Die Großmeister des Mordes: Alfred Bekker präsentiert 12 Strand Krimis

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»Klar.« Corrington lachte. »Was dachtest du denn? Eine solche Gelegenheit lasse ich mir doch nicht entgehen.«

Thandie legte ihm zärtlich die Hand auf die Wange. »Ich drücke dir ganz fest die Daumen, damit es klappt.«

»Das wird es«, sagte er zuversichtlich. »Mach dir keine Sorgen. Ich kriege den Job. Und das, was er abwirft, wird der solide Grundstein für unsere gemeinsame Zukunft sein, Baby.«

*

George Jones lieferte den Champagner zuhause ab. Sadie, seine Frau, war zu betrunken, um es mitzubekommen. Er sagte trotzdem: »Ich muss noch mal weg.«

Sie reagierte nicht, starrte unverwandt, ein Wodkaglas in der Hand, in die Glotze, ohne etwas von dem Film – einer unterhaltsamen Komödie mit Gene Hackman - mitzubekommen. Bevor er das Haus verließ, musterte er Sadie mitleidig und dachte: Armes Mädchen. Wir hätten es beide nicht so weit kommen lassen dürfen. Wenn es mir möglich wäre, die Zeit zurückzudrehen, würde ich diesen Fehler nicht noch mal machen.

Seufzend ging er. Und Sadie leerte mal wieder ihr Glas. Er fuhr zu Jodie Simon. Sie empfing ihn in einem knöchellangen Kaminkleid aus bordeauxrotem Samt, sah hinreißend aus, hatte das blonde Haar hochgesteckt, wodurch ihr Schwanenhals hervorragend zur Geltung kam.

Er nahm sie in die Arme, küsste sie und sagte: »Gott, was bin ich froh, dass dieser geisteskranke Kretin dich nicht erwischt hat.«

»Aber er hat eine andere Frau in seiner Gewalt«, erwiderte Jodie gedrückt.

Jones löste sich von ihr. Sein Blick war finster. »Und das lässt mich schon die ganze Zeit nicht in Ruhe«, sagte er rau. »Ving hat mir zwar verboten, mich an die Polizei zu wenden, aber das stehe ich einfach nicht durch. Ich will nicht schuld sein am Tod eines Menschen. Auch dann nicht, wenn er mir völlig fremd ist. Ich bin aber auch nicht bereit, diesem kriminellen Irren dreihunderttausend Dollar zu geben. Sie stehen ihm nicht zu.«

»Das heißt, du wirst dich über Vings Verbot hinwegsetzen«, sagte Jodie.

»Ich muss.«

Sie küsste ihn auf den Mund. »Ich bin sehr froh, dass du dich dafür entschieden hast, George.«

Er ging zum Telefon und wählte die Nummer des FBI. Sobald die Verbindung zustande gekommen war, sagte er der Telefonistin mit der rauchigen Stimme – es war Linda -, was er zu melden hatte. Er wurde von ihr sogleich weiter verbunden und landete bei Special Agent Jay Kronburg.

Der freundliche G-man empfahl ihm, mit seinem Kollegen Jesse Trevellian zu sprechen und gab ihm – weil dieser zurzeit nicht im Haus war - dessen Handynummer. Und so landete der Immobilien-Spekulant bei mir.

*

Mein Mobiltelefon läutete. Wir hatten uns soeben von Ghita Lommer – der Dame, der zu viele männliche Hormone zur Verfügung standen - verabschiedet.

»Hallo?«, meldete ich mich.

»Spreche ich mit Special Agent Jesse Trevellian?«

»Ja«, antwortete ich.

»Mein Name ist George Jones«, sagte der Anrufer. »Ich habe Ihre Handynummer von Ihrem Kollegen Jay Kronburg.«

»Was kann ich für Sie tun, Mr Jones?«

»Ich habe ein Verbrechen zu melden, Sir. Eine Entführung, genauer gesagt.«

»Wer wurde entführt?«

»Das weiß ich nicht, Sir. Mir ist lediglich bekannt, dass Miss Jodie Simon, meine Sekretärin, gekidnappt werden sollte. Der Täter hat aber nicht sie erwischt, sondern eine junge Frau, die ihr sehr ähnlich sieht. Eine Verwechslung, Sie verstehen?«

»Ja. Und weiter?«

Jones erzählte mir, weshalb seine Mitarbeiterin hätte entführt werden sollen, und ich erfuhr von ihm darüber hinaus, dass der Kidnapper gedroht hatte, die Geisel, die ihm irrtümlich in die Hände gefallen war, zu töten, wenn Jones ihm sein Geld – dreihunderttausend Dollar – nicht zurückgeben würde.

