Der Mörder ist immer der...

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Der Mörder ist immer der...
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Martin Cordemann

Der Mörder ist immer der...

Ein Krimi für Leute mit Humor

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Siebzehntes Kapitel

Achtzehntes Kapitel

Neunzehntes Kapitel

Zwanzigstes Kapitel

Epilog

Der Autor

Impressum neobooks

Erstes Kapitel

Ich weiß, das ist das größte Klischee, mit dem man eine solche Geschichte anfangen kann, aber alles begann damit, dass eine hübsche Klientin durch die Türen meines Detektivbüros trat. Traurig, oder? Dass ich Ihnen nichts Besseres bieten kann, dass die Geschichte nicht spektakulärer begann, zum Beispiel…

Das Messer durchschnitt das Tau, der Ballast fiel zu Boden, der Heißluftballon hob sich langsam in die Luft. Und ich lag gefesselt in seinem Korb und konnte nichts dagegen tun.

Es hatte nicht lange gedauert, den Feuermörder zu entlarven. Er war ein begabter Pyromane aber ein lausiger Lügner. Nach drei Fragen hatte ich ihn überführt, nach vier Fragen griff ich nach meiner Waffe und nach der fünften zog er mir ein Metallrohr über den Schädel.

Clever war nicht unbedingt das Wort, das man mit ihm in Verbindung gebracht hätte. Sein Fluchtplan bei einer Enttarnung war, in einem Heißluftballon über die Grenze zu fliehen.

Clever war auch nicht unbedingt das Wort, mit dem man meine Herangehensweise an diese Angelegenheit bezeichnen konnte. Ich lag gefesselt im Heißluftballon und wartete auf Verstärkung. Das Problem war: Ich hatte keine gerufen. Also würde auch keine kommen.

Langsam stieg der Ballon in die Lüfte, während der Feuermörder seinen Plan änderte und statt mit seinem Ballon mit meinem Wagen über die Grenze fliehen wollte. Und das schöne war: Sein Plan würde aufgehen. Wie ich. In Feuer! Noch bevor ich mit dem Ballon in die Tiefe stürzen würde, war der Kerl über die Grenze und in Sicherheit. Sofern man Holland als Sicherheit ansehen konnte. Wahrscheinlich stellte er sich so doof an, dass man ihn wegen Verdacht auf Drogenschmuggel anhalten würde. Wegen des Verdachts auf Drogenschmuggels nach Holland! Aber das würde meinen Sturz in den Tod wohl kaum verhindern, oder?

Er hatte gute Arbeit geleistet, das musste man ihm neidlos zugestehen. Er hatte den Ballon so präpariert, dass er früher oder später Feuer fangen musste. Dann brannte die Plane ab, der Ballon war weg und das Körbchen mit mir darin stürzte in die Tiefe. Großartig. War bestimmt ein tolles Schauspiel, wenn der Ballon in einem gigantischen Feuerball aufging.

Möglicherweise standen meine Chancen 50:50. Nicht, ob ich überleben, sondern ob ich verbrennen oder beim Aufschlag erschlagen werden würde. Das gab doch Grund zur Hoffnung.

Die gab auch mein Glückstaschenmesser, das ich immer dabei hatte. Man wusste ja nie, ob man nicht mal in eine Situation kam, wo man es brauchen würde. Kartoffeln schälen, einen Pappkarton öffnen oder eben sich von seinen Fesseln in einem dem Untergang geweihten Heißluftballon befreien. Über mir begann es langsam zu prasseln, während ich mühsam versuchte, das Band, mit dem ich gefesselt war, zu zerschneiden.

Geschafft. Das Band war durch – der Ballon auch. Es sah nicht gut aus. Es sah toll aus, aber eben nicht gut für mich. Das Feuer fraß sich durch das Material des Ballons. Wir waren hoch, hoch genug, dass ich die Landung nicht überleben würde. Die Luft wurde langsam heiß.

