»Ein toter Pionier«, brach Frona das Schweigen, als unter Winseln, Rufen und Knallen der Sarg in der Ferne verschwunden war, einer Art von Totenkammer entgegen, die man irgendwo vor der Stadt in das Eis gehauen hatte.
Corliss’ Gedanken gingen in gleicher Richtung wie die Fronas.
»Goldsucher«, sagte er, »aber Pioniere, da haben Sie recht. Sie kämpfen wie Soldaten im Krieg gegen Kälte und Hunger, ihre Waffen sind Zähigkeit und die Kraft, zu leiden. Ich kann verstehen, dass alle siegreichen Rassen aus dem Norden gekommen sind, um zu herrschen. Stark im Wagen, stark im Dulden, mit unendlichem Glauben und unendlichem Mut ausgerüstet, mussten sie sich die Welt unterwerfen.«
Ein altes nordisches Lied fiel ihm ein: »Wir schwangen unsere Schwerter im Kampf«, sang er. »Da lohte mein Herz, als läge meine weiße Braut bei mir auf dem Ruhebett. Ich schritt den Gefährten voran mit dem blutigen Stahl; uns folgten die Raben. Feuer fraß die Häuser der Menschen! Wir schliefen im Blute derer, die die Tore bewacht!«
»Fühlen Sie das wirklich?« fragte sie, die Hand in seinem Arm.
»Früher war mir all das nur Schulweisheit, unsere ganze Wiking-Vergangenheit hat mir nie etwas gesagt, Frona! Ich war ein kleiner Student, ich hatte Formeln und Logarithmentafeln im Kopf, und von wem ich abstamme, danach habe ich kaum gefragt. Das heißt, wissen Sie, mein Blut hat nicht danach gefragt, nicht einmal ein Traum hat mir davon erzählt.«
»Und jetzt?«
»Hier oben im Norden ist mir das alles plötzlich bewusst geworden.«
Er sah Frona mit bewundernden Augen an, ihre Silhouette zeichnete sich scharf von der flammenden Luft ab. Der Reif in ihren Brauen und Wimpern schimmerte wie Juwelen. Ihr Gesicht stand ganz in diesen Strahlen. Wie ein Genius der nordischen Rasse erschien sie ihm, bei ihrem Anblick standen längst vergangene Generationen in seiner Seele auf. Er empfand, wie seine Väter in Sturmgetöse und Wogenprall kampftüchtige Schiffe mit scharfem Bug aus diesen Breiten hinunter in den Mittag gesteuert hatten, ringsherum um Europa. Wikinger hatte man sie geheißen, die mit eisernen Muskeln und gewaltigen Brustkästen aus dem Element selbst entstanden waren, um plündernd wie Herrgottsgeißeln über die warmen Südlande hinzufahren. Leidenschaftlich griff er nach Fronas Hand.
»Die weiße Braut auf meinem Ruhebette! Frona! Hier unter den Sternen, im Nordlicht …«
Er brach ab; der Schwung seines Herzens wollte sich ihm nicht zu Worten gestalten. Das Nordlicht zerflackerte mit einem letzten, unsicheren, blassgelben Schein. Jetzt glitzerten nur noch die Sterne, und jetzt erst war wirklich Nacht. Ganz von fern hörte man die Hunde des Leichenschlittens klagend heulen.
»Werden Sie meine Braut, Frona!«
Eine Minute lang wurde kein Wort gesprochen. Eine Minute lang beobachtete Corliss, wie aus Fronas Gestalt das Siegesgewisse verschwand, ihre Gestalt klein wurde und zusammensank. Er las auf ihrem Gesicht die bittere Notwendigkeit, ein Wort sprechen zu müssen, das ihm weh tat.
»Ich war ein Narr … sagen Sie nichts … Ich weiß meine Antwort …«
Frona bat: »Lassen Sie uns gehen.«
Erst als sie den Berg hinter sich gelassen, die Ebene durchschritten hatten und bei der Sägemühle am Fluss ankamen, als geschäftige Menschen rings um sie waren, konnten sie ein Gespräch wieder aufnehmen.
