Der tote Malteser

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Der tote Malteser
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Ingo M Schaefer

Der tote Malteser

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Der tote Malteser

Impressum

Grundsätzliches

Für Melanie, meine liebste Große

Der tote Malteser

Der Autor

Kein Zurück Ohne Dich

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Über Balidan

Die Gruppen

Sprüche

Kapitel 1

Kapitel 2

Die Tote im Heidbergbad

Die Tote am Steinkamp

Der Tote an der Lesum

Tödliche Rechnung

Leseproben Romane und Erzählungen von Ingo M. Schaefer

ARTIR - Krieger der Wahrheit

Impressum neobooks

Der tote Malteser

Ein LESUMI

Ingo M. Schaefer

Impressum

Text: ©Copyright by Ingo M. Schaefer 2019

Umschlag: ©Copyright by Ingo M. Schaefer

Fotoquellen: Ingo M. Schaefer

Verlag: Ingo M. Schaefer

Hockenstr. 55

28717 Bremen

info@ingomschaefer.de

Grundsätzliches

Nichts, aber auch gaaar nichts, verbindet meine Krimis mit der real existierenden Polizei, deren Methoden, Zugehörigkeiten oder Instituten.

Alles hier Niedergeschriebene ist frei erfunden: die Figuren, die Handlungen, einfach alles.

Mit einer Ausnahme:

Lesum.

Für Melanie, meine liebste Große

Der tote Malteser

Ich ritt meinen Hightech-Karbon-Alu-Hengst die Halmstraße hoch zur Bördestraße. Es war neun Uhr abends und ich hatte Bereitschaft. Ich bin Karl Nagel, Hauptkommissar und Leiter der Bremer Mordkommission K007. Vor zehn Minuten geschah folgendes:

Äh, Hauptkommissar Nagel!“

Ja?“, fragte ich in den Hörer.

In Lesum, Peenemünder Straße, wurde eine männliche Person tot aufgefunden. Äh, Sie haben ja Bereitschaft …. Sie wissen schon, Lesum, da-“

Bin unterwegs“, unterbrach ich den Kollegen und legte auf. Ich lief in die Knochengrotte hinunter, in der die verführerische Herrscherin einen Oberschenkelknochen zärtlich streichelte. Sie hatte diese neumodischen Stöpsel im Ohr. Sie sah auf und nahm die Pfropfen raus. Deep Purple, hörte ich. Die Musik lief weiter.

In Lesum ist ein Toter gefunden worden“, rief ich.

Oh mein Gott, Karl, und Du hast Bereitschaft!“ Sie klatschte ihre Hände an die Wangen. „Kein Überstundenabbau! Kein Urlaub!“, grinste sie. Ich kam mir ein bisschen verulkt vor. Dann wurde sie ernst. „Karl, unser ganzes gemütliches Lesum verwandelt sich in einen großen Tat-Ort. Mach‘ was dagegen!“Sie stöpselte sich die Mini-Lautsprecher in die Ohren, kam auf mich zu und küsste mich. Highway to Hell drang gedämpft an meine Ohren.

2

Sommer in Lesmona. Seit Wochen trocknete die Sonne die Gärten aus. Das Verbot des Gartensprengens stand kurz vor der Verabschiedung – empfohlen war es schon. Als erstes traf es die Poolbesitzer, die ihre offenen Wasserreservoirs nicht frisch befüllen durften.

Am Ende der Halmstraße angekommen bot mir die Bördestraße an, nach rechts oder links zu fahren. Mir gegenüber lockte der glatte Asphalt und Zeitsparen. Ich zischte in die Treptower Straße und fuhr am Fittjenberg vorbei. Bevor ich die Rotdornallee überquerte, wartete ich auf grün. Ich hatte kein Martinshorn am Lenker. Ich ahnte, ich war der Fahrradfahrer in Bremen, der an einer roten Ampel statt in die Pedale in die Bremse trat.

Vor mir sah ich das riesige Bauareal. Das ehemalige Gebiet der Übergangsbaracken wurde bis auf drei zweistöckige Wohnheime links der Peenemünder Straße und einem baugleichen Wohnhaus komplett abgerissen, um neu und mehrstöckig zu bauen. Supermärkte, Ärztehäuser. Sogar die Bus-Linie 91 wollte man hier durchfahren lassen. Die Rotdornallee mit dem Friedehorst-Areal wurde aus dem Reihenhaus-Dornröschenschlaf gebaggert.

