Fremdsprachliches Lernen und Gestalten nach dem Storyline Approach in Schule und Hochschule

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2.3.3.5 Kooperatives Lernen und Lehren

Wie kann man heterogenen Lerngruppen möglichst gerecht werden? Wie sieht ein Lernort aus, der nicht darauf abzielt, individuelle Unterschiede aufzuheben, und der nicht davon ausgeht, „daß alle Schülerinnen und Schüler zur gleichen Zeit das Gleiche lernen wollen(?)/sollen“ (Rampillon 1994, 60)? Wie können Lernerfolge nachhaltig optimiert werden? Dies sind Fragen, die heute mehr denn je diskutiert werden. Der ausschließliche Einsatz von Frontalunterricht kann sicher keine konstruktive Lösung sein, denn: “One size does not fit all. Children are not standard, so education cannot be standard“ (Letschert 2006, 13).1 Stattdessen müssen vielmehr Lehr-Lernsituationen geschaffen werden, die die Heterogenität von Lerngruppen respektieren und gewinnbringend nutzen. Fest steht: „Je komplexer das System, desto mehr Eigendynamik und Selbstverantwortung muss zugelassen werden“ (Siebert 2005, 80), denn aus konstruktivistischer Sicht lassen sich komplexe Systeme bekanntlich nur bedingt von außen steuern (vgl. Kapitel 3). Aus diesem Grund wird in Storyline-Projekten fast ausschließlich Partner- und Gruppenarbeit (learning communities) praktiziert. Frame (2001) verweist darauf, dass interaktives Arbeiten erfahrungsgemäß zu besseren Lernergebnissen führt: “The learner is not a lone scientist discovering everything anew. The learner constructs knowledge to a higher level when interacting in a group – ‘borrowing’ and ‘sharing consciousness’“ (Ebd., 45). Deshalb führt Storyline-Arbeit immer wieder zu verblüffenden und teilweise unerwarteten Ergebnissen.

Aus dem Unterrichtsalltag ist ferner bekannt, dass viele Schülerinnen und Schüler bei fremdsprachlichen Äußerungen Angst vor möglichen Fehlern und der damit verbundenen öffentlichen Blamage haben (vgl. Kapitel 4.3.2.1 und 4.4.2). Crandall (1999) betont in diesem Zusammenhang nicht nur, dass kooperatives Lernen viele positive affektive Auswirkungen auf das Sprachenlernen hat und gleichzeitig die Entwicklung sozialer und kognitiver Fertigkeiten fördert, sondern sie sieht im kooperativen Arbeiten auch die Chance, Schülerinnen und Schüler nach und nach zu autonomen Lernenden zu befähigen. Dörnyei und Malderez (1999) bezeichnen Lerngruppen im konstruktivistischen Sinn als “stepping stones, training grounds for autonomous continuous learning“ (Ebd., 169) und behaupten, dass durch das Arbeiten in Gruppen viele Prozesse im Klassenzimmer vorhersehbarer und somit weniger bedrohlich werden: “This is true both for ourselves and the students. In addition, we will develop more efficient methods of classroom management as well as learn from and with our students. Working on the group and with the group puts the excitement back into teaching“ (Ebd.). Lernen und Kommunizieren in der Gruppe bereitet also nicht nur Freude und sorgt für eine positive und konstruktive Lernatmosphäre, sondern ermöglicht auch, dass individuelle Lern- und Arbeitsprozesse (aber auch Nicht-Lernprozesse) transparenter werden und dass diese von der Gruppe und der Lehrkraft im Sinne einer community of practice reflektiert und diskutiert werden können (vgl. Kapitel 3.4).

