Der Regent

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Gleich am nächsten Morgen hatte Berger eine Nachricht von Scherer in seiner Mailbox. Sicher hatte er kein Auge zugemacht. Eine Vielzahl von Fragen. Es kostete Berger erheblichen Aufwand, um sie alle erschöpfend zu beantworten. Am gleichen Nachmittag erhielt er nochmals eine Mail von Scherer:

„Ich halte das Theater hier nicht mehr aus, habe soeben meinem Chef gesagt, was ich wirklich von ihm und dem ganzen Geschäftsablauf hier halte. Jetzt kann ich schon morgen bei Ihnen anfangen. Man verzichtet großzügig auf eine Kündigungsfrist. Ich hoffe, Ihr Angebot besteht noch? Gruß Horst Scherer.“

Schmunzelnd griff Berger zum Telefon, um Scherers Nummer zu wählen.

Tagelang saßen die beiden zusammen in Klausur. Sie arbeiteten die Details für das Unternehmen aus. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Eine Investment-Aktiengesellschaft, darauf spezialisiert, insolvente Betriebe oder solche, die kurz davor standen, zu kaufen und zu sanieren. Scherer brachte noch die Idee mit ein, Existenzgründer mit Krediten zu versorgen, oder sich an aufstrebenden Firmen zu beteiligen. Großen Aufwand betrieben sie damit, eine Firmenphilosophie auszuarbeiten, die auf größtmögliche Mitarbeiterzufriedenheit abzielt. Mittel für soziale Einrichtungen wurden bei den Gewinnerwartungen gleich berücksichtigt. Diese Vorgaben sollten genauso bei den zukünftigen Tochterunternehmen gelten. Die Standortfragen, sowie die Personaleinstellung, als auch die Firmenausstattung überließ Berger seinem Geschäftsführer: Horst Scherer.

Die All-Invest AG

Als Ingo Haas nach Hause kam, warf er frustriert die Aktentasche in die Ecke. Er setzte sich mit niedergeschlagen Augen an den Tisch. Seine Frau wusste sofort, was los war. „Wieder kein Erfolg?“ „Nein“, antwortete er, „das war heute die letzte Bank, die ich abgeklappert habe. Nicht einer reichte meine Geschäftsidee als Sicherheit aus. Die Wahrheit ist: Geld bekommt man nur, wenn man schon reich ist. Da erfindet man das Ei des Kolumbus, aber kann es nicht nutzen. Man könnte fast daran verzweifeln! Es scheint zu stimmen, dass sich die Banken nur für riesige Spekulationsgeschäfte interessieren. Wir kleine Kunden sind nur soweit interessant, wie wir Geld einzahlen, um diese Spekulationen zu finanzieren. Wir sollten wieder zum alten Sparstrumpf übergehen.“

Haas besaß einen Einmannbetrieb, der gerade so zum Leben reichte. Er hatte Ideen. Damit könnte er ein größeres Unternehmen aufbauen. Allerdings fand er keine Geldgeber, die in sein Projekt investieren. Die ewige Leier über Sicherheiten kannte er jetzt schon auswendig. Während die Banken bei Großprojekten irrsinnige Risiken eingingen, ja, die wahnsinnigsten Finanzblasen konstruierten, blockierten sie in der normalen Geschäftswelt unter dem Deckmantel von zu wenig Sicherheiten nahezu jegliches Unternehmertum. Man kann sich nicht mehr dem Eindruck erwehren, dass dies eine gewollte Strategie ist, die das Wachstum der großen Konzerne begünstigen soll.

Seine Frau bemühte sich, ihn wieder etwas aufzubauen. „Beruhige dich erst einmal. Hier schau mal, welche Anzeige ich heute im Wirtschaftsteil der Zeitung gefunden habe. Vielleicht ist das ja was.“

All-Invest AG, die erste Anlaufstelle für ihr Projekt.

Darlehen zur Existenzgründung oder Geschäftserweiterung.

Kostenlose Beratung. Testen Sie uns auf unser Risiko!

