Jack London – Gesammelte Werke

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Fro­nas Kind­heit war un­ter sehr har­ten Be­din­gun­gen ver­lau­fen. Es hat­te nur we­ni­ge, aber stren­ge Bin­dun­gen für sie ge­ge­ben, die sie spä­ter den »Brot- und Bett­glau­ben« nann­te. Das war, so­viel ihr be­kannt war, auch der Glau­be ih­res Va­ters ge­we­sen, von dem sie im üb­ri­gen wuss­te, dass sein Name un­ter den Män­nern einen gu­ten Klang hat­te. Es war der Glau­be, mit dem star­ke, rei­ne Män­ner je­der Ge­fahr trotz­ten oder in den Tod gin­gen, der Glau­be Ja­cob Wel­ses und Matt McCar­thys, der In­dia­ner­jun­gen, mit de­nen sie ge­spielt hat­te, der In­dia­ner­mäd­chen, de­ren Feld­her­rin sie im Ama­zo­nen­krieg ge­we­sen, der Wolfs­hun­de so­gar, die sich in den Strän­gen müh­ten und Schlit­ten über den Schnee zo­gen. Das war ein ge­sun­der Glau­be, greif­bar und gut.

Ein Rot­kehl­chen zirp­te aus dem Bir­ken­wald, ein Reb­huhn schwirr­te im Wal­de auf, ein Eich­hörn­chen schoss über ih­rem Kopf mit si­che­rem Sprung von ei­nem Baum zum an­de­ren. Der Tag be­gann. Vom Fluss her, den sie nicht sah, tön­ten die Rufe der Glücks­jä­ger, die sehr früh das La­ger ver­las­sen hat­ten und an­fin­gen, sich ih­ren schwe­ren Weg nach Nor­den zu er­kämp­fen.

Als Fro­na Gras und Blu­men lan­ge ge­nug um­armt hat­te, stand sie auf und schlug den al­ten Weg nach dem La­ger des Dyea-Stam­mes ein. Sie be­geg­ne­te ei­nem Kna­ben, der bis auf die ge­flick­ten Ho­sen ein nack­ter Bron­ze­gott war. Er such­te Holz und sah sie bös an. Sie sag­te ihm in der Dyea-Spra­che gu­ten Mor­gen, aber er lach­te frech, und als sie wei­ter­ging, streck­te er ihr die Zun­ge her­aus. So war es frü­her nicht ge­we­sen. Als sie dann ei­nem großen, fins­ter bli­cken­den Sit­ka-In­dia­ner be­geg­ne­te, grüß­te sie nicht.

Am Ran­de des Wal­des sah sie das La­ger vor sich lie­gen, aber nicht das alte La­ger mit sei­nen zwan­zig oder drei­ßig Hüt­ten, die un­or­dent­lich über das Ge­län­de ver­streut wa­ren. An sei­ner Stel­le be­fand sich da ein mäch­ti­ges Dorf. Es reich­te bis zum Flus­sufer hin­ab, wo die lan­gen Ka­nus, je zehn oder zwölf in ei­ner Grup­pe, la­gen. Von weit­her wa­ren die Stäm­me hier zu­sam­men ge­kom­men. Sie sah lau­ter frem­de In­dia­ner mit ih­ren Wei­bern und Hun­den, ih­rem Hab und Gut. Fro­na er­kann­te Män­ner aus Ju­neau und Wran­gel, Styx mit bren­nen­den Au­gen von jen­seits des Pas­ses, krie­ge­ri­sche Chil­coots und Ein­ge­bo­re­ne der Kö­ni­gin-Char­lot­te-In­sel. Die meis­ten mus­ter­ten sie fins­ter, fast zor­nig; ein paar fre­che Ha­lun­ken rie­fen ihr un­an­stän­di­ge Wor­te zu.

Sie kränk­te sich nicht, aber sie stell­te mit Trau­er fest, dass die Zei­ten un­ter dem pa­tri­ar­cha­li­schen Zep­ter ih­res Va­ters vor­bei wa­ren. Wie ein scheuß­li­cher Brand war die Zi­vi­li­sa­ti­on über die­ses Volk hin­weg­ge­gan­gen. Durch eine of­fe­ne Zelt­tür sah sie aus­ge­zehr­te Ge­stal­ten im Krei­se auf dem Fuß­bo­den hocken. Vor dem Zelt lag ein Hau­fen zer­bro­che­ner Fla­schen … Zu ih­res Va­ters Zeit hat­ten die In­dia­ner kein Feu­er­was­ser und kei­ne Fla­schen ge­kannt. Auf ei­ner De­cke, die als Spiel­tisch diente, ver­teil­te ein wei­ßer Mann mit ge­mei­nen Zü­gen Spiel­kar­ten, Gold- und Sil­ber­mün­zen kul­ler­ten auf der De­cke um­her. Ein paar Schrit­te da­von schnurr­te ein Glücks­rad. In­dia­ner, Män­ner und Frau­en, setz­ten ihre müh­sam ver­dien­ten Gro­schen, um prunk­vol­le Ge­win­ne zu er­gat­tern, die ih­nen nichts nüt­zen konn­ten. Aus Wig­wams und Hüt­ten ka­men die brü­chi­gen Töne bil­li­ger Spiel­do­sen.

