Der Parkhausfinne Band 1

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Der Parkhausfinne Band 1
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Inhaltsverzeichnis

Über das Buch

Der Parkhausfinne Band 1

Kapitel 1 – Auf zum Flughafen!

Kapitel 2 – Alles muss man selbst machen!

Kapitel 3 – Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!

Kapitel 4 – Tannenduft oder Sprühsahne?

Kapitel 5 – Busgeflüster

Kapitel 6 – Emotionsstau

Kapitel 7 – Meine Freundin, die Gravitation

Kapitel 8 – Wo versteckt man am besten einen Finnen?

Kapitel 9 – Pflegeleichte Finnen? Fehlanzeige!

Kapitel 10 – Der kleine Prinz ist jetzt sauber

Kapitel 11 – Nachts am Fenster

Kapitel 12 – Möpse, Männer, Mittagsschlaf

Kapitel 13 – Aussprache und Schwedenschnulze

Kapitel 14 – Give it a try, whispered the heart

Kapitel 15 – Schnell! Schnell!

Kapitel 16 – Doppelter Abschied

Kapitel 17 – Operation Finnland angelaufen

Kapitel 18 – Finnisch für Anfänger Teil 1 oder: Hoffnung in Sicht?

Nachwort und Danksagungen

Weitere Bücher von Waltraud Batz

Über das Buch

Endlich knallt es mal in Bärbels Leben, als sie an einem regnerischen Februartag in einem Parkhaus den Sänger einer überaus beliebten finnischen Musikgruppe umrennt.

Da man sich aber im Leben immer zweimal trifft, hat die beziehungsschwierige Fastvierzigerin mit dem seltsamen Humor den verletzten Finnen kurze Zeit später auf ihrem Sofa sitzen.

Als wäre das nicht absurd genug, muss sie auch noch einen vorübergehend wohnungslosen Mops aufnehmen.

Beide sind niedlich und beide muss Bärbel wieder zurückgeben – für immer?

Ein humorvoller Roman für Finnland- und Tierfreunde

Band 1 der Reihe „Der Parkhausfinne“

Zeitliche Einordnung

Die Handlung in diesem Buch spielt ca. 2015.

Über die Autorin

1977 geboren in Frankfurt am Main, aufgewachsen und hängengeblieben in Oberursel/Taunus.

Nach einem abgebrochenen Studium landete sie im Büro, wo sie bis heute feststeckt. Ihre Liebe zum Schreiben lebt sie seit 2015 aus und bringt immer einen Funken Hoffnung und Humor in ihre Geschichten. Sie reist gern, liebt Tiere und Kuchen. Und sogar das Essen der britischen Inseln. Und Rentier.

Weitere Bücher von Waltraud Batz

Cloverlane Farm

ISBN 978-3-7541-0921-2 Taschenbuch

ISBN 978-3-7541-0922-9 E-Book

After the Storm

ISBN 978-3-754921-80-7 Taschenbuch

ISBN 978-3-754921-83-8 E-Book

Waltraud Batz

Der Parkhausfinne

Band 1

Roman

1. Auflage 2022

Texte und Umschlag

© 2022 Claudia Wissemann

Sendeformat „Koch und weg”

© 2015 Claudia Wissemann

Verantwortlich

Claudia Wissemann, Stettiner Str. 23, 61440 Oberursel

Druck

epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

Kapitel 1 – Auf zum Flughafen!

Bärbel schüttelte sich den Frankfurter Nieselregen aus den Haaren. Das Februarwetter und die Feierabendbetriebsamkeit in der soeben betretenen Ladengalerie trugen nicht gerade dazu bei, ihre Laune zu verbessern. Bärbel versuchte, sich nicht mehr über den Streit mit ihren Eltern zu ärgern, darüber, ob man Tante Lisbeth zum 65. Geburtstag nun eine französische Pfeffermühle oder eine handgeklöppelte Tischdecke schenken würde. Ähnliche Dramatik war heute im Büro entstanden, als zwischen ihrer netten, aber manchmal doch recht einfältigen Kollegin und dem Abteilungsleiter eine Diskussion über die Farbe der zu bestellenden Heftstreifen entbrannt war.

