Jahre auf See

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Hugo der Bordaffe

Bernhard, einer unserer Matrosen, brachte das Tier des nachts aufs Schiff. Er hatte gemütlich in einer Bar im westafrikanischen Ziguinchor gesessen, da brach draußen Tumult aus. - Wenn einer der alten Fahrensleute sich an Ziguinchor im Senegal erinnert, dann weiß er, dass der Urwald Mitte der 50-iger Jahre bis an die Bar heranreichte, dass es damals dort nur eine einzige Kneipe gab und ich ebenso gut hätte Buschbar sagen können. - Nun ist trouble nichts, was den Seemann gleich aus der Ruhe bringt; so auch Bernhard. Also blieb er am Tresen sitzen und trank das, was man ihm dort als Bier verkaufte. Als der Krach allerdings zu groß wurde ging er hinaus, um nachzusehen was anlag. Da stritten sich ein paar dunkle Gestalten um einen jungen Affen. Die Mutter des Tieres hatten sie aus niedrigen Gründen umgebracht und nun kreischte der kleine Kerl - gefangen in einem Sack - gottserbärmlich herum. Ist klar, unser gutmütiger Bernhard konnte das nicht lange ertragen. Er griff in die Tasche, holte einige zerknitterte Dollarnoten hervor und kaufte den Schwarzen das Tier ab.

So kam unser Zossen zu einem echten Bordaffen; unechte gab es ja schon genug. Wir staunten nicht schlecht, als uns Bernhard den kleinen Burschen am nächsten morgen vorführte und ich machte den Vorschlag, ihn Hugo zu nennen. Zu meiner Verwunderung gab es darüber keine langen Diskussionen. Keiner an Bord hieß Hugo und so waren sie alle einverstanden. Hugo selbst schien dazu keine Meinung zu haben. Im Gegenteil, als er uns alle sah, schixx er vor Schreck ins Kabelgatt, wohinein ihn der Matrose gesperrt hatte. - So ging das natürlich nicht; das arme Tier. Wir beratschlagten sofort, was zu tun sei. Inzwischen kam Kraake, der Bootsmann und sagte dass das Vieh gleich an Land zurück müsse. Aber da biss er bei der Decksgang auf Granit. Wir hatten Hugo bereits ins Herz geschlossen. - Nun war ich mit meiner Namensvergabe wieder einmal voreilig gewesen, denn auf einmal sahen mich alle an und: "Pit du kümmerst dich um Hugo", hieß es da. - Ach du Scheixxe; ich konnte nur ahnen, was da auf mich zukam.

Zunächst brachte ich Hugo eine volle Schüssel Kartoffelpüree den Egon der Kochsmaat extra mit Dosenmilch bereitet hatte. Das hungrige Tier fraß die Portion im Handumdrehen. Danach war der Affe soweit, dass er nicht mehr nach mir schnappte. Er schien seine Furcht zu verlieren und Zutrauen zu mir zu fassen. - Im finsteren Kabelgatt sollte Hugo nicht bleiben, so flocht ich aus Schiemannsgarn einen zehn Zentimeter breiten Platting, den ich ihm vorsichtig um die Brust legte. An dem Brustband befestigte ich eine mehrere Meter lange Leine. Hugo ließ diese Prozeduren widerspruchslos über sich ergehen. Im Gegenteil, inzwischen hing er mit allen Vieren an meinem rechten Hosenbein und schien sich recht wohl zu fühlen.

