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Joseph Balsamo Denkwürdigkeiten eines Arztes 1

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LXXXVI.
Ungnade

Am andern Tag schlug die große Glocke von Versailles eilf Uhr, als König Ludwig XV. durch die an sein Zimmer anstoßende Gallerie schritt und mit trockener Stimme: »Herr de la Brillière!« rief.

Der König war bleich und schien bewegt; je mehr er sich Mühe gab, diese Unruhe zu verbergen, desto mehr trat sie in der Verlegenheit seines Blickes und in der Spannung seiner gewöhnlich unempfindlichen Gesichtsmuskeln hervor.

Alsbald herrschte ein eisiges Stillschweigen in den Reihen der Höflinge, unter denen man den Herrn Herzog von Richelieu und den Grafen Jean Dubarry, Beide ruhig, Beide Gleichgültigkeit und Unwissenheit heuchelnd, bemerkte.

Der Herzog de la Brillière näherte sich und nahm aus den Händen des Königs einen Geheimbrief, den Seine Majestät ihm reichte.

»Ist der Herr Herzog, von Choiseul in Versailles?« fragte der König.

»Sire, seit gestern; er ist Nachmittags um zwei Uhr von Paris zurückgekehrt.«

»Ist er in seinem Hotel, ist er im Schloß?«

»Er ist im Schloß, Sire.«

»Gut,« sagte der König; »überbringen Sie ihm diesen Befehl, Herzog.«

Ein langer Schauer durchlief die Reihen der Zuschauer, die sich alle flüsternd beugten, wie die Aehren unter dem Wehen des Sturmwindes.

Der König faltete die Stirne, als wollte er diese Scene durch den Schrecken verstärken, und kehrte stolz in sein Cabinet zurück gefolgt von seinem Kapitän der Garden und dem Commandanten der Chevauxlegers.

Alle Blicke folgten Herrn de la Brillière, der, selbst unruhig über das Geschäft, das er zu verrichten hatte, langsam den Hof des Schlosses durchschritt und sich in die Wohnung des Herzogs von Choiseul begab.

Während dieser Zeit kamen alle Gespräche, drohend oder schüchtern, zum Ausbruch um den alten Marschall her, der mehr als die Andern den Erstaunten spielte, wodurch sich aber in Folge eines gewissen köstlichen Lächelns Niemand täuschen ließ.

Herr de la Brillière kam zurück und war sogleich umzingelt.

»Nun?« fragte man ihn.

»Es war ein Verbannungsbefehl.«

»Verbannungsbefehl?«

»Ja, in bester Form.«

»Sie haben ihn gelesen, Herzog?«

»Ich habe ihn gelesen.«

»Positiv?«

»Beurtheilen Sie.«

Und der Herzog sprach folgende Worte, die er mit dem unerschütterlichen Gedächtniß, das die Höflinge bildet, behalten hatte:

»Mein Vetter, die Unzufriedenheit, die mir Ihre Dienste verursachen, nöthigt mich, Sie nach Chanteloup zu verbannen, wohin Sie sich in 24 Stunden begeben werden. Ich hätte Sie weiter geschickt, wäre nicht die besondere Achtung, welche ich für Frau von Choiseul hege, deren Gesundheit mir äußerst wichtig ist. Nehmen Sie sich in Acht, daß mich Ihr Benehmen nicht einen andern Entschluß fassen läßt.«

Ein langes Gemurmel durchlief die Gruppe, welche den Herzog de la Brillière umgab.

»Und was hat Ihnen Herr von Saint-Florentin geantwortet?« fragte Richelieu, der dem Herzog absichtlich weder seinen neuen Titel, noch seinen neuen Namen gab.

»Er hat mir geantwortet:

‚Herr Herzog, ich bin überzeugt von dem Vergnügen, das es Ihnen bereitet, mir diesen Brief zu überbringen.’ «

»Das war hart, mein armer Herzog,« sagte Jean.

»Was wollen Sie, Herr Graf, man bekommt nicht einen solchen Ziegel auf den Kopf, ohne ein wenig zu schreien.«

»Und was wird er thun, wissen Sie es?« fragte Richelieu.

»Aller Wahrscheinlichkeit nach wird er gehorchen,«

»Hm!« machte der Marschall.

»Hier ist der Herzog,« rief Jean, der am Fenster Wache stand.

»Kommt er hierher?« fragte der Herzog de la Brillière.

»Ich sagte es Ihnen, Herr von Saint-Florentin.«

»Er durchschreitet den Hof,« fuhr Jean fort.

