Jack London – Gesammelte Werke

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»Wa­rum ver­su­chen Sie nicht hier, Zu­cker auf­zu­trei­ben, Dave?«

»Glau­ben Sie viel­leicht, ich hät­te es nicht ver­sucht? Von Klon­di­ke City bis zum Ho­spi­tal ha­ben mei­ne Hun­de sich fast die Bei­ne ab­ge­lau­fen. Es gibt nichts, nicht für Geld und nicht für gute Wor­te.«

Sie gin­gen die Stra­ße ent­lang, an den Spei­cher­tü­ren und an war­ten­den Hun­de­ge­span­nen vor­bei. Die Tie­re hat­ten sich wie Wöl­fe im Schnee zu­sam­men­ge­rollt. Auf die­sen Schnee, den ers­ten des Jah­res, hat­ten die Gold­grä­ber am Fluss ge­war­tet, ehe sie an­fin­gen, Pro­vi­ant ein­zu­kau­fen.

»Ist das nicht lä­cher­lich?« fing Dave an. »Da hab’ ich also mei­ne fünf­hun­dert Fuß Gold­land am El­do­ra­do und noch was dazu und bin min­des­tens mei­ne fünf Mil­lio­nen schwer und kann nicht eine Hand­voll Zu­cker für mei­nen Kaf­fee oder mei­ne Grüt­ze krie­gen! Jetzt hab’ ich’s satt! Soll das gan­ze Land zum Teu­fel ge­ben! Ich ver­kau­fe! Ich ma­che Schluss. Ich geh’ nach den Staa­ten zu­rück!«

»Ich hab’ Sie am Stuart­fluss ein gan­zes Jahr lang schie­res Fleisch es­sen se­hen, und am Tana­na ha­ben Sie Lach­sein­ge­wei­de ge­fres­sen, wenn ich mich recht er­in­ne­re auch Hun­de­fleisch. Sie sind da­mals nicht weg­ge­reist und wer­den auch dies­mal nicht rei­sen. So ge­wiss, wie die ›Lau­ra‹ jetzt den An­ker auf­holt, so ge­wiss wer­den Sie hier ster­ben, Dave. Ei­nes schö­nen Ta­ges wer­de ich Sie in ei­ner mei­ner vor­züg­li­chen Blei­kis­ten ver­schif­fen, und mein Kon­tor in San Fran­zis­ko wird Ihren Nach­lass re­geln. Sie hän­gen hier fest, das wis­sen Sie so gut wie ich.«

Wäh­rend er sprach, muss­te er fort­wäh­rend Grü­ße der Vor­über­ge­hen­den er­wi­dern.

»Wet­ten, dass ich 1900 in Pa­ris bin!« pro­tes­tier­te der El­do­ra­do-Kö­nig.

Mit hal­len­den Glo­cken grüß­te Ka­pi­tän McGre­gor aus dem Steu­er­häus­chen sei­nen Ree­der. Die ›Lau­ra‹ lös­te sich vom Ufer. Die Zu­rück­blei­ben­den wink­ten mit den Müt­zen und rie­fen Rei­se­grü­ße, aber die drei­hun­dert Pro­vi­ant­lo­sen an Bord, die ih­rem Traum von Gold den Rücken kehr­ten, ant­wor­te­ten nicht. Die ›Lau­ra‹ back­te durch eine Rin­ne, die in den Eis­rand ge­schnit­ten war, hin­aus, schwang sich dann in die Strö­mung, stieß einen letz­ten schrei­en­den Pfiff aus und fuhr mit Voll­dampf da­von. Nur ein Dut­zend Leu­te blieb an der Brücke zu­rück, im Krei­se um Ja­cob Wel­se. Man sprach von der Hun­gers­not, aber im Ton von Män­nern. So­gar Dave Har­ney hör­te auf, sein be­son­ders gräss­li­ches Los zu ver­flu­chen. Mit­ten in die­sem Ge­spräch fiel Wel­ses Blick auf einen schwar­zen Punkt, der zwi­schen Treib­eis den Fluss her­ab­kam.

»Das ist ja ein Kanu!« rief ei­ner. »Ver­flucht kitz­li­ge Fahrt!«

Sich dre­hend und wen­dend, bald ge­ru­dert, bald nur von der Strö­mung ge­trie­ben, kam das Kanu nä­her. Man er­kann­te zwei Män­ner, die es steu­er­ten und bei­de Hän­de voll zu tun hat­ten, um sich die Schol­len fern­zu­hal­ten. Sie ge­wan­nen glück­lich das Rand­eis und lie­ßen sich längs trei­ben, in der Hoff­nung, eine Öff­nung zu fin­den. Dicht vor dem Kanal, der für den Damp­fer ins Eis ge­hau­en war, stemm­ten sie ihre Pad­deln tief in die Flut und schos­sen in den to­ten Was­ser­arm.

Vie­le Hän­de streck­ten sich ih­nen ent­ge­gen, man half ih­nen ans Ufer und zog das Boot aufs Trock­ne. Zwei Post­sä­cke la­gen dar­in, ein paar De­cken, ein schlaf­fer Pro­vi­ant­sack. Die Män­ner wa­ren so er­fro­ren, dass sie kaum auf den Fü­ßen ste­hen konn­ten.

»Vor­wärts, einen hei­ßen Whis­ky­grog!« schlug Dave Har­ney vor und woll­te gleich mit ih­nen los­zie­hen. Aber ei­ner der Män­ner nahm sich noch Zeit, Ja­cob Wel­ses Hand zwi­schen sei­ne frost­stei­fen Tat­zen zu neh­men.