Der Ladebetrieb an Bord war voll im Gange. Die vier Luken standen offen. Sämtliche Scherstöcke und einige hundert Lukendeckel mitsamt den Persenningen, Schalk- und Verschlusslatten lagen an Deck. Durch die Luft schwebten in beängstigtem Tempo neben Paletten mit Kartons, Kisten, Säcke und Fässer. Es wurde Ladung aus den Unterräumen gelöscht und gleichzeitig begann man in den Zwischendecks neue Partien anzulegen; d. h. dort wurden die Sektionen zur Übernahme der Ladung vorbereitet. Ein hartes Stück Arbeit für alle Mann; besonders für unseren Ersten, der hier für die seemännische Stauung zuständig und verantwortlich war. Da stand er breitbeinig mit durchgeschwitztem, offenem Hemd und gab brüllend Anweisungen in grauenhaftem Englisch, durchsetzt mit spanischen Flüchen. Um ihn herum ein Haufen schwarzer Hafenarbeiter und unsere Gang, die Garnier legte; d. h. Bretter gleichmäßig und in engem Abstand über das eiserne Deck verteilten. Darauf kam das neue Sackgut für die europäischen Häfen. Hier hatte unser Erster eisern das Sagen und seinen Kommandos wurde selbst von den breitschultrigsten Negern befolgt. An Deck stolperte der Zweite zwischen Hafenarbeitern und Lukendeckeln herum, den knittrigen Stauplan in der Hand und versuchte auf dem Papier nachzuvollziehen, was unser Erster da im Zwischendeck fabrizierte. Schließlich musste man im Bestimmungshafen genau wissen, wo die einzelnen Trümmer der Ladung ab geblieben waren. Dabei musste unser Zweiter noch höllisch aufpassen, dass ihm nicht eine der durch die Luft schwebenden Hieven gegen den Schädel krachte. - Für den Laien ein absolut chaotisches Bild, gewürzt mit Hitze und Staub, begleitet vom ohrenbetäubenden Kreischen der elektrischen Ladewinden und hundert anderen Geräuschen. - So etwas muss man erlebt haben, um es wirklich begreifen zu können.

Natürlich durfte ich Hugo, unseren Affen, einem solchen Trubel nicht aussetzen. Da wäre er unweigerlich zertrampelt, zerquetscht oder der Einfachheit halber von irgend einer Type, über die Reling geworfen worden. Das Tier musste behutsam an den Bordbetrieb gewöhnt werden. Ich humpelte also mit Hugo, der sich nach wie vor ängstlich an mein Bein klammerte, die eiserne Treppe zur Back hoch. Dort band ich die Leine an der Bremse des Ankerspills fest, um den Affen vorsichtig in den Schatten der Winde zu setzen. Hugo war damit nicht einverstanden, er wollte meine Wade nicht loslassen und begann lauthals zu zetern. - Oh je, da hatte man mir etwas eingebrockt. Ich konnte doch nicht in Zukunft auch noch die Affenmutter ersetzen. - Jetzt musste ich Bernhard um Rat fragen. Also riss ich mich von Hugo los und spurtete den Niedergang zum Deck hinunter, der Affe kreischend an meinen Fersen. Dann spannte sich die Leine und Hugo blieb auf halbem Wege hängen. So saß er Oberkante Niedergang und heulte hinter mir her. - Als ich Bernhard unsere neuen Probleme beschrieb, war er zunächst ratlos. Dann sagte er ich solle dem Tier nur tüchtig zu Fressen geben, es würde sich schon beruhigen und an die Back solle ich ein Schild hängen: "Zutritt verboten" und wenn ich danach einen der Hafenarbeiter auf dem Vorschiff erwischen sollte, bräuchte ich ihm nur Bescheid geben. Er würde dem Kerl mit der Brechstange einen Scheitel ziehen, dass der keinen Frisör mehr bräuchte.