„Na ja, probieren kann man das ja mal. Nach meinen Erfahrungen mit den Banken dürfte das auch nicht schlimmer werden.“ Er nahm das Telefon und rief dort an. Bereits eine halbe Stunde später saß er mit einem Paket an Unterlagen im Auto, unterwegs zur All-Invest AG.

Der Bürokomplex war vollkommen neu eingerichtet. Ein Herr Scherer begrüßte ihn und lud ihn zu einem Gespräch ein. Haas staunte gewaltig. Man ließ ihm wirklich Zeit, seine ganze Idee zu erläutern. Keine ungeduldigen Blicke zur Uhr, oder Fingertrippeln auf dem Schreibtisch störten seinen Vortrag.

„Mit diesen von mir entwickelten Montagehalterungen wird der Aufwand beim Einbau von Kunststofffenstern sowohl in Neu-, als auch in Altbauten um mehr als dreißig Prozent gesenkt. Meine Prototypen habe ich an drei verschiedene Fensterbaufirmen ausgeliehen. Die Resonanz war äußerst positiv. Die Testberichte sind den Unterlagen beigefügt. Auf diesen Skizzen sehen Sie die äußere Form der Halterungen. Die innere Mechanik wird bewusst nicht gezeigt, weil ich noch kein Patent angemeldet habe.“ „Zu teuer?“, fragte Scherer dazwischen. „Und ob. Deshalb brauche ich ja die Anschubfinanzierung. Nach meinen Berechnungen benötige ich rund zweihunderttausend Euro. Damit wären die Kosten für die Patentanmeldung, die Werkstattausrüstung, sowie zwei Mitarbeiter gedeckt. Das brächte mir auf Jahre Vollbeschäftigung.“ Zum Schluss erzählte er Scherer von seiner Odyssee bei den Banken.

„Das sieht alles gar nicht schlecht aus, aber Sie werden verstehen“, sagte Scherer, „dass ich Ihre fachspezifischen Angaben erst überprüfen lassen muss. Als Kaufmann habe ich von der Technik zu wenig Ahnung. Deshalb bitte ich Sie darum, mir Ihre Unterlagen für ein paar Tage zu überlassen, damit sich unsere Experten der Sache annehmen können.“

„Mit Vergnügen lasse ich Ihnen alles hier, was ich dabei habe.“ Haas war begeistert. So intensiv hatte sich bisher niemand mit seiner Geschäftsidee befasst. „Wenn Sie es wünschen, kann ich Ihnen den Prototypen gerne vorführen, dazu müsste ich Sie aber in meine bescheidene Werkstatt einladen.“

„Ich denke, das wird vorerst nicht nötig sein, gegebenenfalls kommen wir darauf zurück. Ich schätze, dass wir in einer Woche die Unterlagen geprüft haben. Wir geben Ihnen dann Bescheid.“

Eine Woche später saßen sich die beiden wieder gegenüber. Diesmal hielt Scherer den Vortrag: „Sie haben gute Arbeit geleistet. Ihre Kalkulation, Ihre Marktanalyse, alles ist ordnungsgemäß. Im Prinzip ist das Konzept durchführbar. Trotzdem muss ich Ihnen sagen, dass wir den Kredit zu Ihrem eigenen Schutz so nicht erteilen können.“ Für Haas brach eine Welt zusammen, hatte er doch nach seinem Gespräch mit Scherer letzte Woche so große Hoffnungen. „Die Banken haben immer wegen zu geringen Sicherheiten den Kreditwunsch abgelehnt. Aber wie soll ich das verstehen, zu meinem Schutz?“

„Nun, ich sehe in Ihnen einen fleißigen Menschen. Sie selbst sagten, dass Sie meistens zwölf Stunden täglich in Ihrer Werkstatt zu finden sind. Sie arbeiten also jetzt schon am Limit. Wenn Sie zwei Mitarbeiter einstellen, garantiere ich Ihnen, dann arbeiten Sie mindestens vierzehn Stunden täglich. Denken Sie nur an die zusätzliche Lohnbuchhaltung, den weiteren Papierkrieg, der da auf Sie zukommt. Was ist, wenn einer von euch ausfällt? Wie sieht es mit der Urlaubsvertretung aus? Würde ich Ihnen diesen Kredit genehmigen, wären Sie nach zwei Jahren gesundheitlich am Ende, was dann ebenso das Aus für Ihre Firma bedeutet.“ Haas sank in seinem Stuhl immer tiefer. Am meisten ärgerte er sich darüber, dass dieser Scherer recht hatte.

