Das Haus auf Monkey Island

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Das Haus auf Monkey Island
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© 2019 Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH

Schweinfurthstraße 60, 14195 Berlin

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Sämtliche Rechte der öffentlichen Wiedergabe (u. a. Aufführungsrecht, Vortragsrecht, Recht der öffentlichen Zugänglichmachung und Senderecht) können ausschließlich von der Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH erworben werden und bedürfen der ausdrücklichen vorherigen schriftlichen Zustimmung. Nicht genehmigte Verwertungen verletzen das Urheberrecht und können zivilrechtliche und ggf. auch strafrechtliche Folgen nach sich ziehen.

Personen:

ANN, ca. 30

KRISTINA, ca. 50

HANNES, ca. 50

ANDRE, ca. 35

ORT Küche eines Hauses auf einer Insel im Pazifik

Prolog

HANNES' STIMME Wie bin ich hierhergekommen? Welche Taten, welche Unterlassungen, verpassten und ergriffenen Chancen, Akte des Willens und Akte der Willkür haben mich in genau diese Gegenwart geführt und zu dem gemacht, der ich jetzt bin? Schritt für Schritt, Wiederholung um Wiederholung, Routine um Routine wurde ich immer unumkehrbarer zu dem, mit dem ich nun zu leben habe. Was in mir brachte mich dazu, die Rituale zu pflegen, die ich pflege, die Überzeugungen zu leben, die ich lebe, die Sprache zu sprechen, die ich spreche? Bin ich tatsächlich das Beste, was aus mir zu machen war? Gibt es eine Möglichkeit der Umkehr? Und wenn ja, wozu? Wohin umkehren, was anders machen, wer werden, wer sein, statt meiner? Ich wanke ziellos durch die Welt und die Entourage der Geister folgt mir, die körperlosen Umrisse meiner Schatten-Persönlichkeiten, der möglich gewesenen, aber verworfenen Ichs. Die Alternativ-Hannesse, die nie entwickelt wurden, die verkümmerten, weil ich mich an vielen kleinen Kreuzungen anders entschieden habe. Bin ich die Summe meiner Versäumnisse? Hätte ich zu einer Zeit X ein anderes Buch gelesen, eine andere Bar besucht, eine andere Frau geküsst, ein Zugticket in eine andere Stadt gebucht – ich wäre ein anderer geworden. Ich wäre ein anderer.

EINS / ANKOMMEN
1.

Küche. Hannes am Tisch, spielt Gitarre und raucht. Fängt an, zum Geklampfe zu singen. Eine Rock-Ballade aus den Siebzigern. Lässt den Blick schweifen. Entdeckt den Rauchmelder an der Decke.

HANNES Scheiße!

Springt auf, tritt die Kippe aus, klettert auf einen Stuhl und schraubt hektisch den Rauchmelder ab.

Ann kommt, holt sich einen Kaffee.

HANNES Scheiß Rauchmelder!

ANN Das ist kein Rauchmelder. Das ist ein Kohlenmonoxidmelder.

HANNES Ist doch dasselbe.

ANN Rauchmelder messen die optische Durchlässigkeit der Luft. Kohlenmonoxidmelder messen das Überschreiten eines Grenzwerts der Verbrennungsgase. Wenn das für dich dasselbe ist, bitte.

Ab. Kristina kommt. Beginnt, alle Schränke aufzureißen.

HANNES Was suchst du?

KRISTINA Einen Smoothie-Maker.

HANNES Einen WAS?

KRISTINA Smoothie-Maker.

Schweigen.

Hannes klettert vom Stuhl, setzt sich wieder hin, zündet sich die nächste Kippe an und klampft weiter. Kristina hat einen Smoothie-Maker gefunden. Sie holt Obst aus der Obstschale, wirft es in den Smoothie-Maker und schaltet ihn ein. Ohrenbetäubender Krach. Hannes lässt die Gitarre sinken. André kommt, in perfekter Joggingausrüstung, dehnt sich.

ANDRE Ganz schön laut!

KRISTINA Was?

ANDRE Ganz schön laut, das Gerät!

KRISTINA Ja! Sorry! Ist gleich vorbei!

Stellt den Smoothie-Maker ab, gießt sich einen Smoothie ein.

KRISTINA Auch einen?

ANDRE Danke. Nicht vor dem Training. Fummelt an seinem Self-Tracker.

KRISTINA Was ist das fürn Ding?

ANDRE Eine Fitness-Uhr. Die misst über Sensoren meine Körperdaten.

HANNES Du gehst laufen? Bei diesen Temperaturen?

