Traum aus Eis - Der Kalte Krieg 3

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7

Simm, die Heimatwelt der Simmi, war zweimal so groß wie die Erde, dreimal so schön und unendlich gefährlicher. Ein Planet mit einer tropischen Temperatur aufgrund der Nähe zum Gestirn; herumgewirbelt und geknetet durch die Schwerkraft eines Doppelsterns sowie dreier weiterer Gasgiganten des ansonsten wie leer gefegten Sonnensystems, hatte sich darauf eine Zivilisation entwickelt, deren Existenz eine beständige Herausforderung war. Der evolutionäre Druck war erheblich, genauso erheblich wie die damit verbundenen Gefahren, und beides hatte dazu geführt, dass die Simmi sehr früh auf die Idee gekommen waren, diese geliebte und gefürchtete Heimat zu verlassen. Die Suche nach einem Ort, in dem keine beständigen Stürme tobten und Fauna und Flora nicht durchgehend damit befasst waren, neue Wege zu ersinnen, ihre intelligenten Mitbewohner umzubringen, hatte sie ins Weltall und am Ende in Kontakt mit den Menschen geführt. Als sich herausgestellt hatte, dass die Terraner nicht viel freundlicher als der räuberische Gierstiger oder die hinterhältige, handtellergroße Rohdmücke waren, hatten sich die Simmi mit der Erkenntnis arrangieren müssen, dass es keinen Ort der Ruhe für sie gab, wenn sie ihn sich nicht selbst schufen.

Das war der Moment, in dem sie mit Ilimm das große, beeindruckende, ja einschüchternde Habitat um den Orbit Simms errichteten, eine Welt, die ihre Welt umkreiste, ein metallenes Konstrukt mit einem Durchmesser von gut fünfzehn Kilometern, eines der größten artifiziellen Bauwerke der Gegenwart und der Gipfel der Ingenieurskunst dieses einfallsreichen Volkes. 36 Erdenjahre dauerte die Konstruktion und sie war im Grunde nie beendet, ein Projekt für Generationen. Ilimm war nicht nur der Ort, an dem gut die Hälfte der im System lebenden Simmi ihr Leben verbrachte, sondern auch der inoffizielle Regierungssitz. Offiziell gab es noch einige große Städte unten auf der Planetenoberfläche, eine davon die Hauptstadt, doch die allermeisten Simmi hatten diese längst verlassen, der beständigen Unwägbarkeiten müde. Sie waren nun ein Volk der Raumfahrer, die die ruhige, beharrliche und ewig lauernde, aber im Regelfall berechenbare Bedrohung des Vakuums der chaotischen und stetem Wandel unterworfenen Lebensumgebung ihrer alten Heimat vorzogen.

Die Simmi, so sagte man in der Galaxis, wollten eigentlich nur ihre Ruhe haben. Doch die Galaxis war gegen sie, schon immer.

Heinrichs hatte für diese Lebenseinstellung ein großes Verständnis. Vielleicht war er tief in seinem Herzen auch ein Simmi, allen äußerlichen Unterschieden zum Trotz. Ihr ästhetisches Empfinden jedenfalls sprach ihn an: Ilimm, beleuchtet von der aktuell gut stehenden kleineren der beiden Sonnen, begleitet durch die weite grünblaue und intensiv wirbelnde Scheibe der Welt unter ihr, war dem Auge wohlgefällig. Auch dem der Menschen. Heinrichs glaubte, dass nach dem Erstkontakt es vor allem der Neid der imperialen Beobachter war, der zum ersten Krieg gegen diese Zivilisation geführt hatte. So etwas wie Ilimm war ein Schmuckstück. Es zu klauen oder in Besitz zu nehmen, erforderte einen großen Ressourcenaufwand und viele Opfer, aber Rationalität war selten die Grundlage der Entscheidungen des Imperiums, wenn es um das Anzetteln eines bewaffneten Konflikts ging.

Nun, die Simmi hatten sich erfolgreich gewehrt. Mehr als einmal. Irgendwann hatten die Menschen es dann aufgegeben und die Kalten hatten dafür gesorgt, dass ihre Aufmerksamkeit in andere Richtungen ging. Es herrschte Frieden, soweit man die Abwesenheit von Krieg als solchen bezeichnen wollte. Es gab diplomatische Beziehungen, etwas Handel. Man hatte sich aneinander gewöhnt, ohne große Begeisterung für die jeweils andere Seite zu entwickeln. Terranische Kriegsschiffe tauchten hier nur auf, wenn es zu offiziellen Flottenbesuchen kam, die man als Quelle möglicher Missverständnisse eher vermied.

