Musikeinsatz im Französischunterricht

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Musikeinsatz im Französischunterricht
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Andreas Rauch

Musikeinsatz im Französischunterricht

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

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© 2019 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

www.narr.de • info@narr.de

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-8233-8291-1 (Print)

ISBN 978-3-8233-0177-6 (ePub)

Inhalt

  Vorwort und Dank

  Abkürzungsverzeichnis

  Einleitung

 I. Frühe Formen des Musikeinsatzes im Französischunterricht vor der neusprachlichen ReformbewegungI. 1 Musik im Unterricht der AntikeI. 2 Musik im Unterricht des MittelaltersI. 3 Die Reformation und der Musikeinsatz im FranzösischunterrichtI. 4 Formen des Musikeinsatzes am Straßburger GymnasiumI. 5 Zweisprachige Repertoires von Kirchenliedern in bilingualen ZonenI. 6 Grundlegende Reformideen der Dessauer Philanthropen und die Auswirkung auf den Musikeinsatz im UnterrichtI. 6. 1 Hauchecorne, Rochow und Basedow als Wegbereiter des PhilanthropismusI. 6. 2 Unterrichtsmethodische Entwicklungen bei den Philanthropen Wolke und TrappI. 7 Musikalische Elemente in Salons, Konversationszirkeln, Sprachgesellschaften und DamenordenI. 8 Französischlehrwerke und Grammatiken für weibliche Lernende

 II. Der Musikeinsatz im Französischunterricht im Rahmen der neusprachlichen ReformbewegungII. 1 Die Hochzeit der Grammatik-Übersetzungs-Methode und die Folgen für den MusikeinsatzII. 2 Wegbereiter der neusprachlichen Reformmethode an Real- und höheren MädchenschulenII. 2. 1 Ansätze zu einer naturgemäßen Methode unter Einbeziehung von Musik und ihre institutionelle VerankerungII. 2. 2 Wichtige Vertreter der naturgemäßen Methode und ihr Bezug zum MusikeinsatzII. 2. 3 Von den Sprechübungen zum SingenII. 2. 4 Die ersten umfassenden Formen des LiedeinsatzesII. 3 Viëtors „Trompetenstoß“ und das Vordringen von Sprech- und Gesangstechniken im Rahmen der neusprachlichen ReformbewegungII. 4 Systematische Lauteinführung und -einübung mit Hilfe von LiedernII. 4. 1 Die Phonetik und Quiehls musikalische ÜbungsformenII. 4. 2 Lautschulung mit Hilfe von GrammophonenII. 5. Ausformung didaktischer und bildungstheoretischer Ideen zum SingenII. 6 Intertextuelle, intermediale und kinästhetische Formen des Liedeinsatzes im Rahmen der direkten Methode

 III. Eine nouvelle Querelle des Anciens et des Modernes beim LiedeinsatzIII. 1 Die Vertreter der „Anciens“III. 1. 1 Karl WetzelIII. 1. 2 Ludwig HasbergIII. 1. 3 Johannes SpelthahnIII. 1. 4 Wilhelm RickenIII. 1. 5 Wilhelm KnörichIII. 1. 6 W. KahleIII. 1. 7 Ludwig E. Rolfs und Bartel MüllerIII. 1. 8 Oscar ThiergenIII. 2 Die Vertreter der „Modernes“III. 2. 1 Carl KnautIII. 2. 2 Karl HeineIII. 2. 3 Xavier DucotterdIII. 2. 4 Karl IrmerIII. 2. 5 Ferdinand Simon und Julius StockhausIII. 2. 6 Hanns Heinz Ewers und Marc HenryIII. 2. 7 Gustav ThurauIII. 2. 8 Charles SchweitzerIII. 2. 9 Adolf KlagesIII. 3 Vermittelnde Positionen

  IV. Zusammenfassung

  V. Literaturverzeichnis

Les hommes chantent d’abord, ils écrivent ensuite.