ANDRE Du rauchst noch? In deinem Alter? Ab.

Kristina lacht.

HANNES Ab wann wurde der Konsum von Obst-Matsch eigentlich so populär?

KRISTINA Du wohl mehr so der Mettbrötchen-Typ, was?

Schweigen. Hannes grinst und klampft.

KRISTINA Da ist so ein Schalter. Soll ich mal draufdrücken?

HANNES Curiosity kills the cat.

KRISTINA But satisfaction brought it back. Drückt auf den Schalter. Leise rumpelnd fährt ein Rollladen hoch. Ein riesiges Panorama-Fenster mit Blick auf einen traumhaften Strand wird sichtbar.

HANNES Wow. Monkey Island, ich liebe dich.

KRISTINA Ein Arbeitsplatz im Paradies.

HANNES Und der Werbefuzzi rennt jetzt da draußen rum. Bei vierzig Grad im Schatten.

KRISTINA Wenn's ihm was gibt?

Ann kommt.

ANN Wir sollten langsam mal eine Strategie entwickeln.

KRISTINA Hast du die Wahnsinns-Aussicht gesehen?

ANN Sonne. Palmen. Strand. Sehr hübsch. Wo ist André?

HANNES Ann, entspann dich. Wir sind gerade erst angekommen.

ANN Je schneller wir anfangen, desto schneller sind wir fertig. Je schneller wir fertig sind, desto schneller sind wir hier wieder weg.

KRISTINA Dass es Leute gibt, die von hier schnell wieder weg wollen –

ANN Leute, die ein Leben haben. Wo ist André?

HANNES Freiluft-Sport.

ANN Spinner. Meeting in einer Stunde?

HANNES Ok.

KRISTINA Ay ay, Captain.

Ann ab.

KRISTINA Dieser Neuro-Nazi geht mir jetzt schon auf den Sack.

HANNES Du hast keinen Sack. Also, nehm ich jetzt mal an.

KRISTINA grinst Wer weiß, wer weiß. Du wirst es nie erfahren.

Schweigen.

HANNES Also, ich finde, dass Ann extrem gut organisiert wirkt. Solche Leute brauchen wir im Team.

KRISTINA Ich sag immer: Sympathie schlägt Kompetenz.

HANNES Gefährliches Konzept.

KRISTINA Ja. Hat mir schon zwei Beziehungen ruiniert. Aber ich geb nicht auf.

HANNES Wie wär's statt eines sympathischen Inkompetenten oder eines kompetenten Unsympathen mal mit einem sympathischen Kompetenten?

KRISTINA Gibt's leider selten im Angebot. Vor allem in der Ausführung mit Schwanz.

HANNES Tut mir leid.

KRISTINA Fühlst du dich verantwortlich? Du kannst doch nichts für die Defizite deines gesamten Geschlechts.

Ann rennt vorbei.

ANN Und was ist das hier? Kaffeepäuschen, bevor überhaupt erst angefangen wurde? Ab.

KRISTINA Tja. Die einen nennen es organisiert, die anderen Stock im Arsch.

HANNES Ja, ok, sie wirkt ein bisschen, als hätte sie zu viele Fleißbienchen im Sammelheft. Aber der Druck auf Frauen, ständig ihr Können zu beweisen, ist immer noch viel größer, vor allem in so männlich dominierten Bereichen wie der Hirnforschung.

KRISTINA Du nimmst sie nur in Schutz, weil du ein bisschen auf sie stehst.

HANNES Nee. Nicht mein Typ.

KRISTINA Aha. Deine Objektwahl ist wohl mehr narzisstisch.

HANNES Legst du bitte deinen inneren Freud wieder an die Leine? Ich bin längst austherapiert.

KRISTINA So, so.

HANNES Aber ich gebe zu, dass ich durchaus zur jüngeren Frau neige.

KRISTINA Wusst ich's doch. Ich sag immer: Leben, überrasch mich mal! Aber das Leben so: Nö.

André kommt mit knallrotem Gesicht.

ANDRE Viel zu heiß. Holt Wasser, trinkt.

KRISTINA Junge, warum quälst du dich so? Wir haben einen perfekt ausgestatteten Fitness-Raum im Keller. Klimatisiert.

ANDRE Weiß ich.

KRISTINA Dann nutz ihn doch, diesen Fitness-Raum.

ANDRE Ja, Mama. Mach ich. Fummelt an seinem Self-Tracker.

HANNES Sie lesen Ihre Uhr und Ihre Uhr liest sie.

ANDRE Was?

