Fremdsprachliches Lernen und Gestalten nach dem Storyline Approach in Schule und Hochschule

Text
Read preview
Mark as finished
How to read the book after purchase
Font:Smaller АаLarger Aa

4.3.4 Die prozessorientierte Periode

Obwohl allseits bekannt ist, dass das Erlernen einer Fremdsprache ein langwieriger Prozess ist und motivationalen Schwankungen unterliegt, werden erst seit etwa der Jahrtausendwende Anstrengungen unternommen, um die dynamischen Prozesse der Motivation beim Sprachenlernen auf der Mikroebene (z.B. Aufgabenmotivation) und der Makroebene (z.B. Unterrichtseinheit, Schuljahr, Lernbiographie) zu analysieren (Dörnyei/Ushioda 2011, 60). Die relativ späte Berücksichtigung des temporalen Aspekts in der fremdsprachenbezogenen Motivationsforschung lässt sich auch damit begründen, dass quantitative Forschungsmethoden (z.B. Gardners AMTB) lange das Feld beherrschten, welche die dynamischen motivationalen Prozesse bei Individuen jedoch nur schwer erfassen können. Mit der Untersuchung des Zeitaspekts wurde zugleich auch der Ruf nach mehr qualitativer Forschung laut. In Anlehnung an Dörnyei/Ushioda (2011) werden nachfolgend die wichtigsten Ansätze und Erkenntnisse aus der prozessorientierten Phase erläutert, wobei insbesondere die Arbeiten von Williams/Burden, Ushioda sowie Dörnyei/Ottó eine führende Rolle einnehmen.

4.3.4.1 Der Faktor Zeit bei Williams und Burden

Williams/Burden (1997) waren unter den ersten, die eine konzeptionelle Unterscheidung trafen zwischen Motivation zum Fremdsprachenlernen (z.B. Absichten, Wünsche, Entscheidungen) und Motivation beim Fremdsprachenlernen (z.B. Gefühle, Verhalten und Reaktionen während des Lernens). Sie begründen diese grundlegende Differenzierung damit, dass Motivation nicht nur das Interesse wecken, sondern auch aufrechterhalten soll, damit Zeit und Energie in die erfolgreiche Umsetzung von Zielen investiert wird. Ihr Motivationsmodell berücksichtigt deshalb drei Stadien des Motivationsprozesses, wobei sich die ersten beiden auf die Initialmotivation beziehen und die dritte Stufe auf die Aufrechterhaltung von Motivation:

First, there are reasons for undertaking a particular activity (...) these will probably involve a mixture of internal and external influences which will be personal to different individuals (...). Second, we consider what is actually involved in deciding to do something: what makes people choose to embark on a particular task and to invest time and energy in it. (...) Third, people need to sustain the effort required to complete the activity to their own satisfaction. This will, of course, take place within a social context and culture which will influence choices made at each stage (Ebd., 121).

Hierbei handelt es sich jedoch nicht um ein lineares Konzept, sondern um ein interaktives Modell, in dem sich die einzelnen Komponenten gegenseitig beeinflussen. Es erinnert an zwei der vier Handlungsphasen in dem von Heckhausen/Gollwitzer (1987) entwickelten Rubikon-Modell, nämlich Intentionsbildung (Abwägen) und Intentionsrealisierung (Handeln), sowie an das Prozessmodell von Dörnyei/Ottó (1998) (vgl. Kapitel 4.3.4.3).