Grillfleisch duftete die Umgebung zu und andere Schalenfeuerdämpfe kratzten in der Nase. An lauwarmen Freitagabenden feuerten die Männer und kokelten die Frauen. Da erinnerte ich mich an heute Nachmittag. Obi-wa-kenn-Obi, in seinem Pass stand Hinnerk, pries mir einen Smoker an. Die Amerikaner zelebrierten im Dampf gegartes Fleisch. Bald würden solche Smoker die deutsche Grillkultur revolutionieren. Mir lief bei seinen Worten ein Wasserfall über die Unterlippe. Meine Hände zuckten bereits, um die Brieftasche heraus zu friemeln, bis meine Frau meinen Rücken als Trommel benutzte, meinen Wasserlauf zum Versiegen brachte und Hinnerks Wörterquelle stilllegte. Marga genügte dazu ein fester Blick. Ich durfte nicht alleine zum Baumarkt, zu meinem Obi-wa-kenn-Obi. Roter Teppich? Ade.

Die Ampel wurde grün, und ich strampelte los. Die Kollegen des Lesumer Reviers sperrten die Straße komplett. Am rechten Straßenrand, ungefähr dreihundert Meter von der Kreuzung entfernt, sah ich einen aufgeklappten Sichtschutz. Doktor Sonja Marker hatte diese Neuerung aus Amerika mitgebracht. Was kam nicht aus dem Kaugummiland? Gelbes Flatterband mit der warnenden Aufschrift in schwarz ,crime scene - don‘t enter‘ , auch das importiert aus Disneys Mutterland, sperrte die Straße vor und hinter dem Fundort. Die Schmalfolie hing in der mit Rauchfleisch und Holzkohle geschwängerten Luft.

Ich hielt vor dem Band, sah die Pathologin knien. Sie winkte mich zu ihr. Ein Schutzpolizist stellte sich mir in den Weg.

„Moin, Karl“, sagte er. „Vorschrift ist Vorschrift.“

„Moin, Hannes.“ Hauptkommissar Hannes Morat war seit Jahr und Tag Bereitschaftspolizist mit Seele und wollte niemals woandershin versetzt werden. Ich zeigte meinen Ausweis. Er winkte seine Leute herbei. Vier Männer und zwei Frauen.

„Warum sitzt du nicht hinterm Schreibtisch?“, fragte ich.

„Wir haben neue Kollegen. Diese Gelegenheit hier“, er zeigte auf den Schirm, „lasse ich nicht entgehen, sie anzulernen. Sie brauchen eine feste Hand.“

Ich wurde vorgestellt.

„Könnt Ihr mir einen Gefallen tun?“, bat ich.

„Welchen?“, fragte er argwöhnisch.

„Verbraucht bitte die ganzen Rollen aus dem Wagen bei jedem Einsatz zehnfach. Umso schneller flattert wieder unser geliebtes Bremer rot - weiß Band.“

Sie lachten. Hannes brachte mich zur Pathologin, nicht ohne Erklärungen an die Neuen. Dann verteilte er sie wieder.

„Moin, Doktor Marker.“ Diesmal betonte ich den Namen.

„Moin, Hauptkommissar Nagel.“ Sie betonte ebenfalls meinen Namen auf die gleiche Art.

Ich ging um den Schirm herum.

Ein Mann, etwa vierzig, lag mit seltsam angewinkelten Beinen auf dem Asphalt. Seine Brust schien auf den Boden geklebt. Sie schob das Hemd des Toten hoch. Um die Hüfte zog sich ein violetter Streifen quer über den Rücken und ein breiterer die Wirbelsäule hoch. Die Hände waren blutig.

„Sieht aus wie ein ...“

„Kreuz, ja“, pflichtete sie mir bei. „Die Tat ist vor kurzem geschehen.“

„Wo kommt das Blut her?“ Der Mann lag in einer Blutlache.

„Ich habe ihn bisher nicht umgedreht. Der Fotograf ist unterwegs.“

„Was ist mit seinen Fingerkuppen?“

Sie nahm eine tote Hand hoch. Die Fingerkuppen waren blutig und rau ausgefranst.

„Schnittwunden. Vielleicht Abwehrwunden eines Messers.“

Ich ging zu meinem Rad und nahm den Strahler ab. Das Licht offenbarte reflektierende runde Flecken. Dem Aberglauben nach machte die Farbe Stiere wütend.

„Hannes!“, rief ich, winkte ihn herbei. „Kommst du bitte mit“, bat ich ihn. „Mach‘ deine Waffe locker!“, befahl ich ihm.