François René de Chateaubriand

Vorwort und Dank

Die Liebe zur Musik und zu den Fremdsprachen hat mich schon seit meiner Kindheit geprägt, einerseits beim Musizieren als Violonist mit meiner Mutter, die mich am Klavier begleitete und als Klavierlehrerin für die Musik sensibilisierte, andererseits während meiner Tätigkeit als Assistant d’allemand des Pädagogischen Austauschdiensts in Maubeuge, im Orchester Arioso 1994 / 1995 oder dann in Laienorchestern in Paris während meiner Zeit als lecteur DAAD an der Université Paris X / Nanterre 2004-2011.

Auch während meines Studiums der Romanistik und Anglistik an der TU Chemnitz und im Referendariat habe ich dieses Thema weiterverfolgt – so widmeten sich bereits meine Erste und Zweite Staatsexamensarbeit dem Einsatz von Liedern im Englischunterricht. Neben meiner Tätigkeit als DAAD-Lektor in Frankreich habe ich dann pädagogisch-didaktische Studientage zum Thema Musique et Littérature sowie musikbezogene Weiterbildungsveranstaltungen für Fremdsprachenlehrer organisiert. Auch in meinen Lehrveranstaltungen an der Université Paris X konnte ich unter anderem ein interdisziplinäres Seminar La musique dans l’espace germanophone anbieten, das sich an der Schnittstelle zwischen Musikwissenschaft, Fremdsprachendidaktik, Kultur-, Literatur- und Sprachwissenschaften befand. Als Mitglied der Société Internationale pour l’Histoire du Français Langue Étrangère ou Seconde (SIHFLES) habe ich mich an Vorträgen und Artikeln über Musik im Französischunterricht beteiligt.

Nach meiner Rückkehr aus Frankreich nahm ich eine Stelle als Fachgruppenleiter Französisch am Zentrum für Fremdsprachen der Technischen Universität Chemnitz an. Parallel dazu suchte ich nach einem geeigneten Betreuer für die Anfertigung einer Dissertation zum Thema Musik im Fremdsprachenunterricht, zu dem ich schon so viele Vorarbeiten geleistet hatte. Herr Prof. Dr. Wolfgang Dahmen, mit dem ich seit Beginn meines Studiums in Kontakt stehe, machte mich an der Friedrich-Schiller-Universität Jena mit Herrn Prof. Dr. Marcus Reinfried bekannt, der sich bereit erklärte, als Doktorvater diese Dissertation zu betreuen. Das vorliegende Buch stellt eine leicht überarbeitete und gekürzte Version meiner Dissertation dar, die im Sommer 2017 an der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena vorgelegt wurde.

Ich danke Herrn Prof. Dr. Reinfried an dieser Stelle ganz besonders. Als ausgewiesener Spezialist für die Geschichte des Fremdsprachenunterrichts hat er mich ausführlich beraten, den Entstehungsprozess meiner Dissertation kontinuierlich begleitet und mir viele wertvolle inhaltliche Hinweise gegeben. Mein ganz herzlicher Dank gilt ebenfalls meinem zweiten Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Wolfgang Dahmen, der bereits zu Beginn meines Studiums nicht nur meine Begeisterung für die Romanistik geweckt, sondern mich auch immer unterstützt sowie in fachlichen und beruflichen Fragen beraten hat.

Danken möchte ich außerdem Herrn Prof. Dr. Franz-Joseph Meißner und Frau Prof. Dr. Hélène Martinez, die als Herausgeber der Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik die Aufnahme in die Reihe befürwortet und mit konstruktiven Ratschlägen begleitet haben. Insbesondere danke ich Frau M.A. Kathrin Heyng vom Narr Francke Attempto Verlag für die verlegerische Betreuung des Manuskripts.

Zu großem Dank bin ich auch der Geschäftsführerin des Zentrums für Fremdsprachen der Technischen Universität Chemnitz, Frau Dr. Angela Minogue, verpflichtet. Ohne ihre Unterstützung, sei es durch die Ermöglichung der Teilnahme an internationalen wissenschaftlichen Tagungen der SIHFLES, durch Stundenabminderungen oder einfach nur durch ihre motivierenden Worte wäre diese Arbeit nicht zustande gekommen.