Die Ankunft der Santiago im Raum um Ilimm sorgte daher für … Interesse.

»Sie melden sich«, sagte Shibutani, der selbst an der Komstation saß, weil er nicht wollte, dass jemand die falschen Worte zum falschen Gelee sagte. Simmi auseinanderzuhalten, das war für einen Menschen völlig unmöglich, und selbst wenn die Exoskelette individuelle Markierungen aufwiesen, bedeutete das noch lange nicht, dass das gleiche Gallert in dem Ding steckte wie das, das letzte Woche darin saß. Auf Ilimm wie auf ihrer Heimatwelt benutzten Simmi die Außenverstärkungen nur, wenn sie sich in Gefahr begaben oder mit Aliens kommunizierten, in letzterem Fall nicht einmal das durchgängig. Manche zogen es auch vor, sich darin fortzubewegen, da es oft schneller ging und man das Gefühl von Sicherheit hatte. Die Geleeform eines Simmi war sehr verletzlich und die Exoskelette erfüllten auch eine wichtige psychologische Funktion.

Und so war es auch nicht verwunderlich, dass der Simmi in der Leitstelle, der sie nun kontaktierte, eines trug, und es war auf dem Bildausschnitt gut zu erkennen.

»Ich identifiziere das imperiale Kriegsschiff Santiago«, sagte er anstelle einer formalen Begrüßung. Die Betonung lag auf »Kriegsschiff«, und das kam ja auch nicht von ungefähr. Die normalerweise durchaus zurückhaltenden und höflichen Aliens waren hier zu Hause, dies war ihre bisher unbesiegte und extrem beeindruckende Heimat. Sie neigten hier nicht zu übertriebener Rücksicht, vor allem nicht bei unangemeldeten Besuchen. »Ist dies ein Notfall? Benötigen Sie Hilfe?«

Heinrichs selbst übernahm die Kommunikation. Der Erste Offizier akzeptierte dies klaglos.

»Dies ist ein Notfall und wir benötigen Hilfe. Der Notfall betrifft aber nicht dieses Schiff. Ich wünsche einen Kontakt mit dem Exopolitischen Konzil, vorzugsweise dem Vorsitzenden Ulgan.«

Der Simmi zögerte unmerklich, wahrscheinlich, weil er etwas überprüfte. Simmi waren sehr reaktionsschnelle Lebewesen und, was die Aufnahme von Informationen anging, von roboterhafter Effizienz. Daher war die Verzögerung extrem kurz.

»Ich habe Sie identifiziert, Menschling. Valentijn Heinrichs. Sie haben als Attaché für die imperiale Botschaft gedient. Das ist einige Jahre her.«

»Ich bin jetzt Kommandant der Santiago.«

»Bitte übermitteln Sie Ihre diplomatischen Legitimationen, Captain Heinrichs.«

Eine Spur mehr Höflichkeit, wie es einem offiziellen Gesandten des großen Nachbarn zustand. Wie schade nur, dass dieser gar nicht so offiziell war. Heinrichs wusste, dass er keine Scharade spielen konnte. Simmi waren gut darin, Lügen zu entdecken, und sie konfrontierten einen Schwindler mit seinen Verfehlungen sofort und unmittelbar. Eine Zivilisation, deren Individuen als Teil einer Art Suppe mit intelligenten Bröckchen aufwuchsen, in der niemand niemandem etwas verbergen konnte, schätzte Ehrlichkeit nicht nur sehr, sie legte auch allergrößten Wert darauf. Deswegen, so war Heinrichs schon lange zu dem Schluss gekommen, waren Simmi auch so schreckliche Politiker. Bis auf ein paar, die die Tricks der Menschen gelernt und, so sagte man, sogar an ihnen Gefallen gefunden hatten. Ulgan gehörte zu dieser Sorte.

»Ich besitze keine solche Legitimation.«

Wieder das kurze Zögern.

»Das ist ungewöhnlich. Es entspricht nicht den Vereinbarungen.«

»Wir leben in einer Zeit, die ebenfalls nicht den Vereinbarungen entspricht.«

Der Simmi stieß ein Glucksen aus. Entweder war er in seinem Exoskelett irgendwo gegengestoßen oder er hatte Amüsement ausgedrückt. Es verging wieder etwas Zeit, in der er sich vergewisserte oder eine Erlaubnis holte, doch auch das dauerte nicht allzu lange.