„Sehen Sie Herr Haas, das alles sage ich Ihnen, weil wir es mit unseren Kunden ehrlich meinen. Genau aus dem Grund möchte ich Ihnen ein anderes Angebot unterbreiten. Was halten Sie von einem Geschäftspartner, von einem zuverlässigen Gesellschafter, der mit Ihnen auf Augenhöhe verhandelt? In diesem Fall biete ich Folgendes an: Wir steigen in Ihr Geschäft mit einem Anteil von neunundvierzig Prozent ein, Sie behalten die Mehrheit. Dafür erhalten Sie von uns eine Summe, die ausreicht, das Unternehmen in einer existenzfähigen Größe aufzubauen. Wir denken an einen Mitarbeiterstamm von zwanzig Personen. Nach unseren Analysen gibt der Markt das her. Dafür haben wir zehn Millionen Euro kalkuliert. Sie werden Geschäftsführer mit einem festen Gehalt, damit Sie und Ihre Familie abgesichert sind. Den Gewinn teilen wir uns entsprechend der Beteiligung. Die Unternehmensführung bleibt voll und ganz in Ihrer Hand. Wer sonst hätte für diese Aufgabe die entsprechende Fachkompetenz außer Ihnen? Die einzige Bedingung, die wir zusätzlich stellen, ist die, dass Ihr Unternehmen unsere Firmenrichtlinien in Sachen sozial verträgliche Arbeitsplätze übernimmt. Aber das wird Ihnen keine Probleme bereiten, im Gegenteil.

Wir fungieren als stille Teilhaber. Sie müssen nur ordnungsgemäße Geschäftsberichte abliefern. Außerdem stehen Ihnen unsere Beratungsabteilungen für Steuer-, Wirtschafts- Personalrecht und vieles mehr zur Verfügung. Ich habe hier die Verträge zusammen mit einigen anderen Unterlagen zusammengestellt. Natürlich müssen Sie sich eine angemessene Bedenkzeit nehmen. Wir setzen Sie auf keinen Fall unter Zeitdruck. Genauso bestehen wir auf noch etwas anderem: Den Unterlagen liegt eine Kostenübernahmeerklärung bei. Damit konsultieren Sie einen Rechtsanwalt Ihrer Wahl. Dort lassen Sie die Verträge auf unsere Kosten prüfen. Sie wissen ja, Vertrauen ist gut, aber bei solchen Beträgen ist Kontrolle oberste Pflicht. Auch für Sie als zukünftiger Manager.“

Haas stand wie in Trance vor der alten Werkstatt, die jetzt ausgedient hatte. Er wusste noch immer nicht, ob er träumte oder nicht. „Meine Frau glaubt mir das nie, zehn Millionen, sogar das Patent wird auf den Namen Haas laufen.“ Am liebsten hätte er gleich zugesagt. Langsam bekam er wieder den Glauben an die Menschheit zurück.

„Haas und Co. Spezialwerkzeuge! Wie das klingt!“

Die heiße Phase lief an. Das Team saß im Besprechungsraum der All-Invest AG. Der Firmenname klang wunderbar nichtssagend, so unscheinbar. Scherer hatte bei der Namensgebung des Unternehmens gute Arbeit geleistet, genauso wie bei allem anderen. Eine neue Firma, hoch motivierte Teams, dazu eine optimale Ausstattung. Was sollte jetzt noch schief laufen. Scherer spottete einmal darüber: „Man muss aufpassen, dass man unsere Mitarbeiter nicht schon von Weitem am Geruch von frischer Farbe und neuem Mobiliar erkennt.“ Das Unternehmen hatte sich zwei Etagen in einem modernen Bürogebäude in Neustadt an der Weinstraße angemietet, natürlich mit der Option auf Erweiterung, sofern dies erforderlich würde. Auch den Standort hatte Scherer gut gewählt. Eine wirtschaftlich eher unscheinbare Stadt aber mit optimaler Verkehrsanbindung. Hier konnte man sich gut verstecken, wenn man im Hintergrund bleiben wollte, trotzdem war man nicht vom Puls des Wirtschaftslebens abgeschnitten.

