Zauberhaft - Victoria

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»Hobbi, das war verdammt schnell ...«

»Wie schnell?« Völlig außer Atem und high versuchte sich Victoria auf den Beinen zu halten.

»Schneller als ich es jemals war.«

Er küsste ihre Stirn und winkte einen seiner Leibwächter heran, um Victoria den Helm und die Handschuhe abzunehmen.

»Wie schnell?«

»Knapp zwei Minuten. Noch eine Ecke weg vom Streckenrekord, aber drei Sekunden besser als ich.« Mit einer angedeuteten Verneigung nahm er ihre Hand und führte sie an den Streckenrand. »Lassen wir Hasan auch noch seinen Spaß und trinken etwas, in Ordnung?«

»Ja, gern. Lass mich aber kurz noch ein paar Bilder machen ...«

Hakim fotografierte sie vor dem P1, dann schossen sie ein Selfie mit dem Circuit im Hintergrund und verfolgten Hasans Trainingsrunden an den Monitoren im Truck. Hakim hatte den McLaren schon mittags nach Abu Dhabi bringen lassen und nach dem Abendessen im Palast waren sie zur Rennstrecke geflogen.

Victoria sah Hakim an und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. »Danke!«

»Gern geschehen, Hobbi. Irgendwie muss ich dich ja bei Laune halten.«

»Hey ...« Sie knuffte ihn in die Seite und sah ihn gespielt böse an. »Bin ich so schlimm momentan?«

»Nein, als ›schlimm‹ würde ich das nicht bezeichnen. Aber ich sehe dir an, dass du mit den Gedanken ungefähr 5.000 Kilometer weit weg bist. Er fehlt dir.«

»Das klingt so undankbar jetzt, aber ja, Magnus fehlt mir.« Mit ernster Miene fuhr sie fort. »Hakim, ich bin immer gern hier gewesen, ich bin es auch jetzt und werde auch ebenso gern wiederkommen. Du weißt, dass ich ohne weiteres mit dir und für dich arbeite. Ich genieße auch die Stunden außerhalb des Jobs hier sehr.«

»Aber?«

»Es gibt hin und wieder Augenblicke, die ich gern teilen würde. Nicht nur auf einem Foto oder via Skype.«

»Verstehe, Hobbi. Bring Magnus doch beim nächsten Mal einfach mit!?«

*

Wieder in seiner Wohnung angekommen, ließ Magnus den Abend Revue passieren. Sollte es wirklich alles so einfach sein? Je weiter die Zeiger auf der Uhr vorgerückt waren, desto mehr war seine Unsicherheit geschwunden, desto besser hatten er und Wilhelm sich verstanden und desto klarer wurde ihm, auf was er sich da eingelassen hatte. Auf wen. Nach dem letzten Glas Rotwein waren sie noch eine späte Runde mit den Hunden aus gewesen, hatten Irene Scharnweber getroffen, kurz geplaudert und die kühle Nachtluft genossen. Der Abschied verlief mehr als herzlich, Wilhelm hätte Magnus wohl am liebsten interniert.

Mit müden Augen, aber immer noch aufgewühltem Geist, lag Magnus im Bett und schaute auf sein Handy; er hatte Victorias Bild gespeichert und strich darüber. Als er sich selbst dabei ertappte, schmunzelte er. Während des Spaziergangs hatten sie kurz geschrieben und sich eine gute Nacht gewünscht, Küsse auf die 5.000 Kilometer weite Reise geschickt und die Sehnsucht ein weiteres Mal geschürt.

Im Schein seiner Nachttischlampe, das Handy in der Hand, schlief Magnus ein.

Freitag, 19.07.

»Damit ist die Sache vom Tisch.«

Hakim rieb sich die Hände, nachdem er aufgelegt hatte. 300 Millionen Euro gespart. Na ja, nicht ganz, wenn er Victorias Rechnung in Abzug stellte. Ohne sie jedoch wäre ihm die Kartellstrafe sicher gewesen. Es war Freitagmorgen, gerade eben acht Uhr, als sich der zuständige Staatsanwalt gemeldet und ihm mit diesem einen Satz den Tag versüßt hatte. In nur 24 Stunden hatte Victoria den Fall zu den Akten befördert, mit Hasans Hilfe und den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln, aber im Vergleich zu dem, was er an Verfahrensdauer angenommen hatte, war das ungefähr so schnell wie ihre Runde auf dem Yas Marina Circuit am Abend zuvor.