Auch weiteren Chemnitzer Kollegen bin ich zu Dank verpflichtet: Für die Hilfe beim Übersetzen lateinischer Texte betrifft das Herrn Dr. Burkhard Müller, für Hinweise zu älteren italienischen Quellen Frau Dott.ssa Daniela Giovanardi und Frau Dott.ssa Margherita Romano.

Mein Dank gilt ebenfalls Herrn Dr. Joachim Seifert, der mich bereits während meines Studiums als Betreuer meiner Ersten Staatsexamensarbeit sehr detailliert beraten und mir viele gute Anregungen gegeben hat.

Herzlich möchte ich der Direktorin der Universitätsbibliothek der TU Chemnitz, Frau Angela Malz, für ihre Unterstützung danken.

Ich danke der Leiterin des Archivs der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung Berlin, Frau Dr. Bettina Reimers, für ihre hilfreichen Ratschläge.

Meinen besonderen Dank drücke ich Helga und Jean-Pierre Malherbe aus, durch deren liebevolle und großzügige Unterstützung die Arbeit veröffentlicht werden konnte. Ich danke außerdem Herrn Dr. Yves Métivier für seine Hinweise.

 

Diese Arbeit widme ich in Liebe und dankbarer Erinnerung meinen Eltern Kristina Rauch und Dr. Manfred Rauch.

Chemnitz, im April 2019 Andreas Rauch

Abkürzungsverzeichnis


Bd. Band
bes. besonders
bzw. beziehungsweise
ders. derselbe (Autor)
dies. dieselbe (Autorin) / dieselben (Autoren)
ebd. ebenda
erw. Aufl. erweiterte Auflage
vollst. überarb. u. erw. Aufl. vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage
Hrsg. Herausgeber
Jg. Jahrgang
o. g. oben genannt/e
o. J. ohne Jahresangabe
o. O. ohne Ortsangabe
o. S. ohne Seitenangabe
u. a. und andere / unter anderem
vgl. vergleiche

Einleitung

Das Thema Musik im Fremdsprachenunterricht erfreut sich seit den 1950er Jahren und besonders seit der „kommunikativen Wende“1 der 1970er Jahre zunehmender Beliebtheit.2 Das gilt vor allem für den Anfangsunterricht in der Grundschule bzw. das 5. und 6. Schuljahr, bei dem „ältere ganzheitspsychologische und fachdidaktisch integrative […] Ansätze“3 angewendet werden.

Mit der mehrdimensionalen Erweiterung des Literaturbegriffs durch die Rezeptionsästhetik4 rückt der Einsatz von Liedern als „vertonter Lyrik“5 auch für die Mittel- und Oberstufe in den Mittelpunkt der fachdidaktischen Diskussion: Harald Weinrich untersucht in seinem bahnbrechenden Aufsatz Ein Chanson und seine Gattung6 „die erstaunliche literarisch-musikalische Gattung des Chansons“,7 „eine unverwechselbar französische“8 Mischgattung, für die es keine normative Definition9 gibt. Weinrich betrachtet ein (prototypisches) Chanson,

als ob es ein lyrisches Gedicht wäre, […] ganz von der Melodie abgesehen. Das ist nicht nur aus methodischen Gründen geschehen, sondern findet seine Rechtfertigung auch darin, daß tatsächlich die Melodie in der Gattung Chanson gegenüber dem Text eine untergeordnete Rolle spielt.10

Der Romanist gesteht der musikalischen Komponente im Vergleich zum (Chanson-)Text lediglich eine dienende Rolle11 zu. Friedrich Klotz12 schließt sich Weinrichs Betrachtungen an und bezeichnet das Chanson als „Gattung Poesie“.13 Klotz legt vier verschiedene und von ihm selbst erprobte Methoden für die Chansonbehandlung im Unterricht vor, mit denen „man eine Unterrichtsreihe abwechslungsreich gestalten oder in Einzelstunden auf verschiedene Arten den Schülern diese kleinen Kunstwerke nahebringen kann.“14 Es handelt sich um 1. das Einhören, 2. das Eindenken, 3. Poésie-Chanson (die Interpretation des Chansons wie ein „echtes Gedicht“15) und 4. Chansons – übersetzt.16