 

„Meine Damen und Herren!“, eröffnete Scherer die Besprechung. „Dies ist ein denkwürdiger Augenblick. Wenn uns das gelingt, was wir beabsichtigen, was wir hier und jetzt im Detail besprechen, dann werden wir auf lange Sicht die Wirtschaftswelt des Landes positiv beeinflussen. In dieser Hinsicht tragen wir alle eine große Verantwortung. Bitte geben Sie deshalb Ihr Bestes.“ Scherer erklärte die Ausgangssituation, unterlegt mit an die Wand projizierten Daten.

„Wir haben die Firma NW-Maschinenbau AG Neustadt für ein Butterbrot gekauft. Das Unternehmen ist für uns ein Bilderbuch-Beispiel. Total überschuldet und trotz voller Auftragsbücher schaffen sie es nicht, sich aus dem Sumpf zu befreien. Alleine diese Gegebenheiten lassen schon auf ein miserables Management schließen. Die genaue Ursache wollen wir jedoch erst herausfinden. Deshalb werden wir jetzt einen Schlachtplan entwickeln, wie wir das Unternehmen durchleuchten können, ohne dass Missstände verborgen bleiben. Die Grundstrategie der Prüfung steht ja schon fest. Wir wühlen uns also von oben nach unten durch den ganzen Laden. Das offizielle Prüfer-Team wird sich hauptsächlich die Bücher vornehmen.

Neben der Bestandsaufnahme werden Sie intensiv nach Schlupflöchern suchen, in denen das Kapital der Firma verschwunden ist. Dafür wurden Sie ja ausführlich geschult. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg dabei. Gleichzeitig durchkämmt unser zweites Team unter dem Deckmantel der genauen Bestandsaufnahme des Inventars das gesamte Unternehmen. Jede Abteilung und jeder Raum wird so geprüft. Aber auf keinen Fall dürfen Sie Ihre Hauptaufgabe außer Acht lassen. Sie müssen den Kontakt zu den Mitarbeitern herstellen. Nur so können Sie erfahren wo aus Sicht der Belegschaft der Schuh drückt. Nehmen Sie sich Zeit, suchen Sie das Gespräch mit den Menschen dort. Aufgrund Ihrer Informationen haben wir dann auch die Möglichkeit, Kandidaten zu finden, die einmal Führungsaufgaben übernehmen können. Außerdem erfahren wir dadurch einiges über die Hintergründe der wirtschaftlichen Schieflage.

Als Zeitplan sehe ich sechs Wochen für die Prüfung vor, sowohl die wöchentlichen Zwischenberichte als auch den Endbericht bitte persönlich an mich senden. Sollten Sie gravierende Dinge entdecken, melden Sie sich unverzüglich, aber möglichst ohne Aufsehen in der Firma zu erregen. Zur Mitte der Prüfungszeit treffen wir uns noch einmal hier, um festzulegen, ob wir in irgendeinem Punkt die Strategie ändern müssen.“ Dann folgten einige kleine Detail-Absprachen, bevor es ernst wurde.

Sechs Wochen harte Arbeit lagen hinter dem Prüfungsteam. Die Ergebnisse zeigten ein niederschmetterndes Bild. „Das ist keine Firma, das ist eine offene Schublade, in die jeder Manager nach Herzenslust hineinlangt!“, fluchte Scherer. „Allein die Spesenabrechnungen würden bedeuten, dass die drei Vorstände die letzten fünf Jahre ihre Familien nicht mehr gesehen haben. So viele Arbeitsessen kann kein normaler Mensch in dem Zeitraum abhalten! Ganz zu schweigen von den unzähligen anderen Verfehlungen. Einen solch unverfrorenen Griff in die Kasse habe ich noch nicht gesehen. Hier paarte sich absolute Unfähigkeit mit krimineller Energie. Dies ist ein Fall für den Staatsanwalt. Ich denke, das weitere Vorgehen sollten wir mit den zuständigen Behörden abstimmen. Vielleicht können wir einen Lokaltermin mit anschließender Mitarbeiterversammlung organisieren. Ich werde mich mit den Leuten der Kripo, Abteilung Wirtschaftskriminalität in Verbindung setzen.“

