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Der Graf von Monte Christo

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»Gut, lassen Sie uns zu ihm gehen,« erwiderte Albert, »ich liebe den Grafen.«

Elftes Kapitel.
Die Reise

Monte Christo stieß einen Freudenschrei aus, als er die jungen Leute beisammen sah.

»Ah! Ah!« sagte er. »Nun, ich hoffe, es ist Alles abgemacht, Alles aufgeklärt, geordnet?«

»Ja,« sprach Beauchamp. »Alberne Gerüchte, welche von selbst gefallen sind, und wenn sie sich wiederholen würden, mich nun zum ersten Gegner hätten. Reden wir nicht mehr davon.«

»Albert wird Ihnen sagen, daß dies mein Rath gewesen ist,« versetzte der Graf. »Hören Sie,« fügte er bei, »Sie sehen mich den abscheulichsten Morgen vollenden, den ich, glaube ich, in meinem Leben gehabt habe.«

»Was machen Sie?« fragte Albert, »Sie bringen, wie mir scheint, Ordnung in Ihre Papiere?«

»In meine Papiere? Gott sei Dank, nein! In meinen Papieren herrscht stets eine wunderbare Ordnung, insofern ich seine habe, sondern in die Papiere von Herrn Cavalcanti,«

»Von Herrn Cavalcanti?« fragte Beauchamp.

»Ah! ja, wissen Sie nicht, daß dies ein junger Mann ist, den der Graf in die Gesellschaft bringt?« sagte Morcerf.

»Nein, verstehen wir uns wohl,« entgegnete Monte Christo, »ich bringe Niemand in die Gesellschaft, und Herrn von Cavalcanti noch viel weniger, als irgend einen Andern.«

»Und der Fräulein Danglars statt meiner heiraten wird,« fuhr Albert mit einem Lächeln fort, »was mich, wie Sie sich leicht denken können, Beauchamp, furchtbar angreift.«

»Wie! Cavalcanti heiratet Fräulein Danglars?« rief Beauchamp.

»Ei! kommen Sie denn vom Ende der Welt?« versetzte Monte Christo. »Sie, ein Journalist, wissen nichts davon, während ganz Paris nur von dieser Angelegenheit spricht.«

»Und Sie, Graf, haben diese Heirat gemacht?« fragte Beauchamp.

»Ich? schweigen Sie, mein Herr Novellist, sagen Sie nicht solche Dinge; ich! guter Gott! eine Heirat machen! Nein, Sie kennen mich nicht; ich habe mich im Gegenteil mit aller Gewalt widersetzt, ich habe mich ernsthaft geweigert, die Bitte vorzubringen.«

»Ah! ich begreife, wegen unseres Freundes Albert,« sagte Beauchamp.

»Meinetwegen?« sprach der junge Mann; »oh! meiner Treue, nein. Der Graf wird mir Gerechtigkeit widerfahren lassen und bezeugen, daß ich ihn im Gegenteil stets gebeten habe, diesen Plan zu vereiteln, der nun auch glücklicher Weise aufgegeben ist. Der Graf behauptet, ich sei ihm dafür keinen Dank schuldig; wohl, ich errichte, wie die Alten, Deo ignoto einen Altar.«

»Hören Sie,« sprach Monte Christ«, »ich bin es so wenig, daß ich mit dem Schwiegervater und mit dem jungen Manne kalt stehe; nur Fräulein Danglars, die mir keinen tiefen Beruf für die Ehe zu haben scheint, bewahrte mir ihre Zuneigung, als sie sah, wie wenig ich geneigt war, dahin zu wirken, daß sie auf ihre liebe Freiheit Verzicht leisten sollte.«