»Es tut mir so leid«, stammelte sie. Und dann, unbewusst sich selbst verteidigend, »und es war alles so schön vorher … so schön … Aber das hatte ich nicht erwartet …«
»Sonst hätten Sie meine Frage verhindert?«
»Ja, ich glaube. Ich wollte Ihnen ja nicht wehe tun.«
»So haben Sie es also erwartet?«
»Vielleicht gefürchtet. Aber zugleich hatte ich gehofft … Sehen Sie, Vance, ich bin nicht nach Klondike gekommen, um mich zu verlieben. Und erst recht nicht, um zu heiraten. Gefallen haben Sie mir vom ersten Augenblick an, eigentlich gefallen Sie mir immer besser. Und nie haben Sie mir besser gefallen als gerade heute. Aber …«
»Aber meine Frau zu werden, daran haben Sie nie gedacht. Das wollen Sie doch sagen?«
Er sah sie von der Seite an, scharf und forschend, und in diesem Augenblick machte ihn der Gedanke, sie zu verlieren, rasend.
»Ich habe sogar daran gedacht«, antwortete sie. »Ich habe daran gedacht, aber der Gedanke hat keine Gewalt bekommen. Sie haben so viele große Eigenschaften, Vance, so vieles, Herzlichkeit und Güte und Kraft …«
Er versuchte mit einer Handbewegung, sie zum Schweigen zu bringen, aber jetzt wollte sie sprechen.
»Ein wundervoller Kamerad sind Sie. Das größte, was ein Mensch dem anderen geben kann, ist eine Freundschaft, wie Sie sie zu geben haben. Wenn das gekommen wäre, was Sie glauben, ach, ich wäre sehr glücklich gewesen. Ist es meine Schuld, dass es nicht kam?«
Er versuchte es mit einem Scherz, so bitter, dass er ihm selbst weh tat.
»Sie hätten gern den unwillkommenen Gast willkommen geheißen?«
»Warum machen Sie mir alles noch schwerer, als es ist, Vance? Warum helfen Sie mir nicht lieber? ›Nein‹ hören müssen ist furchtbar hart, aber ›Nein‹ sagen müssen ist noch viel schrecklicher. Ich habe einen lieben, lieben Freund, den will ich nicht verlieren.«
»Ein Freund geht verloren, wenn er ein Liebender wird, Frona. Ich hätte nie den Mund auftun dürfen. Jetzt ist alles so klar und so furchtbar hoffnungslos. Aber wenn ich geschwiegen hätte, es wäre doch dasselbe gewesen.«
In diesem Augenblick wurde ihm bewusst, dass er wohl vor wenigen Wochen noch auf seine Schicksalsfrage eine ganz andere Antwort bekommen hätte. Das machte bitter.
»Sie sind ein Mädchen wie die meisten. Jeder Tag verwischt den vergangenen. Da erscheinen neue Gedanken und Gesichter, Männer mit wunderbaren Abenteuern, neben denen ein nüchterner kleiner Bergwerksingenieur nichts zu bedeuten hat.«
Jetzt war sein ganzes Herz voll Wut. Er wollte sie in Worten ausschütten und fühlte, wie diese Worte sich zu Unflat in ihm ballten. Die ganze Wahrheit über diesen Burschen St. Vincent sollte sie hören, der ihm mit Lüge und Schaumschlägerei sein herrliches Mädchen gestohlen hatte. Aber sie unterbrach ihn.
»Sprechen Sie nicht, Vance. Was Sie jetzt sagen wollen, will ich nicht hören. Ich verstehe, was Sie fühlen, streiten will ich nicht mit Ihnen, deshalb ist es besser, Sie schweigen.«
»Wenn Sie mich für streitsüchtig halten, will ich Sie lieber verlassen.«
Er blieb plötzlich stehen, und sie stand neben ihm.