»Ich sende Ihnen ein Peilsignal und einen Kursvektor. Sollte Ihr Schiff davon abweichen, wird es zerstört. Ist diese Aussage nachvollziehbar und verständlich?«

»Absolut. Werden Sie …«

»Das Exokonzil wird benachrichtigt. Es kann sein, dass das Konzil auch gleich Ihre Botschaft informiert.«

Selbstverständlich war damit zu rechnen. Es war also nur eine Frage der Zeit, welche Art von Katastrophe als erste über sie hereinbrechen würde – falls Ulgan sich nicht bereit erklärte, seinen schützenden Schleim über seinen alten Freund Heinrichs auszubreiten. Das größte Problem dabei war, dass Heinrichs kein alter Freund war. Ulgan und er hatten einige unangenehme Begegnungen gehabt, denn wenn es einen schlecht gelaunten und misstrauischen Simmi gab, dann war er einer. Aber das war geraume Zeit her und die Dinge hatten sich verändert.

Zumindest hoffte Heinrichs das ein wenig. Sonst würde sein Aufenthalt hier kurz, frustrierend und sinnlos werden.

Die Santiago bekam eine Parkposition zugewiesen, in einem weiten Orbit und etwas einsam. Wahrscheinlich auch vorsorglich im Fadenkreuz mehrerer Zielerfassungen, so genau wollte Heinrichs das gar nicht wissen. Aber abgelegen. Die Simmi hatten kein Interesse, die Anwesenheit des Monitors allzu sehr zu betonen.

»Wir bekommen Begleitung«, sagte Shibutani schließlich, der auf die Ortungsanzeige wies. »Drei Korvetten der Simmi, das Neuste, was sie so in Dienst stellen. Man will wohl auf Nummer sicher gehen.«

»Dass wir keine Invasion starten? Wer würde auf so eine Idee kommen?«

Sein Erster Offizier lächelte freudlos. »Wir haben unseren Ruf weg, Valentijn.«

Sie wurden in ihrem Geplänkel unterbrochen, als Pia Trowski die Brücke betrat. Sie hatte eine Art, das Betreten des Allerheiligsten zu einem völlig selbstverständlichen Vorgang zu machen, obgleich sie eigentlich um Erlaubnis hätte bitten müssen. Doch die Agentin, die sich bereit erklärt hatte, letztlich illegale und potenziell hochverräterische Dinge zu tun, verlangte für dieses Einverständnis, dass man sie an Bord nicht unter Aufsicht stellte. Natürlich stand sie unter Aufsicht. Es waren aber nur die unsichtbaren Sensoren der internen Überwachung, die ihre Bewegungen kontrollierten. Die Mannschaft machte, aus ganz unterschiedlichen Beweggründen heraus, einen großen Bogen um sie.

 

»Meine Herren!«, rief Trowski.

Emily Korff, die Ortungsspezialistin und Mitverschwörerin der ersten Stunde, räusperte sich.

Trowski grinste sie an. »Sie tragen Uniform und reden wie ein Mann, Spezialistin«, sagte sie leichthin. »Titten machen da keinen Unterschied.«

»Genderspezifische Zuschreibungen basierend auf stereotypen Bewertungen«, stellte Korff fest. »Kein Wunder, dass jeder Sie für unerträglich hält, Agentin.«

»Ich habe einen Ruf zu bewahren. Sonst habe ich nicht mehr viel.«

»Mein Beileid!«

»Ich kann Sie auch nicht leiden.«

Heinrichs sah von einer zur anderen. Entweder war irgendwas vorgefallen, was er nicht mitbekommen hatte, oder die beiden Frauen präsentierten ein kleines Schauspiel, dessen Publikum sich jetzt überlegen konnte, was der tiefere Sinn dieses Austausches sein mochte.

»Agentin Trowski, wir sind angekommen und ich warte jetzt auf den Kontakt mit jemandem vom Exokonzil. Haben Sie Vorschläge?«, fragte er. Förmlichkeit zwang sie, förmlich zu reagieren, wenn sie wollte, dass man ihre Worte ernst nahm. Sie runzelte die Stirn.