»Und Sie sagen, diese Heirat sei dem Abschluß nahe?«

»Oh, mein Gott! ja, ungeachtet alles dessen, was ich einwenden mochte. Ich, was mich betrifft, kenne den jungen Mann nicht; man behauptet, er sei reich und von guter Familie; für mich sind dies lauter Sagen. Ich habe dies Herrn Danglars sattsam wiederholt, aber er ist ganz verliebt in seinen Luckeser. Ich bin sogar so weit gegangen, daß ich ihm einem Umstand mitteilte, der mir äußerst wichtig erscheint: der junge Mann ist bei der Amme vertauscht, von Zigeunern entführt, oder von seinem Hofmeister geraubt worden, ich weiß es nicht genau. Ich weiß nur, daß ihn sein Vater mehr als zehn Jahre aus dem Gesichte verloren hatte; was er während dieser zehn Jahre eines herumschweifenden Lebens getan, kennt nur Gott allein. Nichts wirkte. Man beauftragte mich, an den Major zu schreiben und die Papiere zu verlangen, welche Sie hier sehen. Ich schicke sie ihnen, wasche mir aber, wie Pilatus, die Hände.«

»Und was für ein Gesicht machte Ihnen Fräulein d’Armilly, da sie derselben ihre Schülerin entziehen?« fragte Beauchamp.

»Bei Gott! ich weiß es nicht: doch es scheint mir, sie reist nach Italien ab. Madame Danglars hat mir davon gesagt und mich um Empfehlungsbriefe an die Impresare gebeten; ich habe ihr ein paar Zeilen an den Director des Teatro Valle gegeben, der mir zu Dank verpflichtet ist. Doch was haben Sie denn, Albert? Sie sehen ganz traurig aus; sollten Sie vielleicht, ohne es zu vermuten, in Fräulein Danglars verliebt sein?«

»Nicht, daß ich wüßte,« erwiderte Albert mit einem trüben Lächeln.

Beauchamp fing an, die Gemälde zu betrachten.

»Doch, Sie sind nicht in Ihrem gewöhnlichen Zustande,« fuhr Monte Christo fort. »Sprechen Sie, was haben Sie?«

»Ich habe Migräne,« sagte Albert.

»In diesem Fall, mein lieber Vicomte, kann ich Ihnen ein unfehlbares Mittel vorschlagen, ein Mittel, das mir geholfen hat, so oft ich mich mißstimmt fühlte.«

»Welches?« fragte der junge Mann,

»Die Ortsveränderung.«

»In der Tat?« rief Albert.

»Ja, und da ich mich in diesem Augenblick im höchsten Grade mißstimmt fühle, so verändere ich den Ort meines Aufenthaltes. Gefällt es Ihnen, wenn wir dies gemeinschaftlich tun?«

»Sie mißstimmt, Graf!« sprach Beauchamp, »und worüber?«

»Bei Gott! Sie haben gut sprechen; ich wollte Sie sehen, wenn in Ihrem Hause eine Untersuchung verfolgt würde.«

»Eine Untersuchung! welche Untersuchung?«

»Diejenige, welche Herr von Villefort gegen meinen liebenswürdigen Mörder führt, der, wie es scheint, ein aus dem Bagno entwichener Räuber ist.«

»Ah! es ist wahr,« sagte Beauchamp, »ich habe die Sache in den Zeitungen gelesen. Wie ist es denn mit diesem Caderousse?«

»Er scheint ein Provencal zu sein; Herr von Villefort hat von ihm sprechen hören, als er in Marseille war, und Herr Danglars erinnert sich, ihn gesehen zu haben. Die Folge davon ist, daß sich der Herr Staatsanwalt die Sache sehr zu Herzen nimmt, daß dieselbe, wie es scheint, im höchsten Grade den Herrn Polizeipräfecten interessiert, der mir, bewogen durch dieses Interesse, für das ich ihm äußerst dankbar bin, seit vierzehn Tagen alle Banditen hierher schickt, deren man in Paris und in dem Weichbilde habhaft werden kann, unter dem Vorwande, es seien die Mörder von Herrn Caderousse, so daß es in drei Monaten, wenn es so fortgeht, in dem schönen Frankreich keinen Dieb oder Mörder mehr gibt, der nicht den Plan meines Hauses an den Fingern kennt, ich bin auch entschlossen, ihnen dasselbe ganz zu überlassen und so weit zu gehen, als mich die Erde tragen kann. Kommen Sie mit, Vicomte, ich nehme Sie mit fort von hier.«