»Allein?«

»Ganz allein, sein Portefeuille unter dem Arm.«

»Ah! mein Gott!« murmelte Richelieu, »soll die Scene von gestern wieder anfangen?«

»Sprechen Sie mir nicht davon, es schauert mich,« sagte Jean.

Er hatte noch nicht vollendet, als der Herzog von Choiseul, den Kopf hoch, das Auge sicher, am Eingang der Gallerie erschien, mit einem klaren und ruhigen Blicke alle seine Feinde oder diejenigen, welche sich im Fall der Ungnade als solche erklären würden, niederschmetternd.

Niemand erwartete nach dem, was vorgefallen, diesen Schritt, Niemand widersetzte sich also.

»Sind Sie sicher, daß Sie gut gelesen haben, Herzog?« fragte Jean.

»Bei Gott!«

»Und er kommt nach einem Brief, wie der, den Sie uns vorsagten!«

»Ich begreife das nicht, bei meinem Ehrenwort!«

»Der König wird ihn in die Bastille werfen lassen.«

»Das wird ein erschreckliches Aergerniß geben.«

»Ich möchte ihn beinahe beklagen.«

»Ah! mm tritt er beim König ein. Das ist unerhört.«

Ohne auf eine Art von Widerstand, den ihm der Huissier mit ganz verblüfftem Gesicht entgegensetzte, Achtung zu geben, drang der Herzog in der That bis in das Cabinet des Königs, der, als er ihn sah, einen Schrei des Erstaunens von sich gab.

Der Herzog hielt in der Hand seinen Geheimbrief; er zeigte ihn dem König mit einem beinahe lächelnden Gesicht und sprach:

»Sire, wie mir Eure Majestät gestern zum Voraus zu bemerken die Gnade hatte, habe ich so eben einen neuen Brief erhalten.«

»Ja, mein Herr,« erwiederte der König.

»Und da Eure Majestät mir gestern zu sagen geruhte, ich sollte nie als ernst einen Brief betrachten, der nicht durch das ausdrückliche Wort des Königs ratificirt wäre, so komme ich, um mir eine Erklärung zu erbitten.«

»Sie wird kurz sein, Herr Herzog,« sprach der König, »Heute ist der Brief gültig.«

»Gültig, ein für einen ergebenen Diener so verletzender Brief?«

»Ein ergebener Diener, mein Herr, läßt seinen Herrn nicht eine lächerliche Rolle spielen.«

»Sire,« sagte mit stolzem Tone der Minister, »ich glaubte am Thron geboren zu sein und die Majestät desselben zu verstehen.«

»Mein Herr,« entgegnete der König, »ich will Sie nicht schmachten lassen. Sie haben gestern im Cabinet Ihres Hotels in Versailles einen Courier von Frau von Grammont erhalten.«

»Das ist wahr, Sire.«

»Er hat Ihnen einen Brief übergeben.«

»Sire, ist es einem Bruder und einer Schwester verboten, Briefe zu wechseln?’

»Warten Sie, wenn’s beliebt, ich weiß den Inhalt dieses Briefes.«

»Oh! Sire.«

»Hier ist er  . . .; ich habe mir die Mühe gemacht, ihn eigenhändig abzuschreiben.«

Und der König reichte dem Herzog eine genaue Abschrift des Briefes, den er erhalten hatte.

»Sire!«

»Leugnen Sie nicht, Herr Herzog, Sie haben den Brief in ein eisernes Kästchen eingeschlossen, das im Gang hinter Ihrem Bett angebracht ist.«

Der Herzog wurde bleich wie ein Gespenst.

»Das ist noch nicht Alles,« fuhr der König unbarmherzig fort, »Sie haben Frau von Grammont geantwortet. Den Inhalt dieses Briefes weiß ich ebenfalls; er ist hier in Ihrem Portefeuille und erwartet, um abzugehen, nur eine Nachschrift, die Sie, wenn Sie mich verlassen, beifügen sollen..Sie sehen, daß ich unterrichtet bin, nicht wahr?«

Der Herzog wischte seine von eisigem Schweiß befeuchtete Stirne ab, verbeugte sich, ohne ein Wort zu erwiedern, und verließ das Cabinet, schwankend, als ob ihn der Schlag getroffen hätte.

Ohne die frische Luft, die ihm in’s Gesicht strömte, wäre er rücklings niedergestürzt.

Doch er war ein Mann von mächtigem Willen. Sobald er in der Gallerie war, raffte er seine ganze Stärke zusammen, durchschritt, die Stirne hoch, die Reihe der Höflinge und trat in seine Wohnung, um verschiedene Papiere zu verschließen und zu verbrennen.

Eine Viertelstunde nachher verließ er das Schloß in seiner Carrosse.

