Fremdsprachenunterricht in Geschichte und Gegenwart

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5 Französisch am aufklärerischen Wissensort: die Bibliothek

Abb. 5:

Des Pepliers, Grammaire Royale. Berlin: Haude 1753.

Mit einer neuen Bildsprache1 versucht das Frontispiz der Ausgabe von 1746 bzw. von 1753 des Haude Verlags auf die Lektionen der Grammaire Royale vorzubereiten. Um die Mitte des Jahrhunderts sind die Elemente der ursprünglichen Szene vom ausgehenden 17. Jahrhundert reduziert auf die Allegorien „Diligentia“ und „Constantia“ im rechten Hintergrund. Die überdimensional große Athene, die, der aufkommenden Graecophilie geschuldet, wieder im Frontispiz auftritt, hat allerdings ihren Speer abgelegt und führt den fürstlichen Knaben an jenen Ort, an dem der optimistische Fortschrittsglaube der Epoche seine aufklärerische Wissensbasis findet, die Bibliothek. Die preußische Schlossbibliothek, 1658 nach dem Dreißigjährigen Krieg vom Großen Kurfürsten eingerichtet, um das vorhandene Wissen zu sammeln, wird nun in einen Zusammenhang mit dem Erlernen der französischen Sprache gesetzt. Das Lehrbuch Des Pepliers‘ ermöglicht unter der Führung der Göttin Athene den Zugang zur französischen Sprache und erschließt damit sogar das universelle Wissen der Epoche. Der Prinz, der die französische Sprache lernen und damit Zutritt zu einem aufgeklärten Wissen erhalten soll, weist mit der linken Hand zugleich zurück auf ein Puttenpaar, das den auf Horaz zurückgehenden poetologischen Leitspruch „charmant et utile“ anzeigt – eine Rokoko-Variante des didaktischen Topos vom nützlichen und angenehmen Fremdsprachenlernen ,en riant‘. Der Prinz trägt den Schwarzen Adlerorden und ist nun ebenso deutlich individuell dargestellt wie der Landesherr2 in einem Kranz von Lorbeer, Beeren, Pauken, Trompeten, Degen und Kanonen. Mit modischem Dreispitz, Jabot und Haarzopf, mit Harnisch und Schärpe, trägt er die Züge Friedrichs Wilhelm I., des Soldatenkönigs. Die Adlerköpfe über ihm haben deutlich aggressive Züge angenommen. Der junge Prinz hat die Prunkuniform abgelegt, ist sozusagen dem militärischen Drill seines Vaters entkommen und deutet in seinem modischen justeaucorps und dem zierlichen Tanzschritt auf die schöngeistigen Interessen des Kronprinzen und das von ihm angestrebte Verhaltensideal des honnête homme. Kronprinz Friedrich II., der spätere König Friedrich der Große, eignete sich als der frankophilste Repräsentant der Hohenzollern-Dynastie perfekt als Vorbildfigur für das Erlernen der französischen Sprache. Schon als Kronprinz hatte er eine reiche Bibliothek zusammengetragen, in der die Autoren des Grand Siècle und die Hauptwerke der Frühaufklärung dominierten. Fénelons Abenteuer des Télémaque, an denen der Kronprinz seinen farbigen und bildkräftigen Stil schulte, waren allerdings nur noch ein Band in der Bibliothek, keine anschaulich dargestellte Szene mehr. Der Leitspruch charmant et utile“ auf der rechten Bildtafel charakterisiert auch das klassische und aufklärerische Stil- und Eloquenzbewusstsein des Kronprinzen. Damit ist das Frontispiz in einer preußischen Gegenwart angekommen, ab der es allmählich aus dem Fremdsprachenlern-Diskurs verschwinden wird. Allerdings, die pädagogisch-mythologische Dreiecksgeschichte, die um die Mitte des 18. Jahrhunderts aus den Titelkupfern des Lehrbuchs zugunsten einer panegyrischen Darstellung des Landesherrn verschwindet, lebt weiter im Französischunterricht als eine bevorzugte pädagogische Lektüre. Als Einführung in die griechische Mythologie sowie als repräsentatives Werk der französischen Klassik und als eine innerfranzösische Kritik am autoritären und aggressiven Absolutismus Ludwigs XIV. zieht Fénelons Télémaque in die preußische Gelehrtenschule3 ein. Und noch um die Wende zum 19. Jahrhundert ist Fénelons Télémaque zusammen mit Voltaires Versepos La Henriade dort das am häufigsten benutzte Werk in den frühen schriftlichen und mündlichen Abiturprüfungen, bis es schließlich ganz aus dem Französischunterricht verschwindet (Kuhfuß 2012, 75-86).