»Dort kommt Dave Harney«, sagte er. »Er kann Sie nach Hause begleiten. Es sind ja nur ein paar Schritte.«
»Sie benehmen sich schlecht gegen mich und abscheulich gegen sich selbst.« Sie sprach weiter mit Entschiedenheit, aber aus ihrer Stimme klang es wie ein ganz leises, unterdrücktes Weinen. »Ich lehne es ab, Vance, dies als ein Ende zu betrachten. Wir haben noch keinen Abstand dazu. In diesem Augenblick verstehen wir uns selbst nicht. Aber wenn wir beide ruhig geworden sind, müssen Sie wieder zu mir kommen.«
Als er den Kopf schüttelte, fuhr sie auf: »So lasse ich mich nicht behandeln! Das ist kindisch von Ihnen, das habe ich nicht verdient! Sie sollen mein Freund bleiben! So, wie es bisher war, soll alles bleiben.«
Dave Harney kam herangeschlendert; er rief »Hallo!« und griff an seine Mütze.
»Hab’ ich auf Sie eingeredet wie auf einen lahmen Schimmel, Corliss, dass Sie Hunde kaufen sollen, oder nicht? Die Lippen habe ich mir fusselig geschwatzt, aber Sie haben nicht gehört. Gestern sind die Hunde um einen Dollar das Pfund gestiegen, und ich wette meinen Kopf gegen einen alten Hut, dass sie noch weiter in die Höhe gehen, bis ins Aschgraue, sage ich Ihnen! Guten Tag, Fräulein Frona, wollen wir alle drei zusammen weitergehen?«
»Ich habe eine Verabredung, mich müssen Sie schon entschuldigen«, log Corliss und griff an seine Mütze.
»Am Mittwoch! Am Mittwoch nachmittag, Vance!« rief Frona ihm nach, die Stimme voll Angst.
»Ich fürchte, dass ich keine Zeit dazu finde. Leben Sie wohl! Auf Wiedersehen, Herr Harney!«
»Das ist ein Arbeitstier!« bemerkte, ihm nachschauend, Dave. »Mit Kleinigkeiten gibt er sich nicht ab. Und dabei denkt er nur an seine Gesellschaft; der Kerl hat überhaupt keinen Selbsterhaltungstrieb. Kann ein gesunder Mensch so ein Narr sein, bei dieser Konjunktur keine Hunde zu kaufen?«
*
Corliss stürzte sich aufs neue in seine Arbeit, um alles zu vergessen, was er »Privatleben« nannte. Er verhetzte seine Tage auf Schlittenfahrten, marschierte sich müde, dass er abends steif und besinnungslos ins Bett fiel, vermaß und zeichnete, als sollte er das Programm eines Jahres in Wochen erfüllen. Aber nur wenn er wachte, blieb er Herr über seine Gedanken. Wehrlos war er, wenn er schlief. Del Bishop, der fast immer mit ihm zusammen war, sah diese Ratlosigkeit, sah, dass sein Chef wenig aß und unruhig schlief, und härmte sich mit ihm zusammen ab.
Der Goldsucher hatte aus verschiedenen Anzeichen, die den meisten völlig entgangen waren, einen absolut richtigen Schluss gezogen. Wie ein Jagdhund den Schweiß des Wildes, hatte er die Witterung von großen Goldfunden in die Nase bekommen; zum ersten Mal in seiner Praxis glaubte er sich mit Sicherheit dem Ziel ganz nahe. Dazu brauchte er einen tüchtigen und tatkräftigen Corliss, der mit ihm am gleichen Strange zog. Er dachte nicht daran, allein reich zu werden. Seine Mannentreue war zu einer Art sentimentaler Liebe geworden. Er wollte, dass auch sein Chef das große Glück von Alaska machte. Wenn »das Stinktier« dabei im Wege war – denn es war ja kein Zweifel, woran Corliss litt, dass ihm das Fleisch von den armen Rippen fiel –, dann musste er den Kerl aus dem Wege schaffen, und er würde sich nicht lange überlegen, auf welche Art. Vorerst aber durfte selbst seine Rachgier die große Chance nicht vereiteln. Es kam ja nicht nur darauf an, zu wissen, wo Gold lag, sondern man musste der erste sein, der seine Rechte in die Listen eintragen ließ. Goldsuchen ist eine Art Wettrennen, bei dem es meist nur einen Sieger gibt.