Ich zog am Seil, versuchte, den Ballon zum Landen zu bringen. Wo war ich nur gewesen, als man uns auf der Schule beigebracht hatte, wie man einen Heißluftballon landete? Ich versuchte dies, ich versuchte das, es brachte nichts. Aber wir begannen zu sinken. Bisher noch langsam. Immerhin etwas.

Wir kamen bis auf 20 Meter an die Erde heran, bevor sich der Ballon in ein Flammenmeer verwandelte. Unter mir war die Straße. Und, witzig, der Wind hatte mich auf die Grenze zu getrieben. Meine Fallgeschwindigkeit nahm zu. Ich warf den letzten Ballast ab, der Ballon wurde ein wenig leichter und ein wenig langsamer.

Ich sah auf die Straße. Ein paar Autos. Ein Lastwagen. Ein Lastwagen mit einer Plastikplane. Das war es, das war die Lösung. Ich hoffte, dass der Wind mitspielte, noch eine kleine Brise…

Ja, der Lastwagen war unter mir. Ich sprang und landete auf der Plane. Was auch immer der Wagen geladen hatte, weich war es nicht. Meine Landung tat verdammt weh. Aber wenigstens lebte ich noch.

Eine Böe trieb den Ballon weiter. Er krachte auf die Straße vor uns. Ein Wagen konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen und krachte in das Flammenmeer. Es war mein Wagen. Und in ihm war der Feuermörder. Er konnte den Flammen nicht mehr entkommen, er hatte sich sein eigenes kleines Krematorium geschaffen.

Ich seufzte. Dieser Fall hatte sich in Wohlgefallen aufgelöst. Im wahrsten Sinne des Wortes!

Das wäre natürlich ein viel eindrucksvollerer Anfang gewesen – aber so war es nicht. Es war wie in den meisten Krimis: Eine junge Frau mit einem hübschen Gesicht kam herein und damit begannen alle meine Probleme.

„Sind Sie... Sneyder?“ fragte sie und ich nickte. „Der Detektiv?“

„Ja.“ Detektiv, wie überaus altmodisch. Und so was in Zeiten von Internet und Suchmaschinen. Wer brauchte da noch einen Detektiv, wenn man zur Lösung seines Problems einfach ein paar Begriffe bei einer Website eingeben musste? Mein Beruf war genauso anachronistisch wie ich selbst. Deshalb hatte ich auch noch das, was viele Leute heute vermissen lassen: Höflichkeit. Ich deutete auf den Besuchersessel und sagte: „Bitte nehmen Sie doch Platz!“

„Danke“, sagte sie, tat es aber nicht. Stattdessen ging sie nervös auf und ab. „Ich bin... nervös!“ sagte sie und lächelte nervös. Ich war geneigt, ihr zu glauben. „Es geht um... meinen Bruder!“

„Aha!“

Das konnte alles bedeuten. Brüder konnten Drogen nehmen, mit den falschen Mädchen zusammen leben, in eine Sekte gelockt worden sein, gar nicht wirkliche Brüder, sondern ehemalige Freunde oder gar Ehemänner vorstellen, denen man auf die Schliche kommen wollte, ohne sich vor dem Detektiv eine Blöße geben zu wollen, sie konnten verschwunden, ermordet worden oder unschuldig im Knast gelandet sein, es gab viele Möglichkeiten.

„Mein Bruder ist verschwunden!“

Soviel also dazu.

„Verschwunden“, murmelte ich, um das Schweigen zu überbrücken und machte mir eine Notiz auf meine Schreibunterlage. „Und...“ Es war an der Zeit, das Offensichtliche auszusprechen. „...ich nehme an, ich soll ihn wieder finden?!“ Welchen Sinn hätte es sonst gehabt, mich aufzusuchen?

„Ja.“ Sie lächelte. Sie konnte nicht älter sein als ich und selbst ich konnte nicht viel älter sein als ich, auch wenn ich manchmal so fühlte.

„Nun, da gibt es, wie soll ich das ausdrücken, da gibt es eine Art... Problem“, erläuterte ich.