Die Ungnade von Herrn von Choiseul war ein Donnerschlag, der Frankreich entzündete.

In der That, durch die Duldsamkeit des Ministers unterstützt, erklärten die Parlamente, der Staat habe seine festeste Säule verloren. Der Adel hing an ihm als an einem der Seinigen. Die Geistlichkeit war von diesem Mann geschont worden, dessen persönliche Würde, zuweilen bis zum Hochmuth gesteigert, seinen ministeriellen Verrichtungen ein priesterliches Ansehen gab.

Die encyclopädistische oder philosophische Partei, welche schon sehr zahlreich und besonders sehr stark war, weil sie bei den Unterrichteten, den Aufgeklärten und bei den vom Geiste des Widerspruchs beseelten Leuten rekrutirte, stieß ein lautes Geschrei aus, als sie die Regierung den Händen des Ministers entgehen sah, der Voltaire beweihrauchte, die Encyklopädie pensionirte und, sie in nützlicher Richtung entwickelnd, die Ueberlieferung von Frau von Pompadour, dieses weibliches Mäcens der Männer des Mercure und der Philosophie, bewahrte.

Das Volk hatte viel mehr Recht als alle die Unzufriedenen. Es beklagte sich auch das Volk und zwar ohne zu ergründen, aber es berührte wie immer die große Wahrheit, den wunden Fleck.

Aus dem allgemeinen Gesichtspunkt betrachtet, war Herr von Choiseul ein schlechter Minister und ein schlechter Bürger; beziehungsweise aber war er ein Muster der Tugend, der Sittlichkeit und der Vaterlandsliebe.

Wenn das Volk, das auf dem Lande Hungers starb, von den Verschwendungen Seiner Majestät, von den zu Grunde richtenden Launen von Madame Dubarry hörte, wenn man ihm unmittelbar Nachrichten, wie l’Homme aux quarante écus, oder Rathschläge wie den Contrat social, sodann insgeheim Offenbarungen wie die Nouvelles à la main, oder die Idées singulières d’un bon citoyen zusandte, da erschrak das Volk, daß es wieder in die unreinen Hände der Favoritin, welche minder achtenswerth als die Frau eines Kohlenbrenners, wie Bauveau sagte, in die Hände der Günstlinge der Favoritin fallen sollte, und erstaunte, müde so vieler Leiden, die Zukunft schwärzer zu sehen, als es die Vergangenheit gewesen war.

Nicht als hätte das Volk, das Antipathien hatte, sehr scharf hervortretende Sympathien gehabt. Es liebte die Parlamente nicht, weil die Parlamente, seine natürlichen Beschützer, es stets verlassen hatten, um müßige Fragen des Vorsitzes oder selbstsüchtiger Interessen zu verhandeln; weil sich diese Parlamente, schlecht beleuchtet durch den falschen Widerschein der königlichen Allgewalt, eingebildet hatten, sie seien etwas wie eine Aristokratie zwischen dem Adel und dem Volk.

 

Es liebte den Adel nicht aus Instinct und aus Erinnerung. Es fürchtete das Schwert eben so sehr, als es die Kirche haßte. Nichts konnte es bei der Entlassung von Herrn von Choiseul berühren, aber es hörte die Klagen des Adels, der Geistlichkeit und des Parlaments, und seinem eigenen Murren beigefügt, bildete dieses Geräusch einen Lärmen, der es berauschte  . . .

Ganz Paris, das Wort läßt sich hier durch einen Beweis rechtfertigen, begleitete bis zu den Thoren den Verbannten, der nach Chanteloup abreiste.

Da Volk bildete Spaliere auf dem Wege der Carrosse; die Parlamentsmitglieder und die Leute vom Hof, die vom Herzog nicht mehr hatten empfangen werden können, stellten ihre Equipagen vor den Reihen des Volkes auf, um ihn im Vorüberfahren zu grüßen und ein Zeichen des Abschieds von ihm zu erhalten.

Das dichteste Gedränge war an der Barrière d’Enser, von wo aus die Straße nach Touraine führt. Es war hier ein solcher Zustrom von Fußgängern, Reitern und Wagen, daß die Circulation mehrere Stunden unterbrochen wurde. Als es dem Herzog gelang, durch die Barrière hinauszukommen, sah er sich von mehr als hundert Wagen begleitet, welche gleichsam eine Glorie für den seinigen bildeten.

Zurufungen und Seufzer folgten ihm. Er hatte zu viel Geist und zu viel Kenntniß von der Lage der Dinge, um nicht zu begreifen, daß all dieser Lärmen weniger ein Beklagen war, das seiner Person galt, als Befürchtungen hinsichtlich der Unbekannten, die sich aus seinen Trümmern erheben würden.