An einer Flussgabel, da, wo der Bonanza sich vom Eldorado abzweigt, verlangte er eines Tages in vollem Marsch, dass sie haltmachten.
»Hab’ ich Sie je um etwas gebeten, Corliss? Nein! Heute bitte ich Sie, da können Sie nicht nein sagen. Wissen Sie, dass hier, keine fünf Minuten von dieser Stelle, meine Obstfarm vergraben liegt? Wenn Sie eine Nase hätten wie ich sie habe, könnten Sie die reifen Apfelsinen schon riechen.«
»Dann bleiben Sie eben hier, Bishop, und ich fahre weiter. Sie kommen mir nach, wenn Sie mit Ihrer Privatarbeit fertig sind.«
»Ich will Sie aber auch dabeihaben. Das könnten Sie doch eigentlich begreifen? Schließlich spreche ich ja nicht Indianisch, sondern eine Sprache, die Sie so ziemlich verstehen sollten. Wenn es sich um Chemie und um solches Zeug handelt, was man aus den Büchern lernt, wenn man die Geduld hat, sich die Hosen durchzurutschen, dann sind Sie ein ganzer Kerl. Nein, Sie sind auch sonst ein ganzer Kerl, sonst würde ich nicht so mit Ihnen sprechen. Aber wenn es darauf ankommt, mit den Fingerspitzen zu lesen und mit der Nase zu messen, dann braucht man so einen Kerl, wie ich bin, und schließlich sollte man Gott danken, wenn man ihn hat. Diesmal hören Sie zu, für heute bin ich der beliebte Erzähler.«
Corliss lachte, und Bishop wurde wütend.
»Da gibt’s gar nichts zu grinsen! Was ich behaupte, das baut sich auf Ihrer eigenen Lieblingstheorie auf, das mit den Überschwemmungen und veränderten Flussbetten und all diesem Kram. Aber ich habe auch nicht umsonst zwei Jahre lang bei den Mexikanern Gold gesucht. Aus Gesundheitsrücksichten allein bin ich nicht nach Alaska gegangen. Ich kann euch verdammt klugen Mineningenieuren in einer Minute mehr von Eldorado erzählen, als ihr mit all euern Brillen in einem ganzen Monat herausrechnen könnt. Ich würde Sie zum Teufel jagen, wenn ich nicht Ihr ergebenster Diener und Ihr Freund wäre. Aber weil ich das bin, befehle ich Ihnen einfach, hierzubleiben. Heute Nacht schlafen Sie hier, und nächstes Jahr können Sie sich eine Obstfarm neben meiner kaufen, und dann sind wir Nachbarn, wenn auch von Ihrem Haus zu meinem zwanzig Meilen Reitweg ist. Der geht aber nur über eigenes Land, Ihres und meines!«
»In Gottes Namen. Dann bleiben wir hier. Ich mache meine Aufzeichnungen, und Sie können herumschnüffeln.«
»Ich will Sie aber dabei haben!«
»Ich bleibe ja. Was wollen Sie noch mehr?«
»Mit der Nase will ich Sie auf den Goldschatz stoßen, das will ich. Sie sollen mit mir zusammen Entdecker sein.«
Jetzt riss Corliss die Geduld.