„Oh.“ Sie fuhr erschrocken zurück. „Sie sind nicht frei?“

Ich war freier als ihr lieb sein konnte.

„Doch, doch, aber... ich kenne Ihren Namen nicht!“

„Ohh!“ Sie lächelte. „Myriam Burns.“

„Burns?“

„Ja, wie der schottische Dichter...“

„Robert Burns, ich weiß.“

Sie war überrascht.

„Woher kennen Sie Robert Burns? Ich glaube nicht, dass er in Deutschland sehr bekannt ist!“

„Dinge, die man so aufschnappt“, murmelte ich und lächelte. „Haben Sie schottische Vorfahren?“

„Meine Familie kommt aus Dunkirk.“

„Aha.“

„Wir haben schon immer in Dünkirchen gelebt.“

 

„Sie sagten gerade… Tschuldigung, ich hatte Dunkirk verstanden.“

„Aus Dunkirk stammen wir sicher nicht.“ Fräulein Burns schüttelte den Kopf. „Meine gesamte Verwandtschaft ist deutsch.“ Sie sah mich irritiert an, als wäre ihr das erst jetzt aufgegangen. „Merkwürdig, nicht wahr? Niemand aus meiner Familie stammte aus Schottland! Oder England. Oder Amerika.“

„Hmmm“, hmmmte ich nur. Wir lebten in einer Multikulti-Welt, Namen konnten wer weiß woher kommen, es bedeutete nichts.

Sie nahm verwirrt Platz. „Entschuldigen Sie bitte, wenn ich jetzt einen verwirrten Eindruck mache, aber es ist mir noch nie so bewusst geworden... Ich meine, die Sache mit meinem Namen.“

„Hmmja, aber ich denke, das hat nicht all zuviel zu bedeuten. Ich meine, was sind schon Namen?“

„Ja, ja“, sagte sie nachdenklich. Dann sah sie mich fragend an. „Ihr Name ist Sneyder, ja?“

„Ja.“

„Vorname?“

Was sollte dieses Fragespiel?

„Ich glaube, das tut im Moment nichts zur Sache, junge Dame. Sie möchten also, dass ich Ihren Bruder suche, wenn ich Sie dahingehend richtig verstanden habe?!“

„Ja.“ Sie nickte und kramte in ihrer Handtasche nach einem Bild ihres Bruders. „Das hier ist er.“

Sie reichte es mir rüber. Es war das Bild eines sommersprossigen schottischen Jünglings mit roten Haaren. Er trug sogar einen Kilt.

„Soll das ein Scherz sein?“ fragte ich.

„Nein, wieso?“

„Oder ein Maskenball? Karneval?“

„Nein, ich verstehe nicht…“ Sie sah das Bild und wurde wieder unsicher. „Er… er…“

Im Hintergrund sah man die Highlands. Das Foto war eindeutig in Schottland aufgenommen worden.

„Das ist mir…“

Unerklärlich? Ein Rätsel? Völlig unverständlich? Sie sagte nicht, was es ihr war, ich war auf meine Phantasie angewiesen.

„Okay“, meinte ich und nahm ihr das Bild ab. „Aber das ist Ihr Bruder, oder?“

„Ja.“

Sie nickte in sich gekehrt. Diese ganze Schottlandgeschichte schien sie merklich aus der Bahn geworfen zu haben. Die Frage war nur: warum? Etwas in ihrer Kindheit, das sie verdrängt hatte? Ich wusste es nicht und ich hatte meine Zweifel daran, ob es irgendetwas mit diesem Fall zu tun hatte. Das heißt, „Fall“? Ihr Bruder war verschwunden, das war noch nicht wirklich ein Fall, oder? Wenn man seine Leiche gefunden hätte, dann wäre es einer gewesen. Im Moment handelte es sich nur um eine vermisste Person, und wenn ich meinen Instinkten vertrauen durfte, dann hatte ich auch schon eine Ahnung, wo ich sie finden würde: In Schottland!

