Fremdsprachliches Lernen und Gestalten nach dem Storyline Approach in Schule und Hochschule

Text
Read preview
Mark as finished
How to read the book after purchase
Font:Smaller АаLarger Aa

4.3 Theorien zur Motivation beim Fremdsprachenlernen
4.3.1 Einleitung

Learning a language is like ... chasing a tram you just missed (Kursmitglied, SS 2013)1

Historisch betrachtet hat die Motivationsforschung im Bereich der Fremdsprachen stets andere Prioritäten gesetzt als die allgemeine Motivationspsychologie, was vor allem mit dem unterschiedlichen Erkenntnisinteresse und dem spezifischen Forschungsgegenstand zusammenhängt: “It does not need much justification that language is more than merely a communication code whose grammar rules and vocabulary can be taught very much the same way as any other school subject“ (Dörnyei 2001a, 13). Stattdessen setzt sich Fremdsprachenunterricht – neben der Vermittlung bzw. Aneignung von Sprache – immer auch mit der Zielkultur auseinander, da Sprache und Kultur eine Einheit bilden: “Therefore, teaching a language can be seen as imposing elements of another culture into the students’ own ‘lifespace’. In order to learn (...) French, students need to develop a French identity: they need to learn to think French and – though only partially and temporarily – also become a bit French“ (Ebd., 14). Eine Fremdsprache zu lernen bedeutet somit stets, Aspekte einer anderen Kultur in das persönliche Verhaltensrepertoire aufzunehmen, was laut Gardner (2010) durch “high levels of integrativeness“ (Ebd., 139) erleichtert wird. Eine Fremdsprache ist zudem kein neutrales Feld, sondern wird durch soziokulturelle Faktoren (z.B. Stereotype usw.) beeinflusst. Kommunikation in der Fremdsprache ist immer auch ein sozialer Akt, der an Normen gebunden ist, und Sprache macht auch einen Teil der menschlichen Identität aus, da sie dazu beiträgt, Gedanken und Wahrnehmung zu organisieren und strukturieren (Ebd., 207).

Im Hinblick auf das Erkenntnisinteresse ist zu berücksichtigen, dass die Motivationspsychologie im Kern untersucht, warum Menschen sich auf eine spezifische Art und Weise verhalten, während sich die Fremdsprachendidaktik auch immer mit der Frage beschäftigt hat, wie Verhalten gesteuert werden kann, also „wie durch unterrichtliche Steuerung Menschen – um es einmal böse zu formulieren – dahin gebracht werden können, das zu tun, was sie eigentlich nicht unbedingt von sich aus tun möchten“ (Kleppin 2001, 219). Im Gegensatz zu anderen Schulfächern ist das Fremdsprachenlernen und -lehren insbesondere durch die folgenden motivationalen und emotionalen Implikationen gekennzeichnet, welche deutlich machen, wie anfällig Sprachenlernen für das Entstehen von Lernkrisen und Demotivation ist:

- Die doppelte Funktion der fremden Sprache als Objekt und als Medium,

- Sequentialität,

- ganzheitliches Eingebundensein,

- Bereitschaft zum Fremdverstehen,

- long-term effort,

- deferred gratification pattern,

- Diskrepanz zwischen Ausdrucksabsicht und Ausdrucksfähigkeit (Düwell 2002, 166).

