Free

Literatur und Mehrsprachigkeit

Text
Mark as finished
Font:Smaller АаLarger Aa

2. Mittelalter

Auch der sprach- und kulturpolitische Hintergrund der Literaturen des Mittelalters hat das Entstehen unterschiedlicher Formen von Sprachwechsel und Sprachmischung begünstigt, wobei weiterhin gilt, dass der Status der jeweils relevanten Sprachen relativ stabil bleibt: »Die verschiedenen Sprachen gelten […] als Träger konventioneller Ausdrucksqualitäten, die sie als eingebettete Sprachen für besondere Themen erwartbar machen: etwa Latein für echte und parodierte Gelehrsamkeit« (HelmichHelmich, Werner, Ästhetik der Mehrsprachigkeit, 55). Während das Griechische außerhalb des oströmischen Reichs nur noch eine geringe Rolle spielt, avanciert das Lateinische in West- und Mitteleuropa zur primären Bildungssprache. Vor allem im romanischen Sprachraum ergeben sich dabei starke Wechselbeziehungen zwischen dem Lateinischen und den jeweiligen Volkssprachen. Auch in der literarischen Produktion werden Sprachwechsel und Sprachmischung vorwiegend zwischen dem Lateinischen und der jeweiligen Volkssprache vollzogen. Die Zahl der Belege für dieses Verfahren ist relativ hoch: Paul ZumthorZumthor, Paul hat in einer wegweisenden Studie ca. 60 dafür einschlägige lyrische Texte aus der altfranzösischen Literatur des 11. bis 13. Jahrhunderts untersucht (ZumthorZumthor, Paul, »Un problème d’esthétique médiévale«; vgl. auch ElwertElwert, W. Theodor, »L’emploi de langues étrangères«, 243–246). Es finden sich aber auch Fälle von Sprachwechsel und -mischung, die auf unterschiedliche romanische Volkssprachen zurückgreifen, sowie auf der iberischen Halbinsel Wechsel zwischen den romanischen Volkssprachen und dem Arabischen (Schmitz-EmansSchmitz-Emans, Monika, Die Sprache der modernen Dichtung, 60f.).1 Spezifische Komplexität weist die Situation in England auf. Literarisch nutzbar ist hier zunächst der Kontrast zwischen Angelsächsisch, Normannisch und Latein, dann ab dem 13. Jahrhundert der zwischen Middle English und Latein, während das Französische weiterhin präsent bleibt. In all diesen Gegenden Westeuropas finden sich Autoren, die in besonders auffälliger Weise Verfahren von Sprachwechsel und -mischung genutzt haben. Hervorzuheben sind für das französische Hochmittelalter die lyrische Dichtung Raimbauts de VaquerasRaimbaut de Vaqueras (um 1200) (HelmichHelmich, Werner, Ästhetik der Mehrsprachigkeit, 52), für das spanische die Lyrik von Álvarez de VillasandinoÁlvarez de Villasandino, Alfonso (siehe ClassenClassen, Albrecht, »Multilingualism in Late-Medieval Poetry«, 63f.), die zwischen Kastilisch und Arabisch wechselt, und für England die Dichtung von John GowerGower, John, die vielfältige Sprachwechsel und mehrsprachige Wortspiele enthält (ClassenClassen, Albrecht, »Multilingualism in the Middle Ages«, 134).

Für die deutschsprachige Literatur des Mittelalters gilt ebenfalls, dass insbesondere lyrische Formen auf Verfahren des Sprachwechsels und der Sprachmischung zurückgreifen. Auch hier finden sich Wechsel und Mischungen einerseits mit dem Lateinischen, andererseits mit den – ab dem Hochmittelalter ebenfalls als Bildungssprachen fungierenden – romanischen Sprachen. In den Carmina Cantabrigiensia aus dem 10./11. Jahrhundert ist das sog. »Heinrichslied« (»De Heinrico«) enthalten, das das Lateinische mit althochdeutschen Halbversen mischt und dabei (wenn auch recht unsystematisch) lateinisch-deutsche (Binnen-)Reime bildet, wie hier in der zweiten Strophe:

Intrans nempe nuntius, then keisar namoda her thus:

›cur sedes‹ infit ›Otdo, ther unsar keisar guodo?