„Ich bräuchte noch mehr Informationen über ihn, seinen Namen, sein Alter, seine Hobbys und so weiter. Damit ich einen Anhaltspunkt finden kann, seit wann er verschwunden ist.“

„Seit drei Tagen!“

Nun war es an mir, verstört aufzublicken. „Seit drei Tagen?“ Sie nickte. „Wie alt ist denn Ihr Bruder?“

„27, er ist zwei Jahre älter als ich.“

„Nun, ich möchte mich ja nicht in Ihre Privatangelegenheiten mischen, aber ich sehe nicht das sonderlich große Problem, dass ein Junge von 27 Jahren mal für ein paar Tage verschwindet.“

„Sie halten mich für hysterisch, stimmt’s?“

Junge, attraktive, junge Frau, sympathisch, nett – nicht die Art Person, der man diese Frage mit „ja“ beantwortet.

„Vielleicht könnte man sagen, dass Sie etwas überreagieren?“ versuchte ich es diplomatisch.

Ruckartig stand sie auf, verließ aber nicht mein Büro, sondern begann nur wieder, auf und ab zu gehen. „Vielleicht haben Sie Recht“, murmelte sie, „vielleicht ist es wirklich nur eine Überreaktion. Es war nur so... ich war vorgestern mit meinem Bruder verabredet! Wir wollten uns in Bruntsfield treffen.“

„Bitte?“

Sie wurde unsicher. „In Bruntsfield...“

„Moment!“

Wir lebten in Zeiten des Internets und ich hatte eine Ahnung. Sie täuschte mich nicht. Ich deutete auf den Bildschirm, wie ich vermutet hatte. „Bruntsfield ist ein Stadtteil von Edinburgh!“

Sie ließ sich seufzend auf den Sessel fallen.

„Meinen Sie vielleicht Braunsfeld?“ versuchte ich es. Immerhin befanden wir uns in Köln, nicht in Edinburgh.

„Jaaa“, sie nickte langsam. Dann schüttelte sie den Kopf. „Ich weiß auch nicht... Bruntsfield, Braunsfeld...“ Sie hob die Schultern, aber ich war mir sicher, dass sie es nicht so locker nahm, wie sie vorgab, nicht nach dieser Geschichte mit ihrem Namen. Ich machte mir eine Notiz und hakte nach.

„Also Sie wollten sich mit Ihrem Bruder in Braunsfeld treffen?“

„Ja, an der Jugendherberge...“ Sie stockte wieder, ich kramte meinen Stadtplan von Köln hervor. Es gab in Braunsfeld keine Jugendherberge. Auf dem Edinburghplan im Internet gab es eine – in Bruntsfield. Ich war nicht direkt genug, um sie zu fragen, ob sie mich verarschen wollte, aber ich war kurz davor.

„Wann haben Sie das letzte Mal mit Ihrem Bruder telefoniert?“ fragte ich.

„Vor einer Woche. Da haben wir über das Treffen...“

„Und Sie haben ihn nicht getroffen, vorgestern?“

„Nein.“ Sie starrte auf den Stadtplan und ließ sich langsam wieder in meinen Besuchersessel sinken. „Wie kann das nur sein?“ Sie deutete auf den Plan, der auf meinem überfüllten Schreibtisch lag und mein gesammeltes Chaos überdeckte. „Ich meine...“

„Hmmmm“, sagte ich, weil mir auch nichts Besseres einfiel. Machten wir uns nichts vor, sie war zu attraktiv, als dass man ihr sagen würde, dass man sie für bescheuert hielt. Und zu… unschuldig. In dem Sinne, dass sie das ganze selbst verwirrte und nicht irgendeine Masche war, um sich wichtig zu machen. Weniger merkwürdig wurde es dadurch nicht.

„Ich bin nicht verrückt“, murmelte sie, aber mehr um sich selbst als um mich davor zu überzeugen.

„Erzählen Sie mir doch etwas über Ihren Bruder!“ schlug ich vor. Vielleicht brachte sie das auf andere Gedanken. Auf die richtigen, um genau zu sein, die, die mir halfen, diesen Fall, der keiner war, besser zu lösen.