„Wenn du es sagst, Herr Hauptkommissar.“

„Ja, das sage ich, Herr Hauptkommissar.“

3

Auf der linken Seite standen drei Gebäude für Flüchtlinge. Das vierte Haus benutzte die Stadt seit den siebziger Jahren. Hannes und ich kannten die besondere Verwendung des vierten Blocks. Wir warfen uns Blicke zu. Seine Hand ging automatisch zur Pistole. Die Blutstropfen auf den Steinen führten uns zum vierten Wohnhaus. Baugleich wie die anderen drei. Zwei Eingänge, zwei Etagen. Anderer Inhalt. Keine Mehrbettzimmer, keine Gemeinschaftsküche sondern Einzelzimmer mit Waschbecken und Kochgelegenheit. Damit die Bewohner so wenig wie möglich miteinander zu tun hatten.

 

Die Blutspur führte zum zweiten Eingang. Acht Klingeln. Die Haustür hatte eine Klinke. Ich drückte sie herunter und schob die Tür auf. Die Blutstropfen führten zum rechten Gang. Gleich die erste linke Tür. Hannes linker Türrahmen, ich rechter Türrahmen. Ich klopfte mit mulmigen Gefühl. Mein Verdacht sollte sich bestätigen. Die Tür wurde aufgerissen und ein Hüne füllte den Türrahmen aus. In seiner linken Faust hielt er ein langes Messer. Das Heft ragte neben dem Daumen heraus. Die Klinge lag waagerecht und zeigte von uns weg. Er musste zuerst seinen Arm heben, um zuzustechen. Blut bedeckte die Klinge.

„Moin“, sagte ich. Der Mann sah Hannes und plötzlich rollten seine Augen. Er wollte das Messer hochreißen, um es auf Hannes niedersausen zu lassen. Das war sein Pech, weil die Aufwärtsbewegung des Armes jäh endete. Ich trat ihm gegen das Schienbein. Mit der Spitze. Und zog sofort hoch gegen seine Hoden. Des Hünen Kopf sackte auf unsere Brusthöhe herunter. Hannes packte seine Haare und riss ihn nach vorne zu Boden. Der stinkende Wilde lag auf dem Bauch, ohne zu wissen, wie ihm geschah. Hannes trat auf die Messerhand. Wie ein Großwildjäger des neunzehnten Jahrhunderts stellte ich meinen Fuß zwischen die Schulterblätter und drückte den Hünen zu Boden. Meine Lampe hielt ich wie ein Gewehr.

„Der Fotograf ist nie da, wenn man ihn braucht“, sagte Hannes und zog die Hände des Mannes nach hinten. Die Handschellen klickten.

„Der kann nichts ablichten, das atmet“, erwiderte ich.

Der wilde Mann gab auf. Hannes nahm das Messer und rief mit seinem Schulterfunk Verstärkung, die schnell kam. Das Messer glitt in einen Verschlussbeutel. Ich trippelte auf Zehenspitzen in die Wohnung. Bereits im kleinen Flur stank es. Sofort hatte ich den Wunsch Gummischuhe und Latexoverall zu tragen. Die Wände des kahlen Durchgangs waren überschrieben mit Texten und Zitaten. Auf den ersten Blick las ich ein Sammelsurium aus Bibel, Koran und so weiter. Meine Ballerina-Zehen knickten ein. Die Küche war die Quelle der Nasenqual. Keine Messi Wohnung. Auf den ersten Blick sah man keinen Abfall. Der Boden bestand aus einer mal dünnen, mal dickeren Schicht aus Staub, Fett, Schmutz und Undefinierbarem. Von dort schien sich in Schlieren der Belag an den Schränken der siebziger Jahre hochzuziehen. Die Schicht überzog jedes Mobiliar. Ich streifte rasch Handschuhe über, weniger um Fingerabdrücke zu verhindern, sondern um mich selbst zu schützen. Ich hatte Angst zu atmen, weil mir schien, mit jedem Atemzug nahm ich alle weltlichen Erreger auf. Die Tür zum Bad stand auf. Der neue französische Mikrobiologe der Spurg sähe sein Mekka und den Quell zahlloser Artikel und Vorträge über Mikroorganismen dieser und außerirdischer Welten. Würde mich nicht wundern, wenn er den Schmutz-Film als mögliche Vorstufe zur Intelligenz bezeichnete. Material war genug da.

4

An jeder Wand las ich Bibel und Koransprüche, wo in anderen Wohnungen Bilder oder Poster hingen. Manche dick, manche dünn geschrieben. Rache, Schuld, Sühne, Mordbilligung als Verteidigung des Glauben, Flüche auf andere. Ob diese Sprüche jemals in einer Moschee oder einer Kirche erschallten, bezweifelte ich.