4.3.4.2 Der Faktor Zeit bei Ushioda

Ushioda (2001) untersuchte in einer Langzeitinterviewstudie die Vorstellungen von 20 irischen Französischstudierenden im Hinblick auf deren Motivation sowie Aspekte der motivationalen Entwicklung und Erfahrung im Laufe der Zeit. Sie hat ein Motivationsmodell entwickelt, das den zeitlichen Aspekt sowie zwei verschiedene Studierendentypen widerspiegelt: Person A ist durch positive Erfahrungen motiviert, wohingegen zielgerichtete Aspekte eine untergeordnete Rolle spielen. Im Gegensatz dazu motiviert sich Person B durch konkrete und klare Ziele. Ushioda interpretiert die unterschiedliche Orientierung wie folgt: “Successful language learners may tend to emphasize the motivational impetus of a positive learning history, while those with less illustrious learning histories may tend to emphasize instead the goals and incentives channeling their motivation“ (Ebd., 119). Allerdings betont Ushioda (2001), dass die motivationale Gedankenstruktur von Person B auch ein potenzielles späteres Stadium von Person A darstellen könnte, wenn nämlich zukunftsbezogene Ziele eine größere Rolle spielen bzw. klarer sind. Hier wird also der Prozesscharakter des Modells erkennbar.

Durch ihr Modell vermittelt Ushioda ein neues Bild: Motivation wird nicht mehr nur als Ursache oder Folge von Lernerfolg betrachtet, wie dies die traditionelle Motivationsforschung im Bereich Fremdsprachen vermittelt, sondern als Prozess, denn sie hängt auch davon ab, was Lernende denken oder glauben. Somit besteht für weniger erfolgreiche Lernende durchaus die Möglichkeit, den “vicious circle“ (Ebd., 119) zu durchbrechen und trotz schlechter Lernerfahrungen eine positive Motivation zu entwickeln. Um Selbstmotivation und intrinsische Motivation intensiver untersuchen und fördern zu können, ist laut Ushioda (2001) mehr qualitative Forschung im Bereich der Lernerautonomie erforderlich.

4.3.4.3 Das Prozessmodell von Dörnyei und Ottó

Dörnyei und Ottó (1998) entwickelten ein komplexes Prozessmodell1 der fremdsprachlichen Motivation, welches verschiedene Handlungs- und Motivationsphasen berücksichtigt. Es besteht aus zwei Hauptdimensionen: Handlungsabfolge (action sequence) und motivationale Einflüsse (motivational influences):

The first dimension represents the behavioural process whereby initial wishes, hopes and desires are first transformed into goals, then into intentions, leading eventually to action and, hopefully, to the accomplishment of the goals, after which the process is submitted to final evaluation. The second dimension of the model, Motivational Influences, includes the energy sources and motivational forces that underlie and fuel the behavioural process (Dörnyei/Ushioda 2011, 65).

Dörnyei/Ottó (1998) teilten den motivierten Verhaltensprozess in drei Hauptphasen ein und stützten sich auf Kuhls Theorie der Handlungskontrolle2; auch Einflüsse des von Heckhausen und Gollwitzer entwickelten Rubikon-Modells der Handlungsphasen3 werden deutlich:

1 Präaktionale Phase: Diese Phase führt zur Auswahl des Ziels oder der Aufgabe und wird in drei aufeinanderfolgende Prozesse unterteilt: Zielsetzung, Intentionsbildung und Handlungsinitiierung. Die wichtigsten motivationalen Einflüsse in dieser Phase sind: verschiedene Zieleigenschaften (z.B. Relevanz, Nähe); Werte im Zusammenhang mit Lernprozess, Ergebnis und Konsequenzen; Einstellungen gegenüber der Zielsprache und deren Benutzerinnen und Benutzern; Erfolgserwartung; Überzeugungen und Strategien der Lernenden; Unterstützung oder Zwänge des Umfelds.

2 Aktionale Phase: Diese Phase kann mit der Überschreitung eines metaphorischen Rubikons verglichen werden, indem nun eine Aufgabe in Angriff genommen und ausgeführt wird. In dieser Phase treten drei grundlegende Prozesse in Kraft: subtask generation and implementation (Aufbrechen von Handlungsplänen in kleinere Einheiten und Nahziele), appraisal (Evaluation der Stimuli aus der Lernumgebung sowie Überwachung des Fortschritts im Hinblick auf das Ziel) und action control (Anwendung von verschiedenen Handlungskontrollmechanismen oder Selbstregulierungsstrategien, um Motivation und Lernfortschritt aufrechtzuerhalten). Die wichtigsten motivationalen Einflüsse in dieser Phase sind die Qualität der Lernerfahrung, Gefühl der Autonomie, soziale Einflüsse (Lehrkräfte, Peergruppe, Eltern), Belohnungs- und Zielstrukturen im Unterricht, Wissen und Nutzung von Selbstregulierungsstrategien.

