Jahre auf See

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Peter Polonius Teichmann

Jahre auf See

Erzählungen von damals

~ ~ ~

Jahre auf See

Peter Polonius Teichmann

published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de


In Erinnerung an meinen Freund Eberhard

der am 21. September 1957 zusammen

mit 80 Seeleuten auf dem deutschen Segelschulschiff

~ P A M I R ~ unter gegangen ist

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Diese Geschichten widme ich meiner Generation von Seeleuten. - Die Schiffe auf denen wir damals fuhren sind längst Geschichte, abgewrackt auf den Schiffsfriedhöfen von Alang, Gadani Beach, Chittagong, Kaohsjung oder anderswo auf der Welt. - Es gibt in der Handelsschifffahrt keine Ausbildungsverordnung mehr die den Weg vom Schiffsjungen zum Matrosen aufzeichnet, keine Matrosenprüfung, keinen Schiffszimmermann oder Bootsmann keinen Funker oder gar eine Funkerin. Sogar das alte Seefahrtbuch hat man abgeschafft. - Viele Seemanns- und Seefahrtschulen wurden geschlossen. - Einen Transport von Stückgut so wie es früher üblich gewesen ist, gibt es nicht mehr. Die Container haben alles verändert. Angefangen bei den Häfen über die Schiffe bis hin zu den Mannschaften. - Verändert haben sich auch die vielen Geschichten und Stories der Seeleute. Abends in der Mannschaftsmesse konnte man sie hören oder beim gemeinsamen Farbewaschen, beim Anstreichen der Bordwand in einem Reedehafen in südlichen Breiten oder in einer Bar an der Westküste. - Die Story vom Schippi mau mau, vom I.O. Jule, von Krake, dem stiernackigen Bootsmann, von Einstein und dem Schreiben an Doktor Konrad Adenauer das bei einer ausgelassenen Geburtstagsfeier auf See geschrieben, vom Zimmermann unterschrieben und im nächsten Hafen an das Bundeskanzleramt abgeschickt wurde. Vom Ehrentanz in der Finkenwerder Elbhalle und der Story vom Seeteufel. - All diese wunderbaren Geschichten gibt es nicht mehr, weil diese Welt der Vergangenheit angehört, weil sie unter gegangen ist genau wie so manch schönes Schiff.

So will ich versuchen einiges aus der Erinnerung zurück zu holen, zu erzählen und fest zu halten, oder wie der Seemann auf Küstenspanisch sagt: „Ola hombre, habla mucho rapido“ - damit es nicht auch für Dich zu spät wird alter Freund.

Mein erstes Schiff


M/S „ELFRIEDE“

BRT: 1176

Länge: 75 m

Breite: 11 m

Motorleistung: 800 PS

Geschwindigkeit: 10,5 kn

Besatzung: 15 Mann

Bauwerft: Kieler Howaldtswerke AG

Baujahr: 1950

Ende: 1984 aus dem Register gelöscht

Fahrtstörungslichter

Ich erzähle hier keine Märchen. Das Wort "Seemannsgarn" kenne ich nicht. Das gibt es nur im Sprachgebrauch der "Landratten"; genau wie Klabautermann und so viele andere Worte, die man uns andichten will. Auf Fullbrass oder Schäkelschlüssel lässt sich zwar auch ein Reim machen, aber weniger gut verkaufen.

Ja, wo gerate ich denn jetzt hin? - Mitten hinein in eine "Story"; und genauso heißt das bei mir. Jawohl! - und es ist die Wahrheit, die reine Wahrheit! - Aber lassen Sie mich etwas ausholen, sonst begreifen Sie nichts.- Die schlimmste Zeit war überstanden. Ich war kein Ramses, Monkey, Flunkey, Moses oder wie sonst noch; kein Decksjunge mehr. Alles war richtig korrekt gelaufen; um gemustert vor dem zweiten Konsul in Dakar, Westafrika. Befördert vom Decksjungen zum Jungmann. Dies nach zwölf Monaten Knüppel harter Decksarbeit auf der vorletzten Stufe. Und das auf unserem Zampan, Zossen, Zorochel oder wie der Eimer sonst noch hieß. Junge, Junge. Ein soeben ernannter Generaldirektor ist da nichts dagegen; ein Lottokönig ein armseliger Wicht. Ich sehe mich noch in den ersten Tagen. In Kiel-Holtenau war's und sie hatten mir bei der Übernahme von Ausrüstung so mit zwei Mann ein Kistchen Eisenschrauben oder ähnlichem auf die Schultern gehoben. Um ein Haar wären mir die Beine eingeknickt und ich in die Schleuse gefallen. Und das Gelächter hinter mir, wie ich mich da mit der Kiste an der Pier entlang schleppe. - "Was ist los mit Dir, Seemann?” - Das ist jetzt über ein Jahr her. Nun ist Theo unser neuer Decksjunge und dem haben sie gleich bei der Proviant Übernahme einen Zentner Kartoffeln im Sack so eben mal hoppla vom Lastwagen herunter auf die Schulter gehoben und schwupp war er unter dem Laster verschwunden als hätte es ihn nie gegeben. Na dann linst man schon mal wohlgefällig, hebt den Sack locker vom Boden auf und legt ihn sich selbst genussvoll auf die Schulter. - Verstehen Sie jetzt was ich meine, von wegen Generaldirektor und Lottokönig?

