Jack London – Gesammelte Werke

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Das Boot hob sich auf ei­ner Woge, Mauds Füße be­rühr­ten den Bo­den, und ich ließ ihre Hän­de los. Dann warf ich die Ta­kel los und sprang ihr nach. Ich hat­te noch nie im Le­ben ge­ru­dert, aber ich leg­te die Rie­men aus und be­kam mit großer An­stren­gung das Boot klar von der ›Ghost‹. Dann ver­such­te ich, das Se­gel zu set­zen. Ich hat­te be­ob­ach­tet, wie die Bootss­teu­rer und Jä­ger ihre Sprietse­gel setz­ten, aber es war doch mein ers­ter Ver­such. Ich brauch­te zwan­zig Mi­nu­ten, um zu ma­chen, was sie in viel­leicht zwei­en schaff­ten, aber schließ­lich war es ge­tan, und, die Ru­der­pin­ne in der Hand, ging ich in den Wind.

»Dort liegt Ja­pan«, be­merk­te ich, »ge­ra­de vor uns.« »Hum­phrey van Wey­den, Sie sind ein mu­ti­ger Mann!« sag­te sie.

»Nein«, ant­wor­te­te ich, »aber Sie sind eine mu­ti­ge Frau.«

Wie auf eine ge­mein­sa­me Ein­ge­bung wand­ten wir den Kopf, um noch einen letz­ten Blick auf die ›Ghost‹ zu wer­fen. Ihr nied­ri­ger Rumpf hob sich und roll­te auf der Woge, ihre Se­gel schim­mer­ten un­deut­lich in der Nacht, das fest­ge­mach­te Rad kreisch­te, dann ent­schwand sie un­sern Bli­cken, und wir wa­ren al­lein auf dem dunklen Meer.

27

Grau und fros­tig brach der Tag an. Das Boot lag scharf an dem fri­schen Win­de, und der Kom­pass zeig­te, dass wir ge­nau den Kurs nah­men, der uns nach Ja­pan führ­te. Trotz den Faust­hand­schu­hen wa­ren mei­ne Fin­ger kalt und klamm vom Hal­ten des Steu­er­ru­ders. Mei­ne Füße brann­ten vor Frost, und ich hoff­te nur, dass die Son­ne schei­nen soll­te.

Vor mir, auf dem Bo­den des Boo­tes, lag Maud. Sie we­nigs­tens war warm, denn sie war in di­cke De­cken ein­gehüllt. Die obers­te hat­te ich ihr übers Ge­sicht ge­zo­gen, um sie vor der Nacht­käl­te zu be­schüt­zen, und ich konn­te nichts von ihr se­hen als die un­be­stimm­ten Um­ris­se ih­rer Ge­stalt und ihr hell­brau­nes Haar, das, mit Trau­trop­fen wie mit Ju­we­len be­sät, un­ter der De­cke her­vor­lug­te.

Lan­ge blick­te ich auf sie, ließ mei­ne Au­gen auf dem we­ni­gen ru­hen, das von ihr sicht­bar war, wie ein Mann das be­trach­tet, das ihm das Teu­ers­te auf der Welt ist. So hart­nä­ckig war mein Blick, dass sie sich schließ­lich un­ter den De­cken reg­te, der obers­te Zip­fel wur­de zu­rück­ge­schla­gen, und sie lä­chel­te mich mit Au­gen an, die noch schwer vom Schla­fe wa­ren.

»Gu­ten Mor­gen, Herr van Wey­den«, sag­te sie. »Ha­ben Sie schon Land ge­sich­tet?«

»Nein«, ant­wor­te­te ich, »aber wir nä­hern uns ihm mit ei­ner Ge­schwin­dig­keit von sechs Mei­len die Stun­de.« Sie blick­te mich er­schro­cken an.

»Aber das sind ja hun­dert­vierund­vier­zig Mei­len in vier­und­zwan­zig Stun­den«, füg­te ich be­ru­hi­gend hin­zu. Ihre Züge er­hell­ten sich. »Und wie weit ist es?«

»In die­ser Rich­tung liegt Si­bi­ri­en«, sag­te ich und wies nach Wes­ten. »Aber etwa sechs­hun­dert Mei­len west­wärts liegt Ja­pan. Wenn der Wind an­hält, wer­den wir es in fünf Ta­gen schaf­fen.«

»Und wenn Sturm kommt? Dann kann sich das Boot wohl nicht hal­ten?«

Sie hat­te eine ei­ge­ne Art, ei­nem in die Au­gen zu bli­cken und die Wahr­heit zu for­dern, und so blick­te sie mich auch jetzt an, als sie die Fra­ge stell­te.

»Dann müss­te es schon sehr stür­men«, sag­te ich zö­gernd.

»Und wenn es sehr stürmt?«

Ich nick­te. »Aber es kann auch je­der­zeit ge­sche­hen, dass wir von ei­nem Rob­ben­scho­ner auf­ge­nom­men wer­den. Die­ser Teil des Ozeans wird sehr viel von ih­nen be­fah­ren.«

»Gott, Sie sind ja ganz durch­fro­ren!« rief sie aus. »Se­hen Sie: Sie zit­tern ja. Sa­gen Sie nicht nein; Sie zit­tern. Und ich lag hier warm und si­cher wie in Abra­hams Schoß!«

»Ich kann nicht ein­se­hen, was es an der Sa­che ge­än­dert hät­te, wenn Sie auch durch­fro­ren wä­ren«, lach­te ich.