Insgesamt betrachtet ist die Motivationsforschung im Bereich des Fremdsprachenlernens laut Dörnyei (2001b) gut entwickelt und von hochwertiger Qualität. Auch Helmke u.a. (2008b) bestätigen, dass es in diesem Bereich „eine gut etablierte Tradition empirischer Forschung, allerdings überwiegend im angloamerikanischen Sprachraum“ gibt (Ebd., 244). Im englischsprachigen Kontext hat die empirische Motivationsforschung seit Beginn der 1990er Jahre „einen wahren Boom“ erlebt (Riemer/Schlak 2004, 1); verwiesen wird in diesem Zusammenhang oft auf die Arbeiten von Dörnyei und Team. Aber auch im deutschen Sprachraum gibt es Forschungstätigkeiten2, Foren und Kongresse. Erinnert sei auch an die frühen Publikationen von Macht (1973) oder Solmecke (Hrsg.) (1976; 1983). Allerdings monieren Kleppin (2001) und Abendroth-Timmer (2007), dass die Erforschung der Motivation in der Fremdsprachendidaktik „ein speziell im deutschsprachigen Raum relativ vernachlässigtes Gebiet“ ist (Ebd., 28). Mehr Forschung und Literatur, die sich auf den aktuellen deutschen Kontext beziehen, wären auch aus meiner Sicht wünschenswert; denn Erkenntnisse aus anderen Lern- und Forschungskontexten sind natürlich nicht 1:1 übertragbar.

Nichtsdestotrotz wurde die fremdsprachenspezifische Theoriebildung immer wieder auch von der allgemeinen Motivationsforschung, auf die in dieser Arbeit jedoch nur begrenzt und punktuell eingegangen werden kann, beeinflusst. Dabei lassen sich vier Entwicklungslinien bzw. Phasen ausmachen (Ushioda/Dörnyei 2012):

1 Die sozial-psychologische Periode (social psychological period) (1959-1990)

2 Die kognitiv-situierte Periode (cognitive-situated period) (1990er Jahre)

3 Die prozessorientierte Periode (process-oriented period) (um die Jahrhundertwende)

4 Die sozio-dynamische Periode (socio-dynamic period) (gegenwärtig)

Nachfolgend werden die verschiedenen Strömungen erläutert. Dabei soll schon jetzt darauf hingewiesen werden, dass es auch im Bereich der Fremdsprachen Rivalitäten, Missverständnisse und Grabenkämpfe gab bzw. gibt, wie etwa zwischen Dörnyei und Gardner.

4.3.2 Die sozial-psychologische Periode

Die moderne Motivationsforschung im Bereich des Sprachenlernens verdankt viele Erkenntnisse und Impulse den beiden Sozialpsychologen Wallace Lambert und Robert Gardner, die im Rahmen von zahlreichen Studien den bilingualen Kontext in Kanada erforscht haben.1 Sie vertreten die Meinung, dass in mehrsprachigen Gesellschaften wie Kanada die Motivation zum Erlernen der Zweitsprache entscheidend dazu beiträgt, die interkulturelle Kommunikation und Annäherung (affiliation) zu fördern. Der Ansatz basiert auf der These, dass die Einstellungen (attitudes) von Individuen gegenüber der Zweitsprache und der Sprachgemeinschaft sowie ihre allgemeine ethnozentrische Orientierung einen direkten Einfluss auf ihr Lernverhalten ausüben: “The learner, we argue, must be willing to identify with members of another ethnolinguistic group and to take on very subtle aspects of their behavior, including their distinctive style of speech and their language“ (Gardner/Lambert 1972, 135).

Die Motivationsforschung im Bereich Fremd- bzw. Zweitsprachen2 war somit von Anfang an von einer sozial-psychologischen Perspektive geprägt, die nicht nur den sozialen Lernkontext, sondern auch Einstellungen und Beziehungen zwischen verschiedenen Sprachgemeinschaften in Betracht zog. Andererseits unterschied sie sich gerade deshalb von den damals vorherrschenden individual-kognitiven Motivationstheorien und war somit “radically ahead of its time“ (Ushioda/Dörnyei 2012, 397), denn die Motivationspsychologie begann sich erst in den 1990ern für den sozialen Kontext zu interessieren.3 Lambert und Gardner waren auch insofern Pioniere, als sie nicht-kognitive (d.h. affektive) Faktoren als signifikante Ursache für den unterschiedlichen Erfolg beim Sprachenlernen betrachteten. Bis dahin hatte der Forschungsfokus vielmehr auf kognitiven Faktoren wie Fähigkeit oder Begabung gelegen. Gardner und Lambert dagegen kamen zu der Erkenntnis, “[that] motivational factors can override the aptitude effect“ (Dörnyei 2005, 65). Ihre Publikation aus dem Jahr 1972 hat Theorie und Forschung über zwei Jahrzehnte lang beeinflusst.

