Traum aus Eis - Der Kalte Krieg 3

Text
Read preview
Mark as finished
How to read the book after purchase
Font:Smaller АаLarger Aa

5

Thasri saß so da, betrachtete die Welten der Vergangenheit und drohte in ihnen zu versinken.

Jeder hatte so seine Art zu fliehen. Manche nahmen Drogen, andere schauten endlose Holovid-Serien. Sie kannte mal einen akademischen Kollegen, einen ausgewachsenen Professor, der zu Hause in Vitrinen eine Sammlung von Püppchen hatte, die er sehr schätzte und pflegte. Es gab dann auch jene, die sich nicht in Vergnügen, sondern in Arbeit stürzten, auch wenn diese keinerlei Sinn ergab. Tun als Ablenkung, Fokus als Schutz. Thasri war sich dieses Mechanismus durchaus bewusst. Sie hatte eine Menge zu vergessen, Dinge, die sie in der Vergangenheit getan hatte, gesehen, verantwortet und unterstützt. Da war eine Menge Scham, auch Reue und Selbsthass. Ein schweres Gepäck, das leichter geworden war, als sie ihr zweites Leben anfing, als Professorin, Wissenschaftlerin, mit einem Spezialgebiet, das so weit in die Vergangenheit reichte und so voller Rätsel war, dass sie es niemals durchdringen, sich aber gleichzeitig völlig darin verlieren konnte. Eine ferne Welt, real, aber vergangen und damit greifbar wie unerreichbar. Mit Detailfülle auf der einen, gigantischen Löchern der Unkenntnis auf der anderen Seite. Man konnte sich hineinbegeben ohne Angst vor Rache, Reue oder Bedauern. Es war alles bereits geschehen. Es ging nur noch darum, es zu betrachten.

Und jetzt hatte sie diesen Datenspeicher der Kath. Ihr Abschiedsgeschenk. Ihre Freude darüber war groß gewesen, beinah euphorisch. Nun aber, da sie ihr Lesegerät aktiviert hatte und sich kurz – ja, kurz! – in die Materie zu vertiefen begann, da spürte sie, wie die Angst ihren Hals emporkroch. Nicht davor, was sie entdecken würde, sondern vor der Entdeckungsreise selbst. Dies war der Gral. Es war das Schönste, Wunderbarste, es war umfassend, es war detailreich, es war alles, wovon sie in ihrer Sucht nach Vergessen durch Erkenntnis geträumt hatte.

Die ultimative Droge.

Das machte ihr Angst.

Dass sie sich verlor; dass sie eintauchte, aber nicht wieder hervorkam; dass die Sucht sie überwältigte; dass sie vergaß, wo und wann und wozu sie lebte und welchen Nutzen all das Wissen für ihre Umwelt hatte. Dass dies der Moment war, in dem sie jeden Bezug zur Realität verlor und auf immer in einem kontinuierlichen Orgasmus des Wissens ewige Glückseligkeit erfuhr.

Ewige Glückseligkeit war sehr gefährlich. Man verlor seine Identität, wenn es einem immer nur gut ging. Wozu noch jemand sein, wenn man sein Ich gar nicht mehr benötigte, um die Konflikte des Lebens zu sortieren, mit ihnen umzugehen und Lösungen zu finden? Deswegen glaubte Thasri nicht daran, dass Gott sie alle erschaffen hatte, um sie zu prüfen, ihnen Aufgaben zu geben, ihrem Leben einen Sinn zu geben. Gott, dessen war sie sich sicher, war einfach nur sehr gelangweilt und hatte Angst, sich selbst zu verlieren. Er musste die ewige Glückseligkeit auf jeden Fall vermeiden, und was war dazu besser geeignet, als sich jede Menge Probleme zu schaffen und dann zu vergessen, dass man der Urheber derselben war? Es war die perfekte Lösung für eine sinnvolle Existenz, wenn diese objektiv sinnlos war.