„Er hat hier Maschinenbau studiert“, begann sie, nachdem sie sich wieder ein wenig gefasst hatte, „und wohnt jetzt in der…“ Sie dachte nach, um ganz sicher zu gehen. „Alsdorfer Straße.“

Ich sah auf den Plan. „Die ist in Köln!“ Das war ein Anfang. „Was sind seine Hobbys?“

„Er baut gerne Modelle und treibt gerne Sport.“

„Irgendwelche besonderen Sportarten?“

„Fußball, glaube ich.“

„Gut gut. Sonst noch was? Liest er vielleicht gerne, geht gerne in die Oper oder spielt ein Instrument oder...“

„Dudelsack“, sagte sie, ohne nachzudenken. Sie schien es selbst nicht bemerkt zu haben. Ich war mir nicht sicher, ob ich hier nicht von vorne bis hinten verarscht wurde. Vielleicht würde ich mich schon morgen im Internet wieder finden in einem Video als der dümmste Detektiv Deutschlands – eine schöne Alliteration, aber wohl kaum gut fürs Geschäft.

Ich nahm eine Flasche aus der Schublade. Wieder so ein Klischee, jeder Detektiv hatte die Flasche Alkohol in der Schublade. Warum nicht im Schrank oder im Regal? Dort konnten die Flaschen stehen. Aber wer legte eine Flasche in eine Schublade? Normale Menschen würden ihren Stoff dort bestimmt nicht aufbewahren, aber welcher normale Mensch wurde schon Privatdetektiv. Ich schenkte ihr und mir ein Glas ein und schob ihres über den Tisch, ohne zu fragen, ob sie es wollte. Sie wollte.

„Ich glaube, ich bin etwas verwirrt“, sagte sie und nahm einen Schluck. Ich verkniff mir die Bemerkung, dass es sich dabei um Scotch handelte. „Herr Sneyder, ich weiß wirklich nicht...“ Sie wusste wirklich nicht. „Alles ist irgendwie... merkwürdig!“

Zu dem Ergebnis war ich inzwischen auch gekommen. Das alles schien hinten und vorne nicht zusammenzupassen. Für eine Lüge war es zu schlecht ausgedacht und für die Wirklichkeit zu weit hergeholt. Wäre ich ein misstrauischer Mensch, ich hätte vermutet, hier würde etwas nicht stimmen. Und ich war ein misstrauischer Mensch!

„Ich muss auf Sie ja völlig verrückt wirken.“

„Och“, log ich. Sie musste – und sie tat. Aber sie war einfach zu süß! Das war alles in allem keine gute Ausgangsposition, weder für eine Liebesbeziehung noch für einen Fall. Dies war der Zeitpunkt, an dem es angemessen gewesen wäre, laut und ausgiebig zu seufzen.

Sie lächelte. „Tut mir leid.“ Dann wurde sie wieder ernst. „Mein Bruder ist verschwunden und ich weiß plötzlich nicht mehr ein und aus.“

Um es höflich zu formulieren. Und es hieß: weder ein noch aus, aber das änderte auch nichts an der Situation.

„Alles ist auf einmal irgendwie verschwommen, unklar. Ich brauche jemanden, an den ich mich halten kann.“

Sie sah mich bittend an und erweichte mein Herz, wie das jede gute Dame in Not bei einem ehrenhaften Detektiv erreichen sollte.

Ich sagte sanft: „Wenn Sie irgendein Problem haben, kommen Sie zu mir!“

Da war allerdings noch eine Frage, die mich interessierte, die mich bei jeder attraktiven Frau interessierte.

„Soll ich Sie nach Hause fahren, oder zu Ihrem Freund?“

„Nicht nötig... ich habe keinen Freund!“

Und wäre sie nicht so völlig neben der Spur, wäre das ja vielleicht sogar ein Grund zur Freude gewesen. Aber so hielt sich mein Optimismus ein wenig in Grenzen.

