2008 Zweiter Ruhetag in Marina-Massa-Carrara

11. Juli 2008 Marina-Massa-Carrara – Viterbo

12. Juli 2008 Viterbo – Vetralla

13. Juli 2008 Vetralla – Sutri

14. Juli 2008 Sutri - Campagnano Romano

15. Juli 2008 Campagnano Romano - La Storta

16. Juli 2008 La Storta - R O M !!!!!!

17. Juli 2008 Rom – Kiel

Im nächsten Jahr:

30. April 2009 Marina di Massa – Camaiore

30. April 2009 Camaiore – Lucca

01. Mai 2009 Lucca – Altopascio

02. Mai 2009 Altopascio – San Miniato

03. Mai 2009 San Miniato – Gambassi Terme

04. Mai 2009 Gambassi Terme – Le Grazie

05. Mai 2009 Le Grazie – Monteriggioni

06. Mai 2009 Monteriggioni – Siena

07. Mai 2009 Siena – Monteroni d’Arbia

08. Mai 2009 Ponte d’Arbia – San Quirico d’Orcia

09. Mai 2009 San Quirico d’Orcia – Radicofani

10. Mai 2009 Radicofani – Aquapendente

11. Mai 2009 Aquapendente – Bolsena

12. Mai 2009 Bolsena – Viterbo

13. Mai 2009 Viterbo - R O M !!!

14. Mai 2009 Ruhetag in R O M

15. Mai 2009 Abflug aus Rom nach Kiel

Kochrezepte

Pilgersuppe Canterbury

Kalbsfuss á la mode d'Arras

Brennnesselsuppe Laonnaise

Soupe verte Chálonnaise

Oefs á l'oseille facon ardennaise

La Souppo Barbetto - Soup Vaudoise

Polenta concia

Froschsuppe Vercelli

Mactabe

Mesciua

Zuppa di saragi

Faglioli di Sutri in greppa

Trippa di manzo alla romana

Minestra di ceci allo zafferano

Ginestrata alla senese

Carciofi alla guidea

Coda alla vaccinara

Einleitung

Was ist die Via Francigena und wo verläuft sie?

Die Via Francigena ist die legendäre Frankenstrasse, die im Mittelalter von zahllosen Rompilgern beschritten wurde und heute den Ehrentitel des Europarats „Kulturstrasse" trägt. Sie ist die ehemalige Strasse, auf der sich die Könige zum Papst nach Rom begaben, um für ihre Königswürde gesalbt und gekrönt zu werden.

Die Via Francigena beginnt bei der Kathedrale in Canterbury in England und überquert den Ärmelkanal von Dover nach Calais. Von hier durchquert sie Frankreich über Reims bis nach Lausanne in der Schweiz. Sie zieht sich nördlich um den Genfer See bis hoch zum Grossen Sankt Bernhard (zweitausendvierhundertneunundsechzig Meter - das Hospiz liegt auf einer Höhe von zweitausendeinhundertzehn Metern) über die Alpen. Kurz danach entert sie Italien und windet sich hinab ins Aosta Tal, dieses weiter gen Osten entlang und in der Po-Niederung bis Piacenza. Von dort ändert sie wieder ihre Richtung gen Süden und führt über den Apennin bis Rom. Alles in allem ist sie eintausendachthundertundsechzig Kilometer lang.

Als ich 2007 mit dem Fahrrad nach Santiago de Compostela radelte und fast ohne Gepäck an den mit schwerem Rucksack zu Fuss wandernden und mit Pflastern und Verbänden versehenen Pilgern vorbei fuhr, schämte ich mich so sehr, dass ich mir schwor, im nächsten Jahr auch zu Fuss mit dem Rucksack hier entlang zu pilgern. Aber dann hörte ich von dem Pilgerweg "Via Francigena", der von Canterbury in England durch Frankreich, die Schweiz bis zum Petersdom in Rom in Italien führt und entschied mich dafür. In Santiago de Compostela war ich ja schon gewesen. Warum zweimal dasselbe Ziel ansteuern? Schliesslich bin ich siebzig Jahre jung und weiss nicht, wie lange mein Körper noch solche Strapazen durchstehen wird.