6 Fazit

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts, mit den neuen Idealen der Französischen Revolution und dem Rückgang der Verkaufszahlen fallen die Illustrationen ganz weg.1 Das Lehrbuch mit einem auf sozialer Identifikation basierenden Geschäftsmodell wird im aufkommenden nationalstaatlichen Paradigma des Fremdsprachenlernens als obsolet empfunden. Und doch kann man von einem herausragenden Beispiel für die Macht der Bilder im Alten Reich sprechen. Das Frontispiz bleibt über ein Jahrhundert lang attraktiv, weil die Inhalte sich geschmeidig den jeweiligen Zeitumständen, den verschiedenen Machtkonstellationen und den Wunschvorstellungen der Käufer, ihren sich wandelnden Träumen vom sozialen Aufstieg und den zugrundeliegenden Motivationen anpassen und damit von den externen Bedingungen des Französischlernens und deren Veränderungen erzählen. Die Entwicklung, soweit sie in den Frontispizen anschaulich wird, verläuft vom archimedischen Bezugspunkt des Französischlernens im Versailles des französischen Sonnenkönigs gegen Ende des 17. Jahrhunderts zum Preußen Friedrichs des Großen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, von den klaren Strukturen der barocken Portalarchitektur, denen eine cartesianische Logik und die clarté de la langue française entsprechen, zu den verschnörkelten Rocaille-Mustern eines imaginären Innenraums um die Jahrhundertmitte. Sie verlagert ihren Schwerpunkt von Versailles und Paris nach Preußen und Sachsen und geht mit einer zunehmenden Zerstörung der ursprünglichen mythologischen Erziehungssituation einher. Die französische Sprache entwickelt sich von der Sprache de la partie la plus saine de la cour zur lingua franca in den Städten, mit einer zunehmenden Ausweitung der bürgerlichen Schülerklientel. Für die Sozialgeschichte des Berufsstandes ist besonders bedeutsam der Wandel des Fremdsprachenlehrerbildes von einer angemaßten Hofmeisterposition im Umkreis des Sonnenkönigs zur schrittweisen Entfernung der prekären Sprachmeisterfiguren aus den dargestellten Zentren der Macht. Welch ein Niedergang von Mentor, der sich in die göttliche Athene verwandelt und der zugleich Erzieher des Herzogs von Burgund ist, zu einer Figur, die im Verkaufsgeschehen des Lehrbuchs schließlich keine darstellenswerte Rolle mehr spielt. Für die bürgerlichen Schüler in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts freilich war das Geschehen, das in den Frontispizen attraktiv gemacht wird, ebenso entfernt wie die mythologische Szene von 1693. Die Frontispize zielen immer auf die Hoffnungen und Wünsche der Klientel. Sie finden ihr übergreifendes Element in der Darstellung des lernenden Prinzen als Identifikations- und Leitfigur für den Französischunterricht im Alten Reich. In den akademisch gebildeten deutschen Sprachmeistern erwächst den muttersprachlichen Franzosen gegen Ende des 18. Jahrhunderts ein bedeutsamer Gegentypus, der sich mit der Grammatik-Übersetzungsmethode auf Meidingers Practische franzoesische Grammatik (1783) als den neuen Bestseller stützt.

