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Die Vermutung

Katrin Fölck

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Die Vermutung

Copyright: © 2016 Katrin Fölck

Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

ISBN:

Titelbild: © Fotolia/INFINITY

1

Das Erste, dessen ich mir bewusst werde, ist die Erkenntnis, dass ich atme.

Herrlichen, wundervollen Sauerstoff. Ich nehme ihn in mir auf.

Fülle meine Lungenflügel.

Spüre, wie sie sich aufblähen, wie sich mein Brustkorb hebt und beim Ausatmen ganz langsam wieder senkt. Es ist ein wunderbares Gefühl, am Leben zu sein.

Immer und immer wieder wiederhole ich das Szenario, so, als wäre es ein Spiel. Was es für mich auch ist, denn ich habe nichts anderes zu tun. Einatmen, ausatmen.

Auch, wenn es wehtut.

Einatmen, wieder ausatmen.

Ein ganz natürlicher Reflex. Uns angeboren. Der es uns erst möglich macht, zu leben und uns am Leben hält. Und uns dabei so selbstverständlich ist wie unser Herzschlag, der den Saft des Lebens durch unsere Adern pumpt.

Ich habe das gleichmäßige Piepen der Apparaturen, die meinen Herzschlag, meinen Puls und meinen Blutdruck überwachen, im Ohr, während ich, weich und warm gebettet in einem Krankenzimmer liege.

Infusionen tropfen, langsam wie die Zeit, durch meine Venen. Zum völligen Nichtstun verurteilt, liege ich nur so da und folge meinen Gedanken. Doch, es

sind immer die gleichen Fragen, die sich mir stellen:

Welche Rolle kam Adrian bei meiner Entführung zu? Hatte er mich in eine Falle gelockt? Mich verraten? Um sich selbst zu retten?

Das kann ich mir nicht vorstellen. Dennoch, wenn er all das nur inszeniert hatte, um mich in Sicherheit zu wiegen? Dann hätten sie ihn doch aber nicht mit einer Waffe bedroht und aus seinem Wagen gezerrt… Oder doch?

Was war mit Adrian passiert?

Wieder und wieder spielen sich die vergangenen Szenen vor meinem geistigen Auge ab. Der Überfall…

Die Hütte.

Das Erdloch, in dem ich liege.

Die Dunkelheit. Die Kälte.

Die Angst, zu sterben.

2

Hübler ist der Erste, der auftaucht, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen. Da werde ich gerade eingeliefert.

Mein Aussehen schockiert ihn sichtlich, das kann ich ihm ansehen, ist jedoch nicht wirklich verwunderlich, wenn man bedenkt, dass ich gerade meinem Grab entstiegen bin.

Susanne erwischt mich gerade noch auf den letzten Metern, bevor ich ins Untersuchungszimmer geschoben werde. Doch, als ich von da zurückkehre, ist sie bereits wieder weg.

Hübler dagegen ist noch da. Von ihm erfahre ich dann auch, dass es ein Jäger war, der mich gefunden hat. Doch im Grunde genommen war es dessen Hund. Rambo.

Ich erinnere mich. … das Kratzen und Scharren über mir.

Die Untersuchung ergibt, dass ich nicht ganz unversehrt aus meinem kalten Erdloch wiederauferstanden bin. Ich habe mir eine satte Lungenentzündung eingefangen, die nicht nur das Atmen schwer macht und mir Schmerzen in der Brust bereitet, sondern immer wieder zu Hustenanfällen und darauf folgende Panikattacken führt, weil ich fürchte, zu ersticken.

Damit kommt dann die Erinnerung an die kaum zu ertragenden Stunden wieder hoch, die ich hilflos unter der Erde zubringen musste. Allein mit dem Gedanken, immer damit rechnen zu müssen, dass der Sauerstoff zur Neige geht. Mit der ständigen Gewissheit vor Augen, sterben zu müssen und nicht zu wissen, wann es soweit sein würde. Und dieser Fakt startet den Kreislauf wieder von neuem.

3

Sobald es dunkel ist, bin ich nicht mehr allein. Etwas lauert in der Finsternis, um von mir Besitz zu nehmen, Macht und Kontrolle über mich zu bekommen. Und, obwohl weder sicht-, noch greifbar, kann ich es fühlen.