»Guten Morgen, Hobbi«, begrüßte er sie, mit dem immer noch vertrauten Kuss auf die Stirn. Victoria saß seit zwei Stunden über den Vorbereitungen für die Halbjahresbilanz, bereits die zweite Dose Red Bull auf dem Tisch und in Bestform.

»Guten Morgen. Was bereitet dir so gute Laune?« Sie sah ihm an, dass er etwas im Schilde führte. Nur, was?

»Die Sache hat sich erledigt. Der Staatsanwalt hat gerade angerufen.«

»Tja, dann herzlichen Glückwunsch ... Meine Kontonummer kennst du ja«, lachte sie und tippte mit links auf der Tastatur, während sie mit rechts etwas in ihren Block schrieb.

»Wie hast du das gemacht?«, fragte er, während er im Türrahmen des Büros lehnte und sie beobachtete.

»Hasan war äußerst gut vorbereitet diesmal und hat mich schnell auf die sensiblen Punkte gebracht. Wir haben eine kleine Gebühr bezahlt, damit noch kurzfristig eine erneute Prüfung stattfinden konnte und offensichtlich waren unsere Papiere doch nicht so falsch, wie der Staatsanwalt angenommen hat.«

»Wie klein war denn die Gebühr?«

»Steht auf der Rechnung ...«

»Gut, dass ich dir vertraue ...« Im Gehen drehte er sich noch einmal um. »Hobbi, ich werde die nächsten paar Tage verreisen, Hasan wird für dich da sein und du erreichst mich jederzeit auf dem Handy, wenn was sein sollte.«

»Du lässt mich allein?« Ihr Ton klang zur einen Hälfte traurig, zur anderen neugierig.

»Ja, ein paar Dinge, die keinen Aufschub dulden. Mach dir keine Sorgen. Ich komme bald zurück und du wirst gar nicht merken, dass ich nicht da bin ...«

»Wenn du das sagst ... Ich hab genügend Beschäftigung, das ist wahr. Pass auf dich auf.«

»Und du auf dich.«

Getröstet winkte sie ihm zum Abschied und schlug die Augen nieder. Hakim ging tänzelnd den Flur entlang, griff zum Handy und begann eine lange Reihe von Gesprächen.

*

Wochenende, dachte Magnus erleichtert, als er am Freitagnachmittag das Gerichtsgebäude verließ und mit einer Handvoll Akten in das Auto stieg. Er konnte noch gar nicht fassen, wie sehr sich zum x-ten Male in dieser Woche die Ereignisse überschlagen hatten. Erst recht in den letzten 24 Stunden. Ganz nebenbei, an einem ganz normalen Arbeitstag.

Um neun hatte sich Wilhelm gemeldet: »Die Sache ist vom Tisch.«

Erst wollte er sich nicht auf Nachfragen einlassen, dann jedoch hatte er ein Einsehen und wurde gesprächiger. »Weißt du, wenn Georg von Eschberg mir damals nicht im entscheidenden Moment unter die Arme gegriffen hätte, hätte es ECG wahrscheinlich nie gegeben.«

Magnus ließ diese kryptische Aussage unkommentiert stehen. Wilhelm fuhr auch von allein fort. »Ich habe mit meinem Berater bei der Bank gesprochen und er hat sich der Sache angenommen. Du bekommst ein maßgeschneidertes Individualdarlehen. Dein Konto und die Kreditkarte sind wieder frei. Für die Verträge müsstest du am Montagabend zu mir kommen. Ich habe erst mal 18 Uhr festgehalten. Passt dir das?«

»Ja, natürlich. Ich ... Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll ... Danke!?«

»Keine Ursache. Herr Stromberg von der Bank bat mich, dir auszurichten, dass du deinen Ausweis mitbringen sollst.«

»Mist, der ist seit ein paar Tagen abgelaufen und mein neuer liegt noch in Berlin im Bürgerservicebüro. Aber mein Reisepass ist gültig. Das dürfte doch zur Not auch gehen. Oder?«

»Mit Sicherheit!«

In der Mittagspause hatten sie dann noch einmal telefoniert, da Wilhelm ihm am Vorabend angeboten hatte, dass er und Anna doch mit Henry vorbeikommen könnten, um sich bei Tageslicht die Falken anzuschauen. Nachdem Anna begeistert eingewilligt hatte, hatte Magnus Wilhelm kurz Bescheid gesagt.

Jetzt war er auf dem Weg zu seiner Wohnung, wo er sich mit Anna treffen, etwas essen und von dort aus dann gemeinsam zu Wilhelm fahren wollte. Anna hatte sich bereiterklärt einzukaufen und die Zutaten für die Spaghetti Bolognese mitzubringen, also musste er nur noch nach Hause fahren und – nichts und. Es gab gerade kein To Do für ihn. Und das erleichterte ihn enorm.