Im Storyline-Klassenzimmer gibt es keine “dead bodies“ (Legutke 1993, 309), die sich gelangweilt isolieren. Auch ist das Lernen und Arbeiten nicht allein auf den Klassenraum beschränkt. Stattdessen findet ein in jeglicher Hinsicht inspirierendes Arbeiten statt, bei dem die individuellen Talente, Begabungen, Interessen, Bedürfnisse und Fähigkeiten der heterogenen Lerngruppe in Form von differenzierenden Lernangeboten berücksichtigt werden und wo kooperatives und ganzheitliches Arbeiten die Regel (und nicht wie üblich die Ausnahme) ist. Die Lernenden setzen sich – oft ohne Zutun der Lehrkraft – eigene Standards, denn die Vorfreude auf die Präsentationen treibt sie an, noch intensiver zu arbeiten, was manchmal sogar in „Stress“ ausartet, wenn ein Produkt nicht rechtzeitig oder nicht den eigenen Vorstellungen entsprechend fertiggestellt werden kann. Andererseits sieht man oft zufriedene und stolze Gesichter, wenn die gemeinschaftlichen Ergebnisse von den anderen Lernenden bewundert werden. Storyline-Klassenzimmer sind Orte mit motivierten Lernenden! Das jedenfalls wird immer wieder beobachtet und berichtet.2 Ob bzw. inwiefern dies auch für die Sekundarstufe I und das hiesige Fremdsprachenlernen zutrifft, sollen meine Fallstudien zeigen (vgl. Teil B).

Kognitive, soziale, affektive, methodische/strategische und andere Lernziele werden im gemeinschaftlichen Arbeiten und Aushandeln quasi spielerisch erfüllt. Darüber hinaus werden kognitive Lernprozesse auch insofern begünstigt, als die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit haben, sich frei im Raum zu bewegen, was nach neueren Erkenntnissen aus der Hirnforschung zu besseren Lernergebnissen führen kann.3 Ein bewegtes Klassenzimmer macht also durchaus Sinn (vgl. Kocher 2003; 2004)!

Da sich die Storyline-Lehrperson in der Regel nicht wie üblich zwischen Tafel und Pult aufhält, scheint es zunächst so, als sei sie nicht im Raum anwesend. Ihre im Vergleich zum traditionellen Unterricht grundverschiedene Rolle ist deutlich erkennbar: Lehrkräfte haben bei Storyline – ganz im konstruktivistischen Sinne – nicht mehr die Funktion der bloßen Wissensvermittlung, sondern werden zu “educational designers“ (Letschert 1992a, 42) mit einem veränderten und erweiterten Spektrum an Tätigkeiten, nämlich mit Aufgaben der Lernberatung, Motivation, Koordination, Organisation, Beobachtung und Evaluation von Lernprozessen: “The teacher is a facilitator, someone learning along with the students, a chairman for their discussions“ (Bell 2001, 6).

Im Storyline-Klassenzimmer sind die Rollen vertauscht: Nicht die Lehrkraft präsentiert und demonstriert ihr Wissen und Können, sondern (sinnvollerweise) die Schülerinnen und Schüler. Diese arbeiten weitgehend selbstständig, während die Lehrkraft die Lerngruppen beobachtet und deren Präsentationen und Lernprozesse förderlich begleitet. Es findet keine einseitige „Belehrung“ statt, sondern – ganz im konstruktivistischen Sinne – kooperatives und eigenverantwortliches Lernen, das zu heterogenen Ergebnissen und äußerst individuellen (viablen) Lösungen führt (vgl. Kapitel 3.4). Bell (2001) verweist in diesem Zusammenhang auf die Dimension des gegenseitigen Respekts (mutual respect) und bezeichnet diesen als Schlüssel zum Erfolg: “Good teaching is about the quality of the partnership between the teacher and the learner“ (Ebd., 5). Dieser Grundsatz hat im Rahmen der Storyline-Arbeit eine ganz essenzielle Bedeutung.

2.3.3.6 Planung, Organisation und Durchführung eines Storyline-Projekts

Wie lassen sich die multiplen und mitunter parallel stattfindenden Prozesse sinnvoll arrangieren und koordinieren, ohne dabei Lehrende und Lernende zu überfordern? Dies ist eine häufig gestellte Frage, die durchaus ihre Berechtigung hat. Ein Großteil der Arbeit findet für Storyline-Lehrkräfte bereits im Vorfeld statt, nämlich wenn ein Thema gemeinsam ausgewählt, eine Geschichte entwickelt, strukturiert und im Hinblick auf die intendierten Lernprozesse vorbereitet wird.

