Jahre auf See

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Meine erste Seewache

In meiner Story von den 3 Tassen ist mir ein kleiner Fehler unterlaufen. - Die allererste Reise von M/S “ELFRIEDE” führte uns nicht von Kiel / Kanal nach Dünkirchen, sondern von der Werft, den Kieler Howaldtswerken, nach Dänemark; genauer gesagt nach Vejle und Aarhus.

Als Moses zum ersten Mal auf einem Schiff hat man besonders viel von dem, was man an der Küste gerne mit: „Null Ahnung“ bezeichnet. - Ich machte da keine Ausnahme; das schon mal vorweg.

Es war Anfang Januar 1956, wir liefen abends aus. - Über der Kieler Bucht lag feuchter Nebel, es war kalt, windstill und die See war glatt wie ein Brett. - Man hatte mich für die Abendwache 20.00 bis 24.00 Uhr zusammen mit dem I.O., dem Bootsmann und einem der Matrosen eingeteilt und da stand ich nun in der Backbord Brückennock und starrte in den Nebel. - Das Vorschiff war kaum zu erkennen. - Plötzlich riss mich eine Stimme aus den Gedanken: “Peter, Du gehst auf die Back, hältst Ausguck nach Lichtern und Tonnen und machst Meldung.” - Das die Back vorne ist, wusste ich immerhin schon ~ kam ja direkt von der “Mosesfabrik” dem PRIWALL ~ also krächzte ich mein “Jawohl Ausguck und marschierte in Richtung Vorschiff. - Jetzt verschwand hinter mir die Brücke im Nebel und ich stand zum ersten Mal ganz alleine vorne auf unserem Zossen und war mir der Wichtigkeit meines Auftrags bewusst. - Außer dem Nebel gab es nichts zu sehen. Zu hören war nur das leise Rauschen der Bugwelle die M/S “ELFRIEDE” bei langsamer Fahrt voraus verursachte und von Zeit zu Zeit das laute Dröhnen von unserem Nebelhorn. - Von See kamen manchmal sonderbare Geräusche, die ich mir nicht erklären konnte.

So stand ich da eisern im Nebel und in der Kälte und die Stunden vergingen. - Achtern waren jetzt ab und an Stimmen zu hören, die wie’s mir schien von weit her kamen. - Geräusche und vereinzelte, schwache Lichtstrahlen und Gepolter so als würden Schotten dicht geschlagen. Das ging eine ganze Zeit so, interessierte mich aber wenig, denn mein Blick ging nach vorn, das war mein Auftrag. - Dann kam jemand zu mir hoch getappt auf die Back und brüllte mich an: “Hier steckst Du, Du Blödmann”! - Es war einer unserer Matrosen und ich war völlig von den Socken. - Ja man hatte mich doch als Ausguck nach vorne geschickt. - “Wer”, fragte der Matrose, “Weiß nicht, war einer von der Brücke” - “Los komm mit aber pronto”. - Als ich nach achtern kam wurde ich giftig empfangen, es war nach Mitternacht und die ganze Besatzung auf den Beinen. - Überall auf und im Dampfer war man herumgekrochen und hatte den dämlichen Schiffsjungen gesucht in der Annahme, er sei über Bord gegangen. - Natürlich “schleppte” man mich sofort auf die Brücke und da stand ich dem Mann gegenüber der mich auf die Back geschickt hatte. - Es war unser Kapitän und ich sagte ihm, dass es doch er gewesen sei der mich nach vorne geschickt hatte. - Ja und dann - “Gut gemacht hast Du das Junge, ein Mann bleibt auf seinem Posten, bis man ihn abruft”! - Damit war die Sache für ihn erledigt, die Freiwache von Deck und Maschine, die Küche und das Bedienungspersonal hatten zu verschwinden. - Die Wahrheit war, man hatte mich einfach vergessen.