Fast die ganze Besatzung war abgemustert und jetzt kamen neue Leute an Bord. - Mein zweites Plus! - Ich kannte inzwischen jede Rostbürste an Bord, jede Stelle am Lukensüll, die man - weil von der Brücke nicht einsehbar - schlampig gestrichen hatte; jeden Eimer Teufelsdreck, pardon Beize. Ich kannte die vielen schwachen und wenigen besseren Teile unseres Schiffes am besten, denn der Kapitän und der Bootsmann waren auch neu.

Dann liefen wir aus. - Nicht wie Sie vielleicht denken mit viel Höö die Höö. Sondern ganz schlicht und einfach irgendwann nachts und es regnete und an der Pier stand nur ein schlecht gelaunter Zöllner und ein Polizist, der noch vergrellter aussah. Wir liefen aus, wie jeder grundehrliche Frachter, ohne viel Aufhebens, ohne weinende Frauen an der Pier, dafür aber mit einer Besatzung, die 20 Stunden und länger auf den Beinen war und hart gearbeitet hatte. Wie gesagt, alles völlig normal. Es war meine Wache und ich stand am Ruder. Na Sie wissen schon am Steuerrad und das war bei uns noch echt. Aus Holz und groß und man musste mächtig drehen, um die Kiste einigermaßen auf Kurs zu halten, besonders dann, wenn sie auf dem Kopf lag. - Vor dem Ruder stand der Kompass. Da gab's keine Elektronik wie auf den Brücken der Containerschiffe oder Tanker. Alles solide, fest und schwer. Die Arme konnte man sich herausreißen. Der Käpt'n selbst muss an die drei Zentner gewogen haben. Schwer und stumm saß er in einer Ecke der Brücke und zog an seiner Pfeife. Der Lotse war noch an Bord. Sonst nichts, nur Regen und Hitze. Die Klamotten klebten einem am Körper. Die Luftfeuchte war fast 100 Prozent - relativ, versteht sich - Westafrika kann sein wie ein Treibhaus. Plötzlich ein schrilles Pfeifen. - "Wat is dat denn?" - Die Pfeife ist's, die im Messingrohr steckt, das auf der Brücke anfängt und unten im Maschinenraum endet. Der Alte stemmt sich hoch und legt sein Ohr auf's Sprachrohr. Und dann Maschinenschaden! Der Telegraf rasselt auf "Stopp". Das Schiff macht keine Fahrt mehr. Wie lange wird's dauern? Ein, zwei Stunden, dann soll es weiter gehen. Die Wache bleibt "stand by". Der Lotse geht von Bord - er hat es eilig - kein Wunder. Der Alte sackt wieder auf seinem Stuhl zusammen; es regnet immer noch. Die Maschine ist still geworden. Jedenfalls hören wir nichts hier oben. Unten werden sie schön fluchen und toben und an ihren Ventilen herum schrauben. Kein guter Job; schon gar nicht bei dieser Hitze.