»Sie kommt!« sag­te er. »Vor ei­ner Stun­de ha­ben wir ihr Boot über­holt. Sie kann jede Mi­nu­te um die Ecke kom­men. Die Post brin­ge ich Ih­nen spä­ter. Erst muss ich was in den Leib krie­gen.«

Im Ab­mar­schie­ren dreh­te er sich noch ein­mal um und wies auf den Strom.

»Da ist sie schon! Gera­de beim Vor­ge­bir­ge.«

Von Klon­di­ke trieb jetzt eben eine schwe­re Eis­mas­se in den Haupt­strom hin­aus und jag­te das Boot aus sei­ner Fahrt. Man konn­te deut­lich be­ob­ach­ten, wie die Ru­de­rer mit ver­zwei­fel­ter An­stren­gung durch die Schol­len stak­ten, vier Leu­te stan­den auf­recht und kämpf­ten um ihr Le­ben. Dann er­kann­te man eine dün­ne Säu­le blau­en Rau­ches, die aus ei­nem Bord-Öf­chen em­por­stieg, und als das Boot nä­her kam, sah man, dass das lan­ge Steu­er­ru­der von ei­ner Frau ge­führt wur­de. Ja­cob Wel­ses Au­gen leuch­te­ten auf: das war sei­ne Toch­ter! Auf al­len Schu­len und Hoch­schu­len drü­ben in der Zi­vi­li­sa­ti­on war sie eine Wel­se ge­blie­ben, die Lust an der Ge­fahr hat­te und mit den Eis­schol­len kämpf­te.

Von Reif be­deckt, viel­fach be­schä­digt, stieß das Boot an den Rand des Ufe­rei­ses. Ein wei­ßer Mann sprang her­aus, die Fang­lei­ne in der Hand, um das Fahr­zeug in die Rin­ne zu bug­sie­ren. Aber das Ufe­reis war noch zu dünn, er brach ein. Der Bug des Boo­tes scher­te un­ter dem Druck ei­ner schwe­ren Eis­schol­le aus, der Mann tauch­te un­ter dem Stern wie­der auf. Die Frau warf sich hal­b­en Lei­bes über die Re­ling und griff ihn am Kra­gen.

»Zu­rück das Boot!« be­fahl sie mit kla­rer Stim­me den ru­dern­den In­dia­nern. Wäh­rend sie den Kopf des Man­nes über Was­ser hielt, warf sie sich mit al­ler Kraft ge­gen den Steu­er­rie­men und zwang das Boot in die Rin­ne. Noch ein paar Ru­der­schlä­ge, dann stieß es ge­gen den Ufer­rand. Dave Har­ney zog den zäh­ne­klap­pern­den Mann aus der ei­si­gen Flut und schick­te ihn dem Post­bo­ten nach, dort­hin, wo es Wär­me und hei­ßen Whis­ky­grog gab.

»Hal­lo, Va­ter?«

»Hal­lo, Fro­na?«

Wel­se wuss­te nicht, ob er das jun­ge Mäd­chen in den Arm neh­men, oder ob er ihr nur die Hand rei­chen soll­te, um ihr an Land zu hel­fen. Wie be­nahm man sich als Va­ter ge­gen eine zwan­zig­jäh­ri­ge Dame? Aber sie war schon her­über­ge­sprun­gen, und wäh­rend die Män­ner sich wie auf Be­fehl nach ei­ner an­de­ren Sei­te kehr­ten, fiel sie ihm ein­fach um den Hals: »Du lie­ber Dad­dy!«

Dann stell­te Ja­cob Wel­se vor: »Mei­ne Toch­ter!«

Fro­na grüß­te wie ein al­ter Gold­su­cher, der zu­fäl­lig ein jun­ges Mäd­chen ist, und je­der ein­zel­ne hat­te das Ge­fühl, dass ihre Au­gen ge­ra­de in die sei­nen ge­blickt hat­ten.

*

Van­ce Cor­liss hat­te dum­mer­wei­se kei­nen Fo­to­gra­fen­ap­pa­rat mit ins Land ge­schleppt, sonst hät­te er sich jetzt die Zeit da­mit ver­trei­ben kön­nen, Auf­nah­men von Fro­na zu ent­wi­ckeln und ihre Bil­der an die Wand sei­nes Zel­tes zu hän­gen. Aber trotz­dem sah er sie im­mer vor sich, so wie sie aus­ge­se­hen hat­te, als sie ihm zum Ab­schied wink­te: im flam­men­den Son­nen­licht vor ei­ner dunklen Fels­wand, eine strah­len­de jun­ge Ge­stalt, lä­chelnd wie der Mor­gen und in ei­nem Rah­men von fun­keln­dem Gold. Es wich nicht von ihm, dies Bild, aber im­mer lei­den­schaft­li­cher wur­de sein Wunsch, das jun­ge Mäd­chen in Wirk­lich­keit wie­der­zu­se­hen, mit dem er sei­ne De­cken ge­teilt hat­te. Sie war neu in sei­nem Le­ben, sie glich kei­ner Frau, der er je be­geg­net war.