Er hat sich das nie anmerken lassen, aber ich hatte das Gefühl, von da an hatte ich so etwas wie einen “Stein im Brett” bei unserem Alten und das sollte schon etwas heißen. - Es war nämlich einer der letzten großen Segelschiffskapitäne und Cap Hornier, dessen schnelle Reisen mit den Laeisz Seglern PRIWALL, PADUA und PAMIR noch heute Legende sind. - Dieser Kapitän war gut, ich habe es in den darauf folgenden Monaten oft genug erfahren. - Man braucht es jetzt aber nicht meiner unmaßgeblichen Meinung zu glauben, man kann es in Büchern nachlesen, die von Leuten geschrieben wurden, die von der Seefahrt viel mehr mehr verstanden haben als ich. - Tatsache ist aber, dass ich heute, nach über 60 Jahren noch große Hochachtung vor diesem Mann habe.

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Die alten Steuerleute

Diesmal eine etwas kürzere Geschichte aus dem Anfang meiner Zeit bei der Deutschen Handelsschifffahrt. - Und noch ne Kleinigkeit als Erklärung vorweg, der Plärrer ist ein großer, zentral gelegener Platz in Nürnberg.

Anfang und Mitte der Fünfziger Jahre waren jüngere Patentinhaber gesuchte Leute. - Es wurde wieder Personal gebraucht für die nach dem zweiten Weltkrieg im Aufbau befindliche Deutsche Handelsschifffahrt. - Ob die großen deutschen Reedereien wie HAPAG, HANSA, HSDG, NDL usw. ähnliche Personal Probleme hatten kann ich nur vermuten, weiß es aber nicht. - Jedenfalls mussten die kleineren Reedereien ihre Ingenieure und Steuerleute oft sozusagen “aus alten Heeresbeständen” rekrutieren. Das führte dann dazu, dass auf so manchem Zossen ein zweiter Ingenieur oder Steuermann seinen Dienst tat, der normalerweise schon seit langer Zeit im Rentenalter war. - Über dieses Thema wurde vielleicht schon berichtet und ich möchte dazu hier auch einen bescheidenen Beitrag leisten.

Dass ich im Januar 1956 als Moses auf M/S “ELFRIEDE” eingestiegen bin, habe ich an anderer Stelle schon hinreichend breit getreten. - Beide zweite Steuerleute die im Verlauf des Jahres 56 ihren Dienst auf der ELFRIEDE taten waren um die 70 Jahre alte und rüstige Rentner. - Der eine hatte in jungen Jahren noch als Kadett auf der “HERZOGIN CECILIE“, dem Segelschulschiff des Norddeutschen Lloyds gedient, der andere war zwischen den Weltkriegen als Matrose mit Laeisz Seglern um Kap Horn zur Westküste-Süd und nach Australien gesegelt. - Da es auf der ELFRIEDE kein Radar, keinen Kreisel und keine Selbsteueranlage gab und die astronomische Navigation in der Hand von unserem Kapitän und dem 1.O. lag, brauchten sich die Herren mit weitgehend unbekannter Technik nicht beschäftigen. - Das Echolot konnte man allemal ablesen und dem Funkpeiler durfte man sowieso nicht trauen. Vielleicht lag es auch an den eigenen Ohren.

Zwar hatte ich sogar als Moses schon eine laute Stimme, so dass mich unser Chief einmal fragte wo ich denn her käme; auf meine Antwort: “Aus Nürnberg”, sagte der Mann doch glatt: “Kein Wunder, Du Plärrer“; doch genau genommen hatte ich überhaupt nichts zu melden! - Es gab aber auch für mich Momente, da bekam ich die Chance groß heraus zu kommen. - Nach einigen Monaten an Bord, teilte man mich für die Mittelwache ein; d.h. die Wache von 12 bis 16 und von Mitternacht bis 4 Uhr morgens und das war die Wache vom alten 2.O.

Wenn sich nachts mitten auf See zwei Schiffe begegneten, hat man sich mit Licht an gemorst. - So war das jedenfalls früher üblich. - Da gab es je eine Morsetaste in beiden Nocken und das Licht oben im Vormast oder man hatte einen modernen Klappscheinwerfer – ein solcher war natürlich auf der ELFRIEDE nicht vorhanden. - Also ging es los mit: “What ship, what ship”? und “Where are you come from”? “Where are you bount to”? - das war manchmal so richtig spannend und endete immer mit der freundlichen Verabschiedung: “Bon Voyage”! ~ Ja und da kam dann unser zweiter Steuermann an seine Grenzen und: “Peter, Du warst doch auf der Schiffsjungenschule, dem PRIWALL” - da hatte er recht und auf dem PRIWALL hatten wir das ja gelernt und jetzt kam meine große Stunde und ich war derjenige welcher. - Da schipperte die BAUMWALL von HMG nach Dakar oder der ADMIRAL BASTIAN kam von Kaolak und wollte nach Dünkirchen. - Manchmal hat es allerdings geregnet oder der Zossen war ein bisschen zu weit weg und so genau habe ich das dann auch nicht immer erkennen können. - Aber um irgend einen Dampfer war ich nie verlegen und um einen Hafen auch nicht; wie gesagt: “Bon Voyage ~ Bon Voyage”!

