Handbuch der Sprachminderheiten in Deutschland

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5.4.2 Die vom Bund finanzierten Projekte

Eine vorläufige Analyse der Verteilung der Projekte ergibt folgendes Bild:


Jahr Projekte
2000 3
2001 10
2002 13
2003 16
2004 15
2005 20
2006 16
2007 11
2008 10
2009 14
2010 7
2011 17
2012 14
2013 14
2014 13
2015 17
2016 13
2017 17

Tab. 3: Zahl der Projekte pro Jahr 2000–2017 (Gesamtzahl 240)1


Zuschussempfänger Anzahl der Projekte
Ferian för en nuurdfresk radio (ffnr) 7
Fering Ferian 15
Ferring Stiftung 11
Frasche Feriin for e Ååstermååre 9
Friesenrat 41
Friisk Foriining 54
Frisia Historica 1
Gemeinde Helgoland 1
Heimatverein Nordstrand 1
Medienbüro Riecken 1
Museumsverein Insel Föhr – Dr.-Carl-Häberlin-Friesenmuseum 2
Nordfriesische Wörterbuchstelle der Universität Kiel 14
Nordfriesischer Verein Dagebüll 8
Nordfriesischer Verein 26
Nordfriesisches Institut 40
Öömrang Ferian 14
Rökefloose 7
Söl’ring Foriining 30

Tab. 4: Zahl der Projekte pro Zuschussempfänger 2000–2017

Da manchmal unterschiedliche Institutionen ein gemeinsames Projekt durchführen, ergibt eine Zusammenzählung der Projekte in dieser Liste mehr als 240 Projekte. Die Nordfriesische Wörterbuchstelle der Universität Kiel arbeitet zum Beispiel öfters mit dem Öömrang Ferian, dem Fering Ferian und der Ferring Stiftung zusammen, so dass hier ein Projekt mit vier Projektträgern vorliegt.

Zahlen zur Höhe der Bezuschussung der einzelnen Projekte sind für die Jahre 2000–2002 im Minderheitenbericht 2000–2005 veröffentlicht worden. Für die Jahre 2004 und 2005 sind Zahlen in der Zeitschrift Nordfriesland Nr. 154 (Juni 2006) und für das Jahr 2006 in Nordfriesland Nr. 158 (Juni 2007) abgedruckt. Weitere Zahlen sind für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Ein Vergleich der zusätzlichen Förderung bei den einzelnen Institutionen und Vereinen durch Projektförderung aus Bundesmitteln wäre damit nur für die ersten Jahre möglich.

2001 hat der Friesenrat grobe Richtlinien für die Priorisierung von Projekt­anträgen aufgestellt.2

6 Die rechtliche Stellung des Friesischen
6.1 Die regionale Ebene (Land)
6.1.1 Die Landesverfassung

Nachdem der friesischen Volksgruppe durch die sogenannte „Kieler Erklärung“ 1949 bestimmte Rechte eingeräumt worden waren, gingen diese 1955 infolge der sogenannten „Bonn-Kopenhagener Erklärungen“ wieder verloren (Walker 1996: 19f.). Erst mit der Umarbeitung der Landessatzung Schleswig-Holsteins zu einer Landesverfassung wurde 1990 die friesische Volksgruppe wieder in ein Rechtsdokument aufgenommen. Hier heißt es in Artikel 5 „Nationale Minderheiten“, Absatz 2:

Die kulturelle Eigenständigkeit und die politische Mitwirkung nationaler Minderheiten und Volksgruppen stehen unter dem Schutz des Landes, der Gemeinden und der Gemeindeverbände. Die nationale dänische Minderheit und die friesische Volksgruppe haben Anspruch auf Schutz und Förderung.1

In der weiter entwickelten Fassung vom 2. Dezember 2014 befasst sich jetzt Artikel 6 mit „Nationalen Minderheiten und Volksgruppen“. Hier lautet der zweite Satz im Absatz 2:

Die nationale dänische Minderheit, die Minderheit der deutschen Sinti und Roma und die friesische Volksgruppe haben Anspruch auf Schutz und Förderung.2

Die Freude über die Aufnahme der friesischen Volksgruppe in die Landesverfassung wurde 1996 gedämpft, als die Professur für Friesisch an der Bildungswissenschaftlichen Hochschule (Universität) Flensburg gestrichen wurde. Trotz der Proteste und einer Debatte im Landtag stellte es sich heraus, dass der Artikel 5 zu den Staatszielen gehörte,

die zwar den Staat bei seinem Handeln verpflichten und verbindliche Orientierung erlauben, sie gewähren aber dem einzelnen keine subjektiv einklagbaren Rechte. (Fischer 1998: 315)

Es war also nicht möglich, den Rektor der Bildungswissenschaftlichen Hochschule dazu zu bewegen, die Friesisch-Professur wieder einzurichten (vgl. Kap. 7.3.3).