Vor der of­fe­nen Tür ih­res Wig­wams hock­te eine alte Squaw1 im Son­nen­schein und schäl­te Wei­den­zwei­ge. Als Fro­na vor­bei­ging, hob sie den Kopf und stieß einen schril­len Schrei aus. Dann mur­mel­te sie mit zahn­lo­sem Mund:

»Hi – hi! Ten­as Hi-hi!«

Es durch­rie­sel­te Fro­na bei die­sem Wort. »Ten­as Hi-hi!« Das war ihr Name ge­we­sen … es be­deu­te­te »das klei­ne La­chen« … da­mals, als sie hier un­ter den In­dia­nern ge­lebt hat­te. Sie dreh­te sich um und kau­er­te ne­ben der Al­ten nie­der.

»Sag rasch, Mut­ter, sag mir rasch dei­nen Na­men!«

»So schnell hast du uns ver­ges­sen, Ten­as Hi-hi? Und doch sind dei­ne Au­gen jung und scharf. Nip­uh­sa hat müde alte Au­gen, aber ihr Herz ver­gisst nicht so rasch.«

»Du bist mei­ne alte Nip­uh­sa!« rief Fro­na und strei­chel­te die schmut­zi­gen Run­zel­hän­de.

»Frei­lich bin ich Nip­uh­sa, die dich in den Ar­men ge­wiegt hat! Dei­nen Na­men habe ich dir auch ge­ge­ben, klei­nes La­chen, und wenn die alte Nip­uh­sa nicht Kräu­ter für dich ge­sam­melt hät­te, für Me­di­zin­tee, dann wärst du gar nicht hier, denn ein­mal hat der Tod dich ha­ben wol­len. Dein Schat­ten ist auf mich ge­fal­len, klei­nes La­chen, da hab’ ich gleich ge­wusst, dass du es bist. Du hast noch das­sel­be Haar, wie brau­ner Tang, und den­sel­ben Mund und die­sel­ben Au­gen. Nip­uh­sa war oft streng mit dir, wenn dein Mund Wor­te spre­chen woll­te, die Lüge wa­ren. Aber du hast im­mer ge­wusst, dass Nip­uh­sa dich lieb hat. Ai, ai! Ganz an­ders sind die wei­ßen Frau­en, die jetzt ins Land kom­men!«

»Hat eine wei­ße Frau kei­ne Ehre mehr un­ter euch?« frag­te Fro­na. »Eure Män­ner wer­fen böse Din­ge in mein Ohr, und so­gar die Kna­ben la­chen ein häss­li­ches La­chen, wenn sie mich se­hen. So war es nicht, als ich hier ein Kind war.«

»Ai, ai! Es ist, wie du sagst, klei­nes La­chen. Aber du musst kein zor­ni­ges Wort auf ihre Häup­ter wer­fen. Die wei­ßen Frau­en sind schuld dar­an, die jetzt zu uns kom­men. Sie se­hen alle Män­ner mit fre­chen Au­gen an; ihre Her­zen sind un­rein, und sie ha­ben kei­nen Mann, auf den sie wei­sen kön­nen und sa­gen: ›Dies ist mein Herr.‹ Des­halb sind dei­ne Frau­en un­ter uns ohne Ehre.«

Jetzt wur­de ein Zelt­zip­fel ge­ho­ben, ein al­ter Mann trat her­vor, grunz­te et­was und kau­er­te sich zu den bei­den.

»So ist Ten­as Hi-hi wie­der­ge­kom­men in die­sen schlim­men Ta­gen«, sag­te er mit dün­ner, zit­tern­der Stim­me.

»Wa­rum sind die Tage schlimm, Mus­kim?« frag­te Fro­na. »Sind eure Bäu­che nicht voll vom Mehl und Fleisch und von dem Pro­vi­ant des wei­ßen Man­nes? Ver­die­nen eure jun­gen Män­ner nicht Reich­tü­mer mit Las­ten­tra­gen und Pad­deln? Und brin­gen sie dir nicht, wie in al­ter Zeit, ihr Op­fer der, Fleisch, Fi­sche und De­cken? Ha­ben eure Wei­ber nicht Tü­cher in hel­len, glei­ßen­den Far­ben? Wa­rum sind die Tage schlimm?«

Der alte Me­di­zin­mann war er­regt. In sei­ne Au­gen trat ein Schim­mer, der an die Glut sei­ner Man­nes­jah­re ge­mahn­te.

»Un­se­re Frau­en tra­gen Tü­cher in hel­len, glei­ßen­den Far­ben! Aber sie schau­en nur nach den Au­gen der wei­ßen Män­ner, und die jun­gen Män­ner ih­res ei­ge­nen Blu­tes se­hen sie nicht. Des­halb ver­meh­ren un­se­re Stäm­me sich nicht; die klei­nen Kin­der hin­dern un­se­re Schrit­te nicht mehr. Die Bäu­che sind voll vom Mehl und Fleisch und vom Pro­vi­ant des wei­ßen Man­nes, aber sie sind noch vol­ler vom Fu­sel des wei­ßen Man­nes. Wohl ver­die­nen un­se­re jun­gen Män­ner Reich­tü­mer mit Las­ten­tra­gen und Pad­deln. Aber sie sit­zen nachts beim Kar­ten­spiel und las­sen die Dol­lars wie­der da­hin rol­len, in die Ta­sche des wei­ßen Man­nes, aus der sie ge­kom­men sind. Sie spre­chen böse Wor­te zu­ein­an­der, he­ben oft die Fäus­te im Zorn, und ihr Blut ist böse ge­wor­den. Nur we­ni­ge brin­gen dem al­ten Me­di­zin­mann Op­fer­ga­ben, Fleisch, Fi­sche und De­cken. Die jun­gen Frau­en ge­hen nicht mehr die al­ten Wege, die jun­gen Män­ner eh­ren nicht mehr die al­ten To­tems und die al­ten Göt­ter. Des­halb sind es schlim­me Tage, Ten­as Hi-hi, und mit Kum­mer muss der alte Mus­kim ins Grab ge­hen.«

»Ai! Ai! So ist es!« klag­te Nip­uh­sa.