»Ich wer­de es ja doch, so­bald ich steu­ern ge­lernt habe, was ja hof­fent­lich bald der Fall sein wird.«

Sie setz­te sich auf und be­gann, ihre ein­fa­che Toi­let­te zu ma­chen. Sie schüt­tel­te ihr Haar auf, dass es ihr in ei­ner brau­nen Wol­ke um Ge­sicht und Schul­tern fiel. Ihr herr­li­ches brau­nes Haar! Ich hät­te es küs­sen, es durch mei­ne Fin­ger glei­ten las­sen, mein Ge­sicht dar­in ver­gra­ben mö­gen! Wie ver­zau­bert starr­te ich sie an und ver­gaß das Ru­der, bis das Boot in den Wind lief und das flat­tern­de Se­gel mich an mei­ne Pf­licht mahn­te. »Wa­rum tra­gen die Frau­en ihr Haar nicht im­mer of­fen?« frag­te ich. »Es ist doch viel schö­ner.«

»Wenn es nicht so schreck­lich un­or­dent­lich wür­de!« lach­te sie. »Schau­en Sie, jetzt habe ich eine von mei­nen kost­ba­ren Haar­na­deln ver­lo­ren!«

Wie­der ver­nach­läs­sig­te ich das Boot und ließ das Se­gel in den Wind bras­sen, so groß war mein Ent­zücken an je­der ih­rer Be­we­gun­gen, als sie jetzt die Na­del zwi­schen all den De­cken such­te. Ich war über­rascht und froh, als ich sah, wie weib­lich sie war, denn in mei­ner Vor­stel­lung hat­te ich fast ein gött­li­ches, gänz­lich un­nah­ba­res We­sen aus ihr ge­macht. So be­grüß­te ich denn mit Freu­den die klei­nen Züge, die sie doch al­les in al­lem als ech­tes Weib of­fen­bar­ten, wie zum Bei­spiel die Kopf­be­we­gung, mit der sie die Wol­ke ih­res Haa­res zu­rück­warf, und das Su­chen nach der Haar­na­del.

Mit ei­nem rei­zen­den klei­nen Schrei fand sie die Na­del, und ich wand­te mei­ne Auf­merk­sam­keit wie­der dem Steu­er­ru­der zu. Ich ver­such­te, das Ru­der mit Hil­fe ei­nes Keils festz­u­ma­chen, und das Boot hielt sei­nen Kurs ganz gut ohne mei­ne Hil­fe. Nur ge­le­gent­lich kam es zu dicht an den Wind oder fiel et­was ab, aber je­des Mal rich­te­te es sich von sel­ber wie­der und be­nahm sich über­haupt recht be­frie­di­gend.

»Und nun wol­len wir früh­stücken«, sag­te ich. »Zu­nächst aber müs­sen Sie sich et­was wär­mer klei­den.« Ich such­te ein neu­es Hemd her­vor, das aus dem­sel­ben Stoff wie die De­cken ge­macht war. Ich kann­te das Ge­we­be und wuss­te, dass es was­ser­dicht war und selbst bei stun­den­lan­gem Re­gen kei­ne Feuch­tig­keit durch­ließ. Als sie es über­ge­streift hat­te, ver­tausch­te ich ihre Kna­ben­müt­ze ge­gen eine Män­ner­kap­pe, die groß ge­nug war, ihr Haar zu be­de­cken, und die, wenn die Klap­pen her­un­ter­ge­schla­gen wur­den, ihr ganz über Ohren und Hals ging. Die Wir­kung war be­zau­bernd. Nichts ver­moch­te das köst­li­che Oval, die fast klas­si­schen Li­ni­en, die wie mit dem Pin­sel ge­zo­ge­nen Brau­en, die großen brau­nen Au­gen mit ih­rem kla­ren, ru­hi­gen Blick zu zer­stö­ren.

Ein et­was stär­ke­rer Stoß traf uns, als wir ge­ra­de einen Wo­gen­kamm pas­sier­ten. Das Boot leg­te sich so­viel über, dass der Rand der Re­ling die Ober­flä­che streif­te und wir etwa eine Püt­ze Was­ser über­nah­men. Ich war ge­ra­de da­bei, eine Dose mit Zun­ge zu öff­nen. Ich ließ sie fal­len, sprang an die Schoot und warf sie ge­ra­de noch im rech­ten Au­gen­blick hin­über. Das Se­gel schlug und flat­ter­te, und das Boot kam klar. We­ni­ge Mi­nu­ten spä­ter hat­te ich es wie­der in den Kurs ge­bracht und konn­te die Vor­be­rei­tun­gen zum Früh­stück wie­der auf­neh­men.

»Es funk­tio­niert, wie es scheint, sehr gut, wenn ich auch in see­män­ni­schen Fra­gen nicht sehr er­fah­ren bin«, sag­te sie und nick­te bei­fäl­lig mit dem Kop­fe nach mei­ner Steu­er­vor­rich­tung.