Eine Postchaise kam im Galopp auf der versperrten Landstraße einher, und ohne eine gewaltige Anstrengung des Kutschers hätten sich die von Staub und Schweiß weißen Pferde in das Gespann von Herrn von Choiseul gestürzt.

Ein Kopf neigte sich aus dieser Chaise, wie sich Herr von Choiseul aus seinem Wagen neigte.

Herr von Aiguillon verbeugte sich tief vor dem gefallenen Minister, dessen Erbschaft er einthun wollte. Herr von Choiseul warf sich in den Wagen zurück: eine einzige Secunde hatte die Lorbeeren seiner Niederlage vergiftet.

Doch in demselben Augenblick und ohne Zweifel als Entschädigung, kreuzte ein Wagen mit dem Wappen von Frankreich, der, gezogen von acht Pferden, auf der Verzweigung der Straße von Sevres nach Saint-Cloud fuhr und, sei es aus Zufall, oder war es Folge der Versperrung, nicht die Landstraße benutzte, dieser königliche Wagen, sagen wir, kreuzte die Carrosse von Herrn von Choiseul.

Die Dauphine saß mit ihrer Ehrendame, Frau von Noailles, auf dem Hintersitz.

Fräulein Andrée von Taverney war auf dem Vordersitz.

Roth vor Vergnügen und Glorie, neigte sich Herr von Choiseul tief grüßend aus dem Schlag.

»Gott befohlen, Madame,« sagte er mit zitternder Stimme.

»Auf Wiedersehen, Herr von Choiseul,« rief die Dauphine mit einem kaiserlichen Lächeln und mit majestätischer Verachtung aller Etiquette.

»Es lebe Herr von Choiseul!« schrie eine enthusiastische Stimme nach diesen Worten der Dauphine.

Fräulein Andrée wandte sich rasch beim Tone dieser Stimme um.

»Aufgepaßt!« riefen die Stallmeister der Prinzessin und nöthigten Gilbert, der sich ganz bleich und sehgierig vorgedrängt hatte, bis an den Graben der Straße zurückzuweichen.

Es war in der That unser Held, der in einer philosophischen Begeisterung; Es lebe Herr von Choiseul! gerufen hatte.

LXXXVII.
Der Herr Herzog von Aiguillon

So viel man in Paris und auf der Straße nach Chanteloup Grimassen und rothe Augen zur Schau trug, eben so viele glänzende, lächelnde Gesichter brachte man nach Luciennes. In Luciennes thronte diesmal nicht mehr eine Sterbliche, die schönste und angebetetste der Sterblichen, wie die Höflinge und Dichter sagten, sondern eine wahre Gottheit, welche Frankreich regierte.

Am Abend des Tages, an welchem Herr von Choiseul in Ungnade fiel, bedeckte sich auch die Straße mit denselben Equipagen, welche am Morgen dem verbannten Minister nachgefahren waren; mehr noch, man sah alle Parteigänger des Kanzlers, der Bestechung und der Günstlingschaft, was einen ansehnlichen Zug bildete.

Doch Madame Dubarry hatte ihre Polizei; Jean wußte, ungefähr auf einen Baron, den Namen derjenigen, welche die letzten Blumen dem abgeschiedenen Choiseul zugeworfen hatten,« er sagte diese Namen der Gräfin und sie wurden unbarmherzig ausgeschlossen, während der Muth der Andern gegen die öffentliche Meinung eine Belohnung durch ein Lächeln der Protection und den vollständigen Anblick der Gottheit des Tags erhielt.

Nach der großen Reihe der Wagen und des allgemeinen Gedränges, fand der besondere Empfang statt. Richelieu, der Held des Tages, allerdings der geheime und besonders bescheidene Held, sah den Wirbel der Besuche und Bittsteller vorüberziehen und nahm den letzten Stuhl im Boudoir ein.

Gott weiß, wie man sich freute und sich Glück wünschte! Das Drücken der Hände, das kleine halberstickte Gelächter, das enthusiastische Trippeln schienen die Sprache der Bewohner von Luciennes geworden zu sein.

»Man muß gestehen,« sagte die Gräfin, »der Graf von Balsamo oder von Fönix, wie Sie ihn nennen wollen, Herzog, ist der erste Mann dieser Zeit. Es wäre sehr Schade, wenn man die Zauberer noch verbrennen würde.«

»Ja, Gräfin, ja, es ist ein sehr großer Mann,« erwiederte Richelieu.