»Dein Volk ist toll und hat mein Volk toll ge­macht«, fuhr Mus­kim fort. »Es kam wie bö­ser Wind über das sal­zi­ge Was­ser, dein Volk, und es geht – ach – wer weiß, wo­hin!«

»Ai, wer weiß, wo­hin?« jam­mer­te Nip­uh­sa und schau­kel­te lei­se hin und her.

»Im­mer ge­hen sie Frost und Käl­te ent­ge­gen. Und im­mer zahl­rei­cher kom­men sie, Woge um Woge!«

»Ai! Ai! Frost und Käl­te ent­ge­gen! Es ist ein wei­ter Weg, dun­kel und kalt!« Nip­uh­sa schau­er­te und leg­te ihre Hand auf Fro­nas Arm. »Und du gehst auch dort­hin, Frost und Käl­te ent­ge­gen?«

Fro­na nick­te nur.

»Das klei­ne La­chen geht auch! Ai! Ai! Ai!«

Plötz­lich stand der alte Matt vor Fro­na.

»Seit ei­ner hal­b­en Stun­de war­tet das Früh­stück auf dich, und Andy, die alte Hexe, jam­mert und tobt … Gu­ten Mor­gen, Nip­uh­sa, gu­ten Mor­gen, Mus­kim«, sag­te er zu den In­dia­nern. »Eure Au­gen ha­ben mein al­tes Ge­sicht wohl ver­ges­sen?«

Die bei­den grunz­ten einen Gruß, dann sa­ßen sie schwei­gend und un­be­weg­lich da.

»Jetzt aber schnell, Fro­na! Mein Damp­fer geht um Mit­tag, und ich möch­te noch ein biss­chen von dir ha­ben!«

1 in­dia­ni­sche Frau(en) <<<

2

Fro­nas Aus­rüs­tung war auf den Rücken von ei­nem Dut­zend In­dia­nern un­ter der Auf­sicht Bi­shops schon vor meh­re­ren Stun­den ab­ge­gan­gen. Sie selbst trug einen klei­nen Rei­se­ran­zen und ih­ren Fo­to­ap­pa­rat, als Berg­stock einen Wei­den­stab, den Nip­uh­sa ihr zu­recht­ge­schnitzt hat­te. Mit Del Bi­shop war sie sehr rasch han­dels­ei­nig ge­wor­den. Als sie von dem Früh­stück mit Matt McCar­thy zu­rück­ge­kehrt war, hat­te der Ru­de­rer sie im La­den er­war­tet.

»Sie wol­len ins Land hin­ein. Das will ich auch. Sie brau­chen einen Mann zur Beglei­tung. Wenn Sie noch kei­nen bes­se­ren ge­fun­den ha­ben, bin ich ge­ra­de der rich­ti­ge. Ich war schon mal drin im Land, ich weiß Be­scheid. Fürch­ten tu ich mich vor dem Teu­fel nicht, und wenn Ih­nen ei­ner was tun will, dann muss er erst mit Del Bi­shop fer­tig wer­den. Das ist nicht leicht. Wenn wir glück­lich bei Ja­cob Wel­se an­ge­kom­men sind, le­gen Sie ein gu­tes Wort für mich ein, und er gibt mir die Aus­rüs­tung für ein Jahr. Ein­ver­stan­den? Da­mit Schluss. Über den Pro­vi­ant hin­aus lass ich mir nichts be­zah­len.«

 

Ehe Fro­na noch ihre Zu­stim­mung ge­ge­ben hat­te, war er schon bei der Ar­beit und such­te die bes­ten Pack­trä­ger aus. Sie merk­te so­fort, dass er wirk­lich et­was von der Sa­che ver­stand. Fro­na mar­schier­te mit ih­rem Ran­zel bes­ser als die meis­ten Gold­grä­ber, die sich schwer be­la­den hat­ten und alle hun­dert Schrit­te halt­ma­chen muss­ten. Trotz­dem fiel es ihr schwer, mit sechs jun­gen Schwe­den Schritt zu hal­ten, in de­ren Spur sie ging. Das wa­ren ge­wal­ti­ge Ge­sel­len, blon­de Rie­sen, und je­der trug sei­ne hun­dert Pfund auf den Schul­tern. Au­ßer­dem scho­ben und zo­gen sie einen schwe­ren Kar­ren, der mit wei­te­ren sechs­hun­dert Pfund be­la­den war. Ihre Ge­sich­ter wa­ren la­chen­de Son­nen, sie strahl­ten von Le­bens­lust. Das Mar­schie­ren, Schlep­pen und Schie­ben war ih­nen Kin­der­spiel. Sie san­gen laut und war­fen den Vor­bei­kom­men­den in ih­rer Spra­che lus­ti­ge Grü­ße zu. Wenn sie lach­ten, dröhn­te jede Brust wie ein Cel­lo.