»Aber es geht nur, so­lan­ge wir mit dem Win­de se­geln«, er­klär­te ich. »Wenn wir den Wind dwars ha­ben oder kreu­zen müs­sen, muss ich doch steu­ern.«

»Ich muss ge­ste­hen, dass mir Ihre tech­ni­schen Aus­drücke fremd sind«, sag­te sie. »Aber ich ver­ste­he Ihre Schluss­fol­ge­rung und bin nicht ge­ra­de froh dar­über. Sie kön­nen doch nicht un­un­ter­bro­chen Tag und Nacht steu­ern. Sie wer­den mir also nach dem Früh­stück mei­ne ers­te Un­ter­richts­stun­de er­tei­len. Und dann wer­den Sie sich hin­le­gen und schla­fen. Wir wer­den Wa­chen bil­den wie auf ei­nem Schiff.«

»Ich weiß nicht, wie ich es Ih­nen bei­brin­gen soll«, wand­te ich ein. »Ich bin ja selbst erst Schü­ler. Als Sie sich mir an­ver­trau­ten, ha­ben Sie wohl kaum be­dacht, dass ich kei­ne Er­fah­rung habe. Es ist das ers­te­mal, dass ich mich über­haupt in ei­nem klei­nen Boo­te be­fin­de.«

»Dann müs­sen wir es ge­mein­sam ler­nen, Käptn. Und da Sie einen Vor­sprung von ei­ner Nacht ha­ben, wer­den Sie mich leh­ren, was Sie un­ter­des­sen ge­lernt ha­ben. Und nun das Früh­stück! Die Luft macht hung­rig!« »Kaf­fee gibt es nicht!« sag­te ich be­dau­ernd und reich­te ihr mit But­ter be­stri­che­nen Zwie­back und eine Schei­be Zun­ge. »Und es wird kei­nen Tee, kei­ne Sup­pe und über­haupt nichts War­mes ge­ben, bis wir ir­gend­wo an Land ge­kom­men sind.«

Nach ei­nem ein­fa­chen Früh­stück, das durch eine Tas­se kal­ten Was­sers ge­krönt wur­de, er­hielt Maud ihre ers­te Un­ter­richts­stun­de im Steu­ern. Wäh­rend ich sie un­ter­wies, lern­te ich selbst ein gut Teil; ich wand­te die Kennt­nis­se an, die ich mir durch das Se­geln der ›Ghost‹ und das Beo­b­ach­ten der Boots­steue­rer an­ge­eig­net hat­te. Maud war eine ge­leh­ri­ge Schü­le­rin und lern­te bald, den Kurs zu hal­ten, vor den Wind­stö­ßen zu lu­ven und im Not­fall die Schoot hin­über­zu­wer­fen.

Als sie von der Ar­beit of­fen­bar über­mü­det war, über­ließ sie mir wie­der das Ru­der Ich hat­te die De­cken zu­sam­men­ge­legt, aber sie brei­te­te sie jetzt wie­der auf dem Bo­den aus. Als das ge­sche­hen war, sag­te sie:

»So, Käptn, jetzt ge­hen Sie in die Koje. Und Sie wer­den bis zum zwei­ten Früh­stück schla­fen – bis zum Mit­ta­ges­sen«, ver­bes­ser­te sie sich, in­dem sie an die Zei­tein­tei­lung auf der ›Ghost‹ dach­te.

Was soll­te ich tun? Sie be­stand dar­auf und sag­te »Bit­te, bit­te!«, wor­auf ich ihr das Ru­der über­ließ und ge­horch­te. Ich hat­te ein wun­der­sa­mes Ge­fühl, als ich in das Bett kroch, dass sie mir mit ih­ren Hän­den be­rei­tet hat­te. Die Ruhe und Selbst­be­herr­schung, die einen so be­deut­sa­men Teil ih­res We­sens aus­mach­ten, schie­nen sich den De­cken mit­ge­teilt zu ha­ben. Ich sank in eine sanf­te Schläf­rig­keit und Zufrie­den­heit. Das fei­ne Oval mit den brau­nen Au­gen in dem Rah­men der Fi­scher­müt­ze wieg­te sich vor dem Hin­ter­grund bald grau­er Wol­ken und bald grau­er Wo­gen – dann wuss­te ich, dass ich ge­schla­fen hat­te.

 

Ich sah auf mei­ne Uhr. Ich hat­te sie­ben Stun­den ge­schla­fen. Und sie hat­te sie­ben ge­steu­ert! Als ich das Ru­der nahm, muss­te ich ihr die ge­krampf­ten Fin­ger öff­nen. All ihr biss­chen Kraft war er­schöpft, und sie war nicht ein­mal im­stan­de, sich von ih­rem Platz zu be­we­gen. Ich muss­te die Schoot fah­ren las­sen, um ihr in das war­me Nest von De­cken zu hel­fen und ihre Hän­de und Arme zu rei­ben.

»Ich bin so müde!« sag­te sie; ihr Atem ging schnell, und sie ließ ih­ren Kopf mit ei­nem Seuf­zer sin­ken.

Aber im nächs­ten Au­gen­blick rich­te­te sie sich wie­der auf. »Jetzt schel­ten Sie aber nicht, wa­gen Sie nicht zu schel­ten«, rief sie mit lus­ti­gem Trotz.

