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Literatur und Mehrsprachigkeit

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Neben der strukturellen Untersuchung von literarischem Sprachwechsel und literarischer Sprachmischung steht in den meisten einschlägigen Beiträgen der Forschung deren Funktion im Mittelpunkt des Interesses. Häufig geht dies einher mit der Abschätzung des (kultur-)politischen Potentials von Sprachwechsel. Bereits Theodor W. AdornoAdorno, Theodor W.s Überlegungen zum Fremdwortgebrauch von 1959 werten die scheinbare ›Verunreinigung‹ der Sprache, die Adorno wegen seines Hangs zu Fremdwörtern vorgeworfen worden war, als Widerstand gegen das »konformistische Moment von Sprache« (AdornoAdorno, Theodor W., »Wörter aus der Fremde«, 220) und kommen zu dem Schluss, »[i]n jedem Fremdwort« stecke »der Sprengstoff der Aufklärung« (ebd., 221). Aus einer ethischen Perspektive lässt sich Sprachwechsel, vor allem mit Blick auf die Figurenrede (siehe III.2), auch daraufhin befragen, inwiefern er kulturpolitisch die Interessen einzelner Sprachgemeinschaften oder Sprechergruppen verfolgt bzw. inwiefern er in sprachpolitische Konstellationen eingebunden ist oder eingreift. Diese Perspektive nehmen viele US-amerikanische Beiträge ein, etwa RosenwaldRosenwald, Lawrence A., der in diesem Zusammenhang die Literatur auf die treffende Darstellung von Sprachvielfalt verpflichtet (RosenwaldRosenwald, Lawrence A., »On Linguistik Accuracy in Literature«). Grundsätzlich sind viele Arbeiten zur regional gebundenen literarischen Mehrsprachigkeit daran interessiert, den Wirklichkeitsbezug literarischen Sprachwechsels abzuschätzen (siehe z.B. StrutzStrutz, Johann, »Istrische Polyphonie«, 208f., aber auch GrutmanGrutman, Rainier, Des langues que résonnent). GauvinGauvin, Lise zeigt an Lektüren zu französisch-kanadischen Autoren aus der Mitte des 20. Jahrhunderts, dass Sprachwechsel im Text als Strategie zur Subversion einer ›Sprachordnung‹ eingesetzt wird, die die literarische Sprache als (autoritäre) Sprache des Erzählers priorisiert (GauvinGauvin, Lise, »Faits et effets de langue«, 70f.). Ein Aufsatz von Marjorie PerloffPerloff, Marjorie von 2010 unterscheidet schließlich zwischen eher ästhetischen und eher in (kollektiver) Erfahrung wurzelnden Formen des literarischen Sprachwechsels (PerloffPerloff, Marjorie, »Language in Migration«) – und räumt dabei tendenziell der ›erfahrenen‹ zugunsten der bloß ›ästhetischen‹ literarischen Mehrsprachigkeit die ethische Priorität ein (vgl. dagegen Dembeck/UhrmacherUhrmacher, Anne, »Vorwort: Erfahren oder erzeugt?«).

Eine ausgreifende Systematisierung der Funktionen von literarischem Sprachwechsel hat HornHorn, András 1981 vorgelegt. Ihm zufolge dient der Sprachwechsel der Figurencharakterisierung (im Sinne von ›Realitätseffekten‹), der Erzeugung von Komik, der Vermittlung anderssprachig besser auszudrückender Bedeutungsnuancen oder auch der versteckten Kommentierung des Geschehens (Horn, »Ästhetische Funktionen der Sprachmischung«). Weiterhin unterstellt HornHorn, András die potentiell auch klangliche Motivation von literarischem Sprachwechsel und verweist auf Besonderheiten bei der Zitation (siehe III.2). Deutlich wird an dieser Zusammenstellung eine potentielle Ambivalenz von ästhetischer und ethischer bzw. allgemeiner: kulturpolitischer Motivation des Sprachwechsels. Erläutern lässt sich diese Ambivalenz vom Begriff der Verfremdung her, wie er in der Forschung mit Rückgriff auf Viktor B. ŠklovskijŠklovskij, Viktor B. verwendet worden ist, um einerseits den ästhetischen Effekt von Sprachwechsel und Sprachmischung zu beschreiben (so etwa Kilchmann,Kilchmann, Esther »Poetik des fremden Worts«), andererseits aber deren kulturpolitisches Potential abzuschätzen. Schmitz-EmansSchmitz-Emans, Monika hat 1997 als Funktionen von Sprachwechsel und -mischung die Herausarbeitung sprachlicher Einschränkung, die metaphorische Anzeige der Vermischung von Fremdem und Vertrautem und die Verfremdung ausgemacht (Die Sprache der modernen Dichtung, 94–97), und Edzard ObendiekObendiek, Edzard diskutiert in einem Buch aus dem Jahr 2000 Sprachwechsel systematisch vor dem Hintergrund kultureller Fremdheitserfahrung (Der lange Schatten des babylonischen Turmes). Aus eher linguistischer Perspektive hat Wolfgang MoserMoser, Wolfgang die Funktionalität von sog. ›Xenismen‹ untersucht, also sprachstrukturelle Auffälligkeiten, an denen sich ablesen lässt, dass ein Sprecher die Sprache als Fremdsprache spricht (MoserMoser, Wolfgang, Xenismen). Sturm-TrigonakisSturm-Trigonakis, Elke weist darauf hin, der literarische Sprachwechsel habe den Effekt einer »Entautomatisierung der Sprache« (Global Playing, 154) – und damit potentiell emanzipatorische Funktion.