Abb. 4:

Der topic plan: Die Planungsmatrix für ein Storyline-Projekt (Harkness 2007, 21)

Der so genannte topic plan hilft dabei, den Überblick über geplante Prozesse und Produkte zu behalten, ohne jedoch einzuengen. Er zählt zwar nicht unbedingt zu den grundlegenden und unverzichtbaren konzeptionellen Prinzipien, wird jedoch seit jeher von Storyline-Praktizierenden als Planungsvorlage und konkrete Unterrichtshilfe verwendet, dient folglich der Strukturierung des gesamten Unterrichtsprojekts und bietet den Lehrenden während der Projektdurchführung Halt und Sicherheit.

Vorgefertigte topic plans dürfen nicht als Gebrauchsanweisungen bzw. streng zu befolgende Rezepte missverstanden werden, sondern dienen lediglich als grobes Gerüst, das Orientierung und Sicherheit geben, aber andererseits viel Raum für die von der Klasse eingebrachten Ideen, Nebenschauplätze und neuen Handlungsstränge gewähren soll (structured freedom), denn nur dann können die Lernenden die Geschichte als ihre eigene erleben (ownership principle).

Um den roten Faden der Geschichte nicht abreißen zu lassen und den Lerneifer der Schülerinnen und Schüler nicht unnötig zu bremsen, sollten Storyline-Projekte möglichst in Doppelstunden und ohne längere Unterbrechungen durchgeführt werden. Hier zeigt es sich von Vorteil, wenn nur wenige Lehrkräfte in einer Klasse unterrichten, so dass sie ihren Stunden-Pool frei nutzen können, ohne den Ablauf anderer Unterrichtsaktivitäten zu stören. Es bietet sich an, auch Schülerinnen und Schüler im Sinne des selbstverantwortlichen Lernens in vorbereitende Maßnahmen mit einzubeziehen: Bastelmaterial beschaffen, mediale Ausstattung wie Nachschlagewerke und Geräte sicherstellen, Klassenzimmer und Ausstellungsflächen vorbereiten und eventuell die Eltern informieren. So genannte teamleaders organisieren während der Projektdurchführung die Aufgabenverteilung in den Gruppen und zeigen sich für den reibungslosen Ablauf der Gruppenarbeit verantwortlich. Sie unterstützen die Lehrenden bei der Koordination von Gruppenaktivitäten und geben Rückmeldungen über Lernprozesse oder mögliche Lernbarrieren. Auf diese Weise wird das eigenverantwortliche Lernen und das Anwenden metakognitiver Strategien (Lernen lernen) gefördert, während die Lehrkraft entlastet wird.

Ein Storyline-Projekt kann man trotz time limits nie auf die Minute genau vorausplanen, und es ist utopisch, dass alle Lernenden ihre Arbeitsprodukte zur gleichen Zeit fertiggestellt haben. Deshalb muss auch akzeptiert werden, dass manche Schülerinnen und Schüler mehr (oder weniger) produzieren als andere oder eine Storyline-Episode vielleicht bereits einige Minuten vor Stundenende abgeschlossen ist. Als hilfreich und sinnvoll erweist sich das gemeinsame Sammeln gewisser Verhaltensregeln, an die sich die Lernenden halten müssen, um sich gegenseitig nicht bei der Arbeit zu stören. Erfahrungsgemäß fühlen sie sich bei selbst formulierten Regeln eher zum Einhalten verpflichtet als bei auferlegten Leitsätzen, da sie die jeweiligen Begründungen konkret und einsichtig nachvollziehen können.

 

Die Wirkung des ownership principle beeinflusst indes nicht nur die Lernenden, sondern auch die Lehrkräfte nachhaltig: “A teacher who has the idea to be an influential factor in the educational process, will have better results and more satisfaction“ (Letschert 1992b, 15). Eiriksdóttir (2001) resümiert ihre langjährige Storyline-Arbeit mit folgenden Worten: “Our pupils are involved and interested and therefore learn more and this gives the teacher the drive to continue his work with pleasure“ (Ebd., 154). Somit trägt Storyline auch mit dazu bei, die Schule als Lernort und als Arbeitsplatz positiv zu gestalten (vgl. Kapitel 1.5). Ob diese Aussage auch für den hiesigen Kontext und verschiedene Altersgruppen der Sekundarstufe I zutrifft, sollen meine Fallstudien zeigen (vgl. Teil B).