Ich suchte einen Personalausweis und fand ihn schließlich. Josef Reiss. Das Plastik schob ich in einen Beutel. Kurz überlegte ich, ob ich ein Bio-Gefahr Etikett darauf kleben sollte. Ich sah mich um und überlegte, was ich der Spurg auftragen sollte. Zumindest war Josef Reiss dringend tatverdächtig, den toten Mann mit seinem Messer verletzt zu haben.

Ich musste erfahren, warum der Mann auf der Straße sterben musste.

„Abführen, Verstärkung ist nötig. Mordversuch an zwei Polizisten. Verdacht auf Mordversuch an unserem Opfer. Herr Reiss, haben Sie den Mann niedergestochen?“

„Er hat mich provoziert.“

„Sie geben zu, ihn getötet zu haben?“

„Er musste bestraft werden. Sie haben am Telefon gelogen. Er war kein Prediger.“

„Wer hat gelogen?“, fragte Hannes.

„Alle!“, schrie Reiss. Er blickte wieder wild und wollte sich aus der Fesselung befreien. Vier kräftige Kollegen hinderten ihn daran.

„Spuckhaube“, befahl ich.

Das ging schneller als gedacht.

„Wenn Sie sich nicht beruhigen, mache ich das“, sagte ich hart. „Ich habe die Möglichkeit. Überlegen Sie, ob Sie aufrecht gehen oder vor Zeugen hinausgetragen werden wollen.“

Ob ich zu ihm drang oder die Haube ihm schlichtweg die Orientierung nahm, konnte niemand sagen. Der Wilde ließ sich abführen.

Margas Schwester, Mitarbeiterin in der Spurg, kam mir entgegen und winkte. Ich winkte zurück.

„Moin, Karl.“

„Moin, Anne. Setz‘ dir drei Mundschütze auf, streife drei, am besten vier Handschuhe über und ziehe die ABC Ausrüstung an. Das wird neu sein.“

„Danke für den Hinweis. Dann lasse ich mich mal überraschen.“

„Da ist wirklich alles versifft.“

„Dann bleiben viele Spuren. Sonja will dich dringend sehen. Sie will die Leiche wenden.“

„Man wartet auf mich?“, fragte ich erstaunt.

Sie zuckte mit der Schulter. Ich lief zur Straße.

„Hauptkommissar Nagel“, winkte die Pathologin mich herbei. Neben ihr stand Yannick.

„Der Tote heißt Matthias Löffler“, sagte sie. „Ein Malteser.“

Der Malteser-Orden.

5

Im Mittelalter hauten sie als Ritter von Gottes oder Papstes Gnaden tagsüber anderen die Arme ab, um am Abend das Schwert gegen Mullverbände einzutauschen. Als das mit Jerusalem nicht klappte, installierten sie Hospitäler und inspirierten Schnapsbrenner. Wenn Luther und die Glaubenskriege nicht passiert wären, hätte der Malteser-Orden das erste weltweit vernetzte Hospitalwesen geschaffen. Die blutige Geschichte trennte sie in Malteser und Johanniter und ließ sie verbissen und ohne Schwerter gegeneinander kämpfen.

Ich bezweifelte ein Malteser Ordensmitglied vor mir liegen zu sehen. Die waren meist adelig, stammten aus den alten Ritterfamilien und predigten nicht. Sie bildeten die Befehlsspitze über das gesamte Netzwerk der Institutionen: Krankenhäuser, Pflegeheime, Hilfsdienste und Vereine.

Yannick hielt einen durchsichtigen Beutel hoch. Darin lag ein Autoschlüssel, den er drückte. Ein weißer Polo erwachte keine zwanzig Meter entfernt. Das achtzackige Malteser-Kreuz zierte die Fahrertür.

„Chef!“, rief ein Mitarbeiter in weißem Overall, sechs Meter von uns entfernt. Yannick ging dorthin. Ich folgte.

Der Mann der Spurg fotografierte eine blutige Arbeitsmappe mit dem Malteser Logo. Nachdem er viele Male blitzlichte, nahm Yannick die Mappe hoch und öffnete sie.

Mein Zweifel bestätigte sich. Kein Ordensmitglied, sondern ein Mitarbeiter des Malteser Hilfsdienstes gGmbh. Das kleine g stand für gemeinnützig.

Ich ging zurück zur Pathologin. Sie drehte den leblosen Körper auf den Rücken. Die gesamte Vorderseite war blutig. Der Mann trug ein dunkelblaues Poloshirt und auf der Brust ein Malteser-Zeichen.

„Eine Stichwunde in der Bauchgegend“, sagte sie und zeigte auf die Stelle. Das Poloshirt zeigte einen Schlitz.