Hin­ter ihm lag eine wohl­be­hü­te­te Ju­gend. Im­mer hat­te er in war­men und gut ge­lüf­te­ten Zim­mern ge­haust, im­mer hat­te er in Son­nen­schein ge­ba­det, wenn das Wet­ter schön war, und un­ter tro­ckenem Dach ge­ses­sen, wenn es reg­ne­te. Als er alt ge­nug ge­wor­den war, einen Be­ruf zu wäh­len, hat­te er sich brav an die Ar­beit ge­macht und war auf dem ge­ra­den Wege ge­blie­ben. Das Er­geb­nis: ein wohl­er­zo­ge­ner, net­ter jun­ger Mann, über des­sen Er­schei­nen sich die Müt­ter al­ler jun­gen Mäd­chen freu­ten, ein kräf­ti­ger und ge­sun­der jun­ger Mann, der sei­ne Ner­ven­kraft nicht ver­geu­det hat­te; ein sehr ge­lehr­ter jun­ger Mann, der sein Ex­amen als Mi­ne­n­in­ge­nieur in Deutsch­land und ein zwei­tes Ex­amen an der Yale-Uni­ver­si­tät glän­zend be­stan­den hat­te; vor al­lem ein sehr selbst­be­wus­s­ter jun­ger Mann.

Trotz al­le­dem war Cor­liss in sei­ner Le­bens­form nicht er­starrt. Ei­nes Ta­ges er­wach­te auch in ihm, der in jun­gen Jah­ren schon ein ge­sät­tig­ter Bür­ger schi­en, die Un­rast sei­ner Vä­ter, die einst von Eu­ro­pa her als Aben­teu­rer in die Neue Welt ge­zo­gen wa­ren. Bei al­ler Ge­lehrt­heit, al­ler Be­stän­dig­keit, war die­se Un­rast viel­leicht Van­ces bes­ter Be­sitz. Sie hat­te ihn jetzt nach Alas­ka ge­führt, und als Fro­nas Bild lan­ge ge­nug durch die Win­kel sei­nes Zel­tes ge­spukt hat­te, in den Son­nen­stäub­chen bei Tag und im Fla­ckern des Öf­chens bei Nacht, hat­te sie ihn aber­mals auf die Bei­ne ge­bracht.

Den Sack voll Geld, hat­te er sich auf­ge­macht, um Fro­na ein­zu­ho­len, über den Pass und dann wei­ter zu den Seen und Flüs­sen hin­ab. Aber so leicht sein Geld die meis­ten Hin­der­nis­se über­wand … Fro­na reis­te un­ter dem Na­men Wel­se, und der galt mehr als Reich­tü­mer. So kam es, dass sie trotz al­lem vier­zehn Tage frü­her als er in Daw­son ein­traf.

Nach sei­ner An­kunft ließ er ein paar Wo­chen dar­über ver­strei­chen, sich ein Haus zu kau­fen, sich nie­der­zu­las­sen und sei­ne Emp­feh­lungs­brie­fe zu prä­sen­tie­ren. Er woll­te Fro­na nicht wie ein Aben­teu­rer ent­ge­gen­tre­ten. Als der Fluss zu­ge­fro­ren war, mach­te er sei­nen ers­ten Be­such in Ja­cob Wel­ses Haus. Frau Shef­field, die Gat­tin des Gold­kom­missars und eine der großen Da­men von Klon­di­ke, gab sich die Ehre, ihn ein­zu­füh­ren.

Van­ce zupf­te sich an der Nase … das gab es also in Klon­di­ke! Ein Haus mit Dampf­hei­zung, schwe­ren Por­tie­ren zwi­schen Vor­raum und Empfangs­zim­mer … und ein Empfangs­zim­mer, das je­dem Haus in der Fünf­ten Ave­nue Ehre ge­macht hät­te! Sei­ne elch­le­der­nen Mo­kass­ins glit­ten über tie­fe, wei­che Tep­pi­che. Mäch­ti­ge Tan­nen­schei­te pras­sel­ten in zwei hol­län­di­schen Ka­mi­nen. Auch ein Flü­gel war da, und je­mand sang.

 

Fro­na sprang vom Kla­vier­sche­mel auf und streck­te ihm bei­de Hän­de ent­ge­gen. Ihr Bild im Son­nen­schein war voll­kom­men ge­we­sen, aber jetzt im fla­ckern­den Schein des Feu­ers wirk­te sie noch stär­ker. Als er ihre Hän­de in den sei­nen hielt, stieg ihm das Blut un­er­klär­lich hef­tig zu Kop­fe, und er be­kam einen Schwin­del­an­fall.

»Sie ken­nen sich schon?!« rief Frau Shef­field er­staunt.

»Wir ha­ben uns auf dem Wege von Dyea ge­trof­fen«, ant­wor­te­te Fro­na. »Wenn man sich auf die­sem Wege be­geg­net ist, ver­gisst man ein­an­der nie.«

»Nein, wie ro­man­tisch!« strahl­te Frau Shef­field. »Hat er Ih­nen das Le­ben ge­ret­tet oder so et­was? Es sieht doch ganz da­nach aus! Und Sie ha­ben mir kein Wort da­von ge­sagt, Herr Cor­liss! Er­zählt doch end­lich, ich st­er­be vor Neu­gier.«

Fro­na ant­wor­te­te: »Er hat mir Gast­freund­schaft er­wie­sen, das ist ge­nug. Sei­ne Brat­kar­tof­feln sind ers­ter Klas­se, und sein Kaf­fee ist fa­bel­haft … wenn man sehr hung­rig ist.«

Dann wur­de Van­ce ei­nem gut­ge­wach­se­nen Leut­nant der be­rit­te­nen Po­li­zei vor­ge­stellt, der am Ka­min stand und mit ei­nem leb­haf­ten klei­nen Mann das ewi­ge Ver­pfle­gungs­pro­blem er­ör­ter­te.