Das Besprechungszimmer auf der Chefetage der Maschinenbau AG, war ein luxuriös ausgestatteter Raum, im Gegensatz zu den Büros und Arbeitsplätzen der Mitarbeiter. An einem langen Oval saßen sich die Parteien gegenüber. Auf einer Seite der Vorstand der Maschinenbau, Karl Malzer mit den beiden Stellvertretern, gegenüber platzierte sich Scherer mit seinem Team, immerhin acht Personen. Scherer trug das Prüfergebnis vor. Geduldig hörten alle zu, obwohl die Zahlen eher zum Weglaufen animiert hätten. Nachdem er den Vortrag beendet hatte, herrschte betretenes Schweigen. „Herr Malzer!“, begann Scherer, „Sie haben die Ergebnisse der Prüfung gehört. Sie zeigen, dass der Betrieb unmittelbar vor der Pleite steht. Als Vorstand haben Sie doch sicher schon Pläne erarbeitet, wie die Firma zu retten ist. Was gedenken Sie als Verantwortlicher gegen diese Misere zu unternehmen?“

Sichtlich nervös setzte Malzer zu einem Vortrag an. „Äh… selbstverständlich habe ich schon Vorschläge in der Schublade. Ich hätte sie auch längst umgesetzt, wenn nicht der Verkauf des Unternehmens dazwischen gekommen wäre. Diese, äh Transaktion, verzögerte natürlich alles.“ Tiefes Durchatmen: „Mein Plan sieht vor, auch die restliche Fertigung der Halbwaren nach Fernost auszulagern. Wir könnten dadurch die gesamte Metallbearbeitung dichtmachen. Das würde uns von 30% des Personals befreien und …“ „Befreien? Vom Personal befreien???“, schrie Scherer ihn an. „Sie reden da von Menschen! Die würden Sie einfach so auf die Straße setzen? Was wollen Sie damit erreichen? Das Unternehmen schrumpft weiter, wird noch weniger überlebensfähig!“ Malzer versuchte, etwas einzuwenden, aber Scherer ließ ihn erst gar nicht zu Wort kommen. „Ich kann Sie durchaus verstehen, diese Aktion passt haargenau zu Ihrem Charakter! Das Einzige, was sich damit verbessert, wäre die nächste Bilanz wegen der Kostenauslagerung. So machen Sie sich zum ausschließlichen Nutznießer, weil dadurch Ihre Boni steigen. Das passt genau zu Ihnen, so wie Sie die ganze Zeit auf kriminelle Weise dieses Unternehmen ausgesaugt haben.“ Malzer sprang von seinem Sessel auf. „Bleiben Sie sitzen! Wir haben genug Material in den Büchern gefunden, um Sie alle drei hinter Schloss und Riegel zu bringen. Allein Ihre Spesenabrechnungen überschreiten den Begriff sittenwidrig über alle Maße. Dazu kommen die Scheinverträge der Maschinenbau AG mit euch dreien und mit Ihren Ehefrauen. Ich frage mich, ob die Damen davon überhaupt etwas wissen. In den letzten vier Jahren wurden von Ihnen rund zehn Millionen Euro veruntreut – ja veruntreut, von euch dreien! Mit dem fehlenden Geld hätte die Firma saniert werden können. Dafür ziehen wir Sie zur Rechenschaft!“

