Eine Alte Dame Ging Hering

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E – A – D …

Und dann war ich eben wieder in Köln. Da es den Schrebergarten nicht mehr gab, guckte ich mich ein bisschen um und kriegte einen Job im Come Up, wo ich dreimal die Woche, außer an diesem blöden Nichtrauchermontag natürlich, nachmittags putzte und abends von zehn bis eins Platten auflegte. Die Hälfte der Platten war so langweilig wie die Leute, die dort verkehrten (Supertramp! Barclay James Hänänä!!), aber solange Akim, der Geschäftsführer, nicht da war, konnte ich die mit der anderen Hälfte quälen; das Bier war okay, und wenn ich meine sieben Personalbons versoffen hatte und mir bei Benjamin, dem Zahnmedizin studierenden Barkeeper, Nachschub holen ging, zahlte ich meistens mit ’nem schmutzigen Zehner und kriegte von ihm Wechselgeld auf ’nen sauberen Zwanziger raus – schließlich war der Laden doch ’ne Geldwaschanlage. Dafür nahm ich ihm dann während meiner Putzschichten Mix-Kassetten auf, die er wiederum kopierte und in seiner Heimatstadt Münster teuer als das Neueste und Größte aus Der Großen Stadt vertickte. Damals gab’s noch so was wie Solidarität – zumindest unter Schwarzarbeitern.

In Veedelnohs Rumpelkammer von Zweitzimmer, die er »Dat Schtudio« nannte, hatte ich mich ein bisschen häuslich eingerichtet, was heißt, dass ich eine der an den Wänden lehnenden schalldämmenden Matratzen bezog und auf den Boden legte, eine ausgeschlachtete Lautsprecherbox daneben, in die meine komplette Garderobe passte, obendrauf ein kleiner Spot, ein paar Bücher und ein großer Aschenbecher. An Büchernachschub herrschte kein Mangel – mein Freund Stevie arbeitete mittlerweile bei Föhler & Kalckmann, Kölns größtem Buchgroßhandel. Jeden Mittag trafen wir uns in der Kantine der Hauptpost, wo auch die F&K-Mitarbeiter ihr Stammessen kriegten, und nachdem er sein Mittagessen verputzt hatte, stellte ich mich mit seinem Ausweis an, um mein Frühstück abzuholen. Dann tranken wir noch ’ne Flasche Bier und rauchten eine, er ging wieder zurück zu seinem Job, und ich verließ ein paar Minuten später die Kantine mit der gut gefüllten Plastiktüte, mit der er hergekommen war. Chandler, Dostojewski und Loriot, Hammett, Kerouac und Sempé, Langenscheidt, Nietzsche und Gernhardt, Sartre, Anaïs Nin und Max Ernst, Tolkien, Spillane und Janosch, Hemingway, Dali und Luke Rhinehart, Böll, Highsmith und Dylan, Lennon, Beckett und -ky, Krishnamurti, Zane Grey und Henscheid, Wittgenstein, O’Donnell und Vian und wie sie alle heißen, die einem was über das Leben erzählen können (und wie es sein könnte) und über die Menschen (und wie sie sein könnten), und irgendwann hatten wir sogar die wunderschöne gebundene Sammlung Märchen aus aller Welt beisammen, alle vierundfünfzig Bände.

Als kleine Gegenleistung kümmerte ich mich jeden Nachmittag ein, zwei Stunden um die Erziehung des jungen Rottweilers seiner neuen Freundin. Unter anderem brachte ich dem bei, sich in jeder Kneipe sofort unter den Flipper zu legen und von dort aus ein Auge auf alles zu haben, bis wir wieder gingen. Leider wollte er das eines Tages, bei einem Sonntagsausflug ohne mich, auch in einer Kneipe im Bergischen Land, wofür er aber dem alten Dackel des Wirts seinen Stammplatz streitig machen musste. Er war gerade dabei, den Dackel in Stücke zu reißen, als ihm der Wirt mit einem Barhocker den Schädel einschlug. Stevies Freundin also ohne Hund, Stevie mal wieder ohne Freundin, ich zwei Stunden mehr Zeit, Gitarre spielen zu lernen.