Bevor er losfuhr, schrieb er jedoch noch an Victoria.

🎓 Feiiiiiiieeeerrraaaaaaaaaabend .... Hoffe, du machst auch mal was anderes als nur zu arbeiten ... 😚

Seine Sorge war nicht unbegründet, Victoria hatte ihm nämlich beim Videotelefonat am frühen Nachmittag erzählt, dass sie schon ewig wach war und mit den Arbeiten gut vorankam. Magnus konnte sich ausmalen warum; wenn sie einen ähnlichen Antrieb hatte wie er, zog sie den Job konsequent durch, um möglichst schnell wieder zu Hause zu sein. Besonders froh war er darüber, dass sie wohl die Angelegenheit, derentwegen sie so dringend nach Dubai musste, so schnell erledigt hatte. Ein bisschen neidisch wurde er allerdings, als sie ihm von der Nacht auf dem Yas Marina Circuit erzählte. Ein McLaren P1 GTR, professionelle Bedingungen.

»Traumfrau. Traumauto. Traumwelt«, war sein Kommentar. Dass er es nicht böse meinte, hatte Victoria an seinem Tonfall und der Mimik gemerkt und war froh. In einer SMS hätte sie vermutlich erst einmal alle Interpretationsspielräume genutzt.

💎 Ja, natürlich mache ich noch etwas anderes außer arbeiten: Essen 😀 Spaß beiseite. Ich stecke tatsächlich noch mit der Nase in den Büchern, aber ich muss auch gleich wirklich zum Essen. Bleiben heute doch im Palast, mir steht nicht der Sinn nach ausgehen.

🎓 Okay. Hören/sehen wir uns später noch? Anna kommt zwar gleich und wir fahren zu deinem Vater, aber das eine schließt das andere ja nicht aus ...

💎 Ich schreibe dir auf jeden Fall noch. Wahrscheinlich sinke ich aber todmüde ins Bett, mein Herz. Auch hier geht um fünf der Wecker ...

🎓 Ja, weiß ich doch ... Dann guten Appetit und viel Spaß!

💎 Dir auch. 💋

🎓 😚

Anna wartete bereits in ihrem Auto vor der Tür und stieg aus, als sie Magnus um die Ecke kommen sah.

»Hey, großer Bruder ...«

 

»Hey, Kleines. Und Kleiner.« Die drei umarmten sich und Magnus nahm Henry auf die Schultern. »Lass uns raufgehen.«

»Gern ... Wobei – mal ernsthaft, du hast dir ja nicht die schickste Ecke ausgesucht hier ...«

»Erzähl ich dir gleich alles beim Kochen ...«

»Ich bin gespannt.«

Nachdem sie Henry mit einem Malbuch versorgt hatten, machten die beiden sich in der Küche ans Werk, Magnus war wie immer für das Schneiden der Zwiebeln verantwortlich, Anna kümmerte sich um den Rest. Nebenbei rollte Magnus die Geschichte der letzten Tage auf, angefangen bei seinem Umzug am Wochenende, der einer Nacht-und-Nebelaktion glich, über die erste Begegnung mit Victoria, ECG, dem Streit mit Tobias, und dem Joggen mit Moritz bis hin zum Abend mit Wilhelm.

»Bruderherz, ich bin erschüttert ...«, lachte Anna. »Da lässt man dich eine Woche aus den Augen und du krempelst dein ganzes Leben um, wirst Teil der High Society und dann stehen wir freitags in deiner Küche und kochen Nudeln?«

»Ja. Warum nicht?«

»Ich gönn’s dir!«

»Was genau?«

»Alles. Außer dem Streit mit Tobias. Mich würde ja mal echt interessieren, welches Motiv er hat.«

»Wenn ich das wüsste ... Aber im Moment will ich darüber gar nicht nachdenken. Auch nicht über Ilona. Ich bin einfach nur heilfroh, dass ich bis zu diesem Punkt meinen Kopf aus der Schlinge gezogen habe.«

»Glaube ich gern. Wann sagst du Victoria das mit Ilona?«

»Gute Frage. Sie kommt wahrscheinlich an dem Wochenende mit nach Bärenthal. Schlimmstenfalls ist Ilona auch da. Also definitiv vorher. Nur wann genau und wie ... Kein Plan.«

»Und du bist sicher, dass ihr das egal ist?«

»Sagen wir so; Wilhelm ist sich sicher. Und ich selbst kann mir nur schwer vorstellen, dass Victoria wegen dieser Sache ihre Meinung über mich ändert. Außerdem haben wir uns darauf geeinigt, dass sie meine Vorgeschichte erst nach Dubai anhört. Von daher ...«

Eine Dreiviertelstunde später standen sie vor Wilhelm Engwalds Villa.