„Ein Messer habe ich gefunden. Das könnten Sie vergleichen. Einen Verdächtigen haben wir verhaftet. Erste Frage: Wie lange ist er tot? Zweite Frage: Ist diese Wunde tödlich? “

„Er starb vor dreißig bis vierzig Minuten. Die Wunde ist tief. Bauchwunden können nach Stunden zum Tode führen. Diese Male am Rücken und diese ungewöhnlich verrenkte Lage der Beine können auf eine Lähmung hindeuten. Meine erste Einschätzung. Hoher Blutverlust durch die Bauchwunde. Moment.“ Sie zog das Shirt hoch. Der Bauch war von Hüfte zu Hüfte aufgerissen. Das Poloshirt verhinderte das Herausquellen der Organe. Doktor Sonja Marker schob schnell das Kleidungsstück zurück. Bauchwunde und Schlitz im Kleidungsstück unterschieden sich.

„Ich warte lieber auf den Bericht“, sagte ich. Das Rätsel sollte die Obduktion lösen.

Sie zuckte mit der Schulter und winkte die wartenden Träger herbei.

6

Im Fahrzeug fand Yannick Ausweis und ein Familien-Foto des Toten mit Ehefrau, einem dreijährigen Mädchen und einem Baby. Die unangenehme Seite meines Jobs. Ich wollte mit einer weiblichen Kollegin hin.

Birte Bechte und Chico Laurentis kamen. Chico fuhr mit der Leiche zur Obduktion. Hannes Leute blieben bei Yannick und seinen Leuten. Ich schob mein Rad in Hannes Mannschafts-Bus und setzte mich neben Birte Bechte. Niemand war erfreut, wenn er Tatorte verließ, um Mordnachrichten zu übermitteln. Früher köpften die Empfänger solcher Informationen die Botschafter mit ihrem Schwert. Deshalb gingen wir zu zweit. Wenn mein Kopf fiel, gab es einen Zeugen, der es bis zum Fahrzeug schaffen konnte.

Wir fuhren nach Burgdamm in die Stavangerstraße. Das Haus war klein und verwunschen. Eine schwarzhaarige Frau öffnete, erwartete nicht uns, sondern jemand, der nie wieder kommen würde.

Lena Löffler brach zusammen. Viele Beileidsbekundungen, zwei Nachbarinnen und Birtes Baldrian Kaffee später hatte sie sich soweit unter Kontrolle, dass sie uns ansehen konnte.

Der Mord zerstörte eine junge Familie.

„Wir haben gerade ein zweites Kind bekommen. Wir wollten gemeinsam alt werden. Wer tut so etwas?“

„Wir haben einen Verdächtigen festgenommen und prüfen die Umstände. Ihr Mann arbeitete für den Malteser Hilfsdienst.“

„Ja, zusätzlich. Nach den Massenentlassungen machte er sich vor vier Jahren selbstständig. Er wollte übers Internet in kleiner Stückzahl handgemachte Backgammon-Spiele verkaufen und besondere Steine. Zu Anfang lief es gut. Eine schlechte Bewertung eines notorischen Nichtzahlers und er kam ins Straucheln. Um ein sicheres Einkommen zu haben, nahm er die Beschäftigung bei den Maltesern an. Er vermittelt den Hausnotruf der Malteser. Wir hatten wieder ein kleines regelmäßiges Einkommen. Die sagten ihm dauernd, dass sie ihn einstellen wollten. Haben sie nicht gemacht. Er … war freiberuflich tätig und zahlte das Benzin selbst.“ Ich hörte Bitterkeit in der Stimme. „Er war der beste Mann, der beste Vater, den eine Frau und Kinder sich wünschen konnten. Er machte uns glücklich, strahlte. Er brachte uns jeden Tag die Sonne nach Hause. Er schrieb wieder Bewerbungen für Festanstellungen.“

Tränen liefen ihr über die Wange.

„Wie muss ich mir diese Tätigkeit für die Malteser vorstellen?“, fragte ich. „Klingelte er an jedem Haus wie ein Scherenschleifer?“

„Nein, die Malteser vereinbarten die Termine. Matthias bekam wöchentlich ein Terminblatt mit den Namen, Adressen und Uhrzeiten. Er wurde angekündigt. Wenn die Menschen einverstanden waren, kam er zu ihnen. Sie erwarteten ihn.“

,Das war kein Prediger, wie sie mir am Telefon versprachen‘ hörte ich den wilden Mann.

Frau Löffler versuchte mir die Arbeit ihres Mannes näher zu bringen.

„Ihm gefiel die Arbeit. Er fand sie sinnvoll. Er sagte, er bringe die Hilfe für Ältere nach Hause. So könnten sie viel länger in ihren bekannten vier Wänden wohnen.“

„Hatte ihr Mann Feinde?“, fragte Birte.