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Tage auf MS Elfriede und der Augenarzt von Rouen

Diese Geschichte widme ich den Hafenarbeitern von Rouen, zwei hilfsbereiten Krankenschwestern einer dortigen Ambulanzstation und nicht zuletzt einem freundlichen Augenarzt, der wenn er noch lebt, noch immer auf sein ärztliches Honorar wartet. - All diesen Personen bin ich dankbar, denn ich verdanke Ihnen die Sehkraft meines linken Auges.

Von Dünkirchen ging es zunächst nach Rouen. Wir luden dort Stückgut und im Nachhinein wundere ich mich noch heute, dass die Agentur überhaupt anständige Ladung für unseren Zampan auftreiben konnte. Jedenfalls vertraute man uns jede Menge Bier in Schachteln an. "Stella d'Artoise", "Biere de l'Alsace". - Glauben Sie bloß nicht, daß nur "German beer" im Ausland gefragt ist. - Mich hatte Kraake, unser Bootsmann, als "Raumwache" in eine Luke beordert und nun hieß es, sich mit den französischen Schauerleuten zu arrangieren. Das waren freundliche Männer mit blauen Hosen und Hemden und Baskenmützen auf dem Kopf und roten Gesichtern vom Wein trinken. Es wurde ohne Eile gearbeitet und zwischendurch tranken sie Rotwein in erstaunlichen Mengen aus großen, grünen Flaschen ohne Etiketten. Am Bier hatten sie wenig Interesse und wenn man hin und wieder in ein Gespräch verwickelt wurde - da waren einige, die halbwegs gut Deutsch sprachen - und es in einer Ecke verdächtig knackte, hörte man einfach nicht hin. Wir kamen blendend miteinander aus. - Sollen doch die Büroknüppel von den Versicherungen, die die Ladung versichern, im Sommer acht Stunden lang Bierkartons stapeln. Noch dazu bei dreißig Grad im Schatten in einem staubigen Laderaum. Dann sieht die Welt sicher ganz anders aus und die meisten von denen dürften danach allenfalls noch für den Sperrmüll taugen. Das gilt selbstredend nicht nur für die von den Versicherungen, sondern betrifft die Büromenschen im allgemeinen. - Die Raumwache verfolgt eher den Zweck, den versicherungstechnischen Vorschriften aus Sicht der Schiffsleitung Genüge zu tun. - Also wie überall, immer schön mit dem Hinterteil an der Wand. - Natürlich muss alles im Rahmen bleiben. Wenn große Kisten auf einmal leer sind, oder die Hafenarbeiter schreiben einladend auf die Abfahrtstafel an der Gangway: "Here you can drink German beer" und sind alle besoffen, ist das übertrieben und eine Sauerei. - Ich hatte jedenfalls mit den Rouaner-Hafenarbeitern keine Probleme und als ich am zweiten Tag unserer Liegezeit morgens wieder meine Raumwache bezog, wurde ich freundlich begrüßt. Man wusste sehr wohl zu schätzen dass ich mich nicht wie ein pingeliger Blödmann anstellte.

 

Alles war bestens bis auf mein linkes Auge. Da hinein mussten mir Rostsplitter geflogen sein, weil es an Bord keine Schutzbrillen gab was Vorschrift gewesen wäre. Vielleicht gehörten die Schutzbrillen einst bei der Indienststellung zur Grundausrüstung unseres Schiffes; jetzt jedenfalls waren sie weg und mein Auge wurde rot, brannte und tränte ohne dass sich etwas besserte. Ich konnte keinen Splitter entdecken, hatte aber dauernd das Gefühl, Fremdkörper im Auge zu haben. Die Franzosen sahen, dass ich ständig in meinem Auge herum wischte und schließlich fragten sie mich, ob ich nicht besser zur Ambulanz gehen wolle. - Wie das, ich war doch Lukengast und überhaupt, wo gab es hier eine Ambulanz und wie sollte ich dahin kommen? - Da solle ich mir mal keine Gedanken machen, das wollten sie schon arrangieren, erwiderten mir die Männer.