Anna blickte Magnus fragend an.

»Ja, ich sagte ja, ziemlich reich.«

*

»Liebelein ... Alles gut bei dir?«

»Elisabeth, Liebes, ja natürlich ... Und bei dir, euch?«

»Alles prächtig, ich werde dick und rund und verschlinge literweise Ben & Jerry’s ...«

»Fein, fein. Was verschafft mir die Ehre deines so späten Anrufs?«

»Spät? Es ist sieben Uhr. Eigentlich wollte ich nur wissen, ob du mit Magnus spontan morgen rumkommen magst. Moritz hat schon Sehnsucht nach ihm ... Ich glaub, die beiden werden mal ganz dicke ...«

»Bei euch ist es sieben Uhr, ich hab schon neun. Du weißt doch, dass ich in Dubai bin.«

»Moment, wieso bist du noch in Dubai?«

»Halbjahresbilanz bei Hakim. Hab ich dir doch erzählt. Ist das schon Schwangerschaftsdemenz?« Sie stutzte im selben Moment. »Elisabeth, was ist passiert?«

»Hakim ist vor einer Stunde mit kleinem Gefolge im Schlosshotel eingetroffen.«

Victoria verschlug es für einen Augenblick die Sprache. »Was hat ... Was hat das zu bedeuten?«

»Ich fühl ihm gern auf den Zahn, wenn du magst.«

»Lass mal, das kläre ich selbst.«

*

Ehrfürchtig blickte Henry auf die kleine Falkin, die Wilhelm ihm auf die zarte Schulter setzte. »Bleib ganz still stehen, dann erschreckt Shira sich auch nicht.«

Anna war mulmig zumute. »Und die ist wirklich zahm?«

»Keine Sorge. Henry wird nichts passieren.«

»Mama, guck mal.« Der kleine Junge grinste und sah stolz zu ihr auf. Magnus fotografierte ihn eifrig, damit er ein Andenken an diesen Tag hatte. Wilhelm nahm Shira wieder auf seinen Handschuh und klopfte Henry anerkennend auf die Schulter. »Das hast du super gemacht, junger Mann!«

Henry klammerte sich indes wieder an Annas Bein und zeigte auf die Voliere. »Lass uns noch mehr Vögel gucken!«

Die vier standen vor dem Gehege, Anna und Henry etwas näher, um sich die Tiere genauer anzusehen, Wilhelm und Magnus ein paar Schritte dahinter. Shira saß ruhig auf Wilhelms Hand und ließ sich das Gefieder streicheln.

»Danke, noch mal für deine Hilfe.«

»Magnus, es ehrt dich sehr, dass du es zu schätzen weißt, aber du musst dich jetzt nicht jedes Mal bedanken, wenn wir uns sehen. Das wird mir zu anstrengend ...«, lachte Wilhelm. »Gibt es Neuigkeiten von Victoria?«

»Wir haben vorhin nur kurz geschrieben. Der Fall mit dem Kartell ist wohl erledigt, sie arbeitet bereits an der Bilanz. Eventuell telefonieren wir gleich noch, aber sie war schon relativ müde gerade.«

»Kein Wunder, es ist ja auch schon nach neun in Dubai. Lass uns auf die Terrasse setzen. Ich bringe Shira in die Voliere und nehme deine Schwester mit zurück. Henry kann sich gern noch austoben.«

»Gut.«

*

»Herr Dr. Engwald, es gibt unangekündigten Besuch.« Der Hausdiener war auf die Terrasse gekommen und wirkte ein wenig verstört. Wilhelm zuckte mit den Schultern, entschuldigte sich und ging ins Haus. Ein paar Minuten später kehrte er zurück und bat Magnus, mitzukommen. Anna saß mit Henry auf der Wiese und kraulte wechselweise Justus und Jonas.

»Magnus, ich weiß nicht, wie ich es dir jetzt erklären soll ...«

Wilhelm wirkte bedrückt, als er ihn ins Haus führte.

»Ist was mit Victoria?«

»Nicht direkt. Es geht ihr gut.« Seine Unsicherheit steckte Magnus an.