»Ich hof­fe, dass ich kein bö­ses Ge­sicht ma­che«, sag­te ich ernst, »denn ich ver­si­che­re Ih­nen, dass ich nicht im ge­rings­ten är­ger­lich bin.«

»Nein«, mein­te sie nach­denk­lich. »Es sieht nur vor­wurfs­voll aus.«

»Dann ist es ein ehr­li­ches Ge­sicht und drückt nur aus, was ich füh­le. Sie ha­ben un­recht so­wohl ge­gen sich selbst wie ge­gen mich ge­han­delt. Wie soll ich in Zu­kunft Ver­trau­en zu Ih­nen ha­ben?«

Sie sah ganz reue­voll aus. »Ich wer­de brav sein«, sag­te sie wie ein un­ar­ti­ges Kind. »Ich ver­spre­che –« »Zu ge­hor­chen, wie ein Ma­tro­se sei­nem Ka­pi­tän ge­horcht?«

»Ja«, sag­te sie. »Es war dumm von mir, ich weiß.« »Dann müs­sen Sie mir et­was ver­spre­chen«, mein­te ich. »Gern.«

»Sie dür­fen nicht zu oft ›Bit­te, bit­te!‹ sa­gen, denn sonst un­ter­gra­ben Sie mei­ne Au­to­ri­tät.«

Sie lach­te be­lus­tigt. Auch sie hat­te die Macht ih­res »Bit­te, bit­te!« be­merkt.

»Das Wort ist schön – –«, be­gann ich.

»Aber ich darf es nicht aus­nut­zen«, un­ter­brach sie mich.

Dann lach­te sie müde und ließ den Kopf wie­der zu­rück­sin­ken. Ich über­ließ das Ru­der sich selbst, um ihre Füße in die De­cken zu wi­ckeln und ihr einen Zip­fel über das Ge­sicht zu zie­hen. Ach, sie war nicht kräf­tig! Ich sah mit Be­sorg­nis nach Süd­west und dach­te an die sechs­hun­dert Mei­len, die mit ih­rer Müh­sal vor uns la­gen – –, ach, wenn es nur nichts Schlim­me­res als Müh­sal wer­den soll­te. Auf die­sem Mee­re konn­te je­der­zeit ein ver­nich­ten­der Sturm auf­kom­men. Und doch fürch­te­te ich mich nicht. Ich setz­te nicht viel Ver­trau­en auf die Zu­kunft, war so­gar sehr zwei­fel­haft, und doch wur­de ich nicht von Furcht über­mannt. »Es muss gut ge­hen, es muss gut ge­hen!« – Das wie­der­hol­te ich mir im­mer wie­der.

Am Nach­mit­tag frisch­te der Wind wie­der auf, die See wur­de un­ru­hi­ger und stell­te mich und das Boot auf eine har­te Pro­be. Aber der Pro­vi­ant und die neun Was­ser­fäs­ser wa­ren ein gu­ter Bal­last, der das Boot in den Stand setz­te, See und Wind zu trot­zen, und ich hielt das Se­gel, so­lan­ge ich es wag­te. Dann hol­te ich es ein, be­schlug es, und wir lie­fen wei­ter.

Ei­ni­ge Stun­den spä­ter sich­te­te ich den Rauch ei­nes Damp­fers am Ho­ri­zont in Lee. Es muss­te mei­ner An­sicht nach ent­we­der ein rus­si­scher Kreu­zer oder, wahr­schein­li­cher, die ›Ma­ce­do­nia‹, sein, die noch auf der Su­che nach der ›Ghost‹ war. Die Son­ne war den gan­zen Tag nicht zum Vor­schein ge­kom­men, und es war bit­ter­kalt ge­we­sen. Als die Nacht sich her­ab­senk­te, wur­den die Wol­ken dunk­ler, und der Wind frisch­te noch mehr auf, so­dass Maud und ich mit Faust­hand­schu­hen Abend­brot aßen und ich am Ru­der blieb und nur hin und wie­der zwi­schen den Wind­stö­ßen einen Bis­sen zu mir nahm.

In­zwi­schen war es ganz dun­kel ge­wor­den, Wind und Wo­gen wur­den zu viel für das klei­ne Fahr­zeug, und so hol­te ich das Se­gel ein und ver­such­te, einen Dregg- oder See­an­ker zu ma­chen. Ich hat­te die­se Kunst durch Ge­sprä­che mit den Jä­gern er­fah­ren, und es war eine ganz ein­fa­che Sa­che. Ich leg­te das Se­gel zu­sam­men, surr­te es ge­hö­rig an Mast, Baum, Spriet und zwei Paar Re­ser­ve­rie­men fest und warf es über Bord. Eine Lei­ne ver­band es mit dem Bug, und da es tief im Was­ser lag und dem Win­de kei­nen Wi­der­stand bot, trieb es lang­sa­mer als das Boot. In­fol­ge­des­sen hielt es den Bug in See und Wind – die si­chers­te Lage, um sich ge­gen das Ken­tern zu schüt­zen, wenn Sturz­seen ka­men.

»Und jetzt?« frag­te Maud fröh­lich, als die Ar­beit voll­bracht war und ich mir die Faust­hand­schu­he wie­der an­zog.

»Jetzt fah­ren wir nicht mehr nach Ja­pan«, sag­te ich. »Wir trei­ben in der Rich­tung nach Süd­ost oder Süd­süd­ost mit ei­ner Schnel­lig­keit von min­des­tens zwei Mei­len die Stun­de.«

»Das sind vier­und­zwan­zig Mei­len«, mein­te sie, »wenn der Wind die gan­ze Nacht weht.«

»Und hun­dert­und­vier­zig, wenn er drei Tage und Näch­te an­hält.«

»Aber er wird nicht an­hal­ten!« sag­te sie zu­ver­sicht­lich. »Er wird sich dre­hen und wen­den, wie wir ihn brau­chen.«

»Das Meer ist der große Treu­lo­se.«

»Aber nicht der Wind!« er­wi­der­te sie. Sie wur­de ganz be­redt, wenn sie auf den präch­ti­gen Pas­sat zu spre­chen kam.