»Lassen Sie mich mit Ihrer gottverfluchten Obstfarm in Ruh, Sie alter Esel! Ich bin saumüde und verflucht schlechter Laune. Wenn Sie wirklich eine Nase hätten, hätten Sie das längst gemerkt. Treiben Sie Ihren Mumpitz, bis Ihnen der Zinken abfriert, ich bleibe im Lager. Verstanden?«
»Sie undankbarer Hund, der Sie sind, Corliss! Nacht um Nacht liege ich wach und quäle mir das Hirn auseinander mit meinen Theorien und rechne, dass meine zehn Finger kaum ausreichen, und will Sie beteiligen, und was tun Sie? Schnarchen tun Sie und ›Frona!‹ ›Frona!‹ wimmern.«
»Wollen Sie Ihre gottverfluchte Schnauze halten?«
»Den Teufel will ich halten. Wenn ich bei den Goldminen so dreifach vernagelt wäre, wie Sie bei den Weibern …«
Jetzt fuhr Corliss mit geballten Fäusten auf Del Bishop los, jetzt gab es nichts mehr als die Fäuste. Aber gerade das hatte Bishop bezweckt. Er bückte sich blitzschnell, wich rechts und links aus, und immer stießen Corliss’ Fäuste ins Leere.
»Einen Augenblick, junger Herr!« lachte er bei Corliss’ drittem wütendem Angriff. »Nur eine Sekunde, um einen Pakt zu schließen. Wenn Sie mich verdreschen, können Sie mich herausschmeißen. Nehmen Sie das an?«
»Ja.«
»Und wenn ich Ihnen das Leder gerbe, wollen Sie dann mit auf den Berg kommen?«
»Ja.«
»Also los!«
Bishop wusste, dass Corliss nicht die geringste Aussicht hatte; zu siegen. Er tanzte um den hilflosen Gegner herum, blockte und fintierte, ließ sich zum Schein treffen, bis Corliss der Atem ausging. Der fühlte, dass seine Muskeln nicht mehr gehorchten; sein Hirn sandte Befehle aus, die sie nicht ausführen wollten; er dampfte von Schweiß in den eisigen Tag hinein … dann auf einmal wusste er gar nichts mehr.
Eine Minute später bemerkte Corliss, dass er ausgestreckt im Schnee lag, dass Bishop ihn mit Eiswasser abrieb und ihm dazwischen zärtlich die Backen klopfte. Sein Kopf lag auf Dels Knien. Während langsam das Bewusstsein zurückkehrte, fühlte er sich unbeschreiblich wohl.
»Wie haben Sie das nur gemacht?« stotterte er.
»Oh, Sie werden noch mal ganz gut«, lachte Del Bishop und half ihm auf die Beine. »Sie haben noch keinen Punch, aber den bringe ich Ihnen schon noch bei. Neulich in der Schenke, mit einem ordentlichen Whisky auf der Lampe, haben Sie sich eigentlich besser geschlagen. Aber die Anlage ist nicht schlecht, und wenn wir Zeit haben, bringe ich Ihnen noch so einiges bei, was auch nicht in den Büchern steht. Jetzt wird’s aber Zeit, dass wir ein Lager aufschlagen, und dann gehen Sie mit mir in die Berge.«
Als er das Feuer im eisernen Öfchen in Gang gebracht hatte, kicherte er:
»Boxen ist doch ein ganz nützliches Gewerbe, was? Eigentlich haben Sie nie so recht gewusst, wo der ergebenst Unterzeichnete eigentlich war. Wenn Sie mit Ihrem geballten Händchen ankamen, dann war die versoffene Fresse von Del Bishop immer ganz woanders, hihi. Aber denken Sie, wenn Sie erst was gelernt haben, und Sie landen dann mal so richtig in meine Backzähne hinein? Da wird Ihnen das Herzchen lachen?«
Dann kommandierte er streng: »Jetzt nehmen Sie eine Axt und kommen mit!«
Sie bewaffneten sich mit Hacke, Schaufel und der Goldgräberpfanne; Bishop marschierte voraus und bahnte den Weg über die Terrassen. Corliss, dem alle Knochen weh taten, marschierte hinter drein. Er musste über sich selbst und die ganze Situation lachen. Del Bishop freute sich über den Gehorsam des Mannes, in dessen Brot er stand. Ab und zu wandte er sich um und grinste seinen Chef an:
»Nur Mut, junger Mann! Aus Ihnen mache ich noch was; Sie haben das Zeug dazu!«
Dann kamen sie an die Stelle, die Del Bishop ausforschen wollte. Er warf das Gerät nieder und untersuchte sorgfältig den schneebedeckten Boden.