Neben der Durchnahme einzelner Chansons schlägt Klotz vor, „Chansons in Reihen zu besprechen (nach welcher der genannten Methoden auch immer).“17 Klotz gibt folgende Themengruppen an: 1. Paris im Chanson, 2. Politik im Chanson, 3. Sozialkritik im Chanson, 4. Édith Piaf, 5. Weitere Themengruppen a) Das Chanson und sein Dichter im Chanson (Trénet / Bécaud), b) Jungsein – Qual und Glück (Neuville / Bécaud), c) Das religiöse Chanson (Chansons des Père Aimé Duval / der Sœur Sourire einerseits und von Brassens / Bécaud andererseits).

In seiner 1975 im Diesterweg-Verlag erschienenen Publikation Das französische Chanson bietet der Literaturwissenschaftler Karl Hölz18 erstmals Modelle für den Unterricht mit dem Chanson an, wobei nach einem historischen Abriss die Chansontexte mit einem Fragenkatalog und Diskussionsthemen versehen sind.19

Im gleichen Verlag wird von Hans Puls und Edmond Jung das Heft La Chanson française contemporaine20 herausgegeben. In ihrem Vorwort unterstreichen die Autoren die Rolle der chanson française als „nouveau genre littéraire“.21

Die 1980 erschienene Schrift des Soziolinguisten Louis-Jean Calvet La chanson dans la classe de français langue étrangère22 leitet einen Paradigmenwechsel im modernen Französischunterricht ein. So überträgt er Karl Bühlers Organon-Modell und Roman Jakobsons Kommunikations-Modell auf den Liedeinsatz im Fremdsprachenunterricht:

Pour qu’un message passe entre un émetteur (E) et un récepteur (R), il faut […] qu’ils aient en commun un code grâce auquel il pourra y avoir encodage et décodage. Ajoutons à cela que les rôles sont réversibles, l’émetteur pouvant devenir récepteur et vice-versa. Que se passe-t-il pour la chanson? Nous pouvons utiliser un schéma très semblable […].23

Neben Wortschatzschulung, Phonetik und Grammatik widmet Calvet ein Kapitel der landeskundlichen Komponente des Liedeinsatzes, das durch die beiden annexes Vingt thèmes de classe de civilisation und eine Mini-Bibliographie von Vingt chanteurs et chanteuses de la „Nouvelle Vague“, also zeitgenössischen auteurs-compositeurs-interprètes, komplettiert wird. In seiner im Folgejahr erschienenen Schrift Chanson et société24 fordert Calvet eine Aufwertung der musikalischen Komponente in Bezug zum Liedtext.25 Volkhard Heinrichs26 nimmt diese Position auf und schlägt insbesondere für die Arbeit mit fortgeschrittenen Lernern der Sekundarstufe II „zwei verschiedene, jedoch methodisch komplementäre Angänge nahe: den über die Musik und den über den vorgetragenen Text.“27

Die wachsende Bedeutung der musikalischen Seite in der Arbeit mit dem französischen Chanson spiegelt sich auch in Dietmar Frickes gleichnamigem Leitartikel28 des Sonderhefts Behandlung von Songs und Chansons wider. Nach Fricke führt die Vernachlässigung der musikalischen Seite des Chansons zu einem „Verlust an inhaltlicher und ästhetischer Information“.29 Fricke plädiert für die Analyse der musikalischen Dimension beim Einsatz von Chansons im Französischunterricht, „denn die Gründe, die trotz allem für die zusätzliche Mühe sprachlicher Bewältigung musikalischer Informationen sprechen“,30 liegen vor allem in der Gattung selbst beschlossen. Sie ist nur als Einheit von Text und Musik rezipierbar.“31 Als Illustration dieser Aussage führt Fricke ein Zitat des bekannten auteur-compositeur-interprète32 Guy Béart an: „La chanson, c’est l’union de l’aveugle – la musique – et du paralytique – les paroles. Sans la musique, les paroles restent paralysées, mais sans les paroles, la musique va n’importe où.“33 Anhand dreier Chansons von Guy Béart, Maxime Le Forestier und Henri Tachan zeigt Fricke die Anwendung der musikalischen Analyse34 bzw. musikalischer Ausdrucksmittel, wobei er als Hilfe ein „Minilexikon musikalischer Begriffe“ in deutsch, französisch, englisch, spanisch und italienisch beifügt.35