hic adest Heinrich, bringit her hera kuniglich,

dignum tibi fore thir selvemo ze sine.‹2Haug, WalterVollmann, Benedikt Konrad

Über den klaren segmentären Sprachwechsel hinaus ist in diesem Text eine gewisse dialektale Instabilität der deutschen Textteile zu beobachten. Insofern der Entstehungskontext des Lieds nicht bekannt ist, ist der kulturpolitische Impuls des lateinisch-deutschen Sprachwechsels zwar schwierig abzuschätzen. Fest steht jedoch, dass die aus der Antike geläufige komisch-verfremdende Funktion von Sprachwechsel und -mischung in diesem Lied, das ein Herrschertreffen beschreibt und eine eher politisch-affirmative Stoßrichtung hat, nicht zum Tragen kommt. Eher dürfte die Mischung aus Gelehrten- und der Herrschaftssprache die Würde des dargestellten politischen Bündnisses selbst beschworen haben, und zwar mit der zusätzlichen Pointe, dass die Herrschaftssprache ihrerseits eine Synthese unterschiedlicher regionaler Varietäten darstellt.3

Anders als die althochdeutsche Literatur steht die Literatur des Mittelhochdeutschen unter dem sehr starken Einfluss der altfranzösischen bzw. okzitanischen Literatur, aus der Gattungsnormen, Stoffe und Versformen übernommen werden. Dieser starke Einfluss schlägt sich insbesondere in der Epik nieder, etwa in Wolframs von EschenbachWolfram von Eschenbach Parzival und in Gottfrieds von StraßburgGottfried von Straßburg Tristan. Einen Sonderfall stellt Thomasîns von ZerklaereThomasîn von Zerclaere Lehrgedicht Der welsche Gast dar, das für die historische Linguistik insofern von Interesse ist, als der Verfasser, der selbst einräumt, kein Muttersprachler zu sein, den Text in einem instabilen bairischen Dialekt mit zimbrischen Einsprengseln abfasst.4Willms, EvaThomasîn von Zerclaere Kulturpolitisch ist ThomasînsThomasîn von Zerclaere Lehrgedicht von besonderem Interesse, da es eine Verhaltenslehre für Adelige im kulturell-sprachlichen Grenzgebiet thematisiert.

Auffällige Beispiele für literarischen Sprachwechsel im Bereich der Lyrik finden sich insbesondere in der Vagantendichtung des 11. und 12. Jahrhunderts, die in der Handschrift der Carmina Burana aus dem frühen 13. Jahrhundert versammelt ist (siehe HelmichHelmich, Werner, Ästhetik der Mehrsprachigkeit, 51). An diesen Texten ist bemerkenswert, dass der Wechsel zwischen Latein und Deutsch mit der Thematisierung von Erotik und Sexualität verbunden ist (ClassenClassen, Albrecht, »Multilingualism in Late-Medieval Poetry«, 48–52; ClassenClassen, Albrecht, »Multilingualism in the Middle Ages«, 134f.). Der Kontrast zwischen der hohen lateinischen Sprache und der Vernakularsprache erzeugt dabei einerseits komische Wirkung, dient andererseits aber auch der Aussprache von Intimität oder verbotener Sinnlichkeit unter dem Deckmantel der fremden Sprache. In der Regel erfolgt der Sprachwechsel in den mehrsprachigen Gedichten der Carmina Burana an Strophengrenzen, oft im Zusammenhang mit Sprechwechseln5Vollmann, Benedikt Konrad oder auch anlässlich eines Wechsels des semantischen Bezugsrahmens, wie es in CB 170 der Fall ist, wo in den ersten drei, lateinischen, Strophen Topoi der klassisch-antiken Liebessemantik abgerufen werden, in der vierten, deutschen, aber höfische Ideale des Mittelalters.6 In CB 185 findet sich darüber hinaus ein sehr regelmäßiger Sprachwechsel innerhalb der Strophen, beispielsweise hier in der zweiten Strophe:

Ia wolde ih an die wisen gan,

flores adunare,

do wolde mich ein ungetan

ibi deflorare.

REFL. Hoy et oe!

maledicantur thylie

iuxta uiam posite!7

Bei diesem Gedicht handelt es sich um eine Parodie von Walthers von der VogelweideWalther von der Vogelweide berühmtem Gedicht »Under der linden«. Das Geschehen wird dabei allerdings in eine Vergewaltigung umgedeutet. Wiedergegeben wird die deutsch-lateinische Klage der Frau, in die die Rede des Mannes (des »ungetan«) eingelagert ist. Wenn man davon ausgeht, dass die Frau nicht von Stande ist – was angesichts ihres freien Herumstreifens in der Natur naheliegt –, so ist klar, dass der Text ihr Sprachkenntnisse zuschreibt, die sie nicht haben kann. Einem im Grunde sozial ›stummen‹ Menschen wird hier eine Rede in den Mund gelegt, die aufgrund des Sprachwechsels klar die Merkmale sozial hochstehender Ausdruckskompetenz zeigt. Darin muss man wohl eine arrogante Form männlich-gelehrten/klerikalen Spotts sehen.