Nach dem Studium zweier Fachbücher, eines Pilgerberichtes und einer DVD mit dort wandernden Pilgern und auch einem fachlichen Rat von Ärzten wusste ich mehr von dieser noch recht unbekannten Pilgerstrasse. Daraufhin begann ich hier in Kiel Anfang November 2007 mein Wandertraining. Die flache Strecke von zwanzig Kilometern führte von unserer Wohnung in Kiel bis zur Holtenauer Schleuse am Nord-Ostsee-Kanal und wieder zurück. Für mein Bergtraining suchte ich mir in unserem Rathaus die Treppe mit den hundert Stufen aus, auf der ich jeden Montag die Stufen mit einem sechs Kilogramm schweren Rucksack ohne Pausen hoch und wieder hinunter stieg. Dann kaufte ich mir im neuen Jahr nach den Angaben der Pilger vom Jakobsweg die entsprechenden Teile wie Rucksack usw., wog alles genauestens ab und stellte fest, dass dieses Gewicht meinem nur fünfundfünfzig Kilogramm leichten Körper nicht zuzumuten ist. Da es sich aber um die allernötigsten Teile für diese Wanderung durch nasses, kaltes (Alpenüberquerung) und heisses Gelände handelte, mussten sie mit. Die Schlafunterlage und den extra für diese Wanderung angeschafften, leichten Daunen-Schlafsack musste ich auch zu Hause lassen. Aber auf das Thermometer, das ich vorn an den Rucksackträger hängte, meinen Fotoapparat, das Diktiergerät, mein Handy, um meine Quartiere buchen zu können und das Pfefferspray gegen Gefahren wie zum Beispiel mich angreifende Hunde, konnte ich nicht verzichten. Diese Teile steckte ich in meine Bauchtasche.

Am 2. Mai verliess ich meinen Mann in Kiel und fuhr mit der Eisenbahn nach Canterbury in England. Abenteuer, ich komme!

Die Autorin

Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre

von

Johann Christian Fürchtegott Gellert

Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre,

Ihr Schall pflanzt seinen Namen fort.

Ihn rühmt der Erdkreis, ihn preisen die Meere,

Vernimm, o Mensch, ihr göttlich Wort.

Wer trägt der Himmel unzählbare Sterne?

Wer führt die Sonn' aus ihrem Zelt?

Sie kommt und leuchtet und lacht uns von ferne,

|: Und läuft den Weg gleich wie ein Held. :|

Vernimm's und siehe die Wunder der Werke,

Die Gott so herrlich aufgestellt.

Verkündigt Weisheit und Ordnung und Stärke

Dir nicht den Herrn, den Herrn der Welt?

Er ist dein Schöpfer, ist Weisheit und Güte,

Dein Gott der Ordnung und dein Heil;

Er ist's, ihn liebe von ganzem Gemüte

|: Und nimm an seiner Gnade teil. :|

E N G L A N D

Den Pilgerstab in der Hand,

die Sehnsucht im Gepäck,

im Haar den Wind der Begeisterung

und tief im Herzen das ewige Ziel -

Was kann mir schon passieren!

(Verfasser ist mir unbekannt)

Der Weg von Canterbury nach Calais
03. Mai 2008: Canterbury - Dover

Nach englischer Zeit starte ich um 11.23 Uhr bei der Jugendherberge.

Aber nun ganz von vorn: Gestern brachte mich die Eisenbahn von Kiel bis Brüssel. Durch Verspätung musste ich drei Stunden auf den nächsten planmässigen Zug EUROSTAR warten, der mich dann aber unter dem Ärmelkanal hindurch bis London brachte. Dort stieg ich in den nächsten Zug nach Canterbury um, wo ich nach Sonnenuntergang ausstieg. Glücklicherweise spazierten gerade zwei junge Mädchen vor mir her, die ich nach dem richtigen Weg zur Jugendherberge Canterbury fragte. Denn dort war ich vorgebucht. Sie nahmen mich eine kurze Strecke bis zu einer kleinen Brücke mit. Eins der Mädchen fischte aus seiner Tasche einen Stadtplan von Canterbury und zeigte mir, wo ich entlanggehen soll. Sie war mein erster Engel auf meinem Pilgerweg. In einer Stadt mit wenig Strassenlaternen wäre ich ohne Stadtplan aufgeschmissen. Noch zweimal erkundigte ich mich nach der richtigen Strasse und erreichte um 22.30 Uhr mein gebuchtes Schlafquartier.

Verlaufen

Nach einer kurzen Nacht und einem guten Frühstück wandere ich nun zur Kathedrale, fotografiere die Überreste der alten und werde in die neue, grosse verwiesen. Dort erhalte ich den ersehnten Stempel für meinen Pilgerpass. Die Priester sind von meinem Erscheinen als Pilgerin, die nach Rom zu Fuss wandern möchte, ganz begeistert. Einer von ihnen geleitet mich nach draussen, zeigt mir einen Gedenkstein für die Pilger der Via Francigena vor der Tür auf dem Rasen, fotografiert mich damit und erteilt mir seinen Segen. Nun kann mir eigentlich auf meinem Pilgerweg nichts mehr passieren.