»Und ein sehr schöner Mann. Ich habe eine Laune für diesen Mann, Herzog  . . .«

»Sie werden mich eifersüchtig machen,« sprach lachend Richelieu, den es überdies drängte, dem Gespräch eine ernstere Wendung zu geben  . . . Er wäre ein furchtbarer Polizeiminister, dieser Herr Graf von Fönix.«

»Ich dachte auch daran,« sagte die Gräfin. »Nur ist er unmöglich.«

»Warum, Gräfin?«

»Weil er seine Collegen unmöglich machen würde.«

»Wie so?«

»Da er Alles weiß, alle ihre Spiele sieht  . . .«

Herr von Richelieu erröthete unter seiner Schminke.

»Gräfin,« erwiederte er, »ich wünschte, sollte er mein College sein, er wäre immer bei meinem Spiele betheiligt, und er würde Ihnen die Karten mittheilen, Sie würden dabei stets den Herzbuben auf den Knieen vor der Dame und zu den Füßen des Königs sehen.«

»Es gibt Niemand, der mehr Geist hat als Sie, mein lieber Herzog,« versetzte die Gräfin. »Doch sprechen wir ein wenig von unserem Ministerium  . . . Ich glaubte, Sie hätten Ihren Neffen benachrichtigen lassen?«

»Aiguillon? Er ist angekommen, Madame, und zwar unter den Anspielen, die ein römischer Seher für die günstigsten erklärt haben würde: sein Wagen hat den des abfahrenden Herrn von Choiseul gekreuzt.«

»Das ist in der That ein günstiges Vorzeichen,« sprach die Gräfin; »er wird also kommen?«

»Madame, ich habe mir überlegt, daß Herr von Aiguillon, wenn er in Luciennes von aller Welt und in einem Augenblick, wie dieser, gesehen würde, zu allen Arten von Commentaren Anlaß geben müßte, und ich habe ihn deshalb gebeten, unten im Dorf zu bleiben, bis ich ihn nach Ihren Befehlen rufe.«

»Rufen Sie ihn also, Marschall, und zwar auf der Stelle, denn wir sind nun beinahe allein.«

»Um so lieber, als wir uns völlig verständigt haben, nicht wahr, Gräfin?«

»Durchaus, ja, Herzog. Sie ziehen  . . . den Krieg den Finanzen vor, nicht wahr? Oder wünschen Sie die Marine zu haben?«

»Ich ziehe den Krieg vor, Madame; dabei kann ich am meisten Dienste leisten.«

»Das ist richtig. In diesem Sinne werde ich also mit dem König sprechen. Sie haben keine Antipathie?«

»Gegen wen?«

»Gegen diejenigen von Ihren Collegen, welche der König vorschlagen wird?«

»Ich bin der Mann der Welt, mit dem am wenigsten schwierig zu leben ist; doch Sie werden mir erlauben, daß ich meinen Neffen rufen lasse, da Sie ihm die Gunst, ihn zu empfangen, gewähren wollen.«

Richelieu näherte sich dem Fenster; der letzte Schein der Abenddämmerung beleuchtete noch den Hof. Er machte ein Zeichen einem seiner bedienten, der dieses Fenster bewachte und auf sein Signal sogleich weglief.

Man fing indessen an bei der Gräfin die Lichter anzuzünden.

Zehn Minuten nach dem Abgang des Bedienten fuhr ein Wagen in den ersten Hof. Die Gräfin wandte rasch ihre Augen dem Fenster zu.

Richelieu gewahrte diese Bewegung, die ihm als ein vortreffliches Vorzeichen für die Angelegenheiten von Herrn von Aiguillon und folglich für die seinigen erschien.

»Sie mag den Oheim wohl leiden, sie findet Geschmack am Neffen,« sagte er zu sich selbst; »wir werden die Herren hier sein.«

Während er sich an diesen chimärischen Dünsten weidete, vernahm man ein schwaches Geräusch an der Thüre und die Stimme des Kammerdieners meldete den Herzog von Aiguillon.

Er war ein sehr schöner und sehr anmuthiger Herr, der in einer ebenso reichen, als zierlichen und wohlverstandenen Kleidung erschien. Herr von Aiguillon hatte die Tage der frischen Jugend hinter sich, aber er gehörte zu jenen Männern, welche durch den Blick und den Willen bis zum hinfälligen Alter jung sind.

Die Sorgen der Regierung hatten nicht eine Runzel auf seine Stirne gebracht; sie hatte nur die natürliche Falte vergrößert, die bei den Dichtern und den Staats-Männern die Zufluchtstätte tiefer Gedanken zu sein scheint. Er hielt gerade und hoch seinen schönen Kopf voll Feinheit und Schwermuth, als ob er wüßte, daß der Haß von zehn Millionen Menschen auf diesem Kopf lastete, aber als hätte er auch zugleich beweisen wollen, diese Last übersteige seine Kräfte nicht.