Literatur

Beger, Lorenz (1701): Thesaurus Brandenburgicus selectus. Coloniae Marchicae: typis et impensis electoralibus.

Caravolas, Jean Antoine (2000): „Johann Theodor Jablonski (1654-1731) et La Parfaite Grammaire Royale de Des Pepliers“. In: De Clerq, Jan/Lioce, Nico/Swiggers, Pierre (Hrsg.): Grammaire et enseignement du français, 1500-1700. Leuven: Peeters, 463-482.

Christ, Herbert (2003): „Télémaque annoté ou un texte littéraire comme manuel de français“. In: Documents pour l’histoire du français langue étrangère ou seconde 31, 11–27.

Des Pepliers, Robert Jean de (1689): Grammaire Royale françoise & allemande. Contenant Une Methode nouvelle & façile pour apprendre en peu de temps la langue françoise, Avec Une Nomenclature, des Dialogues noveaux, Bouquet des Sentences, des Lettres & billets galants de ce temps. Berlin: Völcker. http://resolver.sub.uni-hamburg.de/goobi/PPN722584083 (20/07/2017).

Des Pepliers, Robert Jean de (1693): Nouvelle Grammaire Royale Françoise et Allemande. Berlin: Völcker.*

Des Pepliers, Robert Jean de (1701, 1702): La Parfaite Grammaire Royale, Françoise Et Allemande. Berlin/Frankfurt a. d. O.: Völcker.

Des Pepliers, Robert Jean de (1713): La Parfaite Grammaire Royale Françoise & Allemande. Leipzig: Gleditsch und Weidmann.

Des Pepliers, Robert Jean de/Buffier, Claude (1742): Nouvelle Et Parfaite Grammaire Royale Françoise et Allemande. Berlin: Haude.

Des Pepliers, Robert Jean de (1753): Nouvelle et parfaite grammaire royale Françoise et Allemande. Berlin: Haude.

Des Pepliers, Robert Jean de/Buffier, Claude (1794): Nouvelle Et Parfaite Grammaire Françoise Et Allemande. Wien: Trattner.

Dictionnaire universel françois et latin (1740). Nancy: Pierre Antoine. http://www.cnrtl.fr/dictionnaires/anciens/trevoux/menu1.php (20/7/2017).

Doergangius, Henricus (1604): Institutiones in linguam Gallicam, admodum faciles, quales ante hac nunquam visae. Coloniae: Author.

Fénelon, François de Salignac/Ehrenreich, Joseph Antoine von (1732, 1740): Les Aventures de Télémaque, fils d’Ulysse. Nouvelle édition. Ulm: Wohler.

Fénélon, François de Salignac/Ehrenreich, Joseph Anton von/Köhler, Johann Ludwig (1790, 1798): Les Avantures [Aventures] De Telemaque, Fils D’Ulysse, par feu Messire François de Salignac, de la Motte [Mothe] Fenelon, &c. &c. oder wunderbare Begebenheiten Telemachs, worinnen zum Nutzen der Jugend durch deutsche Anmerkungen schwere Wörter, Redensarten und Constructionen, Gallicismen, Antiquitäten, Mythologie, Historie und Geographie deutlich erklärt und erläutert werden. Ulm: Wohler.

 

Glück, Helmut/Häberlein, Marc/Schröder, Konrad (Hrsg.) (2013): Mehrsprachigkeit in der Frühen Neuzeit. Wiesbaden: Harrassowitz.

Kuhfuß, Walter (2012): „Die Abiturprüfungen in Französisch in den preußischen Gelehrtenschulen zwischen 1788 und 1806“. In: Bär, Marcus et al. (Hrsg.): Globalisierung – Migration – Fremdsprachenunterricht. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, 75-86.

Kuhfuß, Walter (2014): Eine Kulturgeschichte des Französischunterrichts in der frühen Neuzeit. Französischlernen am Fürstenhof, auf dem Marktplatz und in der Schule. Göttingen: V&R.