Im Laufe der folgenden Tage begann sich Hugo langsam an das Leben an Bord zu gewöhnen. Die Leine die ich ihm angelegt hatte gab ihm genug Spielraum, um auf dem Ankerspill und zwischen den Pollern herum zu toben. Manchmal sprang er jetzt schon auf die Verschanzung, machte von dort aus einen Satz auf die Stagen und fing an, auf ihnen zum Fockmast hochzuklettern. Wenn ich mit dem Futternapf kam, wurde ich immer stürmisch begrüßt. Der Affe entwickelte einen erstaunlichen Appetit und fraß das was ich ihm brachte stets bis zum letzten Rest auf. - In dieser Hinsicht verhielt er sich wie unser Bootsmann; oder anders herum, Kraake stand dem Bordaffen in nichts nach. - Anschließend klammerte er sich regelmäßig an meinen Beinen fest. Besonders gern ließ er er sich von mir auf den Arm nehmen und durch die Gegend tragen. Nachts setzte ich Hugo an verkürzter Leine ins Kabelgatt. Dort hatte ich ihm aus alten Säcken, zwischen Tauwerk, ein Lager eingerichtet. Bei jeder Verabschiedung machte Hugo ein fürchterliches Theater, heulte, zeterte und begriff nicht, dass ich ihn nicht permanent mit mir herumschleppen konnte. Gegenüber meinen Arbeitskollegen verlor das Tier mit der Zeit ebenfalls die Scheu. Aber so richtig Zutrauen fasste Hugo eigentlich nur zu mir und Bernhard. Der Matrose brachte ihm gelegentlich irgend etwas fressbares aus der Kombüse und alberte mit dem Affen auf der Back herum. Dank meiner Pflege entwickelte sich das Tier prächtig. Bernhard konnte richtig stolz sein. Mittags, in der Mannschaftsmesse, rätselte die Decksgang herum, um was für eine Art Affen es sich bei Hugo handeln würde. Die einen meinten es sei ein Schimpanse oder ein Oran-Utan. Bernhard und ich tippten eher auf einen Hundsaffen. Hugo hatte ein kurzes, hellbraunes Fell; einen kantigen, großen Schädel mit viereckiger Schnauze. Die langen Arme waren bereits jetzt, bei dem jungen Tier, erstaunlich muskulös, die Hände und Füße großflächig, der Bauch rund und gut gefüllt. Hugo sah richtig urig aus und bis auf den Bootsmann mochten ihn alle leiden. Der einzige der bis zu diesem Zeitpunkt nichts von Hugos Existenz wusste, war unser Alter. - Allerdings sollte sich das bald ändern.

Die Lösch- und Ladungsarbeiten waren beendet, die Luken geschlossen. Unser Zossen lag seeklar an der Pier, wir warteten auf den Lotsen. Hugo saß vorne auf dem Ankerspill und schien das was um ihn herum geschah mit großer Aufmerksamkeit zu verfolgen. Zum Glück stand ich oben auf der Brücke am Ruder, so konnte ich zwar Hugo sehen, er aber nicht mich. Anderenfalls hätte ich ihn schon wieder an Armen oder Beinen hängen gehabt. - Dann kam der Lotse, wir liefen aus Ziguinchor aus. Der Kapitän stand am Maschinentelegraf, das schwere Zeissglas vor den Augen, den Blick voraus auf das schmale Fahrwasser des Flusses gerichtet. Neben ihm der Lotse. Da plötzlich, mit affenartiger Geschwindigkeit kletterte ein Schatten an den vorderen Pardunen zum Mast hoch, um im nächsten Augenblick mit gleichem Tempo wieder hinunter an Deck zu fegen. So ging das mehrmals fünfzehn Meter rauf und runter. Das war Hugo, der sich angeregt durch die vorbeiziehende Flusslandschaft auf dem Vorschiff austobte und sekundenlang im Blickfeld von unserem Käpt'n erschien. Der Alte nahm das Glas von den Augen, schüttelte den Kopf und sah den Lotsen an, als würde er am eigenen oder dessen Verstand zweifeln. Dann hob er sein Fernglas aufs neue. Ich konnte Hugo erkennen, der jetzt an Backbordseite ganz oben kurz unter der Saling an einer der Pardunen hing und im Fahrtwind hin und her schaukelte. Der Alte starrte gebannt durch sein Glas; es verschlug ihm die Sprache. Ich musste mich auf die Kommandos des Lotsen konzentrieren und auf den Ruderlagenanzeiger vor mir achten. Allerdings erwartete ich jeden Moment ein Donnerwetter unseres Alten über dieses "Affentheater" und die Order an unseren Ersten, dieses sofort abzustellen zu lassen. - Es geschah jedoch nichts. Wortlos, breitschultrig und schwer stand unser Alter auf der Brücke. Sein Verhalten gab mir wieder einmal Rätsel auf. Am Nachmittag hatte Bernhard das Tier von der Back geholt, die Leine etwas gekürzt und Hugo Vorkante Brücke auf Luke zwei gesetzt. Anschließend brachte er ihm den gefüllten Futternapf, der, wie immer, umgehend leer gefressen wurde. Jetzt saß der Affe auf der Persennige in der Sonne und schien mit sich und der Welt zufrieden. Langsam begann er wie ein Ball auf und ab zu springen und sich im Rhythmus der Schiffsbewegungen auf den runden Bauch zu trommeln. - Ich konnte von der Brücke aus die Szene gut beobachten und plötzlich stand unser Käpt`n dick und mit vorgestrecktem Bauch an der Luke. Hugo ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und sprang weiter auf und ab. Jeder betrachtete den anderen ausgiebig und mit großem Interesse. Endlich sah ich den Alten ein paar Grimassen schneiden und wohlgefällig mit dem Kopf nicken, da wusste ich, das die Decksgang gewonnen hatte. Hugo durfte an Bord bleiben.