Und langsam Zeit, ’ne eigene Gitarre zu haben. »Wä die Kääne nit probiert, weiß nit, wie die Prumme schmecke, Jung«*, hatte Opa Klütsch, der kölsche Konfuzius, mir schon frühzeitig mit auf den Weg gegeben. Also besorgten wir mir bei Fischer’s Jupp am Eigelstein* eine robuste Westernklampfe.

»Dat beste, wat du em Moment kriejen kanns’, Büb – auf dem Ding hat schon der Elvis jespielt. Der King!«

»Der King, Jupp?«

»Ja, der Ki-, eh, der Kuhn! Der Paul Kuhn!«

»Der spielt Klavier, Jupp …!«

»Jeck! Der kann alles! Dat is ene feine Kääl! Wat isch mit dem schon jesoffen hab’! Fünnefunachzisch?«

»Tu mir ’ne Tasche dazu, un’ isch geb’ dir fuffzisch.«

»Tasche?! Bis’ du beklopp’, Büb? Dat Schmuckstück muss doch jeder sehn können, wenn du damit zum Sartory jehs’! Fünnefunsecksisch?«

»Ich spiele nich’ im Sartory, Jupp – ich spiele an der Côte d’Azur!«*

»Ja, leckens am Dill! Do bruchste natürlisch en Täsch’, Büb – sönz hät dä Franzmann dir die Schrumm doch t’reck jeklemmp’! Hier hab’ isch jenau dat rischtije für disch – siebzisch?«*

»Fuffzisch.«

»Komm – weil du et bis’, Büb: jib mir secksisch, isch hab’ noch ene Termin.«

»Fuffzisch un’ ’ne Flasche Asbach.« Lippenlecken.

»Na ja, wat willste beim Franzmann met däm Schabau? Is jebongk!«* Also kurz rüber zum Stüssgen-Markt, eine Pulle Asbach gefringst*, und schon war ich stolzer Besitzer einer dunkelroten Framus in einer babyschissgelben Skai-Hülle mit einem Wienerwald-, einem Sendung-mit-der-Maus- und einem Bad-Dabringhausen-Aufkleber, und Veedelnoh führte mich in die hohe Kunst der Rhythmusgitarre ein: E-Dur, G-Dur, A-Dur, a-moll – zack! hatte ich For Your Love drauf, und dann Dust My Broom und Got My Mojo Working und, natürlich, House Of The Rising Sun und If I Were A Carpenter und One Scotch, One Bourbon, One Beer und und und …

***

… und gelegentlich verbrachte ich ein Wochenende in Veras Gästezimmer, was zwar nicht immer so ganz meiner Vorstellung von Eheleben entsprach – aber unser Eheleben hatte noch nie irgendwelchen Vorstellungen entsprochen, was schon damit anfing, dass wir damals bloß geheiratet hatten, damit sie in ihre wunderschöne, riesige Altbauwohnung in der Engelbertstraße ziehen konnte. Die Trauung fand während ihrer Mittagspause statt, Trauzeugen waren zwei Kollegen aus ihrem Verlag, und nach zwei feierlichen Bieren in der Bar vom Hotel Herzogenruh sollte planmäßig auch schon alles gelaufen sein, aber dann quatschten wir uns wohl ein bisschen fest, und ihre Mittagspause zog sich bis weit über irgendwelche unbezahlten Überstunden hinaus; und weil wir dann auch noch meinten, eine Hochzeit ohne Vollzug gewisser ehelicher Pflichten sei nur halber Kram, machte sie den Tag danach auch noch zum Flittertag, den wir im übrigen in all den Jahren seitdem auf ähnliche Art feierten, egal wer gerade ihre Lebensgefährtin war. Oder meine.

»Ich steh’ zwar gelegentlich auch auf männliche Körper, wie du ja wohl schon länger gemerkt hast, mein Göttergatte – aber für’n Kopp un’ für’s Herz hab’ ich dann doch lieber was Menschliches um mich rum, das Sagen von Sprechen, Tun von Machen und Spüren von Fühlen unterscheiden kann.« Dass sie trotzdem schon so lange so eng mit mir befreundet war, nahm ich als Kompliment – und als Balsam für den gekränkten, eitlen männlichen Schweinehund in mir; ansonsten nahm ich auch das, wie so vieles in meinem Leben, wie’s halt kam. Und die meiste Zeit mit großem Vergnügen.