»Ich habe Kontakte auf der Simmi-Hauptwelt, im Fremdenviertel. Kann ich eine abgeschirmte Verbindung bekommen?«

»Nein.«

Etwas abgeschreckt durch die harte und unmissverständliche Antwort, verdüsterte sich ihr Gesichtsausdruck. »Warum nicht?«

»Weil es im Heimatsystem der Simmi, in unmittelbarer Nähe von Ilimm, so etwas wie eine abgeschirmte Verbindung nicht gibt. Das ist ein Mythos. Wir haben in der Botschaft damals diese Scharade aufrechterhalten, um den Simmi etwas mitzuteilen, was wir ihnen offiziell nicht sagen konnten – nicht, um etwas vor ihnen zu verbergen.«

»Wie haben Sie Nachrichten kommuniziert, die wirklich geheim bleiben sollten?«

»Durch An- und Abreise von Botschaftspersonal. Die Botschaft ist groß. Das Klima ist harsch. Leute fühlen sich einsam. Da muss man oft rotieren oder Urlaub machen.«

Trowski nickte. »Ich beantrage Urlaub.«

»Ich habe da nichts zu genehmigen. Aber ich bezweifle, dass wir – oder auch nur eines unserer Beiboote – eine Landeerlaubnis bekommen. Sie werden sich gedulden müssen, Agentin.«

Trowski machte keinen Aufstand, sie hatte ihr Pulver verschossen. Sie nickte.

»Dann gehe ich einen saufen«, erklärte sie. »Melden Sie sich, wenn sich was ändert.«

Sprach’s und wandte sich wieder ab.

Sie würde wenig Zeit haben, sich richtig zu betrinken. Es dauerte keine zwanzig Minuten, nachdem die Santiago ihre zugewiesene Parkposition erhalten hatte, als sich ein Exoskelett auf dem Hauptschirm abzeichnete, dessen Markierungen Heinrichs gut in Erinnerung geblieben waren. Es musste sich um Ulgan handeln. Als führendes Mitglied des Exokonzils war er so etwas Ähnliches wie ein Außenminister, obgleich die Zuständigkeiten bei den Simmi, genauso wie ihre Körperstruktur, fließend waren. Da sie außerdem vorzugsweise kollektiv handelten, ebenfalls ein Produkt ihrer Evolution und Biologie, gab es zwar Individuen mit mehr Einfluss, aber keines mit einer Machtfülle, wie sie etwa mit der des terranischen Imperators vergleichbar war. Ulgan verhielt sich trotzdem oft so, als habe er allein das Sagen. Ein Grund, warum er als unangenehmer Zeitgenosse in einer durchweg eher höflichen Gesellschaft galt.

»Captain Heinrichs, wir haben uns lange nicht gesehen.«

»Das stimmt, Vorsitzender. Einige Jahre ist es her.«

»Ich hatte die Hoffnung, es würde auch noch einige Jahre länger dauern. Ich entsinne mich Ihrer nur, weil es schlechte Erinnerungen sind, die uns verbinden.«

Ulgan war dafür bekannt, immer klar und deutlich zu sprechen, zumindest zu denen, die er nicht für gleichwertig hielt. Das war in dieser Galaxis die Mehrheit aller intelligenten Bewohner. Heinrichs ließ sich nicht beirren, er hatte nichts anderes erwartet.

»Und dennoch möchte ich Sie sprechen. Das sollte bereits ein Hinweis auf die Dringlichkeit meines Anliegens sein. Ich weiß ja, wie Sie über mich denken.«

»Dringlichkeit? Nun gut. Ich nehme Ihnen das ab, weil ich Sie zwar als nervtötend, aber nicht als Spaßmacher in Erinnerung habe. Was wollen Sie von mir? Sie sind hier ohne Legitimation. Heißt das, Sie gehen Ihrem Kaiser mittlerweile genauso auf die Nerven wie mir damals?«

»Ich kann mit Sicherheit sagen, dass der Kaiser über meine Anwesenheit hier noch nicht informiert ist.«

Wie schade, dass Simmi in Ermangelung eines Gesichts auch keine Mimik hatten.

»Ah. Dann beruhige ich Sie: Ich habe die Anordnung gegeben, die Botschaft vorerst über Ihre Anwesenheit im Dunkeln zu lassen.«

»Das war sehr weitsichtig.«

»Kennen Sie Wasdan Klondak?«

Wo kam das jetzt her? Heinrichs überlegte kurz, um ganz sicherzugehen.

»Der Name sagt mir nichts.«

»Hm, hm. Wir sollten dieses Gespräch persönlich fortsetzen. Sie dürfen auf Ilimm landen, mit einem kleinen Boot. Sie und eine Begleitung aus zwei Personen, höchstens. Am besten jemand mit Intelligenz und Taktgefühl, jemand, der Sie unter Kontrolle hält. Ich sorge für die Landeerlaubnis.«

»Ich bin überrascht und erfreut über Ihr Entgegenkommen, Vorsitzender«, sprach Heinrichs die reine Wahrheit aus.