4.3.2.1 Gardners sozial-psychologische/sozial-edukative Motivationstheorie

In Gardners sozial-edukativem Modell (socio-educational model), welches als Weiterentwicklung des sozial-psychologischen Modells gilt, wird Motivation als eine Kombination von drei Komponenten betrachtet (Gardner 1985):

 Motivationale Intensität oder Anstrengung (Verhaltenskomponente) plus

 Wunsch, die Sprache zu lernen (kognitive Komponente) plus

 Einstellungen zum Lernen der Sprache (affektive Komponente).

Diese drei Komponenten werden mit Hilfe der so genannten Attitude/Motivation Test Battery (AMTB) gemessen, welche über 130 Fragen bzw. Elemente zur Auswahl anbietet.1 Lernende werden im Hinblick auf die motivationale Intensität beispielsweise zu ihrem Zeit- und Arbeitsaufwand bei den Hausaufgaben befragt. Fragen zum Interesse am Unterricht sollen ermitteln, wie stark der Wunsch ist, die andere Sprache zu erlernen. Des Weiteren werden die Einstellungen gegenüber der Gruppe, welche die zu erlernende Sprache als Muttersprache spricht, untersucht.

Gardner (2010) untersucht mit Hilfe seiner AMTB auch Ängste, denn wie zahlreiche Befunde aus der Sprachlernforschung belegen, gilt Sprachangst (language anxiety) als Hauptursache für Motivationsverlust und Leistungsrückgang (Dörnyei 2001a; Gardner 2010; Oxford 1999), da gerade im Fremdsprachenunterricht ständig die Gefahr des Gesichtsverlusts droht: “The foreign language is the only subject in which one cannot even say a simple sentence without the danger of making a serious mistake“ (Dörnyei 2001a, 88). Gardner (2010) unterscheidet zwischen “language class anxiety“ und “language use anxiety“ (Ebd., 125). Insbesondere pubertierende Teenager schweigen bekanntlich lieber, anstatt sich womöglich vor der Klasse lächerlich zu machen, was zur Folge hat, dass die weitere Entwicklung von Sprachkompetenzen beeinträchtigt wird. Gardner (2010, 140f.) verweist auf diverse Eigen- und Fremdstudien, die diesen Zusammenhang bestätigen. Ob beispielsweise Storyline-Projekte dazu beitragen, besagte Sprachangst zu reduzieren, sollen meine Fallstudien in Teil B zeigen.

Ein Schlüsselthema in Gardners (1985) Motivationstheorie ist die Beziehung zwischen Motivation und Orientierung. Orientierungen sollen Motivation wecken und auf Ziele hinlenken. Sie gelten daher nicht als Teil, sondern als Vorstufe oder Auslöser der eigentlichen Motivation für das Sprachenlernen, was in der Vergangenheit oft missverstanden wurde. Gardners Arbeit wurde insbesondere durch seine Unterscheidung zwischen integrativer und instrumenteller Orientierung bekannt. Um eine integrative Orientierung handelt es sich, wenn eine positive Disposition gegenüber der anderen Sprachgemeinschaft vorhanden ist, also wenn Lernende eine Sprache erlernen wollen, um mit der anderen Sprachgruppe zu kommunizieren oder sich mit der Zielkultur zu identifizieren. Von instrumenteller Orientierung spricht man, wenn externe Ziele und pragmatische Gründe für das Fremdsprachenlernen im Vordergrund stehen (z.B. Prüfungsdruck, höheres Gehalt, Karriere usw.).