Nicht zuletzt, weil Antula, ihre üppige griechische Freundin seit ein paar Monaten, ähnlich undogmatisch drauf war und Vera deswegen keinen Stress machte. Und außerdem gab’s da schließlich noch Anna, Veras mittlerweile achtjährige Tochter, die mich, wenn schon nicht als Ersatzvater, dann doch wenigstens als Spielkameraden, Frotzelgegner und Kölner Stadtführer ins Herz geschlossen hatte. Und ich war immerhin ihr Schlagzeuglehrer.

Und dann gab’s natürlich noch Kathrinchen, die mich in ihre luxuriöse Bude am Decksteiner Weiher entführte, wenn ihr mal danach war, sprich: wenn ihr sonstiger Umgang ihr auf die Nerven ging.

»Is’ doch wunderbar, Büb – jeder von uns hat sein eigenes Leben, und zusammen ha’m wir unseren Spaß; wenn du nich’ meinst, dich wieder in mich verlieben zu müssen, werden wir noch uralt zusammen. Ein richtig schnuckeliges Bratkartoffelpärchen.«

Also lebten wir jeder unser eigenes Leben, hatten ab und zu unseren Spaß zusammen, und ich meinte nicht, mich in sie verlieben zu müssen. Und wer weiß schon, wie alt er wird? Oder was überhaupt der nächste Tag, das nächste Jahr, die nächste Minute bringt? Erst recht, wenn Heroin im Spiel ist. Es tat mir weh zu sehen, dass sie ihr Quantum nicht mehr ein-, zweimal die Woche, sondern fast täglich brauchte. Und ihr Umgang, ein paar gelackte Loddels aus Wien und Salzburg, die sich im Friesenviertel durch ausgesuchte Gemeinheiten schnell einen fiesen Ruf erworben hatten, gefiel mir auch überhaupt nicht.

»Alles im Griff, Büb. Halt dich da raus, und wir werden nie ein Problem haben, mein Schatz.«

Also hatten wir nie ein Problem.

***

Na ja, ein Problem gab’s dann doch: Ich war Kanaldeckel’s Büb. Ich griff mit links einen Akkord, langte mit rechts zwei-, dreimal in die sechs Saiten – da waren’s nur noch fünf oder sogar nur vier. Die hohen, dünnen wollten einfach nicht halten. Mit der Zeit schaffte ich es, mich so weit zurückzuhalten, dass die H-Saite überlebte, aber die hohen E-Saiten machten immer nur zinnngg! zschäck!, und weg waren sie. Nach der fünfundzwanzigsten Ersatzsaite kapitulierte mein Lehrer.

»Komm, Büb, ehe du eines Tages einem von uns ein Auge ausschießt – wir lassen das E weg. Klingt außerdem geiler, so wie du spielst.«

»Was heißt das: So wie ich spiele?«

»Na ja, du spielst, als wär’ dat Ding Schlagzeug, Bass und Rhythmusgitarre in einem. Aber mach ruhig weiter so – wir spielen die Franzmänner an die Erde! Machen die Côte klar! Wie wär et mit Rock Steady Woman?« Und ab ging die Post …

 

5


Isaak I

»Es geht doch nichts über ein Glas Champagner und eine gute Monte Cristo, wenn man etwas zu feiern hat«, schnurrte Isaak Eimermacher und blickte hinter dem schwarzen Dienstmädchen her, das ihm den Eiskübel gebracht und ein Glas Krug-Sekt eingeschenkt hatte. Fettsteiß schön und gut, dachte er, aber die wird auch immer fetter. Vielleicht bezahle ich die zu großzügig?

Aber das war jetzt nicht so wichtig. Genüsslich und in aller Ruhe beschäftigte er sich mit der Zeremonie, die das korrekte Anzünden seiner langen, hellbraunen Zigarre erforderte. Auf der Prinsengracht glitt ein Aussichtsboot voller knipsender Touristen durch die stinkende Brühe. Nicht dass sie ihn fotografieren könnten, hier hinter den gold-getönten Scheiben des Wintergartens im dritten Stock seines denkmalgeschützten Hauses, erbaut 1722. Kurz überschlug er ihre Zahl und registrierte, was drei Prozent ihres Ticketpreises in seine Taschen bringen würden. Dann lachte er – ein kurzes, quietschendes Wiehern, wie ein verwirrter, übermütiger Esel. Das war doch nun wirklich kleine Maus, das Kleingeld für seine Zigarren vielleicht, oder zumindest die Bestechungsgelder, die nötig waren, diese handgedrehten Kostbarkeiten aus Havanna in seinen Humidor zu schaffen.