»Sind Sie das? Die Kalten haben Sie und Ihren durchgeknallten Imperator an den Eiern, Captain. Ihr Botschafter streitet ab, dass es irgendwelche Probleme gäbe, während im Hyperfunk die blanke Panik regiert. Unser Sondergesandter im Imperium meldet sich seltsamerweise nicht mehr. Sie sind meine größte Hoffnung, etwas Sinnvolles zu erfahren und zu einem Austausch zu kommen. Die Tatsache allein, dass ich das über jemanden wie Sie sage, ist ein guter Hinweis darauf, wie verzweifelt unsere Lage ist.«

Ulgan brach die Verbindung unvermittelt ab. Heinrichs stieß Luft aus, weniger ein Seufzen, eher ein Zeichen akkumulierter Anspannung.

»Er hat ›unsere‹ gesagt«, murmelte Korff und sah Heinrichs betont an.

»Ich habe es mitbekommen«, bestätigte er. Er erwiderte ihren Blick. »Spezialistin Korff, halten Sie sich für einen Menschen mit Intelligenz und Taktgefühl?«

Shibutani lachte. Korff auch.

Das half ihm jetzt auch nicht weiter.

8

»Ich … muss das nachprüfen!«

Die Frau wirkte eingeschüchtert und Darius hasste das auf so vielen Ebenen, er vermochte es gar nicht aufzuzählen. Ein Prinz, das war einschüchternd. Er verstand das, rational, weil Macht immer Angst auslöste bei jenen, die an diese gebunden waren, durch Eid, Gewohnheit oder die normative Kraft des Faktischen. Die Macht der imperialen Familie war von einer Art, die darüber hinausging, sie verbot den Gedanken, dass es etwas geben könnte, das ebenbürtig war. Wenn es aber nichts gab, was dem gleichgestellt war, was Darius repräsentierte, dann war es ihm auch nicht möglich, menschliche Beziehungen zu haben, die nicht auf der einer Seite mit Angst zu tun hatten. Auch und gerade nicht mit Frauen.

Irgendwann hätte sein Vater ihm eine passende Adlige ausgesucht, eine treue Dienerin, Mutter seiner Kinder, Repräsentantin von Status und Ausdruck seines Prestiges. Wahrscheinlich auch einer der Gründe, warum er davongelaufen war, und nicht einmal der geringste.

Das wurde ihm besonders in der Gegenwart hübscher Frauen bewusst, jenen, die er attraktiv fand. Wie dieser hier, die seinen direkten Funkruf entgegengenommen hatte, als Spezialistin in der Systemleitstelle von Terra, seiner Heimat. Egal was in seinem Leben geschehen würde, er konnte sie niemals auf völlig harmlose Weise zu einem Drink einladen. Sie würde zusagen, selbstverständlich. Aber eben nur aus Angst oder, im schlechtesten aller Fälle, aus Gier.

Auf der Canopus Traveller hatte er diese Probleme nicht gehabt. Und deswegen war er froh, dass Sol ihn begleitete. Er erinnerte ihn daran, was es bedeutete, normale menschliche Beziehungen zu haben. Oder an die Reste davon, was er noch so zusammenraffen und festhalten konnte.

Er lächelte sie an.

»Tun Sie das. Ich warte.«

Das kleine Raumboot war keine großartige physische Präsenz in einem System, in dem es vor großen und mächtigen Raumschiffen wimmelte. Darius betrachtete den Ortungsschirm, übersät von blauen Blips, die die Transpondersignale wiedergaben. Die Flotte war aktiv, zumindest insofern, als ihre Schiffe wie aufgeschreckte Hühner durch das System eilten und damit Sicherheit simulierten. Darius wusste, welch Illusion das war, verstand aber auch den Sinn darin, sie aufrechtzuerhalten. Es war besser, sinnlos etwas zu tun, als sich den Vorwurf gefallen lassen zu müssen, untätig zu bleiben.

Dann beugte er sich nach vorne.

»Sieh an«, murmelte er.

»Was ist?«, fragte Sol, für den das meiste hier nur ein Buch mit sieben Siegeln darstellte. Er tat sich an der Bordbar gütlich, die Aume in dieses Raumboot gequetscht hatte, »weil es so in den Spezifikationen steht«, wie sie sagte. Darius hatte dem nicht widersprochen. Irgendwo in der Galaxis gab es gewiss so ein Raumboot mit einer Bar, wenn man lange genug danach suchte. Und Sol war sehr zufrieden mit diesem aufmerksamen Detail gewesen.