»Ich möchte nicht zahlen«, fuhr George Jones fort, »möchte aber auch nicht schuld am Tod dieser mir unbekannten jungen Frau sein. Deshalb habe ich mich mit Ihnen in Verbindung gesetzt, obwohl der Mistkerl es mir verboten hat.«

Er nannte den Namen des Täters und dessen Adresse, und es erstaunte ihn sehr, als ich ihm sagte, dass wir gerade dorthin unterwegs wären.

Kapitel 5

Ving Wipper war seit der Entführung nur noch mit Kimberley Gishs Wagen unterwegs. Das war praktisch für ihn, weil er auf das »requirierte« Fahrzeug überhaupt keine Rücksicht zu nehmen brauchte.

Auf den eigenen Wagen hätte er sehr viel besser aufpassen müssen. Doch mit dieser Karre preschte er einfach drauflos und spielte lustvoll den risikofreudigen Rallye-Piloten. Soeben streifte er mit dem rechten Außenspiegel einen Baum, den er zu knapp angeschnitten hatte.

Der Spiegel brach krachend ab. Egal. Wipper setzte die flotte Fahrt durch den dichten Mischwald unbekümmert fort. Er hatte Schnaps gekauft.

Die Flasche lag auf dem Beifahrersitz. Er hatte die Absicht, Belinda Fox zu zwingen, so viel davon zu trinken, dass sie kaum mehr wusste, wie sie hieß und was mit ihr passierte, und dann wollte er sie vom Haken nehmen und sich so richtig nett mit ihr vergnügen.

Er würde Dinge mit ihr anstellen, zu denen nicht einmal so manche Nutte bereit gewesen wäre, und es würde ihn keinen löchrigen Cent kosten.

Die Vorfreude regte seinen Speichelfluss an. Er leckte sich die feuchten Lippen, und in seinen Augen glänzte eine perverse Gier.

Es war ein erhebendes Gefühl für ihn, dass ihm diese bildschöne Blondine so sehr ausgeliefert war. Er konnte mit ihr anstellen, was immer er wollte.

Das fand er großartig. Ein heftiges Ziehen, Kribbeln und Prickeln machte sich immer intensiver in seinen Lenden bemerkbar. Grinsend ließ er seiner durchgeknallten Fantasie freien Lauf. Er stellte sich all das vor, was er mit Belinda Fox durchziehen würde, sobald er die Waldhütte erreicht hatte. Dort vorne war sie schon.

Noch sehr verdeckt von zahlreichen Büschen und Bäumen, doch von Minute zu Minute konnte er sie besser sehen. Und dann war er da.

Ungeduldig griff er nach der Pulle und stieg aus. »Hey, Baby!«, rief er aufgekratzt. »Daddy ist wieder da! Und er möchte, dass du ganz lieb zu ihm bist. Hm? Wirst du das sein? Wirst du ein braves Mädchen sein und mit Daddy schön spielen? Ja? Wirst du das?«

Er öffnete den Schraubverschluss der Flasche und trank erst mal selbst einen kräftigen Schluck, um sich noch besser in Stimmung zu bringen.

Es blieb immer noch genug Schnaps für Belinda Fox übrig. Mit festem Schritt näherte er sich der schäbigen Hütte. Er öffnete die Tür mit einem kräftigen Tritt, trat ein … und dann fiel ihm die Kinnlade auf die Brust, denn sein Faustpfand war nicht mehr da, hing nicht mehr am Haken, war verschwunden.

»Scheiße, wie …« Er hatte mit dem Schock zu kämpfen. »Ich krieg die Kurve nicht. Wie ist das möglich? Sie kann sich doch nicht selbst … Nein, das hätte sie niemals geschafft. Es muss jemand hier gewesen sein. Einer, der zufällig vorbeikam. Ein vertrottelter Wanderer. Ein dämlicher Pilzsammler. Ein beschissenes Arschloch. Der Blödmann hat sie befreit. Wann hat er das getan? Wie lange ist sie schon weg? Sind die Bullen bereits auf dem Weg hierher? Belinda Fox, du gottverdammtes Miststück! Wie kannst du mir das antun? Ich wollte mich mit dir …«

Sie tauchte plötzlich hinter ihm auf. Völlig lautlos. Sie hielt eine armdicke Holzlatte in ihren Händen und holte damit aus. Er hörte – oder witterte - ihre Bewegung, wirbelte herum … und sie schlug zu.

*

»Boss«, sagte Craig Travis am Telefon.

»Ja?«, antwortete Nic Orlando.