»Wenn ich nur dar­an ge­dacht hät­te, Wolf Lar­sens Chro­no­me­ter und Sex­tan­ten mit­zu­neh­men«, sag­te ich nie­der­ge­schla­gen. »In ei­ner Rich­tung se­geln und in der an­de­ren trei­ben, gar nicht zu re­den von der Strö­mung, die einen in ei­ner drit­ten ent­füh­ren kann – was da­bei her­aus­kommt, kann der größ­te Re­chen­künst­ler nicht fin­den. Ehe wir es ah­nen, kön­nen wir fünf­hun­dert Mei­len aus dem Kurs sein.«

Dann bat ich sie um Ver­zei­hung und ver­sprach, nie wie­der den Mut zu ver­lie­ren. Auf ih­ren ein­dring­li­chen Wunsch über­ließ ich ihr die Wa­che bis Mit­ter­nacht – es war jetzt neun Uhr –, aber ich hüll­te sie in De­cken und Öl­zeug ein, ehe ich mich nie­der­leg­te. Ich schlief nur auf ei­nem Auge. Das Boot hüpf­te und stieß, wenn es über die Wel­len­käm­me ging; ich konn­te die Seen vor­bei­schie­ßen hö­ren, und im­mer wie­der spritz­te der Schaum ins Boot. Und doch er­schi­en mir die Nacht nicht schlimm, war sie doch nichts im Ver­gleich mit den Näch­ten, die ich auf der ›Ghost‹ er­lebt hat­te, und viel­leicht auch nichts im Ver­gleich mit de­nen, die wir in die­ser Nuss­scha­le noch zu über­ste­hen hat­ten. Ihre Plan­ken wa­ren drei­vier­tel Zoll stark. Zwi­schen uns und der Mee­res­tie­fe war we­ni­ger als ein Zoll Holz.

Und doch – das kann ich im­mer wie­der ver­si­chern –, doch fürch­te­te ich mich nicht. Den Tod, vor dem Wolf Lar­sen und selbst Tho­mas Mu­gridge mir Furcht ge­macht hat­ten, fürch­te­te ich nicht mehr. Maud Brewster war in mein Le­ben ge­tre­ten, und das schi­en mich ver­wan­delt zu ha­ben. Al­les in al­lem, dach­te ich, muss­te es bes­ser sein, zu lie­ben, als ge­liebt zu wer­den, wenn die Lie­be uns et­was so teu­er ma­chen konn­te, dass wir den Tod nicht mehr fürch­te­ten. Ich konn­te mein ei­ge­nes Le­ben über dem an­de­ren ver­ges­sen, und ach – so pa­ra­dox es auch klin­gen mag –, nie hat­te ich so ge­wünscht zu le­ben wie ge­ra­de jetzt, da ich mei­nem Le­ben we­ni­ger Wert bei­maß als je zu­vor. Nie war mein Le­ben so be­grün­det ge­we­sen – das war mein letz­ter Ge­dan­ke, und dann, im Ein­schla­fen, gab ich mich zu­frie­den mit dem Ver­such, die Nacht zu durch­drin­gen, die den Ste­ven ein­hüll­te, wo, wie ich wuss­te, Maud zu­sam­men­ge­kau­ert saß und über die schäu­men­de See hin­aus­blick­te – je­den Au­gen­blick be­reit, mich zu ru­fen, wenn es not tun soll­te.

28

Es ist un­nö­tig, alle Lei­den ein­ge­hend zu schil­dern, wel­che wir wäh­rend der vie­len Tage zu er­dul­den hat­ten, die wir in dem win­zi­gen Boot hier­hin und dort­hin über den Ozean ge­trie­ben wur­den. Der schwe­re Nord­west weh­te vier­und­zwan­zig Stun­den lang. Dann leg­te er sich, und nachts sprang er nach Süd­west um. Das war uns ge­ra­de ent­ge­gen; aber ich hol­te den See­an­ker ein, setz­te das Se­gel und nahm einen Kurs, der uns nach Süd­süd­ost führ­te. Es war kein großer Un­ter­schied, ob wir die­se Rich­tung oder die nach Nord­nord­west wähl­ten, die der Wind eben­falls zuließ, aber die Aus­sicht auf wär­me­re Luft im Sü­den be­stimm­te mei­nen Ent­schluss.

Nach drei Stun­den – es war Mit­ter­nacht, wie ich noch weiß, und so dun­kel, wie ich es auf See noch nie ge­se­hen hat­te – wuchs der Süd­west zum Sturm, und ich war wie­der ge­nö­tigt, den See­an­ker zu wer­fen.