»Was dann?«

»Hakim ist hier. Und er will dich dringend sprechen.«

Magnus war das Herz in die Hose gerutscht. Sein Puls raste und seine Knie schlotterten. Er hatte damit gerechnet, ihn irgendwann kennenzulernen, insbesondere, weil Victoria angedeutet hatte, dass auf der einen Seite Wilhelm und Hakim die Liebe zur Falknerei verband und auf der anderen Seite sie gern einmal zusammen mit ihm nach Dubai reisen würde. Dass er ihm allerdings so schnell begegnen würde, ließ nichts Gutes verheißen. Was war vorgefallen, dass Hakim allein nach Deutschland gekommen war und ihn jetzt dringend sprechen wollte? Hinter der Tür zu Wilhelms Bibliothek wartete die Antwort und Magnus zögerte einen Moment, ob er sie wissen wollte.

»Scheich Hakim?«

»Dr. Magnus Brandt?«

Hakim erhob sich aus dem Sessel und ging auf ihn zu. Seine Miene war unergründlich; abgesehen von der Tatsache, dass er ihn musterte, vermochte Magnus nicht zu erkennen, was in Hakim vorging. Die beiden Leibwächter, vielmehr: Muskelberge in Anzügen, standen in den Ecken des Raumes, verzogen ebenfalls keine Miene und blieben stumm.

Magnus blickte den Scheich an, irritiert. In Jeans, Polo-Shirt und Chucks hatte er ihn nicht erwartet. Und er hatte besonders nicht mit dem gerechnet, was dann passierte.

Hakim grinste und streckte ihm die Hand entgegen und sagte vergnügt: »Schön, dass du Zeit für mich hast, mein Freund.«

Magnus schlug ein und aus dem befürchteten Showdown wurde eine freundschaftliche Umarmung.

»Du hast mich ganz schon aufgeschreckt, wenn ich das so sagen darf.«

»Und wenn ich ehrlich sein darf, war das auch ein bisschen meine Absicht. Nichts für ungut, aber ich musste dringend erfahren, wer mir meine Hobbi genommen hat.«

»Was meinst du mit Hobby? Victoria als Zeitvertreib?« Das Entsetzen stand Magnus ins Gesicht geschrieben.

»Verzeih. Ich nenne Victoria seit Jahr und Tag Hobbi, arabisch für ›meine Liebe‹. Und sofern du es mir nicht übel nimmst, würde ich sie gern weiter so nennen ...«

»Habe ich einen Grund, es dir übel zu nehmen?«

»Nein. Definitiv nicht.« Hakim lächelte besänftigend und sie setzten sich. »Ich will gleich zur Sache kommen. Wir haben nicht viel Zeit.«

»Bitte, tu dir keinen Zwang an.«

»Zunächst: Victoria geht es gut, aber ich spüre, dass du ihr sehr fehlst. Sie hat mir einen großen Dienst erwiesen, den ich ihr zwar teuer bezahlen werde, so wie ich sie kenne, aber ich weiß, dass sie momentan nicht glücklich in Dubai ist. Sie wird noch ein paar Tage bleiben müssen und es zerreißt ihr das Herz. Was zwischen ihr und mir war, ist passé, es wurde Zeit, dass wir beide loslassen. Ihr Herz gehört längst dir, das weiß ich.«

»Und nur um mich kennenzulernen und mir das zu sagen, fliegst du 5.000 Kilometer weit?« Magnus legte die Stirn in Falten. Worauf wollte Hakim hinaus?

»Jein. Ja, ich bin hierhergekommen, um mit dir zu reden, bevor sie wieder zurückkehrt. Ein Männergespräch eben. Wie ich bereits sagte, ich wollte einen Eindruck von dir. Und nein, das ist nicht der einzige Grund. Wenn ich dich nicht leiden könnte, wäre ich stehenden Fußes wieder abgereist. Aber du bist mir sympathisch, ich kann verstehen, was sie an dir mag.«

»Ich habe bisher kaum etwas gesagt ...«

»Ich habe genug gesehen und gehört ... Mein Freund, es wird Zeit zu gehen ...«

*

»Hakim, was machst du in Deutschland?!« Victoria hatte nach dem Gespräch mit Elisabeth kurz überlegt, ob sie ihn anrufen sollte oder nicht. Es hatte ihr aber keine Ruhe gelassen: Sie wollte um alles in der Welt eine weitere Begegnung verhindern, deren Ausgang sie nicht abschätzen oder beeinflussen konnte.

»Hobbi, ich bin geschäftlich hier.«

»Und warum höre ich dann im Hintergrund die Falken?«

»Gut, ich gebe es zu. Ich besuche auch deinen Vater. Mir ist allerdings neu, dass ich dafür deine Zustimmung benötige«, neckte Hakim sie.