Reinfried, Marcus (1992): Das Bild im Fremdsprachenunterricht. Eine Geschichte der visuellen Medien am Beispiel des Französischunterrichts. Tübingen: Narr.

Stengel, Edmund/Niederehe, Hans-Josef (1976): Chronologisches Verzeichnis französischer Grammatiken vom Ende des 14. bis zum Ausgange des 18. Jahrhunderts nebst Angabe der bisher ermittelten Fundorte derselben. Amsterdam: Benjamins.

* Alle Ausgaben der Grammaire Royale sind, sofern nicht anders vermerkt, unter http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver.pl (20/07/2017) online verfügbar.

Bildnachweise

Abb. 1: Bayerische Staatsbibliothek, 921940 L.lat.f. 217 921940 L.lat.f. 217, Bl. 6, urn:nbn:de:bvb:12-bsb10587504-4.

Abb. 2: Bayerische Staatsbibliothek, 921941 L.lat.f. 218 921941 L.lat.f. 218, Bl. 4, urn:nbn:de:bvb:12-bsb10587505-0.

Abb. 3: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, A/294010, Bl.6, urn:nbn:de:bvb:12-bsb10587506-5.

Abb. 4: Bayerische Staatsbibliothek, 921946 L.lat.f. 220 l 921946 L.lat.f. 220 l, Bl. 8, urn:nbn:de:bvb:12-bsb10587512-9.

Abb. 5: Bayerische Staatsbibliothek, 921948 L.lat.f. 221 m 921948 L.lat.f. 221 m, Bl. 6, urn:nbn:de:bvb:12-bsb10587515-5.

Mehrsprachige Grammatiken im 19. Jahrhundert? Ein Blick auf die Internationale Grammatik von Friedrich Gottlieb Deutsch
Christiane Fäcke
1 Einleitung

Dass man ,aus der Geschichte lernen‘ und die Gegenwart nur aus einem vertieften Verständnis der Vergangenheit verstehen könne, sind Wahrheiten, die bereits oft formuliert wurden. Zu Recht. Diese Wahrheiten gelten auch für den Fremdsprachenunterricht der Gegenwart, dessen aktuelles Selbstverständnis, didaktische Ansätze, Methoden und Unterrichtsmaterialien auf einer langen Tradition fußen und von dieser wesentlich beeinflusst sind, auch wenn wir uns heute die Entwicklung unserer Vergangenheit nicht permanent in Erinnerung rufen.

Vor diesem Hintergrund ist die Rückbesinnung auf die Geschichte des Unterrichts der modernen Sprachen ein wichtiges Unterfangen. Die Erforschung historischer Zusammenhänge stellt sicher nicht den umfangreichsten Forschungsschwerpunkt in der Fremdsprachendidaktik dar, wird jedoch seit Jahrzehnten kontinuierlich verfolgt (z. B. Christ 1983, 2005; Flechsig 1962; Glück et al. 2013; Klippel 1994; Kuhfuß 2014; Schröder 1969, 1987-1999) und hat wichtige Erkenntnisse hervorgebracht, zu denen Marcus Reinfried mit seinen Forschungen (z. B. Reinfried 1992, 1999, 2014) einen wesentlichen Beitrag geleistet hat.

Im 19. Jahrhundert vollzieht sich die Konstituierung und Professionalisierung des Unterrichts der modernen Sprachen sowie ihre Verfestigung im Schulsystem.1 Dazu gehört auch die Publikation zahlreicher Lehrmaterialien, d. h. Lehrgänge und Grammatiken. Während der Fremdsprachenunterricht dieser Zeit häufig auf eine Imitation des Lateinunterrichts und auf die Grammatik-Übersetzungs-Methode verkürzt wird, stellt sich diese Entwicklung bei genauerer Ansicht weit differenzierter dar. Im Folgenden geht es daher exemplarisch um eine mehrsprachige Grammatik, d. h. um die Internationale Grammatik das Italienische, das Französische und das Deutsche, eine, zwei, oder alle drei Sprachen zu erlernen, die erstmals in Zürich erschien (Deutsch 1871) und wenige Jahre später auch in Deutschland (Deutsch 1875) publiziert wurde.