»Ich habe noch sekundären Zugang zum Flottennetz, wenn der Computer mir hilft. Etwas von Aumes Genie muss sich auf ihn übertragen haben. Wie es aussieht, ist man überall sehr aufgeregt. Oh.«

»Was?«

»Mattilaa ist tot.«

»Wer ist das?«

Wie erklärte man einen Juveniten, wie erklärte man darüber hinaus diesen speziellen?

»Jemand, der mich nicht sehr geschätzt hat, der aber auf seine Art sehr berechenbar war. Ein Juvenit, extrem langlebig und eine wichtige Person bei Hof. Er war trotz der Behandlung am Ende seiner Tage angekommen und ist nun den Weg alles Irdischen gegangen. Schade!«

Sol nahm einen Schluck aus einem Glas, eine bernsteinfarbene Flüssigkeit, die im Licht der Schiffskontrollen schimmerte.

»Warum? Er mochte dich nicht, hast du gesagt.«

»Er wäre aber ehrlich mit mir gewesen. Das war er immer. Ich hätte mich gerne mit ihm unterhalten, bevor ich meinen Vater treffe.«

»Wozu?«

»Damit ich erfahre, was hier passiert, ehe ich bei Hofe ankomme und in das Wespennest trete.«

»Du hast Angst, dass sie dich gleich festnehmen?«

»Nein«, erwiderte Darius nach kurzem Nachdenken. »Das werden sie nicht tun. Dafür hätte ich schon die Hand gegen meinen Vater erheben müssen, was ich niemals getan habe. Nein. Aber der imperiale Hof ist ein eigener Mikrokosmos, der Realität und Wahrheit anders interpretiert, als normale Menschen das tun. Dort werden Dinge entweder gar nicht oder verzerrt wahrgenommen, je nachdem, wie der Kaiser es gerne hätte. Es fällt einem schwer, sich diesem Mikrokosmos zu entziehen. Es ist ein wenig wie im Taschenuniversum der Kath, in dem diese sich eigene Gesetze gegeben haben. Der Unterschied ist, dass der imperiale Hof von sich behauptet, mit der Realität zu interagieren – und sie sogar zu bestimmen. Ich würde gerne vorher erfahren, was die Leute denken, die sich in keiner so exaltierten, aber nichtsdestotrotz kompetent informierten Position befinden. Der Hofzeremonienmeister wäre jemand gewesen, der sich in beiden Welten auskennt. Du entsinnst dich unseres Freundes Horton Vigil? Er dürfte jetzt auch schon hier im System angekommen sein und seine eigenen Pläne verfolgen.«

»Was ist mit ihm?«

»Mattilaa war sein Chef. Das erschwert die ganze Sache ein wenig. Ich hoffe, Vigil kann trotzdem problemlos operieren.«

»Du machst dir Sorgen?«

»Er ist auf unserer Seite, irgendwie. Und wenn er herausfindet, wer für das Signal verantwortlich war, woher es kam, dann haben wir eine Idee davon, wer hier für Dendh arbeitet.«

Sol nickte und trank.

Es verging eine gute Stunde, ehe sich die Leitstelle wieder meldete, diesmal nicht in Gestalt der gut aussehenden Frau, sondern in der eines livrierten Beamten, männlich, alt, streng, die Personifizierung des Hofes, und ein Gesicht, auswechselbar mit allen anderen, eines, das Darius kannte, obgleich er es nie zuvor erblickt hatte. Eine Hofschranze, vorgeschickt und vorgeschoben, damit klar war, dass Darius zwar ein Recht auf Zugang zu seiner Familie hatte, er aber andererseits kein allzu herzliches Willkommen zu erwarten habe.