„Wissen Sie“, sagte sie, „ich habe mein Leben lang darauf gewartet, dass ich den Mann meiner Träume finden würde, den Mann, in den ich mich verlieben könnte, weil er meinen Intellekt anspricht... und meinen Körper.“ Sie lächelte und nippte an ihrem Wein. „Naja, das finden Sie sicherlich ziemlich albern.“

Im Gegenteil, aber spätestens jetzt wurde es ziemlich deutlich, dass sich hier irgendjemand auf meine Kosten amüsierte.

„Oh, ich sehe das ganz genauso“, antwortete ich.

„Wirklich? Ich hätte nie gedacht, dass es auch Männer gibt, die so denken!“

Sie schien überrascht zu sein. Ich sollte mir einen Vorschuss geben lassen. Wenn ich hier schon verarscht wurde, dann wollte ich dafür wenigstens angemessen bezahlt werden.

„Ich brauche noch Ihre Adresse und Telefonnummer, für den Fall, dass ich etwas herausfinde!“

„Oh, natürlich.“

Sie schrieb etwas mit einer feinen Schrift auf einen von meinen unfeinen Zetteln und reichte ihn mir.

„Danke.“

Sie erhob sich und ich geleitete sie zur Tür.

„War das ein Scherz?“ fragte sie an der Tür, „ich meine, dass Sie immer für mich da sein wollen?“

„Kein Scherz!“ meinte ich und meinte es fast.

Sie lächelte und mein Herz floss in den Ausguss hinab.

„Sie sind ein Schatz.“ Sie küsste mich nicht. „Ich rufe Sie an“, sagte sie. „Auf Wiedersehen!“

„Wiedersehen“, murmelte ich und sah ihr noch zu, wie sie die Stufen zum ersten Stock hinunter lief. Dann war sie aus meinem Blickfeld verschwunden.

Das war… mehr als seltsam. Eine komplizierte Geschichte, nur um mich aufs Kreuz zu legen? Wer tat so was? Und warum? Das alles war mehr als seltsam!

Kopfschüttelnd schlurfte ich in mein Büro zurück, leerte das Glas Whisky, aus dem sie getrunken hatte und warf einen Blick auf den Stadtplan. Die Alsdorfer Straße befand sich… in Braunsfeld!

Ich warf einen Blick auf die Uhr. Gerade mal vier. Noch genug Zeit, mal einen kleinen Trip in das Viertel zu machen und zu sehen, ob sich dort nicht vielleicht doch eine Jugendherberge auftreiben ließ. Sicherheitshalber steckte ich den Stadtplan von Edinburgh auch gleich ein.

Zweites Kapitel

„Oh, Hallo!“ Meine Klientin schien überrascht zu sein, mich so schnell wieder zu sehen. „Kommen Sie doch herein.“

„Vielen Dank.“ Ich trat ein. Sie wohnte in einem kleinen Appartement, nett eingerichtet. Es gab Fotos ihrer Eltern, Fotos ihres Bruders, Fotos von Edinburgh Castle, Loch Ness. Alles passte perfekt ins Bild. Leider hatte ich keinen Schimmer, was dieses Bild war.

„Haben Sie etwas herausgefunden?“ fragte sie.

Ich nickte.

„Darf ich mich setzen?“

„Natürlich.“

„Ich bin nach Braunsfeld gefahren, in die Alsdorfer Straße.“

„Ja?“

Ihr Blick war gespannt.

„Nun...“ Ich ließ den Blick durch den Raum schweifen. „Ihr Bruder war zuhause! Ein bisschen verkatert vielleicht, aber ansonsten ziemlich okay. Hatte sich ein paar Tage hintereinander betrunken und hat das Telefon herausgerissen, weil ihn der Lärm um den Verstand gebracht hat. Der Akku von seinem Handy war leer. Als Sie sich mit ihm treffen wollten, war er gerade am Schlafen. Das ist die ganze Geschichte. Er wollte Sie heute noch anrufen.“

 

„Oh, vielen Dank!“

Sie fiel mir um den Hals und gab mir einen Kuss.

