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La San Felice Band 5

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Der König hatte sich nicht geirrt. Es war in der That der Vortrab der Fliehenden, welche etwas über zwei Meilen in der Stunde zurückgelegt hatten, und wieder in Rom einzuziehen begannen.

Der König hielt sich den Mantel vor das Gesicht und ritt mitten durch sie hindurch, ohne erkannt zu werden.

Einmal aus der Stadt hinaus, schlug der kleine Trupp sich rechts, folgte der Mauer Aurelians, kam an dem Thor San Lorenzo, dann an der Porta Maggiore vorüber, und gelangte endlich an jenes verhängnißvolle Thor San Giovanni, wo der König vor sechzehn Tagen mit so großem Pomp die Schlüssel der Stadt in Empfang genommen hatte.

»Und nun,« sagte Mack, »hier ist die Landstraße, Sire. In einer Stunde werden Sie in Albano sein. Dort sind Sie dann außer aller Gefahr.«

»Sie verlassen mich, General?«

»Sire, meine Pflicht war, vor allen Dingen an den König zu denken. Jetzt ist meine Pflicht, an die Armee zu denken.«

»Gehen Sie und thuen Sie, was Sie können. Was aber auch geschehen möge, so bitte ich Sie, nicht zu vergessen, daß nicht ich es bin, der den Krieg gewollt, und der Sie von Ihren Geschäften, wenn Sie deren in Wien hatten, abgehalten hat, um Sie nach Neapel kommen zu lassen.«

»Ach, leider ist dies sehr wahr, Sire, und ich bin bereit, zu bezeugen, daß es die Königin ist, welche Alles gethan hat. Gott schütze Eure Majestät.«

Mack grüßte den König, setzte sein Pferd in Galopp, und sprengte denselben Weg zurück, welchen er gekommen war.

»Und Dich,« murmelte der König, indem er seinem Pferd die Sporen in die Flanken stieß und die Straße von Albano entlang galoppierte, »und Dich, Dummkopf, hole der Teufel!«

Man sieht, daß seit dem Tage des Staatsraths der König seine Meinung in Bezug auf seinen Obergeneral nicht geändert hatte.

Welche Anstrengungen die zehn Mann der Escorte auch machten, um dem König und dem Herzog von Ascoli zu folgen, so waren doch die beiden vornehmen Cavaliere zu gut beritten, und Ferdinand, welcher den Schritt angab, hatte zu viel Furcht, als daß sie nicht sehr bald einen bedeutenden Vorsprung gewonnen hätten.

Uebrigens darf auch nicht unerwähnt bleiben, daß bei dem Vertrauen, welches Ferdinand zu seinen Unterthanen hatte, er, im Fall irgend eine Gefahr ihm auf dieser Straße gedroht hätte, die Escorte nicht als eine sehr wirksame Hilfe betrachtete, und als der König und sein Begleiter an die nach Albano hinaufführende Anhöhe gelangten, waren die zehn Reiter schon längst wieder umgekehrt.

Während dieses ganzen Rittes ward der König von panischen Befürchtungen beunruhigt. Wenn es auf der Welt irgend einen Ort gibt, welcher, besonders während der Nacht, gespenstische Erscheinungen darbietet, so ist es die Campagna von Rom mit ihren verfallenen Aquaducten, welche im Finstern einhermarschierenden Reihen von Riesen gleichen, mit ihren Grabmälern, welche plötzlich bald rechts, bald links von der Straße emportauchen, und jenem geheimmißvollen Geräusch, welches dem Wehklagen der Schatten gleicht, denen diese Grabmäler zur Wohnung gedient haben.

Jeden Augenblick näherte Ferdinand sein Pferd dem seines Begleiters, raffte die Zügel zusammen, um es, da nöthig, über den Graben setzen zu lassen, und fragte:

»Siehst Du, Ascoli? Hörst Du, Ascoli?«

Und Ascoli, welcher ruhiger war als der König, weil er muthiger war, schaute sich um und antwortete:

»Ich sehe nichts, Sire;« horchte und antwortete: »Sire, ich höre nichts.«

Und Ferdinand setzte mit seinem gewöhnlichen Cynismus hinzu:

»Ich sagte zu Mack, ich wüßte nicht gewiß, ob ich Muth hätte. Wohlan, jetzt bin ich über diesen Punkt mit mir einig. Ich habe bestimmt keinen Muth.«

So kam man in Albano an. Die beiden Flüchtlinge hatten kaum eine Stunde gebraucht, um diesen Weg zurückzulegen.

Es war beinahe Mitternacht. Alle Thüren waren geschlossen, die des Posthauses ebenso wie die anderen.

Der Herzog von Ascoli erkannte es an der über der Thür befindlichen Ueberschrift, stieg vom Pferde und pochte tüchtig an.

Der Postmeister, der schon seit drei Stunden im Bette lag, kam, wie gewöhnlich, übelgelaunt und murrend, um zu öffnen. Ascoli sprach aber jenes magische Wort, welches alle Thore öffnet:

»Seid unbesorgt; man wird Euch gut bezahlen.«

Das Gesicht des Postmeisters klärte sich sofort auf.

»Was befehlen Ihre Excellenzen?« fragte er.

»Einen Wagen, drei Postpferde und einen Postillon, welcher gut fährt,« sagte der König.

»In einer Viertelstunde sollen Ihre Excellenzen alles dies haben, sagte der Postmeister, und setzte dann, da ein feiner Regen zu fallen begann, hinzu:

»Wollen die Herren nicht mittlerweile in mein Zimmer treten?«

»Ja, ja,« sagte der König, dem plötzlich etwas einfiel, »Du hast Recht, ein Zimmer. Schnell ein Zimmer!«

»Und was soll mit Ihren Pferden geschehen, meine gnädigen Herren?«

»Bringt sie in den Stall. Man wird sie in meinem Namen, im Namen des Herzogs von Ascoli, wieder abholen, hörst Du?«

»Ja, Excellenz.«

Der Herzog von Ascoli sah den König an.

»Ich weiß, was ich sage,« bemerkte Ferdinand. »Gehen wir immer und verlieren wir keine Zeit.«

Der Postmeister führte sie in ein Zimmer, wo er zwei Lichter anzündete.

»Ich habe blos ein Cabriolet zur Verfügung,« sagte er.

»Nun gut, dann nehmen wir das Cabriolet, wenn es nur gut und dauerhaft ist.«

»O, das ist es, Excellenz! Man könnte damit bis in die Hölle fahren.«

»So weit führt unser Weg uns hoffentlich nicht und die Sache ist gut.«

»Dann werden Sie mir also mein Cabriolet abkaufen meine gnädigen Herren?«

»Nein, das nicht; wir lassen Dir aber unsere beiden Pferde da, welche fünfzehnhundert Ducati kosten, Dummkopf.«

»Dann sind die Pferde also mein?«

»Wenn man sie Dir nicht wieder abverlangt. Verlangt man sie zurück, so wird man Dir dein Cabriolet bezahlen; mach' aber nun schnell!«

»Sogleich, sogleich, Excellenz.«

Und der Wirth, welcher nun den König ohne Mantel und seine Brust ganz mit Orden bedeckt sah, entfernte sich, indem er rücklings und sich bis zur Erde verneigend sich zur Thür hinausbewegte.

»Das ist gut,« sagte der Herzog von Ascoli. »Nun werden wir sofort bedient werden. Die Orden Eurer Majestät haben ihre Wirkung gethan.«

»Glaubst Du, Ascoli?«

»Eure Majestät haben es selbst gesehen. Es fehlte nicht viel, so hätte sich dieser Mensch auf allen Vieren entfernt.«

»Nicht wahr, mein lieber Ascoli,« sagte der König in einschmeichelndsten Tone, »nicht wahr, Du weißt nicht, was Du thun sollst?«

»Ich, Sire?«

»Ja, Du,« sagte der König. »Vielleicht aber wirst Du es nicht wollen.«

»Sire!« rief Ascoli in ernstem Tone. »Was Eure Majestät will, das will ich auch.«

»O, ich weiß, daß Du mir ergeben, ich weiß, daß Du mein einziger Freund und der einzige Mensch bist, von welchem ich so etwas verlangen kann.«

»Ist es schwer?«

»So schwer, daß, wenn Du an meiner Stelle wärest und ich an der deinigen, ich nicht wüßte, ob ich für Dich das thun würde, was ich jetzt von Dir verlangen will.«

»O, Sire, das ist kein Grund,« antwortete Ascoli lächelnd.

»Ich glaube, Du zweifelt an meiner Freundschaft?« sagte der König; »das ist nicht recht.«

»Die Hauptsache, worauf es in diesem Augenblicke ankommt, Sire,« entgegnete der Herzog mit Würde, »ist, daß Eure Majestät nicht an der meinigen zweifeln.«

»Und wenn Du mir diesen Beweis gegeben haben wirst, dann werde ich an nichts mehr zweifeln, dafür bürge ich Dir.«

»Aber worin besteht dieser Beweis, Sire? Ich muß mir erlauben, Euer Majestät bemerklich zu machen, daß Sie mit einer wahrscheinlich sehr einfachen Sache viel Zeit verlieren.«

»Ja, einfach ist die Sache, sehr einfach,« murmelte der König. »Also Du weißt doch, womit diese Schufte von Jakobinern mir gedroht haben?«

»Ja, Sie haben gedroht, Eure Majestät aufzuknüpfen, wenn Sie ihnen in die Hände fiele.«

»Wohlan, mein lieber Freund, wohlan, mein lieber Ascoli, es gilt, die Kleider mit mir zu wechseln.«

»Ja,« sagte der Herzog, »damit, wenn die Jakobiner uns erwischen –«

»Du verstehst mich! Wenn sie uns erwischen, werden sie sich in der Meinung, daß Du der König seist, nur mit Dir beschäftigen. Ich kann dann mittlerweile entschlüpfen, Du gibt Dich hierauf zu erkennen, und hat dann, ohne große Gefahr zu bestehen, den Ruhm, deinem Monarchen das Leben gerettet zu haben. Du begreift also?«

»Es handelt sich durchaus nicht um die mehr oder weniger große Gefahr, die ich bestehe, Sire. Es handelt sich einfach darum, daß ich Eurer Majestät einen Dienst leiste.«

Und der Herzog von Ascoli zog seinen Rock aus, bot ihn dem König dar und sagte weiter nichts als:

»Ich bitte um den Ihrigen, Sire.«

Ein so großer Egoist der König auch war, so fühlte er sich doch durch diese Selbstverläugnung gerührt. Er schloß den Herzog in seine Arme und drückte ihn an sein Herz. Dann zog er seinen eigenen Rock aus, half dem Herzog beim Anziehen desselben mit der Gewandtheit und Schnelligkeit eines erfahrenen Kammerdieners, und knöpfte ihn, was Ascoli auch thun mochte, um ihn davon abzuhalten, von oben bis unten zu.

»So,« sagte der König.

»Nun die Ordensbänder.«

Er begann damit, daß er ihm das des heil. Georg Constantin um den Hals hing.

»Bist Du nicht Comthur des St. Georg-Ordens?« fragte der König.

»Allerdings, aber ohne Comthurei. Eure Majestät hatten immer versprochen, für mich und für die ältesten Söhne meiner Familie eine zu stiften.«

»Ich stifte sie, Ascoli, ich stifte sie mit einer Jahresrente von viertausend Ducati, hörst Du?«

»Ich danke, Sire.«

»Vergiß nicht, mich daran zu erinnern, denn ich wäre im Stande, es zu vergessen.«

»Ja,« sagte der Herzog mit einem kleinen Anflug von Bitterkeit, »Eure Majestät sind sehr zerstreut, das weiß ich.«

 

»Still! Sprechen wir in einem solchen Augenblicke nicht von meinen Fehlern. Das wäre nicht großmüthig. Du hast aber doch wenigstens den Maria Theresien- Orden?«

»Nein, Sire, diese Ehre habe ich nicht.«

»Sei unbesorgt; ich werde ihn Dir durch meinen Schwiegersohn verleihen lassen. Also, mein armer Ascoli, Du hast nur den St. Januarius-Orden?«

»Ich habe den St. Januarius-Orden ebenso wenig als den Maria Theresien-Orden, Sire.«

»Du hast den St. Januarius-Orden nicht?«

»Nein, Sire.«

»Du hast den St. Januarius-Orden nicht? Cospetto, das ist ja aber eine Schande! Ich verleihe ihn Dir, Ascoli Ich gebe Dir gleich den, welcher sich an meinem Rocke befindet. Du hast ihn redlich verdient. Wie gut Dir dieser Rock sitzt! Man sollte meinen, er wäre für Dich gemacht.«

»Eure Majestät, haben vielleicht nicht bemerkt, daß der erwähnte Orden mit Diamanten besetzt ist.«

»O, das weiß ich recht wohl.«

»Und daß er vielleicht sechstausend Ducati werth ist.«

»Ich wollte, er wäre zehntausend werth. Der König zog seinerseits den Rock des Herzogs an, woran in der That sich weiter nichts als das einfache silberne Kreuz des St. Georg-Ordens befand, und knöpfte ihn rasch zu.

»Es ist eigenthümlich,« sagte er, »wie wohl ich mich in deinem Rocke fühle, Ascoli. Ich weiß nicht wie es kommt, aber in dem meinigen war es mir, als müßte ich ersticken. Ah!«

Und der König athmete tief auf.

In diesem Augenblicke hörte man den Tritt des Postmeisters, welcher sich dem Zimmer näherte.

Der König ergriff den Mantel und schickte sich an, ihr dem Herzog auf die Schultern zu werfen.

»Was wollen Sie denn thun, Sire?« rief Ascoli.

»Ich gebe Ihnen Ihren Mantel um, Sire.«

»Aber ich werde niemals zugeben, daß Eure Majestät –«

»O doch, Du wirst es schon zugeben.«

»Aber, Sire –«

»Ruhe!«

Der Postmeister trat ein.

Die Pferde sind angespannt, meine gnädigen Herren, meldete er. Dann blieb er verwundert stehen. Es schien ihm, als wäre zwischen den beiden Reisenden eine Veränderung vorgegangen, die er sich nicht recht erklären könnte, und als hätte der goldgestickte Rock den Rücken ebenso gewechselt wie die Orden die Brust.

Mittlerweile gab der König dem Herzog von Ascoli den Mantel um.

»Seine Excellenz,« sagte er dann, »wünscht, um unterwegs nicht gestört zu werden, das Postgeld gleich bis nach Terracina zu bezahlen.«

»Nichts leichter als dies,« sagte der Postmeister. »Wir haben acht und eine Viertel Postmeile. Zwei Francs das Pferd, macht dreizehn Ducati. Zwei Pferde Vorspann, jedes zwei Francs, einen Ducato – sind zusammen vierzehn Ducati. Wie viel bezahlen die gnädigen Herren den Postillonen?«

»Einen Ducato, wenn sie gut fahren; nur bezahlen wir die Postillone nicht im voraus, weil sie dann nicht gut fahren würden.«

»Mit einem Ducato Trinkgeld,« sagte der Postmeister, indem er sich vor Ascoli verneigte, »werden Eure Excellenz fahren wie der König.«

»Sehr richtig!« rief Ferdinand, »Seine Excellenz will auch wirklich fahren wie der König.«

»Aber,« sagte der Postmeister, sich immerfort an Ascoli wendend, »wenn Ihre Excellenz so große Eile haben, o könnte man einen Courier vorausschicken, um immer die Pferde bereit halten zu lassen.«

»Ja wohl, ja wohl!« rief der König. »Seine Excellenz hatte nicht daran gedacht. Einen Ducato für den Courier, einen halben Ducato für das Pferd, dies sind noch vier Ducati mehr. Vierzehn und vier ist achtzehn – hier sind zwanzig. Der Ueberschuß ist für die Störung, die wir so spät verursacht haben.«

Und der König bezahlte, nachdem er in die Westentasche des Herzogs gegriffen, mit dessen Gelde, und lachte nicht wenig über den guten Streich, den er ihm spielte.

Der Postmeister nahm ein Licht und leuchtete Ascoli, während Ferdinand diensteifrig sagte:

»Nehmen Sie sich in Acht, Excellenz, hier ist eine Schwelle. Nehmen Sie sich in Acht, Excellenz, hier fehlt eine Stufe in der Treppe. Nehmen Sie sich in Acht, Excellenz, hier liegt ein Stück Holz im Wege.«

Als sie den Wagen erreichten, trat Ascoli, ohne Zweifel aus Gewohnheit, auf die Seite, um den König zuerst einsteigen zu lassen.

– »Nimmermehr, nimmermehr!« rief der König, indem er sich tief verneigte und den Hut abnahm. »Nach Ihnen, Excellenz.«

Ascoli stieg nun zuerst ein, wollte sich aber links setzen.

»Rechts, Excellenz! rechts!« sagte der König. »Es ist schon zu viel Ehre für mich, daß ich mit Ihnen, Excellenz, in einen und denselben Wagen steigen darf.«

Und nach dem Herzog einsteigend setzte der König sich links.

Ehe man es sich versah, war auch der Postillon auf sein Pferd gesprungen, und der Wagen rollte nun rasch in der Richtung nach Velletri entlang.

»Bis Terracina ist Alles bezahlt, ausgenommen der Postillon und der Courier!« schrie der Postmeister noch nach.

»Seine Excellenz bezahlt doppeltes Trinkgeld!« rief der König zurück.

Auf dieses verlockende Versprechen hin knallte der Postillon mit seiner Peitsche und das Cabriolet sauste an den Schatten vorüber, welche man zu beiden Seiten des Weges sich mit außerordentlicher Schnelligkeit bewegen sah.

Diese Schatten beunruhigten den König.

»Mein Freund,« fragte er den Postillon, »was sind das für Leute, welche denselben Weg verfolgen wie wir, und welche laufen, als ob sie gehetzt würden?«

»Excellenz,« antwortete der Postillon, »wie ich gehört, hat heute eine Schlacht zwischen den Franzosen und den Neapolitanern stattgefunden, in welcher letztere geschlagen worden sind. Diese Leute hier sind Flüchtlinge.«

»Meiner Treu,« sagte der König zu Ascoli, »ich glaubte immer, wir wären die Ersten; man hat uns aber überholt. Das ist demüthigend! Was für flinke Beine müssen diese Strolche haben. Postillon, sechs Francs Trinkgeld, wenn Ihr sie überholt!«

Achtes Capitel.
Nelson's Befürchtungen

Während auf der Landstraße von Albano nach Velletri der König Ferdinand an Schnelligkeit mit seinen Unterthanen wetteiferte, ließ die Königin Caroline, welche bis jetzt nur erst den Sieg ihres erhabenen Gemahls kannte, seinen Instructionen gemäß in allen Kirchen das Tedeum und in allen Theatern Jubelcantaten singen.

Jede Hauptstadt, Paris, Wien, London, Berlin, hat ihre Gelegenheitsdichter, aber wir sagen es laut, zum Ruhme der italienischen Musen: kein Land hält in Beziehung aufgereimte oder metrische Lobgesänge einen Vergleich mit Neapel aus.

Es war, als ob seit der Abreise des Königs und besonders seit seinen Erfolgen zwei- bis dreitausend Dichter mit einem Male zur Kenntniß ihres wahren Berufs gekommen wären. Es war ein förmlicher Regen von Oden, Cantaten, Sonetten, Akrostichen, Terzinen, Quatrinen und Distichen, – ein Regen, der in eine förmliche Sündflut überzugehen drohte.

Die Sache war schon so weit gediehen, daß die Königin, welche es für unnöthig hielt, den offiziellen Dichter des Hofes, Signor Vacca, mit einer Arbeit zu beschäftigen, welcher sich so viel andere gewidmet zu haben schienen, ihn nach Caserta hatte kommen lassen, um ihn zu beauftragen, unter den zwei- oder dreihundert Gedichten, welche jeden Tag aus allen Stadttheilen Neapels eingingen, die zehn oder zwölf poetischen Ergüsse zu wählen, welche verdienen würden, im Theater gelesen zu werden, wenn außerordentliche Soirée im Schlosse, und in dem Salon, wenn einfache Soirée wäre.

Sehr gerechterweise aber und da es eine ausgemachte Sache ist, daß es weit mehr ermüdet, zehn- bis zwölftausend Verse täglich zu lesen, als fünfzig oder auch hundert dergleichen zu machen, – was in Anbetracht der Bequemlichkeit, welche die italienische Sprache für diese Art Arbeit darbietet, das für den patentierten Lobredner Seiner Majestät Ferdinand des Vierten festgesetzte Minimum und Maximum war – hatte man für die ganze Zeit, welche diese Ueberflutung von Poesie und diese Arbeit, der er sich nicht entziehen konnte, dauern würde, den Gehalt des Signor Vacca verdoppelt.

Der Tag des 9. December 1798 hatte mitten unter den arbeitsvollen Tagen, die ihm vorausgegangen waren, Epoche gemacht. Der Signor Vacca hatte im Ganzen genommen neunhundert verschiedene Geistesproducte durchgemacht, nämlich hundert und fünfzig Oden, hundert Cantaten, dreihundert und zwanzig Sonette, zweihundert und fünfzehn Akrostichen, achtundvierzig Quatrinen und fünfundsiebzig Distichen.

Eine Cantate, welche der Capellmeister Cimarosa sofort in Musik gesetzt, vier Sonette, drei Akrostichen, eine Quatrine und zwei Distichen waren des Vorlesens im Theater des Schlosses von Caserta, wo an diesem selben Abend des 9. December eine außerordentliche Vorstellung stattgefunden hatte, würdig erachtet worden.

Diese Vorstellung bestand aus der Oper »Die Horatier« von Dominico Cimarosa und einem der dreihundert Ballete, welche in Italien unter dem Titel »die Gärten der Armida« componiert worden sind.

Man hatte die Cantate gesungen, die beiden Oden declamiert, die vier Sonette, die drei Akrostichen, die Quatrine und die beiden Distichen, aus welchen das poetische Gepäck dieses Abends bestand, gelesen und zwar vor den sechshundert Zuschauern, welche dieser Saal faßt, als gemeldet ward, daß ein Courier angekommen sei, welcher der Königin einen Brief von ihrem erhabenen Gemahl bringe, welcher Brief, da er die neuesten Nachrichten vom Kriegstheater enthalte, der Versammlung mitgetheilt werden sollte.

Man klatschte in die Hände, man verlangte mit Enthusiasmus das Vorlesen des Briefes, und der kluge Ritter Ubaldo, welcher sich bereit hielt, durch einen kurzen Pfiff mit seinem silbernen Stäbchen die Ungeheuer zu zerstreuen, welche die Zugänge zu Armida's Palast bewachen, ward beauftragt, das Publicum von dem Inhalt des königlichen Schreibens in Kenntniß zu setzen.

Er trat vor in seinem Harnisch, mit einem roth und weißen Federbusch, den Nationalfarben des Königreiches beider Sicilien, auf dem Helm, verneigte sich dreimal, küßte ehrerbietig die Unterschrift und las dann in lautem, verständlichem Tone den Zuschauern folgenden Brief vor:

»Liebe Gemahlin!

»Heute Morgen war ich auf der Jagd von Corneto, wo man für mich Ausgrabungen von etruskischen Grabmälern veranstaltet, welche, wie man behauptet, dem grauen Alterthum angehören. Es wäre dies ein großes Fest für Sir William gewesen, wenn seine Faulheit ihm gestattet hätte, Neapel zu verlassen. Da ich aber in Cumä und in Sant' Agata dei Goti und in Nola Grabmäler habe, die noch viel älter sind als die etruskischen, so ließ ich meine Gelehrten sich nach Belieben daran ergötzen und begab mich sofort nach dem Sammelplatze der Jagd.

»Während der ganzen Zeit, welche diese Jagd dauerte, – die übrigens weit anstrengender und weit weniger ergiebig ist als meine Jagden in Persano oder Asproni, denn ich habe nicht mehr als drei Wildschweine erlegt, von welchen aber eins, welches mir drei meiner besten Hunde ruinierte, über zweihundert Rottoli wog – hörten wir den Kanonendonner in der Richtung von Civita Castellana. Es war Mack, welcher beschäftigt war, die Franzosen genau auf dem Punkte zu schlagen, wo er uns erklärt, daß er sie schlagen würde, was, wie Sie sehen, einer strategischen Wissenschaft zur größten Ehre gereicht. Um halb vier Uhr, in dem Augenblicke, wo ich nach Beendung der Jagd nach Rom zurückkehrte, hatte der Kanonendonner noch nicht aufgehört. Wie es schien, vertheidigten sich die Franzosen, doch ist dies für uns weiter nichts Beunruhigendes, denn sie zählen blos achttausend Mann, und Mack hat deren vierzigtausend.

»Ich schreibe Ihnen, ehe ich mich zu Tische setze. Man erwartete mich nämlich erst um sieben Uhr, ich kann aber schon eine halbe Stunde nach sechs, so daß ich, obschon ich großen Hunger hatte, mein Diner noch nicht fertig fand und mich gezwungen sah, zu warten. Sie sehen aber, daß ich diese halbe Stunde nützlich anwende, indem ich an Sie schreibe.

»Nach dem Diner werde ich in das Theater Argentina gehen und dort »il Matrimonio segreto« hören, worauf ein mir zu Ehren componiertes Ballet stattfinden wird. Es führt den Titel: »Der Einzug Alexanders des Großen in Babylon.« Brauche ich Ihnen, die Sie die personificirte Gelehrsamkeit sind, wohl erst zu sagen, daß dies eine zarte Anspielung auf meinen Einzug in Rom ist? Wenn dieses Ballet so ist, wie man mir versichert, so werde ich den Verfasser desselben nach Neapel schicken, damit er es auf dem Theater San Carlo ebenfalls in Scene setze.

»Im Laufe des Abends erwarte ich die Nachricht von einem großen Siege und werde, sobald ich dieselbe erhalte, sofort wieder einen Courier an Sie abfertigen.

»Da ich vor der Hand weiter nichts hinzuzufügen habe, als daß ich Ihnen und unseren lieben Kindern eine Gesundheit wünsche, welche der meinigen gleicht, so bitte ich Gott, daß er Sie in einen heiligen Schutz nehme.

 
»Ferdinand B.«

Wie man sieht, verschwand der wichtigere Theil dieses Briefes vollständig unter dem beiläufigen. Es war darin von der Eberjagd, welche der König gehalten, weit mehr die Rede, als von der Schlacht, welche Mack geliefert.

Ludwig der Vierzehnte war der Erste, welcher in seinem autokratischen Stolze sagte: Der Staat, das bin ich! Diese Maxime war aber, schon ehe sie von Ludwig dem Vierzehnten materialisiert ward, die aller despotischen Königsgewalten, und ist es seitdem auch immer geblieben.