»Brauchst du nicht. Alles fein.« In einem wesentlich schärferen, bestimmteren Ton fügte sie hinzu: »Aber lass die Finger von Magnus!«

»Versprochen.«

»Hakim, das kam zu schnell über deine Lippen ... Tu mir bitte ernsthaft den Gefallen und lass ihn in Frieden, er hat momentan genug zu verarbeiten.«

»Ehrenwort, ich lasse ihn in Ruhe. Hobbi, entspann dich. Du wirst sehen, es gibt keinen Grund, sich aufzuregen.«

»Ich hoffe es. Für dich.«

Nachdem sie aufgelegt hatte, seufzte Victoria und ließ sich auf die Sonneninsel fallen, die wie ein Himmelbett am Privatstrand des Palastes stand und fast ins Wasser reichte. Eine leichte Brise kam auf, umschmeichelte ihre Haut, küsste ihr Haar und ließ sie erneut das Salz des Golfs auf ihrer Zunge schmecken. Über das Tablet gebeugt, angelte sie mit der freien Hand nach dem großen Glas Ipanema, um sich eine Abkühlung zu gönnen. Es gibt weitaus unangenehmere Arbeitsplätze, befand sie und beschloss, am Tag darauf in den frühen Morgenstunden hier ihr Werk zu beginnen. Sie kam gut voran, insbesondere dank Hasans Vorarbeit und der Unterstützung durch sein Team. Eigentlich hatte sie sich auf das Essen im At.Mosphere mit ihm gefreut, aber da Hakim so plötzlich abgereist war und Hasan ihn in ein paar Angelegenheiten vertreten musste, hatten sie das Dinner im Burj Khalifa verschieben müssen.

Ihre Gedanken kreisten um Magnus. Wie gern würde sie jetzt mit ihm hier liegen, in seinen Armen den Sonnenuntergang genießen. »Beim nächsten Mal«, tröstete sie sich.

*

»Es hat mich sehr gefreut, dich kennengelernt zu haben, Annabelle.«

Hakim nahm ihre linke Hand in seine und küsste sie darauf. »Pass gut auf dich und Henry auf!«

»Hat mich auch gefreut«, lächelte Anna zurück. »Ich wünsche dir noch einen schönen Abend!« Leicht errötet stieg sie ins Auto. Hakims Leibwächter hatte den schlafenden Henry vorsichtig in den Autositz gesetzt und angeschnallt, während sie und er sich verabschiedeten. Zusammen mit Wilhelm hatten sie noch eine Weile auf der Terrasse gesessen, nett geplaudert und Henry beim Toben mit Justus und Jonas zugesehen. Nach einer riesigen Portion warmen, hausgemachten Schokoladenpuddings war der Knirps mit dem Löffel im Mund eingeschlafen. Sie hatten Henry dann auf eine Sonnenliege und ihm seinen heißgeliebten Stofftiger in die Arme gelegt und ihn zugedeckt. Hakim hatte sich köstlich darüber amüsiert, wurde aber bei Annas Einwand sehr nachdenklich, als sie mit der Gelassenheit einer alleinerziehenden Mutter schilderte, wie sie später das schlafende Kind ins Auto und vom Auto in die Wohnung bringen müsste. Immerhin wog Henry knapp 16 Kilogramm und war schon mehr als einen Meter groß, für die zierliche, kleine Anna ein »Kraftakt«, wie sie es nannte. Zwar war sie als Sportlehrerin durchaus trainiert, aber ihr lagen Laufen und Schwimmen wesentlich mehr als die klassischen Kraftsportarten.

Es klopfte noch einmal an die Scheibe, als sie den Motor angelassen hatte. Anna öffnete sie und Hakim neigte den Kopf zu ihr hinunter, sah sie an, hielt einen Moment inne und lächelte dann schüchtern. »Gehen wir morgen zusammen joggen?«

 

*

Zu ihr. Hakims Worte hallten in Magnus‹ Ohr nach, als er sich in dessen Limousine setzte. Als er in seiner Wohnung seinen Pass holte. Als er die Gulfstream G650 bestieg. Und auch jetzt konnte er an kaum etwas anderes denken, als an die Tatsache, dass er Victoria sehen würde. Gleich.

Vor dem Abflug hatten sie noch kurz telefoniert. Um das Überraschungsmoment auf seiner Seite zu halten, hatte er sich zusammengerissen, ihr eine gute Nacht gewünscht und süße Träume.