Jeder im Raum erkannte den Angstschweiß auf Malzers Stirn. Sichtlich verlegen versuchte er, sich herauszureden: „Nun ja, äh, ich räume ja ein, dass wir vielleicht die eine oder andere unglückliche Entscheidung getroffen haben. Äh, ...die zehn Millionen sind aber starker Tobak. Außerdem muss so eine Behauptung erst mal bewiesen werden. Wir haben uns hier eindeutig branchenüblich verhalten. Das machen alle so. Ich kenne eine Vielzahl von Kollegen, die gleichzeitig als Berater für die eigene Firma tätig sind. Ich denke, wir sind ja hier unter uns. Da müsste doch sicher eine gütliche Einigung möglich sein. Wir könnten zum Beispiel als Ausgleich für die äh ... Fehlentscheidungen dieses Jahr unsere Boni etwas reduzieren?“

„Herr Malzer!“, begann Scherer sichtlich gereizt. „Erstens sind die zehn Millionen rechtssicher als veruntreut nachgewiesen, dank Ihrer eigenen Unfähigkeit, solche Dinge richtig zu vertuschen. Zweitens werden wir Sie über diese Summe voll in Regress nehmen. Drittens irren Sie sich auch darüber, dass wir unter uns sind. Der Herr zu meiner Linken, Herr Schröder, gehört nämlich nicht zu unserem Team. Er ist der für Wirtschaftskriminalität zuständige Staatsanwalt, den ich zu diesem Treffen eingeladen habe. Er wurde von uns über alles informiert. Ihm liegen alle Beweise vor, die wir gefunden haben. Ich denke, ich erteile ihm jetzt das Wort, ach ja, noch ein letzter Satz fürs Protokoll: Sie drei sind natürlich fristlos entlassen.“

Bei den letzten Worten Scherers hatte Schröder bereits sein Smartphone zur Hand genommen und eine Verbindung zu seinen Mitarbeitern aufgebaut. Er sprach nur ein Wort „Zugriff!“ Daraufhin öffnete sich die Tür und sechs Polizisten traten ein. Sie postierten sich hinter den drei Vorständen. Das Ganze lief so glatt ab, dass ein Beobachter dies als einstudierte Choreografie angesehen hätte.

„Ich verhafte Sie wegen Betruges, Veruntreuung, sowie Steuerhinterziehung in Millionenhöhe. Das Gesprächsprotokoll dieser Sitzung wird natürlich auch als Beweismittel gegen Sie verwendet. Bevor Sie jetzt abgeführt werden, geben Sie noch alle Gegenstände, die dem Unternehmen gehören wie Smartphone, Laptop, Autoschlüssel der Geschäftswagen, usw. ab.

Ich darf mich hier nochmals ausdrücklich bei Herrn Scherer, sowie seinem gesamten Team für die gute Kooperation bedanken. Auch möchte ich bekannt geben, dass es uns, nicht zuletzt wegen der optimalen Zusammenarbeit mit Ihren Mitarbeitern gelungen ist, Konten, Depots und Besitztümer der drei Herren ausfindig zu machen. Die Beschlagnahmung läuft in diesem Moment an. Die gefundenen Beträge werden den angerichteten Schaden mindestens zu zwei drittel ersetzen. Die Herrschaften haben sich offensichtlich bei der Arbeit genauso dilettantisch angestellt, wie beim Verstecken ihrer Beute. Ich denke, dass Sie über den größten Teil der beschlagnahmten Summe in etwa vier bis sechs Wochen verfügen können. Jetzt bitte abführen!“ Keiner der drei hatte mit so einer Aktion gerechnet. Sie waren so vollkommen überrumpelt, dass sie noch gar nicht richtig begriffen, wie ihnen geschah.

Um alle Gerüchte und Unruhen im Keim zu ersticken, wurde diese Aktion so geplant, dass unmittelbar danach eine Betriebsversammlung stattfand. Die Mitarbeiter saßen bereits in einer großen Halle, während die Ex-Vorstände von der Belegschaft unbemerkt abgeführt wurden. Als Berger, Scherer und ihr Team die Halle betraten, wurde es schlagartig still. Nur leises Gemurmel drang an Bergers Ohr. Darin erkannte er Worte wie Heuschrecken, neue Ausbeuter, und noch Schlimmeres. Aber damit hatte er gerechnet. Er konnte es den Menschen nicht verübeln.