Sie über­hol­ten al­les; die Men­schen tra­ten bei­sei­te, um sie vor­über­zu­las­sen, und sa­hen ih­nen nei­disch nach. Wenn es berg­auf ging, setz­ten sie sich aus lus­ti­gem Trotz in Trab; bergab lie­ßen sie die ei­sen­be­schla­ge­nen Rä­der ih­res Wa­gens über das Ge­stein ras­seln, dass Fun­ken sprüh­ten. Sin­gend und la­chend bahn­ten sie sich den Weg durch eine dunkle Wald­stre­cke, bis sie zu der Furt im Flus­se ka­men.

Am Ufer lag ein Er­trun­ke­ner und starr­te un­be­weg­lich in die Son­ne. Ein Mann stand ne­ben ihm und frag­te auf­ge­regt:

»Wo ist sein Ka­me­rad? Hat er kei­nen Ka­me­ra­den ge­habt?«

Zwei an­de­re hat­ten ihre Las­ten ab­ge­wor­fen und nah­men In­ven­tar vom Be­sitz des To­ten auf. Der eine rief laut die ver­schie­de­nen Ge­gen­stän­de aus, der an­de­re no­tier­te sie auf ein Stück schmut­zi­ges Pack­pa­pier. Über den Sand wa­ren Brie­fe und auf­ge­weich­te Schrift­stücke zer­streut. Auf ei­nem aus­ge­brei­te­ten Ta­schen­tuch lag der Bar­be­stand des To­ten: ein paar Gold­mün­zen und viel Kup­fer. Vie­le Män­ner, die in Ka­nus und Boo­ten über den Fluss fuh­ren, nah­men gar kei­ne No­tiz von der Sa­che. Die Schwe­den aber wur­den für einen Au­gen­blick ernst.

»Wo ist sein Ka­me­rad? Hat er kei­nen Ka­me­ra­den ge­habt?« frag­te auch sie der auf­ge­reg­te Mann. Sie schüt­tel­ten die Köp­fe. Sie ver­stan­den kein Eng­lisch. Dann wa­te­ten sie in das Was­ser hin­ein.

Vom an­de­ren Ufer her­über rief je­mand eine War­nung. Sie blie­ben ste­hen und be­rie­ten sich. Dann gin­gen sie wei­ter. Die bei­den Män­ner, die das Ver­zeich­nis vom Ei­gen­tum des To­ten auf­nah­men, un­ter­bra­chen ihre Ar­beit und sa­hen den Schwe­den nach. Sie stan­den jetzt bis zum Gür­tel in der rei­ßen­den Strö­mung, mit Rie­sen­kräf­ten an den Kar­ren ge­klam­mert, der den Wel­len eine ge­wal­ti­ge Flä­che bot. Sie kämpf­ten furcht­bar, dann schi­en das schlimms­te Stück über­stan­den. Als das Was­ser den bei­den vor­ders­ten Rie­sen nur noch bis zu den Kni­en reich­te, riss dem drit­ten plötz­lich ein Tra­g­rie­men durch. Sei­ne Last warf sich mit ei­nem Ruck auf die lin­ke Schul­ter; er woll­te sich da­ge­gen stem­men und ver­lor das Gleich­ge­wicht. Im sel­ben Au­gen­blick stol­per­te der zwei­te, griff hil­fe­su­chend um sich, und ei­ner zog den an­de­ren in die Flut. Die bei­den fol­gen­den Män­ner ver­lo­ren den Halt, denn jetzt war die Kar­re um­ge­stürzt und wur­de über die Furt hin­aus ins tie­fe Was­ser ge­ris­sen.

Ein paar­mal tauch­ten die Män­ner wie­der auf und war­fen sich rück­wärts in die Tra­g­rie­men. Aber sie wur­den ihre Las­ten nicht los, sie kämpf­ten wie Hel­den, aber es stieg über mensch­li­che Kräf­te. Zoll um Zoll san­ken sie wie­der un­ter. Ihre Ruck­sä­cke, die sich voll Was­ser ge­so­gen hat­ten, hin­gen wie stei­ner­ner Bal­last an ih­nen. Nur der eine Mann, des­sen Tra­g­rie­men ge­ris­sen war, wur­de sei­ner Last le­dig, aber er ver­such­te nicht, das Ufer zu ge­win­nen, son­dern blieb bei sei­nen Ka­me­ra­den. Fünf­zig Me­ter strom­ab­wärts zer­stäub­te die Flut an ei­nem za­cki­gen Fels­riff; hier ka­men sie noch ein­mal zum Vor­schein. Zu­erst der halb zer­schmet­ter­te Kar­ren, dann die Män­ner in ei­nem gräss­li­chen Ge­wirr von Köp­fen, Ar­men und Bei­nen. Das Was­ser schmet­ter­te sie ge­gen die Klip­pen und spül­te sie über das Riff.

Ein Dut­zend Ka­nus war den un­glück­li­chen Schwe­den nach­ge­fah­ren; auch Fro­na war un­ter de­nen, die ret­ten woll­ten. Sie sah einen der jun­gen Rie­sen mit blut­über­ström­ten Hän­den nach dem Fel­sen grei­fen, sah sein wei­ßes Ge­sicht und sei­nen ver­zwei­fel­ten Kampf. Der ein­zi­ge sei­ner Ka­me­ra­den, der noch schwim­men konn­te, stürz­te sich mit mäch­ti­gen Be­we­gun­gen auf ihn zu. Sei­ne Hand hat­te ihn fast schon er­reicht – da schleu­der­te auch die­sen Mann eine Sturz­wel­le ins Ge­bro­del.