„Nein“, erwiderte die Witwe.

„Er war in der ganzen Nachbarschaft beliebt“, stimmten die Nachbarinnen zu. „Die Männer haben sich immer gegenseitig geholfen. Matthias war immer dabei.“

„Er hatte seinen eigenen Kopf“, meinte Frau Löffler. „Er beschützte uns, fühlte sich für alle hier verantwortlich. Das Gefühl gab er mir von Anfang an. Ich wurde nie enttäuscht.“

„Gut!“, sagte ich und stand auf. Ich verteilte meine Karten. „Alles, was Ihnen einfällt, kann uns helfen. Ich lasse einen Wagen kommen, der Sie abholt, Frau Löffler. Es muss leider sein. Aber sie müssen Ihren Mann identifizieren.“

Sie nickte.

„Brauchen Sie für die Kinder eine Aufsicht? Sollen wir Hilfe holen?“, fragte Birte.

„Wir bleiben hier“, sagten die Nachbarinnen.

Ich nickte und empfand wieder einmal Stolz für mein nachbarschaftliches Bremen-Nord.

Als wir draußen waren, sah Bechte mich an.

„Der Zusammenbruch war echt“, sagte sie, als ob sie mich überzeugen wollte.

„Wir müssen jetzt Sohlenarbeit leisten“, steckte ich den Arbeitsplan ab.

 

8

Drei Stunden später in der sehr viel sauberen und besser riechenden Flüchtlingsunterkunft sahen wir eine Handyaufnahme. Reiss stellte dem davonlaufenden Opfer nach. Der Malteser hielt sich den Bauch, presste die Mappe dagegen. Reiss blieb nach drei, vier Metern stehen und fuchtelte mit dem blutigen Messer. Der Wilde sah hinter dem Flüchtenden nach. Als er zufrieden war, ging er zurück zum Eingang. Dort blickte er zur Straße und schien zu lachen. Dann verschwand er in seine Stinkehöhle.

Ich konnte verstehen, warum man ihn filmte und nicht den weglaufenden Mann. Der Filmer hatte die Polizei gerufen. Ich schickte die Aufnahme in die Spurg.

Ein anderer Flüchtling hörte ein kurz röhrendes und schnell fahrendes Fahrzeug, als ob es startete und sofort auf vollen Touren lief. In einer 30er Zone fiel das auf, wenn nicht ringsum Baustellen wären. Andererseits war es Freitag Abend. Disco-Zeit und Wochenendbeginn. Was hatte Reiss veranlasst zurück zur Straße zu sehen? Was hatte er gesehen?

Ich ging zum vierten Gebäude zum zweiten Eingang und stellte mich hin, wie Reiss zur Straße geschaut hatte. Meinen Blick fotografierte ich. Von hier sah ich den Fundort des Opfers nicht. Die Hausecke stand dazwischen. Was hatte Reiss gesehen? Den Malteser Polo sah ich ebenfalls nicht. Ein startendes Auto? Was war daran besonders?

9

Am nächsten Morgen saßen wir um den Konferenztisch. Markus Stenhagen, Chico Laurentis, Birte Bechte, Rita Hornung, Frederike Talmann und der Staatsanwalt Sebastian Weinhaus.

Zweimal hatten wir versucht irgendetwas aus Josef Reiss herauszubekommen. Er war unberechenbar in seiner Wut und Aggression.

Wir scheiterten daran ihm heimtückischen Mordversuch nachzuweisen. Der Mann war vorbestraft, wurde stets für Verbrechen im Affekt mit der Höchststrafe verurteilt. Zweimal bereits. Seit zwei Monaten war er draußen. Die vierte Gebäudereihe in der Peenemünder Straße beherbergte die entlassenen Schwerverbrecher, die nicht in der Lage waren, eine größere oder eigene Wohnung zu mieten. Bis auf wenige Vorfälle ging das Konzept meist auf. Die eigenen kleinen Zimmer mit Toilette und Kochgelegenheit waren wie eine Zelle. Ins Gefängnis durften sie nicht, weil sie ja entlassen waren, in einem normalen Familienhaus passten sie nicht hinein. Ich stellte mir Reiss in einem Brebau-Komplex wie Auf dem Halm oder an der Hindenburgstraße vor. Innerhalb kurzer Zeit hätte er das Mietshaus und die umliegenden Wohnblöcke leer gemacht. Ein wilder unberechenbarer Mann, der ohne Grund von gleich auf jetzt einen Menschen tötete. Allein im Zimmer war er mit sich selbst beschäftigt. Ihn zog es stets ins Gefängnis zurück. Da brauchte er keine Küche oder Toilette putzen.