»Mein Prinz«, sagte der Beamte förmlich und ohne Herzlichkeit, »willkommen zurück! Ich bin Edmund, Gehilfe des Zeremonienmeisters und angewiesen, Ihre Rückkehr zu … begleiten.«

 

»Edmund«, grüßte Darius den Mann mit einem Kopfnicken. Er hatte nicht die Absicht, ihn zu beleidigen oder anderweitig in Verlegenheit zu bringen, das wäre kleinlich und kindisch gewesen. »Ich bedanke mich für den Gruß. Wann darf ich meinen Vater treffen?«

»Ihre Majestät ist sehr beschäftigt. Die Situation ist ernst.«

»Deswegen möchte ich ja mit ihm reden. Ich verfüge über wichtige Informationen.«

»Ah ja.« Edmund ließ Darius durch diese beiden Laute wissen, dass er die Dringlichkeit dieser Erkenntnisse nicht für gegeben hielt. »Mein Prinz, Ihr wart lange fort und es herrschte große Ungewissheit über Euren Verbleib. Die Art Eurer Rückkehr, Eure Verwicklung in gewisse Vorkommnisse im Canopus-System … all dies hat Fragen aufgeworfen. Ich wurde gebeten, Euch vor einer Audienz dem Chef des Militärgeheimdienstes vorzustellen. Direktor Kalebonian freut sich bereits darauf, Sie näher kennenzulernen.«

Kalebonian. Der Name tauchte immer wieder auf, und meist in keinem guten Licht. Darius wollte keine Konfrontation, er wollte ihn gar nicht treffen, er hielt ihn für eine Gefahr, möglicherweise für einen Verräter. Horton Vigil würde derzeit damit befasst sein, sich der Dinge zu vergewissern. Kalebonian war jemand, der über große Macht verfügte. Er würde Darius nicht mit Samthandschuhen anfassen, und dies mit voller Billigung seines Vaters.

»Ich verstehe«, brachte Darius hervor, wollte Edmund nicht die Genugtuung geben, einen kaiserlichen Prinzen eingeschüchtert zu haben, obgleich exakt das gerade passiert war. Darius verfluchte seine Angst und seine Schwäche. Aber es war ja nun nicht so, als käme das völlig unerwartet. »Ich verstehe und akzeptiere das natürlich«, sagte er dann, neigte den Kopf. »Wohin soll ich mich begeben? Zum Palast, nehme ich an.«

»Nein, der Direktor wünscht Euch im Hauptquartier des Militärgeheimdienstes zu treffen.«

»Eine Anordnung meines Vaters?«

»Nein, ein Wunsch des Direktors.«

Darius zögerte unmerklich. Wusste sein Vater überhaupt, dass er hier war? Oder hatte Kalebonian eingegriffen und gleich den Kontakt an sich gerissen? Darius kam zu einem schnellen Entschluss.

»Dann lehne ich ab. Ich bin ein Prinz des Imperiums. Der Palast ist auch mein Stammsitz. Ich kehre nach einer langen und anstrengenden Zeit in die Heimat zurück. Ich werde meine Gemächer aufsuchen und dort dem Direktor gerne eine Audienz gewähren. Aber wir sollten bei all den Fragen, die meine Abwesenheit aufgeworfen hat, doch nicht vergessen, wer hier zu den Herren gehört und wer zu denen, die dienen. Oder, Edmund, wollen wir das?«

Oh ja. Darius erschauerte förmlich vor sich selbst. So zu reden, das lernte man von Kindesbeinen an, und obgleich er es selten tat, kam es ihm leicht und selbstverständlich von den Lippen, ein Hinweis darauf, dass auch in ihm, dem Renegaten, ganz tief drin ein kleines Arschloch steckte.

Edmund rang mit sich. Seine Konditionierung, sein Auftrag, seine Indignation, sein Respekt, sein Gehorsam, alles widerstreitende Emotionen, die er nicht einmal richtig zeigen konnte, wollte er nicht sein Gesicht verlieren.

»Bitte wartet auf der aktuellen Position und beendet Euren Anflug, Hoheit. Es ist … eine schwierige Situation. Ich muss Rücksprache halten.«

»Mit wem genau? Meinem Vater? Dem Nachfolger Mattilaas? Wer ist das überhaupt?«

»Ich melde mich bald wieder. Bitte behaltet die Position bei. Alle sind sehr nervös, mein Prinz. Wir wollen nicht … wir müssen vorsichtig sein. Bitte habt Verständnis.«

Edmunds Gesicht verschwand vom Schirm. Darius drehte den Kopf langsam zu Sol, der ihn fragend ansah und sich dann vorsichtig äußerte: »Das ist nicht so gelaufen wie erwartet, oder?«

Er hatte sein Glas geleert und die Flasche schon wieder in der Hand.