„Keine Ursache“, murmelte ich, denn es gab auch eigentlich keine. Das, was ich gemacht hatte, hätte jeder Idiot machen können. Und doch: Myriam Burns war überglücklich.

„Sie müssen mich für ziemlich bescheuert halten, was?“

Ich musste – und ich sollte. Aber sie war einfach zu süß!

„Sagen wir, für sehr besorgt“, meinte ich diplomatisch.

„Trotzdem“, ihr Blick und ihre Stimme wurden das, was ich nur mit zärtlich umschreiben konnte. „Was... ich bin Ihnen sicher etwas schuldig...“

„Hmmmja“, murmelte ich und unsere Blicke trafen sich. Sie hatte wundervolle Augen, ich versank in ihnen, wie in einem tiefen, warmen Bergsee… was natürlich eine völlig idiotische Metapher ist, weil Bergseen erstens eiskalt waren und man zweitens selten in ihnen versank, aber ich denke, Sie wissen, was ich meine. Es war die Art von Augen, bei denen man den ganzen Mist mit Schottland und ihrem Bruder vergisst und man den Augenblick so lange wie möglich hinauszögern möchte… aber selbst der geht irgendwann zu ende. Zum Beispiel, wenn das Telefon klingelt. Was aber hier nicht passierte.

„Wie wäre es mit einem Abendessen?“ hauchte ich. Das würde meine Dienste zwar nicht angemessen vergüten, aber andererseits hatte ich auch nicht eben viel Arbeit gehabt.

Sie lächelte in einer Art, dass mein Herz dahin schmolz, auf den Fußboden tropfte, den Gang hinunter floss, durchs Treppenhaus, über die Straße und in den Gully vor dem Blumengeschäft gegenüber.

„Natürlich, nichts lieber als das.“

Das war der Unterschied zwischen Männern und Frauen: Gleiche Worte, unterschiedliche Bedeutungen. Wenn sie so was sagten, meinten sie es grundsätzlich anders, als ich es auffasste.

Wenn ich es gesagt hätte, hieße es: Ja, ich liebe dich!

Wenn sie es sagten, hieß es: Ja, kein Problem.

Frauen waren anders als Männer, nicht nur äußerlich, sondern vor allem in dem, wie sie das meinten, was sie sagten. Ich fragte mich spontan, warum es eigentlich nur Krieg zwischen Völkern, Religionen und weißderTeufelwelchenschwachsinnigenGruppierungen gab, anstatt klar und deutlich zwischen Männern und Frauen? Vielleicht, weil zumindest eine der beiden Seiten die klare Kriegserklärung der anderen nicht eindeutig verstanden hatte?!

So wie sie mich ansah und so wie ich sie inzwischen ansah, sah ich für die nächsten sieben bis 24 Monate Liebeskummer auf mich zukommen. Wir würden ein herrliches Essen haben, wir würden lachen, scherzen, uns großartig amüsieren und dann würde sie mit dem gut aussehenden Typen vom Nachbartisch abhauen. Es war doch immer so. Gott, was war mein Leben deprimierend.

„Was ist?“ fragte sie, denn mein Gedankengang schien sich über eine längere Zeitspanne hingezogen zu haben.

„Oh, nichts“, murmelte ich. „Ein Abendessen ist mehr als ich verkraften kann!“ Das klang nun nicht unbedingt positiv, aber sie schien es zu überhören. Geflissentlich.

„Ich heiße Myriam!“ sagte sie und streckte mir die Hand entgegen. „Und du?“

„Sneyder.“ Sie sah mich überrascht an. „Alle nennen mich so“, versuchte ich das zu entschuldigen. Es war genauso mein Nach- wie mein Spitzname, und selbst ich nannte mich so. Ich hatte mir nie darüber Gedanken gemacht.