Den einen schwim­men­den Mann nahm ein Kanu auf; alle an­de­ren er­dros­sel­te die Flut. Eine Vier­tel­stun­de lang fuh­ren die Boo­te frucht­los auf und ab, dann fan­den sie die To­ten im Schlamm ste­cken. Man nahm ein paar Pfer­de von ei­nem Trans­port­zug am Ufer, um­schlang die Lei­chen mit ei­ner Lei­ne, und so wur­de die schreck­li­che Last an Land ge­zo­gen. Fro­na sah die fünf jun­gen Rie­sen mit ge­bro­che­nen Glie­dern schlaff und re­gungs­los im Schlamm lie­gen. Sie wa­ren im­mer noch vor die Kar­re ge­spannt; die arm­se­li­gen trie­fen­den Las­ten hin­gen noch an ih­ren Rücken. Der sechs­te saß mit tro­ckenen Au­gen be­täubt in der Mit­te.

Ein paar Schrit­te ent­fernt von ih­nen floss der Strom des Le­bens wie im­mer. Fro­na schloss sich ihm an und zog wei­ter.

*

Die dunklen, mit Rot­tan­nen be­stan­de­nen Ber­ge stie­ßen am Dyea-Pass zu­sam­men. Die Füße der Men­schen zer­stampf­ten die feuch­te Erde, auf die nie ein Son­nen­strahl fiel, zu Schlamm und Mo­rast. Vie­le Fuß­we­ge zo­gen durch die feuch­te Wüs­te. Auf ei­nem die­ser Wege traf Fro­na einen Mann, der sich nach­läs­sig in den Schmutz ge­wor­fen hat­te. Er lag auf der Sei­te mit ge­spreiz­ten Bei­nen, von ei­ner schwe­ren Last zu Bo­den ge­drückt. Sei­ne Wan­ge ruh­te in dem wei­chen Schlamm wie auf ei­nem Kis­sen. Er sah müde und zu­frie­den aus. Als er Fro­na sah, wur­de sein Ge­sicht noch hel­ler; er grüß­te sie mit den Au­gen.

»Höchs­te Zeit, dass Sie ka­men«, be­grüß­te er sie. »Ich war­te schon eine Stun­de auf Sie.«

Fro­na beug­te sich über ihn.

»Ma­chen Sie mir nur den Rie­men los, lie­bes Fräu­lein«, bat er, »ein ver­damm­tes Ding! Die gan­ze Zeit habe ich ihn nicht zu fas­sen ge­kriegt.«

»Sind Sie ver­letzt?« frag­te sie.

Er schlüpf­te aus dem Rie­men her­aus und be­fühl­te sei­nen ver­dreh­ten Arm.

»Nein, ge­sund wie ein Fisch! Auch der Arm, Gott sei Dank.«

Er streck­te die schmut­zi­ge Hand nach ei­ner nied­ri­gen Tan­ne aus und wisch­te sie an den Zwei­gen ab.

»Also stel­len Sie sich vor, ich stol­pe­re über die­se klei­ne Dreck­wur­zel da, und – bums! – lie­ge ich wie eine Schild­krö­te mit­ten im Dreck und kann den Rie­men nicht zu fas­sen krie­gen. Eine gan­ze Stun­de lie­ge ich schon so da; die an­de­ren zie­hen da un­ten vor­bei, und kei­ner sieht mich. Im­mer­hin, ich hab’ mich aus­ge­ruht.«

»Wa­rum ha­ben Sie nie­mand ge­ru­fen?«

»Dass ei­ner zu mir her­auf­klet­tern soll? Die ar­men Teu­fel ha­ben mit sich selbst ge­nug zu tun! Wenn ich mir vor­stel­le, mich lässt ei­ner da her­auf­krab­beln, nur weil er aus­ge­rutscht ist … Aus dem Dreck her­aus­zie­hen würd’ ich ihn schon, aber dann ihm das Fell ver­to­ba­ken und ihn zu­letzt wie­der hin­ein­schmei­ßen. Au­ßer­dem konn­te ich mir ja den­ken, dass schließ­lich auch mal hier je­mand vor­bei­kommt.«

»Sie pas­sen hier­her! Sie sind der rich­ti­ge Mann für dies Land.«

»Bin ich auch!« sag­te er, wuch­te­te sei­nen Pa­cken auf die Schul­ter und trab­te los. »Auf je­den Fall hab’ ich mich or­dent­lich aus­ge­ruht.«

Der Weg ging jetzt steil ab­wärts durch einen Mo­rast zum Flus­sufer. Eine schlan­ke Kie­fer lag als Brücke über dem to­sen­den Schaum. In der Mit­te bog sich der Stamm so tief, dass er das Was­ser be­rühr­te. Wel­len schlu­gen da­ge­gen und setz­ten ihn in zit­tern­de Be­we­gung. Die Stie­fel der Pack­trä­ger hat­ten sei­ne vom Was­ser über­spül­te Ober­flä­che glatt­ge­schlif­fen. Über zwan­zig Me­ter maß die­se schwan­ken­de, ge­fähr­li­che Brücke. Fro­na be­trat sie, fühl­te, wie das Vi­brie­ren un­ter ih­rem Ge­wicht hef­ti­ger wur­de, hör­te das Rau­schen des Was­sers, sah das wil­de To­sen – und schau­der­te zu­rück.