In der Neufassung der Landesverfassung von Dezember 2014 wurde im Artikel 12 „Schulwesen“ der Absatz 6 neu aufgenommen. Hier heißt es: „Das Land schützt und fördert die Erteilung von Friesischunterricht und Niederdeutschunterricht in öffentlichen Schulen“.3

6.1.2. Das Friesisch-Gesetz

Am 13. Dezember 2004 wurde das in deutscher und friesischer Sprache formulierte „Gesetz zur Förderung des Friesischen im öffentlichen Raum“ (Friesisch-Gesetz) beschlossen.1 Das Gesetz sieht vor, dass in Nordfriesland sowie auf der Insel Helgoland Bürger und Bürgerinnen sich an Behörden in friesischer Sprache wenden können, dass friesische Sprachkenntnisse bei der Einstellung im öffentlichen Dienst berücksichtigt werden, dass an öffentlichen Gebäuden eine zweisprachige Beschilderung in deutscher und friesischer Sprache angebracht wird bzw. angebracht werden kann, und dass die vorderseitige Beschriftung von Ortstafeln ebenfalls zweisprachig in deutscher und friesischer Sprache erfolgen kann (vgl. dazu unten Kap. 10).

Das Friesisch-Gesetz kann im Hinblick auf die Ortstafeln als Ergänzung zum Erlass des schleswig-holsteinischen Verkehrsministers vom 20. August 1997 gesehen werden, der erstmalig zweisprachige Ortstafeln zuließ.

 

Am 29. Juli 2016 trat eine überarbeitete Fassung des Friesisch-Gesetzes in Kraft, die die bereits erwähnten Bestimmungen zum Teil ergänzte oder ausbaute.2 Hier wird zum Beispiel gefordert, dass in Behörden usw. friesischsprachige Mitarbeiter zur Verfügung stehen sollen, dass der Erwerb friesischer Sprachkenntnisse im Fortbildungsangebot für Beschäftige Berücksichtigung finden soll und dass auf Wunsch Beschäftigte in dem Gebiet eingesetzt werden sollen, in dem ihre jeweilige friesische Sprachform gesprochen wird.

Der Bereich der Verkehrsschilder wird stärker ausgebaut. Jetzt kann die vorderseitige Beschilderung von Ortstafeln, Ortshinweistafeln, Hinweistafeln zu besonderen touristischen Zielen und Routen, Hinweistafeln zu Gewässern sowie die wegweisende Beschilderung an Straßen zweisprachig in deutscher und friesischer Sprache erfolgen. Die Kosten für die erstmalige zweisprachige wegweisende Beschilderung in Nordfriesland übernimmt das Land. In den Haushaltsjahren 2016 und 2017 standen 300.000 EUR zur Verfügung. Dies hat zum unter Kap. 10.1.3 erwähnten verstärkten Ausbau der zweisprachigen Ortsschilder und Wegweiser in Nordfriesland geführt.

6.1.3. Friesisch in der Schule

Friesisch wurde erstmals 1909 auf der Insel Sylt im regulären Schulunterricht berücksichtigt. Kurz darauf erließ der Preußische Kultusminister ein Verbot des Friesischunterrichts an der Schule in Westerland. Hintergrund dieses Verbots war die vom Kultusminister vertretene Ansicht, dass das Ziel eines Staates seine nationale und sprachliche Einheitlichkeit sein müsse, die keinen Platz für regionale Besonderheiten zuließe.1

Aufgeschlossener zeigte sich die Preußische Regierung mit einem Erlass über friesischen Schulunterricht vom 19.2.1925. Am 19.5.1928 folgte ein zweiter, weitergehender Erlass.