HANNES Werbeslogan für Self-Tracker von Apple. Schweigen. Sport ist Mord. Zündet sich eine Zigarette an. André schaut ihn lange scharf an.

ANDRE Krieg ich einen Zug?

 

HANNES Du kannst auch gern ne Ganze haben.

ANDRE Danke. Ein Zug reicht.

Hannes reicht ihm die Kippe, André zieht daran und gibt sie Hannes zurück.

Schweigen.

ANDRE zu Kristina Was denn?

KRISTINA Was sammelt das Ding da eigentlich alles?

ANDRE Blutzuckerwerte, Körperfettanteil, verbrannte Kalorien, zurückgelegte Schritte, Herzfrequenz –

KRISTINA Wow. Und wohin gehen diese Daten?

ANDRE An meinen PC.

KRISTINA Und wohin noch?

ANDRE Wie, wohin noch? Zu den Illuminaten natürlich, die damit die Weltherrschaft an sich reißen.

Ann kommt.

ANN wedelt den Rauch weg. Puh. Da züchtet aber jemand wieder kräftig nikotinische Azetylcholinrezeptoren. Setzt sich. Also, das Wasserbett find ich schon cool. Ich wollte immer ein Wasserbett. Und jetzt, zack, hab ich eins im Zimmer.

HANNES Welches Wasserbett?

ANN Habt ihr kein Wasserbett?

KRISTINA Nö.

HANNES Nein.

ANDRE Nee.

ANN Tja. Da hab ich mir wohl das beste Zimmer unter den Nagel gerissen, sorry.

KRISTINA Ich steh gar nicht so auf Wasserbetten.

HANNES Ich auch nicht.

ANDRE Kann ich auch drauf verzichten.

Schweigen.

ANDRE Ich find ja den Massage-Stuhl viel besser. Hab ich gleich gepostet.

HANNES/ ANN / KRISTINA Hä?

ANDRE Habt ihr etwa nicht? Tja.

HANNES Ein großartiger Arbeitsplatz! Eine Insel ganz für uns allein! Und diese unfassbare Kohle, die die uns zahlen.

ANN Tja, wenn man von Ling Ka Shing gesponsert wird –

ANDRE Ling who?

ANN Ka Shing. Achtreichster Mann Chinas. Finanziert Animalsdelight. Und somit auch uns.

KRISTINA Ach, Kohle, Kohle, Kohle! Kohle interessiert mich nicht.

HANNES Und das sollen wir dir glauben?

KRISTINA Die Glück-Geld-Korrelation ist längst widerlegt, mein Freund.

HANNES Sag das mal der armen Sau, die den ganzen Tag bei McDonalds an der Fritteuse steht.

KRISTINA Ich rede nicht von den Armen. Ich rede von dir und mir.

HANNES Woher willst du wissen, dass ich nicht arm bin?

KRISTINA Die Wachstumsrate eines jeden geldbasierten Glücksgefühls stagniert bei einem Jahreseinkommen von Siebzigtausend Euro. Erzähl mir nicht, dass du fette Wohlstandsmade da drunter liegst.

ANDRE Oh Gott, wir haben eine Systemkritikerin unter uns.

HANNES Ich verbitte mir sämtliche Madenvergleiche. Ich weiß, dass ich ein paar Kilo abnehmen könnte. Es gibt aber charmantere Arten, mir das zu sagen.

KRISTINA Sei nicht so ne Snowflake, Hannes. Was ich sagen wollte, ist: Wie wär's zur Abwechslung mal mit einer Glück-Sinn-Korrelation?

Ann, André und Hannes stöhnen.

ANDRE Muss ich diesen Sinnvoll-Leben-Kitsch jetzt wochenlang ertragen?

KRISTINA Ich nehm normalerweise keine Jobs in der freien Wirtschaft an.

ANDRE Sieht man.

KRISTINA Aber hier hab ich das Gefühl, Teil von was wirklich Sinnvollem zu sein. Einer Weltrevolution!

ANN Na na na –

KRISTINA Na klar, was sonst? Genau das passiert hier. Ist euch überhaupt bewusst, was das hier bedeutet? Die Ausmaße? Die Tragweite? Was passiert, wenn wir Erfolg haben? Wie viel Regenwald gerettet, wie viel Methangase eingespart –

ANDRE Wenn ich noch einmal das Argument der furzenden Kühe hören muss –

KRISTINA Wenn dir die Klimafolgen schon egal sind, dann interessiert dich ja vielleicht der ethische Aspekt. Wie viel Tierleid vermieden wird, wenn man die Möglichkeit, Fleisch im Labor zu züchten –

ANDRE Ist mir doch wurscht. Ich bin hier, weil mich die marketingstrategische Herausforderung kickt. Das ist was anderes, als ne neue Sorte Streichschokolade zu vermarkten.