Alle Götter waren mit ihm, nicht mit anderen. Dann zitierte er Koran und Bibel, wie er wollte, achtete nicht darauf, ob er sich widersprach.

„Was hat Reiss wohl gesehen?“, fragte Weinhaus.

„Wir warten auf die Autopsie“, zuckte ich mit den Achseln.

„Die Pathologie lässt sich Zeit“, sagte Weinhaus.

„Sie ist eben gründlich“, gab ich schroff zurück. Mit der Zeit wurde meine Haut dünner. Peinliche Stille.

„Was hat die Spurg gefunden?“, fragte der Paragrafenkenner.

„Den Wagen und die Mappe. Keine Reifenspuren. Keine Scheinwerferscherben. Wenn Matthias Löffler auf der Straße getötet wurde, dann fehlen Spuren am Boden. Bisher. Yannick und seine Leute suchen jeden Millimeter ab.“

Ich sah, wie alle Augen zur Tür wanderten. Ich drehte mich um.

Doktor Sonja Marker, die beste Pathologin der Welt.

Entweder hatte sie die Nacht durchgemacht oder geweint.

„Hauptkommissar Nagel, auf ein Wort bitte.“ Sie schien alle anderen nicht zu beachten.

Ich ging auf sie zu und brachte sie in mein Büro. Bevor ich saß, sprudelte sie heraus:

„Ich entbinde Dich von Deinem Versprechen, das ich Dich zwang mir zu geben.“

Ich hob die Hand. Sie verstummte.

„Ich schlage vor, wir begeben uns vorerst auf sicheres Terrain. Was hat die Autopsie Matthias Löfflers ergeben?“

Sie atmete erleichtert aus.

„Mit der Messerwunde hätte er drei oder vier Stunden überleben können. Etwas Kreuzartiges hat ihn von hinten gerammt. Die Querstange traf die Hüfte und brach die Wirbelsäule. Er war sofort gelähmt. Der Stoß erfolgte zuerst unten in der Nierengegend und ließ seinen Oberkörper nach hinten knicken. Da traf der obere Rücken auf die gewölbte senkrechte Stange, den anderen Teil des Kreuzes. Ein zweiter Aufprall sozusagen und der brach die obere Wirbelsäule, nicht das Genick. Die an ihm zerrenden Kräfte waren stark genug, um die kleine Stichwunde zu vergrößern. Wie bei einem fest aufgepumpten Luftballon. Eine Nadel genügt und er platzt der Länge nach auf. Daraus resultierte der hohe plötzliche Blutverlust. Das war sein Tod - nach zehn Minuten. Man hätte ihn retten können, wenn sofort Rettungskräfte da gewesen wären.“

„Scheiße!“, entfuhr es mir. Ich erklärte ihr, was für ein Mensch Matthias Löffler für seine Familie gewesen war. Dann war ich still und sie auch.

10

„Ich will meinen Mädchennamen wieder tragen. Unseren“, platzte sie heraus.

Auf dieser Art Terrain war ich unfähig. Das wusste sie.

„Hatte ich etwas getan?“

Sie rollte mit den Augen - wie unsere Mutter.

„Ich wollte nicht als Deine Schwester Vorteile bekommen. Ich wollte, als ich selbst anerkannt werden.“

„Habe ich was falsch gemacht?“

„Nein, Karl.“

„Also, du hast erreicht, dass man Dich anerkennt. Man schlägt Dich als Leiterin der Gerzin vor. Nur die Eingeweihten wissen Bescheid. Es war dein Wunsch, dass ich dich Doktor Sonja Marker nannte und nicht Schwesterchen. Woher der Sinneswandel?“

„Ich will François heiraten und wir wollen Kinder bekommen. Ich will meine Familie nicht ausschließen“, fügte sie hinzu. „Yannick gehört dazu. Er soll Patenonkel werden.“

„Den kannst du getrost ausschließen, sonst zündeln die mit Schwarzpulver oder wühlen im Müll, bevor sie in den Kindergarten gehen. Was anderes bringt der denen doch nicht bei.“

„Musst du dauernd so über ihn reden?“, rollte sie mit den Augen.

„Ich kenne ihn länger als du und der redet über mich genauso. Das sehe ich dir an, hör also auf zu grinsen.“

„Ich muss seit Jahren dieses Grinsen unterbinden, wenn ich bei einer Leiche knie und Ihr Euch gegenseitig angeschnauzt habt.“

„Lebenslange Freundschaft nennt man das“, betonte ich. Dann schmunzelte ich. „Naja, zumindest hast du mich mehr angelächelt als ihn.“

Wieder dieses Augenrollen.