 

Gardner hat sich in seiner Forschung vor allem mit dem integrativen Motiv des Sprachenlernens auseinandergesetzt. Dieses Konstrukt besteht aus drei Hauptkomponenten, die bei integrativ motivierten Lernenden alle vorhanden sein müssen (Gardner/MacIntyre 1993):

 Integrativität (integrativeness) (integrative Orientierung, Interesse an Sprachen, Einstellungen gegenüber der Sprachgemeinschaft, welche die andere Sprache spricht);2

 Einstellungen (attitudes) gegenüber der Lernsituation (Bewertung der Lehrkraft und des Kurses);

 Motivation (Wunsch, Anstrengung, Einstellungen in Bezug auf das Lernen der Sprache).

Durch seine Studien gelangt Gardner (2010, 54) schließlich zu folgender Erkenntnis:

Integratively motivated individuals are more active learners, both in the classroom and outside, are more resistant to language attrition (largely through the mediating effects of language use), are more persistent, more likely to seek out innovative programs, and can learn the material more quickly. Both integrative motivation and instrumental motivation can influence achievement, but integrative motivation is more persevering. When instrumental motivation loses its incentive value, it is no longer that functional.

Gardners Modell wurde in der Vergangenheit von verschiedenen Seiten kritisiert, insbesondere im Hinblick auf die Auslegung und Abgrenzung der Begriffe „integrativ“ und „instrumentell“:3 Gilt etwa eine Reise in das Zielland als integrative oder instrumentelle Orientierung? Können sich beide Orientierungen nicht auch in einer Person verbinden, so dass diese Dichotomie hinfällig wird? Laut Kleppin (2001) „wurde auch der Kausalhypothese widersprochen, dass nämlich Motivation die verursachende Kraft des Lernerfolgs darstelle. Der Zusammenhang kann sich durchaus gegenläufig entwickeln“ (Ebd., 221), denn Lernerfolg kann auch Motivation erhöhen. Gardner (2010) selbst hat dies offenbar nie in Frage gestellt: “Which causes what? (...) We will never know!“ (Ebd., 219).

Ein Hauptkritikpunkt an Gardners Modell liegt jedoch darin begründet, dass seine Studien zunächst nur in Kanada, einem offiziell bilingualen Land, durchgeführt wurden, und die Ergebnisse aus diesem spezifischen Zweitsprachenerwerbskontext (Französisch in Kanada) nicht auf andere, vor allem nicht auf institutionelle Kontexte, übertragbar sind. Gardner zeigt sich hier durchaus einsichtig: “Consequently, it has been proposed that a distinction should be made between second and foreign language contexts“ (Ebd., 139). Zu würdigen ist, dass er sein Modell immer wieder empirisch überprüft, modifiziert und aktualisiert (allerdings nie komplett revidiert) hat. Zwischenzeitlich wurde auch eine International AMTB für Englisch als Fremdsprache entwickelt. Eine Studie in Spanien kommentiert Gardner (2010) wie folgt: “The results of this study demonstrate that many of the findings we obtained in Canada apply equally to a European context and to the learning of a global foreign language, viz., English“ (Ebd., 153). Gardner sieht also seine sozial-edukative Motivationstheorie sowie seine Vorgehensweise mit der AMTB im Grundsatz weiterhin bestätigt.

Gardners Modell war trotz aller Kritik wegweisend für die Motivationsforschung. Mit Angriffen, welche insbesondere von Dörnyei, Crookes/Schmidt (1991) und anderen geäußert wurden, setzt er sich in seinem „Epilog“ (Gardner 2010, 201ff.) intensiv und konstruktiv auseinander und räumt mit verschiedenen Missverständnissen und Fehlinterpretationen auf. Auch versucht er, sein Modell gegen andere Konzepte abzugrenzen:

Integrative motivation is an affect-based construct. As described by Dörnyei (2009), however, the concept of the L2 self is a cognition-based construct. (...) That is, it is a model of language classroom motivation; and a cognitively based model at that. The socio-educational model, on the other hand, is a model concerned with the motivation to learn a language, one aspect of which is the individual’s reactions to and behavior in the classroom (Gardner 2010, 174).