Wieder zurück in der Jugendherberge, ziehe ich mir meine warme Fleecejacke aus, quetsche sie noch oben in den sowieso schon zu schweren und vollen Rucksack und hieve ihn mir mit einem gekonnten Schwung über die Schultern und auf den Rücken. An das Gewicht hat sich mein Körper eben zu gewöhnen, basta. Schliesslich will ich nach Rom und anders geht es leider nicht.

Bei fünfundzwanzig Grad Celsius und Sonnenschein wandere ich los. Die Bäume tragen in dieser Region schon grüne Blätter. Die typischen Blumen Englands, die Blew Bells, blühen am Strassenrand, während ich auf der Dover Road Richtung Osten zur Hafenstadt Dover pilgere.

Die ganze Geschichte der berühmten Pilgerfahrt nach Canterbury erschliesst sich im Canterbury Museum, das in einem 1373 erbauten ehemaligen Altersheim für Priester untergebracht ist. Unter der Stadt auf dem Niveau des römischen Canterbury finden wir das Roman Museum.11

 

Es ist 15.24 Uhr. Auf der Hauptstrasse nach Denton rät mir ein Autofahrer zu einer Abkürzung, die ich finde. Es geht quer feldein, ohauahauaha! Bin gerade mit meinem Gepäck auf dem Rücken über ein Hecktor gestiegen. Die Krähen krächzen, Hasen hoppeln. Ein Rebhuhn sonnt sich im Sand, büxt aber bei meinem Anblick sofort aus. Ich weiss gar nicht, warum? Bald muss ich durch wildbewachsenes Gelände. Um 15.42 Uhr verlasse ich den unmöglichen Urwaldweg. Bin begeistert von dieser urigen Wegführung. Vor mir liegt eine Pferdekoppel, die ich überqueren soll. So steige ich in der Hoffnung, dass mich die hier grasenden Pferde in Ruhe lassen, über ein wackeliges und bemoostes Hecktor. Zur Not besitze ich ja zum Verscheuchen der grossen Tiere eine Trillerpfeife. An der Kante der Pferdekoppel kann ich nicht gehen. Dort liegen überall Haufen von Pferdeäpfeln. Scheinbar halten sich diese Tiere nachts hier auf. Hasenködel liegen dazwischen. Ach du meine Güte, die möchte ich auch nicht im Profil meiner Schuhe haben. Also schlage ich lieber einen Bogen darum herum. Durch schönes weiches Gras, durchsetzt mit Gänseblümchen, stapfe ich dahin. Hilfe, die Pferde kommen! Ich nehme die Trillerpfeife in die Hand.

Die Pferde nähern sich und strecken mit neugierigen Augen ihre grossen Köpfe zu mir herunter. Mir wird mulmig. Ich rufe, schimpfe, pfeife. Sie kümmern sich nicht darum und kommen immer dichter an mich heran. Ich weiche rückwärts aus und trete auf diese Weise versehentlich in ihre Pferdeäpfel. Zur Verteidigung gegen die grossen Tiere könnte ich meinen Wanderstock benutzen. Doch der klemmt hinten am Rucksack. Unter reger Anteilnahme der Vierbeiner lasse ich ihn hinuntergleiten. Zack, zack löse ich den Wanderstock, nehme ihn in die Hand und versuche, die Pferde damit zu verscheuchen. Aber vor mir zeigen sie keinen Respekt. Sie sollen verschwinden! Aber wie soll ich es denn noch versuchen? Unter lautem Schimpfen laufe ich auf sie zu und schwinge den Stock durch die Luft. Sie drehen in grossen Sprüngen um, laufen etwas weg und beobachten mich aus der Entfernung.

So schultere ich wieder meinen Rucksack, befestige meine Bauchtasche daran und setze meinen Weg zum gegenüberliegenden Hecktor fort.

Aber die Pferde nähern sich mir wieder und drücken mich mit ihren zu mir heruntergebogenen Köpfen noch weiter zurück - und in ihre Pferdeäpfel. Die dicken, grün schillernden Mistfliegen, die darauf sitzen und sich voll fressen, schwirren ab. Der „Duft" hüllt mich ein und beleidigt meine Nase. Pferdefreunden ist er sicher sehr sympathisch. Aber mein Fall ist er nicht. Ich muss weiter und kann mich nicht ewig auf dieser Koppel bedrängen lassen. Die anhänglichen und neugierigen Tiere mit meinem hoch erhobenen Wanderstock scheuchend, erreiche ich endlich die andere Seite der Pferdekoppel. Mit klopfendem Herzen jage ich meine Bewunderer noch einmal davon, steige mit Hast über das hohe Gatter - und bin endlich die Tiere los. Sie stehen dicht nebeneinander und starren mich fragend an. Jetzt ist es 15.55 Uhr