»Sehr gern.«

»Dann ist es abgemacht.«

»Ja, aber wohin?«

»Ich habe es Ihnen gesagt, wo die Luft rein ist, wo das Geräusch entschlummert, wo man sich, so stolz man auch sein mag, demütig fühlt und klein findet. Ich liebe diese Erniedrigung, ich, den man den Herrn des Weltalls nennt, wie Augustus.«

»Wohin gehen Sie?«

»An das Meer, Vicomte, an das Meer, Ich bin ein Seemann und wurde als ein kleines Kind in den Armen des alten Ozeans und auf dem Schooße der schönen Amphidrite gewiegt; ich habe mit dem grünen Mantel des Einen und mit dem azurblauen Gewande des Andern gespielt, ich liebe das Meer, wie man die Gebieterin seines Herzens liebt, und wenn ich es lange nicht gesehen, sehne ich mich danach.«

»Vorwärts, Graf, vorwärts!«

»An die See?«

»Ja.«

»Sie nehmen meinen Vorschlag an?«

»Ich nehme ihn an.«

»Wohl, Vicomte, es wird diesen Abend in meinem Hofe ein guter Reisewagen stehen, in welchem man sich wie in einem Bette ausstrecken kann; an diesem Wagen. werden vier Postpferde angespannt sein. Herr Beauchamp, er faßt gut vier Personen. Wollen Sie mit uns reisen? ich nehme Sie mit.«

»Ich danke, ich komme von der See.«

»Wie! Sie kommen von der See?«

»Ja, so etwa. Ich habe eine kleine Reise nach den borromäischen Inseln gemacht.«

»Gleichviel, kommen Sie immerhin!« sagte Albert.

»Nein, mein lieber Morcerf, Sie müssen begreifen, daß die Sache unmöglich ist, . sobald ich einen Vorschlag anzunehmen mich weigere. Überdies,« fügte er die Stimme dämpfend bei, »überdies ist es von Belang, daß ich in Paris bleibe, und wäre es nur, um den Briefkasten meiner Zeitung zu überwachen.«

»Ah! Sie sind ein guter, vortrefflicher Freund,« sprach Albert; »ja, Sie haben Recht, überwachen Sie, Beauchamp, und suchen Sie den Feind zu entdecken, durch den, jene Geschichte an das Tageslicht gezogen worden ist.«

Albert und Beauchamp trennten sich: ihr letzter Händedruck enthielt Alles, was ihre Lippen vor einem Fremden nicht aussprechen konnten.

»Ein vortrefflicher Junge, dieser Beauchamp!« sagte Monte Christo, nachdem der Journalist weggegangen war; »nicht wahr. Albert?«

»Oh! ja, ein Mann von Herz, dafür stehe ich Ihnen; ich liebe ihn auch von ganzer Seele. Nun aber, da wir allein sind, obgleich mir die Sache beinahe gleichgültig ist, wohin gehen wir?«

»In die Normandie, wenn Sie wollen?«

»Vortrefflich! Nicht wahr, wir sind ganz auf dem Lande? keine Gesellschaft, keine Nachbarn?«

»Wir sind ganz unter uns, mit zwei Pferden, um zu rennen, mit Hunden, um zu jagen, und mit einer Barke, um zu fischen.«

»Das ist es, was ich brauche, ich benachrichtige meine Mutter und bin dann zu Ihren Befehlen.«

»Aber wird man es Ihnen erlauben?«

»Was?«

»Nach der Normandie zu reisen?«

»Mir? bin ich nicht frei?«

»Zu gehen, wohin Sie wollen, ich weiß es wohl, da ich Sie im Vorübergehen in Italien gesehen habe.«

»Nun!«

»Doch mit dem geheimnisvollen Manne zu reisen, den man den Grafen von Monte Christo nennt? . . . «

»Sie haben ein kurzes Gedächtnis, Graf.«

»Wie so?«

»Sagte ich Ihnen nicht von der vollen Sympathie, welche meine Mutter für Sie hegt?«

»»Die Frau ändert sich,«« sprach Franz I.; »»die Frau ist die Welle,«« sagt Shakespeare: der Eine war ein großer König, der Andere ein großer Dichter, und Jeder von ihnen mußte die Frau kennen.«

 