Im Moment bin ich arbeitslos. Ich habe nichts zu tun als dösend hinter dem Ruder darauf zu warten, dass die Maschine in Ordnung kommt und die Reise weiter geht. Jetzt sticht mich der Hafer und: "Sollten wir nicht Fahrtstörungslichter setzen, Herr Kapitän?", frage ich ganz harmlos. "Hmmm" tönt es aus der Ecke. Die Pfeife qualmt, der Regen rinnt, Schweigen, sonst nichts. Als ich schon denke: "never mind", das war wohl nichts, brüllt der Alte: "Pfander, mook man die twee roten Lampen kloar!" - Nun ist Pfander der neue Matrose mit dem ich die Wache gehe und er ist nicht tot, sondern hängt in der Backbord Brückennock und ist gerade dabei, gut aufgestützt, im Stehen, einzuschlafen. - Das muss man nämlich bei Wind und Wetter jederzeit beherrschen, um am Leben zu bleiben. - Ja und Pfander, der ein waschechter Hamburger Jung ist, schreckt hoch und "mook wie" sagt er.

Nun ist so etwas im Normalfall kein Problem und eine echte Arbeit schon gar nicht. Auf modernen Dampfern gibt es da einen Lichterbaum und die Herren Offiziere können nach belieben fast jedwede Lichter Kombination mittels Schalter zum Leuchten bringen. Zwei weiß; ein rot; drei grün. Ein Blick zum Signalmast hoch, jede Lampe brennt, alles in Ordnung. - Aber wir sind nun mal kein Normalfall. - Hier braucht man für alles Experten und Spezialisten, die mit viel List und Tücke die technischen und sonstigen Unzulänglichkeiten meistern. Ganz besonders auf unserem Kahn. Dazu ist Ausdauer von Nöten, sehr viel Erfahrung und nicht zuletzt Glück. Kein noch so befahrener Jan Maat schafft das auf Anhieb. Mir war das klar und Pfander, dem Matrosen, ist es nach einer gewissen Zeit auch klar geworden. Aber zunächst der Reihe nach.

Natürlich waren Fahrtstörungslampen vorhanden und somit genügten wir grundsätzlich den Vorschriften; was oft nicht all zu viel heißt. - Rettungsringe können schließlich auch herumhängen, die Frage ist, ob sie im Notfall das halten, was der möglicherweise frische Anstrich verspricht. Es soll schon welche gegeben haben, die sind samt Inhalt abgesackt wie ein Mühlstein. - Unsere Fahrtstörungslampen waren besonders alt, besonders schwer und mit einer Kette verbunden. An der ganzen Vorrichtung hing ein meterlanges, unhandiges, dreckiges Kabel. Das ganze endete in einem Stecker, der - sofern der Grünspan es zuließ - Kontakt zu einer Stromquelle schließen sollte. Auf jedem anständigen Dampfer gibt es ein Lampenspind und das ist meist im Kabelgatt unter der Back, d. h. ganz vorn im Schiff untergebracht. Der Seemann weiß das, auch wenn das Schiff ihm fremd ist. - Insofern war mein Wachmatrose auf dem richtigen Weg nach vorn. - An Deck war es dunkel. Jetzt kam die erste Hürde, die Pfander nehmen musste. Der Lichtschalter für die trübe Beleuchtung im Kabelgatt war innen und wenn man nicht wusste wo, musste man ihn suchen. Ganz logisch. Im Stelzschritt über das Süll des Kabelgatts und "Krach"! mit der Stirn gegen einen massiven, eisernen Decksbalken, den ein besonders kluger Schiffsbauer kurz hinter dem Eingang, hinterhältig niedrig, angeordnet hatte. - Dieses Lehrgeld musste ich auch bezahlen. - "Was lachst', bist vergrellt“?, hatte mich unser damaliger Bootsmann allen Ernstes verwarnt, als ich das erste mal an den Decksbalken donnerte und taumelnd, sekundenlang Sterne vor den Augen sah. Jetzt hatte Pfander Sterne oder Ringe vor den Augen; ich konnte es nicht sehen, aber wusste es. Den Lichtschalter mochte er nach einer Zeit gefunden haben. Nun funzelte wenigstens ein trübes Licht von der Decke und dieses ließ ihn nach einer Weile das Lampenspind finden. Jetzt kam Hürde Nummer zwei. - Das Lampenspind war ein winziger Raum in dem sich höchstens ein Mann mühsam bewegen konnte. Der gleiche Schiffsbauer, der den heimtückischen Decksbalken konstruiert hatte, musste im Lampenraum die Beleuchtung vergessen haben. Vielleicht hatte er auch gedacht, dass ein "Lampenraum“ keine Beleuchtung braucht. Wer weiß das schon. - Im Raum lagen, standen und hingen allerlei Lampen herum, die manchem Antiquitätenhändler zur Ehre gereicht hätten. Da gab es unförmige, zerbeulte Sonnenbrenner, die während des Ladens oder Löschens nachts in die Luken gehängt wurden. Da waren blinde Positions- und Ankerlampen und Öllampen in allen Schattierungen und Größen. Es kam immerhin vor, dass die gesamte Elektrizität auf unserem Kahn ausfiel. So gab es für jede Lampe eine Öl-Ersatzleuchte. Dazwischen lagen in wild verwickelten Knäueln die Kabel und Drähte der elektrischen Lampen und Verlängerungsschnüre und Steckdosen. Und irgendwo dazwischen befanden sich auch unsere Fahrtstörungslichter. Nur ich wusste wo!