3 Postaktionale Phase: Diese Phase beinhaltet eine kritische Retrospektive und Evaluation der Handlungsergebnisse sowie mögliche Schlussfolgerungen für zukünftige Handlungen. Die Lernenden vergleichen die ursprünglichen Erwartungen und Handlungspläne mit der tatsächlichen Umsetzung und entwickeln Kausalattributionen im Hinblick auf die Resultate. Durch diesen Evaluationsprozess werden interne Standards, handlungsspezifische Strategien für die Zukunft sowie neue Ziele und Intentionen entwickelt. Die größten motivationalen Einflüsse in dieser Phase sind attributionale Faktoren, Selbstkonzeptüberzeugungen sowie externes Feedback und Leistungsbeurteilungen.

Das Modell ist insofern wertvoll, als es vielfältige motivationale Faktoren berücksichtigt, die das fremdsprachliche Lernen in der Schule beeinflussen und meines Erachtens auch bei Storyline-Projekten zum Tragen kommen (vgl. Kapitel 2.3). Fraglich ist allerdings, ob die Abläufe in der Praxis immer so „geordnet“ verlaufen.

4.3.4.4 Wichtige Forschungsfelder und Untersuchungen

Nachfolgend werden einige wichtige Forschungsbereiche aufgeführt, die sich mit der Untersuchung der zeitlichen Dimension von Motivation beschäftigen.

 Globale Veränderungen im Hinblick auf Motivation: Dörnyei/Ushioda (2011, 67f.) verweisen auf Studien, die sich um die Jahrtausendwende mit der Entwicklung von Motivation über einen längeren Zeitraum hinweg (z.B. nach mehreren Lernjahren, in verschiedenen Altersgruppen usw.) beschäftigt haben. Die Ergebnisse entsprechen den Erkenntnissen aus anderen Studien, die in Kapitel 1 bereits thematisiert wurden: “A fairly consistent finding in longitudinal research on student motivation is evidence of some decline in levels of motivation, typically as students progress through the upper years of schooling and face increasing curricular, cognitive and linguistic demands and pressures“ (Ebd., 67).1Einen wichtigen Beitrag für die Ausbildung von Fremdsprachenlehrkräften liefert meines Erachtens die von Marita Schocker-von Ditfurth (2000) durchgeführte qualitative Studie an der PH Freiburg. Dabei wurden Studierende des Faches Englisch auch zum Thema „Lernermotivation“ und zu ihren Erfahrungen während der Schulzeit befragt. Die Resultate stimmen überein mit Forschungsergebnissen aus anderen Studien:Die Studierenden berichten übereinstimmend von einer anfänglich sehr hohen Motivation zum Erlernen der neuen Sprache. Sie begründen ihr Interesse an dem neuen Fach damit, dass sie damit die Erwartung verbinden, ein Kommunikationsmittel zu erwerben, das ihnen den Kontakt mit einer englischsprechenden Weltbevölkerung ermöglicht. (...) Es ist der offensichtliche Anwendungsbezug, der dieses Fach zunächst so reizvoll macht (Ebd., 196).Die anfängliche Begeisterung der (ehemaligen) Schülerinnen und Schüler reduziert sich jedoch schnell. Für den Motivationsverlust nennen die Studierenden in der Retrospektive folgende Gründe (Ebd., 198f.):Fokus des Unterrichts auf die sprachlichen Teilfertigkeiten und deren schriftliche Überprüfung; deshalb Versagensängste und ausbleibende Erfolgserlebnisse.Fokus auf sprachliche Korrektheit statt Inhalt der Äußerungen; aus Angst vor Fehlern weniger Mitarbeit.Erfolgreicher Spracherwerb ist nach Ansicht der beteiligten Lehrkräfte eine Frage der Begabung, so dass sich der Unterricht auf wenige, leistungsstarke Lernende konzentriert.Schocker-von Ditfurth (2000) zieht folgendes Fazit: „Schulischer Fremdsprachenunterricht vermag es nicht, an die anfänglich sehr hohe Motivation zum Erlernen einer neuen Sprache anzuknüpfen. Stattdessen sind Monotonie und Langeweile die bestimmenden Grundgefühle, die mit den Lernerfahrungen im Fremdsprachenklassenzimmer assoziiert werden“ (Ebd., 176). Der Unterricht ist durch das Lehrbuch vorprogrammiert: „Fremdsprachenunterricht wird zu einer Abfolge vorhersehbarer Arbeitsschritte, Überraschungen sind selten. Demgegenüber erfüllt sich die Erwartung an einen lebendigen, abwechslungsreichen Englischunterricht nicht“ (Ebd., 199). Diese eher negativen Lernerfahrungen beeinflussen laut Schocker-von Ditfurth (2000) das berufliche Selbstverständnis der befragten Studierenden: „Es ist ein grundlegendes Anliegen aller, die Fremdsprachenlerner immer wieder motivieren zu können“ (Ebd., 200). Die Studie ist auch insofern interessant, als meine eigenen Untersuchungen daran anknüpfen werden, um zu erforschen bzw. zu belegen, wie motivierend Englischlernen mit dem Storyline Approach sein kann.