2 Französischunterricht im 19. Jahrhundert

Das Erlernen des Französischen als Fremdsprache vollzieht sich in Deutschland in mehreren Etappen. Erste Belege für Materialien zum Lehren und Lernen von Französisch stammen vom Ende des 15. Jahrhunderts (vgl. Abendroth-Timmer 2017, 492). Die Institutionalisierung des Französischunterrichts setzt im 16. Jahrhundert ein (vgl. Christ 1983, 95; Kuhfuß 2014) und ist im 17. Jahrhundert durch den Einfluss der französischen Klassik und des bon usage geprägt. Französisch wird in Ritterakademien, Bürgerschulen und Gymnasien unterrichtet, entwickelt sich zur wichtigsten Fremdsprache und wird als Sprache der Diplomaten, im Handel und im Bankwesen genutzt (vgl. Reinfried 2014, 258). Im 18. Jahrhundert bildet Französisch nicht nur die Sprache des europäischen Adels, sondern wird auch in der aufstrebenden Mittelschicht erlernt. Am Ende des Jahrhunderts ist „Französisch in der Regel in allen deutschen Ländern Gegenstand des Gymnasialunterrichts“ (Christ 1983, 97). Diese Ausweitung erfährt einen Bruch durch die sich ändernden politischen Verhältnisse, d. h. durch Restauration, Widerstand gegen die Ideen der Französischen Revolution und vor allem gegen Napoleon. Im Lauf des 19. Jahrhunderts erfolgt jedoch erneut eine Ausweitung des Lernens von Französisch auf andere Bevölkerungsschichten und die Etablierung als Unterrichtsfach in den höheren Schulen (vgl. Reinfried 2014; Willems 2013, 17 ff.).

Deutschland ist in diesem Jahrhundert noch kein in sich geschlossener Nationalstaat, sondern besteht aus einzelnen Staaten, darunter vor allem aus den Königreichen Preußen und Bayern sowie etlichen kleineren Staaten mit jeweils eigenen Bildungssystemen. In diesen Zeitraum fallen u. a. die Entwicklung des staatlichen preußischen Schulsystems, die Ausdifferenzierung gymnasialer Schultypen verschiedener Ausprägung neben den Lateinschulen und die Ausweitung des Bildungssystems auf breite Bevölkerungsschichten (vgl. Willems 2013, 44 ff.). Das dominierende Bildungsverständnis in der Tradition Humboldts impliziert einen starken Fokus auf Latein und Griechisch, während Französisch zunächst den Rang eines Wahlfachs einnimmt und in den 1830er Jahren in Preußen zu einem zweistündigen Pflichtfach entwickelt wird (vgl. Christ 1983, 99).

Fächer wie Englisch und Französisch nehmen in den neben den Gymnasien bestehenden Realklassen einen größeren Stellenwert ein als Latein und Griechisch. In den 1860er Jahren erfolgt eine Ausweitung der Stundentafel für Französisch dahingehend, dass die Sprache mit einer Gesamtwochenstundenzahl von 27 am Gymnasium und von 34 an der Realschule unterrichtet wird. Im Vergleich dazu liegt die Gesamtwochenstundenzahl für Latein am Gymnasium bei 86 (vgl. Willems 2013, 49). 1882 erfolgt schließlich eine Reform des höheren preußischen Schulwesens, die zur Anerkennung der lateinlosen höheren Schulen als gleichberechtigt neben den Gymnasien führt (vgl. Christ 1983, 99). Die modernen Fremdsprachen müssen sich in ihrem Stellenwert im 19. Jahrhundert an den alten Sprachen messen, denn Latein und Griechisch gelten als das Herz der Vermittlung von Bildung und wirken sich damit auch auf Französisch und Englisch aus. Dies zeigt sich auch am Ringen um verschiedene Methoden, d. h. um verschiedene Ansätze und etliche Mischformen.