Besser gesagt, s p ü r e n. Und dieses Etwas kenne ich nur zu gut. Es heißt:

A n g s t.

Die Furcht, im Dunkeln alleine zu sein, kenne ich bereits aus meinen Kindertagen. Nur, dass die Kinderjahre inzwischen Jahrzehnte vorbei sind.

Dennoch kann ich mich daran erinnern, wie ich Nacht für Nacht, die Bettdecke bis zum Kinn hochgezogen, ängstlich und mit klopfendem Herzen in die hinterste Ecke meines winzigen Kinderzimmers starrte, wo sich, in der Nische hinterm Schrank, eine dunkle Gestalt befand, die da natürlich nicht wirklich lauerte, sondern nur in meiner Einbildung existierte, meiner kindlichen Phantasie entsprang. Dennoch war meine Angst vor ihr real.

Ich habe mich nie getraut, mit jemandem darüber zu sprechen, denn, wie sollte ich erklären, dass bei Licht dieses Phantom stets verschwunden war? In meiner kindlichen Naivität glaubte ich wirklich, es würde bei Licht entschwinden und in der Dunkelheit zurückkehren.

Ich erinnere mich, wie mir mein Herz jedes Mal bis zum Hals schlug, während ich versuchte, möglichst flach und geräuschlos zu atmen, damit dieses Etwas nicht auf mich aufmerksam wurde. So bildete ich mir weiterhin ein, wenn ich mich nur ganz mit der Bettdecke zudeckte, könne mich das Etwas vielleicht nicht sehen. Dann kniff ich die Augen zusammen und lauschte panisch, ob das, was da hockte, näher kam, mich zu holen.

Irgendwann schlief ich dann doch immer ein. Auch, wenn ich am Morgen aufwachte und merkte, dass ich noch da und gar nichts passiert war, blieb meine Angst dennoch präsent. Und jede Nacht wiederholte sich dieses Szenario aufs Neue, immer dann, wenn ich alleine in der Dunkelheit zurückblieb.

Diesen Schatten meiner Vergangenheit habe ich erst im Alter von elf Jahren verloren. Und schließlich vergessen. Bis zu dem Tag, als ich mit Adrian zum Wettrennen in die Wüste startete. Seitdem verfolgt er mich wieder, in jeder Nacht und mit jedem Albtraum, den ich wieder und wieder wie in einer Endlosschleife erlebe. Mit einem Unterschied: Hatte ich früher von einem Sandgrab geträumt, finde ich mich jetzt in einem erdigen wieder. Dem Geruch von Moder ausgesetzt und der Nässe. Hilflos.

Ausgeliefert.

Lebendig dem Tod geweiht.

Im ständigen Kampf mit den Dämonen der Vergangenheit und denen der Gegenwart, kann ich nur verlieren.

4

Eine Tür öffnet sich.

Jemand kommt näher.

Der Boden knarrt.

Ich werde gepackt, versuche, mich einigermaßen zu wehren, sehe die Spritze, fühle den Einstich.

Dann… Filmriss.

Immer und immer wieder drängt sich diese Abfolge in meine Träume. Ich jedoch weiß längst, dass dies Erinnerungsfragmente meiner Entführung sind und keine Hirngespinste.

Doch müssten sich dann nicht auch Spuren davon an mir finden lassen?

Also suche ich meine Arme nach verdächtigen Einstichen und Blutergüssen ab. … und werde fündig. Es gibt sogar eine ganze Menge davon.

Jedoch, wer kann mir sagen, dass diese tatsächlich aus der Zeit meiner Entführung stammen? Mit wem könnte ich darüber reden? Wem meinen Verdacht anvertrauen?

Die ständige Unruhe in mir, das Zittern, der Schüttelfrost und das Schwitzen, genauso wie der trockene Mund und mein übermäßiger Durst könnten Anzeichen dafür sein. Und als ich weiter in mich hineinhorche, packt mich blankes Entsetzen.

War es nicht so, dass mein Körper etwas einforderte, wonach es ihm verlangte, ihm jedoch jetzt versagt blieb?