»Ja, die Frau, doch meine Mutter ist nicht die Frau, es ist eine Frau.««

»Erlauben Sie einem Fremden, nicht vollkommen alle Feinheiten Ihrer Sprache zu verstehen?«

»Ich will sagen, daß meine Mutter mit ihren Gefühlen geizig ist, daß sie aber, wenn sie einmal dieselben zugesteht, dies für immer geschieht.«

»Äh, wirklich!« sprach seufzend Monte Christo, »und Sie glauben, sie erweise mir die Ehre, mir ein anderes Gefühl zuzugestehen, als das vollkommener Gleichgültigkeit?«

»Hören Sie, ich habe Ihnen gesagt und wiederhole Ihnen, Sie müssen in der Tat ein seltsamer und sehr erhabener Mann sein.«

»Oh!«

»Ja, denn meine Mutter hat sich, ich sage nicht von der Neugierde, sondern von dem Interesse ergreifen lassen, das Sie ihr einflößten. Wenn wir allein sind, sprechen wir nur von Ihnen.«

»Und sie sagt Ihnen, Sie sollen diesem Manfred mißtrauen?«

»Im Gegenteil, sie sagt mir: »»Morcerf, ich glaube, der Graf ist eine edle Natur, bemühe Dich, daß er Dich liebt.««

Monte Christo wandte die Augen ab und stieß einen Seufzer aus.

»Ah, wirklich!« rief er.

»Somit begreifen Sie,« fuhr Albert fort, »daß sie, statt sich meiner Reise zu widersetzen, dieselbe im Gegenteil vollkommen billigen wird, denn sie entspricht ganz dem, was sie mir jeden Tag empfiehlt.«

»Diesen Abend also,« sagte Monte Christo. »Seien Sie um fünf Uhr hier, wir kommen dann um Mitternacht, oder um ein Uhr dort an.«

»Wie! im Treport? . . . «

»Im Treport oder in der Umgegend.«

»Sie brauchen nur acht Stunden, um vierzig Lieues zurückzulegen?«

»Das ist noch viel,« versetzte Monte Christo.

»Sie sind offenbar der Mann der Wunder, und es wird Ihnen gelingen, nicht nur die Eisenbahnen zu übertreffen, was nicht schwer ist, sondern auch schneller zu gehen, als der Telegraph.«

»Mittlerweile seien Sie pünktlich, Vicomte, da wir immerhin sieben bis acht Stunden brauchen.«

»Seien Sie unbesorgt, ich habe bis dahin nichts zu tun, als mich in Bereitschaft zu setzen.«

»Um fünf Uhr also.«

»Um fünf Uhr.«

Albert entfernte sich. Monte Christo blieb, nachdem er ihm lächelnd ein Zeichen mit dem Kopfe gemacht hatte, einen Augenblick nachdenkend und wie in eine tiefe Betrachtung versunken. Endlich aber fuhr er mit der Hand über die Stirne, als wollte er seine Träumerei verjagen, ging auf das Glöckchen zu, und schlug zweimal darauf.

Bei dem Klange dieser zwei Schläge trat Bertuccio ein.

»Meister Bertuccio,« sprach der Graf, »ich reise nicht morgen, nicht übermorgen, wie ich Anfangs dachte, sondern diesen Abend nach der Normandie ab; bis fünf Uhr haben Sie mehr Zeit als Sie brauchen: Sie lassen die Stallknechte vom ersten Relais benachrichtigen; Herr von Morcerf begleitet mich. Gehen Sie.«

Bertuccio gehorchte, und ein Vorreiter eilte nach Pontoise und meldete, die Postchaise würde pünktlich um sechs Uhr durchkommen. Der Knecht in Pontoise schickte einen besondern Boten zu dem nächsten Relais, von wo aus wieder ein Anderer abgeschickt wurde: und nach sechs Stunden waren alle Relais, die man auf der Straße gelegt hatte, unterrichtet.

Ehe der Graf sich entfernte, ging er zu Hayde hinauf, benachrichtigte sie von seiner Abreise, nannte ihr den Ort, wohin er ging, und stellte das ganze Haus zu ihren Befehlen.