So lassen sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts mehrere Methoden unterscheiden (vgl. Reinfried 1999, 3). Dazu gehört zunächst die Grammatik-Übersetzungs-Methode, wie sie u. a. in den Grammatiken von Johann Valentin Meidinger (1792) und Carl Ploetz (1887) vertreten wird. Diese Methode ist gekennzeichnet durch deduktive Grammatikvermittlung und Präsentation von Vokabeln sowie durch anschließende Übersetzungsübungen vom Französischen ins Deutsche und umgekehrt in jeweils einzelnen, unabhängig voneinander bestehenden Sätzen.

Daneben besteht die holistisch angelegte analytische Interlinearmethode nach Hamilton und Jacotot (Pfau 1844) auf der Basis eines eher intuitiven Spracherwerbs und unter Nutzung authentischer Texte. Ausgehend von einem Text in der Fremdsprache und seiner zwischen den Zeilen abgedruckten Übersetzung sollen Lernende Bedeutung und grammatischen Gehalt erschließen und erklären. Im Anschluss erfolgen Kompositionen, in denen sie in Übungen zum Schreiben in der Fremdsprache ihre Kenntnisse eigenständig umsetzen (vgl. Klippel 1994, 221 ff.).

Auch das Prinzip der Anschauung wird in den Französischunterricht hineingetragen. Ausgehend von Überlegungen des französischen Methodikers François Gouin wird Sprachenlernen durch sprachliches und physisches Handeln sowie sprachliche Lautgestaltung und sinnlich Erfahrbares praktiziert (vgl. Christ 1983, 106). Damit deuten sich hier bereits Ansatzpunkte zur Direkten Methode an.

Während die Grammatik-Übersetzungs-Methode vor allem an Gymnasien, Realgymnasien und Oberrealschulen dominiert, wird in Realschulen und Töchterschulen eher der Ansatz der Direkten Methode vertreten (vgl. Doff 2002), die durch Einsatz konkreter Gegenstände aus dem Zielsprachenland und durch Bildmaterial anschauliche und praktische Dimensionen in den Französischunterricht hineinträgt (vgl. zur Anschauungsmethode auch Reinfried 1992, 87 ff.). Anstelle eines grammatischen Regelwissens und metasprachlicher Abstraktion geht es um einsprachige Vermittlung mit dem Ziel der Anwendung der Sprache in konkreten Kontexten (vgl. Reinfried 1999, 3). So prägt die neusprachliche Reformbewegung vor allem die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts und votiert massiv für praktische Sprachbeherrschung und mündliche Beteiligung der Schüler anstelle metasprachlichen Wissens.

3 Fremdsprachenlehrer und ihre Methoden

Die Entwicklung des Französischunterrichts im 19. Jahrhundert steht in engem Zusammenhang mit denjenigen, die diesen Unterricht nun erteilen, mit ihrem Selbstverständnis, ihrer Ausbildung und ihren Sprachkenntnissen. So vollzieht sich eine grundlegende Veränderung vom Sprachmeister zu Beginn des Jahrhunderts hin zum Neuphilologen an dessen Ende (Christ 2005).

Ein Sprachmeister durchläuft noch keine spezifische Ausbildung für den Beruf als Lehrer, verfügt über eine sehr individuelle Spracherwerbsbiographie und manifestiert seine eigene Methodik in zahlreichen Publikationen – Grammatiken, Lehrbüchern, autobiographischen Texten (vgl. Christ 2005, 3 f.). Die Sprachmeister weisen durchaus heterogene Biografien auf, z. B. als Bewohner aus Grenzregionen und insofern in zwei Sprachen und Kulturen sozialisiert, als verarmte Handwerker, umfassend gebildete Professoren, Abenteurer oder französische Protestanten im Exil (vgl. Suso Lopez/Universidad de Granada 2005, 3; Glück et al. 2013, 137 ff.). Sie sind damit häufig nicht Deutsche und verfügen über recht hohe sprachliche Kompetenzen.