Und dennoch, der Sog war da. Die Sucht, die Ausschüttung von riesigen Mengen Glückshormonen. Thasri ging durch die Datenmengen wie ein Junkie, der den besten, den reinsten, den mächtigsten Stoff gefunden hatte, den ultimativen Kick, den Trip aller Trips. Sie musste sich beherrschen. Sich reglementieren, sich aufhalten. Sie musste sich Probleme schaffen oder zumindest sich dieser erinnern. Sie musste ihrer Recherche, ihrer Tauchfahrt durch die Erkenntnis, einen realen Sinn, eine Funktion geben.

Sie war gut ausgebildet. Ihr Gehirn war eine trainierte Maschine. Sie konnte das. Sie hatte es im Griff. Sie konnte jederzeit damit aufhören, wenn sie es nur wollte.

War es eine Eingebung oder nur das Ergebnis ihrer Ausbildung, dass sie irgendwann mit der Systematik ihrer Durchsicht auf eine ungewöhnliche Weise begann. Nicht damit, die tiefste Historie der Kath zu ergründen, ihre Kultur und Sprache, ihre Expansion, ihre Politik. Alles sehr interessant, und sie würde sich dieser Sucht ein anderes Mal ergeben. Stattdessen tat sie etwas halb Überlegtes, halb Spontanes: Sie suchte nach den Koordinaten, die Horton Vigil ihnen überlassen hatte, aus dem seltsamen Hilferuf in einem auseinandergebrochenen Kollapsar, in dem Lebewesen in ewigem Eis gefangen gehalten wurden. Oder aufbewahrt. Ob sie noch lebten oder nicht, das wusste niemand. War es, wie sie vermuteten, der Eiskern, der Ort, an dem Dendh die Geschicke des Kalten Krieges lenkte?

Thasri rechnete nicht mit einem Ergebnis.

Sie bekam aber eines. Die Koordinaten entsprachen einem Satz, der im Speicher des Datenwürfels enthalten war. Die Kath kannten die Koordinaten und das Symbol für »Dridd« war mit ihnen verbunden, was möglicherweise bedeutete, dass es sich tatsächlich um den Eiskern handelte. Thasri war sehr vorsichtig mit den Dridd. Wenn sie einen Fehler machte, wurden sie zur nächsten Sucht nach den Kath. Eine noch stärkere, noch geheimnisvollere, noch schwieriger zu befriedigende Gier nach Wissen, das in der Vergangenheit verborgen liegt. Thasri wusste, dass die Gefahr real war.

Dennoch. Dies war wichtig. Sie wollten dorthin. Vielleicht wussten die Kath …

Sie las. Sie verstand. Und dann, nach einer guten halben Stunde des intensiven Studiums all dessen, was die Kath ihr überlassen hatten, dem Verfolgen von Querverweisen und anderen Referenzen, hatte sie ein Bild gewonnen, das nur eine Schlussfolgerung zuließ: Sie waren alle ein ganz klein wenig auf dem Holzweg.

»Aume!«, sagte sie ins Leere.

Das Schiff antwortete sofort. »Thasri. Kommst du auf die Brücke? Wir wollen die nächsten Schritte besprechen und es scheint, als würde es einen weiteren Aufbruch geben.«

Die Wissenschaftlerin wusste nicht, was damit gemeint war. Die Gruppendynamik ihrer seltsamen Gefährten hatte sie noch nicht ganz durchschaut, weil sie sich viel mehr mit dem befasste, was die Kath ihr hinterlassen hatten. Sie waren kein Team und sie wollte auch nicht allzu viele Emotionen in diese Beziehungen investieren. Sie kam ganz gut alleine zurecht, das zeigten ihre Erfahrungen aus der eigenen Vergangenheit.

Aber ein wenig neugierig wurde sie durch Aumes Ankündigung schon. Ehe sie losging, wollte sie noch loswerden, was sie auf dem Herzen hatte.

»Aume, hast du Zugriff auf mein Kath-Geschenk?«

»Nein. Und du hast es mit deinem eigenen Datenleser aufgerufen. Ich könnte den knacken. Ich respektiere aber deine Privatsphäre. Etwas Wichtiges gefunden?«

Sollte sie das glauben, das mit der Privatsphäre?

Sie beschloss, das Spiel mitzuspielen. Sich dieser Illusion nicht hinzugeben, war etwas verstörend.