Es war eine rich­ti­ge Ge­sell­schaft, ein Fün­fuhr­tee mit Mu­sik. Der Tee wur­de aus chi­ne­si­schem Por­zel­lan ge­trun­ken, lau­ter wohl­ge­klei­de­te Leu­te in wei­ßen Hem­den und mit stei­fen Kra­gen stan­den in Grup­pen bei­sam­men. Van­ce fand sich so­fort in die ge­wohn­te At­mo­sphä­re und be­weg­te sich si­cher von Ge­spräch zu Ge­spräch, sehr zum Neid von Del Bi­shop, der stock­steif in dem ers­ten Stuhl kleb­te, auf den er ge­sto­ßen war, und der sich sehr un­glück­lich fühl­te. Er hat­te sich nur auf eine Mi­nu­te her­ein­ge­wagt, um »Hal­lo, Miss Fro­na!« zu sa­gen, und saß jetzt wie eine Rat­te in der Fal­le. Wie kam man aus ei­ner so vor­neh­men Ge­sell­schaft wie­der her­aus? Wie viel Schrit­te brauch­te man, um zur Tür zu kom­men? Wie ver­ab­schie­de­te man sich? Gab man reihum die Hand oder ver­beug­te man sich nur vor Miss Fro­na? Er war ent­schlos­sen, sich nicht vom Plat­ze zu rüh­ren, bis ei­ner der Her­ren ihm den Ab­schied vor­mach­te.

Van­ce hat­te den Gold­grä­ber so­fort wie­der­er­kannt, ob­wohl er ihn nur eine Se­kun­de lang durch sei­ne Zel­t­öff­nung in Hap­py Camp ge­se­hen hat­te. Das war der Mann, dem er es ver­dank­te, dass Fräu­lein Fro­na für jene eine Nacht ohne Un­ter­kunft war … Ein bra­ver Mann, der im rich­ti­gen Au­gen­blick selbst den Weg ver­lo­ren hat­te.

Bald zog Dave Har­ney, der Bo­nan­za-Kö­nig, Van­ce ins Ge­spräch. Er fühl­te sich ver­pflich­tet, hier so auf­zu­tre­ten, wie es sei­nen Mil­lio­nen ent­sprach, und ob­wohl er sein gan­zes Le­ben lang nur die Gast­freund­schaft des of­fe­nen Zel­tes ge­kannt hat­te, bei Fleischtöp­fen, in die je­der hin­ein­griff, mach­te es ihm Freu­de, ein­mal im Le­ben den Sa­lon­hel­den zu spie­len. Wie ein rich­ti­ger Kö­nig hielt er Cer­cle, in­dem er an je­den, der ihm in die Que­re kam, ein paar huld­vol­le Wor­te rich­te­te, meist tö­rich­te Fra­gen, auf die es kei­ne Ant­wort gab. Da­bei sah er ver­liebt in einen Spie­gel, denn so in der Ver­klei­dung ei­nes Stadt­herrn hat­te er sich sel­ten ge­se­hen. Fro­na hat­te in die­sen we­ni­gen Wo­chen merk­wür­di­ge Ver­hee­run­gen in Daw­son an­ge­rich­tet.

Den Hö­he­punkt des Nach­mit­tags schuf Har­ney, als er Fro­na bat, das rüh­ren­de Lied »Für dich hab’ ich mein Heim ver­las­sen …« zu sin­gen. Sie kann­te es nicht; er ließ sich her­bei, ihr die ers­ten Tak­te vor­zu­sum­men, so­dass sie ihn nur zu be­glei­ten brauch­te. Dann riss eine Erin­ne­rung an die Ju­gend ihn hin, er stimm­te sei­nen ge­wal­ti­gen Bass, der kei­nes­wegs wohl­klin­gend war, und tre­mo­lier­te die rüh­rends­ten Stel­len, dass es eine Kat­ze er­barmt hät­te. Del Bi­shop, der sich die­ser See­le ver­wandt fühl­te, brumm­te den Re­frain mit. Es war ein er­he­ben­der Vor­trag. Bi­shop fand end­lich den Mut, sich von sei­nem Stuhl zu er­he­ben und al­len Leu­ten auf die Schul­ter zu schla­gen.

Er kam spät nach Hau­se und weck­te sei­nen Zelt­ge­nos­sen: »Groß­ar­tig war das bei Wel­ses! Das nächs­te Mal neh­me ich dich mit, al­ter Jun­ge! Also, so gut habe ich mich im Le­ben noch nicht amü­siert.«

Als Van­ce sich ver­ab­schie­de­te, flüs­ter­te Fro­na ihm zu: »Es ist zu dumm, kei­ne drei Wor­te ha­ben wir mit­ein­an­der ge­spro­chen …«