In der Mitte des Jahrhunderts durchläuft ein Französischlehrer bereits eine umfangreichere Ausbildung, zu der ein zu dieser Zeit übliches Abitur und ein noch nicht konkret auf sein Fach bezogenes und breit angelegtes Studium gehören. Diese Entwicklung steht in Zusammenhang mit der Einführung eines verpflichtenden Universitätsstudiums für die Lehrer an höheren Bildungsanstalten, so z. B. in der preußischen Prüfungsordnung von 1831 (vgl. Christ 1983, 112). Die angehenden Gymnasiallehrer werden noch nicht nach einem Fachlehrerprinzip in ihren Fächern ausgebildet, sondern müssen einem humanistischen Bildungsverständnis zufolge verschiedene Fächer studieren, so u. a. Latein, Geschichte, Geographie, Mathematik, Philosophie und eben auch Französisch.

In den folgenden Jahrzehnten werden die fächerspezifischen Spezialisierungen ausgebaut, die modernen Fremdsprachen in die Prüfungsordnungen aufgenommen und die Prüfungskommissionen entsprechend ausgerichtet. Damit entwickelt sich das Berufsprofil gegen Ende des Jahrhunderts hin zu einem für sein Fach ausgebildeten Neuphilologen mit einer universitären Ausbildung und einem Selbstverständnis, das stärker auf – in diesem Fall – Französisch bzw. die Romanistik bezogen ist (vgl. Christ 2005, 3 f.). Mit der Ausbildung an den Universitäten auch für Französisch und der Etablierung der Neuphilologien kann eine fachbezogene Ausbildung realisiert werden (vgl. Willems 2013, 47). In diesem Zusammenhang erklären sich zunächst auch geringere Sprachkompetenzen der wissenschaftlich ausgebildeten Romanisten im Vergleich zu den Sprachmeistern, ihr Interesse an der Praktizierung der Grammatik-Übersetzungs-Methode und ihre Ablehnung der Direkten Methode.

 

Ein Charakteristikum derjenigen, die in diesem Jahrhundert Französisch unterrichten, ist ihre vergleichsweise hohe und intensive Publikationstätigkeit. Anders als es unter Französischlehrkräften der Gegenwart üblich ist, verfassen die Lehrer des 19. Jahrhunderts ihre eigenen Französischmethoden und Grammatiken und manifestieren darin ihr eigenes Verständnis vom Lehren und Lernen dieser Sprache. Einige der Lehrbücher und Grammatiken erfahren eine große Resonanz (z. B. Ploetz 1887), andere werden praktisch nur für die eigene Schule verfasst. Helmut Niederländer (1981, 17) geht beispielsweise von 300-400 Grammatiken aus, von denen ein Großteil jedoch nicht erhalten geblieben seien. Eine gründliche methodisch-didaktische Reflexion und deren schriftliche Fixierung bildeten somit einen selbstverständlichen Bestandteil im Leben eines Lehrers.

Das Spektrum der Publikationen des 19. Jahrhunderts ist umfangreich und die darin erkennbaren methodisch-didaktischen Schwerpunktsetzungen sind breit (vgl. zur Analyse von Lehrbüchern z. B. Klippel 1994 und zur Analyse von Grammatiken z. B. Niederländer 1981). Dieses Forschungsfeld ist jedoch bei weitem noch nicht erschöpfend analysiert, so dass ich dem im Folgenden einen weiteren Aspekt hinzufüge und mich auf die exemplarische Analyse einer bislang wenig beachteten Grammatik konzentriere, die sich durch ihren mehrsprachigen Ansatz deutlich von den meisten Grammatiken (vgl. Abel 2005, 170 f.) unterscheidet und vermutlich einen geringeren Bekanntheitsgrad erreicht hat.