Als Kraake das nächste Mal an der Luke vorbei kam, sagte ich ihm das mit dem Auge und nachdem er wohl begriffen hatte, dass ich mit nur einem Auge auf Dauer weniger für die Reederei arbeiten konnte ließ er mich widerstrebend durch meinen Macker ablösen.

In Amsterdam kamen die Hafenarbeiter damals mit dem "Brummfiez", sprich Moped. In Rouen mit dem Fahrrad. - Wenn ich daran denke, dass heutzutage schon der dümmste Schammako wie Graf Rotz mit eigenem Auto herum kreuzt, frage ich mich, ob es noch eine Gerechtigkeit gibt. - Kurz, einer der Arbeiter radelte mit seinem Fahrrad vornweg und ich mit dem seines Kollegen achteran in Richtung Ambulanz. Dort verarzteten mich zwei freundliche französchische Schwestern - ohne Wenn und Aber - leider auch ohne Erfolg. Dannach wurde beraten, was mit mir weiter geschehen sollte.

Nun lassen Sie mich erklären. Mein Schulfranzösisch war schon immer dürftig und im Laufe der Zeit hatte ich das mühsam Eingepaukte erfolgreich vergessen. Was nützen einem in der Praxis schon angelernte Sätze wie: "Madame Dujardin est furieuse, elle achete ou Magazin du Louvre un fer electric, et cet fer ne fonctionne pas". Da kommt man mit dem Satz: "Bonjour Monsieur Stemmperlein; asseyez-vous", schon etwas weiter. Man kann wenigstens das Wort: "Bonjour" gebrauchen. Man sieht, meine französischen Sprachkenntnisse waren katastrophal. Es wurde mir aber klar gemacht, daß die Ambulanz hier nicht weiter käme und ich umgehend nach Rouen zu einem Augenarzt müsse bevor es für das Auge zu spät ist. - Mit einmal saß ich in einem Taxi und fuhr Richtung City; die Krankenschwestern hatten das bestimmt und kurzer Hand für mich gemanagt.

Es gibt Städte, da stimmt die Bezeichnung: "Hafenstadt" noch. Man denke nur an Antwerpen und die alten Scheldekai Liegeplätze. Da pulsiert das Leben noch unmittelbar zwischen Stadt und Hafen und die Menschen die dort leben und arbeiten sind stolz darauf. Da sieht man abends von Bord aus die Lichter der Bars und Pinten. Es sind nur ein paar Schritte bis zum nächsten gemütlichen Tresen und die Wirtin wird auch von Glas zu Glas schöner. An warmen Sommerabenden laufen Touristen auf den langgestreckten Aussichtsterrassen entlang und betrachten die Schiffe und Seeleute. Man stelzt ordentlich breit herum auf dem Dampfer und macht ein wichtiges Gesicht, wenn man etwa die Vorspring durchholt oder einen Fender zwischen Pier und Bordwand richtet. Die Leute schauen dann ganz ehrfürchtig und der eigene Rostdampfer kommt einem plötzlich gar nicht mehr so heruntergekommen und schäbig vor. Andere Städte hingegen - und diese sind leider in der Überzahl - verdienen die Bezeichnung "Hafenstadt" nicht. Es ist so, als würde sich die Stadt ihres Hafens schämen. Er liegt irgendwo weit draußen; niemand, der nicht da arbeitet kommt jemals dort hin. Der Hafen ist vorhanden, man weiß es, das genügt. Was soll man dort, man macht sich nur dreckig und das Sprichwort: "Er sank von Stufe zu Stufe - zuletzt wurde er im Hafen gesehen", ist keine Erfindung von mir, sondern leider an der Küste ein verbreitetes Vorurteil.