Der Tag brach an und fand mich er­schöpft auf dem weiß­schäu­men­den Mee­re, wäh­rend das Boot mit der Spit­ze fast senk­recht ge­gen den Him­mel zeig­te. Wir lie­fen große Ge­fahr, von den Sturz­seen zum Ken­tern ge­bracht zu wer­den. Gischt und Schaum ka­men der­art über, dass ich un­aus­ge­setzt schöp­fen muss­te. Die De­cken trief­ten vor Näs­se. Au­ßer Maud war al­les nass, sie trug Öl­zeug, Gum­mis­tie­fel und Süd­wes­ter und war tro­cken bis auf Ge­sicht und Hän­de und ein paar ver­irr­te Lo­cken. Sie lös­te mich hin und wie­der beim Schöp­fen ab, ar­bei­te­te tap­fer und trotz­te dem Sturm. Aber al­les ist re­la­tiv. Es war nichts als ein stei­fer Wind, aber für uns, die wir in ei­nem klei­nen zer­brech­li­chen Boot ums Le­ben kämpf­ten, war es ein Sturm.

Kalt und trost­los peitsch­te der Wind uns das Ge­sicht, die wei­ßen Seen jag­ten heu­lend vor­bei, und wir kämpf­ten den gan­zen Tag. Die Nacht kam, aber kei­ner von uns schlief. Der Tag kam, und im­mer noch peitsch­te der Wind uns­re Ge­sich­ter, jag­ten die wei­ßen Wo­gen brül­lend an uns vor­bei. In der zwei­ten Nacht schlief Maud vor Er­schöp­fung ein. Ich deck­te sie mit Öl­zeug und ei­ner Per­sen­ning zu. Sie war ver­hält­nis­mä­ßig tro­cken, aber starr vor Käl­te. Ich fürch­te­te, dass sie die Nacht nicht über­le­ben wür­de, aber wie­der brach der Tag an, kalt und trost­los, mit dem­sel­ben be­wölk­ten Him­mel, schnei­den­den Win­de und brül­len­den Mee­re.

Ich hat­te achtund­vier­zig Stun­den lang kein Auge ge­schlos­sen. Ich war bis aufs Mark durch­nässt und durch­fro­ren und mehr tot als le­ben­dig. Mein Kör­per war steif von An­stren­gung und Käl­te, und mei­ne Mus­keln schmerz­ten fürch­ter­lich, bei je­der Be­we­gung litt ich die schreck­lichs­ten Qua­len, und ich muss­te mich un­auf­hör­lich be­we­gen. Und da­bei wur­den wir im­mer wei­ter nach Nord­os­ten ge­trie­ben, im­mer wei­ter fort von Ja­pan und nach der öden Be­ringsee.

Aber noch leb­ten wir und hat­ten un­ser Boot, ob­wohl der Wind an­dau­ernd mit un­ver­min­der­ter Stär­ke weh­te. Am Abend des drit­ten Ta­ges nahm er so­gar noch et­was zu. Der Bug tauch­te in einen Wo­gen­kamm, und das Boot füll­te sich zu ei­nem Vier­tel mit Was­ser. Ich schöpf­te wie wahn­sin­nig. Die Ge­fahr, noch eine See über­zu­be­kom­men, wur­de au­ßer­or­dent­lich er­höht durch den Um­stand, dass das Was­ser das Boot nie­der­press­te und sei­ne Schwimm­fä­hig­keit ver­min­der­te. Und noch eine sol­che See hieß das Ende. Als ich das Boot wie­der tro­cken hat­te, sah ich mich ge­nö­tigt, Maud die Per­sen­ning weg­zu­neh­men und sie quer über dem Bug zu be­fes­ti­gen. Es war ein Glück, dass ich es tat, und ob­gleich wir in den nächs­ten Stun­den drei­mal mit dem Bug tauch­ten, nah­men wir kein Was­ser über.

Maud be­fand sich in ei­nem kläg­li­chen Zu­stand. Sie saß zu­sam­men­ge­kau­ert auf dem Bo­den des Boo­tes, ihre Lip­pen wa­ren blau, ihr grau­es Ge­sicht zeig­te deut­lich, wel­che Qua­len sie litt. Aber ihre Au­gen sa­hen mich be­stän­dig mit ih­rem tap­fe­ren Blick an, und kein Wort der Ent­mu­ti­gung kam über ihre Lip­pen.

In die­ser Nacht muss der Sturm sei­nen Hö­he­punkt er­reicht ha­ben, aber ich ach­te­te sei­ner nicht. Auf dem Ach­ter­sitz über­mann­ten mich Mü­dig­keit und Schmer­zen, und ich schlief ein.

Am Mor­gen des vier­ten Ta­ges war der Sturm zu ei­nem lei­sen Hauch ge­sun­ken, die See be­ru­hig­te sich, und die Son­ne schi­en auf uns her­ab. Oh, die­se ge­seg­ne­te Son­ne! Wie wir un­se­re arm­se­li­gen Kör­per in ih­rer köst­li­chen Wär­me ba­de­ten! Wir leb­ten auf wie Kä­fer und Ge­würm nach ei­nem Sturm. Wir lä­chel­ten wie­der, sag­ten lus­ti­ge Din­ge und er­ör­ter­ten hoff­nungs­voll un­se­re Lage, Tat­säch­lich war sie schlim­mer als je. Wir wa­ren wei­ter von Ja­pan ent­fernt als in der Nacht, da wir die ›Ghost‹ ver­las­sen hat­ten. Dazu konn­te ich Län­gen- und Brei­ten­gra­de nur ganz un­ge­fähr er­ra­ten. Wenn ich an­nahm, dass wir in den sieb­zig Stun­den, die der Sturm ge­dau­ert hat­te, zwei Mei­len in der Stun­de ge­macht hat­ten, muss­ten wir min­des­tens hun­dert­und­fünf­zig Mei­len nach Nord­ost ge­trie­ben sein. Stimm­te die­se Be­rech­nung aber? Es konn­ten eben­so gut vier wie zwei Mei­len in der Stun­de ge­we­sen sein! Dann wa­ren wir noch hun­dert­und­fünf­zig Mei­len wei­ter in der falschen Rich­tung ge­kom­men.

