Wahre Kriminalfälle und Skandale

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Wahre Kriminalfälle und Skandale
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Walter Brendel

Wahre Kriminallfälle und Skandale

Wahre Kriminalfälle und Skandale

Walter Brendel

Impressum

Texte: © Copyright by Walter Brendel

Umschlag: © Copyright by Walter Brendel

Verlag: Das historische Buch, 2021

Mail: walterbrendel@mail.de

Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH,

Berlin

Inhalt

Das Fälschergenie

Abgetrieben – Der Memminger Prozess

Das Mädchen und der General

Mord im Milieu

Tod im Kinderzimmer?

Mord in der Schule

Spion im Kanzleramt

Bezahlter Liebesdienst des Gigolo

Das Fälschergenie

Fälschungen gehören seit seinen Anfangstagen zum Journalismus. Wer weiß das besser als die BILD-Zeitung. Aber Nachrichtenfälscher sind am Werk, seitdem es die Presse gibt, auch weil es früher für die Rezipienten noch schwerer war Fälschungen als solche auszumachen. Zu den prominenten Produzenten des frühen fiktionalen Journalismus zählten Edgar Allen Poe, der in einem im Jahre 1844 in der New York Sun erschienenen Artikel die erste Atlantiküberquerung in einem Heißluftballon um 134 Jahre vorwegnahm und Mark Twain, der sich wie Poe vor seiner schriftstellerischen Karriere als Journalist bemühte. Er griff die Legende von einem versteinerten Mann auf und narrte damit 1861 die Leser der Territorial Enterprise in Virginia.

Auch am Anfang des 20.Jahrhunderts gab es Fälscher, wie den Reporter Ben Hecht, der das Chicago Daily Journal mit Schlagzeilen versorgte, "(…)die die Konkurrenz erblassen ließen. ‚Erdbeben zerreißt Chicago' stand in riesigen Lettern über einem vier Spalten breiten Photo der großen Kluft, die das Beben in den Lincoln Parc Beach gerissen haben sollte. Ganze zwei Stunden hatten Hecht und sein Photograph im Sand gegraben, um ein möglichst überzeugendes Photo zu schießen."

In Deutschland gilt als eines der ersten Fälschungen die von der Hamburger Zeitschrift Minerva zwischen 1797 und 1799 lancierte Legende der sogenannten "Potemkinschen Dörfer". Als eine frühe Form des freien Mitarbeiters betätigte sich Arthur Schütz, der Erfinder des "Grubenhundes", in dem er der Wiener Neuen Freien Presse wiederholt erfundene Meldungen zukommen ließ. "Sein stärkstes Stück erschien am 18. November 1911 - ein Bericht über ein angebliches Erdbeben im Ostrauer Kohlerevier, in dem es hieß, dass der "im Laboratorium schlafende Grubenhund schon eine halbe Stunde vor Beginn des Bebens auffallende Zeichen größter Unruhe gab." Jeder halbwegs informierte Zeitgenosse hätte wissen müssen, dass in der Bergwerkersprache der "Hund" eine handgezogene Lore bedeutete."

In dieser Zeit setzten sich auch im deutschen Sprachraum mediale Fälschungen mehr und mehr durch. Erich Kästner, der in seinem Roman "Fabian" auch das Ausschmücken von Zeitungsmeldungen mit erfundenen Tatsachen beschreibt, sagte nach seiner Zeit als angestellter Redakteur: "Meldungen, deren Unwahrheit nicht oder erst nach Wochen festgestellt werden kann, sind wahr".

Sprunghaft angestiegen ist die Anzahl der enttarnten Elaborate des fiktionalen Journalismus seit Anfang der Siebzigerjahre. Diese Aussage bezieht sich nicht nur auf journalistische Fälschungen, sie schließt auch fiktionale Inhalte ein, die von PR oder Politikern lanciert werden. Dennoch kann auch für den fiktionalen Journalismus gelten, dass seine Artikel als wahr gelten, solange sie von den Medien für wahr erklärt werden.