»Im Grunde schon«, antwortete Darius gedehnt. »Dass mich mein Vater nicht mit offenen Armen empfangen würde, habe ich erwartet. Dass jemand wie der gute Edmund nervös sein würde, weil er nur der Überbringer schlechter Nachrichten ist, von denen er selbst nicht notwendigerweise viel hält – geschenkt. Aber er war am Ende zu unsicher. Das verursacht ein gewisses Unwohlsein bei mir. Ein starkes Unwohlsein.« Er wandte sich dem einfach gehaltenen Kontrollpult zu, über das er das Boot steuerte. Im Grunde konnte er dort nicht mehr tun, als dem Autopiloten Befehle erteilen. Das Schiff flog sich teilautonom und einen echten Piloten benötigte es nicht. Es war so, wie Aume nun einmal Raumfahrzeuge konstruierte: die Besatzung als Passagiere, aber nicht als Akteure. Es sagte einiges darüber aus, wie die Schiffsintelligenz ihre neuen Freunde betrachtete. Darius war froh, die Entscheidung getroffen zu haben …

»Kip!«

Sol nannte ihn manchmal noch so. Im Überschwang der Gefühle.

Moment!

Welcher Gefühle?

Darius schaute auf die Kartenprojektion, die den Verkehr im System in Echtzeit abbildete, ein buntes Gewimmel sich bewegender Punkte, einer davon sie selbst. Er wusste erst nicht, was Sol beobachtet hatte, doch dann sah er es auch.

Er pfiff. »Na so was!«

»Was bedeutet das?«

Darius berührte einige der sich langsam bewegenden Punkte. »Das hier. Das hier. Das hier. Leichte Kreuzer der Systemflotte.« Sein Finger tanzte durch die Projektion. »Das hier. Das hier. Korvetten der Systemflotte.« Wieder ein Sprung, diesmal von einem anderen Winkel. »Das hier. Drei Polizeiboote in Formation. Du hast es sofort gesehen. Meinen Respekt, alter Freund!«

»Sie kommen von allen Seiten.«

Darius lächelte freudlos. »Von allen Seiten wäre übertrieben. Das wäre eine Kugel um uns herum. Aber von genug Vektoren, dass uns eine Flucht erschwert wird. Und sie schleichen sich an. Hättest du nicht …«

»Ich bin misstrauisch.«

Darius nahm die Aussage als das hin, was es war: sanfte Kritik an seiner eigenen Unaufmerksamkeit. Er war dankbar für Sols Misstrauen. Es rettete ihnen jetzt möglicherweise den Hals.

»Die wollen nicht mit dir reden, Darius. Die wollen dich fangen.«

Darius nickte. Etwas in seinem Magen fühlte sich jetzt sehr kalt an, ein Klumpen plötzlicher Enttäuschung. Ja, er hatte sich unbewusst wohl Illusionen gemacht. Kein herzliches Willkommen, aber immerhin … ein Willkommen. Das hätte er sich gewünscht. Stattdessen wurde eine kleine Flotte in Gang gesetzt, um seiner habhaft zu werden. Anders ließen sich diese Manöver nicht erklären.

Ernüchternd. Schmerzhaft ernüchternd. Aber warum die Überraschung? Es passte zu seinem Vater. Es passte zu jemandem wie Kalebonian. Er hatte sich einer Illusion hingegeben, der Vorstellung, dass die Umstände ihre Haltung zu ihm geändert hätten. Ein sträflicher Fehler, und jetzt wurde er mit den Konsequenzen konfrontiert.

»Können wir noch weg?«, fragte Sol. Es gab keine Diskussion über das Ob. Es war unabsehbar, was mit Darius passieren würde – und noch viel riskanter das Schicksal Sols, der kein kaiserliches Blut für sich beanspruchen konnte.

Darius betrachtete die Situation, nickte dann erleichtert.

»Sie sind nahe dran, aber noch nicht zu nahe. Schnallen wir uns an. Ich kenne Aumes Technologie nicht gut genug, um zu wissen, was jetzt passieren wird. Und jetzt wollen wir mal sehen, ob wir diesem Autopiloten ein paar unorthodoxe Manöver beibringen können – oder ob er sie für zu gefährlich hält.«

Sol schwieg, setzte sich, sah Darius bei seinem Tun zu. Dieser kommunizierte mit dem Autopiloten und dieser schien die Dringlichkeit der Situation einzusehen. Jedenfalls war er bereit, die mangelnde Orthodoxie in der Navigation des Prinzen klaglos umzusetzen.

»Das Boot ist gut«, murmelte Darius. »Zumindest ist es schnell.«

»Wenn sie das Feuer eröffnen …« Sol ließ den Rest des Satzes in der Luft hängen. Der Prinz antwortete nicht. Was dann geschah, war unabsehbar.

»Wohin fliegen wir? Zurück zu Aume?«