Nach den Begrüßungsworten des Betriebsratsvorsitzenden, bei der er sein Erstaunen zum Ausdruck brachte, dass der Vorstand wieder einmal durch Abwesenheit glänzt, ergriff Scherer das Wort. Er kam gleich zur Sache:

„… natürlich wurden die drei verhafteten Vorstände von uns fristlos entlassen, was aber nicht darüber hinwegtröstet, dass die Bücher der Firma tiefrote Zahlen aufweisen. Wir sehen uns gezwungen, das Unternehmen einer Totalsanierung zu unterziehen.“ „Wie viel Arbeitsplätze wird uns das wieder kosten?“, kam ein Zwischenruf. „Lassen Sie es mich erklären“, erwiderte Scherer, „Ja, wir werden das Unternehmen sanieren, aber in einer unüblichen Weise. Wie Sie alle wissen, sind die Auftragsbücher voll, jedoch wird nicht genügend produziert. Außerdem gibt es zu viel Ausschuss, besonders bei den in Fernost eingekauften Halbwaren.

Das wird sich ändern. Bevor ich zu Ihnen kam, habe ich dem Personalbüro den Auftrag erteilt, sich mit allen Mitarbeitern in Verbindung zu setzen, die in letzter Zeit entlassen wurden, um sie erneut zu rekrutieren. Wir werden aus diesem Laden wieder ein blühendes Unternehmen machen!“ Verhaltener Applaus kam auf. „Wir sind keine Heuschrecken, die Firmen kaufen und dann auslutschen. Wir haben die Firma erworben, um damit Gewinne zu erwirtschaften. Dazu braucht es in doppelter Hinsicht Kapital. Das benötigte Geld wird von uns kommen, alle Schulden haben wir bereits bezahlt.

Das andere Kapital, das ich meine, ist das Können sowie das Wissen der Mitarbeiter. Darauf bauen wir. Zukünftig werden wir so viele Kräfte einstellen wie nötig, unabhängig davon, wie sich das in den nächsten Quartalszahlen auswirkt. Wir denken wieder mittel- bzw. langfristig. Ab sofort werden nicht mehr die Bankkonten der Vorstände, sondern das Betriebsklima gepflegt, denn Sie, die Mitarbeiter, sind der wichtigste Teil des Unternehmens!“ Jetzt brandete ihm tosender Applaus entgegen.

„Unsere Ziele für das Unternehmen sehen wie folgt aus: Alles wird hier im Haus gefertigt. Kein Outsourcing mehr, keine Leiharbeiter, höchstens mal, um Notsituationen zu überbrücken. Ausbildung von Nachwuchs, Aufstiegschancen in allen Ebenen. Die zukünftigen Geschäftsführer werden aus Ihren Reihen kommen. Die Lohnrückstände zahlen wir Ihnen mit der nächsten Abrechnung aus. Spätestens im folgenden Jahr heben wir alle Löhne und Gehälter auf das übliche Tarif-Niveau an.

 

Wir wollen, dass Sie gerne zur Arbeit gehen, auch weil dadurch die Qualität der Produkte gesichert wird. Wenn Sie einmal bei Gesprächen mit Freunden wie selbstverständlich den Begriff – in meiner Firma – benutzen, dann wissen wir, dass wir unser Ziel erreicht haben. Dann haben Sie sich mit diesem, mit Ihrem Unternehmen identifiziert. Damit sich Ihre Laune noch etwas erhellt, darf ich Ihnen ankündigen, dass wir alle Mitarbeiter zukünftig am Unternehmensgewinn beteiligen werden.

Das geschieht in Form einer zusätzlichen Altersversorgung, sowie einer jährlichen Gewinnausschüttung. Allerdings rechnen Sie in diesem Jahr noch nicht damit. Bis wir hier wieder alles im Lot haben, werden wir im laufenden Geschäftsjahr noch dicke rote Zahlen schreiben.“ Nachdem der Applaus endlich abgeebbt war, kamen natürlich eine Menge an Zwischenfragen. Aber Scherer spürte, man hatte den richtigen Weg eingeschlagen. Wenn man die Gier einzelner verhinderte, würde der Betrieb wieder funktionieren.

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