ANN Mein Motor war und ist immer nur: Neugier.

HANNES Sie würde ihre eigene Großmutter sezieren, könnte sie dabei was Neues rausfinden.

ANN Ich würde mich sogar selbst sezieren, könnte ich dabei was Neues rausfinden.

HANNES Und ich, ich geb's zu, bin hauptsächlich wegen der Kohle hier.

Kristina stöhnt.

HANNES Was denn? Wir Soziologen stehen am untersten Ende der Nahrungskette!

KRISTINA So viel Abgeklärtheit? Wahnsinn. Leute, was hier passiert, ist dermaßen sensationell, seht ihr das denn nicht? Was hier passiert, seit die NASA aus einer Goldfischzelle das erste gewaltfreie Fischfilet im Petri-Dish erzeugte? Die Möglichkeit, Tierfolter abzuschaffen? Die Möglichkeit, das Welthungerproblem zu lösen, und das Weltklima-Problem? Keine halb verreckten Tiere mehr, die in Transportern quer durch Europa gekarrt werden. Keinem flauschigen Genossen wird mehr bei lebendigem Leib das Fell über die Ohren gezogen, um unseren Modetrieb zu befriedigen. Keine Arbeiter in den Ledergerbereien mehr, die von den toxischen Chemikalien Bronchitis und Lungenkrebs kriegen. Wir lassen unsere Ledermäntel einfach entspannt in den Laboren wachsen! Stellt euch vor. Bald kann man Stammzellen von allen möglichen Tieren in Teebeuteln kaufen und sich sein Schnitzel Zuhause selbst züchten. Im Meat-Maker! Froschburger gefällig? Krokodil-Leguan-Steak? Alles machbar. Und der Leguan sitzt fröhlich neben dem Petri-Dish und guckt zu, begeistert, dass er weiterleben darf. Molekularbiologen werden die Welt retten. Die Zukunft gehört der Postanimalischen Bio-Ökonomie!

ANDRE Yeah, super. Erst wird Clean Meat nur eine Option sein. Und dann –

HANNES Genau. Harmlos fängt's an, aber es endet damit, dass mein Meeresfrüchte-Salat auf dem Index landet. Ich spür's.

ANN Angst, dass man dir den Hummer vom Brot nimmt?

HANNES Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass der Labor-Hummer genauso gut schmeckt wie der echte Hummer. Und ich versteh ja die Empathie für Kälblein, Schweinlein und Lämmlein. Aber, Leute, Hummer?

KRISTINA Wenn wir HUMMER hier mal stellvertretend für alle Wirbellosen minderer neurophysiologischer Komplexität gebrauchen, dann lasst euch mal gesagt sein, dass –

ANDRE Ich lehne dieses Gespräch ab.

KRISTINA Dann lasst euch mal gesagt sein, dass –

ANDRE Ich lehne dieses Gespräch mit allem Nachdruck ab.

KRISTINA lauter Dann lasst euch mal gesagt sein, A, dass ich durchaus einen Unterschied mache zwischen höheren und niedereren Tieren. Und B, dass sogar ein Hummer Endorphine ausschüttet, was auf eine Form von Schmerzregulierung hinweist.

ANDRE Echt arm, mein Lieber, dass du mit Leuten abhängen musst, die den Unterschied zwischen Mensch und Hummer leugnen.

ANN Du sprichst mit dir selbst?

ANDRE Ich krieg grad solche Lust auf ein Salami-Brot. Geht zum Kühlschrank und holt sich eine Salami. Nice! Die Trüffel-Salami von Gustini, die ich als Kind immer hatte! Hält den Self-Tracker an die Wurst. Liest murmelnd Dreihundertdreißig Kalorien. Sechsundzwanzig Gramm Fett –

KRISTINA / ANN / HANNES Sie lesen Ihre Uhr und Ihre Uhr liest Sie!

ANDRE Idioten.

ANN Es gibt hier Fleisch im Kühlschrank? Krass.

KRISTINA André, es ist mir wurscht, mit welch leckerem Gemisch aus Schweinearsch, Knochenmus, Antibiotika und Glutamat du deinen sportgestählten Körper vergiftest. Es wär nur an der Zeit, dass du ein Bewusstsein dafür entwickeltest, dass du ein Tier bist unter Tieren.

ANDRE Ja. Warum nicht auch ein Gemüse unter Gemüsen? Die Trauer der Möhre über ihren Existenzverlust, die spielt natürlich keine Rolle. Der Schmerz der Möhre –

ANN Mann. Hör mir auf mit der verdammten Möhre. Die Möhre besitzt kein zentrales Nervensystem und somit auch kein Schmerzempfinden.

André beißt trotzig von der Salami ab.

ANDRE Hm. Yummy.

KRISTINA Immer wieder erstaunlich, wie schnell sich das Tier Mensch auf die Hinterpfoten stellt, sobald sein Überlegenheitsanspruch bedroht wird. Dabei ist human supremacy genauso unhaltbar wie white supremacy.

ANN Oder male supremacy.

HANNES Ich bin ja kein Unmensch. Ich schloss schon Freundschaften mit Katzen, auf Augenhöhe. Hilft mir aber nichts, wenn ich vor einem saftigen Brathähnchen stehe. Da fühle ich ein überwältigendes Verlangen.

KRISTINA Und ich fühle überwältigendes Mitleid.

ANDRE Und wisst ihr, was ich fühle? Überwältigende Langeweile.

ANN Mir wird hier entschieden zu viel gefühlt und zu wenig gedacht. Wenn ihr mal euer Hirn einschaltetet, statt munter eure Affekte zu kultivieren! Was ist vernünftig? Der größtmögliche Nutzen mit dem geringstmöglichen Schaden für die größtmögliche Menge Wesen. Da Tiere Schmerz und Angst empfinden können, müssen wir sie in die moralische Gemeinschaft mit aufnehmen. Natürlich nicht als Subjekte des moralischen Handelns, aber als Objekte. Ich beteilige mich an diesem Projekt, da ich es für vernünftig halte. Es ist offensichtlich, dass jedes Wesen, das als Subjekt seines Lebens angesehen werden kann, ob Mensch oder Tier, bestrebt ist, positive Erfahrungen zu machen. Wer gequält wird, macht keine positiven Erfahrungen. Wer tot ist, macht auch keine positiven Erfahrungen. Also ist es das Interesse des Tiers, zu überleben. Ich erkenne dieses Interesse an, habe aber auch selbst Interessen. Zum Beispiel will ich was rausfinden, via Tierversuch. Das Interesse der Ratte zu überleben kollidiert mit meinem Interesse, meine Neugier zu befriedigen und das Menschheitswissen zu mehren. In diesem Fall gewichte ich mein Interesse schwerer. Und jetzt hab ich Interesse an einem Schweinesteak. Das Interesse des Schweins zu überleben kollidiert mit meinem Interesse, es zu essen. In diesem Fall gewichte ich das Interesse des Schweins schwerer, da ich ja genug anderes Zeug zur Verfügung habe, was ich essen kann. Zum Beispiel – eine Möhre.

Schweigen.

HANNES In dubio pro Lustprinzip. Und zwar meins, nicht das des Schweins.

KRISTINA Macht ja nichts, dass so ein Durchschnitts-Schwein mehr Intelligenz besitzt als du.

HANNES Na ja. Mehr als ein Hund.

KRISTINA Ob du klüger als ein Hund bist, hast du bis jetzt noch nicht bewiesen.

HANNES Ich wär ja gern ein besserer Mensch! Aber ich bin so verführbar.

ANN Hedonist.

HANNES Ich spiel mich wenigstens nicht als unfehlbares Wesen auf. Ich steh zu meinen Schwächen.

ANN Eine höchst bequeme Einstellung für Denk- und Handlungs-Faule.

HANNES Es ist natürlich viel unbequemer, einen völlig haltlosen Utilitarismus zu verfolgen, der einem zufällig gerade in den Karriere-Kram passt.

ANN Fleisch essen? Warum nicht gleich im Ochsenkarren durch die Gegend kutschieren oder deine Bude mit einer Walfisch-Öl-Funzel beleuchten?

ANDRE Wir wollen Wurst. Wir wollen Wurst. Wir wollen Wurst.

ANN zu Kristina Die können einfach nicht akzeptieren, dass sie auf der Loser-Seite stehen. Dass sie einer längst vergangenen Welt nachweinen. Nur noch der Ewiggestrige frisst Fleisch. Der auch noch Siedler spielt und mit Festnetz telefoniert. Jedes Kind hat die Botschaft vernommen, die da lautet: Fleischkonsum ist überholt. Fleischessen ist wie Sahne-Meringue, Vokuhila und Rauchen im Fernsehen. Schlicht nicht mehr zeitgemäß.

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