Eine methodisch-didaktische Pionierleistung zur inhaltlichen Analyse von Chansontexten gelingt Volkhard Heinrichs in seinem Basisartikel zum Chansoneinsatz in Praxis des neusprachlichen Unterrichts.36 So nutzt er wie Puls / Jung das Interpretationsmodell des commentaire de texte37 und bezieht sich auf den

aus der Informationstheorie abgeleiteten und dem Fremdsprachenunterricht angepaßten artikulatorischen Dreischritt von 1. Informationsentnahme (compréhension), 2. Informationsverarbeitung (analyse) und 3. Informationsbewertung (commentaire) […], dem als fertigkeitsbezogene Lernziele wichtige Kulturtechniken zugrunde liegen.38

Nach diesem Leitartikel veröffentlichte Volkhard Heinrichs von 1980 bis 1987 unter der Rubrik Chansons im Französischunterricht insgesamt 18 Modellvorschläge mit einem Aufgabenapparat und didaktischen Hinweisen in der Zeitschrift Praxis des neusprachlichen Unterrichts.39

Analog zur Trias Compréhension / Analyse / Commentaire wendet der Englischlehrer Wolfgang Biederstädt den Dreischritt Comprehension / Analysis / Discussion zur Inhaltsanalyse von Rocktexten an.40

1986 erscheint im Klett-Verlag die Sammlung Chansons d’aujourd’hui für den Einsatz in der Sekundarstufe II.41 Die Autoren Bernhard Wiehl, Eberhard Haar und Sylvie Schenk knüpfen an den didaktischen Dreischritt von Heinrichs an und erweitern diesen zu Compréhension / Analyse et interprétation / Commentaire et discussion.42 Die sechs Themenschwerpunkte lauten: I. Les jeunes et les vieux, II. Les visages de l’amour, III. La vie en ville et à la campagne, IV. L’individu et la société, V. Les marginaux, VI. La guerre et la paix.

Volkhard Heinrichs plädiert für einen verstärkten Einsatz von französischen Chansons in der Sekundarstufe II anhand einer multimedialen Konstruktion des Chansondossiers,43 als

Kombination aus Chansons als Leitmedium und komplementären Sach-, Hör- und Bildtexten sowie aus fiktionalen Texten zum Thema. Dieses Dossier soll Abstand halten sowohl von einer einseitigen Ausrichtung auf das Chanson oder von Zuliefererdiensten für eine andersartige Sachwissensvermittlung als auch von der reinen Auflockerung des Unterrichts durch gelegentlich eingestreute Chansons.44

Dieser multifunktionale Ansatz wird auch in Liedersammlungen aufgenommen wie beispielsweise derjenigen von Norbert Becker / Volkhard Heinrichs La chanson française: Paroles et musique.45 Die Autoren ergänzen die Arbeitsform des commentaire dirigé progressiv nach der methodischen Trias Compréhension / Analyse / Commentaire personnel mit komplementären Bildtexten (Karikaturen, Fotos) und Travaux pratiques mit Lückentexten, Zuordnungsübungen und Wortschatzarbeit (Vocabulaire thématique sur la chanson).

Auch Henning Düwell und Hannelore Rüttgens46 nutzen die multimediale Konstruktion des Chansondossiers, wobei sie wie Fricke eine Aufwertung der musikalischen Komponente fordern:

Chansons erfordern eine Rezeption von Musik und Text, die in ihrer jeweiligen Komposition und ihrem Zusammenhang Anlaß für verschiedene Formen der Wahrnehmung, Analyse und Verarbeitung bieten. Daher müssen für den mehrdimensionalen Prozeß der Aufnahme und der Auseinandersetzung mit einem Chanson Aufgaben eingesetzt werden, die dieser Vielschichtigkeit gerecht werden. Dies gilt insbesondere für eine adäquate Berücksichtigung der Musikkomponente, die allerdings bei der Behandlung von Chansons im Unterricht nicht voll bewältigt werden kann, weil hierzu bei den Adressaten die erforderlichen Vorkenntnisse häufig nicht vorausgesetzt werden können.47