Herr von Aiguillon hatte die schönsten Hände der Welt, von jenen Händen, welche selbst noch unter der Woge der Spitzen weiß und zart erscheinen. Man hatte in jener Zeit eine besondere Vorliebe für ein gut gebautes Bein; das des Herzogs war ein Muster nerviger Zierlichkeit und aristokratischer Form. Man fand bei ihm die Lieblichkeit des Dichters, den Adel des vornehmen Herrn, die Geschmeidigkeit und das Markige eines Musketiers. Für die Gräfin war es ein dreifaches Ideal: sie fand in einem einzigen Modell drei Typen, welche diese schöne Sinnliche aus Instinct lieben mußte.

Durch eine bemerkenswerthe Seltsamkeit, oder besser gesagt, in Folge einer Verkettung durch die geschickte Taktik von Herrn von Aiguillon combinirter Umstände hatten sich diese zwei Helden des öffentlichen Hasses, die Favoritin und der Höfling, noch nicht von Angesicht zu Angesicht bei Hofe mit allen ihren Vorzügen gesehen.

Herr von Aiguillon hatte sich in der That seit drei Jahren viel in der Bretagne oder in seinem Cabinet beschäftigt; er war wenig verschwenderisch mit seiner Person bei Hofe gewesen, da er wohl wußte, es würde eine günstige oder ungünstige Krise eintreten. Im ersten Fall wäre es besser, den von ihm Regierten die Vortheile des Unbekannten anzubieten, im zweiten, zu verschwinden, ohne zu starke Spuren zurückzulassen, um später leicht mit einem neuen Gesicht aus dem Schlunde hervorgehen zu können.

Und dann war ein anderer Grund bei allen diesen Berechnungen vorherrschend; dieser gehört zum Felde des Romans, ist jedoch der bessere.

Ehe Madame Dubarry Gräfin war und jede Nacht mit ihren Lippen die Krone von Frankreich berührte, war sie ein hübsches, lachendes, angebetetes Geschöpf gewesen; sie war geliebt gewesen, ein Glück, auf das sie nicht mehr rechnen durfte, seitdem man sie fürchtete.

Unter allen den reichen, mächtigen und schönen jungen Leuten, welche Jeanne Vaubernier den Hof gemacht, unter allen den Reimschmieden, welche an das Ende von zwei Versen die Worte Lange und Ange angehängt hatten, war der Herzog von Aiguillon in der ersten Reihe gestanden; aber mag nun der Herzog die Sache nicht eifrig genug betrieben haben, mag Mademoiselle Lange nicht so leicht zugänglich gewesen sein, als ihre Verleumder behaupteten, mag endlich, und dies benimmt weder dem Einen noch der Andern ein Verdienst, mag endlich die plötzliche Liebe des Königs die Herzen getheilt haben, welche sich zu verständigen im Begriff waren, Herr von Aiguillon hatte Verse, Akrosticha und duftende Sträuße wieder eingeschoben; Mademoiselle Lange hatte ihre Thüre in der Rue des Petits-Champs geschlossen; der Herzog war, seine Seufzer erstickend, nach der Bretagne gezogen und Mademoiselle Lange sandte alle die ihrigen gen Versailles an den Herrn Baron von Goneffe, nämlich an den König von Frankreich.

Daraus ging hervor, daß das plötzliche Verschwinden von Herrn von Aiguillon Anfangs Madame Dubarry sehr wenig beschäftigte, weil sie Furcht vor der Vergangenheit hatte; als sie aber in der Folge die schweigsame Haltung ihres ehemaligen Anbeters wahrnahm, wurde sie neugierig, dann erstaunte sie, und gut gestellt, um die Menschen zu beurtheilen, urtheilte sie, dieser sei wahrhaft ein Mann von Geist.

 

Es war viel, diese Auszeichnung durch die Gräfin; doch es war nicht Alles, es sollte vielleicht der Augenblick kommen, wo sie in Herrn von Aiguillon einen Mann von Herz erkennen würde.

Es ist nicht zu leugnen, die arme Mademoiselle Lange hatte Gründe, die Vergangenheit zu fürchten. Ein Musketier, ein ehemals glücklicher Liebhaber, wie er sagte, war eines Tags bis nach Versailles gedrungen, um von Mademoiselle Lange ein wenig von ihren früheren Gunstbezeugungen zu fordern, und diese rasch durch eine ganz königliche Höhe unterdrückten Worte hatten nichtsdestoweniger das schamhafte Echo des Pallastes von Frau von Maintenon lästern gemacht.