Nun, von den Hafenanlagen von Rouen bis in die Innenstadt muss es auch ein ordentliches Stück gewesen sein. Jedenfalls fuhr ich einige Zeit mit dem Taxi durch die Gegend. Schließlich hielt der Wagen vor der Praxis eines Augenarztes. Es war um die Mittagszeit und der Taxifahrer der gottlob! bei mir blieb, musste eine Weile klingeln, bis uns jemand aufmachte. Der Augenarzt war ein feingliedriger Mann im dunklen Anzug, der geflissentlich über mein schäbiges Aussehen hinweg sah, obgleich ich ihm wahrscheinlich den Mittagsschlaf verdorben hatte. Vom Taxifahrer wusste er, dass ich vom Hafen kam, das genügte ihm. Dass ich unmittelbar aus der Ladeluke eines deutschen Frachters gestiegen war, der Bierkisten für Conakry in Guinea geladen hatte, interessierte ihn nicht. Ich hätte es ihm auch beim besten Willen nicht erklären können. - In einem dunklen Raum mit kompliziertem Gerät, holte mir der Doktor - dessen Namen ich leider vergessen habe - in einer längeren Aktion drei Rostsplitter aus dem linken Auge, die tief in die Hornhaut eingedrungen waren. Danach kam das, was man bei uns vornehm mit "ärztlicher Liquidation" bezeichnet. Der Augenarzt schien einigermaßen fassungslos und fragt immer wieder: "No l'argent?" "No money?" No plata?" - No! Nichts! Nada! Was sollte ich auch aus meinen verstaubten Hosentaschen hervor zaubern. Da gab es keine Piselotten, lediglich ein Taschenmesser mit eingebautem Flaschen- und Dosenöffner. Der Doktor gab sich damit naturgemäß nicht zufrieden. "Quelle est le nombre de Companie?" Oh weh! "Memel Transportschifffahrts GmbH und Co". "C'elle"? Ja Donnerschlag, ich konnte doch nichts dafür, dass ich nicht Kapitän der Messagerie Maritime war. "Quelle est le nombre de bateau?" "Shipsname, you know?" Schon gut, schon gut - in Bitching-Inglish war ich dem Mann garantiert überlegen - ich hatte verstanden. "Bateau Elfried!" Diese Information erschien dem Doktor wiederum zu dürftig, vielleicht hatte er auch andere Vorstellungen und erwartete einen eindrucksvolleren Namen. "Quelle est le nombre de Capitaine?" - "Jan Qualsterkamp!", log ich jetzt dreist. Der Doktor stand mir quasi Auge in Auge mit hängenden Schultern gegenüber. Jetzt nachdem alles wieder in Ordnung war, konnte ich ihn schon besser erkennen. Wir starrten uns schweigend an. Ich hätte ihm allenfalls noch sagen können, dass Madame Dujardin furieuse ist, weil man ihr im Kaufhaus Louvre ein kaputtes Bügeleisen angedreht hat. Aber das ließ ich lieber bleiben. Schließlich verabschiedete er mich mit einem hilflosen Kopfnicken und sah noch ganz verdutzt aus, als ich ihm ein schulmäßiges: "Bonjour, Monsieur Docteur, merci beaucoup" an den Kopf warf. - Ich kann mir nicht vorstellen, dass unsere Reederei jemals eine Rechnung in meiner Angelegenheit bekommen, geschweige denn bezahlt hat.

Zurück an Bord wollte mich Kraake gleich zusammen schxxxen, wo ich denn solange abgeblieben sei. Aber da ließ ich mir nicht an den Wagen fahren und wurde ganz pampig und den Taxifahrer schickte ich auf die Brücke zu unserem Alten von wegen der Rechnung. Der Alte staunte nicht schlecht, denn da kam sicher einiges zusammen, was meine monatliche Heuer überstieg.

Kurz danach liefen wir aus und waren mit unserem langsamen Zossen fast drei Wochen auf See nach Westafrika. Da hätte ich ganz schön Schwierigkeiten bekommen mit meinem Auge, oder um es deutlich zu sagen, das Auge wäre mit Sicherheit nicht mehr zu retten gewesen.