Fälschungen haben in einer durch und durch öffentlichkeitsorientierten Welt enorme strategische Bedeutung. Mediale Fälschungen sind nicht wahr und trotzdem vorstellbar, deswegen können sie für ihre Urheber sehr wertvoll sein. Heute liegt der Marktwert einer Information in der Anzahl von Personen, die sich für sie interessieren könnten. Diese Zahl hat indes nichts mit der Wahrheit zu tun. Mit den Fälschungen nahm auch die Anzahl ihrer Enttarnungen zu. Die Fälschung-Moderne war außerdem von Fälschern wie Christoph Jones, der für die New York Times 1981 erfundene Frontreportagen aus Kambodscha ablieferte und natürlich von Konrad Kujau und Gerd Heidemann geprägt.

Zwei weitere Fälscher erregten in Deutschland danach die landesweite Aufmerksamkeit: Zunächst der für Boulevardmagazine wie Stern TV arbeitende Filmemacher Michael Born. "In der Zeit von 1990 bis 1995 produzierte und verkaufte

Born insgesamt 21 teilweise oder völlig gefälschte TV-Beiträge an die ARD, das ZDF, das Schweizer Fernsehen DRS, SAT 1, RTL, PRO 7 und VOX". Unter den bekanntesten seiner Fälschungen waren der Beitrag über die vermeintlichen Untriebe des Ku-Klux-Klan in der Eifel (1994), die Reportage über deutsche Katzenjäger (1995) und der Filmbericht über einen von einem Krötensekret abhängigen Junkie (1994). Die teilweise äußerst liebevoll angefertigten Film-Fälschungen brachten ihren Macher ins Gefängnis, weil die Verantwortlichen von Stern TV, um nicht selbst verfolgt zu werden, ihn angezeigt hatten. Born veröffentlichte ein Buch über seine Geschichte(n) und begann offensiv mit dem Thema umzugehen. Er wies auf das Mitwissen der gesamten Redaktion von Stern TV (inklusive des Moderators Günther Jauch) hin, richtete eine Website ein, von der aus bis heute Videozusammenschnitte der "besten Fälschungen" verkauft werden.

Im Jahr 2000 wurde Tom Kummer, ein Mitarbeiter des Magazins der Süddeutschen Zeitung, beim Fälschen erwischt. Er hatte mehrere Interviews mit Prominenten gefälscht, hatte sich einzelne Passagen ausgedacht und andere aus Biographien und älteren Interviews zusammengeklaut. Im Nachhinein (also auf die Enttarnung folgend) unternahm Kummer den Versuch, seine Artikel "als Konzeptkunst zu verkaufen". Er führte den Begriff des "Borderline-Journalismus" ein und merkte nicht ganz zu Unrecht an, dass Journalisten bei den meisten Interviews die überlangen, nicht wohlgeformten oder fremdsprachigen Antworten ihrer Gesprächspartner verändern würden. Kummer und auch die damaligen Chefredakteure des SZ-Magazins kostete sein Grenzgängertum zwischen Wirklichkeit und Fiktion den Job.

In einem geschichtlichen Überblick der medialen Faktes muss auch auf die Häufung derselben zu Kriegs- bzw. Krisenzeiten hingewiesen werden. Ramonet (1999) weist auf einige dieser Fälschungen hin, zu denen im Rahmen des Aufstandes in Rumänien die Inszenierung eines Massengrabes in Timisoara zählte. "Die auf weißen Leintüchern aufgereihten Leichen waren nicht die Opfer des Massakers vom 17. Dezember 1989, sondern vielmehr Tote, die man auf dem Armenfriedhof ausgegraben hatte (...)". Wer die Fälschung initiiert hatte, ist bis heute unklar, fest steht lediglich, dass die Bilder von angeblich 60.000- 70.000 Leichen auf Fernsehkanälen rund um den Globus zu sehen waren, darunter auch ARD, ZDF und RTL plus. Das "Massaker von Timisoara" forderte, wie sich später herausstellten, jedoch "nur" einige Dutzend Todesopfer, in ganz Rumänien waren es 689. Im Golfkrieg betätigten sich vor allem die amerikanischen Medien als Mythenmacher, so institutionalisierten sie Symbole wie die Patriot-Rakete, die Gasmaske oder den Tarnkappenbomber als eine Art Füllfake, weil die "echten Kriegsbilder" fehlten. Diese Form der Propaganda gehört nicht zum Kern des Themas, weil derartige Manipulationen in der Regel eher von Militärs und Politikern lanciert werden, dennoch soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass mit dem wachsenden Engagement der Bundeswehr auch in deutschen Medien die Legitimationsfakes zugenommen haben. Die ARD-Dokumentation "Es begann mit einer Lüge" enthüllte beispielsweise reihenweise Fälschungen deutscher Medien im Zusammenhang mit dem Kosovo-Krieg und dem Massaker von Pristina (ARD, 8. Februar 2001).