Bei Düwell / Rüttgens erfolgt der Zugang zu den Chansons in einer an Sievritts angelehnten Stufenfolge: 1. Rezeption (A: Première impression sur la musique et les paroles de la chanson, B: Compréhension globale, C: Compréhension détaillée, D: Compréhension sélective; 2. Reproduktion (A: Reproduction, B: Reproduction – Production); 3. Textproduktion (A: Production, B: Textes supplémentaires, Caricatures, bandes dessinées).48

 

In den 1990er Jahren ist der Einsatz von Chansons und die musikalische Komponente ein fester Bestandteil im Französischunterricht, wobei sich der Fokus auf Moderne Chansons49 der Nouvelle génération française50 bezieht. In seinem Basisartikel Chansons in der Schule – von Brassens und Brel zu Rap und Bruel im o. g. Themenheft Der fremdsprachliche Unterricht Französisch versucht Ralf Böckmann eine Standortbestimmung zur Rolle des französischen Chansons im Französischunterricht mit dem Fazit, dass der Platz des französischen Chansons im Unterricht zwar schon seit langem gesichert ist, wobei er allerdings für den Einsatz aktueller Chansons plädiert, für „Beispiele der 90er Jahre […], Interpreten dieser Tage, die in der frankophonen Welt und darüber hinaus bekannt und beliebt sind, auch solche, die es vielleicht erst bei uns zu entdecken gibt.” So sollte die „didaktische Diskussion über das Was und das Wie […] heute innerhalb des Spannungsfeldes von klassischem französischem Chanson, von Pop, Rap und kommerzieller Medienkultur verlaufen.”51 In seinem Artikel Chansons im Französischunterricht (Schwerpunkt: Sekundarstufe II) im Themenheft Musik und Fremdsprachenunterricht52 zeigt Werner Weilhard methodisch-didakische Möglichkeiten im Bereich des Hörverstehens53 auf:

Hinsichtlich der Methoden des Chansoneinsatzes sollte […] das Prinzip „Vario delectat” [sic] gelten. In jedem Fall unverzichtbar ist im Vorfeld der Planung eine möglichst präzise Klärung der Schwierigkeitsfaktoren und -grade im Lernbereich Hörverstehen.54

Für die Sekundarstufe I gibt Wolfgang Froese Ende der 1980er und bis Ende der 1990er Jahre das beliebte Liederheft En chantant55 heraus, das neben 15 kindgemäßen Chansons traditionnelles56 auch 12 Chansons didactiques57 enthält. Das 1994 im Institut für Didaktik populärer Musik von Karl Rohrbach und Matthias Ganz herausgegebene Werk Chansons pour toi58 besteht aus drei Heften mit 5 CDs, wobei Band 1 einfache Lieder, Kanons, Chansons für die ersten zwei bis drei Jahre Französischunterricht vorstellt. Es dominieren die Chansons traditionnelles. Band 2 enthält Lieder der Nouvelle génération française wie Jean-Jacques Goldman, Michel Fugain, Stephan Eicher und Patricia Kaas. Dazu geben die Autoren handlungsorientierte Aufgabenstellungen vor: (Wir schreiben ein eigenes Chanson).59 Band 3 ist als Lehrerband60 konzipiert und bietet zahlreiche didaktische Hinweise sowie die kompletten Notenarrangements. So beginnt der Lehrerband mit dem Titel Das Lied im Französischunterricht und dem Zitat „Guter Unterricht ist ganzheitlicher Unterricht“.61 Die Autoren beschreiben die gegenseitige Wechselwirkung der linken und rechten Hemisphäre des Gehirns, wobei nach Forschungen der Neurobiologie bei der linken Hirnhälfte die rational-analytische, bei der rechten Hirnhälfte die intuitiv-imaginative Funktion im Mittelpunkt steht:

Das Chanson bietet die Möglichkeit, wieder beide Seiten unseres Bewußtseins anzusprechen: es beinhaltet Musik und Sprache, es weckt Emotionen, entspringt der Realität oder der Phantasie … – kurz: es berührt den ganzen Menschen, nicht bloß den Kopf.62