Es ist sehr wichtig zu sehen, dass der Sprachwechsel im Mittelalter keinesfalls nur als Mittel zur Erzeugung von Komik dient. Lateinische Einfügungen in volkssprachliche Texte können etwa auch ganz einfach zur Erhöhung der Feierlichkeit beitragen; und umgekehrt kann das Lateinische durch Einbindung in die ›wohlige‹ Volkssprache in den Alltag integriert werden, beispielsweise in dem Kirchenlied »In dulce jubilo« (UhrmacherUhrmacher, Anne, »Das Spiel mit Sprachdifferenz in Texten populärer Lieder«, 203f.). Die Synthese von Heiliger Sprache und volkstümlicher Nahsprache hat dem Lied aus dem 14. Jahrhundert eine sehr dauerhafte Popularität gesichert. Ebenfalls religiös motiviert dürfte der Sprachwechsel in den um 1400 von Bruder HansHans, Bruder auf das »Ave Maria« angefertigten insgesamt viersprachigen Glossen sein (siehe hierzu NoelNoel Aziz Hanna, Patrizia/SeláfSeláf, Levente, »On the Status and Effect of Formulas«). Die Ausweitung der einzelnen lateinischen Phrasen des Gebets zu Strophen auf Deutsch, Französisch und Englisch lässt sich nicht zuletzt als Vorgriff auf die Verheißung eines Pfingstwunders des christlichen Glaubens verstehen. Einen Sonderfall des literarischen Sprachwechsels stellt für das (späte) Mittelalter die Lyrik Oswalds von WolkensteinOswald von Wolkenstein dar, eines Südtiroler Adeligen, dessen schriftstellerische Tätigkeit in den Anfang des 15. Jahrhunderts fällt. Für seine mehrsprachigen Gedichte ist kennzeichnend, dass sich unterschiedliche Sprachen in sehr großer Freiheit miteinander abwechseln, d.h., ohne auf die traditionell feststehende Wertigkeit und den ›Charakter‹ der jeweiligen Sprachen Rücksicht zu nehmen. In der Forschung ist daher die These vertreten worden, bei OswaldOswald von Wolkenstein werde die »Hierarchie der Literatursprachen […] zugunsten eines diffuseren Exotismus aufgegeben« (HelmichHelmich, Werner, Ästhetik der Mehrsprachigkeit, 53). Oswalds Spiel mit der schieren Klanglichkeit unterschiedlicher Sprachen ist allerdings auch anders eingeschätzt worden, so etwa als Versuch, im Rahmen der stark durch Gattungstraditionen eingeschränkten Liebeslyrik dennoch etwas Neues zu schaffen (so ClassenClassen, Albrecht, »Multilingualism in Late-Medieval Poetry«, 52–57; vgl. MurrayMurray, David, »Oswald von Wolkenstein’sOswald von Wolkenstein [!] Multilingual Songs«).

 