 

Wo wir uns be­fan­den, wuss­te ich nicht, sehr wahr­schein­lich aber in der Nähe der ›Ghost‹. Rings um uns her gab es Rob­ben, und ich er­war­te­te je­den Au­gen­blick, einen Rob­ben­scho­ner auf­tau­chen zu se­hen. Am Nach­mit­tag, als der Nord­west wie­der auf­ge­kom­men war, sich­te­ten wir einen. Aber das frem­de Fahr­zeug ver­lor sich bald hin­ter dem Ho­ri­zont, und wir wa­ren wie­der al­lein auf dem wei­ten Mee­re.

Es ka­men Ne­bel­ta­ge, an de­nen selbst Maud den Mut ver­lor und kei­ne fro­hen Wor­te mehr über ihre Lip­pen ka­men, Tage mit Wind­stil­le, da wir auf der un­er­mess­li­chen Mee­res­flä­che da­hin­trie­ben, be­drückt von ih­rer Grö­ße und vol­ler Stau­nen über das Wun­der, dass wir in un­se­rem win­zi­gen Boot noch leb­ten und um un­ser Le­ben kämpf­ten; Tage mit Ha­gel, Wind und Schnee­ge­stö­ber, an de­nen nichts uns warm­zu­hal­ten ver­moch­te; Tage mit fei­nem Sprüh­re­gen, an de­nen wir un­se­re Was­ser­fäs­ser von dem trop­fen­den Se­gel zu fül­len ver­such­ten.

Und im­mer mehr lob­te ich Maud. Ob­wohl ich mich tau­send­mal be­zwin­gen muss­te, um ihr nicht mei­ne Lie­be zu er­klä­ren, wuss­te ich doch, dass dies nicht der Zeit­punkt für eine sol­che Er­klä­rung war. Wenn aus kei­nem an­de­ren Grun­de, so schon al­lein des­halb, weil die Frau, die ich lieb­te, sich un­ter mei­nem Schutz be­fand. So schwie­rig die gan­ze Lage auch war, schmei­chel­te ich mir doch, mei­ne Lie­be durch kein Zei­chen zu ver­ra­ten. Wir wa­ren gute Ka­me­ra­den und wur­den es mit je­dem Tage mehr.

Ei­nes über­rasch­te mich an ihr: ihr un­er­schüt­ter­li­cher Mut. Das furcht­ba­re Meer, das zer­brech­li­che Boot, Stür­me, Lei­den und Ein­sam­keit – al­les das wür­de ge­nügt ha­ben, eine kräf­ti­ge­re Frau zu er­schre­cken, aber es schi­en kei­nen Ein­druck zu ma­chen auf sie, die das Le­ben nur von sei­ner lich­tes­ten Sei­te ken­nen­ge­lernt hat­te, und die trotz ih­rer ho­hen Künst­ler­schaft, ih­rem feu­ri­gen Tem­pe­ra­ment und ih­rem er­ha­be­nen Geis­te doch sanft und zart war. Und doch stimm­te das nicht ganz. Sie fürch­te­te sich wohl, aber sie über­wand ihre Furcht durch ih­ren mo­ra­li­schen Mut. Wohl war ihr Fleisch schwach. Aber ihr Geist, die­se äthe­ri­sche Le­bens­es­senz, ru­hig wie ihre Au­gen und si­cher sei­ner Fort­dau­er im Uni­ver­sum, be­herrsch­te das Fleisch.

Wie­der ka­men Sturm­ta­ge, Tage und Näch­te des Stur­mes, an de­nen uns der Ozean mit sei­nen brül­len­den wei­ßen Schaum­wip­feln be­droh­te und der Wind un­ser rin­gen­des Boot mit Ti­ta­nen­fäus­ten pack­te. Und im­mer wei­ter wur­den wir ge­schleu­dert, im­mer wei­ter nach Nord­os­ten. In ei­nem sol­chen Sturm, dem schlimms­ten, den wir über­haupt er­lebt hat­ten, warf ich zu­fäl­lig einen Blick nach Lee. Was ich sah, konn­te ich zu­nächst kaum glau­ben. Die­se schre­ckens­vol­len, schlaflo­sen Tage und Näch­te hat­ten mich zwei­fel­los wirr ge­macht. Ich blick­te auf Maud, um mich von der Wirk­lich­keit von Zeit und Raum zu über­zeu­gen. Der An­blick ih­rer lie­ben, feuch­ten Wan­gen, ih­res flie­gen­den Haa­res und ih­rer tap­fe­ren brau­nen Au­gen be­wies mir, dass mei­ne Au­gen ge­sund wa­ren. Wie­der wand­te ich den Blick lee­wärts, und wie­der sah ich den vor­sprin­gen­den Fel­sen, schwarz, hoch und nackt, die ra­sen­de Bran­dung, die sich an sei­nem Fuße brach und ih­ren Gischt hoch hin­auf­schleu­der­te, und die schwar­ze, un­heil­ver­kün­den­de Küs­ten­li­nie, die, von ei­nem mäch­ti­gen wei­ßen Gür­tel um­ge­ben, nach Süd­wes­ten lief.