Albert war pünktlich. Die Anfangs düstere Reise hellte sich bald durch die körperliche Wirkung der Schnelligkeit auf. Albert hatte keinen Begriff von einer solchen Geschwindigkeit.

»In der Tat,« sprach Monte Christo, »mit Ihrer Post, welche zwei Lieues in der Stunde macht, mit dem albernen Gesetze, das einem Reisenden verbietet, einem Andern, ohne ihn um Erlaubnis zu bitten, vorzufahren, wodurch ein Kranker oder wunderlicher Reisender das Recht hat, die hurtigen und gesunden Reisenden hinter sich aufzuhalten, ist keine Bewegung möglich; ich vermeide diesen Übelstand, indem ich mit meinem eigenen Postillon und mit meinen eigenen Pferden reise, nicht wahr, Ali?«

Und den Kopf zum Kutschenschlage hinausstreckend, stieß der Graf einen kleinen Aufmunterungsschrei aus, der den Pferden Schwingen verlieh: sie liefen nicht mehr, sie flogen. Der Wagen rollte wie ein Donner auf dem königlichen Pflaster, und Jeder wandte sich, um das flammende Meteor vorüberkommen zu sehen. Diesen Schrei wiederholend, lächelte Ali, zeigte er seine weißen Zähne, preßte in seinen kräftigen Händen die schaumbedeckten Zügel und stachelte die Pferde an, deren Mähnen im Winde flatterten; Ali, das Kind der Wüste, befand sich wieder in seinem Element, und mit seinem schwarzen Gesichte, mit seinen glühenden Augen, mit seinem schneeweißen Burnus, schien er inmitten des Staubes, den er aufwühlte, der Geist des Samum oder der Gott des Orkans zu sein.

»Das ist eine Wollust, die ich nicht kannte, die Wollust der Geschwindigkeit,« sprach Morcerf.

Und die letzten Wolken verschwanden von seiner Stirne, als ob die Luft, die er durchschnitt, diese Wolken mit sich forttrüge.

»Aber wo Teufels finden Sie denn solche Pferde?« fragte Albert; »es scheint, Sie lassen dieselben ausdrücklich zeugen?«

»Ganz richtig,« sprach der Graf; »vor sechs Jahren fand ich in Ungarn einen ausgezeichneten, wegen seiner Schnelligkeit berühmten Hengst; ich kaufte ihn, ich weiß nicht, für wie viel, Bertuccio bezahlte. In demselben Jahre hatte er zweiunddreißig Kinder: es ist diese ganze Nachkommenschaft desselben Vaters, was wir hier Revue passieren werden; sie sind alle gleich, schwarz ohne einen einzigen Flecken, einen Stern auf der Stirne ausgenommen, denn diesem Auserkohrenen des Gestütes wählte man Stuten, wie man den Paschas Favoritinnen wählt.«

»Das ist bewunderungswürdig! . . . Doch sagen Sie mir, Graf, was machen Sie mit allen diesen Pferden?«

»Sie sehen, ich reise mit denselben.«

»Doch Sie reisen nicht immer.«

»Wenn ich sie nicht mehr brauche, so verkauft sie Herr Bertuccio, und er behauptet, er werde dreißig bis vierzig tausend Franken auf ihnen gewinnen.«

»Aber es wird kein König in Europa reich genug sein, um Ihnen dieselben abzukaufen.«

»Dann verkauft er sie an einen einfachen Wessir im Orient, der seinen Schatz leert, um sie zu bezahlen, und diesen Schatz wieder füllt, indem er Stockschläge auf die Fußsohlen seiner Unterthanen verabreichen läßt.«

»Graf, soll ich Ihnen einen Gedanken mitteilen, der mir gekommen ist?«

»Thun Sie das.«

»Herr Bertuccio muß nach Ihnen der reichste Privatmann von Europa sein.«

»Sie täuschen sich, Vicomte, ich bin fest überzeugt, daß Sie, wenn Sie die Taschen von Herrn Bertuccio umdrehen würden, nicht für zehn Sous Wert darin fänden.«

»Warum dies?« fragte der junge Mann; »Herr Bertuccio ist also ein Phänomen? Ah! mein lieber Graf, treiben Sie mich nicht zu weit im Wunderbaren, oder ich glaube Ihnen nicht mehr.«