Alles in allem zeigen die vorliegenden Beispiele für literarischen Sprachwechsel aus dem Mittelalter, dass das Lateinische im Verhältnis zu den Volkssprachen ab dem frühen 13. Jahrhundert eine Statusveränderung erfährt: Zunehmend wird es zum Verfügungsmaterial volkssprachiger Texte, während zugleich die Volkssprache als Dichtungssprache eigenständiger wird (ClassenClassen, Albrecht, »Multilingualism in Late-Medieval Poetry«, 50). Damit verbreitet sich eine kulturpolitische Tendenz, die sich bereits bei dem mit großem Abstand prominentesten Vertreter literarischer Mehrsprachigkeit im Mittelalter beobachten lässt, nämlich bei Dante AlighieriDante Alighieri. Dantes Gebrauch der Volkssprache in der Commedia hat nämlich insgesamt einen sprachmischenden Charakter, denn sowohl lexikalisch als auch morphosyntaktisch wird der toskanische Dialekt um Bestandteile anderer romanischer Idiome sowie des Lateinischen angereichert (siehe KlinkertKlinkert, Thomas, »Dante Alighieri und die Mehrsprachigkeit«). Sprachwechsel findet sich bei DanteDante Alighieri in den meisten Fällen im Zusammenhang mit Sprecherwechseln (siehe III.2) oder mit Zitaten (siehe III.3). Einen Spezialfall stellen die sog. Teufelssprachen dar, die im VII. bzw. im XXXI. Canto des Inferno wiedergegeben werden. Beide Stellen umfassen jeweils nur einen Vers; im ersten spricht Pluto, der Gott der Unterwelt, wie folgt: »Papè Satàn, papè Satàn aleppe!« (VII,1)8Dante Alighieri Es handelt sich um einen Wechsel zwischen Latein (›papae‹ ist eine lateinische Interjektion, die Verwunderung ausdrückt), Hebräisch (im Italienischen hieße es ›satana‹, hier wird eine Transkription des hebräischen ‎‏שָּׂטָן‏‎ gegeben) und (wahrscheinlich) verballhorntem Hebräisch (›aleppo‹ kann man als Verballhornung von ›Aleph‹, des ersten Buchstabens des hebräischen Alphabets, ‎‏א‏‎, deuten). Für die zweite Stelle ist die Sachlage weniger klar. Hier spricht Nimrod, von dem die außerbiblische Überlieferung sagt, er habe zum Turmbau zu Babel angeregt, die folgenden Worte, die ebenfalls als verballhorntes Hebräisch gedeutet worden sind: »Raphèl ma’y amèch zabì almi« (XXXI, 67).9 Allerdings ist für Nimrods Worte gerade ihre Unverständlichkeit charakteristisch, denn seine Strafe besteht darin, dass er in sprachlicher Isolation leben muss (siehe ebd.). Die Freiheit, mit der hier inmitten des italienischen Textes die Heiligen Sprachen Latein und Hebräisch behandelt werden, steht ganz im Zeichen einer Kulturpolitik, die aus den volkssprachlichen Dialekten selbst eine Literatursprache, eine grammatica machen will (siehe I.1).

3. Frühe Neuzeit

Die Frühe Neuzeit und insbesondere die Durchsetzung des Buchdrucks bringen weitere erhebliche Verschiebungen im Gefüge der europäischen Sprachlandschaft mit sich. Denn die seit dem Hochmittelalter zu beobachtende zunehmende Angleichung des Statusunterschiedes zwischen dem Lateinischen und den Volkssprachen setzt sich – nicht zuletzt bedingt durch die mediale Erschließung neuer Formen von Öffentlichkeit – fort, auch wenn erst ab dem 18. Jahrhundert die Produktion volkssprachlicher Texte diejenige lateinischer Texte übertrifft. Gerade die neuen Formen von Sprachwechsel und Sprachmischung, die sich in der Frühen Neuzeit etablieren, zeigen aber dennoch eine auffällige Veränderung an.

Beispielsweise lässt sich die Sprachmischung in der makkaronischen Poesie als Verarbeitung einer historisch neuartigen Form von gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit auffassen (siehe ausführlicher V.1). Die Gattung begründete das 1493 publizierte Carmen macaronicum von Tifi degli OdasiTifi degli Odasi; zu ihrer Popularisierung trugen maßgeblich Teofilo FolengosFolengo, Teofilo Macaroneae (1517) und außerhalb des italienischen Sprachraums die Werke von François RabelaisRabelais, François und Johann FischartFischart, Johann bei. Die makkaronische Poesie untermischte lateinische Texte mit volkssprachlicher Lexik, wobei die nicht-lateinischen Wörter dennoch den lateinischen Flexionsregeln unterworfen wurden. Sie ist in der Forschung von anderen, ihr nahestehenden Phänomenen der poetischen Sprachmischung abgegrenzt worden, etwa von den sog. »Pedantesca«, die »Lateinische Wörter in die Muttersprache« mischen (GentheGenthe, Friedrich Wilhelm, Geschichte der Macaronischen Poesie, 61f.), und zwar mit dem Ziel, die pedantische Gelehrsamkeit zu verspotten; oder von einem sog. ›Küchenlatein‹, das der Verfasser der bis heute ausführlichsten Darstellung zur makkaronischen Poesie, Friedrich GentheGenthe, Friedrich Wilhelm, als »schon an sich schlechte und fehlerhafte Latinität« charakterisiert, »welche noch dazu, sobald ihr Latein zu Ende ist, […] aus der Muttersprache dem Buchstaben, aber nicht dem Sinne nach übersetzt« (ebd., 62f.). Auch wenn die Stoßrichtung dieser einzelnen Gattungen (und erst recht diejenige der einzelnen Texte) recht unterschiedlich ist und GentheGenthe, Friedrich Wilhelm (wie auch neuere Darstellungen) diese Differenz zu Recht hervorheben, demonstrieren sie doch allesamt eine gewisse Freiheit im Umgang mit der Gelehrtensprache, die deren Integrität, wenn sie sie auch nicht unmittelbar angreifen, so doch zerbrechlich werden lässt. Sie testen gewissermaßen die Grenzen der vormals ungebrochenen Autorität aus – Grenzen, die zeitgleich durch die Stilideale des Humanismus neu gezogen und verteidigt werden.