Sie hock­te sich am Weg nie­der und tat, als wäre sie mit ih­rem Schuh­werk be­schäf­tigt, denn In­dia­ner tra­ten aus dem Wald her­vor. Vier kräf­ti­ge Män­ner schrit­ten vor­an, ih­nen folg­te eine Schar von schwer be­las­te­ten Frau­en mit Kin­dern, und den Schluss mach­te ein Dut­zend Hun­de, de­nen die Zun­ge zum Hal­se her­aus­hing. Auch die Hun­de und so­gar die kleins­ten Kin­der wa­ren be­packt.

Im Vor­bei­ge­hen mach­te ei­ner der Män­ner eine Be­mer­kung über Fro­na. Sie ver­stand die Wor­te nicht, aber das hel­le Ki­chern, das durch den gan­zen Zug lief, trieb ihr die Scham­rö­te in die Wan­gen.

Der Füh­rer trat bei­sei­te; dann be­schritt ei­ner nach dem an­de­ren den ge­fähr­li­chen Pfad. Kei­ner durf­te an­tre­ten, ehe der letz­te jen­seits das Ufer er­reicht hat­te. In der Mit­te, wo der Stamm sich bog, wur­de er vom Ge­wicht des Men­schen tief un­ter die Was­ser­flä­che ge­drückt. Es war schwer, den Halt zu wah­ren, wenn der kal­te, rei­ßen­de Strom die Knö­chel über­spül­te. Aber selbst die Klei­nen gin­gen ohne Zö­gern hin­über, nur die Hun­de win­sel­ten und muss­ten ge­trie­ben wer­den. Als der Füh­rer schon den Stamm be­tre­ten hat­te, dreh­te er sich zu Fro­na um:

»Dort oben ist der Weg für Pfer­de«, sag­te er und wies auf die Berg­wand. »Du gehst bes­ser den Weg für Pfer­de! Das hier ist nichts für dich.«

Fro­na schüt­tel­te den Kopf und war­te­te, bis er am an­de­ren Ufer stand. Dann setz­te sie den Fuß auf den Baum­stamm und schritt in den wir­beln­den Schaum hin­ein, wäh­rend die Au­gen des frem­den Vol­kes auf ihr ruh­ten. Ihr Herz krümm­te sich vor Angst, aber so viel war sie ih­rem Stolz und ih­rer Ras­se schul­dig.

*

Sie traf einen Mann, der wei­nend am We­grand saß. Er hat­te einen Schuh aus­ge­zo­gen; sein Fuß war ge­schwol­len und wund­ge­lau­fen. Rings um ihn lag sein schlecht ver­schnür­tes Ge­päck zer­streut.

»Kann ich Ih­nen hel­fen?« frag­te sie.

»Mir kann kei­ner mehr hel­fen. Der Rücken ist bei­na­he ge­bro­chen, die Füße sind ka­putt.« Er heul­te laut: »Mei­ne Ka­me­ra­den ha­ben mich im Stich ge­las­sen und sind wei­ter­ge­zo­gen. Aber ich kom­m’ kei­nen Schritt mehr von der Stel­le. Ach, mei­ne Frau, mei­ne Kin­der! Ich hab’ sie in den Staa­ten ge­las­sen … nie wer­de ich sie wie­der­se­hen. Ich muss ster­ben, was soll ich sonst nur tun? Was soll ich nur tun?«

»Wa­rum ha­ben Ihre Ka­me­ra­den Sie ver­las­sen?«

»Weil ich nicht so stark bin wie sie. Weil ich nicht so schlep­pen kann wie sie. Aus­ge­lacht ha­ben sie mich und sind wei­ter­ge­gan­gen.«

»Aber Sie sind stark und jung, Sie wie­gen min­des­tens Ihre hun­dert­fünf­zig Pfund und ha­ben kein Fett am Leib.«

»Hun­dert­fünf­und­fünf­zig.«

»Hat Ih­nen je was ge­fehlt?«

»Nein.«

»Und Ihre Ka­me­ra­den? – Sind das alte Gold­grä­ber?«

»So we­nig wie ich. Wir ha­ben im sel­ben Ge­schäft ge­ar­bei­tet. Wir ken­nen uns seit Jah­ren! Und da ge­hen sie hin und las­sen mich ein­fach im Dreck lie­gen, da­mit ich kre­pie­re.«

»Mein lie­ber Mann«, sag­te Fro­na streng, »Sie könn­ten ge­nau das­sel­be leis­ten, aber Sie sind weich­lich, Sie ha­ben Mit­leid mit sich selbst. Sie kön­nen nicht mit, weil Sie nicht wol­len. Das ist kein Land für Sie. Hier braucht man an­de­re Män­ner! Die Kno­chen ha­ben nichts zu sa­gen, auf das Herz komm­t’s an, und das ha­ben Sie nicht. Ver­kau­fen Sie Ihren Kram, und fah­ren Sie nach Hau­se zu Ihren Kin­dern. Hier kön­nen wir Sie nicht brau­chen, hier ge­hen Sie ein, und was hat Ihre Fa­mi­lie dann? Ma­chen Sie, dass Sie in drei Wo­chen wie­der zu Hau­se sind, und schla­gen Sie sich die Gold­grä­be­rei aus dem Kopf! Le­ben Sie wohl.«

 

Die Mit­tags­son­ne brann­te auf das Fels­ge­wirr nie­der, das die »Stei­ner­ne Waa­ge« heißt. Zu bei­den Sei­ten er­ho­ben sich vom Eis ge­furch­te Er­drif­fe nackt und in ih­rer Nackt­heit stark. An der Wand des stur­mum­braus­ten Chil­coot-Fel­sens kroch eine Rei­he von Män­nern em­por, eine dün­ne, end­lo­se Ket­te. Vom Ran­de des ver­krüp­pel­ten Wal­des un­ten zog sie sich wie ein schwar­zer Strich über die blen­den­de Eis­flä­che, be­weg­te sich im Schneck­en­tem­po die stei­le Bö­schung hin­an, wur­de im­mer schwä­cher und dün­ner, bis sie wie eine Ko­lon­ne von Amei­sen jen­seits des Pas­ses ver­schwand.