»Niemals etwas Wunderbares bei mir, mein lieber Albert, Zahlen und Vernunft, sonst nichts; hören Sie nur folgendes Dilemma: ein Intendant stiehlt, aber warum stiehlt er?«

»Verdammt! weil es in seiner Natur liegt, wie mir scheint; er stiehlt, um zu stehlen.«

»Nein, Sie täuschen sich, er stiehlt, weil er eine Frau, Kinder, eitle Wünsche für sich und seine Familie hat; er stiehlt hauptsächlich, weil er nicht sicher ist, ob er seinen Herrn wieder verlassen muß, weil er sich eine Zukunft machen will; doch Herr Bertuccio ist allein auf der Welt, er schöpft aus meiner Börse, ohne mir Rechenschaft zu geben, er ist sicher, daß er mich nie zu verlassen hat.«

»Warum dies?«

»Weil ich keinen Besseren finden werde.«

»Sie drehen sich in einem mangelhaften Kreise, in dem der Wahrscheinlichkeit.«

»Oh! nein, ich bin in den Gewißheiten; der gute Diener ist für mich derjenige, bei welchem ich ein Recht über Leben und Tod habe.«

»Und Sie haben das Recht über Leben und Tod bei Herrn Bertuccio?« fragte Albert.

»Ja,« antwortete kalt der Graf.

Es gibt Worte, welche das Gespräch schließen, wie eine eiserne Thüre; das Ja des Grafen war eines von diesen Worten.

Der Rest der Reise bewerkstelligte sich mit derselben Geschwindigkeit, in acht Relais geteilt, legten die zwei und dreißig Pferde ihre sieben und vierzig Lieues in acht Stunden zurück.

Man kam mitten in der Nacht vor dem Thore eines schönen Parkes an. Der Hausmeister stand an demselben und hielt das Gitter offen; er war von dem Stallknechte des letzten Relais unterrichtet worden.

Es war halb zwei Uhr Morgens, man führte Morcerf in sein Zimmer. Er fand ein Bad und ein Abendbrot bereit. Ein Diener, der den Weg auf dem Hintersitze des Wagens gemacht hatte, stand zu seinen Befehlen. Baptistin, der auf dem Vordersitze gefahren war, bediente den Grafen.

Albert nahm sein Bad, speiste und legte sich schlafen. Die ganze Nacht hindurch wurde er von dem schwermütigen Geräusche der Wellen gewiegt. Als er aufstand, ging er gerade auf das Fenster zu, öffnete es und befand sich auf einer kleinen Terrasse, wo man das Meer, das heißt die Unermeßlichkeit vor sich hatte, und hinter sich einen hübschen Park, der nach einem kleinen Wäldchen führte.

In einer Bucht von einer gewissen Größe schaukelte sich eine kleine Corvette mit schmalem Kiel und hohem Mast, und auf der Spitze eine Flagge mit dem Wappen von Monte Christo tragend, welches Wappen einen goldenen Berg ruhend auf einem Azurmeere, mit einem roten Kreuze auf dem Schildhaupte, darstellte, was eben so wohl auf seinen Namen, der an die Schädelstätte, welche das Leiden unseres Herrn zu einem Berge kostbarer als Gold gemacht hat, und an das schändliche Kreuz erinnerte, das durch sein Blut ein heiliges geworden ist, als auf ein persönliches Leiden und eine Wiedergeburt anspielen konnte, welche in der Nacht der Vergangenheit dieses geheimnisvollen Mannes ruhen mochte.

Um die Goelette her lagen mehrere kleine Kähne, welche den Fischern der benachbarten Dörfer gehörten, und wie demütige, auf die Befehle ihres Herrn wartende Diener aussahen.

Hier, wie an allen andern Orten, wo sich der Graf aufhielt, war das Leben nach dem Thermometer der höchsten Bequemlichkeit eingerichtet; das Leben wurde auch auf der Stelle leicht. Albert fand in seinem Vorzimmer zwei Flinten und alle für einen Jäger erforderliche Geräthschaften; ein anderes Zimmer im Erdgeschoße war für alle die geistreichen Maschinen bestimmt, welche die Engländer, große Fischer, weil sie geduldig und müßig sind, von den Freunden des Fischfangs in Frankreich noch nicht adoptieren lassen konnten.