2.4 Storyline und Task-based Language Learning
2.4.1 Einleitung

Here was a child who has knowledge (...). All he needed was an audience and a purpose

(Bell 1995b, 7)

Grundsätzlich kann der Storyline Approach – neben den bereits erwähnten bzw. in Kapitel 3.4 teilweise noch näher erläuterten Kontexten wie Simulationen (z.B. Simulation globale, Szenariendidaktik, Dramapädagogik), narrativen Ansätzen (z.B. Story Approach, Situated Cognition, Anchored Instruction), explizit inhaltsorientierten Ansätzen (z.B. Content-based Instruction1, Content and Language Integrated Learning) oder sozialformorientierten Konzepten (z.B. Cognitive Apprenticeship, Communities of Practice) – auch in die Reihe der aufgabenorientierten Lernarrangements2 und deren Forschungskontext integriert werden, denn das Storyline-Konzept verfolgt in vielerlei Hinsicht ähnliche Prinzipien, wie sie im Rahmen von Task-based Language Learning (TBL) für gelungene Fremdsprachenlernprozesse formuliert werden.3 Andreas Müller-Hartmann und Marita Schocker-von Ditfurth (2004, 50) bezeichnen das Storyline-Modell als Beispiel für eine spezifische Projektform4 und somit als komplexes Aufgabenformat. Sie beziehen sich dabei auf Willis (1996), die insgesamt 6 Aufgabentypen5 unterscheidet: Auflisten; Ordnen und Sortieren; Vergleichen; Problemlösen; Austauschen von persönlichen Erfahrungen; komplexe kreative Aufgaben wie zum Beispiel Projekte. Während sich TBL allerdings eindeutig auf das Aufgabenlösen mit dem Ziel des fremdsprachlichen Lernens bezieht, basiert Storyline auf einem weiter gespannten philosophischen, pädagogischen und psychologischen Rahmenkonzept. Die Implementierung des Storyline-Konzepts im Fremdsprachenunterricht bietet zudem nur eine von vielen Einsatzmöglichkeiten (vgl. Kapitel 2.2.3).

Nachfolgend werden einige Grundzüge des Task-based Approach zusammengetragen und in Bezug zum Storyline Approach gesetzt. Danach werden Parallelen zwischen den beiden Konzepten aufgewiesen, indem einzelne Aspekte und konkrete Beispiele aus Storyline-Projekten in den von Willis (1996) konzipierten TBL-framework übertragen werden. Zum Schluss wird der Stand der fremdsprachenspezifischen Aufgabenforschung kurz skizziert und ein Katalog mit einigen noch offenstehenden Fragen erstellt. Wie sich zudem später noch zeigen wird, überlagern sich Aufgaben- und Motivationsforschung in vielerlei Hinsicht (vgl. Kapitel 4).

2.4.2 Grundzüge des Task-based Language Learning

Der methodische Ansatz Task-based Language Learning entstand in den 1980er Jahren aus der Unzufriedenheit von Erwachsenen mit herkömmlichen Sprachkursen, denn diese vermissten beim institutionalisierten Lernen den direkten Bezug zu alltagsrelevanten Kommunikationssituationen, für deren Bewältigung sie schließlich die Fremdsprache lernen wollten (Müller-Hartmann/Schocker-von Ditfurth 2005). TBL wurde zudem als Alternative zu dem im Sprachunterricht lange vorherrschenden behavioristischen Rahmenkonzept Presentation Practice Production (PPP) entworfen und wird auch als Weiterentwicklung von Communicative Language Teaching verstanden (Richards/Rodgers 2014; Samuda/Bygate 2008). Allerdings stellte dieses Konzept der Aufgabenorientierung im Fremdsprachenunterricht zum damaligen Zeitpunkt nicht etwas grundsätzlich Neues dar, wie beispielsweise auch Burwitz-Melzer (2006), Klippel (2006), Leupold (2006) oder Thaler (2008) zu Recht hervorheben, denn aufgabenorientiertes Lernen war bereits aus der Reform- und Projektpädagogik des ausgehenden 19. bzw. beginnenden 20. Jahrhunderts bekannt.