Gardners Ziel und Interesse war und ist es, individuelle Differenzen beim Erlernen einer anderen Sprache zu erforschen und nicht etwa Wege der Motivierung aufzuzeigen. Entsprechend kritisch äußert er sich gegenüber Unterrichtsempfehlungen im Stil von Motivationsstrategien, wie sie von Dörnyei propagiert werden: “The point is that the student in the class is not a tabula rasa, ready to be influenced but rather is a very active individual with many pre-conditions that should be considered“ (Ebd., 155). Seine Botschaft erinnert an die in Kapitel 3 aufgeführten konstruktivistischen Ansätze: “Motivation comes from within and although teachers can help to maintain and promote a student’s motivation, they can’t motivate the student. As an old saying goes, ‘You can lead a horse to water but you can’t make it drink.’“ (Ebd., 201). Nichtsdestotrotz muss hier eingeworfen werden, dass in Deutschland und vielen anderen Ländern die zu lernenden Fremdsprachen in der Regel von der Schuladministration vorgegeben sind und Wahlmöglichkeiten – wenn überhaupt – erst zu einem späteren Zeitpunkt angeboten werden. Dass derart strikte Vorschriften problematisch sind, zeigt die langjährige Diskussion in Baden-Württemberg, wo Grundschulkinder entlang der Rheinschiene, und zwar gegen den Willen vieler Eltern, zuerst Französisch lernen müssen, während in anderen Landesteilen und Bundesländern Englisch gelehrt wird.

4.3.2.2 Andere sozial-psychologische Konzepte und Theorien

Auch wenn Gardner und sein Team die sozial-psychologische Periode bestimmten, gab es noch weitere einflussreiche Ansätze, die sich auf das Zweitsprachenlernen in mehrsprachigen Bevölkerungsgruppen beziehen. Da das Erkenntnisinteresse in diesem Fall anders gelagert ist als bei meiner Arbeit, wo es um die Erforschung des Fremdsprachenlernens an deutschen Schulen (nicht jedoch DaZ) geht, und die Resultate aus bilingualen Sprachgemeinschaften nicht wirklich vergleichbar sind mit schulischem Sprachenlernen fernab der Zielkultur, werden einige dieser (inspirierenden) Konzepte hier nur kurz erläutert:

 Theorie des linguistischen Selbstvertrauens (Theory of Linguistic Self-confidence): Dieses Konzept wurde von Clément, Gardner und Smythe (Clément u.a. 1977) in Kanada entwickelt und gilt als “powerful mediating process in multi-ethnic settings that affects a person’s motivation to learn and use the language of the other speech community“ (Dörnyei 2005, 73).1 Quantität und Qualität des Kontaktes zwischen den Mitgliedern der Sprachgemeinschaften spielen nicht nur beim Zweitsprachenerwerb eine herausragende Rolle, sondern auch im Hinblick auf interkulturelle Kommunikation und Identifikation mit der anderen Sprachgemeinschaft. Laut Clément ist linguistisches Selbstvertrauen deshalb “primarily a socially defined construct (in contrast to the cognitive nature of ‘self-efficacy’ in motivational psychology (...)), although self-confidence also has a cognitive component, the ‘perceived L2 proficiency’“ (Dörnyei/Ushioda 2011, 43). Später versuchten Clément und Team den Ansatz auch auf den Fremdsprachenunterricht zu übertragen, wo es zwar wenig direkten, aber über Medien viel indirekten Kontakt mit der Zielkultur gibt.

 Intergruppen-Modell (Intergroup Model): Giles und Byrne (1982) entwickelten ein Konzept, um zu untersuchen, unter welchen Bedingungen ethnische Minderheitengruppen in multikulturellen Kontexten am besten die dominante Sprache lernen und anwenden können. Ein wichtiger Aspekt spielt hierbei das Selbstbild bzw. die Stärke der Identifikation mit der eigenen Minderheit:Where in-group identification, ethnolinguistic vitality and boundaries are strong, members are likely to develop and adopt a second language code that diverges from the standard variety, characterised by, for example, non-standard accent and simplified grammar. On the other hand, where in-group identification, vitality and boundaries are weak, members are more likely to assimilate to the major culture or group and develop a more target-like linguistic code (Dörnyei/Ushioda 2011, 44).