Es war alles so schnell gegangen, wie in Trance. Hakim hatte ihm auf dem Weg in den Garten bereits eingebläut, dass er definitiv nur den Pass holen sollte, für Kleidung und alles weitere sei gesorgt, sobald sie sich verabschiedet hätten. Im Eifer des Gefechts hatte er beinahe vergessen, Anna und Wilhelm auf Wiedersehen zu sagen. Die beiden saßen auf der Terrasse und ließen sich staunend von Hakim über sein Vorhaben unterrichten. Heute Nacht sollte Magnus nach Dubai fliegen, hätte den ganzen Samstag mit Victoria, Sonntag am späten Nachmittag ginge es mit derselben Maschine zurück. Montagmorgen würde er wieder in seinem Amtszimmer sitzen.

Samstag, 20.07.

Magnus sah auf die Uhr. Es war kurz vor halb sechs in der Früh, Samstagmorgen. In etwa einer halben Stunde würde er landen. Hakims Assistent hatte ihn in Deutschland noch bis zum Flughafen begleitet, ihm ein paar Tipps zum Verhalten in Dubai gegeben und ihn während der Fahrt über den weiteren Verlauf instruiert. »Sie werden am Privatterminal zwar auch durch die Sicherheitskontrolle und den Zoll müssen, aber das wird nicht länger dauern als zehn Minuten. Hasan, der Bruder von Hakim, wird auf Sie warten. Er wird sich Ihnen zu erkennen geben, zur Sicherheit speichere ich Ihnen aber gleich ein paar wichtige Nummern. Wenn Sie mir bitte Ihr Handy reichen würden?«

Das war vor etwa sieben Stunden gewesen.

Der Flugbegleiter hatte ihn mit allen erdenklichen Annehmlichkeiten versorgt, ihm den Businessjet gezeigt und ihm eine Weile Gesellschaft geleistet. Magnus hatte dann in einem der Betten recht gut in den Schlaf gefunden, sich ein paar Stunden ausgeruht, spürte aber jetzt, wie sich die Aufregung in ihm ausbreitete. Zu ihr. Er würde gleich zu ihr gehen. Und dann?

Die Gulfstream G650 war butterweich gelandet. Magnus bedankte sich noch einmal bei dem Steward und war sofort erschlagen von der trockenen Hitze, die ihn einnahm, als er die Maschine verließ und die wenigen Meter über das Rollfeld in den Privatterminal zurücklegte. Er hatte immer noch dieselben Sachen an, wie am Abend zuvor in Eschberg: dunkelblaue Chinos, Polo-Shirt, Lederschuhe. Und nichts dabei außer seinem Handy, Brieftasche und dem Reisepass.

Hakims Assistent jedoch hatte nicht übertrieben. Als einziger Passagier der Maschine, die eigentlich für zwölf Fluggäste plus Crew ausgelegt war, hatte er bei seiner Ankunft so früh am Tag diesen Teil des Flughafens für sich allein. Er legte seinen Pass bei der Sicherheitskontrolle vor, gab beim Zoll an, nichts Meldepflichtiges bei sich zu führen, womit er die Lacher auf seiner Seite hatte.

Und ehe er sich versah, stand Hasan vor ihm. Die Ähnlichkeit mit Hakim war bereits auf den ersten Blick zu erkennen, dieselbe kräftige, sportliche Statur, das Lächeln und die Augenpartie wie aus einem Holz geschnitzt.

»Hallo Magnus, willkommen in Dubai. Ich bin Hasan.« Er streckte ihm die Hand entgegen und Magnus schlug ein.

»Freut mich, dich kennenzulernen. Und danke, dass du mich abholst.«

»Ist mir ein Vergnügen. Oder vielmehr: Wird dir eins werden. Wie ich sehe, hast du kein Gepäck dabei ...«

Magnus stutzte. »Hakim meinte, ich bräuchte keines.«

»Mach dir keine Sorgen, es liegt alles für dich bereit. Ich hatte schließlich genügend Vorlaufzeit. Hätte ja nur sein können, dass du dir für den Flug Laptop oder Tablet mitgenommen hast oder so.«

»Ach so. Nein. Wirklich nur mein Handy, Geldbörse, den Pass und meinen Haustürschlüssel. Ich bin quasi nackt.« Er rollte seufzend mit den Augen.