In den 1980er Jahren kritisierte die Zweitsprachenerwerbsforschung die Konzeption und Vorgehensweise des vorherrschenden inputorientierten und weitgehend linear verlaufenden Fremdsprachenunterrichts mit seinem vordergründigen focus on forms1 und sah im Vergleich zu natürlichen und authentischen Lernumgebungen nicht nur Widersprüche, sondern auch deutliche Defizite, was das Sprachkönnen und Interaktionsvermögen der Lernenden anbelangte (vgl. Ellis 2000; 2003). Im Rahmen der einschlägigen Fremdsprachendidaktik wurden schließlich neue Prinzipien und Perspektiven formuliert, die (im Gegensatz zum bisherigen, detailliert strukturierten schulischen Sprachlernen) einen eher naturalistischen Spracherwerb anvisierten. Diese liegen auch dem Konzept des TBL zugrunde und überschneiden sich weitgehend mit den Zielsetzungen und Kernpunkten des Storyline Approach sowie den allgemein formulierten Ansprüchen an eine konstrukti(vistisch)e Lernumgebung (vgl. Kapitel 3.4). Sie lassen sich wie folgt zusammenfassen (vgl. Kocher 2007; 2016):2

 Sprache als Mittel zur authentischen, mitteilungsbezogenen Kommunikation (statt nur Fokus auf deren Form)

 Komplexe Aufgaben und bedeutungsvolle Aktivitäten (statt lineare Vorgehensweise, kleinschrittige Sprachübungen und sinnentleerte Drills)

 Vielseitige authentische Materialien und Bezug zur außerunterrichtlichen Lebens- und Erfahrungswelt der Lernenden (statt didaktisierte und simplifizierte Texte aus dem Schulbuch, die einer inhaltlichen und grammatischen Progression unterliegen)

 Aktiv handelnde und kreative Sprachlernende in einem kommunikativen und realistischen bzw. realitätsnahen Kontext (statt rezeptive und passive Konsumentinnen und Konsumenten)

 Lernende als Mitglieder von sozialen Gruppen (social agents), in denen durch das gemeinsame Lösen von sinnstiftenden Aufgaben Bedeutungen konstruiert und ausgehandelt werden (statt Still- bzw. Einzelarbeit)

 Neue und vielseitige Rollen für Lernende und Lehrende sowie Schaffung einer positiven Lernumgebung (statt Hierarchie, Belehrung und Machtausübung)

 Fokus auf die individuellen Lernprozesse (statt einseitige Ergebnisorientierung)

 Fokus auf neue Formen der Leistungsmessung und (Selbst-)Evaluation, die nicht nur erkennbare (sprachbezogene) Ergebnisse berücksichtigen, sondern auch individuelle Lernprozesse – und zwar jeglicher Art – einbeziehen (statt eindimensionale Fremdbeurteilung)

Abgesehen von Nunan (1989), Prabhu (1987) und anderen, die bereits in den 1980ern die Rolle von Aufgaben (tasks) im Fremdsprachenunterricht erforschten, war es vor allem Jane Willis, die mit ihrer Veröffentlichung A Framework for Task-Based Learning (1996) ein neues Verständnis von Fremdsprachenlernen und -lehren evozierte und den Ansatz einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machte. In Deutschland waren es – inspiriert durch Hans-Eberhard Piepho – insbesondere Michael Legutke und Christoph Edelhoff, die den methodischen Ansatz in den frühen 1990er Jahren in der Schule erprobten und weiterentwickelten: Geradezu legendär geworden ist das häufig zitierte Airport Project von Legutke und Thiel (1983).3 In jüngster Zeit wird das TBL-Konzept in Deutschland vorwiegend von Andreas Müller-Hartmann und Marita Schocker-von Ditfurth propagiert. Nicht unerwähnt bleiben darf, dass auch in der bildungs- und sprachenpolitischen Diskussion der Aufgabenbegriff verstärkt ins Rampenlicht gerückt ist, und zwar im Zuge der Entwicklung von Kompetenzbeschreibungen für den GER (Europarat 2001) und der Formulierung von nationalen Bildungsstandards.