»Ich glaube, wir haben etwas gefunden.«

»Was?«

»Geschmiere. Gekritzel. Skizzen. Auf mehreren Blättern. Und ein paar Fotos von einer windschiefen Waldhütte. Allem Anschein nach hat Ving seine Geisel dort untergebracht.«

»Wo befindet sich die Hütte?«, wollte Nic Orlando wissen. Er ging während des Gesprächs in seinem Luxus-Penthouse fiebrig hin und her.

Die neuen Schuhe drückten ihn. Dreihundert Dollar hatte er dafür bezahlt. Eine Frechheit, für diesen Mist so viel Geld zu verlangen. Er beschloss, sie gleich nach dem Telefonat zu wechseln.

»In einem Wald nordöstlich von White Plains«, gab Travis zur Antwort.

Orlando blieb stehen. Seine Augen funkelten zufrieden. »Sehr gut, Craig. Ausgezeichnet.«

»Was sollen wir jetzt tun, Boss?«, erkundigte sich Craig Travis.

»Bringt mir die Fotos und Vings Zeichnungen erst mal«, antwortete Orlando, nachdem er kurz nachgedacht hatte. »Ich möchte sie mir ansehen. Danach werde ich entscheiden, wer Ving Wipper die gekidnappte Puppe wegnimmt. Wir oder die Bullen.«

»Sollen wir nicht weiter hier auf Ving warten?«, fragte Craig Travis.

»Ich denke, das ist nun nicht mehr nötig«, gab Orlando zur Antwort.

»Okay, Boss«, sagte Travis. Er beendete das Gespräch.

Und Nic Orlando wechselte die Schuhe.

*

Als wir Ving Wippers Haus erreichten, traten Craig Travis, Chris Keeslar und Jeff Fahey heraus.

»Was sagt man dazu?«, brummte Milo. »Das Leben ist voller Überraschungen.«

Ich fuhr ganz knapp an Orlandos Personal heran und bremste scharf. Damit brachte ich die Männer merklich aus der Fassung. Wir stiegen aus dem Sportwagen, und ich fragte: »Ist Wipper zuhause?«

Travis schüttelte den Kopf. »Nein.«

»Wer hat Sie eingelassen?«, wollte ich wissen.

»Die Tür schließt nicht richtig«, behauptete Travis. Er mied es, mir dabei in die Augen zu sehen, blickte statt dessen haarscharf an mir vorbei. Mit so viel Interesse, als würden hinter mir Marilyn Monroe und James Dean schmusen.

 

»Aber damit haben Sie nichts zu tun«, meinte Milo.

»Äh – womit?«

»Mit der schlecht schließenden Tür.«

»Sie sagen es«, gab Travis meinem Kollegen Recht. Wenn es ihm möglich gewesen wäre, hätte er sich und seine Kumpane liebend gern an einen anderen Ort gebeamt. Das sah ich ihm an.

Chris Keeslar und Jeff Fahey schwiegen. Sie überließen Craig Travis das Reden. Schließlich war er Nic Orlandos rechte Hand und musste besser wissen, wie diese unangenehme Situation zu meistern war.

Travis trat die Flucht nach vorn an. Er erklärte, mit seinen beiden Freunden in Mr Orlandos Auftrag für uns aktiv geworden zu sein, weil es Mr Orlando sehr wichtig sei, mit dem FBI gut auszukommen.

»Wir haben uns erlaubt, uns ein wenig in Ving Wippers Haus umzusehen«, ergänzte er. Er setzte ein schiefes Lächeln auf. »Sie werden uns deswegen hoffentlich keine Schwierigkeiten machen. Wie ich bereits erwähnte, ist die Haustür kaputt. Jeder kann sie öffnen und hineingehen und …«

»Und das haben Sie getan«, fiel ihm mein Partner kühl ins Wort.

»Zuerst haben wir natürlich geklopft«, behauptete Travis. Ich war sicher, dass er log. »Als daraufhin die Tür mehr oder weniger fast von selbst aufging …« Er hob die Schultern. »Nun ja, Ving hat immerhin jemanden entführt. Da muss man die Dinge mit anderen Maßstäben messen. Wir dachten …«

»Haben Sie etwas gefunden?«, fragte Milo.

»Ja, Sir.« Mit dieser Antwort überraschte er mich.

»Was?«, fragte ich.

Travis zählte auf: »Fotos. Skizzen. Gekritzel. Wir wollten alles erst mal zu Mr Orlando bringen. Und der hätte sich danach mit Ihnen in Verbindung gesetzt. Sie können das Zeug aber auch gerne gleich haben.«

Er hoffte allem Anschein nach, mit diesem kooperativen Schub unser Herz zu gewinnen, griff in die Innentasche seines Jacketts und brachte zum Vorschein, was er in Wippers Haus hatte mitgehen lassen.

Wir sahen uns die Blätter und die Bilder an. Mir wurde so warm, als hätte ich Fieber. Mein Puls tickte immer schneller. Endlich wussten wir, wohin der psychopathische Kidnapper Belinda Fox verschleppt hatte.

*

Als Ving Wipper mit dröhnendem Schädel zu sich kam, hing er an Händen und Füßen gefesselt an jenem Haken, an dem bis vor kurzem Belinda Fox gehangen hatte.

Die Schnapsflasche, mit deren hochprozentigem Inhalt er sich Belinda gefügig machen wollte, lag neben der Tür auf dem Boden. Er konnte es nicht fassen.

Wie hatte diese verfluchte Schlampe das nur geschafft? Eine Schande, dass er sich so leicht hatte austricksen lassen. Er begriff, dass er zu sorglos gewesen war. Er war sich seines Opfers zu sicher gewesen. Und nun hatte das Miststück den Spieß umgedreht.

»Du gottverdammtes Luder!«, brüllte er Belinda an. Seine Augen verschossen gefährliche Blitze. Sein Gesicht war hassverzerrt. »Ich mach dich fertig!«

»Ach ja?« Sie musterte ihn abschätzig, fühlte sich sehr viel besser, seit sie nicht mehr seine Gefangene war. »Und wie?«

»Das wirst du schon sehen.«

»Wir haben die Rollen getauscht«, sagte sie spöttisch. »Jetzt befindest du dich in meiner Gewalt, Ving Wipper.«

»Na warte«, fauchte er aggressiv. »Du wirst was erleben, sobald ich …«

Belinda winkte verächtlich ab. »Ach, nimm doch den Mund nicht so voll, Mann. Du hast nichts mehr zu melden. Du bist erledigt. Aber das scheint dein armseliges Spatzenhirn noch nicht begriffen zu haben.«

»Ich werde dich …«

Belinda trat näher. Sie kniff die veilchenblauen Augen zusammen und fauchte: »Du wirst nur noch eines, Ving Wipper. Nämlich von hier direkt ins Kittchen wandern. Hast du ein Handy bei dir?«

»Das geht dich einen Dreck an.«

»Also ja.« Sie durchsuchte ihn.

Er bäumte sich trotzig auf. »Lass das!«, schrie er. »Fass mich nicht an.« Er schüttelte sich zornig. »Du sollst mich nicht anfassen.«

Sie fand sein Mobiltelefon und zog es aus seiner Gesäßtasche. Er überschüttete sie mit vulgären Schimpfworten, deftigen Flüchen und wüsten Verwünschungen, und er kündigte lauthals an, was er mit ihr anstellen würde, sobald er frei war. Was aus seinem verzerrten, Speichel sprühenden Mund kam, ließ deutlich erkennen, wie krank sein Geist war. Belinda ignorierte ihn. Sie ging hinaus und wählte eine Nummer.

»Komm zurück!«, brüllte Ving Wipper. Seine Stimme überschlug sich. »Ich befehle es dir! Komm zurück und binde mich los! Auf der Stelle!«

Belinda scherte sich nicht um ihn. Sie hielt sein Handy an ihr Ohr, und als die Verbindung zustande kam, sagte sie: »Hank? Ich bin es – Belinda.«

*

Hank Hogan meldete sich – gleich nachdem sich Craig Travis, Chris Keeslar und Jeff Fahey artig von uns verabschiedet und auf den Rückweg zu Nic Orlando gemacht hatten. Und er hatte die erfreulichste Nachricht des Jahres für uns. »Belinda hat mich angerufen«, berichtete der blonde Hüne aufgeregt. Er sprach so laut, dass ich mein Handy etwas vom Ohr weghalten musste, damit mein Trommelfell nicht Schaden nahm.

Ich riss die Augen auf. »Wann?«

»Soeben«, antwortete unser bester V-Mann. »Diese Frau ist einmalig«, jubelte er, als wäre Belinda Fox eine Frucht seiner Lenden. »O Mann, was bin ich stolz auf meine tapfere Assistentin. Die lässt sich nicht so leicht unterkriegen. Belinda hat sich nicht nur selbst befreit, sondern auch noch ihren Entführer in ihre Gewalt gebracht.«

»Was?« Ich staunte gleich noch mehr. »Belinda hat Ving Wipper überwältigt?«

Hank Hogan lachte laut. »Da staunst du, was?«

»Allerdings.«

Hank war bereits auf dem Weg zu Belinda. Ich erzählte ihm, welche Unterlagen uns Nic Orlandos Männer überlassen hatten und dass wir die Absicht gehabt hatten, Belinda noch in dieser Stunde zu befreien und Ving Wipper aus dem Verkehr zu ziehen. Daraufhin meinte der Detektiv: »Nun, eure Hilfe braucht die Kleine glücklicherweise nicht mehr, aber die Idee mit dem Aus-dem-Verkehr-Ziehen finde ich prima.«

Wir brausten los.

Kurz vor White Plains rief Nic Orlando an. Ich sprach mit ihm über die Freisprecheinrichtung. Er wollte wissen, ob wir den Fall bereits abgeschlossen hatten.

»Noch nicht«, antwortete ich. »Aber in Kürze.«

»Ich bin sehr froh, dass ich dazu beitragen konnte, Agent Trevellian«, meinte Orlando. Für mich hörte es sich so an, als hätte er hinter diese Worte noch einige weitere versteckt: »Ich hoffe, du vergisst das nicht. Jetzt habe ich etwas gut bei euch. Merk dir das. Und erinnere dich daran, falls wir mal miteinander Probleme kriegen sollten.«

Er wünschte uns viel Glück. Ich bedankte mich.

»Wenn ich wieder mal was für Sie tun kann, scheuen Sie sich nicht, es mich wissen zu lassen«, sagte Nic Orlando. Dann legte er auf.

Milo hatte das Gespräch mitgehört. Er meinte lachend: »Wir sollten uns glücklich preisen, einen so hilfsbereiten Freund zu haben.«

Die Fahrt durch den Wald gefiel meinem Sportwagen nicht besonders – er fühlte sich auf glattem Asphalt sehr viel wohler -, aber ich konnte sie ihm nicht ersparen.

Seit Hanks Freudenbotschaft waren etwa vierzig Minuten vergangen. Milo fungierte als Navigator. Er blätterte fortwährend die unvollständigen Zeichnungen, unklaren Skizzen und verwirrenden Wegbeschreibungen des Kidnappers durch und lotste mich auf die schäbige Waldhütte zu.

Zweimal musste ich umkehren, weil sich mein Partner für den falschen Weg entschieden hatte. Aber schließlich erreichten wir doch unser Ziel.

Vor der Hütte standen zwei Fahrzeuge. Das eine gehörte Hank Hogan, das andere Kimberley Gish. Ich stoppte meinen Sportwagen neben Hanks Wagen.

Der blonde Hüne und seine Assistentin traten aus dem Holzhaus. Belinda sah ein wenig ramponiert aus – ihr blondes Haar war zerzaust, die Kleidung hatte gelitten -, aber sie war okay, und das war im Moment das Wichtigste.

Sie ging uns entgegen und umarmte uns, selig, wieder frei zu sein. Und Hank tönte mit stolzgeschwellter Brust hinter ihr: »Ich begreife nicht, wieso wir uns um Belinda solche Sorgen gemacht haben. Wir hätten doch wissen müssen, dass dieses Prachtmädchen jederzeit und überall imstande ist, sich selbst aus der Klemme zu helfen.«

Ich zeigte auf die Hütte. »Ist Wipper da drinnen?«

»Abholbereit«, erwiderte Hank grinsend.

Wir gingen hinein. Während ich Ving Wipper vom Haken holte und ihm Handschellen anlegte, spuckte er Gift und Galle. Indes las mein Partner dem Psychopathen seine Rechte vor, und als er ihn abschließend fragte, ob er alles verstanden habe, antwortete er: »Leck mich, Bulle! Leckt mich alle am Arsch!«

*

Bevor Jack Corrington zu Nic Orlando ging, kleidete er sich neu ein und ließ sich vom »Barbier von Sevilla« – so hatte er Dennis Hoffa schon vor dreieinhalb Jahren scherzhaft genannt - die Haare schneiden und gründlich rasieren.

»Ich habe ein wichtiges Vorstellungsgespräch, muss gut aussehen und den allerbesten Eindruck machen«, ließ er den Frisör wissen.

Hoffa betrachtete Corringtons Gesicht, das noch zur Hälfte mit weißem Rasierschaum bedeckt war, im Spiegel. Man sah ihm an, dass ihm der Schalk im Nacken saß. Ein belustigtes Funkeln befand sich in seinen Augen.

Corrington erwiderte den Blick des Frisörs mit gespielt finsterer Miene und knurrte: »Sag es nicht. Wenn du alt werden und im Bett eines natürlichen Todes sterben möchtest, behältst du es besser für dich.«

»Was soll ich nicht sagen?«, fragte Hoffa mit sehenswerter Unschuldsmiene.

»Dass du für Enthauptungen nicht zuständig bist.«

Hoffa gab sich entrüstet. »Ich würde mir niemals erlauben, so etwas zu sagen. Du bist ein attraktiver Mann …«

»Dann ist das wohl der Grund dafür, dass mich deine Frau immer so anschmachtet, wenn wir uns begegnen.«

Hoffa hob das scharfe Messer. »Vorsicht, mein Freund. Du solltest mich nicht nervös machen, wenn ich ein Rasiermesser in der Hand habe. Bei dieser heiklen Tätigkeit braucht man eine absolut ruhige Hand.«

Er setzte ihm die Klinge an die Kehle. Corrington schloss vertrauensvoll die Augen. Er wusste, dass ihm Dennis Hoffa niemals etwas antun würde.

»Wie geht es Gertrud?«, erkundigte er sich, während der Frisör ihn weiter rasierte.

»Sehr gut.« Dennis Hoffa lachte. »Sie hat ja mich. Und wen hast du?«

»Ich habe der First Lady vergangenen Monat einen schriftlichen Heiratsantrag gemacht«, erzählte Corrington mit völlig ernster Miene.

»Und?«

Corrington zuckte mit den Achseln. »Sie hat noch nicht geantwortet.«

Hoffa wusste, dass Corrington ihn verlud. Aber er spielte amüsiert mit. »Vielleicht hat ihr Mann deinen Brief abgefangen«, mutmaßte er.

»Möglicherweise fühlt sie sich zu alt für mich. Oder sie mag ganz allgemein keine Knackis.«

Hoffa nickte. »Das wäre natürlich auch denkbar. Hast du ein Foto beigelegt?«

»Klar«, antwortete Corrington. »Aber nicht von mir.«

»Sondern von wem?«

Jack Corrington runzelte die Stirn. »Ich glaube, es war George Clooney.«

Sie alberten noch eine Weile herum - bis Jack Corrington fertig rasiert war. Dann fragte Dennis Hoffa: »Erinnerst du dich an Ving Wipper?«

Corrington rümpfte die Nase. »Ungern.«

»Er wurde gestern vom FBI kassiert«, erzählte Hoffa.

»Was hat er angestellt?«, erkundigte sich Corrington.

Dennis Hoffa lachte. »Wipper hat dem Immobilien-Spekulanten George Jones dreihunderttausend Dollar gegeben. Jones sollte für ihn sehr viel mehr daraus machen. Die Sache ging aber schief. Jones setzte die dreihundert Riesen in den Sand. Wie das immer mal passieren kann, wenn man zu viel riskiert. Daraufhin beschloss Wipper, Jodie Simon, Jones' Sekretärin, zu kidnappen und sein Geld von ihrem Brötchengeber zurückzuverlangen.« Er tippte sich an die Stirn. »Der Vollidiot hat aber irrtümlich Belinda Fox, die Assistentin eines Privatdetektivs namens Hank Hogan, entführt. Weil diese Jodie Simon so sehr ähnlich sieht. Und weißt du, was dann passiert ist? Belinda Fox gelang es, sich selbst zu befreien und ihren Kidnapper zu überwältigen. Alle Welt lacht jetzt über den Affen. Ist ja auch zu komisch, das Ganze … Steht heute ganz groß und ausführlich in der Zeitung.«

Corrington zog die Mundwinkel nach unten. »Niemand wird Ving Wipper vermissen.«

 

»Bestimmt nicht.« Dennis Hoffa wechselte das Thema. »Ich habe neulich Thandie Scott gesehen. Diese Frau ist heißer als ein Sonnenbrand.« Er wedelte mit der Hand, als hätte er sich die Finger verbrannt und wackelte beeindruckt mit dem Kopf. »Also wenn ich Gertrud nicht hätte, wäre Thandie Scott nicht sicher vor mir. Da würde ich glatt zum lästigsten Stalker, den die Welt je gesehen hat.« Er sah Corrington wieder im Spiegel an. »Was meinst du, Jack? Wird das wieder was mit euch beiden?«

»Lass dich überraschen«, antwortete Corrington kryptisch. Er grinste schelmisch. »Es ist ja noch die Antwort der First Lady ausständig.«

Er hatte sich die ganze Zeit nicht anmerken lassen, dass er sich an diesem Tag nicht besonders wohl fühlte. Doch nachdem er sich vom »Barbier von Sevilla« verabschiedet hatte, nahm er sicherheitshalber eine Herztablette und rief anschließend Nic Orlando aus einer öffentlichen Telefonzelle an. Er hatte in der Vergangenheit schon so manches Ding für Orlando gedreht und jedes Mal auf Neue bewiesen, dass er ein Meister seines Fachs war. Ein Top-Dieb. Ein 1a-Langfinger. Ein Einbrecher, der in der obersten Liga spielte.

»Hallo, Boss«, sagte er. Ein Streifenwagen heulte vorbei. Er wartete, bis der Sirenenlärm abgeklungen war und fuhr dann fort: »Hier spricht Jack Corrington.«

»Schön, von dir zu hören, Jack.« Orlando klang erfreut. »Wie geht's denn so?«

»Gut.« Corrington hielt nichts von langen, nutzlosen Vorreden, deshalb fiel er gleich mit der Tür ins Haus. »Stimmt es, dass du mal wieder meine Dienste in Anspruch nehmen möchtest?«

»Wer hat es dir erzählt?«

»Thandie.«

»Du warst bei ihr?«, fragte Orlando.

War es ihm recht? Nicht recht? Corrington konnte es aus seiner Stimme nicht heraushören. Sicherheitshalber antwortete er: »Nur ganz kurz.«

»Ich hoffe, du kommst Craig nicht ins Gehege«, sagte Orlando. »Hat sie dir erzählt, dass sie jetzt mit ihm zusammen ist?«

»Ja. Hat sie.«

»Und?«, fragte Orlando. »Hast du ein Problem damit?«

»Nein«, antwortete Corrington. Er bemühte sich, überzeugend zu klingen. »Ich konnte mich schließlich dreieinhalb Jahre nicht um sie kümmern.«

Mit dieser Antwort schien sich Nic Orlando zufrieden zu geben. »Hast du Lust, mit mir essen zu gehen, Jack?«, erkundigte er sich.

»Wann und wo?«, fragte Corrington zurück.

»Heute. Vierzehn Uhr. Im ›Spicy Planet‹.«

»Geht klar«, sagte Corrington und beendete das Gespräch. Mit den Händen in den Hosentaschen schlenderte er die Straße entlang. Auf dem gegenüberliegenden Gehsteig klaute ein Junge einem gut gekleideten Mann soeben die Brieftasche.

Jack Corrington sah es, aber er unternahm nichts, um den Diebstahl zu verhindern. Wenn der feine Pinkel dort drüben nicht besser auf sein Eigentum aufpasste, ging es völlig in Ordnung, dass er bestohlen wurde.

Der Junge muss schließlich auch von was leben, dachte er. Es gibt ja nicht genügend ehrliche Arbeit für alle, wie die Statistiken in deprimierender Aufdringlichkeit Tag für Tag beweisen.

Fünf Minuten vor der mit Nic Orlando vereinbarten Zeit – also um 13.55 Uhr - erschien Jack Corrington im »Spicy Planet«. Orlando war bereits da.

Der Kellner führte Corrington zu dessen Tisch. Orlando schüttelte Corrington kräftig die Hand und forderte ihn auf, sich zu setzen. Sie begannen mit einem Aperitif und beschnupperten sich gegenseitig nach dreieinhalb Jahren zum ersten Mal wieder, um zu testen, ob die Chemie noch stimmte. Das tat sie. Nic Orlando wollte hören, wie es Jack Corrington drinnen ergangen war. Das interessierte nahezu jeden, hatte der Ex-Knacki inzwischen festgestellt. Corrington erzählte es ihm.

Auf Orlandos Wink brachte der Kellner die Speisekarten. Die Männer wählten und überbrückten die Wartezeit mit einem zweiten Drink.

Sie redeten vorläufig noch nicht übers Geschäft, und Corrington bohrte auch nicht nach, obwohl er auf einen einträglichen Job – schon wegen Thandie - ziemlich heiß gewesen wäre, aber er wollte Orlando das nicht zeigen.

Weil es – diese Gefahr bestand in solchen Situationen immer - zu einer Reduktion seiner Verdienstspanne hätte führen können. Je interessierter man war, desto mehr drückte das auf den Preis. Das wusste Corrington aus Erfahrung.

Man muss cool pokern, dachte er, während er völlig entspannt wirkte. Nic darf nicht glauben, meine ganze berufliche Zukunft würde einzig und allein von ihm abhängen. Ich muss ihm den Eindruck vermitteln, dass ich auch noch einige andere sehr gute Eisen im Feuer habe. Dass ich seit meiner Entlassung wieder ein gefragter Mann bin. Sogar mehr denn je.

Die Speisen kamen. Nic Orlando und Jack Corrington begannen zu essen.

»Schmeckt es?«, erkundigte sich Orlando zwischendurch mal.

»Hervorragend.«

»Hast du gehört, was Ving Wipper geliefert hat?«, fragte Orlando mit vollem Mund.

Jack Corrington nickte. »Dennis Hoffa, mein Frisör, hat es mir erzählt.«

Orlando nahm die Stoffserviette und wischte sich über die glänzenden Lippen. »Was bin ich froh, dass ich mich zeitgerecht von diesem Blödmann getrennt habe. Die Bullen waren sofort bei mir. Wenn Ving noch für mich gearbeitet hätte, hätte mich das ganz schön ins Schleudern bringen können. Und das kann ich im Moment überhaupt nicht gebrauchen.«

Orlando aß weiter.

Keine Fragen, sagte sich Corrington. Du bist zwar interessiert, aber nicht zu sehr. Nicht brennend. Du hast Zeit. Du kannst warten. Er soll selbst damit herausrücken. Damit verschaffst du dir eine bessere Position. Du musst das Spiel clever spielen. Damit gewinnst du auch mehr Achtung.

Nach dem Essen sagte Orlando: »Du hast sicher im Knast gründlich darüber nachgedacht, wie es weitergehen soll, wenn sie dich wieder rauslassen.«

Jack Corrington schürzte die Lippen. »Man träumt so in den Tag hinein.«

»Schmiedet Pläne«, ergänzte Orlando.

»Verwirft sie wieder.« Corrington zuckte mit den Achseln. »Die Zeit hat drinnen keinen allzu großen Wert. Man muss sie irgendwie totschlagen.«

»Was wirst du mit deiner wiedergewonnenen Freiheit anstellen?«, sondierte Nic Orlando. »Hat sich schon jemand mit dir in Verbindung gesetzt? Du bist ein guter Mann. Zuverlässig. Vielseitig verwendbar. Klug. Erfahren. Routiniert. Dass du einmal Pech hattest – wen kümmert das schon?«

Corrington zählte ein paar Namen auf. Von Unterweltgrößen, die schon Interesse an einer eventuellen Zusammenarbeit mit ihm signalisiert hatten, als er noch im Kittchen gesessen hatte. Das stimmte zwar nicht, hätte aber auch wahr sein können. Orlando hatte keine Möglichkeit, das nachzuprüfen.

Orlando beugte sich vor. Er blickte nach links und nach rechts und sagte dann: »Auch ich bin an einer Zusammenarbeit mit dir interessiert, Jack.«

»Ich bin für jedes gute Angebot offen«, erwiderte Corrington grinsend.

Orlando lachte. »Du machst das sehr geschickt, mein Junge. Das muss ich sagen. Bist ein cleveres Kerlchen. Das imponiert mir.« Er beugte sich noch weiter vor und fuhr mit gesenkter Stimme fort: »Ich brauche für das, was ich vor habe, einen Mann wie dich, Jack. Einen zuverlässigen First-Class-Gangster, der in jeder Situation genau weiß, was er tut, stets einen kühlen Kopf bewahrt und nie die Nerven verliert. Du bist genau der Richtige für diesen Job.«

»Ich bin für jeden Job der Richtige«, erwiderte Corrington selbstbewusst.

Orlando widersprach ihm nicht. »Es handelt sich um eine ganz große Sache«, sagte er mit hochgezogenen Augenbrauen. »Sie wird uns eine Menge Geld einbringen.«

»Wie viel ist eine Menge?«, erkundigte sich Corrington.

Doch Orlando deckte seine Karten noch nicht auf. »Darüber reden wir später. Hättest du grundsätzlich Zeit und Lust, wieder für mich zu arbeiten? Wir sind in der Vergangenheit immer gut miteinander ausgekommen. Du kennst mein Motto: Leben und leben lassen. Es ist noch immer dasselbe. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern.«

Corrington dachte an Thandie Scott. Er spricht von einer ganz großen Sache, Baby. Von einer Menge Geld. Damit kann ich zwei Tickets ins Glück kaufen. Hört sich das nicht großartig an? Bereite schon mal eine nette Abschiedsrede für Craig Travis vor: »Unsere Beziehung ist am Ende, Süßer. Zwischen uns beiden läuft ab sofort nichts mehr. Ich bin jetzt wieder mit Jack, meinem Traummann, dem du nicht das Wasser reichen kannst, zusammen. Mach dich vom Acker! Gewinne Land! Zieh Leine! Verpiss dich!« Etwas in der Art.