Wäh­rend Fro­na am Wege kau­er­te und ihr Früh­stück ver­zehr­te, hüll­te sich der Chil­coot in wal­len­de Ne­bel und wir­beln­de Wol­ken. Dann brach ein Un­wet­ter, von Ha­gel kra­chend, auf die müh­se­lig vor­drän­gen­den Zwer­ge ein. Das Ta­ges­licht er­losch, aber Fro­na wuss­te: im­mer wei­ter, im­mer wei­ter zog sich dort oben die lan­ge Rei­he von Amei­sen hin, an den Berg ge­klam­mert, un­er­müd­lich, im­mer tiefer in die Wol­ken hin­ein. Der ewi­ge Wil­le zum Sieg die­ser Men­schen durch­beb­te sie. Jetzt trat auch sie in die Rei­he ein, die aus dem Sturm hin­ter ihr auf­tauch­te und im Sturm vor ihr ver­schwand.

Auf der Höhe des Pas­ses wur­de sie ge­packt: ein Wir­bel­wind aus damp­fen­dem Ne­bel drück­te sie zu Bo­den. Auf Fäus­ten und Kni­en kroch sie die mäch­ti­ge Vul­k­an­rin­ne des Chil­coot-Tals vor­wärts, stun­den­lang. Dann end­lich er­reich­te sie die öden Ufer ei­nes Kra­ter­sees. Die Flut war auf­ge­wühlt und mit weißem Schaum be­deckt. Hun­dert klei­ne Hau­fen von Ge­päck war­te­ten am Ufer dar­auf, über­ge­setzt zu wer­den, aber es ging kein Boot über den See.

Ein elen­des Ske­lett aus Holz­rip­pen mit ei­nem Se­gel­tuch­über­zug lag auf dem Fel­sen. Da­ne­ben hock­te ein jun­ger Bur­sche mit schwar­zen Au­gen und hel­lem Ge­sicht. Ja, er sei der Fähr­mann, sag­te er, aber für heu­te hät­te er die Ar­beit nie­der­ge­legt. Fün­f­und­zwan­zig Dol­lar nahm er sonst für die Über­fahrt, aber heu­te fuhr er nicht mehr.

»Bei die­sem Sau­wet­ter, was den­ken Sie denn?«

»Aber mich set­zen Sie doch noch über?«

»Dort drü­ben ist es noch schlim­mer, als man von hier aus glaubt. Nicht ein­mal die großen Holz­boo­te kom­men durch; das letz­te hat der Sturm an die West­küs­te ge­wor­fen. Eine gan­ze La­dung von Trä­gern ist an Bord, von hier aus hat man al­les se­hen kön­nen. Von da, wo sie jetzt lie­gen, kom­men sie nicht wei­ter. Da müs­sen sie la­gern, bis der Sturm vor­bei ist. Das ma­chen wir nicht, Fräu­lein.«

»Aber mein La­ger­ge­rät ist schon in Hap­py Camp, hier kann ich doch nicht blei­ben«, sag­te Fro­na mit ver­füh­re­ri­schem Lä­cheln. »Sei­en Sie ein Mann und brin­gen Sie mich hin­über.«

»Nein.«

»Ich gebe Ih­nen fünf­zig.«

»Nein, sage ich.«

»Ich bin ein Mä­del, aber ich habe kei­ne Angst!«

Der Bur­sche fuhr auf und kehr­te sich ge­gen sie mit zorn­fun­keln­den Au­gen. Die Wor­te, die ihm auf der Zun­ge la­gen, be­hielt er für sich, aber Fro­na konn­te sie von sei­nem Mun­de le­sen. Ge­gen den Sturm ge­beugt, stan­den sie ne­ben­ein­an­der wie See­leu­te auf schwan­ken­dem Deck und sa­hen ein­an­der trot­zig in die Au­gen. Ihm kleb­te das Haar in nas­sen Lo­cken um die Stirn; das ihre peitsch­te in trie­fen­den Sträh­nen um ihr Ge­sicht.

»Also los!«

Der Bur­sche schob mit ei­nem wü­ten­den Ruck sein Boot ins Was­ser und warf die Rie­men hin­ein.

»Stei­gen Sie ein! Aber nicht für fünf­zig Dol­lar. Sie be­zah­len den­sel­ben Preis wie alle an­de­ren.«

Ein Wind­stoß pack­te die Nuss­scha­le. Die Breit­sei­te vor­aus, flog sie sechs Me­ter weit über das Was­ser. Fro­na nahm die Schöpf­kel­le zur Hand, schwe­re Sprit­zer klatsch­ten den bei­den in die Ge­sich­ter, sta­chen und brann­ten in ihre Haut.

»Hof­fent­lich trei­ben wir nicht an Land«, keuch­te er und beug­te sich über die äch­zen­den Rie­men. »Wäre kein Ver­gnü­gen für Sie.«

Da­bei sah er sie wü­tend an.