»Ich habe etwas gefunden und wir alle sollten darüber reden.«

»Dann komm auf die Brücke.«

Thasri erhob sich, stopfte den Datenspeicher in ihre Tasche. Die Sucht ließ nach und machte neuer Entschlossenheit Platz. Ihre Suche hatte einen Sinn, sie ertrank nicht in der Ekstase der Erkenntnis. So war es besser.

»Ich bin schon unterwegs.«

6

Als Thasri die Brücke betrat, war sie die Letzte, die die Neuigkeit mitbekam, an der alle anderen bereits mit unterschiedlicher Begeisterung kauten. Aume aber war nicht überrascht. Ihre Menschenkenntnis, unterstützt durch ein sehr effektives neurales Netzwerk, wuchs stetig an. Es gab immer weniger Unerwartetes für sie.

Darius und sein Freund Sol reisten ab. Es war keine wirklich spontane Entscheidung. Der Prinz, sich seiner eigenen Bedeutung nun vollends gewahr, gehörte nicht zu jenen, die mitliefen, egal wie bescheiden er sich auch gab. Er hielt sich für jemanden, der handelte und Verantwortung übernahm. Die Gene einer langen Linie von Gewaltherrschern ließen sich nicht verleugnen, und wer nicht an die Macht der DNA glaubte, dann vielleicht an die einer Sozialisation. Aume war mit beidem zufrieden. Sie verstand Darius und aus diesem Verständnis erwuchs der eklatante Mangel an Überraschung.

Es musste lange im Prinzen gekocht haben. So lange und tief verborgen, dass es selbst Aume eine ganze Weile verborgen geblieben war, die alles sah, alles hörte und deren Erkennungsroutinen für menschliche Mimik und Gestik eine nahezu perfekte Qualität erreicht hatten. Doch dann, kurz nachdem sie sich endgültig zum Aufbruch entschlossen hatten, um das Elend nicht länger mit ansehen zu müssen, hatte er es angekündigt. Es war kein Vorschlag gewesen. Eine Entscheidung, nachvollziehbar, von klarer Motivation und dennoch unvorhergesehen für alle anderen, nicht zuletzt, da sie alle begriffen, wie dieser Schritt beide Männer ins Verderben zu führen in der Lage war.

»Mein Vater muss die Kontrolle verloren haben – entweder über sich oder über das Imperium, und ich weiß nicht, was von beidem schlimmer ist«, waren seine einleitenden Worte gewesen und es folgten weitere, eine Art Rechtfertigung, gewiss eine Erklärung, aber vor allem ein Weg, sich noch einmal selbst davon zu überzeugen, dass dieser Schritt der richtige war. Menschen brauchten das, so hatte Aume gelernt. Sie warben um Legitimation. Selbst brutale Diktatoren gierten nach ihr, einer höheren Bestätigung, die ihre persönlichen Motive vertretbar machten.

Aume fand das eher schwierig.

»Es ist gefährlich«, sagte Vocis unnötigerweise, offenbar erfüllt vom Beschützerinstinkt einer imperialen Soldatin, die von früh an darauf konditioniert worden war, ihr Leben für die Herrscherfamilie hinzugeben, egal welche Bedrohung sich ihr in den Weg stellen sollte. Sie konnte nichts dagegen tun, aller Selbstkontrolle zum Trotz, denn die Psychomechaniker der Ausbildungseinheiten verstanden ihr Geschäft. Noch mehr Sozialisation.

 

»Ich bin mir der Gefahr bewusst, aber ich kenne mich im Zentrum der Macht aus«, erwiderte Darius begütigend, wohl wissend, dass Vocis dieser Beruhigung zur Wahrung ihrer geistigen Stabilität bedurfte. »Ich nehme Sol mit, denn er hat Talente, die mir helfen werden.«

Sol nahm diese Bemerkung zum Anlass, selbstgefällig zu grinsen, das erste Mal seit geraumer Zeit, dass er zufrieden wirkte.

»Wie wollen Sie vorgehen?«, fragte Plastikk, wie stets an den praktischen Aspekten ihrer Absichten interessiert.