»Aber die Steinchen«, murmelte er liebevoll die Glut seiner Especiales No.1 an, »die heiligen Ringe, sechzehn für jeden Finger, ach was, jeder von euch Schätzchen könnte ich einen davon an Stelle eurer papiernen Bauchbinden anziehen …! Sie kommen nach Hause, wohin sie gehören! Womit wir endlich – endlich! – die weltweit größte Sammlung antiker Ringe beisammen hätten! Das muss doch gefeiert werden!« Wieder das Wiehern. Dann lehnte er sich in dem mit orientalischen Kissen gepolsterten Korbstuhl zurück, trank sein Glas leer und warf es hinter sich, wo es an dem goldfarbenen Panzerglas zerschellte. »Prosit! Auch wenn die Sammlung Eimermacher dann – spätestens dann«, grinste er, »eine geheime bleiben muss – dreimal Prosit!« Er nahm sich ein neues Glas vom Tablett.

Eine Million Deutsche Mark – für einen Fußballer! Und nicht mal irgendein Fußballer, sondern sein tumber Schwiegersohn, den ihm seine dumme, missratene Tochter in den Pelz gesetzt hatte wie eine Laus. Aber vielleicht war sie doch gar nicht so blöde? Vielleicht hatte sie doch ein bisschen was von der Familienschläue geerbt, die er mitsamt seinem Imperium so gerne dem Sohn vermacht hätte, der ihm verwehrt geblieben war? Immerhin zeichnete sich ab, dass die Laus dabei war, eine goldene Laus zu werden. Eine Million! Und dieser alte Trottel von Bauunternehmer, dieser Emporkömmling aus Köln-Worringen, war bereit, das für diesen krummbeinigen Holzkopf hinzublättern! Was für ein Holzkopf das war, sah man ja schon daran, dass er sich wand und was faselte von »bei dem Verein sehe ich keine Zukunft für mich«! Gottverdomme! Er würde dem Blödmann Beine machen – wieder wieherte Eimermacher sein Kichern, als er an die krummen, dicken Beine seines Schwiegersohnes dachte, dann wurde er wieder ernst – immerhin waren diese Stampfer mit vier Millionen Pfund versichert. Er würde das geschickt einfädeln müssen. Erst seine Tochter überzeugen, aber das würde nicht so schwer sein – kriegte sie eben noch einen von diesen blöden schwarzen Gäulen aus dem Stall einer seiner Partner in den arabischen Ländern. Eine Investition, die sich lohnen würde. Denn dass sie, wenn sie überzeugt war, keine Mühe hätte, ihren O-Beiner zu überzeugen, das war so sicher wie sein nächstes Glas Champagner. Vier Jahre verheiratet, und der sabberte immer noch, wenn er in die Nähe seiner Frau kam, und überschlug sich bis zur Lächerlichkeit, ihr alles recht zu machen. Wieder kam ihm der Gedanke, dass Edna doch mehr auf dem Kasten hatte, als er ihr zugetraut hatte – zuzutrauen bereit gewesen war, wo sie doch bloß eine Tochter war. Er seufzte – die Zeiten änderten sich – jetzt hing schon das Geschick seines Erbes von einem Mädchen ab …!

6


Ron

… und irgendwann – Mädchen hin, Rock Steady her – war das Frühjahr rum. Und dann, Anfang Mai, wir hatten gerade angefangen, richtig zu planen, uns von Stevie mit Karten, Reiseführern und dem schönen Buch 1.000 Dinge sagen in sieben Sprachen, die du nicht kennst ausstatten lassen, von Fischers Jupp zwei Luftmatratzen, ein Federballspiel, ein Reiseschach und zwei kleine Armeesets mit Campinggeschirr und -besteck organisiert bekommen, da passierte uns dieser Frühschoppen.