So weit, so (nicht)gut. Es sollte der größte Medienknüller der Nachkriegszeit werden und wurde der größte Reinfall des Magazins "Stern". Vor über 20 Jahren schreckte die Redaktion des Blattes die Öffentlichkeit mit der Meldung auf, Adolf Hitlers geheime Tagebücher seien entdeckt worden. "Nach der Auswertung der Tagebücher muss die Biografie des Diktators und mit ihr die Geschichte des NS-Staates in großen Teilen neu geschrieben werden", verlautbarte der "Stern" am 22. April 1983. Drei Tage später präsentierte die Chefredaktion in einer international besuchten Pressekonferenz etwa ein Dutzend von 60 gebundenen Kladden im DIN-A-4-Format mit Reichsadler, Kordel und Hakenkreuz. Für die Echtheit der mit schwarzer Tinte geschriebenen Aufzeichnungen konnte sich der "Stern" auf namhafte Historiker berufen, unter ihnen der britische Hitler-Experte Hugh Trevor-Roper.

Keine zwei Wochen später war der Spuk vorbei. Nach erneuten Untersuchungen des Bundesarchivs, des Bundeskriminalamts und des Bundesamtes für Materialprüfung lautete das einhellige Urteil: eine "grotesk oberflächliche Fälschung". Ganze Passagen waren aus einer längst veröffentlichten Sammlung von Hitler-Reden abgeschrieben. Einbände, Papier und Klebstoffe enthielten zum Teil Materialien, die vor 1955 gar nicht auf dem Markt waren.

Der "Stern" stoppte den bereits begonnenen Abdruck der "Tagebücher" und stürzte in eine Ansehens- und Auflagenkrise, von der er sich jahrelang nicht erholte. Der "Entdecker" der Bände, der Reporter Gerd Heidemann, konnte bei der Suche nach dem Fälscher zunächst wenig helfen. Er hatte die Hefte gegen viel Bargeld von einem Stuttgarter Militaria-Händler namens Konrad Kujau ehalten, der sie seinerseits aus einer dunklen Quelle bekommen haben wollte.

 

Insgesamt investierte der "Stern" 9,3 Millionen Mark (knapp 4,8 Millionen Euro) für die 60 Bände. Heidemann trug das Geld jeweils in Plastiktüten zu Kujau, der ihm mal einen, mal drei Bände übergab. Dass Kujau die Tagebücher selbst geschrieben hatte, dämmerte Heidemann damals nicht. Er fiel auf dessen Geschichte herein, die Bände seien in einem gegen Kriegsende in Sachsen abgestürzten Flugzeug gefunden worden.

Heidemann schilderte der "Berliner Zeitung" das Geschehen von 1983 so: "Ich rief ihn in Stuttgart an oder er rief mich morgens in Hamburg an und sagte: Komm her, in übernehme heute Vormittag drei Tagebücher an der Autobahn ... Er rief mich also an und sagte: Bring mal Geld für drei Tagebücher mit. ... Aber er hatte nur eins dabei. ...

Ich hab dann oft zu Kujau gesagt, ruf mich doch erst an, wenn du genau weißt, wie viele Tagebücher du hast. ... Ich hatte keine Lust, immer Hunderttausende Mark hin und herzutransportieren. Manchmal hatte ich 900.000 Mark in einer Plastiktüte dabei, für drei, vier Bücher, aber Kujau hatte dann nur eins."