»Ich kenne Leute. Solche, die meinen Ansichten zugeneigt sind. Ich werde mit ihnen Kontakt aufnehmen. Und ich werde mit meinem Vater reden.« Er machte eine betonte Kunstpause. »Ob er nun will oder nicht.«

Das klang sehr entschlossen. Es klang vor allem endgültig. Aume kannte das spezielle Timbre, sie wusste, dass Menschen dann, unabhängig von ihrem Intelligenzgrad, keine weiteren Diskussionen wünschten. Also tat sie alles, um diesen ohnehin unausweichlichen Prozess zu beschleunigen.

»Ich werde euch ein passendes Schiff erstellen. Ich benötige einige Rohstoffe, aber das Problem können wir auf dem Weg lösen«, erklärte Aume ihre Unterstützung.

Darius nickte ihr dankbar zu. »Ich habe bestimmte Spezifikationen«, sagte er dann mit einem um Entschuldigung bittenden Unterton. »Ein kleines Schiff nur. Aber es sollte nicht unnötig auffallen. Es muss einen grünen Drachen tragen, das Wappen meiner Familie. Nur eine Geste, aber jedes Statement kann mir helfen, zur richtigen Zeit den richtigen Effekt zu erzielen.«

»Sagen Sie mir, was Sie brauchen. Ich mache mich sofort an die Arbeit.«

»Und wir …«, sagte Plastikk. »Wir fliegen zu der Welt, auf der Dendh seine Flotte gebaut hat, zu den Koordinaten, die Vigil übermittelt wurden?«

»Das ist möglicherweise nicht das Gleiche«, hörten sie Thasris Stimme.

Aume zögerte mit einer Antwort. Das fiel nicht nur Plastikk auf, der misstrauisch die Stirn in Falten legte. Als hätte jemand einen Schalter umgelegt, war aller Aufmerksamkeit auf Aume gerichtet, die nicht den Eindruck machte, als sei ihr dies besonders unangenehm. Dennoch merkte jeder sofort, dass sie noch eine Neuigkeit zu erklären hatte, eine, die von ihren bisherigen Annahmen abwich.

»Ich denke, dass wir neue Informationen haben«, sagte die Schiffsintelligenz und sah Thasri an, die bestätigend nickte.

»Heraus damit!«, forderte ausgerechnet Holoban Kerr, und das mit einem gewissen Nachdruck. Ob es seine Worte waren oder die Erkenntnis, dass jede weitere Verzögerung nur unnötigen Unwillen heraufbeschwören würde …

Aume sprach Thasri an. »Die Kath haben Ihnen ein Geschenk zum Abschied gemacht.«

»Das stimmt. Ein Datenspeicher voller historischer Aufzeichnungen.« Die Wissenschaftlerin verzog ein wenig das Gesicht. »Redaktionell bearbeitet, nehme ich an.«

Wer seine Geschichte beherrschte, beherrschte alles. Aume war sich dieser Tatsache bewusst, also waren es die Kath auch. »Haben Sie schon Gelegenheit gehabt, sich davon das eine oder andere anzusehen?«

»Nur sehr oberflächlich. Viel interessantes Material, zum Teil in grandioser Detailfülle. Für die Historikerin in mir eine Goldgrube, in die ich mich stürzen und aus der ich niemals wieder auftauchen möchte, vor allem, wenn ich die Gelegenheit bekommen sollte, die dort gemachten Angaben mit Funden auf Kath-Welten in Zusammenhang zu bringen.« Thasri sah immer noch so kritisch drein, dass sie ihre Worte ein wenig Lügen strafte. »Ich kann einfach nicht alles für bare Münze nehmen. Ich benötige valide Verweise, die diese Daten bestätigen, sonst bleiben sie nur eine schöne Geschichte.«

»Geschichte besteht oft nur aus schönen Geschichten«, sagte Darius. »Ich darf das sagen, meine Familie war und ist ebenfalls ganz hervorragend in ›redaktioneller Bearbeitung‹.« Er sagte es mit dem notwendigen Grad an Bitterkeit, der half, die eigene Distanz zu dieser Praxis zu betonen.

»Die Kath tun nichts ohne Grund«, sagte Aume. Sie schaute bedeutungsvoll drein und dieses Bemühen verfehlte ihre Wirkung nicht.