Für mich wird es langsam zur Gewissheit. Die Zeichen sind eindeutig: Das sind unverkennbar Symptome einer Abhängigkeit.

Meine Entführer hatten mich definitiv unter Drogen gesetzt. Und jetzt war ich auf Entzug.

Große Scheiße, denke ich. Ich bin am Arsch.

5

Auch jetzt lässt mich das Geräusch der sich öffnenden Tür hochschrecken. In Anbetracht des zurückliegenden Martyriums beginnt mein Herz sofort wieder panisch zu schlagen. Der Schweiß bricht mir aus.

Der spärliche Lichtstrahl, der von außen hereindringt, vermag es nicht, meine Umgebung auszuleuchten. Jemand kommt näher. Ich erkenne die Umrisse einer Gestalt. Sehe einen Arm. Die Spritze.

„Nein!“, schreie ich. Doch da werde ich bereits sanft wieder zurück in meine Kissen gedrückt.

Ich höre die Stimme einer Frau, die beruhigend auf mich einredet: „Jetzt schlafen Sie erstmal …“, während das von ihr verabreichte Medikament bereits zu wirken beginnt: „Hat man mich gefunden?“, frage ich matt.

„Es ist alles gut. Sie sind im Krankenhaus.“

Ich schließe die Augen. Um mich ist Finsternis.

Dunkelheit bedeutet Tod.

„Bitte, das Licht anlassen…“ murmele ich, während sich die Tür schließt und ich alleine zurückbleibe.

6

„Sie haben Besuch.“, vernehme ich die Stimme der Krankenschwester, die gerade dabei ist, das Essgeschirr des Frühstücks von meinem Nachtschrank abzuräumen.

Ich öffne die Augen und schließe sie blitzschnell wieder.

Viel zu hell.

Das Licht schmerzt.

Ich bin nicht mehr an Helligkeit gewöhnt. Ich überlege, wie lange ich in völliger Dunkelheit habe zubringen müssen. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass mir das jemand gesagt hat.

Welcher Tag ist heute?

„Renner?“

Ich werde aus meinen Gedankengängen gerissen.

Susannes Stimme erkenne ich, noch bevor ich in ihr ernstes Gesicht sehe.

„Welcher Tag ist heute?“, frage ich.

„Donnerstag.“

„Donnerstag…“, sinniere ich.

„Dann war ich wirklich drei Tage von der Bildfläche verschwunden?“, grinse ich meiner Wortfindung wegen.

Wie passend.

Mit meinem Grinsen bringe ich meine Chefin, Susanne Widmann, völlig aus dem Konzept.

 

„Renner, ich bin so froh… gefunden worden… am Leben sind … Es ist unfassbar… angetan hat… Tut mir leid… nicht geschafft… wollte vorbeikommen… gratulieren…“, höre ich Susannes Stimme bruchstückhaft zwischen meinen Gedankengängen.

Ich weiß, dass sie einen plausiblen Grund gehabt haben musste, nicht noch am Abend meines Geburtstages bei mir vorbeigekommen zu sein. Um ihr das schlechte Gewissen zu nehmen, versuche ich es auf die spaßige Tour: „Chefin, wenn Sie wollen, dann gratulieren Sie mir eben zu meinem gestrigen Geburtstag. Meinem zweiten der besonderen Art, sozusagen…“

Ich finde mich witzig. Sie jedoch lacht nicht. Dafür kann ich sehen, wie sich ihre Augen mit Tränen füllen.

Ich wende mich ab. Tränen sind das, was ich gerade nicht gebrauchen kann. Ich will kein Mitleid.

Mittlerweile hat sie ihre Sprache wieder gefunden: „Immer einen Scherz auf den Lippen…, was Renner?

Gott… Ich bin so froh, dass Sie leben… Wir holen die Feier nach. Versprochen.“

Dass ich nicht auf große Feiern stehe, behalte ich besser für mich.

Ich fange an zu husten. Das steigert sich bis zum Krampf.

Meine Brust wird eng. Wie zugeschnürt. Ich bekomme keine Luft.

Susanne drückt den Notruf.

Eine Krankenschwester stürzt ins Zimmer und legt mir eine Nasensonde an, durch die ich reinen Sauerstoff atme.