*

Nicht ohne Kampf hat­te Van­ce Cor­liss sich von der Kul­tur ge­trennt, in der er auf­ge­wach­sen war, als ein eh­ren­vol­ler und glän­zend be­zahl­ter Pos­ten im wil­den Alas­ka ihn ab­rief. Jetzt fand er bei Fro­na et­was von dem Ver­lo­re­nen wie­der. Sie war eine Frau, die in sei­nen Krei­sen und mit sei­nen geis­ti­gen In­ter­es­sen ge­lebt hat­te. Zu­gleich aber spür­te er aus ih­rem We­sen einen rei­nen, schar­fen Duft wie von fri­scher Erde. Sie hat­te stu­diert, aber sie war kein Blau­strumpf ge­wor­den, son­dern noch tief ver­wach­sen mit dem Bo­den, dem sie ent­spros­sen war. Kei­ne Frau auf Er­den hät­te wie sie die Brücke sein kön­nen, die Cor­liss mit die­ser Frem­de ver­band; kei­ne an­de­re hät­te es ver­mocht, ihm die Tage in die­ser Ver­ban­nung voll und schön zu ma­chen. Wie in ih­rer per­sön­li­chen At­mo­sphä­re, so fand er auch in ih­rem Haus al­les, wo­nach er sich in sei­ner kah­len Zel­le sehn­te. Er reis­te gern – denn er war jung und aben­teu­er­froh – mit dem Hun­de­ge­spann und dem bra­ven Bur­schen Bi­shop, den er in sei­nen Dienst ge­nom­men hat­te, tief in das Land hin­ein, kam­pier­te, wie nur ir­gend­ein Gold­grä­ber, im Zelt, am La­ger­feu­er, aß sei­nen ge­bra­te­nen Speck drei­mal am Tag und schütz­te sich die Haut mit Fisch­tran ge­gen Glet­scher­brand. Aber es war herr­lich, in sol­chen Näch­ten, wenn die gro­ben, oft zo­ti­gen Gold­grä­ber­wit­ze, im­mer die­sel­ben, er­zählt wur­den, wenn man sei­nen Whis­ky­tee aus Blech­scha­len trank und tage- oder wo­chen­lang kei­nen Trop­fen Was­ser an den Kör­per be­kam, still von ei­nem Zim­mer zu träu­men wie Fro­nas Empfangs­raum. Von den wei­chen Tep­pi­chen, den herr­li­chen Bil­dern, dem Flü­gel und ei­ner jun­gen Dame, de­ren kul­ti­vier­te Per­sön­lich­keit die­sen gan­zen Raum durch­drang.

Fro­nas ein­zi­ger Feh­ler war in Van­ces Au­gen ihr bur­schi­ko­ses We­sen. Aber wenn sie dann lach­te und sich an sei­ner Be­schä­mung wei­de­te, emp­fand er, dass dies al­les eine Art Ver­klei­dung war, die sie ge­wählt hat­te, um zu füh­len, wie sehr er sie ver­ehr­te. Prü­de war sie nicht, aber was er weib­li­ches Scham­ge­fühl nann­te und nicht miss­en konn­te, be­saß sie, wie sei­ne Mut­ter es be­ses­sen hat­te, und auch in der ste­ten Um­ge­bung der raues­ten Män­ner wür­de sie es nie ver­lie­ren.

Er lieb­te das Flam­men ih­res Haa­res in der Son­ne, sein gol­de­nes Fun­keln am Ka­min­feu­er. Er lieb­te ih­ren Mund und ihre Wan­gen. Er lieb­te ihre zier­li­che Ge­stalt mit den fe­dern­den Mus­keln und war glück­lich, wenn er ne­ben ihr ge­hen durf­te, wenn sie ihre Schrit­te den sei­nen an­pass­te. Al­les an ihr lieb­te er.

*

In der Bar, wo es hoch her­ging, saß Van­ce Cor­liss mit Oberst Tretha­way zu­sam­men, und mit­ten im To­hu­wa­bo­hu trin­ken­der, spie­len­der, sin­gen­der Män­ner führ­ten sie ein erns­tes Ge­spräch über wich­ti­ge Fra­gen ih­res Be­rufs. Der Oberst sah mit sech­zig Jah­ren und schloh­weißem Haar noch wie ein jun­ger Mann aus. Sei­ne Au­gen strahl­ten im klars­ten Blau, sei­ne Be­we­gun­gen wa­ren voll von ju­gend­li­chem Tem­pe­ra­ment, und sein Geist ar­bei­te­te ex­akt, stets be­dient von ei­nem un­fehl­ba­ren Ge­dächt­nis. Tretha­way war ein al­ter Mi­ne­n­in­ge­nieur und ver­trat in Alas­ka eben­so große ame­ri­ka­ni­sche In­ter­es­sen wie Cor­liss eng­li­sche. Die bei­den Män­ner wa­ren ein­an­der in Freund­schaft zu­ge­tan, und das kam auch ih­ren Ge­schäf­ten zu­gu­te.

Die Män­ner rings­her­um, es wa­ren wohl hun­dert, tru­gen Pel­ze und Woll­zeug. Sie blie­sen so viel schwe­ren Ta­bak in die Luft, dass der Schein von Pe­tro­le­um­lam­pen und Talg­lich­tern die Wol­ken kaum durch­drang. Aus mäch­ti­gen Öfen pras­sel­te rote und wei­ße Glut; es war ein rich­ti­ges Gold­grä­ber-El­do­ra­do.

Was es an Weib­lich­keit in die­sem El­do­ra­do gab, Tin­gel­tan­gels­ter­ne und Ar­tis­tin­nen, wie Van­ce sie nann­te, war stark ge­fragt. Ras­ten durf­te kei­nes von den ar­men Mäd­chen; aus ei­nem Arm in den an­de­ren ge­ris­sen, tanz­ten sie vie­le, vie­le Stun­den lang auf dem höl­zer­nen Po­di­um, und der Kla­vier­spie­ler trom­mel­te sich fast den Atem aus den Lun­gen. Beim Tanz flat­ter­ten den Män­nern Ohren­klap­pen mit bun­ten Quas­ten von den Wolfs- und Bi­ber­fell­müt­zen um die Köp­fe. Sie gin­gen in wei­chen Mo­kass­ins, aber die Mäd­chen tru­gen dün­ne Ball­schu­he aus At­las oder Sei­de, und man­che hat­ten Abend­klei­der an, wie man sie auch in je­dem Ball­saal der zi­vi­li­sier­tes­ten Welt zei­gen konn­te.