»Das wird Victoria freuen ...« Hasan lachte laut. »Spaß beiseite. Bevor wir hier Wurzeln schlagen, lass uns los. Im Palast ist alles vorbereitet.« Er wies Magnus den Weg aus dem Terminal. Vor der Tür stand ein Mercedes S65 AMG, so wie der von Wilhelm, mit dem Magnus abgeholt worden war. Dieser hier allerdings war weiß und hatte eine schwarze Innenausstattung. Magnus schmunzelte. »Ich sehe schon, Hakim und Wilhelm teilen nicht nur die Liebe zu den Falken.«

»Das ist wohl wahr ... Da wären noch Currywurst und anderes gutes Essen, schnelle, schöne Autos und Vic–«

»Victoria?«

»Na ja, in gewisser Hinsicht ist es eine Liebe, die Hakim für sie empfindet. Aber es ist mittlerweile mehr wie für eine Schwester, wenn du verstehst, was ich meine.«

»Ja, verstehe.« Magnus dachte an Anna, die er am Abend so mir nichts, dir nichts hatte stehen lassen. Sie hatte ihm geschrieben, dass sie und Henry gut heimgekommen wären und ihm viel Spaß gewünscht. »Ich habe meine Schwester gestern Abend bei Wilhelm und Hakim zurückgelassen ...« Er klang ein wenig besorgt.

»Ich weiß!«, zwinkerte Hasan ihm zu, klopfte dem Wagen auf das Heck und die beiden Leibwächter fuhren ab. »Aber mach dir keine Sorgen, Annabelle ist in guten Händen!«

»Moment, erstens: Woher weißt du? Zweitens: War das unser Auto? Und drittens: Was meinst du mit ›in guten Händen‹?« Die Panik stand ihm ins Gesicht geschrieben. Hasan legte ihm beschwichtigend die Hand auf die Schulter. »Entspann dich endlich. Hier will dir keiner was Böses. Und Victoria erst recht nicht. Also, ich habe natürlich mit Hakim telefoniert, der wiederum deine Schwester ausgequetscht hat. Was meinst du denn, woher ich deine Kleidergröße kenne und weiß, dass du Terre d´Hermès benutzt? Hakim hat Anna gestern noch zum Auto gebracht und einen seiner Leibwächter abkommandiert, deinen schlafenden Neffen bei ihr zu Hause vom Auto nach oben zu tragen. Erst, als beide sicher in der Wohnung angekommen waren und Henry friedlich in seinem Bett lag, ist er gegangen. Du musst dir keine Sorgen machen.«

»Ich bin beeindruckt.« Magnus zögerte. »Sorry, ich bin das alles nicht gewöhnt und weiß das noch nicht einzuordnen. Ich will nicht, dass meine Unentspanntheit unhöflich wirkt.«

»Schon gut. Ich hab hier was, das dich entspannen wird.«

Hasan tippte Magnus an die Schulter, zeigte mit dem Finger nach rechts und ging los. Kaum um die Ecke gebogen, wurde Magnus schlagartig klar, was Hasan gemeint hatte. Dort stand der McLaren P1 GTR, von dem Victoria ihm erzählt hatte. In der Morgensonne glänzte der weiße Lack wie frisch gefallener Schnee, die blitzblanken Felgen funkelten so sehr, dass er sich darin spiegeln konnte.

»Okay, ich bin nicht mehr beeindruckt, ich bin offiziell dabei, den Verstand zu verlieren.«

»Du bist doch noch keinen Meter gefahren!«, konstatierte Hasan und drückte ihm den Schlüssel in die Hand. »Und diesmal keine Ausreden – du fährst.«

»Woher ...?!«

»Victoria vermisst dich sehr und redet in ihrer freien Zeit über nichts anderes als dich. Was meinst du, warum ich so daran interessiert bin, dich jetzt endlich, schnellstmöglich in den Palast zu bringen ... Mir bluten nämlich langsam die Ohren ...« Es klang herzlicher, als es die Worte vermuten ließen.

»Ich hab immer noch Herzrasen ...«, bekundete Magnus, als sie vor dem Palast hielten und aus dem Wagen stiegen.

»Immer noch oder schon wieder, weil du gleich Victoria triffst!?«

»Beides, schätze ich.«

Hasan lachte. »Aber erst mal gehst du schön duschen und ziehst dich um. Du siehst ja aus, als wärst du hierher gelaufen ...« Augenzwinkernd wies er ihm den Weg durch den Palast in den Westflügel und ließ ihn in die Räumlichkeiten, die Victoria bewohnte. »Ich gehe davon aus, dass sie nichts dagegen hat. Sollte es aber einem von euch beiden nicht recht sein, dass du hier übernachtest, steht dir im Palast noch ein anderes Zimmer zur Verfügung. Und falls du gänzlich auf diese Umgebung verzichten möchtest, lass es mich wissen, ich quartiere dich dann umgehend im Burj al Arab ein.«

»Danke ... Das ist sehr nett ... Aber aus jedem erdenklichen Grund hoffe ich, dass das nicht nötig sein wird.«

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