»Ich habe in der Tat etwas gefunden, was unser weiteres Vorgehen betrifft«, kündigte die Wissenschaftlerin an. »Ich habe Aume bisher keinen Zugriff gewährt.«

»Weil Sie mir misstrauen.«

»Oh ja.«

»Gut. Ich habe gelernt, dass blindes Vertrauen meist fatale Konsequenzen haben kann. Gewähren Sie mir nun Zugriff oder sollen wir uns auf Ihre Analyse verlassen?«

»Auch mir«, sagte Thasri lächelnd, »sollte niemand blind vertrauen. Nicht einmal ich selbst. Gerade beim Thema Kath besteht die Gefahr, dass ich mich von meiner eigenen Begeisterung allzu sehr mitreißen lasse.«

Sie holte den Datenspeicher hervor, hielt ihn in die Luft.

»Keine Ahnung, wie Sie zugreifen wollen, aber ich erlaube Ihnen Zugriff, Aume. Mal schauen, ob ich mich des Vertrauens der Kath als würdig erweise. Ich glaube, Sie standen auch einmal vor dieser Frage.«

Genau das war der Punkt. Aume nickte dankbar. Sie machte eine Geste, die für alle Passagiere den Zugriff symbolisierte, schloss die Augen, hob eine Hand in Richtung des Speichers, unnötiges Gewedel, aber wichtige nonverbale Kommunikation.

Alle lasen in ihrem Gesicht, das für sie wie ein offenes Buch den Prozess widerspiegelte, der nun ablief.

Aume fand, wonach sie suchte. Es war jetzt, da sie Zugang hatte, alles sehr offensichtlich.

»Ah. Jetzt habe ich es«, sagte sie laut.

»Ist es eine Erkenntnis oder eine Bearbeitung?«, fragte Plastikk, der seine berechtigten Zweifel an der Solidität der Realität hatte, das tief sitzende Misstrauen eines Mannes, der allein aufgrund dieser Eigenschaft auch ein guter Kandidat für das Geschenk der Kath gewesen wäre.

»Ich befürchte, eine Erkenntnis.« Aume seufzte. »Informationen über den Eiskern, auf dem Dendh begonnen hat, die Kollapsare zu bauen.«

»Die Koordinaten, die uns der Agent gegeben hat, waren falsch?«, fragte Vocis. Sie nahm aus guten Gründen immer das Schlechteste an, weil es meist das war, was auch passierte.

»Nein«, erwiderte Aume zu ihrer Überraschung fest. »Sie sind veraltet.«

»Weil sich die Sonnensysteme über die Epochen hinweg in der Galaxis weiterbewegen?«

»Nein, das wird durch die Koordinaten in Relation zum Galaktischen Zentrum abgebildet. Aber Ihre Vermutung kommt der Wahrheit sehr viel näher, als Sie denken. Die Kath kannten die Dridd. Vermutlich haben sie sogar noch lebende Dridd kennengelernt, damals, vor wirklich langer Zeit. Jedenfalls weisen diese Koordinaten jetzt mit großer Gewissheit ins Leere. Sie hatten einmal eine Bedeutung, aber die Beschreibungen der Kath über die Dridd legen den Schluss nahe, dass dort nichts mehr vorzufinden ist.«

»Der Eiskern wurde vernichtet«, stellte Vocis bitter fest, ganz die Soldatin.

»Nein«, sagte Thasri. »Das Problem ist weniger martialisch. Uns fehlte ein wichtiges Detail über die Dridd. Wahrscheinlich fehlen uns noch viele mehr, aber vor allem dieses eine.«

»Worum geht es?«

»Die Dridd waren eine migratorische Zivilisation.«

»Eine was?«

»Wanderer?«, fragte Darius hilfreich. »Nomaden?«

»Nomaden der Galaxis, in der Tat. Sie benötigten die Basis von Sonnensystemen nicht mehr, um sich fortzuentwickeln und ein glückliches Dridd-Leben zu führen. Sie flogen durch die Gegend, immer auf der Suche nach neuen Eindrücken.«