Im Haup­traum der Bar wur­de nur Whis­ky und Bier ge­trun­ken, aber aus ei­nem Nach­bar­zim­mer hör­te man das Knal­len von Sekt­pfrop­fen und das Klir­ren zar­ter Kel­che, zu­gleich das Geras­sel von bei­ner­nen Spiel­mar­ken, das Schnur­ren der Rou­let­te. An man­chen Aben­den wur­den vie­le Zehn­tau­sen­de Dol­lars in Gold­staub dort um­ge­setzt, denn ein Mann, der vie­le har­te Mo­na­te im ver­krus­te­ten Schlamm ge­wühlt und einen gu­ten Fund ge­macht hat, tobt sich gern bei Spiel, Cham­pa­gner und Mä­dels aus.

Als Oberst Tretha­way und Van­ce an den Bar­tisch tra­ten, um sich die Glä­ser wie­der fül­len zu las­sen, tra­fen sie dort auf ein neu­es Ge­sicht, das nicht zu über­se­hen war. Es war ein un­ge­wöhn­lich statt­li­cher und in­tel­li­gent aus­se­hen­der Bur­sche mit ei­ner Wolfs­fell­müt­ze. Frau­en hät­ten ihn min­des­tens hübsch ge­nannt. Auf sei­nen Wan­gen glüh­te eine sym­pa­thi­sche Wär­me, und aus sei­nen Au­gen strahl­te eine schö­ne, sanf­te Glut. Der Mann war so auf­ge­räumt, wie man zur gu­ten Stun­de bei gu­ten, star­ken Ge­trän­ken nur wer­den kann. Er führ­te das große Wort; sei­ne Stim­me war ein we­nig laut, aber sie klang an­ge­nehm. Sei­ne Rede war voll Le­ben und Witz.

Als er sein Glas hob, pas­sier­te es, dass sein Nach­bar ihn stieß. Er tat es un­ab­sicht­lich, aber so kräf­tig, dass dem Frem­den das Glas ent­fiel und in Scher­ben ging. Wäh­rend er sich den Wein vom Hemd wisch­te, brumm­te er ein gro­bes Wort, das ge­wiss so we­nig böse ge­meint war wie zu­vor der Stoß, der es her­vor­ge­ru­fen hat­te. Aber die Ge­mü­ter wa­ren ein­mal er­hitzt, ein »Chechaquo!« fiel nach dem an­de­ren, und als das Schimp­fen kei­nen Spaß mehr mach­te, be­kam der Frem­de einen Schlag ans Kinn Er tau­mel­te ge­gen Van­ce; der An­grei­fer stell­te sich mit ge­ball­ten Fäus­ten vor ihn, um den Rauf­han­del fort­zu­set­zen, und im Au­gen­blick stand bei je­dem der Män­ner ein Se­kun­dant.

Die Mäd­chen zo­gen sich zu­rück; die Gold­grä­ber hat­ten im Handum­dre­hen einen wei­ten Kreis ge­schlos­sen. Oberst Tretha­way er­nann­te sich mit dem An­spruch sei­ner wei­ßen Haa­re selbst zum Schieds­rich­ter, und nun soll­te nach al­len Ge­set­zen der ed­len Kunst ein Box­kampf vor sich ge­hen, mehr Sport als Feind­schaft.

»Los, gib ihm ein blau­es Auge!« wur­den die Kämp­fer er­mu­tigt, aber der hüb­sche Bur­sche in der Wolfs­fell­müt­ze und mit den tap­fe­ren blau­en Au­gen bot plötz­lich ein Bild, das Mit­leid er­re­gen konn­te. Statt zu kämp­fen – und auch ein schlech­ter Kampf mit faie­ren Mit­teln wäre ihm nicht übel­ge­nom­men wor­den –, duck­te er sich, deck­te das Ge­sicht mit bei­den Hän­den, und es war un­ver­kenn­bar, dass sei­ne Knie beb­ten.

»So ge­hen Sie doch in Stel­lung!« brüll­te der Oberst ihn an, aber eben­so gut hät­te er einen Schnee­mann zum Bo­xer ge­macht.

Der Geg­ner hat­te viel­leicht Mit­leid mit die­ser ar­men See­le, aber er durf­te sich, nach­dem der Ring ein­mal ab­ge­steckt war, nicht mit ei­nem Schein­kampf be­gnü­gen. »Feig­lin­ge! Schlapp­schwän­ze!« tön­te es schon rings­um, und so lan­de­te er einen saf­ti­gen Schlag. Cor­liss woll­te so­fort ein­grei­fen; er konn­te nicht mit an­se­hen, wie ein völ­lig wehr­lo­ser Mann miss­han­delt wur­de. Aber der Oberst wies ihn em­pört aus dem Ring.