 

 Motivation und Lebenslauf: Ein weiteres Forschungsinteresse gilt laut Dörnyei/Ushioda (2011) der Untersuchung von individuellen Veränderungen der Motivation über längere Lebensphasen hinweg (z.B. Schulzeit bis Studium).2 Dabei werden bevorzugt biographische oder autobiographische Forschungsmethoden eingesetzt. Shoaib/Dörnyei (2005) entwickelten diese auf den Lebenslauf bezogene Perspektive weiter, indem sie retrospektive qualitative Interviews mit 25 Englischlernenden im Alter von 18-34 Jahren führten und deren motivationale Schwankungen über einen Zeitraum von mehreren Jahren untersuchten (15 Frauen und 10 Männer aus Europa, Asien und dem Mittleren Osten): “The researchers identified a number of recurring temporal patterns and key transformational episodes affecting motivation, including for example transitions to new life phases (such as leaving school and entering the world of work) or the experience of visiting an English-speaking environment“ (Dörnyei/Ushioda 2011, 68).

 Motivationale Selbstregulierung: Motivation wird in zahlreichen Publikationen in Verbindung mit Autonomie und Lernstrategien betrachtet. Beide Aspekte scheinen sich positiv auf die Motivation von Lernenden auszuwirken, vor allem was die Persistenz anbelangt. Es geht also nicht mehr (allein) um die Frage, wie man Lernende motivieren, sondern wie man sie darin unterstützen kann, dass sie sich selbst motivieren. Diese Perspektive basiert auf der Prämisse, dass Lernende ihre Motivation beeinflussen bzw. kontrollieren und negative Glaubensüberzeugungen konstruktiv überwinden können. Dazu müssen sie nicht nur ein entsprechendes Bewusstsein, sondern auch adäquate Techniken entwickeln.Ushioda (2001) konnte in ihrer oben erwähnten Studie mit französischlernenden Studierenden nachweisen, dass diese verschiedene Denkmuster und Strategien anwenden (z.B. positive Attributionen, eigene Zielsetzungen, Auswahl von intrinsisch motivierenden Aktivitäten), um ihre Motivation beim Sprachenlernen aufrechtzuerhalten. Eine besondere Rolle nimmt dabei die aktive Sprachproduktion ein: “The self-report evidence (...) seems to underline the importance of target language use as a means of reviving flagging spirits and putting learners in touch with their motivation again, when the negative conditions of formal language learning experience take their toll“ (Ebd., 121).Aufschlussreich ist auch die Langzeitstudie von Nakata (2006) mit 288 englischlernenden Studierenden in Japan. Nakata untersuchte die Entwicklungsprozesse von intrinsischer Motivation und Autonomie beim Fremdsprachenlernen sowie die Zusammenhänge zwischen schulischer Erfahrung und der Entwicklung spezifischer Arten von Motivation. Seine Arbeit basiert auf einer sozial-konstruktivistischen Perspektive unter Berücksichtigung der spezifischen Bedingungen in Japan: “The influence of Japanese social, cultural, and contextual issues on learner motivation including Confucian thought, the educational system, and language education“ (Ebd., 272).3 Nakatas Studie erbrachte das Ergebnis, dass sich intrinsische Motivation in einem Lernumfeld entwickelt, das die Interaktion der Lernenden und somit auch die Verwendung der Zielsprache fördert. Ob bzw. inwiefern dies auch für Storyline-Projekte zutrifft, möchte ich durch meine Fallstudien untersuchen (vgl. Teil B).Im Übrigen weist auch Ushioda (2008) darauf hin, dass hier noch Forschungsbedarf herrscht: “Unfortunately, research on how language learners might be brought to think positively and develop skills in motivational self-regulation is still scarce“ (Ebd., 27).