»Aus Langeweile«, fasste Aume es zusammen. »Der Fluch einer jeden hoch entwickelten Zivilisation. Irgendwann glaubt man, alles zu wissen und alles gesehen zu haben. Dann gibt man auf oder begibt sich auf die Suche nach neuen Gegenden, neuen Reizen und Anregungen, bis auch diese Suche sinnlos erscheint. Dann gibt man auf. Dazu bedarf es nicht einmal des Kollapses des Universums.«

Thasri nickte ihr zu. »Ich würde das zu gegebener Zeit gerne vertiefen. Jedenfalls weisen die Daten der Kath uns darauf hin, dass das, was die Koordinaten bezeichnet, die Vigil auf dem Kollapsar gefunden hat, in Wirklichkeit ein Metallplanet der Dridd ist. Vielleicht der berühmte Eiskern selbst, aber das werden wir erst herausfinden, wenn wir ihn erreicht haben.«

»Metallplanet? Eine Art Mond?«, fragte Vocis zweifelnd.

»Das ist kein Mond. Es ist eine Raumstation.«

»Von der Größe eines Mondes?«

»Von der Größe eines Planeten.«

Aume war nicht überrascht. Die Menschen waren offenbar nicht halb so beeindruckt, wie man hätte annehmen können. Das Imperium baute bereits verdammt große Habitate. Es war bekannt, dass die Simmi noch größere Weltraumkonstruktionen errichteten. Die richtigen Werkstoffe, Fertigungstechniken und die notwendige Entschlossenheit vorausgesetzt, erschien ihnen die Perspektive, die Aume nun vor ihnen eröffnete, nicht völlig absurd. Beeindruckend, gewiss, aber begreifbar.

»Sie bewegten sich nicht in Flotten«, fuhr Thasri fort. »Sie bewegten sich in mobilen Welten. Davon müssen noch Hunderte als tote Hüllen durch die Galaxis treiben, auf ewig dem neugierigen Blick anderer verborgen. Aber eine davon war der Ort, an dem Dendh mit allem begann. Oder an dem etwas passierte, was uns den richtigen Weg weist. Die Kath haben diese Welt besonders markiert, ohne es zu erläutern. Es muss eine Bedeutung haben. Aber es ist für mich klar: Den müssen aufsuchen. Das Gute ist: Die Kath haben die meisten der bereits toten Metallwelten kartografiert. Ich habe die Daten extrapoliert.«

»Sie ist weitergeflogen?«, fragte Vocis.

»Wenn sich keine radikalen Veränderungen ergeben haben, ist diese Metallwelt näher als gedacht. Sie kommt nämlich beständig auf uns zu. Wir müssen vielleicht etwas suchen, um Antworten zu bekommen, und möglicherweise irren wir uns auch in der Interpretation der Daten. Aber dorthin wollten die Unbekannten Vigil weisen, ob sie nun ahnten, wer an diese Koordinaten kommt oder nicht. Das ist kein Zufall.«

Aume nickte. »Unsere Interpretation stimmt überein. Ich irre mich übrigens selten.«

»Aber dort werden wir Dendh nicht aufhalten«, warf Thasri ein. »Richtig? Es ist ein Ort, der keine Bedeutung mehr hat. Ein Ort der Vergangenheit. Dass ausgerechnet ich das sagen muss, bedrückt mich selbst. Aber dort werden wir Dendh nicht finden, dort ist nicht das Zentrum seiner Macht.«

»Ich bin mir nicht sicher, was wir genau vorfinden werden. Aber ich wäre nicht überrascht, wenn dort noch etwas wäre, was uns weiterhilft. Tatsächlich glaube ich fest daran, denn sonst hätten sich die Kath nicht die Mühe gemacht, auf diese verklausulierte Weise auf die Möglichkeit hinzuweisen. Die Kursdaten der Dridd-Welten nehmen im Datenspeicher einen prominenten Platz ein. Als ob jemand grell leuchtende Hinweisschilder aufgestellt hätte.«

»Ich habe mich schon gewundert«, murmelte Thasri. »Aber so ergibt es Sinn. Also steht das Ziel unserer Reise nun fest.«

Es gab Zweifel, viele Fragen, jedoch keinen weiteren Widerspruch.

Damit war es besiegelt.