„Gut, Sneyder“, sagte sie leise. „Was isst du gerne?“

„Pizza!“ Aber die konnte ich mir selbst warm machen – und tat es mir ungeheurer Beharrlichkeit und Ausdauer viel zu oft. „Aber das muss nicht sein! Was kochst du denn gerne?“

Sie hob die Schultern. „Ich koche eigentlich nicht oft. Ich...“ Sie lachte. „...mache mir auch immer Pizza warm!“ Man musste sie einfach lieben. Und wenn ich „man“ sage, meine ich: „ich“. Ja, sie war zum Verlieben und ich war auf dem besten Weg, genau dieses Ziel zu erreichen. „Wir können ja irgendwo essen gehen, natürlich, warum bin ich da nicht vorher drauf gekommen? Ich lade dich zu einem wirklich ordentlichen Essen ein, warum sollten wir auch hier bleiben?“

Sie wies auf ihre Wohnung, die, wenn nicht hübscher, so doch zumindest aufgeräumter war als meine eigene.

„Also Pizza essen wir beide auch so oft genug.“ Wenn ich ihre Ausdrucksweise hörte, wurde mir rot vor Augen. „Wie wäre es“, sie sah mich herausfordernd an: „mit einem Steakhouse? Steak und Salat?“

„Klingt hervorragend.“ Seit die Detektei nicht mehr so gut lief, also seit ich sie übernommen hatte, war ich nicht mehr in einem Steakhouse gewesen, oder: hatte ich nicht mehr ordentlich gegessen.

„Ich hab schon lange nicht mehr in einem Steakhouse gegessen“, meinte Myriam und überwältigte mich mit ihrem Lächeln. „Seit meine Eltern nicht mehr leben.“ Das Lächeln verschwand. Ich hob fragend eine Braue. „Autounfall“, erklärte sie und das Strahlen wich aus ihrem hübschen Gesicht.

„Tut mir leid“, murmelte ich.

„Danke.“ Sie tätschelte meine Hand. „Deswegen habe ich mir auch solche Sorgen um meinen Bruder gemacht.“

Ich nickte mitfühlend. Vielleicht ergab diese ganze Sache mehr Sinn, als es den Anschein erweckt hatte.

Das Telefon begann zu läuten. Das musste ihr Bruder sein. Ich erhob mich.

„Wann?“ fragte sie, während sie den Hörer abnahm und die Sprechmuschel zuhielt.

„Morgen Abend?“ fragte ich.

„Gut“, sagte sie. Und: „Sneyder?“ Ich drehte mich, in der Tür stehend, um. „Danke für alles!“

„Nichts zu danken.“

„Hol mich um sechs ab!“ Ich hob fragend eine Braue. „Dann können wir uns noch unterhalten“, sagte sie und ich schloss mit einem leisen „Bis morgen“ die Tür, während sie sich ihrem Bruder zuwandte.

Draußen regnete es. Es machte mir nichts aus. Ich schwebte dahin, mein Geist in rosigen Wolken eingebettet. Sie war wundervoll, sie war das wundervollste Geschöpf, das ich seit Jahren kennen gelernt hatte. Bei ihr stimmte alles, sie war die Frau, nach der ich immer gesucht, nach der ich mich immer gesehnt hatte. Ich liebte sie, da gab es keinen Zweifel. Ich liebte Myriam Burns, die perfekte hübsche intelligente nette Frau.

Als ich meinen Wagen erreicht hatte, war ich klatschnass, aber das störte mich nicht. Nichts war aufregender, als frisch verliebt zu sein, kein Alkoholrausch konnte da mithalten, nichts ließ einen die Realität so sehr verdrängen. Der Tag hatte sich gelohnt, für diesen Tag hatte es sich gelohnt, morgens aufzustehen, für diesen Tag hatte es sich gelohnt, die Detektivagentur meines Vaters weiterzuführen, für diesen Tag hatte es sich gelohnt, zu leben!

Als ich zu Hause ankam, war ich trunken vor Freude, fiel ins Bett, starrte die Decke an und schwelgte in meinen Vorstellungen, wie es mit meiner Liebe Myriam werden könnte… aber niemals werden würde!

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