Wir sitzen fröhlich bei Tante Thekla und machen zwischen Kölsch und Gespritztem Listen mit Sachen, die wir noch versilbern (»Die Märchensammlung!« »Nix da, die nehm’ ich mit – die werd’ ich diesen Sommer alle lesen!«), Stücken, die wir noch einüben (»Everybody Needs Somebody?« »Everybody Loves Somebody Sometimes?« »Ha ha – Thekla, noch zwei Jedecke!«), Leuten, die wir noch anpumpen (»Den Klautze, den kenn’ ich jut!« »Besser nit – nachher fällt dem ein, datt ich noch die alte Gibson von ihm hab’!«), und Dingen, die wir noch brauchen könnten (»Dat wichtigste überhaupt: ’n Auto!« – »Ja, Scheiße! En Auto – wo sommer dat bloß herkriejen?«), da kommt Ronnie rein und bestellt drei doppelte Kabänes und ’n paar Bier. Die kommen prompt, und als wir ihm gerade mit den Kurzen zuprosten wollen, schiebt er uns jedem ein Bier rüber und säuft den Schnaps selber hintereinander weg. Und spätestens da wird klar, dass das heute nicht seine ersten sind.

»’s passiert, Ron?«

»Scheiße.«

»Warste auf der Rennbahn?«

»Rennbahn! Scheiße! Thekla!«

»’n Überfall?« Ronnie ist Taxifahrer. Nachts.

»Überfall? Mich? Scheiße!« Ronnie ist auch Trainer der Mülheim Maniacs – American Football ist schwer im Kommen in Köln.

»Krach mit deiner Ollen?«

»Thekla!!«

»Biste pleite? Sach do’ma’ wat!«

»Pleite? Ich? SCHEISSE!« Aber irgendwann kann er’s ja doch nicht mehr für sich behalten, und es stellt sich raus, dass er vor drei Tagen kurz nach Mitternacht drei Typen aus dem Madame George abgeholt hat, die unbedingt noch irgendwo richtig einen draufmachen wollten.

»Ich fahr’ die zum Copa – gefällt ihnen nich’. Ich fahr’ die zum Olympia – ich soll warten, sie wollen sich dat angucken. Die Uhr läuft ’ne Viertelstunde – ich geh’ rein, die spendieren mir ’nen Kaffee un’ wollen woanders hin. Ich fahr’ die nach Vögelsang, wir gehn zusammen rein, die Uhr läuft, die saufen Johnny-Cola, ich krieg’ Kaffee un’ Rémy – gefällt ihnen nich’. Ich fahr’ die zum Maharadscha – ich soll wieder mit rein. Ich erinnere die, datt die Uhr mittlerweile auf hundertzwanzig Märker steht. Steckt der eine mir zwei Blaue in’n Kragen un’ sagt: Na un’? Lass se doch weiterlaufen!« Zeit, ’ne neue Runde zu bestellen, was diesmal ’noh und ich übernehmen. Wir wissen den Wert einer guten Anekdote wohl zu schätzen.

»Also rein in’s Maharadscha, die Johnny-Cola, ich Kaffee un’ Rémy, der eine von denen geht mit Esther in’n Whirlpool, un’ die andern beiden nölen so rum. Stellt sich raus, die sin’ hohe Tiere bei irgend’nem Ölkonzern, die halbe Zeit zwischen Hamburg un’ Venezuela unterwegs, der andere ’n Kollege aus Caracas. Eigentlich hatten se nur ’n kurzen Termin bei der Erdöl in Wesseling, aber der Ami will ehm noch wat erleben, un’ sie auch. Aber dauernd knaatschen se rum, wat Köln für’n Kaff is’ un’ so. Jaa: Hamburg! Dat wär ma’ ne Stadt! Un’ als der dritte von seiner Nummer zurückkommt, heißt et auf einmal: Wat sommer uns hier lange rumquälen – wir zischen jetz’ ab nach Hamburg!«

»Un’ du fährst se hin!«

»Un’ ich fahr se hin! Scheiße! Thekla!! Klar fahr’ ich die hin! Schon halb besoffen fahr’ ich die nach Scheiß-Hamburg!! Un’ sauf’ un’ koks’ un’ zock’ un’ fick’ mit denen zwei Tage un’ Nächte die Reeperbahn rauf un’ das Vier Jahreszeiten runter. Schampus un’ Rémy un’ Hummer un’ Austern un’ Steaks un’ Captagon un’ Weiber in allen Farben un’ Pokerrunden un’ Würfelrunden un’ Runden übern Dom –«