Ich war auf der Arbeit. Sie ging darauf ein. Wir hatten alles Private geklärt.

„Also, der Reiss hat ihn nicht umgebracht mit einem Messer“, begann ich. „Das Video gibt ihm ein Alibi für den Aufprall. Zudem hätte er ein massives Kreuz vor sich hertragen müssen, um es dem armen Mann in den Rücken zu stoßen.“

„Das hätte er nicht geschafft“, widersprach sie. „Nur ein fahrendes Auto könnte den Bruch und die Male bewirken.“

„Ich suche einen Mini-Truck mit einem Kreuz als Kühlerfigur, oder wie heißen diese amerikanischen Pritschentransporter?“

„Keine Kühlerfigur. Eine Stoßstange!“

Sie hüpfte aus dem Stuhl.

„Bis heute Abend!“

„Was?“, staunte ich.

„Ich habe mit Marga vorhin alles geklärt. Wir kommen heute Abend zum Essen.“

Die Tür schloss sich.

Es dauerte eine Weile, bis ich zu den anderen zurückging. Ich erstattete Bericht.

„Reiss ist also schuldig und unschuldig“, resignierte Weinhaus. „Wäre ja auch zu schön gewesen.“

Ich klatschte in die Hände, weckte alle.

„Holt mir den KFZ-Meister aus der Werkstatt! Die Spurg soll virtuell ausrechnen wie das Rammen und das Knochenbrechen zusammenpassen. Aus was besteht so eine Ramme. Nur Stahl? Wie und wo befestigt man sie am Auto. Welche Marken lassen das überhaupt zu? Fällt sowas auf? Wie müssen wir uns das vorstellen?“

„Das war ein lange geplanter Mord“, meinte Stenhagen.

„So sieht es aus“, gab ihm Hornung recht. „Bestimmt hat Reiss den Aufprall gesehen. Wir haben den Hinweis auf ein schnell fahrendes Fahrzeug. Keinen Augenzeugen.“

„Wenn das Fahrzeug schnell anfährt, Löffler mit der Beschleunigung rammt, warum hinterlässt der Aufprall keine Spuren, Kunststoffbruch, Lackreste, Splitter? Das müssen wir klären.“

„Vielleicht ist der Ort ausgesucht worden“, meinte Bechte.

„Die Malteser müssen uns erklären, warum ein Hausnotruf-Termin für einen gesunden fünfundvierzig Jährigen vereinbart wird. Wer hat das Schaf zur Schlachtbank gelockt?“, gab ich zu bedenken.

11

Am Sonntag beschloss ich meinen Ärger über das gesetzlich vorgeschriebene Nichtstun gleich am Montag morgen an den richtigen Stellen abzulassen.

Die ritterlichen Hospitaliter oder pflegenden Raubritter erreichte ich nicht. Der KFZ-Meister drohte mit Gewerkschaft, als ich ihn aufforderte zu kommen.

Ich saß zwischen Yannick und Chico, die an zwei Tastaturen ein Animationsprogramm mit Daten fütterten. Chico mit den polizeilich-medizinischen und Yannick mit den stofflich-physikalischen Informationen. Die beiden Detailversessenen zu bremsen war mein Job, sonst hätten wir eine Woche dagesessen, bevor Löfflers Avatar zu Boden gefallen wäre.

Heraus kam dann kein hochauflösender Hollywoodstreifen sondern eine Pacman Grafik, die meiner Ansage nach ebenfalls ihren Dienst tat. Selbstverständlich waren die beiden damit unzufrieden und hätten gerne alles besser gemacht. Ich musste Überstunden in der Verwaltung verteidigen.

Das Gebilde, das Löffler digital von hinten zu Tode rammte, ähnelte einem überdimensionalen Rammgitter eines Geländewagens oder Pritschenwagens. Yannick und Chico wechselten sich ab, das kleine Männchen mit stets ähnlichen Ergebnissen von hinten zu Boden zu stoßen.

„Gut“, rief ich den restlichen Tag zum Feiertag aus. „Ihr Zwei greift Euch morgen den Meister. Wenn das Ding so hoch ist, das Löffler bis zum Schulterblatt getroffen wurde, wieso brechen unsere Teile dauernd ab. Berechnet sind Stahl und Eisen. Er wurde nach unten gestoßen. Anders als bei einem üblichen Rammen eines Autos gegen einen menschlichen Körper, der hoch geschleudert wird, wurde Löffler laut Computer durch das hohe Gestell fast waagerecht fort gerammt. Zudem stellen wir fest, dass der Truck nach dem Aufprall nach links ausscherte.