»Maud«, sag­te ich, »Maud!«

Sie wand­te den Kopf und schau­te.

»Es kann doch nicht Alas­ka sein!« rief sie.

»Ach nein«, ant­wor­te­te ich und frag­te: »Kön­nen Sie schwim­men?«

Sie schüt­tel­te den Kopf.

»Ich auch nicht«, sag­te ich. »Dann müs­sen wir eben an Land, ohne zu schwim­men. Es muss ja ir­gend­wo eine Lücke zwi­schen den Klip­pen sein, durch die wir mit dem Boot hin­ein­kön­nen. Aber es gilt, schnell zu sein, sehr schnell – und auf­zu­pas­sen.«

Ich sprach mit ei­ner Zu­ver­sicht, die ich, wie sie wohl wuss­te, nicht be­saß, denn sie blick­te mich mit ih­rem ru­hi­gen Blick an und sag­te:

»Ich habe Ih­nen noch nicht ge­dankt für all das, was Sie für mich ge­tan ha­ben, aber …«

Sie zö­ger­te, als wäre sie im Zwei­fel, wie sie ihre Dank­bar­keit am bes­ten in Wor­te klei­den soll­te.

»Nun?« sag­te ich hart, denn es war mir nicht recht, dass sie mir dan­ken woll­te.

»Sie könn­ten mir gern ein we­nig hel­fen«, lä­chel­te sie. »Ihre Ver­pflich­tun­gen an­zu­er­ken­nen, ehe Sie ster­ben? Si­cher nicht. Wir wer­den nicht ster­ben. Wir wer­den auf die­ser In­sel lan­den und es warm und ge­müt­lich ha­ben, ehe der Tag ver­geht.«

Ich sprach fest, glaub­te aber selbst kein Wort da­von. Aber es war nicht die Furcht, die mich lü­gen ließ. Ich fühl­te kei­ne Furcht, ob­gleich ich si­cher war, den Tod in der ko­chen­den Bran­dung zwi­schen die­sen Fel­sen zu fin­den, de­nen wir uns rasch nä­her­ten. Es war un­mög­lich, Se­gel zu set­zen und von der Küs­te ab­zu­kom­men. Der Wind hät­te das Boot so­fort zum Ken­tern ge­bracht, es wür­de voll­ge­schla­gen sein, so­bald wir in ein Wel­len­tal ge­sun­ken wä­ren; zu­dem schwamm das Se­gel, an die Re­ser­ve­rie­men ge­surrt, als See­an­ker vor uns. Wie ge­sagt: Furcht, dem Tode dort, we­ni­ge hun­dert Schrit­te lee­wärts, zu be­geg­nen, spür­te ich nicht, aber ent­setz­lich war mir der Ge­dan­ke, dass Maud ster­ben soll­te. Mei­ne ver­fluch­te Fan­ta­sie sah sie schon an den Fel­sen zer­schellt und zer­schmet­tert! Ich ver­such­te, mich zu dem Glau­ben zu zwin­gen, dass wir si­cher lan­den wür­den, und so sprach ich denn nicht aus, was ich wirk­lich glaub­te, son­dern was ich gern ge­glaubt hät­te. Ich schreck­te zu­rück vor dem Ge­dan­ken an die­sen furcht­ba­ren Tod, und einen Au­gen­blick spür­te ich den Wunsch, Maud in mei­ne Arme zu neh­men, ihr mei­ne Lie­be zu er­klä­ren, um­schlun­gen mit ihr den letz­ten Kampf aus­zu­fech­ten und zu ster­ben.

In­stink­tiv rück­ten wir auf dem Bo­den des Boo­tes en­ger zu­sam­men. Ich fühl­te, wie sich ihre Hand nach der mei­nen aus­streck­te. Und so er­war­te­ten wir wort­los das Ende. Wir wa­ren nicht weit von der Li­nie, die der Wind mit der west­li­chen Ecke des Vor­ge­bir­ges bil­de­te, und ich be­ob­ach­te­te sie in der Hoff­nung, dass ir­gend­ei­ne Strö­mung uns pa­cken und vor­bei­füh­ren soll­te, ehe wir die Bran­dung er­reich­ten.

»Wir wer­den schon klar kom­men«, sag­te ich mit ei­ner Zu­ver­sicht, die aber we­der mich noch sie täusch­te.

»Bei Gott, wir kom­men klar!« rief ich fünf Mi­nu­ten spä­ter.

Ich hat­te hin­ter dem Vor­ge­bir­ge eine Land­zun­ge ge­sich­tet, und als wir weit ge­nug wa­ren, konn­ten wir deut­lich die Um­ris­se ei­ner Bucht se­hen, die tief ins Land hin­ein­schnitt. Gleich­zei­tig hör­ten wir ein an­dau­ern­des, oh­ren­be­täu­ben­des Ge­brüll. Es glich fer­nem Don­ner und kam aus Lee, über­tön­te das Brau­sen der Bran­dung und fuhr dem Sturm ge­ra­des­wegs in die Zäh­ne.

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