 

Der Laie muss sich nun vorstellen, wie Pfander in diesem Wuhling und absoluter Finsternis nach den entsprechenden Fahrtstörungslampen suchte. Wie viel Verwünschungen und Flüche mochten zu diesem frühen Zeitpunkt des Geschehens bereits über seine Lippen gekommen sein. - Aufrecht stehen konnte er im Lampenspind natürlich nicht, weil er dann mit dem Kopf gegen die Gerätschaft rannte, die von der Decke hing und gerade der Kopf war durch den Decksbalken bereits in Mitleidenschaft gezogen. Der Seemann trägt an Bord Arbeitskleidung. Das ist klar. Aber da gibt es doch feine Unterschiede. So wird man nicht gerade mit seinen besseren Jeans den Tank reinigen oder Zement fegen. Da hat man immer noch Uralt-Klamotten, die dafür gerade noch gut sind. Nachts, auf Wache und auf der Brücke, zieht man das bessere Zeug an. So ist's jedenfalls auf normalen Schiffen üblich. - Pfanders Garderobe war inzwischen durchgeschwitzt; die Hose verdreckt von den Kabeln und nass vom Regen. "Wo blivt hei denn"? fragte auf einmal der Alte. Nun fasste mich doch etwas Mitleid. "Soll ich mal nachsehen"?; "Du blivst doar"! sagt der Alte.

Damit waren mir die Dinge aus der Hand genommen und mein Wachkollege ging einem ungewissen Schicksal entgegen.

Die Zeit verging. Ab und zu hörte ich vom Vorschiff polternde Geräusche; das war Pfander. Endlich sah ich das Licht im Kabelgatt ausgehen und einen Schatten an Deck. Pfander schleppte ein unförmiges Etwas vor sich her; das Kabel hing auf den Boden; der Stecker schepperte an Deck hinter ihm her. Die Fahrtstörungslampen waren gefunden. Aber nun machte mein Wachmatrose einen folgenschweren Fehler. - Den Stecker hätte er in seine Hosentasche stecken sollen, denn das Deck war nass, der Regen nicht weniger geworden. - Den Fehler sollte er noch zu spüren bekommen.

Vorkante Brücke, auf Steuerbordseite, befand sich ein Mast, der achteraus einen Galgen angeschweißt hatte. Daran befestigt war ein Block mit einer Leine und hier konnte ein Flaggensignal oder Signallampen gesetzt werden. Die Leine war auf einer Klampe in der Steuerbord Brückennock belegt. - Matrose Pfander schleppte die Fahrtstörungslichter hoch in die Nock. Ein Rundturn mit zwei halben Schlägen, der seemännisch richtige Knoten und "Hau Ruck", Hand über Hand, schon schwebten die zwei Lampen zum Mast hinauf. Nur noch eben Licht gemacht und alles war klar. Jetzt kam Hürde Nummer drei. - In der Steuerbord Brückennock befand sich natürlich eine Steckdose, mit seefestem Schraubverschluss, versteht sich. Das Problem war lediglich, das ganze Generationen von seemännischem Personal sorgfältig Farbschicht auf Farbschicht auf diese Steckdose aufgetragen hatten. Da war weiß Vorstrich über Mennige und darüber weiß Lack und irgendwann hatte man alles lindgrün gestrichen. Jedenfalls dachte nie jemand daran, den Schraubverschluss gangbar zu machen. Keine Macht der Welt konnte aus dieser Dose jetzt Strom zaubern. - Ich hörte Pfander draußen in der Nock leise fluchen und viele Ausdrücke waren eindrucksvoll und mir neu. "Hmmm Hmmm Hmmm" ließ der Alte sich jetzt vernehmen. Bei diesem Kommentar blieb es.