 

Ich erinnere mich heute nicht mehr genau, wie der nächste Hafen hieß, in den unser Dampfer einlief. Auf jeden Fall war es ein Hafen an der westafrikanischen Küste und es muss an einem Nationalfeiertag gewesen sein, denn es standen keine eingeborenen Hafenarbeiter auf der Pier d. h. es erwartete uns niemand. Normalerweise hängt da schon ein halbes Hundert Arbeiter herum und stürzt sich auf den Zossen, wie ein Heuschreckenschwarm über ein Durafeld. Noch bevor man den Eimer richtig festgemacht hat, fallen die Burschen über einen her. Alles muss hoppla hopp gehen; die Ladebäume hoch, die Luken auf; die Scherstöcke raus. Nur keine Zeit verlieren, Tempo, Tempo; man kommt nie zur Ruhe. Fast überall ist es dasselbe, nur nicht in England. Wenn da "teatime" ist, bewegt sich rein gar nichts, allenfalls der Löffel in der Teetasse. - Respekt! - vor den Jungs ziehe ich heute noch nachträglich den Hut. - Nachmittags ist die halbe Besatzung in einer Bucht, die ganz in der Nähe war, zum Baden gegangen. Hugo, unseren Affen nahmen wir mit d. h. ich platzierte ihn von meiner rechten Wade an meinen linken Oberarm. So behinderte er mich weniger beim Laufen. Als wir dann aber unsere Badehosen anzogen und ins Wasser sprangen gab es die nächste Überraschung. Hugo wollte nicht mit rein. Zum einen klammerte er sich an mir fest, zum anderen hatte er Angst vor dem Wasser. Widerstrebend ließ er mich los, um mir im nächsten Moment wieder hinterherzurennen. Schließlich blieb Hugo aber doch unter lautem Protestgebrüll am Ufer zurück. So rannte der nasse Affe unter dem Gelächter der Decksgang am Strand hin und her. Er konnte nicht begreifen, dass ich, sein Bezugstier, im ungeliebten Nass davon schwamm, ohne Schaden zu nehmen.