4.3.5 Die sozio-dynamische Periode

Seit einigen Jahren kristallisiert sich in der fremdsprachlichen Motivationsforschung eine neue Phase heraus, welche Ushioda und Dörnyei als sozio-dynamische Periode bezeichnen und zugleich intensiv mitgestalten:

This phase is characterized by a focus on the situated complexity of the L2 motivation process and its organic development in interaction with a multiplicity of internal, social, and contextual factors – that is, a move toward relational or dynamic systems perspectives on motivation (...); and characterized by a concern to theorize L2 motivation in ways that take account of the broader complexities of language learning and language use in the modern globalized world – that is, by reframing L2 motivation in the context of contemporary theories of self and identity (Ushioda/Dörnyei 2012, 398).

Für diesen Wandel gibt es mehrere Gründe, die nachfolgend kurz erläutert werden. Dabei werden auch Überschneidungen mit konstruktivistischen Ansätzen erkennbar (vgl. Kapitel 3):

 Komplexe Zusammenhänge von motivationalen Faktoren: Das von Dörnyei/Ottó (1998) konzipierte Prozessmodell weist laut Ushioda/Dörnyei (2012) zwei gravierende Fehler auf: “(a) it assumes that we can define clearly when a learning process begins and ends; (b) it assumes that the actional process occurs in relative isolation, without interference from other actional processes in which the learner may be simultaneously engaged“ (Ebd., 398). In einer realen Klassenzimmersituation ist es jedoch – anders als unter Laborbedingungen – kaum möglich, Anfang und Ende eines Lernprozesses exakt zu definieren oder gar auszuschließen, dass mehrere Lernprozesse, die sich möglicherweise auch noch gegenseitig beeinflussen, parallel ablaufen. Davon abgesehen ist das Klassenzimmer auch “a social arena“ (Dörnyei 2005, 86), wo Freundschaften gepflegt werden und Prozesse der Identitätsfindung stattfinden.1 Folglich werden kognitive Ziele auch von diversen sozialen Zielen begleitet bzw. beeinflusst. Des Weiteren kann im Hinblick auf Motivation nicht immer eindeutig eruiert werden, was Ursache und was Wirkung ist. Lineare Modelle (wie das Prozessmodell von Dörnyei/Ottó) können also den komplexen dynamischen Prozessen und multiplen Zielen in Lernsituationen nicht gerecht werden.