Nach 1933 wurde der Friesischunterricht nur halbherzig betrieben, und er kam im Zweiten Weltkrieg fast ganz zum Erliegen. Nach dem Kriege wurde er mit Erlass der Landesregierung Schleswig-Holstein, Ministerium für Volksbildung, vom 17.10.1947 wiederaufgenommen. Danach ist lange Zeit nichts passiert. Die Lehrpläne für die Grund-, Haupt- und Realschulen in der Fassung von 1968 boten die Möglichkeit, Friesisch im Rahmen des Faches Deutsch zu berücksichtigen. Auf dem Gymnasium wurde Friesisch im Rahmen von freiwilligen Arbeitsgemeinschaften angeboten, und in der Oberstufe war Friesisch in den Oberstufenrichtlinien des Landes Schleswig-Holstein im Wahlbereich ausgewiesen.

Im neuen Jahrtausend kam wieder Bewegung in die Frage zu Friesisch in der Schule. Nachdem sich das Schleswig-Holsteinische Schulgesetz vom 24. Januar 2007 negativ auf die Entwicklung von Friesisch in der Schule ausgewirkt hatte (vgl. Kap. 7.3.2), steht in der Änderung vom 31.07.2014 in § 4 Absatz 5 unter „Pädagogische Ziele“: „Die Schule schützt und fördert die Sprache der friesischen Volksgruppe und vermittelt Kenntnisse über deren Kultur und Geschichte“.

In Absatz 6 steht u.a.:

Die Schule fördert das Verständnis für die Bedeutung der Heimat, den Beitrag der nationalen Minderheiten und Volksgruppen zur kulturellen Vielfalt des Landes sowie den Respekt vor der Minderheit der Sinti und Roma.2

Am 2.10.2008 kam auf der Grundlage der Verpflichtungen, die Deutschland als Vertragsstaat und das Land Schleswig-Holstein im Rahmen von Artikel 8 (Bildung) der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen für das Nordfriesische eingegangen waren, der neue Schulerlass „Friesisch an Schulen im Kreis Nordfriesland und auf Helgoland“.3 Dieser wurde am 15.7.2013 und am 1.8.2018 mit demselben Wortlaut erneuert. Der derzeitige Erlass tritt mit Ablauf des 31. Juli 2023 außer Kraft.4

Im Erlass steht u.a., dass die Teilnahme am Friesischunterricht freiwillig ist und dass die Schulen im Kreis und auf Helgoland verpflichtet sind, die Eltern darüber zu informieren, dass sie für ihre Kinder die Teilnahme am Friesischunterricht beantragen können. Auf der anderen Seite heißt es aber auch, dass

Schulen, in deren Schulprogramm das Lernen der friesischen Sprache und die Auseinandersetzung mit der friesischen Kultur einen Schwerpunkt bilden, […] Friesischunterricht auch ohne das Vorliegen von Anträgen anbieten [können].

Diese beiden letzten Punkte zeigen einerseits, dass die Verantwortung bei den Lehrkräften liegt, die Eltern für den Friesischunterricht zu gewinnen, dass aber auf der anderen Seite Schulen, die Friesischunterricht für alle Kinder durchführen, dies weiterhin tun können, ohne auf Anträge warten zu müssen.5 Friesischunterricht wird angeboten,

wenn die personellen Voraussetzungen vorhanden sind und eine angemessene Lerngruppe mit in der Regel mindestens zwölf Schülerinnen und Schülern eingerichtet werden kann.

6.2 Die nationale Ebene (Staat)

Im Zusammenhang mit der Reform des Grundgesetzes nach der Wiedervereinigung entstanden Bemühungen um die Aufnahme eines Minderheitenartikels im Grundgesetz, die aber bislang ohne Erfolg geblieben sind (Fischer 1998: 315).

6.3 Die übernationale Ebene
6.3.1 Das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten

Das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten wurde am 10.9.1997 von der Bundesrepublik Deutschland ratifiziert und trat am 1.2.1998 in Kraft. Im Ratifizierungsdokument heißt es (Oeter/Walker 2006: 259):

The Framework Convention contains no definition of the notion of national minorities. It is therefore up to the individual Contracting Parties to determine the groups to which it shall apply after ratification. National Minorities in the Federal Republic of Germany are the Danes of German citizenship and the members of the Sorbian people with German citizenship. The Framework Convention will also be applied to members of the ethnic groups traditionally resident in Germany, the Frisians of German citizenship and the Sinti and Roma of German citizenship.1

Hier wird also zwischen „national minorities“ (nationalen Minderheiten) und „ethnic groups“ (Volksgruppen) unterschieden.