~ ~ ~

Ostern auf dem Saloum River (Senegal)

Für unseren neuen I.O. war es nicht einfach mit dem Kapitän klar zu kommen. – Heute denke ich die Chemie hat von Anfang an nicht gestimmt zwischen den beiden. – Ich war damals Schiffsjunge an Bord und normal hätte ich das alles nicht mitkriegen dürfen. Aber der I.O. war ständig schlechter Laune und brüllte häufig so laut an Deck herum, dass es der Letzte hören musste, also auch ich, der Moses. – Nur mal als Beispiel, der I.O. saß in seiner Kammer und erledigte Schreibarbeiten oder sonst was. Währendem ließ der Alte den Bootsmann auf die Brücke kommen und gab Order, sämtliche Ladebäume schon mal hoch gehen zu lassen, die Persennige von den Luken zu ziehen und die Luken zu öffnen. - Das, obgleich der Zossen nicht an der Pier lag, sondern es noch 3 Stunden Revier Fahrt bis zum port of Destination waren. – Der Erste dagegen hatte für uns peoples eine ganz andere Arbeit vorgesehen die nun liegen blieb. D.h. der Alte pfuschte dem Ersten dazwischen nur um Zeit zu schinden, damit sich die Hafenarbeiter in Kaolak sofort wie die Ameisen über unseren Zossen her machen konnten. Dass so etwas auf Dauer nicht gut geht kann man sich denken.

Die Alten Westafrikafahrer von HMG, Bastian der Flensburger Schiffspartenvereinigung und andere sind damals wie wir regelmäßig den Saloum River hoch nach Kaolak gefahren um Stückgut zu löschen und Expeller zu laden. Das dieses gepresste Ölkuchenzeug ein gewaltig staubiger Dreck war in der Art Kohlenstaub nur in gelb, erwähne ich hier nur nebenbei. Andererseits war Kaolak aber nicht schlecht. Meistens lag man dort einige Tage und nachts wurde nicht gearbeitet. – Moment mal Männer ihr freut euch zu früh auf eine entsprechende Geschichte von mir. Diesmal ist es nicht das Thema, ich bleibe sauber. – Damals war ich noch nicht so lange an Bord und weil die peoples natürlich abends alle an Land gehen wollten, hat mich der Scheich häufig zur Nachtwache verdonnert. Wenn er dann nachts mit ordentlich einem in der Krone längs die Pier zurück an Bord getorkelt kam, hab ich ihn dafür von oben mit Kartoffeln beworfen. Das war so meine kleine Rache.

Aber das wollte ich ja gar nicht erzählen. – Von See kommend war damals die Einfahrt zum Saloum River nicht einfach zu finden, weil es dort keine Leuchtfeuer, keine markanten Landerkennungsmerkmale wie Berge ja nicht einmal eine Ansteuerungstonne gab. – Die Navigation musste schon stimmen, damit man mit dem Point of Destination nicht zu weit nördlich oder südlich lag. Sonst war man am Suchen. – Das ist uns immerhin einmal passiert mit dem Vertreter Kapitän. Oh was waren da die peoples aus dem Fettenkeller am lästern. – Aber wie gesagt, ich war nur der Moses, mich ging das alles nichts an; was nicht heißt, dass ich es nicht mitbekommen hätte. - Entschuldigung, ich bin ja immer noch nicht bei den Eiern - pardon Ostereiern - und ein bisschen brauche ich auch noch bis ich da hinkomme. – Die Flussmündung vom Saloum River war ziemlich breit und wenn man mit dem Zossen halbwegs drin war kam noch ein zweites Hindernis, nämlich eine Barre. Über die Barre kam man nur weg bei Hochwasser, sonst musste der Dampfer vor Anker gehen. Das gleiche Spielchen gab es natürlich auch bei der Ausreise und von so einer Ausreise zur Osterzeit handelt der eigentliche Teil meiner Geschichte.

M/S „ELFRIEDE“ kam von Kaolak, alle 4 Luken randvoll mit Ölkuchen für Mühlen in Rouen oder Dünkirchen und wir waren zu spät dran d.h. hatten das Hochwasser verpasst. – Wir also innerhalb der Barre den Anker weggeschmissen und dann hatte unser Kapitän einen Einfall. – Wenn ich jetzt so schreibe traue ich mich fast nicht mehr weiter zu machen denn die meisten Ehemaligen werden denken, jetzt lücht he allweder de Pit. Dem ist aber nicht so, es ist die Wahrheit und die muss eben nu mal raus. Ein Bootsmanöver wäre ja normal gewesen, aber das Boot aussetzen, um in einem Eingeborenen Dorf welches da irgendwo zwischen Steppe und Savanne im Busch lag, Eier und deren Produzenten einzuhandeln, das konnte nur unserem Alten einfallen. – Das Kapitän Robert C. ein alter Kap Hoornier und zu seiner Zeit ein bekannter Segelschiffskapitän war habe ich an anderer Stelle schon hinlänglich berichtet. Dass er in kleineren Häfen schon mal zusammen mit dem Koch an Land ging um frische Lebensmittel für uns boardpeoples einzukaufen, meine ich auch. Also passte der Osterausflug ganz gut ins Bild. – Unser I.O. war wieder mal stocksauer, weil ihn niemand informiert hatte und während wir eines der Boote klar machten verschwand er wortlos in seiner Kammer. – Für mich als Moses war das ja damals alles so was von aufregend. Ich kam mir vor wie Robinson Crusoe oder besser noch Old John Silver aus der Schatzinsel und dies nur, weil ich dabei sein durfte. – Natürlich hatten wir auf unserem Zossen keine modernen Klappdavits, sondern noch die Alten zum raus schwenken, trotzdem bekamen wir nach einigem hin und her das Boot raus und ganz ordentlich zu Wasser. - Mit 8 Mann plus Steuermann ~ unser Captain ~ war unser Boot voll besetzt und klar zum ablegen. Jetzt half mir meine Bootsausbildung vom PRIWALL, ich wusste Bescheid und konnte mit Krake dem Bootsmann und den beiden Matrosen gut mithalten, während die beiden Assis und Egon aus der Kombüse mit ihren Riemen Ellerbecker Rundschläge vollführten und vom Alten zusammen geschixxen wurden. Nach einiger Zeit klappte es dann aber doch einigermaßen und wir kamen gut vorwärts, dem nördlichen Ufer des Saloum Rivers entgegen.

 

Kapitän C. musste die Gegend gekannt haben, denn er ließ uns flussabwärts eine Sandbank umrunden und hinter dieser in eine kleine Bucht rudern. Als wir näher heran waren erkannt man einen Steg und ein paar halb nackte Kinder, die kreischend davon liefen als sie uns sahen. – Kaum hatten wir an dem Steg fest gemacht, kam eine Schar Eingeborener Männer wie Frauen in „heimischer Kleidung“ – wobei ich mich beim besten Willen nicht mehr erinnern kann wie diese aussah. Nun begann ein langes Palaver und schließlich muss einer der älteren Männer unseren Captein erkannt haben, denn es gab eine laute Begrüßung. – „Peter“ hat der Alte zu mir gesagt, „ich gehe jetzt mit den Leuten und Du passt hier auf unser Boot auf – Du bist mir für das Boot verantwortlich, ist das klar“?! – Dann sind meine peoples mit der ganzen Truppe Einheimischer abgezogen und nur die Kinder sind bei mir geblieben haben mich angestarrt und in ihrem unverständlichen Dialekt gesabelt. – Mann was war das ein verantwortlicher Posten, ich alleine in der Wildnis mit dem Boot und allem Inventar. – Ich habe mein PRIWALL Bordmesser aufgeklappt ~ das von Meinke & Jaacks mit dem Marlspiker ~ und in die Hand genommen; nur für alle Fälle, damit keine Unklarheiten aufkommen. Dann habe ich gewartet. - Mir kam es wie eine Ewigkeit vor bis unsere Bootscrew mit dem Alten an der Spitze aufgetaucht sind; ich war froh, als sie wieder zurück waren. - Der Koch und Egon haben einen braunen Korb geschleppt, da waren die Hühnereier drin und die Assis und Matrosen haben Verschläge getragen, in denen gackernde Hühner steckten. Ich kann mich an Worte wie „Massa Captain“ erinnern und sie waren alle um unseren Kapitän rum. Dann gab es eine lautstarke Verabschiedung die kein Ende nehmen wollte bis schließlich unser Alter dem ein Ende gesetzt hat. – Wir sind raus in die Bucht gerudert und von da an begann es hart zu werden für uns boot peoples.