Wichtig ist es zu betonen, dass Verfahren der Sprachmischung, wie sie die makkaronische Poesie betreibt, im Vergleich zu den Belegen, die sich in der mittelalterlichen Literatur finden, nicht nur eine sehr viel größere Menge an Texten hervorgebracht, sondern offenkundig auch eine andere Wirkmächtigkeit entfaltet haben. Es liegt nahe, hier einen Zusammenhang herzustellen zu einem Phänomen, das im Bereich der mehrsprachigen Figurenrede zu beobachten ist, die erst in der Frühen Neuzeit, dafür nun aber in besonderem Maße, als Problem reflektiert wird. Berichtet die mittelalterliche Literatur auch in den unwahrscheinlichsten Fällen fast nie über Verständigungsprobleme zwischen Sprechern unterschiedlicher Sprachen, so sind solche Probleme seit der Durchsetzung des Buchdrucks zunehmend ein Thema (siehe ClassenClassen, Albrecht, »Multilingualism in the Middle Ages«, 136–142). Man mag hier einen Zusammenhang sehen zwischen den schlagartig erweiterten Verbreitungsmöglichkeiten anderssprachiger Schriften, durch die die Erfahrung des Nicht-Verstehens stärker in den Fokus rückte, und einem neuartigen Bewusstsein für die Eigenheit von Sprachen und die Notwendigkeit, sie zu beherrschen und sich zu eigen zu machen. Zugleich dürfte der Standardisierungsdruck, der sich dank der Erfordernisse des Buchdrucks in der Schriftproduktion bemerkbar machte, das Bewusstsein für dialektale und soziolektale Differenzen geschärft haben.