Nach meiner Recherche stammen die meisten Veröffentlichungen zu TBL – bezogen auf das fremdsprachliche Lernen – aus dem Bereich Englisch als Fremd- bzw. Zweitsprache.4 In Deutschland wird der Ansatz vor allem im Englisch- oder Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht5 eingesetzt und erforscht. Caspari (2006) erwähnt, dass der Ansatz auch in Spanien6 regen Zuspruch erfährt, jedoch „für den französischsprachigen Kontext eine wesentlich geringere Aktivität“ erkennbar ist (Ebd., 34). Im Hinblick auf die diversen Publikationen gewinnt man den Eindruck, dass TBL beinahe rund um den Globus bekannt ist, wenn auch in ganz unterschiedlichen Sprachlernkontexten und konzeptionellen Ausprägungen.7

Bei Task-based Language Learning wird der Fremdsprachenunterricht (wie auch im Rahmen von Storyline-Projekten) auf der Basis von inhaltsorientierten Aufgaben (tasks) konzipiert, die sich von den üblichen Sprachübungen (exercises) deutlich abheben. Eine der Kernannahmen von TBL lautet, dass durch die Teilnahme an zielgerichteten fremdsprachlichen Interaktionen nicht nur bekannte, sondern auch unbekannte Sprachelemente gelernt werden können, und zwar im Zuge des gemeinsamen Aushandelns von Bedeutungen (negotiation of meaning) während der Aufgabenbearbeitung. Anzumerken ist hier jedoch, dass offensichtlich ganz unterschiedliche Auffassungen darüber bestehen, was eine Aufgabe ausmacht, und eine exakte Abgrenzung zu Begriffen wie activity, exercise, drill, test oder auch game scheint schwierig, so dass es sich hierbei wohl eher um einen fließenden Begriff handelt. Hallet und Legutke (2013) bemängeln zu Recht “the terminological fuzziness of the construct“ (Ebd., 3). Stellvertretend werden hier nur Bygate u.a. (2001, 9ff.), Ellis (2003, 2ff.), Samuda/Bygate (2008, 62ff.) und Van den Branden (2006a, 3ff.) genannt, die mehrere und zum Teil sehr unterschiedliche Definitionen von task aufführen und dabei ebenfalls auf die besagte mangelnde Trennschärfe hinweisen.8 So beklagt Van den Branden (2006a), dass “almost anything related to educational activity can now be called a ‘task’“ (Ebd., 3), was auf ein später noch zu thematisierendes Dilemma hinweist.

Was also ist eine Aufgabe? Eine zunächst relativ breite und offene Definition des Aufgabenbegriffs liefern beispielsweise Bygate, Skehan und Swain: “A task is an activity which requires learners to use language, with emphasis on meaning, to obtain an objective“ (Bygate u.a. 2001, 11). Diese Basisdefinition modifizieren die Autoren mehrmals, um sie nach und nach für bestimmte Zwecke zu konkretisieren. Im Vergleich zum Storyline Approach scheint mir jedoch auch diese allgemeine Begriffsbestimmung noch etwas eng gefasst, denn das Bearbeiten von Aufgabenstellungen im Rahmen von Storyline-Projekten erlaubt und integriert neben Sprache (als eines von vielen Kommunikationsmitteln) auch andere und durchaus authentische Ausdrucks- und Darstellungsformen wie Gestik, Mimik, visuelle Darstellungen, Tanz usw., die auf ganz unterschiedliche Art und Weise dem Aushandeln und Vermitteln von Bedeutung dienen können, was schlussendlich eine insgesamt ganzheitlichere Herangehensweise impliziert. Interessanterweise relativiert Skehan seine Aussage später: “This minimalist approach to definition is meant to capture the essential qualities of tasks, i.e. the meaning emphasis and their linkage to an objective“ (Skehan 2007, 291).

Ellis (2003) führt eine Reihe von verschiedenen Kriterien auf, die eine task erfüllen muss. Die folgende Definition scheint in TBL-Fachkreisen als repräsentativ und allgemein anerkannt zu gelten, da sie auffallend häufig zitiert wird: “A task is a workplan. (...) A task involves a primary focus on meaning. (...) A task involves real world processes of language use. (...) A task can involve any of the four language skills. (...) A task engages cognitive processes. (...) A task has a clearly defined communicative outcome“ (Ebd., 9f.).