»Nehmen Sie die Axt, gehen Sie da hinauf, und bringen Sie mir gutes, trocknes Brennholz!«
Als Corliss mit dem Arm voll Brennholz zurückkam, hatte Bishop schon Schnee und Moos fortgekratzt und etwas in den Boden gezeichnet, das wie ein gewaltiges Kreuz aussah.
»Ich will nach beiden Richtungen hineinkratzen«, erklärte er; »entweder liegt die Goldtasche hier oder dort drüben. Aber wenn ich recht habe, dann muss es genau hier sein, wo die beiden Linien sich schneiden. Der Grundfelsen ist oben eingebuchtet. Dort ist es tief und vermutlich reicher als hier, aber das macht soviel Mühe. Hier ist der Terrassenrand. Es kann nur ein paar Fuß sein. Wir brauchen nichts zu tun als die Stelle zu bezeichnen, dann können wir von der Seite anbohren.«
Bei diesen Worten zündete er hier und da auf dem kahlen Flecken kleine Feuer an.
»Jetzt spitzen Sie die Ohren, Corliss. Glauben Sie nicht, dass dies schon etwas ist – nein, das ist noch ganz gewöhnliche Lehrlingsarbeit. Aber« – er richtete sich auf und sprach plötzlich mit tiefem, ehrfürchtigem Ernst: »Goldsuchen ist die höchste Wissenschaft und die größte Kunst auf Erden. Es ist eine so feine Arbeit, dass man nicht um ein Haar breit fehlgreifen darf; Hände und Augen müssen so zuverlässig sein wie Stahlwerkzeuge. Wenn man sich das Gesicht zweimal täglich blauschwarz anbrennen lässt und eine ganze Schaufel voll Kies ausgewaschen hat, ehe man auch nur ein einziges Körnchen reines Gold findet, dann erst hat man gewaschen. Dass Sie es wissen. Heute zum Beispiel wird noch lange nichts gegessen, und wenn Ihnen der Magen noch so sehr knurrt. Einstweilen wird gesucht.«
Er trat eines von den Feuern aus. Da nahm er die Hacke, der Stahl drang in die Erde ein, und dabei gab es einen metallischen Klang, als wäre er auf eine Zementschicht gestoßen.
»Noch keine zwei Zoll tief aufgetaut«, murmelte Bishop, indem er sich bückte und mit den Fingern durch den nassen Schlamm wühlte. Die Grashalme waren abgebrannt, aber er bekam eine Handvoll Wurzeln zu fassen. Er setzte sich breit und bequem in den Schnee und starrte wie verzaubert diese armselige Hand voll schlammiger Graswurzeln an.
»Zum Satan, zum Satan!«
»Was ist los?«
»O heiliger Satan!«
Bishop wiederholte immer wieder ›Heiliger Satan‹ und schlug sich mit den schmutzigen Wurzeln vor die Stirn. Corliss trat zu ihm und beugte sich über die Pfanne.
»Machen Sie die Augen auf!« rief Bishop, nahm einen Klumpen schmutzige, fette Erde zwischen die Finger, rieb sie lange und andächtig. Dann schimmerte es gelb.
»Es fängt bei den Graswurzeln an und geht bis ganz hinunter.«
Mit geschlossenen Augen und zitternden Nasenflügeln stand er endlich auf, atmete tief, schnüffelte in die Luft und sah aus, als hätte er eine Vision.
»Können Sie die Apfelsinen noch immer nicht riechen?«
*
Corliss und Bishop hatten den Boden untersucht, ehe sie ihre Claims absteckten, dann weihten sie ein paar gute Freunde in das Geheimnis ein. Welse, Harney, Trethaway und ein paar alte Kameraden von Del Bishop, mit denen er viel Hunger und Strapazen geteilt hatte, durften sich ein Stück des neuen Goldlandes sicheren, solange der ganze Fund noch Geheimnis war.