Der Liedeinsatz im Französischunterricht ermöglicht ein ganzheitliches Lernen – im Pestalozzischen Sinne mit Kopf, Herz und Hand. 2002 erscheint ein Themenheft der Zeitschrift Der fremdsprachliche Unterricht Französisch zu „Sprache und Musik“63 mit einer Auswahlbibliographie, die zeigt, dass Ende der 1990er Jahre diese Interdependenz von Sprache und Musik in mehreren fremdsprachendidaktischen Publikationen thematisiert wird.64

Eine weitere Tendenz der 1990er Jahre ist durch die Interdisziplinarität geprägt: Ursula Mathis organisierte 1993 an der Universität Innsbruck das interdisziplinäre Symposium La chanson française contemporaine. Politique, société, médias, an dem neben den Romanisten namhafte Historiker, Journalisten, Kultur-, Sprach-, Literatur- sowie Musikwissenschaftler und Soziologen beteiligt waren.65

Dieser fachübergreifende, interdisziplinäre Ansatz dominiert auch im 1997 von Norbert Becker herausgegebenen Themenheft zum Chanson.66 Becker prophezeit im Vorwort die Medienrevolution der 2000er Jahre, die durch den Triumph und die Ausbreitung des Internets charakterisiert werden kann, sowie neue Kommunikationsplattformen, die mit Videoclips, mp3, mp4, deezer u. a. ein neues Medienzeitalter einläuten.67

Zum visuellen Medieneinsatz aus einer interdisziplinären Perspektive erscheint auch 1992 Marcus Reinfrieds Dissertationschrift Das Bild im Fremdsprachenunterricht68 als erste lückenlose Darstellung der historischen Entwicklung der visuellen Medien im Französischunterricht. 1996 gibt Gabriele Blell mit Karlheinz Hellwig den interdisziplinären Band Bildende Kunst und Musik im Fremdsprachenunterricht69 heraus und charakterisiert den fremdsprachendidaktischen Zusammenhang wie folgt:

Motivierender Fremdsprachenunterricht beginnt beim Lernenden und seinen Interessen. Der Einsatz von Bildern im Fremdsprachenunterricht ist […] zu einer beliebten und sprachlich produktiven Selbstverständlichkeit geworden. Das gilt insbesondere für Formen mediuminterner Verbindung mit der Fremdsprache: wie z. B. für Bildergeschichten, Cartoons, Comics, Buchillustrationen zu literarischen Texten, Filmen und Videos. Ähnlich verhält es sich mit Musik. Durch elektronische Apparate ist Musik überall. Es gibt auch kaum einen Lernenden, der sich nicht in irgendeiner Form von Musik für das Fremdsprachenlernen motivieren ließe. […]. Die mediumexterne Kombination von Bild und Fremdsprache sowie von Musik und Fremdsprache, d. h. das Sprechen über Bildkunstwerke: Malereien, Graphiken und Collagen – oder über Tonkunstwerke ohne Wort: Programm-Musik und Charakterstücke – war jedoch lange Zeit ein auffällig vernachlässigter Bereich der Fremdsprachendidaktik im neusprachlichen Unterricht.70

Zwei Jahrzehnte nach der kommunikativen Wende kommt Frank G. Königs in Anlehnung an Hans-Eberhard Piephos proklamierter „postkommunikativer Phase”71 nach einer Bestandsaufnahme der Forschungen in der Fremdsprachendidaktik zum Ergebnis, dass diese Neuentwicklungen als Belege für eine „Veränderung des Verständnisses von fremdsprachenunterrichtlicher Kommunikation und natürlich auch von fremdsprachenunterrichtlich bezogener kommunikativer Kompetenz” interpretiert werden können.72 Königs prägt den Begriff „neokommunikativ”, der diese Neuentwicklungen treffender darstelle als „postkommunikativ”.73 Parallel zu Frank G. Königs, dessen Aufsatz in der wenig verbreiteten chilenischen Zeitschrift Taller de letras erschien und deutschlandweit nur in der UB Frankfurt konsultierbar ist, bezeichnete auch Marcus Reinfried diese unterrichtsmethodischen Strömungen in seiner Vorlesung über Methodenkonzeptionen an der damaligen PH Erfurt als „neokommunikativ“.74 Dieser Paradigmenwechsel hin zum neokommunikativen Fremdsprachenunterricht wurde von Reinfried nach einer empirischen Auswertung der Sachregister der Bibliographie Moderner Fremdsprachenunterricht aus drei Jahrzehnten analysiert75, wobei er daraus folgende fünf unterrichtsmethodische Leitprinzipien abgeleitet hat:76