»Was den­ken Sie! Hier habe ich das Kom­man­do!«

Die gan­ze An­ge­le­gen­heit sah nur des­halb so bru­tal aus, weil der Bur­sche, der mit der Zun­ge so tap­fer ge­we­sen war, sich auch dann nicht zur Wehr setz­te, als das Blut ihm schon aus der Nase floss und ei­nes sei­ner Au­gen dick ver­schwol­len war. Doch jetzt konn­te Cor­liss sich nicht län­ger be­herr­schen. Er warf sich da­zwi­schen und nahm ein­fach den An­grei­fer auf sich. Sein Vor­stoß kam so un­er­war­tet, dass der Mann so­fort zu Bo­den ging. Im Au­gen­blick zer­fiel die gan­ze Be­leg­schaft der Knei­pe in zwei Par­tei­en. So of­fen­kun­dig es ge­we­sen, dass ein bra­ver Mann ge­gen einen Feig­ling stand, wa­ren doch vie­le der Mei­nung Van­ces, man dür­fe einen Schwäch­ling nicht zu­schan­den schla­gen, ein Box­kampf müs­se zwi­schen Gleich­wer­ti­gen ge­führt wer­den. Die an­de­ren wa­ren der Mei­nung, im Ring habe kein Drit­ter et­was zu su­chen. Nun kam eine Schlacht in Gang, in der je­der auf je­den los­schlug und kei­ner nach Re­geln frag­te. Van­ce be­kam eine stein­har­te Faust in die Zäh­ne ge­feu­ert und muss­te zu Bo­den, di­rekt ne­ben den Mann, den er selbst eben zur Stre­cke ge­bracht hat­te, aber dann mach­te sich Del Bi­shop ans Ge­schäft und mäh­te mit un­wi­der­steh­li­chen Fäus­ten rings um ihn die Luft frei. Del Bi­shop stand seit kur­z­em in Van­ces Diens­ten, aber wie es im Nor­den un­ter wei­ßen Män­nern ist, war er mehr sein Ka­me­rad als sein An­ge­stell­ter. Er war viel­leicht der bes­te Mann im Saal, wenn es ans Rau­fen ging; das kam sel­ten vor, aber wenn er zu­griff, tat er es mit Schwung.

 

Oberst Tretha­way ver­gaß sei­ne sech­zig Jah­re und sein wei­ßes Haar; er ver­gaß auch, dass er sich das Amt des Schieds­rich­ters an­ge­maßt hat­te. Statt Ord­nung zu schaf­fen, griff er nach ei­nem Sche­mel und stürz­te sich ins dich­tes­te Ge­wühl. Zwei dienst­freie Ser­gean­ten von der be­rit­te­nen Po­li­zei schlos­sen sich ihm an. Der halb ohn­mäch­ti­ge Mann mit der Wolfs­fell­müt­ze, der den gan­zen Skan­dal ent­facht hat­te, wur­de in eine ge­schütz­te Ecke ge­zerrt; und jetzt wa­ren lau­ter Män­ner un­ter sich, die ein­an­der mit ech­ter Lie­be zur Sa­che Kinn­ha­ken und Rip­pen­ge­ra­de wuch­te­ten, die ein zer­schmet­ter­tes Na­sen­bein hin­nah­men, ohne zu muck­sen, und für je­den Schlag, den sie ein­steck­ten, frisch be­feu­ert zwei umso bes­se­re zu­rück­ga­ben.

Am an­de­ren Ende der Bar wur­de im­mer noch Whis­ky aus­ge­zapft. Im Ne­ben­raum spiel­te man wie­der zum Tanz auf, und die Rou­let­te­spie­ler lie­ßen sich nicht stö­ren.

Cor­liss war längst wie­der auf die Bei­ne ge­kom­men und drosch Sei­te an Sei­te mit Bi­shop auf frem­de Schä­del und frem­de Ge­sich­ter ein, kämpf­te aus pu­rer Freu­de am Kampf mit Leu­ten, die er nicht kann­te, und die ihm nie et­was zu­lei­de ge­tan hat­ten. Plötz­lich ge­riet er mit ei­nem seh­ni­gen Hun­de­trei­ber in den Clinch. Aus dem Schlag­wech­sel wur­de ein Ring­kampf; die bei­den fie­len eng um­schlun­gen zwi­schen all die stamp­fen­den Füße. Cor­liss spür­te den wü­ten­den Atem sei­nes Geg­ners im Ge­sicht, dann zuck­te ein schar­fer Schmerz durch sei­ne Ner­ven. Der Mann hat­te ihm, in die­sem Au­gen­blick mehr Wolf als Mensch, die Zäh­ne in die Ohr­mu­schel ge­gra­ben – er ließ nicht los, noch eine Se­kun­de, dann hat­te Van­ce kein Ohr mehr …

Wie in ei­ner Vi­si­on sah er sich plötz­lich als ein Ge­brand­mark­ter durchs Le­ben ge­hen, ein Herr der Ge­sell­schaft, der Wis­sen­schaft, der bei ei­ner Rau­fe­rei sein Ohr ver­lo­ren hat­te – un­ter den Zäh­nen ei­nes be­ses­se­nen Hun­de­trei­bers. Das war kein Män­ner­kampf, das war tie­ri­sche Ro­heit, ge­gen die je­des Mit­tel galt. Auf­brül­lend stieß er zwei Fin­ger in die Au­gen des Wolfs­men­schen, bis der Mann vor Schmerz heul­te und sei­ne Zäh­ne das Ohr frei­ga­ben. Dann la­gen sie ne­ben­ein­an­der, fast un­be­weg­lich. Der Kampf tob­te über sie wei­ter, sie wur­den mit Fü­ßen ge­tre­ten, aber das war al­les sehr dun­kel und fern …