Wenigstens war jetzt Feierabend. Ein Tablet oder ein schickes Notebook würde sich super anbieten, so als Impulskauf. Zur Not auch ein Nasenhaarschneider. Bei dem Gedanken musste Bärbel in sich hineingrinsen und ihre Laune besserte sich schlagartig. Bloß nicht zu übermütig werden. Aber gucken konnte man ja mal!

Wie immer irrte sie gefühlt mehrere Stunden umher und suchte die Rolltreppe, die nach oben zum Elektronikmarkt führte. Und es kam ihr vor, als sei ihr jeder im Weg. Am schlimmsten waren die Leute mit den Doppelkinderwagen. Konnten die nicht wenigstens aufpassen, keine Passanten anzufahren?

Sie umschiffte erfolgreich die ganzen anderen Feierabendeinkäufer und fuhr nach oben, in der Hoffnung, nicht allzu viel Geld auszugeben.

Oben angekommen wurde Bärbel vom unerbittlichen Rolltreppenmechanismus in eine Menschenmenge geschoben. Was war denn hier los? Sie bahnte sich erst einmal einen Weg zur Seite, um Platz zu machen für die Leute, die hinter ihr die Rolltreppe hochkamen.

Vor den geschlossenen Glastüren des Elektronikmarktes stand eine aufgeregte Menge an Teenagermädchen, jungen und älteren Frauen. Bärbel erkannte weder warum die Türen geschlossen waren noch warum diese Menschenmenge hier wartete und fragte daher nach.

„Polarfrost kommen zur Autogrammstunde!“, quietschte eine der befragten Teenie-Schönheiten.

Na, das war doch mal was. Teemu, den Sänger und Gitarristen der finnischen Musikgruppe, fand Bärbel toll. Über die Band an sich wusste sie nicht viel. Sie mochte das aktuelle Album gern, eine opulente Mischung aus Metal, Elektro-Pop und düster-melancholischen Balladen. So, als hätte man The Cure mit Depeche Mode, Metallica und Nightwish durch einen Mixer gedreht, aber auf liebevolle Art. Das meiste von dem, was die Band davor an selbst geschriebenen Liedern veröffentlicht hatte, fiel bärbelintern eher unter die Bezeichnung ‚Krach’.

Nun gingen die Türen des Elektronikmarktes auf und die Horde hormongesteuerter Weiblichkeit ergoss sich in den Laden. Die Mitarbeiter, die die Türen aufgeschlossen hatten, retteten sich gerade so noch zur Seite. Es war ein spannend anzusehendes Drücken, Schieben und Drängeln, jede wollte die Erste sein. Bärbel war irritiert von der Vehemenz und auch der Aggressivität, mit der die Fans vorgingen. Einige rissen Staubsauger- oder Mikrowellenkartons von den Angebotsstapeln im Eingangsbereich des Ladens und warfen sie ihren Kontrahentinnen in den Weg, sodass diese stolperten und hinfielen. Die Mitarbeiter des Marktes mussten sogar zwei sich prügelnde Frauen trennen.

Nach kürzester Zeit war der Spuk auch schon wieder vorbei. Die letzten Autogrammjägerinnen waren quiekend in den Tiefen des Ladens verschwunden und nur die am Boden liegenden Kisten zeugten noch von dem soeben stattgefundenen Tumult.

Bärbel schüttelte den Kopf und betrat zusammen mit einigen anderen Normalbesuchern den Laden. Sie schaute bei den Tablets und Notebooks vorbei, entschied sich aber sparsamerweise gegen einen Kauf und folgte der Schneise der Verwüstung in die obere Etage des Marktes. Vielleicht würde sie ja einen Blick auf die Finnen erhaschen können.

Finnisch! Das war auch so etwas. Sie hatte einige Interviews mit Teemu auf Finnisch gesehen, die Sprache war absolut faszinierend und das Land interessierte sie auch sehr. Mit Sommer, Sonne und Strandurlaub konnte man Bärbel jagen. Ihre Devise war, lieber festfrieren als schwitzen. Vielleicht würde sie mal hinfliegen, nach Finnland, irgendwann.

Die finnische Autogrammstunde zu finden, war nicht sonderlich schwierig. Wenn sich die Betreiber des Marktes da mal nicht übernommen hatten. Die Sicherheitskräfte schafften es kaum, die aufgeregten Fans in geregelte Bahnen zu lenken. Bärbel verzichtete darauf, sich anzustellen, das war ihr zu gefährlich und das Verhalten der Fans schien ihr unberechenbar. Sie wollte nicht enden wie die Mikrowellenkartons im Erdgeschoss. Immerhin musste sie nur noch morgen arbeiten und hatte danach Urlaub. Und den wollte sie nicht im Krankenhaus verbringen.

Gemeinsam mit einigen anderen Kunden sah Bärbel sich das Spektakel daher aus sicherer Entfernung an. Über einen riesigen, überdimensional großen Fernseher hinweg, der am Boden stand, hatte man schräg an der Fensterfront entlang einen guten Blick auf das Geschehen.

Alle fünf Mitglieder von Polarfrost saßen nebeneinander. Von dreien kannte Bärbel die Namen, die anderen beiden, ja, die gehörten auch zur Band, aber wer da jetzt wer war wusste sie nicht.

 

Ein Security-Mensch rief immer wieder in die Menge, dass Bilder mit Blitz und Fotos zusammen mit den Bandmitgliedern verboten waren. Trotzdem blitzte es ab und an und es gab vereinzelt immer wieder Fans, die das Fotoverbot nicht akzeptierten oder auch versuchten, über die Tische zu klettern, um das Bandmitglied ihrer Wahl wenigstens einmal kurz anzufassen. Das Geschrei der langsam an ihre nervlichen Grenzen stoßenden Aufpasser konnte man durch den ganzen Laden hören.

Die Autogrammschlange schob sich zäh vorwärts. Als Erstes saßen die beiden Männer, die Bärbel namentlich nicht zuordnen konnte. Danach kam Diego, der halb mexikanische, immer gut gelaunte Schlagzeuger der Band. Neben ihm saß Juha, der Leadgitarrist und am Ende des Tisches Teemu. Die Mädels waren allesamt irre aufgeregt und hibbelten nervös herum.

Bärbel fand, dass Teemu gestresst aussah, ansonsten konnte sie sich nicht beklagen. Dunkle Jeans, T-Shirt, darüber ein offenes Jeanshemd, bei dem er nur den linken Ärmel hochgekrempelt hatte, wie das in letzter Zeit für ihn typisch war. Am rechten Handgelenk trug er zwei Armbänder, an den Füßen Turnschuhe und über seinem Stuhl hing eine schwarze Jacke.

Teemu gefiel Bärbel eigentlich sehr gut, aber so, wie er momentan aussah, hätte sie ihn am liebsten zum nächsten Frisör gezerrt. Sie bevorzugte ihn richtig blond und halbwegs ordentlich frisiert. Da es aber Anfang Februar war und die deutsche Fernsehsendung, in der er regelmäßig auftrat, Winterpause hatte, war Teemu zurzeit nur in Sachen Musik unterwegs. Daher waren seine Haare zweifarbig und sein zotteliger, herausgewachsener Kurzhaarschnitt war mit einigen dunklen Strähnen durchsetzt. Ein hellblonder Sänger machte sich eben nicht so gut, wenn man als Band eine düstere, geheimnisvolle Aura ausstrahlen wollte.

Bärbel gefiel der Alltags-Teemu, so wie er hier saß, viel besser als der Bühnen-Teemu. Auf der Bühne wirkte er allein schon durch seine fast ausschließlich schwarze oder weiße, oft unkonventionelle Kleidung unnahbarer als mit Jeanshemd und Turnschuhen.

Seit zwei Jahren war er außerdem fester Bestandteil der sehr beliebten, deutschen Samstagabendsendung Koch und weg, moderiert von Heribert Koch. Die Show war eine spritzige Mischung aus Kochen, Unterhaltung, Reise, Musik, Comedy und Außenreportagen, pro Sendung wurde ein Land vorgestellt. Nach Teemus Auftritt in der Finnlandsendung hatte es dermaßen viele positive Reaktionen seitens der Zuschauer gegeben, dass er als fester Bestandteil in die Sendung integriert wurde. Er fungierte als gespielt trotteliger Koch, Interviewpartner und Außenreporter und war beim Publikum mehr als beliebt, vor allem bei den Frauen, quer durch alle Altersstufen. Er war immer für einen Lacher gut, zog alles und jeden durch den Kakao und seine Antworten auf die Frage ‚Und was sagt Finnland dazu?’ hatten seit einiger Zeit Kultstatus. Mittlerweile sprach Teemu sogar sehr gut Deutsch, situationsbedingt mit mehr oder weniger starkem finnischem Akzent.

Seiner Band Polarfrost hatten Teemus Auftritte zum endgültigen Durchbruch im deutschsprachigen Raum verholfen. Ihre Konzerte spielten sie mittlerweile in den größeren Konzerthallen des Landes und nicht mehr nur in düsteren finnischen Spelunken vor einer Handvoll betrunkener Gäste. Der Gedanke war schon irgendwie lustig, dass Teenies, die seine Kinder sein könnten, Schilder hochhielten mit ‚Teemu, ich will ein Kind von dir’. Weniger lustig hingegen waren diverse Zwischenfälle bei Konzerten und Fantreffen, bei denen sogar zwei Mädchen schwer verletzt worden waren. Die Band hatte daher beschlossen, aus Sicherheitsgründen demnächst keine Autogrammstunden mehr zu geben.

Da hatte Bärbel wohl eine dieser letzten Autogrammstunden erwischt.

Allein Teemu eine Weile zu beobachten, rettete Bärbel den Tag. Der große Finne war lieb zu den Fans, schaute jeder in die Augen und unterschrieb auch auf den absurdesten Körperteilen. Fanattacken wich er aus so gut es eben ging, die eine oder andere unfreiwillige Umarmung konnte er allerdings nicht mehr rechtzeitig abblocken.

Je weiter die Autogrammstunde fortschritt, desto nervöser wurde er. Er lächelte trotzdem jeden Fan zunächst freundlich an und stellte auch die ein oder andere Frage. Bärbel stand nicht in Hörweite, hatte aber den Eindruck, als ob kaum jemand antwortete. Oder antworten konnte. Die, die ihre Autogramme bereits hatten, wurden von den Sicherheitsleuten weitergescheucht. Sobald die Mädchen ein paar Meter weg waren, hörte man sie quietschen und kichern.

Mit einem Mal tat Teemu Bärbel nur noch leid. Er war für die Mädels kein Mensch, sondern … Ihr fiel kein passendes Wort ein. Spielzeug? Nein. Wäre er eine Frau und die Mädels Jungs, hätte sie sogar ein Wort dafür gehabt, nämlich Wichsvorlage.

Bärbel sah dem munteren Treiben noch eine Weile zu und verließ dann den Elektronikmarkt. Heute Abend würde sie mal wieder eine Konzert-DVD der Band schauen und dazu eine Pizza essen. Ein guter Plan. Und vielleicht würde sie noch einen schnulzigen Film hinterherschieben. Mal wieder so richtig im Selbstmitleid baden. Bärbel war jetzt seit mehreren Jahren Single, nachdem ihre letzte Beziehung nicht gerade friedlich auseinandergegangen war. Konnte sich nicht mal im richtigen Leben jemand wie Teemu in sie verknallen? Nur in ‚normal’ und ohne den Popstar-Faktor?

Auf dem Weg ins Parkhaus wurde sie noch in die Buchhandlung gesaugt und stand dann vor der allseits beliebten Frage: Wo lang? Schon wieder hatte sie sich nicht gemerkt, auf welcher Seite des Parkdecks ihr Auto stand. Die Ebene stimmte, da war sie sicher. So ein Mist.

Hier ungefähr hatte es gestanden. Da war es aber nicht, also musste es auf der anderen Seite stehen. Sie wollte gerade an den Kassenautomaten vorbei die Seite wechseln, als sie heftig mit jemandem zusammenstieß, der um die Ecke geschossen kam.

Beide machten ein kleines, überraschtes Geräusch. Die Reisetasche, die ihr Gegner in der Hand gehabt hatte, klatschte auf den Boden und Bärbels Buchhandlungstüte auch. Bärbel ging kurzfristig zu Boden, rappelte sich aber gleich wieder auf. Beide hoben ihr Gepäck auf und sie sah zu dem Mann hoch.

Es traf sie fast der Schlag. Sie starrte in zwei blau-graue Augen, die sie nur allzu gut kannte. Allerdings eher aus dem Fernsehen oder von ihrem Computermonitor.

„Sorry“, sagte Teemu und rang sich ein Lächeln ab. „Hast du dich verletzt?“, fragte er, nun auf Deutsch, mit ein bisschen Akzent. Er klang wie im Fernsehen.

„Ich werde es überleben.“ Sie musste grinsen. „Bist du auf der Flucht?“

Er lächelte schief, zuckte mit den Schultern und sah sich nervös um. „Ja, so ungefähr.“

Bärbel nickte ihm freundlich zu und wandte sich zum Gehen. „Na dann will ich dich mal nicht weiter aufhalten. Schönen Tag noch und viel Erfolg.“

Er war bestimmt froh, wenn er in Ruhe gelassen würde, nach all seinen schlechten Erfahrungen mit übergriffigen Fans. Bärbel sortierte ihren Schal zurück in ihre Jacke und ging in die Richtung, in der sie ihr Auto vermutete.

Da vorn war es, sie konnte schon die hintere Stoßstange sehen. Ein großer SUV stand nun daneben, kein Wunder, dass sie es nicht auf Anhieb gefunden hatte. Sie hörte Schritte hinter sich.

„Warte bitte!“

Bärbel drehte sich um und wartete, bis Teemu bei ihr war. Er atmete gestresst aus und fuhr sich hektisch durch die Haare. Ihn aus der Nähe zu sehen war interessant. Im Fernsehen sah er immer so jungenhaft und wie geleckt aus, aber jetzt hier, ohne dass die Visagisten ihn bearbeitet hatten, sah man doch einige Fältchen und die Narbe in seiner linken Augenbraue war deutlich zu erkennen. Immerhin war der Kerl auch schon fast vierzig und kein Kind von Traurigkeit, wenn man den Medien glauben durfte.

„Ja, klar. Was gibts denn?“ Sie hoffte, dass sie ihn nicht allzu auffällig anstarrte.

„Ich habe Problem“, sagte er auf Deutsch. Das Weglassen des Artikels war typisch für ihn, immerhin gab es im Finnischen keine. Das hatte er mal in einem Interview erzählt. Er kaute auf seiner Unterlippe herum und sah sich immer wieder nervös um.

„Oh. Was denn?“, fragte Bärbel.

„Die … anderen haben mich vergessen hier. Ich muss am Flughafen sein in fünfundvierzig Minuten. Kannst du mir sagen, wo ich Taxi bekomme? Bitte.“

„Ähm … ja, klar. Vorn an der Hauptstraße stehen immer welche. Aber das schaffst du nicht mehr. Die Mädchen da draußen reißen dich in Stücke. Bis du es zum Taxistand geschafft hast, ist es morgen früh. Und wenn du ein Taxi anrufen würdest, braucht das auch eine Weile, bis es hier ist. Und warten müsstest du auch draußen. Ich glaub nicht, dass Taxis hier runter ins Parkhaus kommen.“

Teemu griff sich an den Nacken, kniff die Augen zusammen und fluchte auf Finnisch. Es klang allerdings nicht besonders empört, sondern eher lustig.

„Soll ich dich fahren?“

Der Finne sah ihr in die Augen. Bärbel fühlte sich, als ob er ihre Gedanken lesen konnte und ihr wurde ganz anders.

„Ähh …“ Er zog ein Gesicht, als sei Bärbels Vorschlag gänzlich außerhalb des Akzeptierbaren einzustufen. Er kämpfte einige Sekunden mit sich und nickte dann. „Ja, okay. Danke.“

„Kein Problem, dann mal los.“ Sie hoffte, dass es so aufmunternd bei ihm angekommen war, wie sie es gemeint hatte und lief weiter in Richtung ihres Autos.

Teemu holte zu ihr auf. „Sorry, dass ich mache Mühe und danke noch mal. You are my …“ Er suchte nach einem Wort.

„Last Hope?“ Sie musste lachen und er ließ sich davon sogar anstecken. „Ja.“ Der Liedtitel von Polarfrost passte hier perfekt. Bärbel nickte, drückte auf die Türentriegelung ihrer Funkfernbedienung und die Lampen des dunkelblauen Ford Mustang GTs blinkten kurz. Teemu riss die Augen auf. „Das ist dein Auto?“

„Ja, Herr Perhonen, da guckense, ne?“ Ups, hatte sie das laut gesagt? Naja, auch egal.

Teemu sah sie nun erneut skeptisch an und kämpfte sichtlich mit sich, ruhig zu bleiben. Wahrscheinlich überlegte er jetzt, wer gefährlicher war: Die Frau mit dem aufgemotzten amerikanischen Sportwagen, oder die Horde Fans, die bestimmt noch im Orbit des Einkaufszentrums kreiste und ihm die Klamotten vom Leib reißen würde, sobald sie ihn sah.

Bärbel öffnete den Kofferraum und sie räumten ihr Gepäck hinein. „Sorry. Ich wollte sagen, ja, das ist mein Auto.“

Sie fuhren aus dem Parkhaus und auf die Autobahn in Richtung Flughafen. Es war nicht viel los und den Mustang zu fahren machte wie immer einen Heidenspaß. Teemu tat Bärbel immer noch leid, so angespannt wie er war. Vielleicht schaffte sie es ja doch noch, ihm klarzumachen, dass sie keine Gefahr für ihn darstellte.

„Du hast gesagt, die anderen haben dich im Parkhaus vergessen. Wie kann man denn seinen Sänger einfach so vergessen?“, fragte sie in die Stille hinein.

Er seufzte. „Sie dachten, ich fahre zusammen mit unserem Manager. Aber er ist allein gefahren. Ich habe nur noch gesehen Auto von hinten.“ Teemus tiefe, warme Stimme erfüllte den Innenraum des Mustangs und in Bärbels Bauch wölkten Schmetterlinge auf. Teemu war wirklich hier in ihrem Auto! Das war surreal und fantastisch zugleich.

„Warum hast du ihn nicht gleich angerufen, damit er zurückkommt?“

„Akku leer.“ Er klang leicht genervt. Das Wort ‚Akku’ sprach er auf die finnische Art aus – mit einer Mikropause zwischen den beiden k.

„Oh.“ Sie griff in ihre Jackentasche und hielt ihm ihr Handy hin. „Willst du jetzt telefonieren?“

Teemu sah sie verschreckt an, so, als ob sie ihm gerade ein tiefgefrorenes Brathähnchen hinhielt und kein iPhone. Vielleicht überlegte er ja, ob er ein Telefonat wagen könne, immerhin hätte sie dann die Telefonnummer von dem, den er anrufen würde. Juha vielleicht oder einen der beiden Namenlosen. Vielleicht auch seinen Manager Kristian, den Unsympathen, der immer so einen arroganten Eindruck machte.

Teemu fand sein Lächeln wieder. Sein Fremde-Leute-Lächeln. „Nein, danke, ich habe Ticket und treffe die anderen am Gate. Alles gut.“

„Okay.“ Sie steckte das Telefon wieder weg. „Ich wollte dir nur helfen. Ich habs nicht böse gemeint.“

Er atmete hörbar aus und kratzte sich am Kopf. Wehe, du verteilst mir finnische Schuppen auf den Ledersitzen, mein Freund!

„Nein, nein, alles gut. Ich … wollte nicht unfreundlich sein. Ich bin nur … bisschen gestresst. Danke, dass du mich zum Flughafen bringst.“

„Kein Problem, gern.“

„Schönes Auto.“

„Ja, ich liebe es.“

 

Er lächelte und sah weiter aus dem Fenster.

Sie kamen jetzt in die Nähe des Flughafens. „Welches Terminal?“, fragte Bärbel.

„Eins.“

Sie fuhr den Schildern nach und hielt vor dem Flughafengebäude an. Einige der dort stehenden Leute starrten zu ihnen herüber, aber der Mustang war eben kein silberner Golf. Da starrte immer irgendjemand.

Teemu nickte erleichtert. Er sah Bärbel an und lächelte. Na also, geht doch.

„Vielen Dank, ähm … wie ist dein Name?“

„Bärbel.“

„Bör-bell?“ Nein, Bärbel, du Witzbold. Sie lächelte und sagte nichts.

„Danke für Rettung.“ Er überlegte kurz und streckte ihr dann seine rechte Hand hin.

Er hatte einen angenehmen Händedruck, nicht zu fest und nicht zu schlaff. Teemu öffnete die Tür und faltete sich aus dem tiefen Auto nach draußen. Er kruschelte im Kofferraum herum und knallte die Klappe ein wenig zu fest zu. Hey, lass mir mein Auto ganz!

Er klopfte zweimal aufs Dach und war einige Sekunden später durch die automatische Glastür im Flughafen verschwunden. Bärbel fuhr wieder auf die Autobahn und weiter nach Hause, der Tag heute war mehr als gerettet. Sie drehte die Countrymusik lauter und zog auf die linke Spur.