Unser Zossen, klein zu sehen, lag ein ganzes Ende weiter Strom aufwärts und nun mussten wir zurück gegenan. Anfangs ging es noch einigermaßen weil der Alte das Boot dicht unter Land am Ufer entlang steuerte ~ so man eben ohne auf ne Sandbank aufzulaufen oder im Uferbewuchs hängen zu bleiben. Trotzdem kostete es Kraft und nach kurzer Zeit waren unsere Klamotten durchgeschwitzt bis zum geht nicht mehr. Das Boot war jetzt voll beladen und nur langsam kamen wir vorwärts. Pausen durften wir nicht machen, denn sonst wären wir zurück getrieben und Kapitän C. drückte jetzt auf Tempo. – „Wir müssen beschleunigt an Bord zurück und Anker auf gehen“, hat er gesagt, sonst kämen wir wieder nicht über die Barre. – Ich war immer noch stolz, was ein Abenteuer. – Ich weiß nicht wie lange wir rudern mussten bis wir M/S „ELFRIEDE“ endlich querab hatten; dann noch 100 Meter weiter von wegen der Abdrift und raus in den Saloum River. – Bbwwaaa, hat uns jetzt die Strömung erst richtig zu fassen bekommen und „Rudern, rudern“ hat der Alte gebrüllt und vorgehalten hat er damit wir nicht wie ein Pappkamerad an unserem Eimer vorbei rauschen. – Und wir haben gerudert als ginge es um unser Leben. Ich habe die Arme nicht mehr gespürt, meine Lunge war zum zerspringen und die 3 oder 4 Knöpfe an meinem Hemd die ich vergessen hatte auf zu machen, sind einer nach dem anderen abgeplatzt. – Trotz größter Kraftanstrengung haben wir es aber nicht geschafft sondern waren im Abstand von rund 10 Metern an der runter hängenden Jakobsleiter vorbei getrieben. Kapitän C versuchte jetzt hinter das Heck unseres verfluchten Zossens zu kommen, damit der Druck wenigstens etwas nachließ und das haben wir ja dann auch zum Glück geschafft, aber eben leider nicht direkt dahinter sonder im Abstand von ungefähr 30, 40 Metern. Ja und da standen wir jetzt auf der Stelle und gerudert haben wir weiter wie die Besenkten und keinen einzigen Meter sind wir näher gekommen. Es war zum verrückt werden. – Unser Alter hat das Brüllen angefangen: „Rettungsboje raus, Rettungsboje raus“! – Niemand an Bord hat sich blicken lassen und wir immer gerudert und gerudert mit raus gepressten Adern und plötzlich sehe ich aus den Augenwinkeln unseren I.O. wie er seelenruhig seine Wäsche oben am Bootsdeck am Aufhängen ist und so macht als hört und sieht er nichts. – „Rettungsboje raus, Rettungsboje raus“! - hat der Alte wieder gebrüllt. Und dann endlich ist achtern unsere Bordwache, Matrose Hermann Hempel aufgetaucht. – Hempel wie die Pinneberger Decksfarben. Werde den Namen mein Lebtag lang nicht vergessen, der Mann kam aus Lübeck, war ein ganz feiner Kumpel und prima Seemann. Hat damals sofort begriffen, zwei Wurfleinen aneinander geknotet, das eine Ende auf ner Klampe belegt und am anderen einen Rettungsringe befestigt und dann das Ganze achteraus geschmissen. Wir haben uns mit dem Bootshaken den Rettungsring geangelt und danach Hand über Hand an unseren Zossen herangezogen.

Ich erinnere mich nicht, ob es noch am gleichen Tag war oder einige Tage später, aber es gab ein Gespräch zwischen Kapitän C. und unserem I.O. – Es war auf der Brücke und ob man mir es jetzt glaubt oder nicht, ich, ausgerechnet ich stand damals am Ruder und habe jedes Wort mitbekommen. – Zwar weiß ich nicht mehr was genau gesagt wurde, nur soviel, dass der I.O. - ein grobschlächtiger Kerl – wie blöde herum gebrüllt hat und Kapitän C vollkommen ruhig blieb. – Zum Schluss hat er gesagt, der I.O. möge im nächsten Hafen bei unserer Reederei um seine sofortige Ablösung bitten und dann hat er ihn von der Brücke geschickt.

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