Man hat gesehen, daß der Marschall bei seinem ganzen Gespräche mit Madame Dubarry nie das Kapitel einer Bekanntschaft seines Neffen mit Mademoiselle Lange berührte. Dieses Stillschweigen von Seiten eines Mannes, der wie der alte Herzog gewohnt war, die schwierigsten Dinge der Welt zu sagen, setzte Madame Dubarry sehr in Erstaunen und beunruhigte sie sogar.

Sie erwartete also voll Ungeduld Herrn von Aiguillon, um endlich zu erfahren, woran sie sich zu halten hätte und ob der Marschall discret oder unwissend gewesen sei.

Der Herzog trat ein.

Ehrfurchtsvoll mit Leichtigkeit und seiner sicher genug, um zwischen der Königin und der gewöhnlichen Frau von Hof zu grüßen, unterjochte er sich mit einem Schlag eine Protection, welche ganz geneigt war, das Gute vollkommen, und das Vollkommene wunderbar zu finden.

Herr von Aiguillon nahm sodann die Hand seines Oheims, der auf die Gräfin zuging und mit seiner einschmeichelndsten Stimme zu ihr sagte:

»Das ist der Herr Herzog von Aiguillon, Madame; es ist nicht mein Neffe, sondern einer Ihrer leidenschaftlichsten Diener, den ich Ihnen vorzustellen die Ehre habe.«

Die Gräfin schaute den Herzog bei diesen Worten an, und sie schaute ihn an, wie es die Frauen thun, nämlich mit Augen, denen nichts entgeht; sie sah nur zwei ehrfurchtsvoll geneigte Stirnen, und zwei Gesichter, welche ruhig und heiter nach dem Gruß wieder auftauchten.

»Ich weiß,« erwiederte Madame Dubarry, »daß Sie den Herrn Herzog lieben, Marschall; Sie sind mein Freund. Ich werde den Herrn bitten aus Achtung vor seinem Oheim diesen in Allem nachzuahmen, was er Angenehmes für mich thun wird.«

»Das ist das Benehmen, das ich mir längst vorgezeichnet habe, Madame,« sprach der Herzog von Aiguillon mit einer neuen Verbeugung.

»Sie haben in der Bretagne sehr gelitten?« fragte die Gräfin.

»Ja, Madame und ich bin noch nicht zu Ende,« erwiederte Herr von Aiguillon.

»Ich glaube doch, mein Herr; überdies ist hier Herr von Richelieu, der Sie mächtig unterstützen wird.«

Aiguillon schaute Richelieu wie erstaunt an.

»Ah!« sagte die Gräfin, »ich sehe, daß der Marschall noch nicht einmal Zeit gehabt hat, mit Ihnen zu reden; das ist ganz einfach, Sie kommen so eben von der Reise. Nun! Sie müssen sich hundert Dinge zu sagen haben. Ich lasse Sie allein, Marschall. Herr Herzog, Sie sind hier zu Hause.«

Die Gräfin zog sich nach diesen Worten zurück.

Doch sie hatte einen Plan. Die Gräfin ging nicht sehr weit. Hinter dem Boudoir öffnete sich ein großes Cabinet, wo sich der König häufig, wenn er nach Luciennes kam, unter chinesischen Spielereien aller Art aufhielt. Er zog dieses Cabinet dem Boudoir vor, weil man aus demselben Alles hörte, was im anstoßenden Zimmer gesprochen wurde.

Madame Dubarry war also sicher, daß sie von hier aus die ganze Unterredung des Marschalls und seines Neffen hören konnte; nach diesem wollte sie sich über den letzteren eine unwiderrufliche Meinung bilden.

Doch der Herzog war nicht zu dupiren; er kannte einen großen Theil der Geheimnisse jeder königlichen oder ministeriellen Oertlichkeit. Horchen, während man sprach, war eines von seinen Mitteln, sprechen, während man horchte, war eine von seinen Listen.

Er beschloß also, noch ganz warm von dem Empfang, der Aiguillon von Madame Dubarry zu Theil geworden war, die Sache bis zum Ende zu treiben und der Favoritin, unter der Wohlthat ihrer vermeintlichen Abwesenheit, einen ganzen Plan kleinen geheimen Glückes und großer Macht mit Intriguen vermengt zu bezeichnen, ein doppelt leckerer Köder, dem eine hübsche Frau und besonders eine Frau von Hofe beinahe nie widersteht.