Schließlich verschwand Pfander. Unten an Deck musste sich, verdammt nochmal, doch eine gangbare Steckdose befinden. Natürlich war jetzt das Kabel zu kurz. Aber im Lampenspind hatten ja irgendwo Verlängerungsschnüre gelegen. Also nochmal nach vorn. Vorsicht, der Decksbalken, ~ und Licht an und raus mit dem vermaledeiten Kabel. - Dreckig ist das vielleicht wieder. - Kein Wunder, wir hatte die Verlängerung das letzte Mal gebraucht, als wir Schrott in Conakry geladen hatten. - Aber darauf kam es jetzt auch nicht mehr an. Hemd, Hose, Socken, Schuhe, Hände, Arme, Gesicht; alles war inzwischen verschwitzt und von einer dreckig, klebrigen Schmiere überzogen.

Ich hörte meinen Wachmatrosen an Deck rumoren. Er hatte eine Steckdose gefunden und das Verlängerungskabel daran befestigt. Jetzt kam er auf die Brücke und wollte die Schnur der Lampen mit dem Kabel verbinden. "Uuaaaa" - eben bekam er einen geschmettert. Das schwere Dosengebilde krachte an Deck. Pfander führte einen Veitstanz auf und ruderte wie wild mit den Armen in der Luft herum. Auf dieser Steckdose war Strom; kein Zweifel und "Is doar wat?" fragte der Alte. - Das war Hürde Nummer vier. - Die Lampen brannten immer noch nicht. - Pfander war ein guter Mann, er lernte schnell und war jetzt vorsichtig geworden. Ich sah ihn mit großen Mengen trockenen Twists behutsam hantieren und Festmacherhandschuhe hatte er jetzt an und über den Dosenkontakten lag ein Bezug, um die Nässe abzuhalten. Inzwischen war mehr als eine Stunde vergangen und dann endlich, zwei rote Rundumlichter, entsprechend der Seestraßenordnung, gehisst an bestsichtbarer Stelle, künden von unserer Manövrierunfähigkeit. Ich sehe Pfander in der Nock stehen, erschöpft, jedoch nicht geschlagen. Die Haare hingen ihm wirr ins Gesicht und an der Stirn prangte eine Beule.

"Wiiiip" tönte da die Pfeife aus dem Sprachrohr. Maschinenschaden behoben, der Telegraf rasselte auf "Voll voraus". - "Mook man die twee roten Lampen ut, Pfander!", sagte der Kapitän.

Die ganze Sache hatte noch ein Nachspiel. Es war viel später, irgendwann an Deck und wir waren beim Seeklarmachen. Da konnte ich meinen vorlauten Hals wieder mal nicht halten und habe Pfander ein Licht aufgesteckt von wegen der Fahrtstörungslichter. - Aber dann bin ich gelaufen, denn nun flogen mir Holzkeile und Hammer hinterher. - Das war eben noch ein echter alter Rosteimer mit Holzdeckeln auf den Luken und Persennige, die im Winter bretthart und schwer waren und eingeschalkt werden mussten, natürlich mit sehr vielen Keilen. - Alles solide und fest. Die Arme konnte man sich raus reißen. - Ich war richtig stolz auf unseren Zossen.

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Der Arbeitstag eines Decksjungen
oder die Story von den 3 Tassen

Mein normaler Arbeitstag auf See sah in etwa so aus. - Morgens um 6 Uhr aufstehen, aus der Kombüse das Frühstück für die Decksgang holen, Kaffee kochen und in der Mannschaftsmesse aufdecken. - Nach dem Essen alles abräumen und in einem Eimer abspülen. - eine Pantry gab es nicht - danach alles seefest wieder einräumen. - Ich musste mich beeilen, denn um 8 Uhr begann meine Wache und Wurras unser Bootsmann mit dem ich zusammen Wache ging, sah es gar nicht gern, wenn er den ersten Turn übernehmen musste. - Wache hieß bei uns nicht verschlafen hinter einer Selbststeueranlage hängen ~ die gab es nämlich nicht, nur einen richtig großen, schönen Magnetkompass ~ Wache hieß: "Den Zossen steuern" - und zwar nicht mit der elektrischen Ruderanlage. Die gab es zwar, aber unser Alter, ein echter Segelschiffsmann und Caphornier war der Meinung, seine Deckshands hätten so zu steuern wie es sich für einen anständigen Jan Maat gehört, nämlich mit der Hand und am großen Rad. - Mittags musste ich wieder rechtzeitig das Essen aus der Kombüse holen, aufdecken, abspülen, aufräumen. - Danach hatte ich die Mannschaftslogis zu reinigen, Bad und Toilette zu putzen und wenn ich damit fertig war musste ich irgendwo an Deck mitarbeiten. - Meistens die Arbeiten die kein anderer machen wollte. - Abends dann wieder das gleiche Spiel mit Essen fassen usw. usw.