Als wir später an Bord zurück kamen erwartete uns schon unser Erster und schixx uns mächtig zusammen, ob wir wohl bekloppt wären da draußen gemütlich in der Bucht herum zu schwimmen. Haie gäbe es dort und zwar nicht zu knapp und so ein paar schlappe Katzenhaie seien das auch nicht, sondern richtige Kawenzmänner. Wir könnten von Glück reden, dass wir unsere Knochen noch alle beisammen hätten. - Ungläubig sahen wir den Ersten an und alle waren der Meinung, das er uns nur das Baden missgönnen würde und wahrscheinlich sei er ja Nichtschwimmer und im übrigen übertreibe er maßlos. - Allerdings wurden wir einige Zeit später eines besseren belehrt. Da fuhr nämlich ein Lastwagen an der Pier entlang, gefolgt von einem Haufen johlender Schwarzer. Auf dem Wagen lag ein riesiger Hai. Die Schwanzflosse hing hinten über die Ladekante und gefangen hatten sie ihn in unserer Badebucht. Der eisige Schrecken fuhr uns noch nachträglich in die Knochen und niemand widersprach Bernhard als er sagte, dass Hugo der Bordaffe gescheiter gewesen sei als die halbe Besatzung unseres Zossens.

Die Tage und Wochen vergingen; unser Dampfer lief einen Hafen nach dem anderen an. Dazwischen rollten und schlingerten wir entlang der westafrikanischen Küste. Der Schweiß floss in Strömen und der einzige der sich wohl zu fühlen schien war Hugo. Auf See turnte er an langer Leine auf Luke zwei oder drei herum, im Hafen vorn auf der Back. Sein Appetit wuchs von Tag zu Tag, seine Kraft und Geschicklichkeit nahm in gleichem Maß zu. - Dann dampften wir mit nördlichem Kurs in Richtung Europa. Das Wetter wurde stürmisch, unser Eimer stampfte in nordwestlicher Dünung, Spritz- und Regenwasser peitschten über das Schiff. Richtig ungemütlich wurde es aber erst in der Biscaya. Da bekamen wir ordentlich einen auf die Mütze. Der Dampfer nahm Wasser über Deck und Luken und es gab an einigen Tagen keine Chance, dem Affen sein Fressen zu bringen. Selbstverständlich saß Hugo während dieser Zeit im Kabelgatt, wohin ich ihn rechtzeitig gebracht hatte. Dort hockte das Tier praktisch in Einzelhaft im Dunklen. Aber was sollten wir machen, in die Mannschaftsquartiere durften wir das Tier nicht nehmen, das hatte der Alte ausdrücklich verboten und uns vom Ersten ausrichten lassen. Endlich klarte es auf, das Wetter wurde besser und ich riskierte in Lee einen Spurt übers Vorschiff. In der linken Hand hielt ich Hugos Futternapf, die rechte Hand musste ich frei haben, um rechtzeitig nach dem Strecktau zu greifen. Falls Rasmus nämlich unvorhergesehener weise über die Verschanzung stieg, riss es einem im Nu die Beine weg und dann half nur noch der schnelle und feste Griff zum Strecktau. Als ich das Schott zu Kabelgatt aufstieß und Licht machte, konnte ich Hugo zunächst nicht entdecken. Endlich fand ich das Tier. Es kauerte versteckt hinter einer der großen Manila Rollen und sah mich verstört an. Als ich nach ihm griff, schnappte er und hätte mich ums Haar gebissen. Erst nach langem Zureden und Locken mit dem Fressnapf traute sich Hugo aus seinem Versteck hervor und fraß in Eile den Napf leer. Dann sah er mich ängstlich an und wich zu meiner großen Überraschung vor mir zurück. Alles Zutrauen war verschwunden. Tags darauf schien die Sonne. Die Biscaya lag hinter uns, der Englische Kanal vor uns. Bernhard hatte den Affen mit viel Mühe aus dem Kabelgatt heraus gelotst. Hugo saß wieder auf Luke zwei, machte aber einen verstörten Eindruck. Irgendwie fühlte er sich nicht mehr wohl. - Ich strich gerade auf dem Achterschiff eine der Winschen mit grauer Farbe. Kraake hatte den Flaggenstock aus seiner Halterung geschraubt, ihn an Deck zwischen die Poller gelegt und weiß gestrichen. Danach half ihm einer der Matrosen den Flaggenstock wieder an seinen ursprünglichen Platz zu befestigen. Auf einmal hörte ich lautes Geschrei aus dem Maschinenraum. Das achtere Schott flog auf und heraus sprang Hugo, gefolgt von unserem zweiten Maschinisten, der hinter dem Tier her fluchte. Der Affe machte einen Satz, sprang mit seinen verölten Füßen, mit denen er Minuten zuvor zwischen den Ventilen des Schiffsdiesels herumgeturnt war, auf den frisch gestrichenen Flaggenstock. Dann raste das Tier den Stock hinauf und blitzschnell wieder hinunter. Kraake, der Bootsmann stand wie versteinert, mit offenem Mund an Deck. Den frisch gestrichenen Flaggenstock zierte plötzlich ein öliges Muster von hundert winzigen Fußsohlen. Hugo verschwand wie ein Spuk hinter dem Deckshaus, während ein dicker Pinsel, den der Bootsmann dem Affen hinterher schleuderte, über Bord flog. Letzteres steigerte Kraakes Wutanfall noch erheblich.