(1) Handlungsorientierung (mit den Unterrichtsformen kooperatives Lernen, kreative Arbeitsformen und Lernen durch Lehren); (2) fächerübergreifender Unterricht (dem der Projektunterricht, die Mehrsprachigkeitsdidaktik und der bilinguale Unterricht zugeordnet werden); (3) ganzheitliches Lernen77 (mit Inhaltsorientierung sowie authentischem und inzidentellem, d. h. beiläufigem Lernen); (4) Lerner- und (5) Prozessorientierung (mit der Individualisierung des Lernens, dem autonomen Lernen und dem reflektierten Einsatz von Lerntechniken).78

Zur Mehrsprachigkeitsdidaktik erschien 1998 ein von Franz-Joseph Meißner und Marcus Reinfried herausgegebener umfangreicher Sammelband.79 Ein Jahrzehnt später verfasste Franz-Joseph Meißner darüber hinaus einen grundlegenden historischen Aufsatz, der sich erstmals der diachronen Perspektive der Mehrsprachigkeitsdidaktik widmete und deren historischen Vorläufern unter semasiologischen und onomasiologischen Aspekten nachging.80

In mehreren Bänden der von Gabriele Blell und Rita Kupetz herausgegebenen Reihe Fremdsprachendidaktik inhalts- und lernerorientiert werden intermediale Korrelationen, d. h. Formen mediuminterner Verbindung mit der Fremdsprache und mediumexterner Kombination von Musik und Fremdsprache thematisiert.81 Die kommunikativen, sprachlichen und kulturellen Interaktionsmöglichkeiten der Neuen Medien zeigt Laurenz Volkmann82 auf in seinem Artikel Überlegungen zum Lernziel Medienkompetenz83 am Beispiel Musikvideoclips. Neben der fremdsprachlich kommunikativen und der interkulturellen Kompetenz plädiert Volkmann für eine semiotische und kulturkritische Kompetenz.84 Die zentrale Rolle von Musikvideoclips im Französischunterricht zeigt sich auch daran, dass Andreas Nieweler 2011 seine Reihe Französisch Innovativ mit dem Band Musik und Videoclips eröffnet.85 In diesem Zusammenhang verweist Nieweler auf das didaktische Potential der Neuen Medien, insbesondere des Internets:86

Mit dem vorliegenden Band werden gezielt Kompetenzen gelehrt und erworben. Die Schüler lernen, Chansons, Lieder und Musikvideoclips87 zu analysieren und produktiv zu nutzen. Sie tauchen dabei ein in eine landeskundlich relevante Vielfalt an Texten und Medien aus dem frankophonen Sprachraum und erweitern ihre Kenntnisse. Das Internet ist eine reichhaltige Informationsquelle für Musik und Künstler. Entsprechende Hinweise für Recherchen werden in den Beiträgen gegeben.88

Die Auswahl der Beiträge zeigt die methodische Vielfalt der thematischen Aspekte,89 die sich mit den Themenheften der 2010er Jahre der Zeitschrift Der fremdsprachliche Unterricht – Französisch90 größtenteils decken.91

Der wachsenden Bedeutung nicht nur von Chansons bzw. Liedern, sondern von Musik im Fremdsprachenunterricht wird dadurch Rechnung getragen, dass die Herausgeberin Carola Surkamp mit Gabriele Blells Beitrag einen separaten Lexikoneintrag diesem Stichwort im Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik widmet.92 Blell fasst folgende didaktische Grundlagen und Prinzipien für den Einsatz von Musik im Fremdsprachenunterricht zusammen: