Free

La San Felice

Text
iOSAndroidWindows Phone
Where should the link to the app be sent?
Do not close this window until you have entered the code on your mobile device
RetryLink sent

At the request of the copyright holder, this book is not available to be downloaded as a file.

However, you can read it in our mobile apps (even offline) and online on the LitRes website

Mark as finished
Font:Smaller АаLarger Aa

Achtes Capitel.
Die Brigands

Ueberall Sieger und in der Meinung, daß ein Marsch nach Neapel durch nichts gehemmt werden würde, ertheilte Championnet Befehl, die neapolitanischen Grenzen in drei Colonnen zu überschreiten.

Der linke Flügel rückte unter Macdonalds Führung in die Abruzzen und sollte die Engpässe von Capistrello und Sora forcieren.

Der rechte Flügel rückte unter Führung des Generals Rey durch die pontinischen Sümpfe, Terracina und Fondi in die Campania.

Das Centrum rückte unter Championnets eigener Führung über Valmontane, Ferentino und Ceperano in die Terra di Lavoro.

Drei Citadellen – alle drei fast uneinnehmbar – vertheidigten die Zugänge zum Königreiche – Gaëta, Civitella del Tronto und Pescara.

Gaëta beherrschte die Straße des tyrrhenischen Meeres; Pescara die Straße des adriatischen Meeres; Civitella del Tronto stand auf dem Gipfel eines Berges und beherrschte die jenseitigen Abruzzen.

Gaëta ward durch einen alten Schweizergeneral Namens Tschudi vertheidigt. Er hatte viertausend Mann unter seinen Befehlen und als Vertheidigungsmittel siebzig Kanonen, zwölf Mörser, zwanzigtausend Musketen, Lebensmittel auf ein Jahr, Schiffe im Hafen – mit einem Wort, Land und Meer gehörte ein.

Der General Rey forderte ihn auf, sich zu ergeben.

Der schon sehr alte Tschudi hatte kürzlich erst eine junge Frau geheiratet. Es war ihm bange um diese und wer weiß, ob nicht vielleicht auch um sich selbst. Anstatt sich zu halten, zog er den Bischof zu Rathe, welcher seinem Beruf gemäß für den Frieden sprach, und versammelte die Magistratspersonen der Stadt, welche natürlich diesen Vorwand benutzten, um Gaëta die Leiden einer Belagerung zu ersparen.

Dennoch zögerte man noch und der französische General ließ eine Haubitze auf die Stadt abfeuern. Diese feindselige Demonstration genügte, um Tschudi zu veranlassen, eine Deputation an die Belagerer abzusenden und diese fragen zu lassen, welche Bedingungen sie stellten.

»Uebergabe auf Gnade und Ungnade, oder strenges Kriegsrecht,« antwortete General Rey.

Zwei Stunden später ergab sich der Platz.

Duhesme, welcher mit fünfzehnhundert Mann die Küste des adriatischen Meeres entlang marschierte, schickte an den Commandanten von Pescara, welcher Pricard hieß, einen Parlamentär, um ihn zur Uebergabe aufzufordern.

Der Commandant ließ, als ob er die Absicht gehabt hätte, sich unter den Trümmern der Stadt zu begraben, den französischen Officier seine Vertheidigungsmittel in allen ihren Einzelheiten besichtigen, zeigte ihm die Festungswerke, die Waffen, die mit Munition und Proviant gefüllten Magazine und schickte ihn dann zu Duhesme mit den stolzen Worten zurück:

»Eine auf diese Weise verproviantierte Festung ergibt sich nicht.«

Dennoch hinderte dies den Commandanten nicht, auf den ersten Kanonenschuß die Thore zu öffnen und diese so gut befestigte Stadt dem General Duhesme zu übergeben.

Dieser fand darin sechzig Kanonen, vier Mörser und eine Besatzung von neunzehnhundert Mann.

Was Civitella del Tronto, einen schon durch seine Lage festen und durch die Kunst noch fester gemachten Platz, betraf, so ward derselbe durch einen Spanier Namens Jean Lecombe vertheidigt und war mit zehn Geschützen von schwerem Caliber armiert, so wie mit Kriegsmunition und Lebensmitteln reichlich versehen.

Der Platz konnte sich ein Jahr halten, hielt sich aber blos einen Tag und übergab sich nach einer Belagerung von zwei Stunden.

Es war daher, wie wir in dem vorigen Capitel gesagt, die höchste Zeit, daß die Bandenanführer an die Stelle der Generale und die Brigands an die Stelle der Soldaten traten.

Mit Blitzesschnelligkeit hatten unter Pronios Leitung drei Banden sich organisiert – die, welche er selbst commandierte, die Gaëtano Mammones und die Fra Diavolos.

Pronio war der Erste, der mit den französischen Colonnen zusammenstieß.

Nachdem Duhesme sich Pescaras bemächtigt und daselbst eine Besatzung von vierhundert Mann zurückgelassen, schlug er die Straße nach Chieti ein, um der ihm ertheiten Ordre gemäß eine Vereinigung mit Championnet vor Capua zu bewirken. Als er in Tocco ankam, hörte er ein lebhaftes Musketenfeuer in der Richtung von Sulmona und trieb seine Leute zu vermehrter Eile an.

In der That hatte eine von dem General Rusca commandierte französische Colonne, nachdem sie ohne Mißtrauen und unter Trommelschlag in die Stadt Sulmona eingerückt war, plötzlich aus allen Fenstern einen Kugelregen auf sich herabhageln gesehen. Ueberrascht durch diesen unerwarteten Angriff, hatte sie einen Augenblick lang zögernd Halt gemacht.

Pronio, der in der Kirche San Panfilo im Hinterhalt lag, benützte diesen Umstand, machte mit etwa hundert Mann einen Ausfall aus der Kirche und griff die Front der Franzosen an, während das Feuer aus den Fenstern sich verdoppelte; trotz der Bemühungen Rusca’s geriethen seine Leute in Unordnung und er verließ Sulmona eiligst, während er in den Straßen etwa zwölf Todte und Verwundete zurückließ.

Bei dem Anblick der Soldaten Pronios aber, welche die Todten verstümmelten, bei dem Anblick der Einwohner, welche den Verwundeten vollends den Rest gaben, stieg den Republikanern die Schamröthe ins Gesicht. Sie formierten sich von selbst wieder, erhoben ein lautes Rachegeschrei und drangen wieder in die Stadt ein, indem sie gleichzeitig das Feuer aus den Fenstern und das der Straße erwiederten.

Pronio und seine Leute unterhielten jedoch, hinter den Thürgewänden und in den engen Gäßchen versteckt, ein so furchtbares Feuer, daß die Franzosen vielleicht zum zweiten Male genöthigt gewesen wären, zurückzuweichen, als man plötzlich eine lebhafte Fusillade von dem andern Ende der Stadt her vernahm.

Es war Duchesme, welcher mit seinen Leuten Sulmona umgangen hatte und nun Pronio in den Rücken fiel.

Pronio lief, in jeder Hand ein Pistol, auf eine Arrièregarde zu, sammelte sie wieder, sah sich Duhesme gegenüber, feuerte eine seiner Pistolen auf ihn ab und verwundete ihn in dem Arm. Ein Republikaner stürzte sich mit geschwungenem Säbel auf Pronio, dieser aber schoß ihn mit seiner zweiten Kugel nieder, raffte eine Muskete auf und deckte den Rückzug an der Spitze seiner Leute, indem er diesen in ihrem Dialekt einen Befehl ertheilte, den die Franzosen nicht verstanden.

Dieser Befehl lautete dahin, daß die Brigands durch die kleinen Gäßchen der Stadt entfliehen sollten, um die Gebirge zu gewinnen.

Binnen wenigen Augenblicken war die Stadt leer. Die, welche die Häuser besetzt gehalten, entflohen durch die Gärten. Die Franzosen waren Herren von Sulmona, nur hatten diesmal die Brigands ein Mann gegen zehn gekämpft. Sie waren besiegt, aber sie hatten den Republikanern grausame Verluste zugefügt.

Dieses Treffen ward daher in Neapel als ein Triumph betrachtet.

Fra Diavolo vertheidigte seinerseits mit etwa hundert Mann, nach der schimpflichen Uebergabe von Gaëta, in tapferer Weise die Brücke von Garigliana, die von dem Adjutanten Gourdel und etwa fünfzig Mann Republikanern an gegriffen ward, welche der General Rey, der von der Organisation der Banden nichts wußte, abgesendet hatte, um sich der Brücke zu bemächtigen.

Die Franzosen wurden zurückgeschlagen und der Adjutant Gourdel, ein Bataillonschef, mehrere Officiere und Soldaten, die verwundet auf dem Kampfplatz liegen blieben, halb todt aufgehoben, an Bäume gebunden und unter dem Jubelgeheul der Bewohner von Mignano, Sessa und Traetta und unter dem Furientanz der Weiber, welche bei diesen Gelegenheiten stets grausamer sind als die Männer, langsam verbrannt.

Fra Diavolo wollte sich anfangs diesen Mordthaten, diesen teuflischen Quälereien widersetzen. In einer Anwandlung von Mitleid feuerte er seine Pistolen und seine Kugelbüchse auf die Verwundeten ab. In dem Stirnrunzeln der Männer und an den Schimpfreden der Weiber aber merkte er, daß er durch dergleichen Beweise von Menschlichkeit seine Popularität gefährdete.

Er entfernte sich von dem Scheiterhaufen, auf welchem die Republikaner ihre Todesqualen erlitten, und wollte Francesca davon hinwegführen.

Diese aber wollte von dem Schauspiel nichts einbüßen. Sie riß sich von ihm los und tanzte und heulte toller und wüthender als die andern Frauen.

Was Mammone betraf, so stand er bei Capistrello, vor Sora, zwischen dem See Fucino und dem Liri.

Man meldete ihm, daß man von Weitem, von den Quellen des Liri her, einen Officier in französischer Uniform in Begleitung eines Führers kommen sähe.

»Bringt mir die beide her,« sagte Mammone.

Fünf Minuten später standen sie vor ihm.

Der Führer hatte das Vertrauen des Officiers verrathen und ihn, anstatt zu dem General Lemoine, an welchen er einen Befehl von Championnet überbringen sollte, zu Gaëtano Mammone geführt.

Es war einer der Adjutanten des Obergenerals, Namens Claie.

»Du kommst gerade recht,« sagte Mammone zu ihm. »Ich hatte Durst.«

Man weiß bereits, mit welcher Flüssigkeit Mammone gewohnt war, seinen Durst zu löschen.

Er ließ dem Adjutanten Rock, Weste, Halsbinde und Hemd abnehmen, die Hände binden und ihn dann an einen Baum fesseln.

Dann legte er den Finger auf die Pulsader am Halse des Gefangenen, um genau die Stelle zu ermitteln, wo sie schlug, und stieß, nachdem er sie gefunden, seinen Dolch hinein.

Der Adjutant sprach nicht, bat nicht, stieß keinen Klageton aus. Er wußte, in welche Cannibalenhände er gefallen war, und dachte, gleich dem Gladiator des Alterthums, nur an Eins – gut zu sterben.

Zum Tode getroffen, stieß er keinen Ruf aus und ließ keinen Seufzer entschlüpfen.

Das Blut spritzte in einem langen Strahl aus der Wunde. Mammone heftete seine Lippen an den Hals des Adjutanten, wie er sie auf die Brust des Herzogs Filomarino geheftet und sättigte sich mit Wollust an jenem flüssigen Fleisch, welches man Blut nennt.

 

Dann, als ein Durst gelöscht war, während der Gefangene noch zuckte, durchschnitt er die Bande, welche diesen an den Baum fesselten, und verlangte eine Säge.

Die Säge ward ihm gebracht.

Um fortan das Blut aus einem dem Getränke angemessenen Gefäß zu trinken, sägte er dem Gemordeten die Hirnschale oberhalb der Augenbrauen durch, schüttete die Gehirnmasse heraus, wusch diesen furchtbaren Becher mit dem Blute, welches noch aus der Wunde floß, drehte das Haar auf dem Wirbel des Kopfes zusammen und band es mit einem Strick, um das Gefäß daran wie an einem Fuß zu fassen, und ließ dann den übrigen Körper in Stücke schneiden und den Hunden vorwerfen.

Als hierauf seine Spione ihm meldeten, daß eine kleine Abtheilung Republikaner, etwa dreißig bis vierzig Mann zählend, auf der Straße von Tagliacozzo heranrücke, befahl er seinen Leuten, die Waffen zu verbergen, Blumen und Olivenzweige zu pflücken, die Blumen den Frauen und die Olivenzweige den Männern und den Knaben in die Hände zu geben, so dem Detachement entgegen zu gehen und den dasselbe commandierenden Officier einzuladen, mit seinen Leuten Theil an dem Fest zu nehmen, welches das Dorf Capistrello, in welchem nur Patrioten wohnten, zum Zeichen der Freude über die Ankunft der Franzosen veranstaltet habe.

Singend brachen die Friedensboten auf. Alle Häuser des Dorfes öffneten sich. Eine große Tafel war auf dem Platze der Mairie aufgestellt und man besetzte sie mit Wein, Brot, Fleischspeisen, Schinken und Käse.

Eine zweite Tafel ward für die Officiere in dem großen Zimmer der Mairie serviert, dessen Fenster auf den Platz gingen.

Eine Stunde vor der Stadt stießen die abgesendeten Boten auf das von dem Capitän Tremeau commandierte kleine Detachement.

Ein Führer und Dolmetscher, Verräther wie immer, welcher das Detachement führte, erklärte dem republikanischen Capitän, was diese Leute, diese Kinder und Frauen, welche ihm mit Blumen und Olivenzweigen in den Händen entgegenkamen, begehrten.

Der Capitän, ein muthiger, biederer Mann, hatte keine Ahnung von Verrath. Er küßte die hübschen Mädchen, welche ihm Blumen überreichten, und befahl seiner Marketenderin ihr Branntweinfaß zu leeren.

Man trank auf die Gesundheit des Generals Championnet, auf das Gedeihen der französischen Republik und machte sich dann Arm in Arm und die Marseillaise singend auf den Weg nach dem Dorfe.

Gaëtano Mammone erwartete mit dem ganzen übrigen Theile der Einwohnerschaft das französische Detachement am Eingange des Dorfes, wo es mit Jubelgeschrei bewillkommt ward.

Man fraternisierte abermals und dann ging es unter immerwährenden Freudenrufen weiter nach der Mairie.

Hier war, wie wir gesagt haben, eine Tafel hergerichtet. Man legte so viel Couverts auf, als Soldaten da waren.

Die wenigen Officiere dinierten mit dem Syndicus, den Adjuncten und dem Gemeinderath, welcher durch Gaëtano Mammone und die hervorragendstender unter seinen Befehlen stehenden Brigands repräsentiert ward, im Innern des Hauses oder sollten hier dinieren.

Die über den ihnen bereiteten Empfang hocherfreuten Soldaten stellten ihre Gewehre zehn Schritte weit von der für sie bereiteten Tafel in Pyramiden, die Frauen nahmen ihnen ihre Säbel ab, um die Kinder damit Soldatenspielen zu lassen, und dann setzten sie sich; die Flaschen wurden entkorkt und die Gläser gefüllt.

Der Capitän Tremeau, ein Lieutenant und zwei Sergeants nahmen gleichzeitig in dem Parterrezimmer Platz Mammone's Leute schlichen sich zwischen die Tafel und die Gewehre, welche der Capitän, um größerer Vorsicht willen, unterwegs hatte laden lassen, und die Officiere wurden an ihrer Tafel im Innern des Hauses von einander getrennt, indem zwischen je zwei von ihnen drei oder vier Brigands Platz nahmen.

Das Signal zum Blutbad sollte von Mammone gegeben werden. Er wollte an einem der Fenster den mit Wein gefüllten Hirnschädel des Adjutanten Claie emporheben und die Gesundheit des Königs Ferdinand ausbringen.

Alles geschah, wie es befohlen worden. Mammone näherte sich dem Fenster, füllte, ohne gesehen zu werden, den noch blutigen Schädel des unglücklichen Officiers mit Wein, faßte ihn bei dem zusammengedrehten Haar, wie man einen Becher beim Fuße faßt, erschien dann am mittelten Fenster und hob ihn empor, indem er den verabredeten Toast ausbrachte.

Sofort antwortete die ganze Einwohnerschaft durch den lauten Ruf:

»Nieder mit den Franzosen!«

Die Brigands stürzten sich auf die in Pyramiden auf gestellten Gewehre; die, welche unter dem Vorwand, sie zu bedienen, die Franzosen umgaben, traten zurück, ein furchtbares Feuer wurde aus nächster Nähe eröffnet und die Republikaner fielen von den Kugeln ihrer eigenen Waffen getroffen. Diejenigen, welche nicht getroffen oder nur verwundet waren, wurden von den Frauen und den Kindern niedergemetzelt, die sich ihrer Säbel bemächtigt hatten.

Was die im Innern des Hauses sitzenden Officiere betraf, so wollten sie ihren Soldaten zu Hilfe eilen.

Jeder von ihnen ward jedoch von fünf oder sechs Männern gepackt, die ihn auf seinem Platze festhielten.

Mit triumphierender Miene näherte sich Mammone ihnen, mit seinem blutigen Becher in der Hand, und erbot sich, ihnen das Leben zu schenken, wenn sie aus dem Schädel ihres Cameraden auf die Gesundheit des Königs Ferdinand trinken wollten.

Alle vier wiesen dieses Ansinnen mit Abscheu zurück.

Nun ließ Mammone Nägel und Hämmer bringen, zwang die Officiere die Hände auf den Tisch zu legen und ließ sie daran festnageln.

Dann warf man durch die Fenster und die Thüren Reisigbündel und Strohbüschel in das Zimmer und schloß die Fenster und Thüren, nachdem man das Reisig und das Stroh in Brand gesteckt.

Die Qualen der Republikaner waren jedoch weniger lang und weniger grausam, als ihr Henker gehofft hatte. Einer der Sergeanten hatte den Muth, eine festgenagelten Hände loszureißen, und leistete mit dem Degen des Capitäns Tremeau seinen drei Cameraden den entsetzlichen Dienst, sie zu erstechen, worauf er sich dann selbst den Tod gab.

Die vier Helden starben mit dem Ruf: »Es lebe die Republik!«

Diese Nachrichten gelangten nach Neapel, wo sie den König Ferdinand nicht wenig erfreuten.

Als er sah, daß seine treuen Unterthanen ihn auf so wirksame Weise unterstützten, beschloß er fester als je, Neapel nicht zu verlassen.

Lassen wir jetzt Mammone, Fra Diavolo und den Abbé Pronio die betretene Laufbahn weiter verfolgen und sehen wir, was bei der Königin vorging, die im Gegensatz zu ihrem Gemahl fester als je entschlossen war, die Hauptstadt zu verlassen.

Neuntes Capitel.
Der unterirdische Gang

Caracciolo hatte die Wahrheit gesprochen. Es lag im Interesse der Politik Englands, daß Ferdinand und Caroline, aus ihrer festländischen Hauptstadt vertrieben, sich nach Sicilien flüchteten, wo sie weder von ihren Truppen noch von ihren Unterthanen, sondern nur noch von den englischen Schiffen und den englischen Seeleuten irgend welche Hilfe zu erwarten hatten.

Dies war der Grund, weshalb Nelson, Sir William und Emma Lyonna die Königin zu der Flucht drängten, welche übrigens auch schon durch ihre persönlichen Befürchtungen eindringlich angerathen ward.

Die Königin wußte, wie sie gehaßt und verabscheut ward; sie wußte, daß im Falle des Ausbruchs einer republikanischen Bewegung ihr Gemahl durch das Volk vertheidigt werden würde, während ihr selbst in einem solchen Falle keine andere Aussicht blieb, als auf Gefangenschaft und Tod.

Das Gespenst ihrer Schwester Antoinette, welches an dem in einer einzigen Nacht weiß gewordenen Haar den Kopf in der Hand hielt, stand Tag und Nacht vor ihr.

Zehn Tage nach der Rückkunft des Königs, das heißt am 18. December, befand sich die Königin zu einer engeren Berathung mit Acton und Emma Lyonna in ihrem Schlafzimmer.

Es war acht Uhr Abends. Ein furchtbarer Sturm schlug mit seinen scheuen Fittigen an die Fenster des königlichen Palastes und man hörte das Brausen des Meeres, welches sich an den aragonesischen Thürmen des Castello Nuovo brach.

Eine einzige Lampe erleuchtete das Zimmer und concentrirte ihren Schein auf einen Plan oder Grundriß des Palastes, worauf die Königin und Acton begierig etwas zu suchen, aber nicht finden zu können schienen.

In einem Winkel des Zimmers gewahrte man im Halbschatten eine unbewegliche stumme Gestalt, welche, gleich einer Bildsäule einen Befehl zu erwarten und zur Vollziehung desselben sich bereit zu halten schien.

Die Königin machte eine Geberde der Ungeduld.

»Aber dieser geheime Gang ist dennoch vorhanden,« sagte sie. »Ich weiß es gewiß, obschon man ihn seit langer Zeit nicht mehr benützt.«

»Und Euer Majestät glauben, daß dieser geheime Gang Ihnen nothwendig ist? «

»Unumgänglich nothwendig!« sagte die Königin. Die Sage behauptet, daß er in den Kriegshafen führte, uni mittelt dieses Ganges können wir, ohne gesehen zu werden, unsere Kleinodien, unser Gold und die kostbaren Kunstgenstände, welche wir mitnehmen wollen, an Bord englischen Schiffe bringen. Wenn das Volk unsere Abreise argwohnt und uns nur einen einzigen Koffer an Bord »Vanguard« transportieren lassen sieht, so wird es sofort Emeute machen und dann wird es uns nicht mehr möglich sein fortzukommen. Wir müssen daher diesen gehe Gang durchaus wieder ausfindig machen.«

Und die Königin begann mit Hilfe eines Vergrößerungsglases hartnäckig wieder die Bleistiftstriche zu suchen, welche den unterirdischen Gang andeuten konnten, in welchen sie ihre ganze Hoffnung setzte.

Acton, welcher sah, wie eifrig die Königin in dieser Beziehung beschäftigt war, richtete den Kopf empor, suchte mit den Augen die vorhin erwähnte dunkle Gestalt und sagte, nachdem er sie gefunden:

»Dick!«

Der junge Mann zuckte zusammen, als ob er gar nicht erwartet hätte, gerufen zu werden und als ob ganz besonders sein Geist, der Herrscher des Körpers, ihn tausend Meilen weit von der Stelle hinwegversetzt hätte, wo er sich materiell befand.

»Gnädiger Herr,« antwortete er.

»Sie wissen wohl, wovon die Rede ist, Dick?«

»Nein, durchaus nicht, gnädiger Herr.«

»Aber dennoch sind Sie seit beinahe einer Stunde hier, mein Herr,« sagte die Königin mit einer gewissen Ungeduld.

»Ja, das ist wahr, Majestät.«

»Dann müssen Sie auch gehört haben, was wir gesprochen, und wissen, was wir suchen.«

»Mein Gebieter hatte mir nicht gesagt, daß es mir erlaubt wäre, zu horchen, und folglich habe ich nichts gehört.«

»Sir John,« sagte die Königin im Tone des Zweifels, »Sie haben da einen kostbaren Diener.«

»Auch habe ich Euer Majestät gesagt, wie viel ich auf ihn halte.«

Dann wendete Sir John Acton sich zu dem jungen Mann, welchen wir in der Nacht, wo Ferrari mit dem Pferde stürzte und dann längere Zeit ohnmächtig war, schon die Befehle seines Herrn auf so intelligente und so passive Weise ausführen gesehen haben, und sagte:

»Kommen Sie hierher, Dick.«

»Hier bin ich, gnädiger Herr,« sagte der junge Mann, indem er sich näherte.

»Sie sind wohl ein wenig Architect, nicht wahr?«

»Allerdings habe ich zwei Jahre lang die Baukunst studiert.«

»Nun dann kommen Sie hierher und suchen Sie. Vielleicht finden Sie, was wir nicht finden. Es muß nämlich in diesem unterirdischen Gewölben einen geheimen Gang geben, welcher aus dem Innern des Palastes in den Kriegshafen führt.«

Acton trat von dem Tische hinweg und überließ seinen Platz seinem Secretär.

Dieser neigte sich über den Plan, richtete sich aber sofort wieder empor und sagte:

»Dieses Suchen ist, glaube ich, zwecklos.«

»Warum?«

»Wenn der Architekt des Palastes in den Grundgewölben einen geheimen Gang angebracht hat, so wird er sich wohl gehütet haben, ihn auf dem Plan anzudeuten.«

»Aber warum?« fragte die Königin wieder mit ihrer gewöhnlichen Ungeduld.

»Nun, Majestät, weil von dem Augenblick an, wo der Gang auf dem Plane angedeutet wäre, er kein geheimer Gang mehr sein würde, da er dann ja Allen, welche den Plan kennten, bekannt sein müßte.«

Die Königin lachte.

»Wissen Sie, daß das, was Ihr Sekretär da sagt, ziemlich logisch ist?« fragte sie.

»Ja, so logisch, daß ich mich schäme, es nicht selbst gefunden zu haben,« antwortete Acton.

»Wohlan, Mr. Dick,« sagte Emma Lyonna, »helfen Sie uns nun diesen unterirdischen Gang ausfindig machen. Ist er einmal aufgefunden, so fühle ich mich vollkommen geneigt, ihn, wie eine Heldin in einem Roman, von Anna Radcliffe, zu untersuchen und dann der Königin über meine Entdeckungen Bericht zu erstatten.«

Richard sah, ehe er antwortete, den General Acton an, wie um ihn erst um Erlaubniß zu fragen.

»Sprechen Sie, Dick, sprechen Sie,« sagte der General zu ihm. »Die Königin erlaubt es, und ich habe zu Ihrer Intelligenz und Ihrer Discretion das größte Vertrauen.«

 

Dick verneigte sich leicht.

»Vor allen Dingen,« sagte er dann, »müßte man, glaube ich, den ganzen Theil des Grundgewölbes unter- suchen, welcher auf den Binnenhafen geht. Wie gut versteckt die Thür auch sein mag, so ist es dennoch unmöglich, daß man nicht eine Spur davon finde.«

»Dann,« sagte die Königin, »müssen wir warten bis morgen und es geht eine Nacht verloren.«

Dick näherte sich dem Fenster.

»Warum das, Majestät?«, sagte er. »Der Himmel ist bewölkt, aber wir haben Vollmond. So oft er zwischen zwei Wolken hindurchgeht, verbreitet er so viel Licht, als zu meiner Nachforschung erforderlich ist. Ich brauche weiter nichts als die Parole, damit ich im Innern des Hafens ungehindert umhergehen kann.«

»Nichts ist einfacher als dieses,« sagte Acton. »Wir werden miteinander zu dem Gouverneur des Schlosses gehen.

Dieser wird Ihnen nicht blos die Parole geben, sondern auch die Schildwachen instruieren lassen, damit dieselben sich nicht weiter um Sie kümmern, sondern Sie ruhig machen lassen, was Sie zu thun haben.«

»Dann, gnädiger Herr, wollen wir, wie Ihre Majestät sagt, keine Zeit verlieren.«

»Ja, gehen Sie, General, gehen Sie,« sagte die Königin. »Und Sie, junger Mann, bemühen Sie sich, der guten Meinung, welche wir von Ihnen haben, Ehre zu machen.«

»Ich werde mein Möglichstes thun, Majestät,« sagte Dick.

Und nachdem er sich ehrerbietig verneigt, verließ er hinter dem Generalcapitän das Zimmer.

Nach Verlauf von zehn Minuten kehrte Acton allein zurück.

»Nun?«, fragte die Königin.

»Nun,« antwortete er, »unser Spürhund sucht die Fährte, und es sollte mich sehr wundern, wenn er wieder käme, ohne etwas gefunden zu haben.«

In der That begann Dick, nachdem ihm die Parole mitgetheilt worden und der wachthabende Officier die Schildwachen in geeigneter Weise instruiert hatte, seine Nachforschungen und entdeckte in einem zurücktretenden Winkel der Mauern ein mit Rot und Spinnweben bedecktes eisernes Gitter, an welchem, ohne darauf zu achten, alle Welt mit der Sorglosigkeit der Gewohnheit vorüberging.

Ueberzeugt, daß er eins der äußersten Enden dieses geheimen Ganges gefunden, war Dick nun auf weiter nichts bedacht, als auch das andere zu entdecken.

Er kehrte ins Schloß zurück, erkundigte sich, wer der älteste Diener unter all dem in den unteren Etagen wimmeln den Lakaiengeschmeiß sei, und erfuhr, daß dieses der Vater des Kellermeisters wäre, welcher, nachdem er diesen Posten vierzig Jahrelang bekleidet, denselben seit zwanzig an seinen Sohn abgetreten habe.

Der Greis zählte zweiundachtzig Jahre und hatte sein Amt unter Carl dem Dritten angetreten, der ihn im Jahre seiner Thronbesteigung aus Spanien mit hierhergebracht.

Dick ließ sich zu dem Kellermeister führen.

Er fand die ganze Familie bei Tische. Sie bestand aus zwölf Personen. Der Greis war der Stamm, die übrigen waren die Zweige.

Letztere bestanden aus zwei Söhnen, zwei Schwiegertöchtern und sieben Kindern und Enkeln.

Von den beiden Söhnen war der eine Kellermeister des Königs wie sein Vater, der andere Hofschlosser.

Der Großvater war ein schöner, noch aufrecht einherschreitender kräftiger Greis, der auch von seiner Intelligenz nichts verloren zu haben schien.

Dick trat ein, und sagte auf spanisch zu ihm:

»Die Königin verlangt Euch.«

Der Greis stutzte. Seit dem Weggange Carls des Dritten, das heißt seit vierzig Jahren, hatte Niemand seine Sprache mit ihm geredet.

»Die Königin verlangt mich?« rief er erstaunt auf Neapolitanisch.

Sämtliche Tischgäste erhoben sich von ihren Sitzen.

»Ja, die Königin verlangt Euch,« wiederholte Dick.

»Mich?«

»Ja, Euch.«

»Wissen Sie auch gewiß, daß Sie sich nicht irren, junger Herr?«

»Ja, ich weiß es gewiß.«

»Und wann soll ich zu ihr kommen?«

»Sofort, augenblicklich.«

»Aber ich kann doch nicht so vor Ihrer Majestät erscheinen?«

»Sie verlangt Euch so, wie Ihr gerade seid.«

»Aber Excellenz –«

»Die Königin wartet.«

Der Greis erhob sich, durch den an ihn ergangenen Ruf mehr geängstet als geschmeichelt, und betrachtete seine Söhne mit einer gewissen Unruhe.

»Sagt eurem Sohn, dem Schlosser, er solle sich nicht schlafen legen, fuhr Dick in spanischer Sprache fort; »wahrscheinlich wird die Königin diesen Abend auch ihn bedürfen.«

Der alte Mann setzte seinen Sohn in neapolitanischer Sprache von diesem Befehle in Kenntniß.

»Seid Ihr bereit?« fragte Dick.

»Ich stehe Ihnen zur Verfügung, Excellenz, antwortete der Greis.

Und mit beinahe ebenso festem, obschon etwas schwererem Tritt, als der seines Führers war, stieg er die Diensttreppe hinauf, welche Dick zu passiren räthlich fand, und durchschritt die Corridors.

Die Thürsteher hatten den jungen Mann mit dem Generalcapitän aus dem Zimmer der Königin herauskommen sehen. Sie erhoben sich, um seine Rückkunft zu verkünden; er bedeutete sie jedoch durch eine Handgeberde, sich nicht zu bemühen, und pochte dann leise an der Thür des Zimmers der Königin.

»Herein!« rief die gebieterische Stimme Carolinens, welche ahnte, daß nur Dick die Discretion besäße, sich nicht anmelden zu lassen.

Acton sprang auf, um die Thür zu öffnen, hatte aber noch nicht zwei Schritte gethan, als Dick, die Thür aufstoßend, eintrat, während er den alten Kellermeister im Vorzimmer zurückließ.

»Nun, Mr. Dick,« fragte die Königin, »was haben Sie gefunden?«

»Was Eure Majestät suchten, hoffe ich wenigstens.«

»Sie haben den unterirdischen Gang gefunden?«

»Ich habe einen seiner Ausgänge gefunden und hoffe Euer Majestät den Mann zuzuführen, welcher den andern finden wird.«

»Den Mann, welcher den andern finden wird?«

»Den ehemaligen Kellermeister des Königs Karl des Dritten, einen Greis von zweiundachtzig Jahren.«

»Haben Sie ihn befragt?«

»Ich glaubte mich nicht dazu ermächtigt und habe daher diese Sorge Euer Majestät vorbehalten.«

»Wo ist dieser Mann?«

»Hier,« sagte der Secretär, indem er auf die Thür zeigte.

»Er möge eintreten.«

Dick ging nach der Thür.

»Kommt herein,« sagte er.

Der Greis trat ein.

»Ah! Ihr seid es, Pacheco,« sagte die Königin, die ihn erkannte, denn sie war fünfzehn oder zwanzig Jahre von ihm bedient worden. »Ich wußte nicht, daß Ihr noch unter den Lebenden weilt. Ich freue mich, Euch noch gesund und munter zu sehen.«

Der Greis verneigte sich.

»Ihr könnt mir eben wegen eures hohen Alters einen Dienst leisten.«

»Ich stehe Euer Majestät zu Befehl.«

»Ihr müßt aus der Zeit des hochseligen Königs Karl des Dritten noch von einem geheimen Gange, welcher aus den Kellergewölben des Schlosses in den innern Theil des Kriegshafens führt, Kenntniß besitzen, oder wenigstens davon sprechen gehört haben.«

Der alte Mann legte die Hand an die Stirn.

»In der That,« sagte er, »es ist mir so etwas erinnerlich.«

»Nun dann besinnt Euch, Pacheco. Wir müssen heute noch diesen Gang ausfindig machen.«

Pacheco schüttelte den Kopf.

Die Königin machte eine Geberde der Ungeduld.

»Mein Himmel,« sagte Pacheco, »man ist nicht mehr jung. Wenn man zweiundachtzig Jahre zählt, verliert man allmälig das Gedächtniß. Ist es mir vielleicht erlaubt, meine Söhne zu Rathe zu ziehen?«

»Was sind eure Söhne?« fragte die Königin.

»Der älteste, Euer Majestät, welcher fünfzig Jahre zählt, ist mir in meinem Amte als Kellermeister gefolgt. Der Andere, welcher achtundvierzig Jahre zählt, ist Schlosser.«

»Schlosser, sagt Ihr?«

»Ja, Schlosser, Euer Majestät zu dienen!«

»Schlosser, Euer Majestät hören es,« sagte Dick. »Um die Thür zu öffnen, wird man eines Schlossers bedürfen.«

»Gut, gut,« sagte die Königin. »Geht und zieht eure Söhne zu Rathe, aber blos eure Söhne, nicht die Frauen derselben.«

»Gott schütze Euer Majestät,« sagte der Greis, indem er sich verneigte, um sich dann zu entfernen.

»Begleiten Sie diesen Mann, Mr. Dick,« sagte die Königin, »und kommen Sie so bald als möglich wieder, um mir das Ergebniß der Conferenz mitzutheilen.«

Dick verneigte sich und folgte Pacheco.

Eine Viertelstunde später kam er zurück. »Der geheime Gang ist gefunden, sagte er, »und der Schlosser ist bereit, auf Befehl Euer Majestät die Thür zu öffnen.«