»Wir wer­den schon nicht«, sag­te Fro­na und lä­chel­te.

Sie tra­ten auf schlüpf­ri­ge Fel­sen, als das Boot sein Ziel er­reicht hat­te. Zu bei­den Sei­ten er­ho­ben sich trie­fen­de Stein­wän­de, der Re­gen braus­te im­mer noch nie­der wie aus un­er­schöpf­li­chen Mul­den.

Fro­na woll­te hel­fen, das Boot zu ber­gen.

»Ma­chen Sie lie­ber, dass Sie vor­wärts kom­men«, brumm­te der Fähr­mann. »Von hier bis Hap­py Camp sind es noch zwei Mei­len, aber ein Weg für Zie­gen oder Af­fen. Kein Wald mehr. Sie wer­den noch Ihr Wun­der er­le­ben. Also vor­wärts! Auf Wie­der­se­hen!«

Fro­na drück­te ihm die Hand und sag­te: »Sie sind ein tap­fe­rer Kerl!« Dann mar­schier­te sie drauf­los. Und der tap­fe­re Kerl sah ihr be­wun­dernd nach.

*

Hap­py Camp be­stand aus ei­nem Dut­zend Zel­ten, die sich am äu­ßers­ten Ran­de der Baum­gren­ze mit spit­zen Pfäh­len wie ver­zwei­felt in den Bo­den krall­ten. Fro­na ging, aus­ge­pumpt von den wil­den Stra­pa­zen die­ses Ta­ges, von Zelt zu Zelt. Der Wind stieß sie vor sich her; ihr nas­ser Rock hing wie Blei an den Hüf­ten. Ein­mal hör­te sie durch die Lei­nen­wän­de einen Mann un­ge­heu­er­lich flu­chen und dach­te be­se­ligt: das ist Bi­shop! Aber als sie hin­einsah, hat­te sie sich ge­irrt. Erst das letz­te Zelt des La­gers schi­en ihr ein­la­dend. Sie lüf­te­te die Zelt­tür: drin­nen lag ein Mann auf den Kni­en und blies mit al­ler Kraft in die Glut ei­nes rau­chen­den Öf­chens.

Fro­na trat ein. Nas­ser Rauch schlug ihr in den Mund, sie muss­te hus­ten. Da erst be­merk­te der Mann, dass er einen Gast be­kom­men hat­te.

»Bin­den Sie die Klap­pe wie­der zu, und ma­chen Sie sich’s be­quem«, sag­te er, ohne sei­ne Be­schäf­ti­gung zu un­ter­bre­chen.

Ein Hau­fen Zwerg­kie­fern­zwei­ge lag, in pas­sen­de Stücke zer­hackt, aber nass, ne­ben dem Ofen. Fro­na sah, dass er nicht ge­nü­gend ge­füllt war, hock­te sich nie­der und leg­te sach­ver­stän­dig die feuch­ten Schei­ter auf. Der Mann er­hob sich, hus­te­te den Rauch aus und sah Fro­na mit ge­röte­ten Au­gen an.

»Trock­nen Sie Ihr Zeug«, sag­te er. »Ich sor­ge für Abend­brot.«

Er goss Was­ser aus ei­nem Ei­mer in die Kaf­fee­kan­ne und stell­te sie auf den Ofen. Dann ging er mit dem Ei­mer hin­aus, um ihn neu zu fül­len. Als er ver­schwun­den war, griff Fro­na nach ih­rem Ran­zen, und als er wie­der­kam, stand sie in ei­ner tro­ckenen Blu­se da und wrang die nas­se aus. Wäh­rend er in der Pro­vi­ant­kis­te nach Tel­lern und Be­stecks kram­te, spann­te sie eine Lei­ne zwi­schen den Zelt­stan­gen aus und häng­te ihre Wä­sche zum Trock­nen auf.

Die Tel­ler wa­ren schmut­zig. Wäh­rend der Mann ge­bückt da­stand und sie wusch, wech­sel­te sie auch noch die St­rümp­fe und zog ein Paar fei­ner, wei­cher Mo­kass­ins an. Das Feu­er brann­te jetzt. Bis­her hat­ten die bei­den kaum ein Wort ge­spro­chen. Der Mann be­nahm sich, als sei es das Na­tür­lichs­te von der Welt, dass ein jun­ges Mäd­chen in Nacht und Un­wet­ter zu ihm her­ein­ge­schneit kam. Fro­na nahm ein- oder zwei­mal einen An­lauf, um et­was zu sa­gen, aber er schi­en ihre An­we­sen­heit ver­ges­sen zu ha­ben, und so schwieg sie.

Nach­dem er mit der Axt eine Dose Pö­kel­fleisch ge­öff­net hat­te, warf er ein Dut­zend Speck­schei­ben in die Pfan­ne. Dann koch­te er Kaf­fee und hol­te aus der Pro­vi­ant­kis­te einen kal­ten schwe­ren Pfann­ku­chen her­vor. Die­se De­li­ka­tes­se prüf­te er zwei­felnd und sah da­bei Fro­na an. Dann schmiss er das klit­schi­ge Ding zum Zelt hin­aus und warf eine Hand­voll Schiffs­zwie­back auf ein Wachs­tuch, das auf dem Bo­den lag und als Ess­tisch die­nen soll­te. Die Zwiebä­cke wa­ren zer­krü­melt, vom Re­gen auf­ge­weicht; sie bil­de­ten einen schmut­zig wei­ßen Brei.