Trotz seines egoistischen Anstrichs brachte Ferdinands Brief die Wirkung hervor, welche die Königin davon erwartete, und Niemand erkühnte sich, die Opposition so weit zu treiben, daß er die Hoffnung des Königs in Bezug auf das Ergebniß der Schlacht nicht geheilt hätte.

Als das Ballet zu Ende, das Theater geräumt, die Lichter ausgelöscht und die Gäste wieder in die Wagen gestiegen waren, die fiel nach den in der Nähe von Caserta und Santa Maria gelegenen Landhäusern zurückbringen sollten, kehrte die Königin mit ihren Vertrauten, welche, da sie im Schlosse wohnten, zum Souper bei ihr blieben, in ihre Gemächer zurück.

Diese Personen waren vor allen Emma, die diensthabenden Ehrendamen, Sir William, Lord Nelson, welcher seit erst drei oder vier Tagen von London zurück war, wohin er die achttausend Mann des Generals Naselli geleitet; ferner der Fürst von Castelcicala, dem ein Rang beinahe zur Höhe der erlauchten Wirthe erhob, die ihn zur Tafel luden, oder der edlen Gäste, an deren Seite er Platz nahm, während das Handwerk, zu welchem er sich hergab, ihn moralisch unter das Bedientengeschmeiß stellte, welches ihm aufwartete; ferner Acton, der, da er sich die auf ihm lastende Verantwortlichkeit keineswegs verhehlte, seit einigen Tagen eine verdoppelte Ehrfurcht vor der Königin an den Tag legte, denn er fühlte wohl, daß am Tage des Mißerfolgs, wenn dieser Tag käme, die Königin seine einzige Stütze sein würde.

Außerdem waren an demselben Abend auch noch die beiden alten Prinzessinnen da, welche die Königin in Folge des Umstandes, daß ihr Gemahl sie aufgefordert hatte, nicht zu vergessen, daß die Damen Victoire und Adelaide doch immer die Töchter Ludwigs des Fünfzehnten seien, eingeladen hatte, eine Woche in Caserta zu verleben, und gleichzeitig die sieben Leibgardisten mitzubringen, welche, ohne der neapolitanischen Armee einverleibt zu sein, da sie auf die Empfehlung des Königs von dem Minister Ariola den Sold und den Grad als Lieutenants erhalten, mit den Gardeofficieren essen und wohnen und von diesen fétiert werden sollten, so lange die alten Prinzessinnen von der Königin fétiert würden.

Um die alten Damen bis auf die Person ihrer Leibgardisten zu honorieren, wurden sie ermächtigt, für jeden Abend einen derselben zum Souper einzuladen, der dann für diesen Abend ihr Ehrencavalier ward.

Sie waren seit vorigen Abend angelangt und hatten an diesem die Reihe der Einladungen mit Herrn von Boccheciampe begonnen. An dem heutigen Abend war Jean Baptist von Cesare an der Reihe, und da die Prinzessinnen sich, nachdem sie das Theater verlassen, auf einen Augenblick in ihre Gemächer zurückgezogen hatten, so war Cesare – welcher dem Schauspiele im Parterre, dem Platz der Officiere, beigewohnt – gegangen, um sie aus ihrem Zimmer abzuholen, um sie zur Königin zu begleiten, und sich dieser und ihren vornehmen Gästen vorstellen zu lassen.

Wir haben gesagt, daß Boccheciampe dem corsischen Adel und Cesare einer alten Familie von Caporali, das heißt ehemaligen militärischen Districtscommandanten, angehörte, und daß beide ein sehr angenehmes Aeußeres hatten. Dieses angenehme Aeußere, welches ihm selbst recht wohl bekannt war, hatte Cesare an diesem Abend noch durch Hinzufügung alles dessen zu erhöhen gesucht, was die Toilette eines Lieutenants einem hübschen Gesicht von dreiundzwanzig Jahren und einer distinguierten Haltung hinzuzufügen gestattet.

Dennoch aber konnte dieses hübsche Gesicht von dreiundzwanzig Jahren und diese Haltung, so distinguiert sie auch war, nicht der alleinige Grund des Rufes sein, welchen die Königin bei einem Anblick ausstieß, und der von Emma, von Acton, von Sir William und von beinahe allen Gästen wiederholt ward.