„Ganz ruhig. Langsam atmen. Ja, so ist es gut.“, versucht sie, mich zu beruhigen.

„Ich hatte Ihnen doch gesagt, nur fünf Minuten!“, weist sie meinen Besuch zurecht.

Susanne guckt schuldbewusst.

Ich versuche ein Grinsen. Das entartet.

Wieder muss ich husten. Und alles beginnt von neuem.

Die Schwester scheucht meine Chefin aus dem Zimmer. Diese fügt sich. Jedoch nicht wortlos. Sie schickt mir noch ein: „Renner, ich komme wieder, bald.“ in meine Richtung, bevor sie geht.

Die Krankenschwester bleibt so lange, bis sich meine Atmung wieder stabilisiert hat.

„Falls was ist, Sie wissen ja, einfach klingeln…“

7

Susanne und Hübler sitzen links und rechts von mir. Irgendwie sind sie seltsam. Als ich sie frage, was es Neues gibt, drucksen sie herum.

Hübler beginnt, auf seinem Stuhl hin- und herzurutschen. Das macht er immer, wenn er nervös ist. Susanne sieht auf den Boden.

„Es ist wegen Adrian.“, beginnt Hübler.

„Was ist mit ihm?“, frage ich, während ich zu ihm hin sehe.

„Sie haben ihn gefunden.“, sagt Susanne.

„Was heißt gefunden?“, frage ich, während ich nun die Blickrichtung wechsle.

Sie sieht unsicher zu Hübler, so, als wüsste sie nicht, wer von Beiden mir die unliebsame Nachricht mitteilen sollte. Dann tut sie es: „Renner, es tut mir außerordentlich leid … Er ist tot.“

Ihre Worte schlagen ein wie eine Bombe. Sie treffen mich völlig unvorbereitet.

Ich erstarre, unfähig, noch irgendeine Gefühlsregung zu zeigen.

Irgendwie ist es gerade wie sterben.

Die Ärzte fachsimpeln darüber, ob es in meiner Situation gut sei, mir Psychopharmaka zu verabreichen, da sie in der Wirkweise denen von Drogen ähneln. Dann entscheiden sie sich doch dafür. Ich bekomme Diazepam, was meiner Beruhigung dient, mir die innere Anspannung und meine Ängste nimmt, und Zolpidem. Das macht müde, emotionslos und lässt keinerlei negative Gedanken aufkommen.

Ich bin sediert. Ruhig gestellt. In Watte gepackt. Wenn ich nicht gerade schlafe, döse ich mit offenen Augen vor mich hin, ohne irgendetwas zu sehen. Ohne etwas wahrzunehmen und ohne an etwas zu denken.

Der Effekt ist dabei mehr als angenehm: Ich fühle inneren Frieden und eine Art von Glückseligkeit und wünschte, das würde immer so bleiben.

Doch, als die Ärzte die Medikamente wieder absetzen, werde ich mehr als hart in die Gegenwart zurückgebracht. Denn, ich beginne, mich wieder zu spüren, und auch mein Geist erwacht aus seinem Dämmerzustand. Damit jedoch kehren nun die quälenden und unliebsamen Fragen wieder. Die nach Adrian.

Was war passiert? Wollte er auspacken? Hatten ihn Gelbergs Leute umgebracht, weil er ihnen gefährlich wurde? Zu viel wusste?

Die Unwissenheit zermürbt mich. Die ständigen Grübeleien schlagen mir auf den Magen. Bereits in den wenigen Tagen, deren Dasein ich seit meiner Rückkehr aus dem Erdreich im Krankenhaus friste, habe ich einiges an Gewicht verloren. Die Krankenhausblässe und meine Augenringe tragen weiterhin dazu bei, mich krank aussehen zu lassen, was ich im Grunde ja auch bin.

Gepeinigt von Selbstvorwürfen und -zweifeln, bin ich froh, als Hübler endlich wieder aufschlägt.

„Denkst du, er hat sich selbst …?“, frage ich, kaum dass er die Tür hinter sich geschlossen hat.

Hübler sieht mich einigermaßen Begriff stutzig an. Als er begreift, worum es mir geht, antwortet er: „Das wissen wir noch nicht. Adrian hatte zwar Schmauchspuren an den Händen, das muss jedoch kein Beweis dafür sein, dass er sich selbst erschossen hat. Vielleicht hat man ihn ja auch dazu gezwungen.“

Thomas rückt einen Stuhl zurecht und setzt sich. Dann spricht er weiter: „Was wir mit Sicherheit wissen, ist, dass sie ihn beobachtet haben. Wahrscheinlich schon länger. Jeden seiner Schritte. Seine Wohnung war verwanzt. Sein Wagen. Sie wussten, wo er hinfuhr, wo er sich aufhielt, mit wem er unterwegs war, worüber gesprochen wurde. Einfach alles…“

„Hättet ihr mich gefunden? Ich meine, wenn der Hund mich nicht aufgespürt hätte?“, werfe ich ein.

Er weicht meinem Blick aus.

„Als Adrians Wagen in die Tiefgarage der Spurensicherung gebracht wurde, fand Georg einen Notizblock im Fond. Dieser befand sich auf dem Boden, neben der Handbremse. Die oberste Seite fehlte, doch das, was auf dieser vormals geschrieben wurde, ist auf die nächste Seite durchgedrückt. Susanne kam auf die Idee, die Seite zu schaffrieren, um den Text damit lesbar zu machen. Zum Vorschein kamen vier Namen. Erinnerst du dich?“

Ohne erst eine Antwort von mir abzuwarten, fährt er fort: „Susanne hat sofort an der Schrift erkannt, dass du das geschrieben hattest. Ihr war klar, dass du etwas herausgefunden haben musstest und die Spur zum Nachtclub führt. Sie hat noch am selben Tag einen Durchsuchungsbefehl erwirkt. Das SEK stürmte daraufhin das Etablissement.

Gelberg hatte sich schon abgesetzt. Da kamen die Kollegen leider zu spät. Von den vier Leuten des Sicherheitsdienstes, deren Namen du notiert hattest, haben wir Juri Nikolajew und Branko Stankowic festgesetzt. Die beiden Anderen sind auf der Flucht. Nach ihnen wird gefahndet.

Das SEK hat neben Drogen eine Vielzahl an Waffen und dazugehöriger Munition in einem Nebengebäude des Bordells gefunden und gesichert. Es ging also neben Drogenverkauf auch um illegalen Waffenhandel.“

Hübler räuspert sich und schielt nach meiner Wasserflasche.

„Darf ich?“, fragt er.

Ich nicke.

Er greift nach der Flasche und gießt sich ein. Nachdem er getrunken hat, spricht er weiter: „Uns lief die Zeit weg. Keiner der beiden von uns Festgesetzten redete. Wir hatten nicht den geringsten Anhaltspunkt, wo Gelbergs Männer euch hingebracht hatten… Dann, es war wie ein Wunder, kam der erlösende Anruf, dass dich der Hund eines Jägers gefunden hat…

Mensch, Renner! Weißt du, was mir für ein Stein vom Herzen gefallen ist?!“

Hüblers Worte hallen in mir nach. Ich weiß, dass sie ehrlich gemeint sind.

„Wenn mich dieser Hund nicht zufällig gefunden hätte, wäre ich in diesem Drecksloch verreckt…“, gebe ich wieder, was wir Beide wissen.

Thomas senkt den Blick und nickt.

„Selbst wenn wir die Hütte gefunden hätten, hätten wir damit noch nicht gewusst, wo sie dich danach hingebracht haben. Möglicherweise mit Hilfe eines Spürhundes… doch die Zeit hätte wohl nicht gereicht…“

8

Ich rufe mir die letzte Begegnung mit Adrian in Erinnerung. Wir beide in seinem Wagen. Auf der Anhöhe.

Unter uns die Lichter der Stadt.

Zwei Freunde, so vertraut…

Wir hatten uns gerade erst wieder gefunden. Und jetzt hatte ich ihn für immer verloren…

Wut, Verzweiflung und Trauer kommen in mir hoch. Meine zur Faust geballte Hand schlägt wieder und wieder auf meinen Oberschenkel, bis er schmerzt.