Wenn man das Arbeiten so nicht gewohnt ist - und anfangs war ich das natürlich nicht - konnte man schon ganz schön "knille" werden, denn abends um 8 Uhr musste man schon wieder ans Ruder und seine Wache antreten. - Aber da gab es ja den Kaffee und für den war auch wiederum ich zuständig. - Im Durchschnitt gab es 4 gehäufte Löffel auf eine Mug; natürlich schwarz und ohne Zucker. - Später in Westafrika habe ich dann gelernt, dass der eine oder andere Matrose sich noch zusätzlich einen Schuss Pfeffer in die Tasse gepustet hat. - Am Tag stand ich oft 2, 3 Stunden hintereinander am Ruder, nämlich immer dann, wenn der Bootsmann keine Lust zum steuern hatte. Da konnte ich zu den vollen Stunden mit der Schiffsglocke glasen wie ich wollte, Wurras ließ mich einfach oben stehen. - Ach so ja, glasen; da legte der Alte größten Wert drauf; Seemannschaft! - ein Wunder das wir nicht nach Kompass-Strichen steuern mussten, was ich aber auch hin bekommen hätte, denn das hatten wir auf der Schiffsjungenschule, auf dem PRIWALL noch gelernt. - Einmal nachts war ich so müde, dass ich am Ruder den zu steuernden Kurs vergaß; ich erinnerte mich nur noch dunkel, das es irgend etwas mit 160, 170 oder 180 gewesen sein musste. - Dann war die Stunde voll und der Bootsmann der in der Nock gehangen hatte stolperte ins Ruderhaus um mich abzulösen. Es war stockdunkel, der Kursanzeigekasten vor mir nicht zu erkennen. - Ich wäre eher über Bord gesprungen, als den W.O. nach dem Kurs zu fragen. - Kurs Einhunderthmmunmmzig Grad krächzte ich dem Bootsmann ins behaarte Ohr, dann sah ich zu, dass ich in der Brückennock verschwand ohne hin zuhören, ob Wurras den Kurs wiederholte. - Ich habe richtig die Gehirnwindungen beim Bootsmann rotieren gesehen. - Sollte er doch den W.O. nach dem richtigen Kurs fragen, war jetzt nicht mehr mein Problem.

Ein anderes mal, ich war besonders müde, sollte ich frischen Kaffee für den W.O., den Bootsmann und für mich selbst zubereite. - Ich griff mir die drei leeren Muggen, hängte die Henkel an meinen Finger und tappte aus dem Ruderhaus. Dann muss ich im Stehen eingeschlafen und den Steuerbord Niedergang aufs Bootsdeck hinunter gestürzt sein. Unten angekommen rappelte ich mich mühsam hoch. - Auf der Brücke hatte man nichts von meinem Unfall bemerkt. - Ich stellte erstaunt fest, dass ich nichts gebrochen hatte. - Aber am Zeigefinger meiner rechten Hand hingen 3 dicke, runde Henkel. Alle 3 Muggen hatten den Absturz nicht überstanden. - Das war schlecht, denn diese fehlten mir jetzt an meinem Bestand in der Mannschaftsmesse. - Der Bootsmann rückte zwar fluchend aus seinem Geschirrschapp 3 neue Tassen heraus, erklärte mir aber allen Ernstes, diese würden mir von der Heuer abgezogen. Ich solle selber zusehen, wo ich 3 neue Muggen her bekomme.

Antwerpen war unser nächster Hafen und die Arbeiter mögen mir nachträglich verzeihen. - Als die Gang komplett bei uns an Bord war, habe ich mir 3 belgische Muggen aus deren Kantine besorgt. Diese waren noch größer als die unsrigen und aus diesem Grund in der Folgezeit bei den Matrosen sehr beliebt.

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