 

Auch Nunan (2004, 1ff.) vergleicht eine Reihe von Definitionen, um dabei den Unterschied zwischen so genannten real-world tasks (auch target tasks genannt) und pedagogical tasks zu erklären, wobei er letztere dann wie folgt definiert:

A pedagogical task is a piece of classroom work that involves learners in comprehending, manipulating, producing or interacting in the target language while their attention is focused on mobilizing their grammatical knowledge in order to express meaning, and in which the intention is to convey meaning rather than to manipulate form. The task should also have a sense of completeness, being able to stand alone as a communicative act in its own right with a beginning, a middle and an end (Ebd., 4).

Im Vordergrund steht also das Lösen einer bestimmten Arbeitsaufgabe mit realistischem bzw. realitätsnahem Bezug (communicative language use) und nicht – wie traditionell meist üblich – das gezielte Üben von isolierten sprachlichen Elementen (structured language learning). Dabei gilt es zu beachten, dass es „den“ Prototyp von Aufgaben nicht gibt: “There are as many different task types as there are people who have written on task-based language teaching“ (Ebd., 56).9 Stattdessen nennen Müller-Hartmann und Schocker-von Ditfurth (2006) eine Reihe an Qualitätsmerkmalen von Aufgaben und geben somit dem abstrakten Aufgabenbegriff gleichzeitig mehr Gestalt:

Gute Lernaufgaben

 sind authentisch, orientieren sich an für Lerner bedeutsamen Themen und Inhalten, unterstützen das Lernen

 fördern bei den Lernenden ergebnisorientiertes Denken, eigenständige Arbeits- und Rechercheprozesse sowie Bedeutungskonstruktionen, lösen kognitive Prozesse aus

 ermöglichen unterschiedliche Zugänge und Lösungswege, individuelle Erkenntnisse, durch eigene Biografie entstandene Deutungsmuster und Äußerungen

 fördern gesellschaftlich relevante Kompetenzen, entwickeln die Persönlichkeit

 planen eine Lerneraktivität (task as workplan (...))

 integrieren das Vorwissen der Lerner

 nennen den Zweck der task und ein klar definiertes kommunikatives Ergebnis

 verwenden Sprache so, wie sie auch im Alltag vorkommen könnte (real or authentic language use)

 haben einen interaktiven Teil: Routine in Kommunikationsstrategien wie umschreiben, erfragen und klären, Feedback einholen und geben, Kommunikationsprobleme lösen

 sind gleichberechtigt interaktiv

 gestehen den Lernern Wahlfreiheit zu (Ebd., 4).10

Gute Lernaufgaben sollen also das vorhandene Lernpotenzial der Lernenden fördern und eine Herausforderung auf intellektueller, sprachlicher und sozialer Ebene sein. Weskamp (2001, 72f.) erläutert diverse Kriterien für die Analyse und Erstellung von Aufgaben und schlussfolgert: „Eine angemessene Aufgabenstellung (...) ermöglicht optimales Lernen in der zone of proximal development (ZPD)“ (Ebd., 72). Nunan (2004, 85ff.) bezieht sich auf verschiedene Forschungsarbeiten und weist dabei auf mehrere Faktoren hin, die den Schwierigkeitsgrad einer Aufgabe beeinflussen können: diverse Lernerfaktoren, Aufgabenfaktoren und Text- oder Inputfaktoren. Skehan (1996; 1998) führt schließlich drei sprachliche Zielkategorien von Aufgaben auf: fluency (flüssige Sprachproduktion), accuracy (regelgeleitete Sprachproduktion) und complexity (Komplexität der Sprachproduktion durch kontinuierliches Restrukturieren und Erweitern des interlanguage-Systems).

Willis (1996) verweist im Hinblick auf erfolgreiches Sprachenlernen auf die Bedeutung eines förderlich gestalteten Lernkontexts und nennt im Zusammenhang mit Task-based Language Learning drei essenzielle Bedingungen für eine positive Lernumgebung: “the provision of exposure to the target language; the provision of opportunities for learners to use the target language for real communication; and the provision of motivation for learners to engage in the learning process. In addition, focused instruction – drawing attention to language form – will help learners to improve more rapidly and to continue improving“ (Ebd., 19). Diese Prämissen gelten grundsätzlich auch für das Storyline-Klassenzimmer.