Es war üblich, dass man als so Bevorzugter dem Entdecker die halben Gewinne abgab. Aber Corliss wollte nichts davon hören. Es widersprach seinem Empfinden, aus der Arbeit anderer Menschen Gewinne zu ziehen, und Bishop lehnte aus anderen Gründen die Beteiligung ab.
»Jetzt kann ich mir eine Obstfarm kaufen, doppelt so groß, wie ich berechnet hatte. Da weiß ich noch, wo mein Geld bleibt. Wenn’s noch mehr wird, ist es einfach zu viel. Dann komme ich zu sehr ins Saufen, und zuletzt verludere ich das Ganze. Also behaltet ihr eure paar Kröten für euch selbst und damit basta.«
Es schien Corliss jetzt selbstverständlich, dass er sich einen anderen Gehilfen suchte. Aber als er eines Tages einen Kalifornier mit scharfem, durchdringendem Blick ins Lager brachte, fing Bishop an, wütend zu fluchen.
»Heiliger Satan! Nie in meinem Leben habe ich so was von Gemeinheit gehört!«
»Aber Sie sind doch jetzt reich!« gab Corliss zur Antwort. »Sie haben’s doch nicht mehr nötig.«
»Zum Teufel mit meinem Reichsein – was geht Sie das an? Kontrakt ist Kontrakt! Ich bleibe in meiner Stellung, so lange Sie keinen Grund haben, mich rauszuschmeißen. Verstanden?«
Anfang der Weihnachtswoche ging der Sturm auf »Vances Hügel«, wie Bishop das neue Land getauft hatte, los. Die ersten Claims waren kaum eingetragen, als die Neuigkeit schon über das Land flog, und binnen einer Viertelstunde waren die ersten Wettläufer unterwegs. Eine halbe Stunde später machte sich in der ganzen Stadt auf die Beine, was laufen und kriechen konnte. Auch Corliss und Bishop durften keine Zeit ungenützt verstreichen lassen. Jetzt handelte es sich darum, ihre ehrlich erworbenen Rechte zu verteidigen. Verrücken von Pfählen, Abreißen von Plakaten, Übergriffe in fremde Claims … das gehörte zu den ältesten Kniffen der Goldgräber, und wenn das Unheil einmal geschehen war, war es trotz aller Beglaubigungen und Stempel furchtbar mühselig, die Eindringlinge wieder aus dem Nest zu werfen.
In einem dichten Strom von Menschen wanderten die beiden zur Stadt hinaus, als Del Bishop zufällig Gregory St. Vincent erspähte, der, das übliche Goldgräbergerät auf dem Rücken, in höchster Eile voranmarschierte.
»Klabastern Sie drauflos wie der Satan!« kommandierte Bishop. »Fragen Sie nicht viel, es handelt sich wieder um etwas mit der Nase.«
Die Leute kannten Corliss und Bishop. Sie wussten, dass diese beiden nicht im Wettrennen waren, sondern ihre Claims längst abgesteckt hatten. So ließen sie sich kampflos überholen. Über die ganze Strecke hätte ja doch kein Mensch ein so mörderisches Tempo ausgehalten.
Sie erreichten eine scharfe Biegung des Weges; vor ihnen war kein Mensch zu sehen; an ihren Fersen, mit einem Abstand von kaum hundert Schritten, ging nur der unglückliche St. Vincent.
»So, jetzt sprechen Sie kein Wort mit mir«, flüsterte Bishop und schlug seinen Kragen hoch, dass sein Gesicht nicht mehr zu erkennen war. »Tun Sie jetzt, als ob Sie mich nicht kennen. Da drüben ist ein Wasserloch. Dort gehen Sie hin, werfen sich auf den Bauch, als ob Sie vor Durst nicht weiterkönnten. Dann tippeln Sie, in einer Viertelstunde ungefähr, allein weiter nach den Claims. Ich habe andere Geschäfte zu besorgen. Auf keinen Fall sprechen Sie ein Wort zu dem Stinktier, das darf Ihr Gesicht nicht sehen.«
Corliss war jetzt schon an Gehorsam gewöhnt. Er trat von der gebahnten Straße ab in den Schnee, legte sich nieder und tauchte eine leere Blechdose ins Wasser.