»Über’n Dom?«

»Ja, den Hamburjer Dom – so nennen die ihre Deutzer Kirmes. Die steht da dat janze Jahr.« Ronnie schmeißt sich zwei Cappies in’s Bier und spült sie runter. Er hat die ganze Tasche voll davon. Wir lehnen dankend ab. »Un’ ein’n Schotter haben die – die hätten die janze Friesenstraße aufkaufen können! Un’ bei jeder Gelegenheit kriegt der tolle Kölner Taxifahrer ’nen Blauen in den Arsch gesteckt! Ich könnt’ mir jlatt ’n eijenes Taxi kaufen von der Scheiß-Erdöl-Asche!«

»Is’ doch super, Ron! Wat schreiste denn dauernd Scheiße?«

»Weil ich irgendwann von der Reeperbahn die Schnauze voll hab’! Der Dödel hängt mir in Fransen zwischen den Knien, un’ mein Kopp is’ kurz vorm Explodieren! Ich sach bye-bye un’ adios un’ tschö mit ö un’ krieg’ noch ’n Bündel Scheine ins Hemd gesteckt un’ brauche knapp drei Stunden von Sankt Pauli bis zur Zentrale. Ich liefer’ die Karre ab un’ steig’ in meine eigene un’ will nur noch nach Hause un’ eine Woche abratzen, abratzen, abratzen …«

»Ja, un’ dann?«

»Un’ dann hält mich hundert Meter vor meiner Haustür die Schmier’ an! Die Schmier’!!* Ich bin quasi schon im Bett!! THEKLA!!!«

»Ah ja – un’ du wills’ natürlich nich’ blasen un’ machs’ Theater un’ die nehmen dich mit un’ der Dokter kommt: Blutprobe. Wieviel?« Er klopft das Ergebnis mit seinem Schädel dreimal kurz auf die Tischplatte.

»Drei-« tock, »komma-« tock, »neun.« Tock. Nicht schlecht. Wir applaudieren und bestellen noch ’n paar Kurze. »Dreikommaneun! Umjerechnet: Zwei Jahre den Lappen weg un’ fünf Jahre keinen Taxischein! Scheißescheißescheiße! Wollt ihr ’nen Taunus kaufen?«

’noh und ich gucken uns an. Suchen wir nich’n Auto?

»Ja, glotzt nich’ so blöd! Wat soll ich mit der Karre? Hat sowieso nur noch ’n halbes Jahr TÜV. Fährt aber astrein! Is’n Kombi!« Ein Kombi! Ein Ford Taunus Kombi! Mit genug TÜV, um an die Côte d’Azur und wieder zurück zu kommen!

»He, Ron, wir ha’m keine Gönner bei Erdöls! Wat soll die Karre denn kosten?«

»Ach, Scheiße,« er wühlt in seinen Taschen und schmeißt Fahrzeugpapiere und ’nen Autoschlüssel auf den Tisch, »tu mir ’nen Heiermann!«*

»’n Heiermann?! Haste se noch alle?«

»Gib den Heiermann un’ nimm den Hobel oder leck mich am Arsch, Büb! Eh’ ich übermorgen wieder nüchtern werd’ un’ mir dat anders überleje!«

Na ja – wir zahlten den Heiermann und seinen Deckel und nahmen den Hobel. Daraufhin musste er zur Feier des Abschlusses noch einen ausgeben. Wurde dann noch ein schöner Nachmittag.

Und ein schöner Mai. Mit all dem Listen-Abhaken, Veedelnohs Bude Zwischenvermieten, all den Abschiedsrunden und Abschiedsküssen. Und dann war’s auf einmal Zeit, den Kombi aufzutanken, Schlafsäcke und Gitarren hinten rein, ein paar Kassetten und ’ne Frankreichkarte ins Handschuhfach, und an einem strahlend wolkenlosen Junimorgen dröhnten wir noch dreimal um den Bonner Verteiler, machten eine letzte Flasche Kölsch auf und legten, platt, aber effektiv, Canned Heat ein. On the road again*