Die Berichte zur Anwendung des Rahmenübereinkommens sind 2000, 2005, 2009, 2014 und 2019 eingereicht worden. Im Bericht des Beratenden Ausschusses 2002 zum Staatenbericht 20002 steht in § 93 Folgendes:

Der Beratende Ausschuss stellt fest, dass noch Spielraum für Verbesserungen im Medienbereich besteht, insbesondere hinsichtlich der Entwicklung von Hörfunk- und Fernsehprogrammen für die dänische wie auch die friesische Minderheit.

In § 95 ist zu lesen:

Die derzeitige Lage bezüglich der friesischen Sprache innerhalb des Bildungssystems verdient im Hinblick auf ihre Stärkung ebenfalls eine Überprüfung.

13 Jahre später, also im Jahre 2015 lässt sich feststellen, dass sich im Medien- und Bildungsbereich nicht viel geändert hat. Im Bericht des Beratenden Ausschusses 20153 liest man in § 83 Folgendes:4

It recommends that the authorities increase public support in the development of Frisian-language programmes, in order to respond adequately to the needs expressed by persons belonging to this minority.5

Zum Bildungsbereich heißt es in § 124: „The Advisory Committee calls on the authorities to step up the support provided to teaching in and of North Frisian in Schleswig-Holstein“.6 Ferner heißt es in § 125: „It recommends in addition that the authorities remove administrative obstacles to the provision of teaching in and of Frisian“.7

6.3.2. Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen

Nordfriesisch ist in Teil III der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen aufgenommen worden. Im Vorfeld der Ratifizierung der Charta sind in Schleswig-Holstein die einzelnen Sprachgemeinschaften aufgefordert worden, Vorschläge für die Auswahl der Paragraphen in Teil III einzureichen, die anschließend von den zuständigen Ministerien überprüft wurden (Schulz 2005). Als Einführung in die Thematik hat die Minderheitenbeauftragte Renate Schnack eine Broschüre herausgegeben, die den Text der Charta sowie Anwendungsmöglichkeiten aufzeichnet (Ministerpräsidentin des Landes Schleswig-Holstein 2001).

Die Bundesrepublik hat 35 Paragraphen für das Nordfriesische angemeldet, neun unter Artikel 8 „Bildung“ und sechs unter Artikel 11 „Medien“. Nach Abgabe der Staatenberichte werden diese durch einen Sachverständigenausschuss überprüft, der festgestellt hat, dass einige der angemeldeten Paragraphen nicht oder nur partiell erfüllt worden sind. Diese liegen größtenteils in den Bereichen „Bildung“ und „Medien“. Auf diese Problematik wies 2018 ein Vertreter des Europarates anlässlich einer Feier zum 20-jährigen Jubiläum der Europäischen Charta hin.1


partiell erfüllt davon in Bildung/ Medien nicht erfüllt davon in Bildung/ Medien
2000 6 3/1 7 3/3
2004 6 5/0 4 1/3
2007 3 2/0 8 3/4
2010 5 3/1 6 2/2
2013 4 3/0 7 2/3
2018 4 2/0 5 2/3

Tab. 5: Die Zahl der partiell bzw. nicht erfüllten Paragraphen der Europäischen Charta

Zusammenfassung

Auch hier lässt sich feststellen, dass es inzwischen eine Reihe von rechtlichen Maßnahmen gibt, die der Förderung der friesischen Volksgruppe und des Friesischen dienen sollen. In Anbetracht der Streichung der Friesisch-Professur 1996 an der Universität Flensburg, der problematischen Situation von Friesisch im Bildungswesen und in den Medien sowie der fortwährenden kritischen Berichte der Sachverständigenausschüsse bezüglich der Umsetzung der Konventionen des Europarates (Europäische Charta und Rahmenübereinkommen) scheinen diese rechtlichen Maßnahmen jedoch eher symbolischen Charakter zu haben. Es wäre wünschenswert, die tatsächliche Bedeutung und Effektivität der einzelnen Maßnahmen zu überprüfen.