Dieser Ruf war ganz einfach ein Ruf des Erstaunens über die außerordentliche Aehnlichkeit, welche Jean Baptiste von Cesare mit dem Prinzen Franz, Herzog von Calabrien, hatte. Es war derselbe rosige Teint, dieselben hellblauen Augen, dasselbe blonde Haar, nur ein wenig dunkler, derselbe Wuchs, nur vielleicht ein wenig länger und schlanker.

Cesare, welcher den Thronerben niemals gesehen, und folglich nichts von der Gunst wußte, welche der Zufall ihm durch diese Aehnlichkeit mit einem Königssohne erzeigt, erschrak anfangs ein wenig über diesen geräuschvollen Empfang, den er natürlich nicht erwartet hatte.

Er zog sich jedoch als Mann von Geist aus der Affaire, indem er sagte, der Prinz werde hoffentlich ihm die unfreiwillige Kühnheit, ihm ähnlich zu sehen, verzeihen, und was die Königin beträfe, so werde sie, da alle ihre Unterthanen ihre Kinder wären, keinen Groll gegen die hegen, welche für sie nicht blos das Herz, sondern auch die Aehnlichkeit eines Sohnes hätten.

Man setzte sich zu Tische. Das Souper war sehr heiter. Die beiden alten Prinzessinnen hatten, indem sie sich so in eine Umgebung versetzt sahen, welche an Versailles erinnerte, beinahe den Verlust vergessen, den sie durch den Tod ihrer Schwester erlitten, einen Verlust, über den sie sich nicht trösten zu können geglaubt. Es ist jedoch ein Vorrecht der Hoftrauer, daß sie in Violet getragen wird und nur drei Wochen dauert.

Das Souper war ganz besonders um dessentwillen so heiter, weil alle Welt ebenso wie der König und nach den Mittheilungen des Königs überzeugt war, daß zur gegenwärtigen Stunde der Kanonendonner, den man gehört, die Niederlage der Franzosen verkünde. Diejenigen, welche nicht so fest davon überzeugt waren, oder wenigstens die, welche unruhiger waren als die andern, thaten sich Gewalt an, und suchten ihre Physiognomien mit den lachendsten Gesichtern auf gleiches Niveau zu bringen.

Nur Nelson schien, trotz der Flammengluten, womit Emma Lyonna's Blick ihn gleichsam überschwemmte, ein wenig nachdenklich zu sein, und stimmte nicht mit in den allgemeinen Hoffnungschor ein, womit man dem Haß und dem Stolz der Königin schmeichelte.

Caroline bemerkte endlich diese Zerstreutheit des Siegers von Abukir, und da sie dieselbe nicht auf Rechnung von Emmas Sprödigkeit bringen konnte, so erkundigte sie sich endlich bei ihm selbst nach den Ursachen seines Schweigens und Mangels an Frohsinn.

»Ew. Majestät wünscht zu wissen, welche Gedanken mich beschäftigen?« fragte Nelson. »Wohlan, selbst auf die Gefahr hin, daß meine Freimüthigkeit der Königin mißfalle, muß ich als einfacher, gerader Seemann, der ich bin, sagen: Majestät, ich bin unruhig.«

»Unruhig! Und warum Mylord?«

»Weil ich es immer bin, wenn ich Kanonendonner höre.«

»Mylord,« sagte die Königin, »wie mir scheint, vergessen Sie, was dieser Kanonendonner für Sie zu bedeuten hat.«

»Sehr richtig, Madame, und weil ich mich des Briefes erinnere, auf welchen Sie hindeuten, ist meine Unruhe eine doppelte, denn wenn Eurer Majestät ein Unglück zustieße, so würde diese Unruhe sich in Reue und Gewissensbisse verwandeln.«

»Aber warum haben Sie dann jenen Brief geschrieben?«, fragte die Königin.

»Weil Sie mir versichert hatten, Madame, daß Ihr Schwiegersohn, der Kaiser von Oesterreich, gleichzeitig mit Ihnen ins Feld rücken würde.«

»Und wer sagt Ihnen, daß dieses nicht geschehen ist, oder nicht geschehen wird?«

»Wenn es geschehen wäre, Madame, so müßten wir etwas davon wissen. Ein deutscher Kaiser setzt sich nicht mit einer Armee von zweihunderttausend Mann in Marsch, ohne daß die Erde ein wenig erzittert, und wenn er jetzt noch nicht ins Feld gerückt ist, so wird es auch vor dem Monat April nicht geschehen.«

»Aber,« fragte Emma, »hat er nicht dem König geschrieben, daß dieser ins Feld rücken solle, und versichert, daß er, sobald der König in Rom wäre, sich mit seine Armee ebenfalls in Marsch setzen werde?«