Die wahrscheinlich derzeit avanciertesten Überlegungen zur kulturpolitischen Relevanz von Sprachwechsel und -mischung haben schließlich drei Monographien US-amerikanischer Provenienz vorgelegt, auch wenn sich deren Überlegungen in weiten Teilen auf die Gegenwart beschränken. So legt Brian LennonLennon, Brian dar, dass sich unter der Voraussetzung des modernen, an Nationalstaatlichkeit und Massenmedien gekoppelten Einsprachigkeitsparadigmas Verfahren der Eindämmung (des »containment«) von Sprachwechsel und -mischung im (publizierten) literarischen Text etablieren (LennonLennon, Brian, In Babel’s Shadow, 10). Da der Buchmarkt mit einsprachigen literarischen Öffentlichkeiten rechnet und daher die Produktion nicht nur möglichst einsprachiger, sondern vor allem auch übersetzbarer Texte begünstigt, sind dem Einsatz von Sprachdifferenzen, die in einer anderen Sprache womöglich nicht darstellbar wären, Grenzen gesetzt. LennonLennon, Brian beschreibt die Verfahren des containment von Sprachwechsel und Sprachmischung (für diese Unterscheidung selbst interessiert er sich nicht) in erster Linie als Techniken zur Erzeugung von Redundanz, sei es durch die Übersetzung anderssprachiger Ausdrücke oder durch andere Verfahren, die dem Leser mittelbar ihre Bedeutung erschließen. Mit Rückgriff auf diese Beschreibung trifft er dann die Unterscheidung zwischen starker und schwacher Mehrsprachigkeit literarischer Texte: Stark mehrsprachige Texte bringen Sprachdifferenzen so in den Text ein, dass sich möglichst wenig Redundanz ergibt, bei schwach mehrsprachigen Texten werden die Auswirkungen von Sprachdifferenz auf das Verständnis durch starke Redundanz eingeschränkt (ebd., 17f., 74f., 81f.). YildizYildiz, Yasemin, die sich ebenso wie Lennon vor allem für Strategien interessiert, literarisch die Vorgaben des Einsprachigkeitsparadigmas zu unterlaufen, legt in ihren Detailstudien zu Texten KafkaKafka, Franzs, ÖzdamarsÖzdamar, Emine Sevgi, ZaimoglusZaimoglu, Feridun und TawadasTawada, Yoko Verfahren des Sprachwechsels und der Sprachmischung offen, die denen, die LennonLennon, Brian beschreibt, ähneln: die Arbeit mit (teils verborgenen, d.h., nicht markierten und nur den Kennern der jeweiligen Sprachen zugänglichen) wörtlichen Übersetzungen, Fremdwörtereinsatz (mit oder ohne Übersetzung), mehrsprachiges Sprachspiel oder die Mischung von Soziolekten und literarischen Stillagen (YildizYildiz, Yasemin, Beyond the Mother Tongue). Auch ihr geht es allerdings nicht zentral darum, die Bandbreite der existierenden Verfahren literarischer Mehrsprachigkeit zu erschließen. David GramlingGramling, David hat schließlich vorgeschlagen, die soziolinguistische Unterscheidung zwischen ›glossodiversity‹ und ›semiodiversity‹ zur Beschreibung literarischer Mehrsprachigkeit zu nutzen (siehe umfassend seine Monographie von 2016, The Invention of Monolingualism, 31–36; GramlingGramling, David hat seinen Vorschlag aber bereits vorher in Aufsatzform unterbreitet). Dabei versteht er in Anschluss an M.A.K. HallidayHalliday, Michael A.K. unter Glossodiversität das Nebeneinander unterschiedlicher Verfahren der Codierung, nach denen Texte erzeugt werden und bei denen man davon ausgeht, dass sie problemlos ineinander übersetzt werden können; als Semiodiversität bezeichnet er hingegen die Tendenz von Sprache, im Prozess der Bedeutungsgenerierung jeden Code zu verändern und damit potentiell zu vervielfältigen. Daraus lässt sich die Frage ableiten, inwiefern literarische Texte im Sprachwechsel die Tendenz zeigen, jenseits der schieren Glossodiversität des Code-Switchings, sei es nun im Sinne LennonLennon, Brians ›contained‹ oder nicht, ein Mehr an Semiodiversität zu erzeugen, also ein Mehr an Bedeutsamkeit, das sich nicht auf die eine oder andere der benutzten Sprachen reduzieren lässt. Wenn es bei der Sprachmischung naheliegt, zunächst schlicht davon auszugehen, dass hier, weil die segmentäre Trennung zwischen den Codes wegfällt, sich gewissermaßen automatisch ein Zuwachs an Semiodiversität einstellt, so wäre doch zu fragen, wie groß und welcher Art solche Zuwächse sein können und wie sie im Einzelnen erzielt werden.

In historischer Hinsicht ist die philologische Erforschung von Sprachwechsel und Sprachmischung sehr lückenhaft, zumal dann, wenn man die Perspektive nicht auf einzelne nationalphilologisch erfasste Zusammenhänge beschränken möchte. Am besten erforscht sind, zumindest was die Quellenlage betrifft, sicherlich Antike und Mittelalter. Dies ist nicht nur auf die vergleichsweise geringe Menge an Texten zurückzuführen, die überliefert ist, sondern auch auf die traditionelle Offenheit zwischen literaturhistorischer und linguistischer Forschung in diesen Bereichen. Überblicksdarstellungen zur Geschichte von Sprachmischung und -wechsel in der Literatur finden sich beispielsweise bei ElwertElwert, W. Theodor (»L’emploi de langues étrangères« und »Fremdsprachige Einsprengsel in der Dichtung«), ForsterForster, Leonard (The Poet’s Tongue), Sturm-TrigonakisSturm-Trigonakis, Elke (Global Playing, 111–120), HelmichHelmich, Werner (Ästhetik der Mehrsprachigkeit, 47–76) sowie in einem von Weertje WillmsWillms, Weertje und Eva ZemanekZemanek, Eva herausgegebenen Heft der Zeitschrift Komparatistik Online von 2014 (daraus etwa ZimmermannZimmermann, Bernhard, »Dialekte und ›foreigner talk‹ im griechischen Drama« und PolizziPolizzi, Gilles, »Sprache des Anderen oder eigene Sprache?«). Die neuphilologischen Darstellungen setzen dabei meist in der Frühen Neuzeit ein, lassen das 19. Jahrhundert tendenziell aus, weil es als Höhepunkt nationalistisch motivierter literarischer Einsprachigkeit gilt, und beschreiben mehr oder weniger ausführlich die Avantgarden zu Beginn des 20. Jahrhunderts sowie dasjenige, was Sturm-TrigonakisSturm-Trigonakis, Elke als »Neue Weltliteratur« bezeichnet.

 

Eine ruhmreiche Ausnahme von der Blindheit der Nationalphilologien für Sprachwechsel und -mischung in literarischen Texten bildet seit langem die Romanistik. Das hat zweifelsohne damit zu tun, dass die Disziplin immer schon mehrere Sprachgebiete und Nationen abdeckt. Seit den 1980er Jahren ist insbesondere der Romanist Alfons KnauthKnauth, K. Alfons nicht nur mit einer Reihe von Arbeiten zu einzelnen mehrsprachigen Texten hervorgetreten, sondern vor allem mit einigen Übersichtsdarstellungen. Darin wird allerdings nur wenig systematisch zwischen unterschiedlichen Verfahren literarischer Mehrsprachigkeit unterschieden. Die jüngste Arbeit eines Romanisten, die aus philologischer Hinsicht Sprachwechsel und Sprachmischung behandelt, ist die bereits mehrfach zitierte Arbeit von HelmichHelmich, Werner. Es handelt sich um die umfassendste Monographie über literarischen Sprachwechsel, die derzeit vorliegt.

d) Anwendungs-/Analysebeispiele

(1) Bei Johann FischartFischart, Johanns Affentheurlich Naupengeheurliche Geschichtsklitterung aus dem Jahre 1575 handelt es sich zunächst um eine Adaption des zweiten Romans von François RabelaisRabelais, François, Gargantua (ca. 1534), wobei Fischart dem Text von RabelaisRabelais, François allerdings zahlreiche Passagen hinzugefügt und ihn insgesamt so stark verändert hat, dass man ihm nicht zuletzt auch einen sehr eigenständigen Umgang mit Sprachenvielfalt unterstellen kann. Kennzeichnend sind für Fischarts Schreibverfahren einerseits eine Vielzahl von (oft mehrsprachigen) Wortspielen, andererseits sprachspielerische Verfahren der Übersetzung, die sich teils als Formen von Sprachmischung verstehen lassen. Die ausführliche Arbeit von Gerd SchankSchank, Gerd über Etymologie und Wortspiel in der Geschichtsklitterung hat in beiden Fällen einen Bezug zu zeitgenössischen Verfahren der Etymologie und zu Fischarts Sprachtheorie hergestellt. Demzufolge vertritt FischartFischart, Johann eine »physei-Theorie« der Sprache (SchankSchank, Gerd, Etymologie und Wortspiel, 7–143), hat also die Auffassung, dass sprachliche Benennungen ursprünglich eine Aussage über das Wesen der benannten Dinge enthalten, und dass die Etymologie bzw. die wortspielerische Neufassung insbesondere von Eigennamen, wie sie FischartFischart, Johanns Roman betreibt, dann als Erschließung einer eigentlichen, in der Sprachgeschichte verschütteten Bedeutung aufgefasst werden kann. Schank unterscheidet in seiner Arbeit strikt zwischen Wortspiel und Etymologie – auch wenn seine Ausführungen insbesondere über die ältere Etymologietradition, der er Fischart zurechnet, klar zeigen, dass Etymologie hier als (paronomastisches) Wortspiel betrieben wird (siehe z.B. ebd., 93–95). Auch differenziert SchankSchank, Gerd zwischen spöttischen, gegen in FischartFischart, Johanns Augen falsche Etymologien gerichteten Wortspielen und ernstgemeinten eigenen. Es fällt allerdings schwer, angesichts der überbordenden humoristisch-satirischen Schreibweise im Einzelfall tatsächlich zu entscheiden, was im Text strikt ernsthaft aufzufassen ist und was nicht.

Die Wortspiele in Fischarts Geschichtsklitterung gehen größtenteils auf Paranomasien zurück – im Gegensatz zu denjenigen bei RabelaisRabelais, François, der sehr viel mehr mit Homonymen arbeitet. SchankSchank, Gerd bringt diesen Umstand mit seiner These in Verbindung, dass Fischart als Vertreter der »physei-Theorie« der Sprache Homonymität grundsätzlich als unrechte Verwirrung eigentlicher Bedeutungen auffassen muss (ebd., 131–133). Fischart benutzt also geringfügige Veränderungen der Wortformen, um neue Bedeutungsfacetten der einzelnen Begriffe zu erschließen. Im Ergebnis changieren die Worte oft zwischen zwei Sprachen, meist zwischen Deutsch und Latein oder zwischen Deutsch und Französisch. So wird das Wort »Bakkalaureus« enggeführt mit »Becherlehraus« (siehe die Belege ebd., 283), und hinter »Rabelistigem ernst« verbirgt sich wohl eine Etymologie des Namens RabelaisRabelais, François (ebd., 418). In vielen Fällen geht das mehrsprachige Wortspiel in FischartFischart, Johanns Roman einher mit übersetzerischen Kunstgriffen. Viele der wortspielerischen Erschließungen von Eigennamen lassen sich, was die Verballhornung des Namens Rabelais zeigt, auch als homophone Übersetzungen auffassen – was nicht zuletzt auch auf die von Rabelais befolgte komödiantische Tradition der sprechenden Namen zurückgeht. Weiterhin findet in der Übersetzung oft eine Erweiterung eines Begriffs des Originaltextes in eine Begriffsreihe statt, in der die Bedeutung des französischen Begriffs gleichsam ausgetestet wird. In diese Begriffsreihungen sind teilweise ebenfalls mehrsprachige Wortspiele eingearbeitet. Wort- und Klangspiel (oft durch Reim) gehen hier Hand in Hand.

Im Einzelnen lässt sich das Zusammenspiel zwischen diesen unterschiedlichen Verfahren von Sprachwechsel und -mischung nur exemplarisch beleuchten. Das hier ausgewählte Beispiel findet sich in der zweiten Vorrede der Ausgabe von 1590, d.h., in derjenigen Vorrede, die an diejenige bei RabelaisRabelais, François angelehnt ist, wenn sie sie auch um ein Vielfaches ausdehnt (die erste erläutert u.a. das Unternehmen und die Prinzipien der Übersetzung).1Rabelais, François Die zweite Vorrede betitelt FischartFischart, Johann als »VorRitt, oder das Parat und Bereytschlag, inn die Chronick vom Grandgoschier, Gurgellantual und Pantadurstlingern«; der Text richtet sich an »meine Schlampampische gute Schlucker, kurtzweilige Stall und Tafelbrüder«2Fischart, JohannNyssen, Ute und handelt von der Verbindung zwischen Trinken und Dichten. Eine der ergiebigsten Passagen mit Blick auf Sprachmischung ist die folgende (die übrigens kein Gegenstück in der Vorlage von RabelaisRabelais, François hat):

Derhalben Potor esse volo, Quia cantor esse volo. Ich Trinck daß ich sing und sinck, und sing daß ich trinck, spring unnd hinck: Ich bin eyn Hofmann, kan Senff essen, und doch nicht weinen: Kont nit der Heß mit seinen Weingetränckten Versen die Psalmen schön außtrucken? O ihr Potulente Poeten, potirt der pott und bütten, unnd potionirt euch potantlich mit potitioniren, compotiren unnd expotiren, dann potiren und appotiren kompt von petiren und appetiren, unnd pringt potate poesei, dieweil potantes sind potentes. Unnd Potentaten sind Potantes.3

Die durch den Reim bezeugte Beziehung zwischen Trinken, Singen, Sinken, Springen und Hinken, die die Aussage des lateinischen Satzes veranschaulicht, leitet hier über in ein deutsch-lateinisch-französisches Wortspiel. Dieses Wortspiel ist bereits kurz zuvor durch eine etymologische Deutung vorbereitet worden; hier heißt es: »will ich sie lassen die bodenloß Göttin Potinam walten, sintemal Poeten von Potus, Potae, il boit, und Pott kommet«.4Nyssen, UteFischart, JohannNyssen, UteSchank, GerdSeelbach, Ulrich Das (eigentlich natürlich dem Griechischen entlehnte) Wort ›poeta‹ wird mit lat. ›potus‹ (Trank) und sodann mit dem deutschen Wort ›Pott‹ und dem französischen Verb ›boire‹ (trinken) in Verbindung gebracht, und dies alles im Namen der Göttin ›Potina‹, bei der es sich laut NyssenNyssen, Ute um die »Schutzgöttin d[er] Kinder« handelt, denen sie »d[as] Trinken gedeihen läßt«.5Nyssen, UteFischart, Johann Diese Sprachverbindung wird in der zitierten Stelle noch ausgebaut, vor allem durch die Bildung deutscher Neologismen aus lateinischen Wörtern. Zu den Grundformen ›poeta‹ und ›potus‹ (hier auch repräsentiert durch Derivate wie ›potulentus‹ – trinkbar/trinkfest, ›potio‹ – das Trinken, ›potare‹ – sich volltrinken, ›potitare‹ – saufen) gesellen sich Wörter, die auf die Verben ›potiri‹ (etw. teilhaftig werden), ›posse‹/›potesse‹ (können) und ›petere‹ (nach etw. greifen) zurückgeführt werden können. Teils sind diese Bezüge recht klar: ›Potulente Poeten‹ sind offenbar trinkfeste Dichter; ›potirt der pott und bütten‹ beinhaltet offenbar die Aufforderung, an Pötten und Bütten teilzuhaben; ›potioniren‹ dürfte sich als auf ›potio‹ zurückgehende Verbform interpretieren lassen; ›potantlich‹ geht auf ›potare‹, ›potitioniren‹ auf ›potitare‹ zurück, so dass man es hier mit einer Art mehrstufiger Verschachtelung des Trinkvorgangs zu tun hat; ›compotiren‹ kommt von ›compotire‹ – sich einer Sache bemächtigen, während ›expotiren‹ offenbar das Gegenteil davon bedeutet; die Zusammenführung des Trinkens mit dem Teilhaben bzw. Sich-Bemächtigen wird sodann konkretisiert und mit dem Zugreifen (›petiren‹/›appetiren‹) in Zusammenhang gebracht; die Aufforderung ›pringt potate poesei‹ schließlich lässt sich am ehesten noch als gedoppelter Imperativ auffassen (›bringt trinkt der Poesie‹), wenn ›potate‹ als Form von ›potare‹ aufgefasst wird; und schließlich stellt sich auch der Zusammenhang zu Können und Macht her, wenn die Trinkenden (›potantes‹) mit den Könnenden (›potentes‹) und die Potentaten wiederum mit den Trinkenden in eins gesetzt werden.

FischartFischart, Johanns wortbildnerische Fantasie richtet sich mit Vorliebe auf das Essen und Trinken. Das zeigt sehr eindrucksvoll das achte Kapitel der Geschichtsklitterung, das »die Truncken Litanei, unnd der Säuffer unnd guten Schucker, Pfingsttag« beschreibt und nachgerade JoyceJoyce, James’sche Darstellungsverfahren vorwegnimmt. In diesem Punkt ist der Text von Prinzipien getragen, die denen ähneln, die BachtinBachtin, Michail M. in der Auseinandersetzung mit RabelaiRabelais, Françoiss als ›karnevalesk‹ bezeichnet hat. Für die kulturpolitische Interpretation von Sprachwechsel und -mischung in der Geschichtsklitterung gilt es zu bedenken, dass Fischart, anders als Rabelais, von einer dezidiert protestantischen Position aus schreibt (siehe SchankSchank, Gerd, Etymologie und Wortspiel, 196). Allerdings hat bei Fischart wie bei Rabelais die fantasievolle Überschreitung der Sprachgrenzen, so revolutionär sie sich auch aus heutiger Perspektive ausnimmt, wahrscheinlich eine sehr viel konservativere Funktion, als man annehmen könnte. Denn FischartFischart, Johann geht es darum, seine (kulturpolitischen) Gegner satirisch zu treffen – vor allem die Gegenreform – und zur Etablierung der deutschen Literatursprache beizutragen. Nicht zuletzt dem dienen auch die vielen Etymologien und homophonen Übersetzungen. Man könnte die extreme sprachliche Promiskuität des Textes in Analogie zu BachtinBachtin, Michail M.s Argument über RabelaisRabelais, François so letztlich als eine Art Stärkungs- und Reinigungsprozedur des frühneuzeitlichen Sprachgefüges auffassen.

(2) Heinrich HeineHeine, Heinrich ist derjenige deutschsprachige Autor des 19. Jahrhunderts, der am ehesten eine Kulturpolitik der ›unreinen‹ Sprachverwendung verkörpert – ein Ruf, den er einerseits dem Wirken nationalistischer Sprachpuristen bis hin zum Nationalsozialismus,6Reich-Ranicki, MarcelHeine, Heinrich andererseits der ganz anders gelagerten, ebenso wirkmächtigen wie verheerenden Sprachkritik von Karl KrausKraus, Karl zu verdanken hat. Tatsächlich ist der Anteil offenkundig anderssprachiger Strukturen und Elemente – sie stammen meist aus dem Französischen – in Heines Texten allerdings gar nicht so hoch, wie es eine solche Rezeption annehmen lässt. In seinem im 19. Jahrhundert berühmtesten Werk, dem Buch der Lieder (1927), finden sich nur sehr wenige Texte, die neben dem deutschen auch französisches Vokabular verwenden. Der Eindruck von Fremdartigkeit, der sich offenkundig bei vielen Lesern eingestellt hat, geht wohl eher auf den Einsatz deutschsprachiger idiomatischer Differenzen zurück. Denn HeineHeine, Heinrich ist ein Meister des beständigen ›Tonwechsels‹ in Lyrik wie in Prosa. Vor diesem Hintergrund ist der gelegentliche Einsatz auffälliger Formen von Sprachwechsel und Sprachmischung nicht nur als Verfahren zur Bereicherung des poetischen Vokabulars oder zur poetischen Verfremdung zu deuten; vielmehr erscheint der Einsatz anderssprachiger Wörter oder ursprünglich aus anderen Sprachen kommender metrischer Schemata als Ausweitung einer Strategie der Vervielfältigung, die seiner Sprachverwendung immer schon innewohnt.

Das folgende Gedicht aus dem Buch der Lieder (Lyrisches Intermezzo)7Heine, HeinrichWindfuhr, ManfredGrappin, Pierre beschwört den Kontrast zwischen dem Wiedererwachen von Lebensfreude im Frühjahr und dem Schmerz des Sprechers, dessen Geliebte einen anderen Mann geheiratet hat:

 

Die Erde war so lange geitzig,A
Jetzt kam der May, sie ward spendabel,A
Und Alles lacht, und jauchzt, und freut sich,A
Ich aber bin nicht zu lachen kapabel.B
Die Blumen sprießen, die Glöcklein schallen,A’
Die Vögel sprechen wie in der Fabel,A’
Mir aber will’s Gespräch nicht gefallen,B’
Ich finde Alles flach und miserabel.A/B’
Das Menschenvolk mich ennuyiret,A
Sogar der Freund, der sonst passabel --A
Das kommt, weil man Madam tituliretA’
Mein süßes Liebchen, so süß und aimabel.A’/B

Sprachwechsel liegt hier in erster Linie in den Reimwörtern vor (wenn man von »Madam« absieht), die dem Französischen entstammen – oder zumindest so aussehen: »kapabel«, »miserabel«, »aimabel« und »passabel« sind (orthographisch eingedeutschte) französische Adjektive, die im Deutschen mehr (»miserabel«) oder weniger häufig (»aimabel«) benutzt werden. Das Wort »spendabel« ist ein besonderer Fall, denn es kombiniert ein deutsches (oder englisches) Verb mit einem französischen (oder allgemein romanischen) Suffix und klingt französisch, obgleich es im Französischen nicht gebräuchlich ist. Das Verb »ennuyiret« ist im Deutschen ein dem Französischen entlehnter Neologismus, anders als sein Reimwort »tituliret«, das auf das Lateinische ›titulare‹ zurückgeht.

Um die spezifische Form der Sprachmischung zu erschließen, die das Gedicht jenseits des auf Einzelworte beschränkten Sprachwechsels aufweist, ist es nötig, seine metrische ›Orchestrierung‹ ins Auge zu nehmen. Es finden sich drei unterschiedliche metrische Schemata: vierhebige Jamben (A), in Variation davon ebenfalls auftaktige, aber mit Doppelsenkungen durchsetzte vierhebige Verse (A’) und vierhebige (auftaktlose) Daktylen (B), die umgekehrt teils mit einfachen Senkungen durchsetzt sind (B’). In der ersten Strophe wird das ruhige, ja fast schon behäbige Schema A durch den energischen Einsatz von Schema B durchbrochen, und zwar genau in dem Moment, in dem der Sprecher seine eigene Melancholie der allgemeinen romantischen Feier des Frühlings entgegensetzt. Die zweite Strophe nimmt die Dynamik des letzten Verses der ersten Strophe dadurch auf, dass sie Doppelsenkungen in das jambische Schema A einstreut. Ironischerweise ist der letzte Vers dieser Strophe, der semantisch in Parallele zum letzten Vers der ersten Strophe steht, doppeldeutig: Er lässt sich als Rückkehr zum rein jambischen Schema A deuten – dies ist dann eher als ruhige Resignation zu deuten; man kann diesen Vers aber auch ohne Auftakt lesen – und dann handelt es sich gewissermaßen um eine gebremste, leicht zurückgenommene Variante von Schema B.

Alles in allem vollzieht das Gedicht eine doppelte Bewegung: Einerseits folgt es einer romantischen Poetik, wenn es gewissermaßen versucht, eine kommunikative Beziehung zur Natur selbst zu evozieren oder gar in seiner ästhetischen Faktur vorwegzunehmen; andererseits durchbricht es diesen Impetus immer wieder und desillusioniert den Leser, ohne dass dadurch der romantische Entwurf ungültig würde. Auf der Ebene der Form entspricht dem das Wechselspiel zwischen den zwei metrischen Schemata, denn Schema A bequemt sich der romantischen Poetik an bzw. versucht sie einzulösen, während Schema B diese Akkomodation unterbricht. Das umgangssprachliche, nur scheinbar französische Wort »spendabel« nimmt diesen Bruch allerdings schon im zweiten Vers vorweg und lässt diese gesamte Kette der französischen oder französisierenden Neologismen ebenfalls als Kontrastschema erscheinen, das seinerseits durch das nachgerade archaisch wirkende Wort »Fabel« in der zweiten Strophe unterbrochen wird. Man mag zunächst denken, dass die französischen Reimworte für jene oberflächliche Gesellschaftssphäre einstehen, in die die vormalige Geliebte des Sprechers als »Madam« eingetreten ist (siehe DanneckDanneck, Anna, »›Kapabel, miserabel, aimabel‹«, 8). Dann würde mit ihnen die Redeweise der guten Gesellschaft imitiert, sie wären also als versteckte Zitate in die Rede des Sprechers eingedrungen, die als »innerlich dialogisiert« aufzufassen wäre (HornHorn, András, »Ästhetische Funktionen der Sprachmischung«, 233). Damit würde jedoch die grundsätzliche Mehrdeutigkeit der Kontraststruktur unterschätzt, deren Teil sie sind. Letzten Endes bietet sich eher eine kulturpolitische Deutung an: Die Vervielfältigung, ständige ironische Durchbrechung und Spiegelung der lyrischen Sprache selbst ist es, die es dem Sprecher ermöglicht, seine romantische Liebe zur Oberflächlichkeit der Welt nicht sogleich durch eine verkehrte und vor allem politisch nicht erlaubte Bitterkeit wieder zu verraten.

(3) In James Joyce’ Roman FinnegansJoyce, James Wake (1939) wird das Verfahren der Sprachmischung, speziell dasjenige der mehrsprachigen Paronomasie zum durchgängig verwendeten Schreibprinzip erhoben. Der Text besteht zu einem großen Teil aus Worten, deren sprachliche Zugehörigkeit zweifelhaft oder uneindeutig ist, und die schiere Menge der Idiome, zu denen sich Bezüge herstellen lassen, macht den Roman zu einer Herausforderung für jeden Leser. Die von Roland McHughMcHugh, Roland zusammengestellten Annotations to FinneJoyce, Jamesgans Wake listen im Abkürzungsverzeichnis insgesamt 61 Sprachen und/oder Varietäten auf, auf die sich Worterklärungen beziehen.8McHugh, RolandJoyce, James In dieser Liste finden sich neben den europäischen Bildungssprachen beispielsweise auch Arabisch, Mandarin, Hindustani, Japanisch, Malay, Rätoromanisch und Sanskrit sowie die Plansprachen Esperanto und Volapük. Die Forschung zu Joyce’Joyce, James Roman hat herausgearbeitet, dass der Text durchgängig mehrere Geschichten zugleich erzählt. Damit wird ein Verfahren auf die Spitze getrieben, das bereits im Ulysses Anwendung findet, denn dieser Roman fordert allein durch seinen auf den ersten Blick kaum auf das Geschehen bezogenen Titel dazu auf, die geschilderten Ereignisse nicht nur als Erlebnisse Dubliner Anwohner am 16. Juni 1904 zu verstehen, sondern ihnen zugleich eine proto-mythologische Bedeutung zuzumessen. In FinneganJoyce, Jamess Wake hat die Forschung eine Vielzahl von Bezugsebenen ausgemacht, auf die sich das Erzählen beziehen lässt, aber anders als im Ulysses ist es keinesfalls ausgemacht, dass es eine Art Basisgeschichte gibt.

Die Simultanität multipler Bezugsebenen resultiert nicht zuletzt aus der überbordenden Mehrsprachigkeit der Paronomasien. Die Leistung des Textes besteht darin, dass die gleichzeitige Zuordenbarkeit vieler Wörter zu mehreren Sprachen oder aber ihre Doppeldeutigkeit in einer Sprache eine Vielzahl von Konnotationen weckt, die sich zu Geschichten oder zumindest Mythologemen verdichten, so dass sich der Eindruck einstellt, es mit einer Erzählung zu tun zu haben, die eine mehr als nur doppelte Zeitstruktur aufweist: Ist für Erzählen schlechthin charakteristisch, dass die Zeitstruktur des Erzählens (récit) sich grundsätzlich von derjenigen des Erzählten unterscheiden lässt (histoire), so lassen sich dem Erzählen in Finnegans Wake eine letztlich sogar schwer zu bestimmende Vielzahl an Geschichten zugleich zuordnen. Der Vervielfältigung der Idiome des Erzählens entspricht die Vervielfältigung der Geschichte(n). Der Eindruck des Lesers, man könne den Roman nicht zu Ende lesen, weil sich fortwährend weitere esoterische Lesarten zu erkennen geben, die sich zugleich dem fixierenden Zugriff entziehen, wird überdies durch die zyklische Anlage des récit bestätigt, denn der Anfang zu dem unvollständigen Satz, mit dem der Roman einsetzt, findet sich erst ganz am Ende des Romans (»A way a lone a last a loved a long the«9Joyce, JamesJoyce, James – »riverrun, past Eve and Adam’s«10).