 Theorie der Akkulturation (Acculturation Theory): Schumann (1978; 1986) untersuchte ebenfalls ethnische Minderheiten, und zwar den Prozess der individuellen Akkulturation, also die soziale und psychologische Integration mit der Zielsprachengruppe. Entscheidend für den Zweitsprachenerwerb ist demnach die Intensität des sozialen und psychologischen Kontakts mit der dominanten Gruppe. Laut Gardner (1985) ist diese Theorie jedoch “essentially a model of language non-acquisition in that it describes a number of pressures acting on the individual to inhibit language acquisition“ (Ebd., 137). Dazu zählen individuelle Variablen (z.B. Kulturschock, Sprachschock, Motivation) sowie soziale Variablen (z.B. Integrationsstrategien, Aufenthaltsdauer, kulturelle Kongruenz). Auch wenn Schumann dieses Modell ausdrücklich für natürliche Spracherwerbskontexte entwickelt hatte, kann es laut Gardner (1985) auch auf die Schule angewendet werden.

4.3.3 Die kognitiv-situierte Periode

In den späten 1980er und frühen 1990er Jahren zeichnete sich eine neue Entwicklung in der fremdsprachlichen Motivationsforschung ab, die von verschiedenen Forscherinnen und Forschern – z.B. Skehan (1989) und Crookes/Schmidt (1991) – thematisiert und 1994 in The Modern Language Journal – z.B. von Dörnyei (1994) und Oxford/Shearin (1994) – ausgiebig und lebhaft diskutiert wurde: die “Modern Language Journal debate“ (Dörnyei 2012, 5) gilt als Startschuss für den Beginn der kognitiv-situierten Periode. Diese zeichnete sich laut Ushioda und Dörnyei (2012) durch zwei zusammenhängende Tendenzen aus:

a) the need to bring L2 motivation research in line with cognitive theories in mainstream motivational psychology, and b) the desire to move from the broad macro perspective of ethnolinguistic communities and learners’ general dispositions to L2 learning to a more situated analysis of motivation in specific learning settings (e.g., classrooms) (Ebd., 397).

Im Wesentlichen sollte also durch die Reformbewegung der 1990er Jahre ein stärkerer Fokus auf Motivation in schulischen Lernkontexten gelegt werden. Insbesondere Crookes/Schmidt (1991) hatten Kritik an Gardners Forschungstradition geäußert und forderten ein Motivationskonzept, das sich mehr an der Schulpraxis orientiert. Gardner (2010, 204ff.) nimmt zu den geäußerten Vorwürfen auf mehreren Seiten Stellung: “Classroom motivation and language learning motivation are not the same. (...) The student with high levels of classroom motivation may or may not also be highly motivated to learn the language“ (Ebd., 206). Diese These stimmt natürlich grundsätzlich, dennoch können einzelne Motivationskomponenten nicht einfach ausgeblendet, sondern sollten in ihrer Gesamtheit betrachtet werden.

Während der 1990er Jahre wurde der theoretische Rahmen erweitert, indem Variablen aus den kognitiven Motivationstheorien integriert wurden (z.B. intrinsische Motivation, Selbstwirksamkeit, Attributionen). Des Weiteren ergaben sich neue Entwicklungen im Hinblick auf spezifische Theorien (z.B. Attributionstheorie, Selbstbestimmungstheorie, Autonomietheorie) oder Lernsituationen (z.B. Aufgabenmotivation). In Anlehnung an Dörnyei/Ushioda (2011, 49ff.) werden nachfolgend die wichtigsten Entwicklungen und Forschungsfelder dargestellt.