Freilich ist die makkaronische Poesie nur eines von vielen literarischen Phänomenen, in denen sich das neue Bewusstsein von der akuten Verständigungsproblematik, die sich aus dem Sprachkontakt ergibt, äußert. Die Kehrseite dieses Problembewusstseins ist nicht zuletzt die bis ins 18. Jahrhundert hinein anhaltende Konjunktur von Plansprachenutopien (siehe hierzu EcoEco, Umberto, Die Suche nach der vollkommenen Sprache), die auch einen erheblichen literarischen Niederschlag findet. Neben einer Vielzahl von philosophischen Entwürfen, unter denen diejenigen von Gottfried Wilhelm LeibnizLeibniz, Gottfried Wilhelm, John LockeLocke, John und John WilkinsWilkins, John nur die prominenten Beispiele sind, ist hier auf die Überlegungen zur Sprache Utopias aus Thomas MorusMorus, Thomas’ gleichnamiger Schrift (1516) und auf Jonathan SwiftsSwift, Jonathan satirische Darstellung einer Universalsprache der Dinge im dritten Band von Gulliver’s Travels (1726) hinzuweisen. Als Fortsetzung der makkaronischen Tradition mit den Mitteln des modernen Romans lassen sich demgegenüber Francesco ColonnaColonna, Francescos Hypnerotomachia Poliphili (1499) (siehe hierzu PolizziPolizzi, Gilles, »Sprache des Anderen oder eigene Sprache?«), die lateinisch-volkssprachige Satire (siehe HessHess, Günter, Deutsch-lateinische Narrenzunft) und insbesondere die satirisch-groteske Produktion von RabelaisRabelais, François sowie seines deutschen Bearbeiters FischartFischart, Johann ansehen. Rabelais’ Romanwerk ist nicht zufällig Gegenstand des Interesses von BachtinBachtin, Michail M. geworden, denn die karnevaleske Umkehrung der Gesellschaftsstrukturen, die diese Texte im Raum der grobianischen Imagination betreiben, führt auch zu einer extremen Polyphonie. In latenter Parallele zu PlautusPlautus, Titus Maccius ist in diese Polyphonie auch eine komplexe Variante von Sprachmischung eingearbeitet, vor allem in Form von französisierten lateinischen Worten, Hybridbildungen, also aus Elementen mehrerer Sprachen zusammengefügten Wörtern, und teils mehrsprachigen Paronomasien (siehe KorgKorg, Jacob, »Polyglotism in Rabelais and Finnegans Wake«, 59–62). FischartFischart, Johann hat in der Geschichtsklitterung (1575) den zweiten Roman von RabelaisRabelais, François, Gargantua (1534), übersetzt bzw. bearbeitet und dabei diesen Effekt noch einmal gesteigert, weil er die übersetzerische Suche nach dem rechten Wort so im Text sichtbar werden lässt, dass fortwährend unterschiedliche Synonyme oder scheinbare, durch Wortspiele miteinander verbundene Synonyme aneinandergereiht und dabei gerne auch Sprachgrenzen überschritten werden – bis hin zu dem Punkt, dass einzelne Wörter in ihrer sprachlichen Zugehörigkeit mehrdeutig werden (siehe unten Anwendungs-/Analysebeispiel 1). Noch Martin LutherLuther, Martins Tischreden, die einer der ersten Gegenstände der literaturwissenschaftlichen Mehrsprachigkeitsforschung gewesen sind (StoltStolt, Birgit, Die Sprachmischung in LuthersLuther, Martin Tischreden), treiben die deutsch-lateinische Sprachmischung zuweilen so weit, dass sich ähnliche Effekte einstellen (MartynMartyn, David, »Es gab keine Mehrsprachigkeit«, 45–47). Und auch wenn ihnen eine satirisch-groteske Wirkung nicht unterstellt werden kann, sind auch sie Zeugnisse desselben gewandelten frühneuzeitlichen Sprachbewusstseins.

Die frühneuzeitliche Komödie scheint demgegenüber auf den ersten Blick verhältnismäßig konservativ, denn sie setzt Tendenzen zur Sprachmischung fort, wie sie bereits die antiken Vorbilder aufweisen. Sprachwechsel dienen in der Regel vor allem zur Charakterisierung von Figuren (siehe III.2). Es finden sich aber auch Sprachwechsel und Mischung in der Rede einzelner Figuren, ähnlich wie in der makkaronischen Poesie – Redeweisen, die als solche auch wiederum der Figurencharakteristik dienen können (zur Komödie seit der italienischen Renaissance siehe ElwertElwert, W. Theodor, »L’emploi de langues étrangères«, 237–240). Dies funktioniert teils auch eher indirekt. So wird etwa die Hauptfigur in MolièreMolières Bourgeois gentilhomme (1670) dazu gebracht, im Rahmen einer Scheinzeremonie die (im Französischen eigentlich ohne weiteres verständliche) Lingua Franca (Sabir) für Türkisch zu halten und so ihre charakterliche Schwäche zu offenbaren (zu dieser Textstelle siehe auch II.3).1Molière Die Grenzen zwischen Sprachwechsel und Sprachmischung sind dabei oft schwer zu ziehen, denn der Sprachwechsel ist bisweilen so ausgeprägt, dass der Eindruck entsteht, die Figuren sprächen eine eigenständige, neue Sprache. Dies ist beispielsweise in Andreas GryphiuGryphius, Andreass’ Komödie Horribilicribrifax Teutsch (1663) der Fall (siehe hierzu das erste Anwendungs-/Analysebeispiel in III.2). Es ist kein Wunder, dass auch in diesem Kontext Verständigungsprobleme in den Vordergrund treten, was auch jenseits der Gattung Komödie gilt. Beispielsweise thematisiert William ShakespearesShakespeare, William historisches Drama King Henry the Fifth die Sprachprobleme der Tochter des französischen Königs, Katherine, deren französisierendes Englisch wie folgt wiedergegeben wird: »Your majesté ’ave fause French enough to deceive de most sage demoiselle dat is en France.«2Shakespeare, William (Siehe hierzu RadaelliRadaelli, Giulia, Literarische Mehrsprachigkeit, 56f.) Auch im Drama findet sich also ein neuzeitlich verstärktes Bewusstsein für sprachbedingte Verständigungsprobleme.