Der ganze Tag verging mit diesen Übungen, in denen sich Monte Christo auszeichnete; mau schoß ein Dutzend Fasanen im Park, man fing eben so viele Forellen in den Bächen, man speiste in einem Kiosk zu Mittag, der die Aussicht auf das Meer hatte, und servierte den Thee in der Bibliothek.

Gegen Abend am dritten Tag schlief Albert sehr ermüdet durch dieses Leben, das für Monte Christo ein Spiel zu sein schien, in einem Lehnstuhl beim Fenster, während der Graf mit seinem Architekten den Plan zu einem Treibhause machte, das er errichten lassen wollte, als das Geräusch eines die Kieselsteine von der Straße sprengenden Pferdes den jungen Mann aufzuschauen beweg: er sah durch das Fenster und erblickte mit einem höchst unangenehmen Erstaunen seinen Kammerdiener, den er, um den Grafen weniger zu belästigen, nicht hatte mitnehmen wollen.

»Florentin hier!« rief er, von seinem Stuhle aufspringend, »ist meine Mutter krank?«

Und er stürzte aus dem Zimmer.

Monte Christo folgte ihm mit den Augen und sah ihn auf den Diener zu eilen, der, noch ganz athemlos, aus seiner Tasche ein kleines versiegeltes Päckchen zog. Das Päckchen enthielt einen Brief und eine Zeitung.

»Von wem ist dieser Brief?« fragte Albert rasch.

»Von Herrn Beauchamp,« antwortete Florentin.

»Herr Beauchamp schickt Dich also?«

»Ja, mein Herr. Er ließ mich zu sich kommen, gab mir das zur Reise erforderliche Geld, bestellte ein Postpferd für mich, und nahm mir das Versprechen ab, nicht eher anzuhalten, als bis ich Sie erreicht hätte. Ich legte den Weg in fünfzehn Stunden zurück.«

Albert öffnete bebend den Brief. Bei den ersten Zeilen stieß er einen Schrei aus und griff mit einem sichtbaren Zittern nach der Zeitung. Plötzlich verfinsterten sich seine Augen, seine Beine schienen unter ihm zu weichen, und dem Fallen nahe, hielt er sich an Florentin, der den Arm ausstreckte, um ihn zu unterstützen.

»Armer, junger Mann!« murmelte Monte Christo so leise, daß er selbst das Geräusch der Worte des Mitleids, die er aussprach, nicht hören konnte; »es ist also gewiss, daß die Sünde der Väter auf die Kinder bis in das dritte und vierte Geschlecht zurückfallen wird!«

 

Während dieser Zeit hatte Albert seine Kräfte wieder gesammelt; er fuhr fort zu lesen, schüttelte seine Haare auf seinem von Schweiß befeuchteten Haupte, und sagte, den Brief und die Zeitung zerknitternd:

»Florentin, ist Dein Pferd im Stande, den Weg nach Paris zurückzumachen?«

»Es ist eine schlechte, hinkende Postmähre.«

»Oh! mein Gott! und wie stand es im Hause, als Du es verließest?«

»Ziemlich ruhig; doch als ich von Herrn Beauchamp zurückkam, fand ich Madame in Tränen: sie hatte mich rufen lassen, um sich zu erkundigen, wann Sie zurückkämen. Ich sagte ihr, ich wäre im Begriff, Sie im Auftrage von Herrn Beauchamp zu holen. Ihre erste Bewegung war, den Arm auszustrecken, als wollte sie mich zurückhalten, aber nach kurzem Überlegen sprach sie:

»Ja, gehe, Florentin, und sage ihm, er möge zurückeilen.«

»Ja, meine Mutter, ja,« sprach Albert, »ich komme sogleich, sei unbesorgt, und wehe dem Schändlichen! Doch vor Allem muß ich abreisen.«

Und er kehrte in das Zimmer zurück, wo er Monte Christo gelassen hatte.