Bishop ließ sich auf ein Knie fallen und machte sich an seinen Mokassins zu schaffen. Er hatte gerade den Knoten gebunden, als St. Vincent ihn erreichte. In diesem Augenblick sprang Bishop auf und marschierte mit fieberhafter Eile weiter, wie ein Mann, der mit aller Gewalt die verlorene Zeit wieder einholen will.
»He, Sie, Mann, warten Sie eine Minute!« rief der Geograf ihm nach.
Del Bishop warf einen hastigen Blick zurück und spurtete noch schärfer. St. Vincent setzte sich in Laufschritt, bis er Seite an Seite mit ihm kam.
»Ist das der Weg …?«
»Nach den Terrassen von Vances Hügel?« knurrte Bishop gereizt. »Darauf können Sie Gift nehmen, das ist nämlich mein Weg. Auf Wiedersehen!«
Er tobte immer schärfer drauflos, der Geograf konnte nur im Laufschritt die Geschwindigkeit einhalten; an Überholen war nicht zu denken. Corliss verstand noch immer nichts von der ganzen Geschichte. Er setzte seinen Feldstecher an und folgte den beiden mit den Blicken. Da sah er, wie der Goldgräber plötzlich im rechten Winkel von seiner Straße abbog Und den Weg nach dem Adamstümpel einschlug. Jetzt ging ihm ein Licht auf …
Spät abends erreichte Bishop das gemeinsame Lager, erschöpft, aber in glückseliger Laune.
»Nicht ein Härchen habe ich ihm gekrümmt!« rief er, ehe er noch im Zelt war. »Geben Sie mir was zu essen.«
Er griff nach der Teekanne und goss sich das heiße Getränk in den Leib. »Heut fress’ ich Rattenfett, Schmieröl, geröstete Mokassins, Kerzenstümpfe mit Mayonnaise, was Sie haben!«
Dann warf er sich auf die Decke und begann, mit tiefem Lachen seine Beinmuskeln zu massieren, während Corliss Speck briet und Bohnen auf die Pfanne schüttete.
»Das war ein Spaß!« erzählte Bishop. »Der kommt nicht sobald zu Vances Hügel. Da können Sie Gift drauf nehmen.«
Er ahmte mit Talent St. Vincents Ton nach, der anfangs herablassend klang, aber bei ewiger Wiederholung derselben Worte immer zahmer und schwächlicher wurde.
»Wie weit ist es, alter Freund?«
»Wie weit ist es jetzt, alter Freund?«
Zuletzt klang die Stimme ganz verheult und greisenhaft zittrig: »Wie weit …? Ich flehe Sie an, wie weit …?«
Der Goldgräber schlug sich auf die Knie vor Entzücken und lachte, dass eine halbe Tasse Tee, die er noch nicht ganz heruntergeschluckt hatte, im Sprühregen aus seiner Nase wieder herauskam.
»An der Wasserscheide vom Indianerstrom hab’ ich ihn schließlich liegen gelassen. Er war so ausgepumpt, dass er keinen Schritt mehr gehen konnte, vollkommen erledigt. Vielleicht hat er noch Kraft genug, sich ins nächste Lager zu schleppen. So, jetzt geh’ ich aber schlafen. Keine Angst, Sie brauchen mich nicht erst einzusingen. Sechzig Meilen hab’ ich heut gemacht, nur um das arme Stinktierchen ein bisschen zu ärgern. Gute Nacht. Bitte wecken Sie mich übermorgen früh wieder auf.«
Im Einschlafen murmelte er in seinem feinsten Diskant: »Wie weit ist es, Freundchen? Sagen Sie mir, wie weit es ist!«