Die Stimmung der Decksgang war schlecht, denn wir ahnten nichts gutes. Hugo, der Affe, blieb verschwunden. Zweifellos hatte er seine Leine durchgebissen und sich selbständig gemacht. Wir gaben dem schlechten Wetter die Schuld und dem Umstand, dass das Tier tagelang nicht aus dem dunklen Kabelgatt raus gekommen war. Bernhard und ich suchten den ganzen Dampfer ohne Erfolg ab. Zwischendurch begegneten uns Kraake mit giftigem Gesicht und der Drohung, das Tier augenblicklich seinem über die Verschanzung geflogenen Pinsel hinterher zu werfen, falls er es nur endlich zufassen bekäme. Diese finsteren Prophezeiungen spornten uns bei der Suche an. Mitten in unsere Aktionen hörten wir tumulthaftes Treiben von der Brücke. Aus dem Funkraum stürzte Sparky, unser Funker und sah ganz erschrocken aus. Bernhard und ich hetzten den Niedergang zur Brückennock hinauf. - Sparky empfing uns mit den Worten: "Mensch holt Hugo bloß schnellstens aus dem Kartenhaus – das sieht aus da drin.“ - Was ein Wahnsinn!

Die Episode mit Hugo, dem Bordaffen geht damit ihrem traurigen Ende entgegen. - Unser Alter war letztlich ein gutartiger Mensch. Als er allerdings das Chaos sah, dass das Tier auf der Brücke und in seinem Heiligtum, dem Kartenhaus angerichtet hatte, kannte er kein Pardon. Da gab es für uns nichts mehr zu retten. Bernhard und ich mussten Hugo in Dünkirchen schweren Herzens am Zoll vorbei von Bord schmuggeln und an eine Tierhandlung abgeben.

Zu sagen gäbe es abschließend, dass der Matrose danach in der Bar "Retour de la Mer" fürchterlich versackte, tagelang nicht mehr an Bord unseres Zossens erschien und schließlich wegen einer Trost spendenden Bardame mit dem unaussprechlichen Namen "Genevieve" an Land zurückblieb - was wir allerdings so genau erst eine Reise später erfuhren.

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Olatunju der Gastarbeiter

Die Händler und Tantverkäufern in Dakar die schon Mitte der 50-iger mit den amerikanischen und französischen Touristen ihre Geschäfte machen wollten hatten bei uns schlechte Karten. – An Land rannten sie einem hinterher und boten schwarze Köpfe aus „Ebenholz“, Masken, falsche Schrumpfköpfe, bunte Korbtaschen, Beutel aus Leder, Tücher und noch so allerlei Ramsch an. Dafür wollten sie dann jede Menge US Dollars die sie von uns selbst dann nicht bekamen, wenn Interesse für das ein oder andere Stück da war. – „What ship, What ship“ wollten sie daraufhin wissen „Bateau ELFRIEDE“ – Auf das hin verfinsterten sich ihre Gesichter und: „Ei now dis facken ship and all dis facken peoples on it“ dann spuckten sie auf den Boden und fluchten uns „fack you!“ hinterher. – Gestört hat uns das nicht im Geringsten.