 Integration von Motivation und sozialem Kontext: Neuere Ansätze in der allgemeinen Motivationspsychologie werden durch situative Perspektiven geprägt, die darauf abzielen, Vorstellungen über das eigene Ich und den Kontext dynamisch und ganzheitlich zu integrieren sowie zu erforschen, wie sich Motivation entwickelt und aus den komplexen Interaktionen zwischen Selbst (self) und Kontext entsteht (Dörnyei/Ushioda 2011, 70).2 Diese Denkströmung hat begonnen, auch die Fremdsprachen zu beeinflussen. Auslöser für die „soziale Wende“ war die zunehmende Kritik an den dominierenden sozial-psychologischen und kognitiven Ansätzen sowie neue Erkenntnisse aus diversen Studien (z.B. mit Gastarbeitern in Europa). Maßgeblich beeinflusst durch Norton (2000), in deren Ansatz Motivation, Identität und Sprache als sozial und historisch situierte Prozesse betrachtet werden, zeichnen sich mittlerweile deutliche Entwicklungen in der Spracherwerbsforschung ab:There is now a considerable body of opinion in our field which suggests that we should view language learning as a sociocultural and sociohistorically situated process, rather than as primarily a cognitive psycholinguistic process (...). This (...) heralds a move away from traditional linear models of contextual and motivational variables to relational and dynamic systems perspectives (Dörnyei/Ushioda 2011, 71).

 Englisch als Weltsprache und lingua franca: Nicht nur die Langzeitstudie von Dörnyei u.a. (2006) mit ungarischen Schulklassen, sondern auch fachspezifische Diskussionen im nächsten Umfeld belegen den Trend, dass Englisch von Lernenden und Eltern zunehmend als “’must-have’ language“ (Dörnyei/Ushioda 2011, 71) betrachtet wird.3 Dies hat auch Auswirkungen auf Konzepte zur Sprachlernmotivation:Grundsätzlich ist zu unterscheiden, ob es sich bei der Zielsprache um Englisch (Weltsprache) handelt oder nicht, da das Beherrschen der englischen Sprache zunehmend als Grundfertigkeit4 wie Rechnen, Lesen und Schreiben betrachtet wird, und folglich andere motivationale Bedingungen vorherrschen als beim Erlernen anderer Sprachen (z.B. Schwedisch). Der Buchtitel von Graddol (2006) – Why Global English May Mean the End of ‘English as a Foreign Language’ – kündigt möglicherweise eine neue Entwicklung an. Dörnyei (2005) schlägt deshalb vor, “to consider the usefulness of introducing a two-tier approach to L2 motivation, focusing on world-language-learning vs. non-world-language-learning separately“ (Ebd., 118).Englisch als Weltsprache bzw. lingua franca hat keine “specific geographically-defined community of speakers“ (Dörnyei/Ushioda 2011, 72), und die Interaktionen finden nicht nur zwischen native und non-native speakers statt. Folglich verlieren traditionelle Motivationskonzepte wie Integrativität oder Einstellungen gegenüber der Zielsprache bzw. Zielkultur zunehmend an Bedeutung, da es keine klare Zielreferenzgruppe mehr gibt, und Englisch (als Grundfertigkeit) nicht mehr an eine spezifische Zielkultur gebunden ist.5 Allerdings ist dieser Einwand meines Erachtens nicht ganz berechtigt, wenn man integrative Orientierung weiter fasst, nämlich als grundsätzliche Offenheit und Toleranz gegenüber anderen Kulturen. Zu Recht stellt auch Riemer (2006) fest, dass sich ohne jegliche Integrativität kaum eine ausgeprägte Motivation vorstellen lässt: „Denn ein Motiv ist noch lange keine Motivation“ (Ebd., 41).

Die sozio-dynamische Periode berücksichtigt also viel mehr als frühere Phasen die Komplexität und Dynamik von Motivationsprozessen beim Sprachenlernen sowie die diversen externen und internen Einflussfaktoren, die wiederum miteinander interagieren. Wie sich später noch zeigen wird, spiegelt diese Neuorientierung auch die vielfältigen, simultanen und sich mitunter gegenseitig bedingenden Motivationsprozesse und -faktoren im Rahmen von Storyline-Projekten wider. Interessanterweise scheint die Motivationsforschung mit ihren Ansätzen zu komplexen dynamischen Systemen nun auch andere (dominante) Bereiche der Spracherwerbsforschung6 zu beeinflussen. Nachfolgend werden einige Schwerpunkte und drei Modelle dieser Phase, die insbesondere von Dörnyei und/oder Ushioda entwickelt wurden, näher beleuchtet.

You have finished the free preview. Would you like to read more?