Er ließ den Herzog niedersitzen und sagte zu ihm: »Sie sehen, Herzog, ich bin hier einheimisch.« »Ja, mein Herr, ich sehe es.«

»Ich habe das Glück gehabt, mir die Gunst dieser reizenden Frau zu erwerben, die man hier als Königin betrachtet, und die es in der That auch ist. Ich sage Ihnen, Herzog,« fuhr Richelieu fort, »was ich Ihnen nicht auf offener Straße mittheilen konnte, ist, daß mir Madame Dubarry ein Portefeuille versprochen hat.«

»Ah!« sagte Aiguillon, das ist man Ihnen schuldig.«

Ich weiß nicht, ob man es mir schuldig ist, doch ich weiß, daß es mir etwas spät zukommt; müde, wie ich sein werde, gedenke ich mich mit Ihnen zu beschäftigen, Aiguillon.«

»Ich danke, Herr Herzog, Sie sind ein guter Verwandter, und ich habe mehr als einen Beweis davon.«

»Sie haben nichts in Absicht, Aiguillon?«

»Durchaus nicht, wenn nicht, daß man mich nicht meines Titels als Herzog und Pair entsetzen soll, wie es diese Herren vom Parlament verlangen.«

»Sie haben irgendwo Stützen?«

»Ich? nicht eine.«

»Sie wären also ohne den gegenwärtigen Umstand gefallen?«

»Der Länge nach, Herr Herzog.«

»Ah! Sie sprechen wie ein Philosoph. Was Teufels, ich behandle Dich auch streng, mein armer Aiguillon, und ich spreche mit Dir mehr als Minister, denn als Oheim.«

»Mein Oheim, Ihre Güte erfüllt mich mit Dankbarkeit.«

»Wenn ich Dich von dort, und zwar so schnell hierher berufen habe, so begreifst Du, daß dies geschehen ist, um Dich eine gute Rolle spielen zu lassen  . . . Sprich, hast Du zuweilen über diejenige nachgedacht, welche Herr von Choiseul zehn Jahre hindurch spielte?«

»Ja, gewiß; sie war schön.«

»Schön, verständigen wir uns; schön, so lange er mit Frau von Pompadour den König beherrschte und die Jesuiten verbrennen ließ; traurig, sehr traurig, als er sich, nachdem er sich wie ein Dummkopf mit Frau von Dubarry, welche zwanzig Pompadours werth ist, entzweit hatte, in vier und zwanzig Stunden vor die Thüre setzen ließ  . . . Du antwortest nicht?«

»Ich höre, mein Herr, und suche, worauf Sie abzielen.«

»Du liebst sie, nicht wahr, diese erste Rolle von Choiseul?«

»Gewiß.«

»Nun wohl, mein lieber Freund, ich bin entschlossen, diese Rolle zu spielen.«

Aiguillon wandte sich ungestüm gegen seinen Oheim und rief:

»Sprechen Sie im Ernst?«

»Ja, warum nicht?«

»Sie wollen der Liebhaber von Madame Dubarry werden?«

»Ah! Teufel! Du gehst zu rasch; doch ich sehe, daß Du mich begriffen hast. Ja, Choiseul war sehr glücklich, er beherrschte den König und beherrschte seine Geliebte; er liebte, wie man sagt, Madame Pompadour  . . . Im Ganzen, warum nicht?  . . . Doch nein, ich kann nicht der geliebte Liebhaber sein, Dein kaltes Lächeln sagt es mir wohl; Du schaust mit Deinen jungen Augen meine gerunzelte Stirne, meine gebogenen Kniee und meine vertrocknete Hand an, die einst so schön war. Statt zu sagen, da ich von der Rolle von Choiseul sprach, ich werde sie spielen, hätte ich sagen müssen: wir werden sie spielen.«

»Mein Oheim!«

»Nein, ich kann nicht von dieser Frau geliebt sein; ich weiß jedoch, ich sage es Dir  . . . und zwar ohne Furcht, weil sie es nicht erfahren kann, ich würde diese Frau über Alles lieben;  . . . aber!«

Aiguillon faltete die Stirne.

»Aber?  . . .« fuhr er fort.

»Ich habe einen herrlichen Plan entworfen; die Rolle, die mir mein Alter unmöglich macht, werde ich entzweitrennen.«

»Ah! ah!« machte Aiguillon, »einer von den Meinigen wird Madame Dubarry lieben. Bei Gott! eine schöne Aufgabe, eine vollendete Frau!«

Hier erhob Richelieu die Stimme.

»Du begreifst, nicht Fronsac, ein unglücklicher, ausgearteter Mensch, ein Einfaltspinsel, ein Feiger, ein Schuft, ein Schlucker  . . . Sprich, Herzog, Du sollst es sein.«