Was ich zu Anfang meiner Story deutlich machen wollte ist … unser Zossen war in den Häfen des Senegals bekannt, wir kamen regelmäßig dort hin und wurden stets „gerne gesehen“.

Also es war Dakar als Olatunju an Bord kam. Wie er dabei auf der Gangway an Samson, unserem riesigen Wachmann vorbei gekommen ist weiß ich nicht. Vielleicht haben sich die beiden Gauner ja gekannt. Jedenfalls war er da und hat den Scheich nach Arbeit gefragt. Zufällig hatte der einen seiner Zinkeimer gefüllt und eingeweicht mit stinkenden Arbeitsklamotten und Socken im Waschraum stehen. Da kam der Senegalmann gerade recht. Also hat er ihm eine Wurzelbürste und ein kleines Stück Kernseife in die Hand gedrückt und ihn in unserem Waschraum schrubben lassen. Als die Lords und die Kombüsengang das gesehen haben kam so nach und nach jeder mit irgendeinem verdreckten Stück Stoff daher und Olatunju hat alles fein säuberlich gewaschen, gespült und aufs Achterdeck zum trocknen gehängt. – Abends hat ihm Egon unser Kochsmaat eine ordentliche Portion Essen gebracht und Olatunte, den Spitznamen hatte er inzwischen weg, durfte achtern auf einem Poller die Mahlzeit verdrücken. Inzwischen wurde in der Messe und Kombüse darüber beraten, ob wir Olatunte weiter zum Arbeitseinsatz gebrauchen konnten. All das bei freier Unterkunft, Kost und Verpflegung. Gelegentlich mal ne Schachtel Ami Zigaretten oder ein paar US-Dollar für den hombre. – Die Sache mit der Unterkunft war schnell geregelt; im Kabelgatt auf den Manilaleinen und als zusätzlichen Luxus ein altes Abdeckkleid und ein paar Rappasäcke. Nachdem das geklärt war hat der Moses was ich war vom Scheich die Order bekommen dass ich mich um alles weitere zu kümmern hätte und an Deck wolle er Ola nicht sehen. – Typisch Wurras, immer auf die Schwächsten; im Verteilen von Arbeit war der Mann Klasse. Na gut, ich wollte unseren neuen Gastarbeiter schon ordentlich einsetzen denn unter Deck gab es eine Menge zu tun. Da waren Kammern zu reinigen, Fußböden zu schrubben und 2 Aborte zu säubern. Außerdem konnte mir Ola bei der Backschaft helfen usw.

Wie üblich wenn es darum ging Verantwortung zu übernehmen hat man von unserem Scheich nur qualmende Socken gesehen. Er überließ es mir, dem Moses, jemanden von der Schiffsleitung über das neue Besatzungsmitglied zu unterrichten. – So etwas kann nur jemand begreifen, der selbst zur damaligen Zeit zur See gefahren ist und zwar nicht bei einer renommierten Linienreederei, sondern auf einem kleinen Schlorren ohne Anbindung an einen deutschen Hafen und einem Fahrtgebiet wie Westafrika oder sonst wo. – Inzwischen hatte ich aber eine Menge dazu gelernt und eine Regel die man auf unserem Zossen zu beachten hatte hieß: „Wat geit mi dat an“. – Also habe ich Ola Order gegeben, und seine Arbeit ~ die eigentlich meine gewesen wäre ~ kontrolliert etc.