Es war nicht mehr derselbe Mensch, fünf Minuten hatten genügt, um bei Albert eine traurige Verwandlung zu bewerkstelligen; er war in seinem gewöhnlichen Zustande hinausgegangen, er kehrte zurück mit einer bebenden Stimme, das Gesicht durchfurcht von fieberhaften Röten, das Auge funkelnd unter blaugeaderten Lidern, und den Gang wankend, wie der eines trunkenen Mannes.

»Graf,« sagte er, »ich danke Ihnen für Ihre Gastfreundschaft, die ich gern noch länger genossen hätte, aber ich muß nach Paris zurückkehren.«

»Was ist denn vorgefallen?«

»Ein großes Unglück; doch erlauben Sie mir, abzureisen, es handelt sich um eine Sache, welche viel kostbarer ist, als mein Leben. Keine Frage, Graf, ich bitte Sie, sondern ein Pferd!«

»Meine Ställe stehen zu Ihren Diensten, Vicomte,« erwiderte Monte Christo; »aber Sie werden sich vor Anstrengung durch einen Postritt töten, nehmen Sie eine Caleche, ein Coupé, irgend einen Wagen.«

»Nein, das würde zu lange dauern, und ich bedarf der Anstrengung, die Sie so sehr für mich befürchten, sie wird mir wohl tun.«

Albert machte ein paar Schritte, wankend wie ein von einer Kugel getroffener Mensch, und fiel auf einen Stuhl neben der Thüre nieder.

Monte Christo sah diese zweite Schwäche nicht; er stand am Fenster und rief:

»Ali, ein Pferd für Herrn von Morcerf! man eile, es ist drängend!«

Diese Worte gaben Albert das Leben wieder, er stürzte aus dem Zimmer, der Graf folgte ihm.

»Ich danke,« rief der junge Mann, sich in den Sattel schwingend. »Florentin, Du wirst so schnell als möglich zurückkommen. Gibt es ein Losungswort, daß man mir die Pferde überläßt?«

»Sie brauchen nur das Pferd, welches Sie reiten, zurückzugeben; man wird Ihnen auf der Stelle ein anderes satteln.«

Albert wollte fortjagen, hielt aber noch einmal an und sagte:

»Sie finden vielleicht meine Abreise seltsam, unnatürlich, wahnsinnig; Sie begreifen vielleicht nicht, wie ein paar Zeilen in einem Journal einen Menschen in Verzweiflung bringen können; nun wohl!« fügte er, dem Grafen die Zeitung zuwerfend bei, »lesen Sie, aber erst, wenn ich abgereist sein werde, damit Sie meine Röte nicht sehen.«

Und während der Graf die Zeitung aufhob, drückte er die Sporen, die man an seinen Stiefeln befestigt hatte, in den Bauch des Pferdes, welches, erstaunt, daß ein Reiter vorhanden war, der ihm gegenüber eine solche Anstachelung notwendig zu haben glaubte, wie der Pfeil von einer Armbrust fortschoß.

Der Graf schaute dem jungen Manne mit einem Gefühle unendlichen Mitleids nach, und erst, als er völlig verschwunden war, wandte er seine Blicke auf die Zeitung zurück und las wie folgt:

»Der französische Offizier im Dienste von Ali, Pascha von Janina, von welchem vor drei Wochen das Journal der Impartial sprach, und der nicht nur die Schlösser von Janina übergab, sondern auch seinen Wohlthäter an die Türken verkaufte, hieß wirklich damals Fernand, wie unser ehrenwerter College angegeben hat. Doch seitdem hat er seinem Namen einen adeligen Titel und einen Gutsnamen beigefügt.

»Er heißt gegenwärtig Herr Graf von Morcerf, und ist Mitglied der Kammer der Pairs.«

So erschien also das furchtbare Geheimnis, das Beauchamp so edelmüthig begraben hatte, abermals wie ein bewaffnetes Gespenst, und grausam unterrichtet, hatte eine andere Zeitung zwei Tage, nachdem Albert nach der Normandie abgereist war, einige Zeilen veröffentlicht, über welche der unglückliche junge Mann beinahe verrückt geworden wäre.