Hübler fängt sie schließlich ab und hält mein Handgelenk fest, bis ich die Faust wieder öffne.

Ich fühle, wie sich Tränen ihren Weg durch mein Gesicht bahnen. Ich schäme mich ihrer nicht, ich lasse alles raus.

Hübler hält mich, indem er mich an seine schmale Brust presst, während ich schluchzend sein Hemd nass sabbere.

„Ich habe ihn im Stich gelassen…“

„Nein, Renner. Du hättest nichts für ihn tun können. Und das weißt du auch.“

Hübler lässt mir Zeit, mich wieder zu beruhigen. Dann sagt er: „Den Anwalt hat man übrigens auch gefunden. Kurz nach dir.“

Ich sehe ihn hoffnungsvoll an.

Er schüttelt den Kopf.

Mein Blick schweift zum Fenster hinaus, aber ich sehe nichts. Er geht ins Leere.

„Er lag nicht weit von dir …“, Thomas beendet den Satz nicht. „Nachdem du gefunden wurdest, kam eine Hundestaffel zum Einsatz. Einer der Hunde war ein Leichenspürhund. Dieser fand dann den Anwalt.“

Hübler hält wieder inne.

„Übrigens ist die SpuSi immer noch mit der Auswertung der Spuren in der Hütte beschäftigt. Es gab wohl mehr als genug davon.“

Ich muss, der aufkommenden Erinnerungen wegen, mehrfach schlucken.

„Trotzdem denke ich, dass wir gute Chancen haben, wenigstens einen der Täter zu erwischen.“ Mein Besuch grinst: „Da konnte sich nämlich jemand nicht beherrschen, wenn du verstehst.“

Ich verstehe gar nichts.

„Die Armbanduhr des Anwalts fehlte, und das gute Stück ist einiges wert. Das hat uns seine Ehefrau versichert. Möglicherweise versucht derjenige, der sie in seinen Besitz gebracht hat ja, sie zu verticken… Oder aber er hat selbst Gefallen an ihr gefunden. Das wird ihn über kurz oder lang verraten.“

„Glaubst du wirklich, dass jemand so blöd ist und die Uhr trägt, die er kurz zuvor seinem Mordopfer abgenommen hat?“, frage ich kopfschüttelnd, da ich Hüblers Meinung nicht teile.

Er nickt und scheint sich seiner Sache ziemlich sicher zu sein.

Ich schließe die Augen. Der Besuch meines Kollegen erschöpft mich doch mehr als gedacht.

Er bemerkt es auch. Sein: „Ich bin dann mal weg.“ vernehme ich da schon nicht mehr.

9

Es klopft.

Mein Interesse auf neuerlichen Besuch hält sich in Grenzen. Daher bleibe ich stumm. Umso erstaunter bin ich jedoch, als sich die Tür öffnet und ich in die außergewöhnlich schönsten Augen blicke, die ich jemals zu Gesicht bekam. Und die sind honigfarben.

„Khadija. Was machst du hier?“, bringe ich überrascht hervor.

„Jan.“

Sie stürmt auf mich zu und umarmt mich minutenlang.

„Ich habe in den letzten Tagen mehrmals bei dir angerufen, dich jedoch nie erreicht. Ich glaube, ich habe dir den ganzen Anrufbeantworter voll gequatscht.“, lacht sie, „Wie es sich gehört, wollte ich dir meinen Besuch vorher ankündigen. Als ich dich jedoch auch per Handy nicht erreicht habe, bin ich auf gut Glück gekommen. Ich habe mich mit einem Taxi bis zu dir nach Hause bringen lassen, dann jedoch ziemlich dumm vor der verschlossenen Haustür gestanden und überlegt, was ich nun machen soll. Schließlich bin ich zum Polizeipräsidium gefahren, wo ich erfuhr, dass du im Krankenhaus liegst…“

Sie bricht ab. Ihre Augen füllen sich mit Tränen. Wahrscheinlich hat sie einen Kloß im Hals, denn sie muss mehrmals schlucken, bevor sie fortfährt.

„Jan, du hättest tot sein können…“

„Unkraut vergeht nicht.“, entgegne ich.

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