 

Tags drauf ist unser Zossen ausgelaufen, bound for Conakry. – Olatunte hat für Egon Kartoffeln geschält und in der Küche die Töpfe gereinigt. – Inzwischen hatten die peoples aus der Maschine den Braten gerochen und wollten unseren Gastarbeiter ebenfalls für ihre Zwecke beanspruchen. – Da haben die Lords aber nicht mitgespielt und weil wir die stärkeren waren und überdies den Koch auf unserer Seite hatten, gab es darüber keine langen Diskussionen. – Wie sich im Laufe der Zeit herausstellte war Ola kein schlechter Mensch, man konnte ihn unbedenklich werkeln lassen und er hat das was man ihm aufgetragen hat auch vernünftig gemacht und war mit dem zufrieden, was er von uns bekommen hat. - Natürlich konnte ich mich nicht pausenlos um den Mann kümmern, da ich im Hafen tagsüber oft an Deck mithelfen musste und auf See meine Wache gehen. – In Conakry hat mich Wurras auf die Brücke geschickt zum Messing putzen und ich habe Ola mitgenommen, ihm einen Putzlappen und ne 2-te Flasche Sidol in die Hand gedrückt. Dann hab ich ihm gezeigt wie es geht und er hat die Vorreiber, die Türschwellen und sonstigen Kram geputzt wie ein Weltmeister. An den Maschinentelegraf und die Schiffsglocke habe ich ihn nicht ran gelassen, denn wenn er damit rum gefummelt hätte, hätte es vielleicht Probleme mit unserem Alten gegeben. – Da war ich allerdings im Irrtum, denn plötzlich hörte ich unseren Captain im Kartenhaus rumoren und einen Augenblick später stand er auf der Brücke. Für den Moment habe ich wegen Olatunju Muffensausen bekommen, aber unseren Alten habe ich selten mehr als 3 Worte reden hören und in dem Fall hat er sich umgesehen und überhaupt nichts von sich gegeben. – Wie schon gesagt, auch er hat die auf der ELFRIEDE übliche Regel beherzigt: „Wat geit mi dat an“.

Einige Tage später liefen wir aus Conakry aus; der nächst Hafen war Ziguinchor. – Zur damaligen Zeit ein winziges Nest mit ein paar Hütten an einem Fluss, umgeben von Mangrovensümpfen. – Ich muss mal suchen, ich glaube irgendwo gibt es da noch ein Foto auf dem aber nicht viel zu sehen ist. Wenn man heute bei Google rein sieht hält man es nicht für möglich, Ziguinchor, eine Provinzhauptstadt mit eigenem Flughafen.

Im Durchschnitt hatten wir mit der ELFRIEDE in jedem Hafen einige Tage Liegezeit, manchmal auch länger, dann nämloch ~ dass gefällt mir, ist nicht auf meinem Mist gewachsen, hab ich von Heinz Erhard übernommen ~ wenn wir Maschinenschaden hatten was häufig vorkam. – Ich erinnere mich nicht mehr was genau anlag, auf jeden Fall war in der Maschine wieder einmal Kacke am dampfen. Unser Zossen lag klar zum Auslaufen an der Pier, in der Maschine wurde gearbeitet und niemand wusste genau wann es weiter gehen sollte. – Olatunju fragte mich ob er noch mal an Land gehen könne, „I dont know“ habe ich ihm wahrheitsgemäß gesagt und er solle den Bootsmann fragen. Das hat er dann auch getan und der muss ihm sein ok gegeben haben, jedenfalls ist unser Gastarbeiter auf das hin verschwunden. – Kurze Zeit später war der Maschinenschaden behoben, unser Captain hat die Leinen los schmeißen lassen und als wir gerade mal 2 Meter von der Pier weg sind ist unser Olatunju mit lautem Geschrei daher gerannt gekommen, hat mit den Armen gerudert und: „Master, master ei em crewmember“ gezetert. – Verfluchte Scheixxe aber auch; mir hat Ola in diesem Moment richtig Leid getan und einigen von uns Lords sicher auch, obgleich es sonst eine abgebrühte Bande war. - Aber was sollten wir machen, der Alte mit seinen über zweieinhalb Zentnern hing mit unbeweglicher Mine in der Steuerbord Brückennock und M/S „ELFRIEDE“ ist ohne unseren Mann abgereist.

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