Noch ein abschliessendes Foto von meinen vierbeinigen Begleitern, dann wandere ich frisch, fromm, fröhlich und munter weiter und hoffe, auf der richtigen Spur Richtung Dover unterwegs zu sein. Mein Weg endet auf einer Autostrasse. Nach längerer Zeit frage ich einen Autofahrer, der in seinem parkenden Wagen sitzt, nach dem richtigen Weg. Er guckt mich ganz verblüfft an und gibt mir zu verstehen, dass ich in die falsche Richtung gegangen bin. Hier komme ich nach Volkstone. Wütend über meine eigene Dummheit, dem Rat gefolgt zu sein, der Abkürzung über die Wiese, den Hügel hinauf und durch den Urwald zu gehen, überlege ich hin und her.

Nach genauer Prüfung meiner sehr dürftigen Landkarte sehe ich, dass ich nach einem Kilometer die Autobahn erreiche, die nach Dover führt. Vielleicht gibt es dort eine Bushaltestelle. Die Sonne steht nämlich schon ziemlich tief. Zu Fuss würde ich erst bei Dunkelheit dort ankommen.

Zum Glück kommt von vorn ein Auto und fährt auf ein Grundstück. Ich gehe sofort hin und frage den Autofahrer.

„Gehen sie ein kleines Stück zurück. Dort gibt es für Fussgänger eine Überquerung über die Autobahn. Sie müssen nur aufpassen, dass dann nicht gerade ein Auto kommt. Dort oben auf dem Berg - er zeigt mit dem Arm dorthin - finden sie eine Bushaltestelle und können nach Dover fahren. Auch befindet sich dort ein Hotel, falls sie übernachten möchten", erklärt er mir."

Die Stelle finde ich an der Autobahn und überquere mit einem komischen Gefühl in der Magengegend die erste Doppelspur. Auf dem Mittelstreifen finde ich extra für Fussgänger eine breitere Stelle, auf der ich warte, bis von links die Strasse frei ist. Und - schwups - habe ich zu Fuss die Autobahn überquert. So etwas ist in Deutschland verboten.

Auf dem Seitenstreifen wandere hoch auf den Berg, finde dort aber nur ein verlassenes Hotel vor. Bei einem Motorradgeschäft steht ein kleiner Imbiss. Dort möchte ich nach der Bushaltestelle fragen. Aber der Imbiss hat schon geschlossen. Der Besitzer des Motorrad-Geschäfts erklärt mir, dass es hier keine Bushaltestelle gibt und dass ich auf dem Seitenstreifen der Autobahn nicht wandern darf. Aber wenn ich eine Stunde warten würde, dann gäbe er mir einen Lift. Das heisst: Er nimmt mich in seinem Auto mit nach Dover. Das lasse ich mir nicht zweimal sagen, warte draussen, stille meinen Hunger mit dem Brötchen und meiner Banane, die ich beide von Kiel in meinem Rucksack hatte und spüle mit Wasser nach. Die Schatten werden immer länger. Es wird kühl. Ich darf schon ins Auto steigen. Mein dicker Rucksack findet im Kofferraum gerade noch Platz. Der Mann reicht mir eine Liste mit den hier in der Nähe befindlichen Gasthäusern, aus denen ich mir eins in Dover aussuchen kann. Per Handy buche ich ein Zimmer. Bald darauf steige ich vor dem Gasthof aus dem Auto.

Heute bin ich ungefähr zwanzig Kilometer gewandert und hätte normalerweise in Dover ankommen müssen. Hätte! Das möge in Zukunft besser werden. Von meinem Fenster aus sehe ich unter dem langsam dunkler werdenden Abendhimmel in der Ferne eine Bergwand. Sie erinnert mich an die Schwäbische Alb! Und das an der englischen Küste. Was für ein Glück, dass ich hier nicht mit dem Fahrrad und Packtaschen unterwegs bin. Mit dem Rucksack auf dem Rücken ist es entschieden leichter auf einen Berg zu gelangen.

Fazit: Meine Beine, die Hüften und Füsse tun nicht weh. Es geht mir eigentlich ganz gut.

Die ganze Geschichte der berühmten Pilgerfahrt nach Canterbury erschliesst sich im Canterbury Museum, das in einem 1373 erbauten ehemaligen Altersheim für Priester untergebracht ist. Unter der Stadt auf dem Niveau des römischen Canterbury finden wir das Roman Museum.2