Eine hal­be Stun­de spä­ter herrsch­te wie­der tiefer Frie­de im Gold­grä­ber-El­do­ra­do. Van­ce lag, von Oberst Tretha­way ge­pflegt und von Del Bi­shop not­dürf­tig ver­bun­den, in ei­nem le­der­nen Klub­ses­sel und spül­te das ge­ron­ne­ne Blut in sei­nem Mund mit eis­kal­tem Whis­ky her­un­ter. Er war vom Kopf bis zu den Fü­ßen zer­tram­pelt und ver­dro­schen, aber es tat ihm nichts weh, we­nigs­tens jetzt noch nicht; er fühl­te sich so ge­ho­ben, so zu­frie­den mit sich selbst wie viel­leicht noch nie in sei­nem Le­ben. Spiel ohne Ein­satz ist ein fa­des Ver­gnü­gen, aber er hat­te um sein Ohr, um sein gu­tes Aus­se­hen, um einen Teil sei­nes wert­vol­len, ge­sun­den, statt­li­chen Kör­pers ge­kämpft, und des­halb war es ein gu­ter Kampf ge­we­sen. Zum ers­ten Mal in sei­nem Le­ben hat­te er die Kraft sei­ner im Sport ge­stähl­ten Glie­der ge­braucht, zum ers­ten Mal emp­fun­den, wie Mus­kel ge­gen Mus­kel prallt und das Blut hei­ßer durch die Adern jagt. Er hat­te – alle Pha­sen der Rau­fe­rei gin­gen ihm jetzt erst durch den Sinn – mit ei­nem ein­zi­gen Hieb einen Mann zu Bo­den ge­schmet­tert, der ge­ra­de einen Stein­krug auf den Schä­del des al­ten Oberst schleu­dern woll­te, und bei die­ser Erin­ne­rung durch­beb­te ihn un­ge­heu­re Freu­de. Ein Hieb, ein ein­zi­ger Hieb, und der star­ke Kerl hat­te be­we­gungs­los zu sei­nen Fü­ßen ge­le­gen.

*

Zu viert bra­chen sie spä­ter auf, Cor­liss, der Oberst, der Mann mit der Wolfs­fell­müt­ze und Del Bi­shop. Schnee­klar war die Nacht; vor ih­nen lag eine stil­le, fried­li­che Stra­ße, und die Luft klirr­te von Frost.

»Das war ein Abend! Blut und Schweiß, aber nicht zu we­nig!« frohlock­te Oberst Tretha­way. »Wis­sen Sie, Cor­liss, ich bin heu­te Abend wie­der um zwan­zig Jah­re jün­ger ge­wor­den! Ge­ben Sie mir Ihre Hand. Ich gra­tu­lie­re Ih­nen. Von gan­zem Her­zen! Die Wahr­heit in Ehren, Cor­liss, das hät­te ich Ih­nen nicht zu­ge­traut. Es war eine Über­ra­schung für mich, di­rekt eine Über­ra­schung!«

»Für mich selbst war es auch eine Über­ra­schung«, ge­stand Van­ce. Jetzt trat bei ihm der Rück­schlag ein. Er fühl­te sich plötz­lich krank und er­bärm­lich schwach. »Ich bin mir selbst eine Über­ra­schung ge­we­sen, und vor al­lem Sie, al­ter Oberst! Wie Sie mit dem Stuhl los­ge­gan­gen sind …«

»Ich glau­be selbst, das hat nicht schlecht aus­ge­se­hen. Ha­ben Sie ge­se­hen, so, von oben …« Er focht in die Luft, in die kal­te, stil­le, schö­ne Luft, und das sah so ko­misch aus, dass alle vier in ein großes, be­frei­en­des La­chen aus­bra­chen.

»Wem habe ich zu dan­ken, mei­ne Her­ren?« frag­te der Mann mit der Wolfs­fell­müt­ze, den Cor­liss ge­ret­tet hat­te. »Mein Name ist St. Vin­cent, Dok­tor Gre­go­ry St. Vin­cent.«

Da­bei streck­te er den an­de­ren sei­ne Hand zum Ab­schied­neh­men hin.

»Gre­go­ry St. Vin­cent?« frag­te Del Bi­shop mit plötz­lich er­wach­tem In­ter­es­se.

»Ja­wohl, und der Ihre?«

»Das geht Sie einen Dreck an!«

Da­bei schoss Bi­shops Faust vor, und Gre­go­ry St. Vin­cent stürz­te schwer in den Schnee.

»Sind Sie ver­rückt, Mann?« brüll­te Cor­liss.

»Das Stink­tier! Ich hät­t’s ihm noch bes­ser ge­ben sol­len! So ein ver­fluch­ter Hun­de­kno­chen! … Ist schon gut. Las­sen Sie mich los. Ich rühr ihn nicht mehr an. Las­sen Sie mich. Ich gehe nach Haus. Gute Nacht.«

Als sie Gre­go­ry St. Vin­cent auf die Bei­ne hal­fen, muss­te der Oberst noch ein­mal la­chen. Er schäm­te sich ei­gent­lich dar­über, aber spä­ter er­klär­te er: »Eine Vie­che­rei war es. Aber eben doch so ko­misch und plötz­lich.«

Zu­nächst mach­te er sein La­chen wie­der gut, in­dem er es über­nahm, Herrn Gre­go­ry nach Hau­se zu schlep­pen und ins Bett zu le­gen.