Am Ende landeten sowohl der Fälscher Kujau als auch Heidemann, der sich bis heute als Opfer fühlt, vor Gericht. Kujau gab an, von den 9,3 nur 2,4 Millionen Mark erhalten zu haben, und wurde zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Heidemann wurden sogar vier Jahre und acht Monate aufgebrummt, weil ihm das Gericht nicht glaubte, dass er die Millionen komplett an Kujau weitergereicht hatte.

Kujau blieb seinem Fälscher-Image auch nach der Haft treu: Er malte Kopien bekannter Gemälde von Künstlern wie Salvador Dali oder Marc Chagall und signierte sie mit dem Namen des echten Meisters und seinem eigenen. Die "echten Fälschungen" verkauften sich gut, und der Meisterfälscher betätigte sich auch als Galerist und Gastronom, bis er im Jahr 2000 im Alter von 62 Jahren an Krebs starb.

Heidemann ist noch heute verbittert und fühlt sich unfair behandelt. Er lebt in bescheidenen Verhältnissen und hat nach eigener Aussage keine Ahnung, wo die verschwundenen "Stern"-Millionen geblieben sind. Noch immer liegen die meisten der 60 "Tagebücher" im Keller des Gruner+Jahr-Verlags in Hamburg - bis auf einige Bände, die im Museum ausgestellt werden, etwa im Haus der Geschichte in Bonn.

Ein echter Knüller wurde die Verfilmung der Tagebuch-Geschichte in Helmut Dietls Erfolgskomödie "Schtonk", die 1993 sogar für den Oscar nominiert wurde.

Heidemann, der während der Dreharbeiten am Set war: "Ich habe Tränen gelacht über Götz George, der mich spielt in dem Film. So einen Typen hätte (der damalige "Stern"-Herausgeber) Henri Nannen schon nach drei Minuten gefeuert, so einen hätte der nie ertragen."

Nun zum Vorbild für "Hermann Willié": Gerd Heidemann. Der war in Wahrheit alles andere als ein ständig in Geldnot lebender Schmierfink, der keine Knüller lieferte und dessen Berichte von der Chef-Redaktion zurück gewiesen wurden. Ganz im Gegenteil waren seine z.T. unter großem persönlichem Einsatz zustande gekommenen Reportagen aus aller Welt fast immer einen Abdruck wert. So erschien z.B. sein Bericht über Görings Yacht "Carin II" entgegen dem, was Dietl in "Schtonk" suggeriert - tatsächlich auf der Titelseite des Stern. Dass Heidemann diese Yacht auf eigene Rechnung gekauft hatte (für 160.000.- DM, von den Briten, die sie bei Kriegsende als Siegerbeute "beschlagnahmt" und nach der Geburt des ersten Sohnes von Queen Elizabeth in "Prince Charles" umbenannt hatten), mag eine Fehlspekulation gewesen sein, aber keine, die ihn nun gleich an den Rand des Verhungerns gebracht hätte - und zum Nazi machte ihn das ja wohl auch nicht. Dann kam also Kujau (der freilich unter einem anderen Namen - Fischer - auftrat) und bot ihm an, "Hitlers Tagebücher" zu besorgen. (Heidemann lernte ihn tatsächlich über Fritz Stiefel kennen, allerdings nicht anlässlich einer Feier von Hitlers Geburtstag, sondern weil er dem reichen Fabrikanten - nicht Görings Nichte, wie im Film – die Yacht andrehen wollte.) Das wäre eine Sensation; und warum hätte man daraus nicht ein Geschäft machen können - wie ja auch mit Goebbels' Tagebüchern? Wenn man das vermeiden wollte, was mit letzteren geschehen war, nämlich ein jahrelanges Hin und Her mit Gerichtsprozessen und schließlich einer Doppel-Veröffentlichung, die sich bald in Form von unverkäuflichen Remittenden-Exemplaren in den Modernen Antiquariaten stapeln sollte, dann war schnelles Handeln geboten. Heidemann reiste nach Börnersdorf (allerdings nicht, wie im Film, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion auf eigene Faust und unter Bestechung der DDR-Grenzer, sondern ganz offiziell, auf Vermittlung und in Begleitung seines Ressort-Leiters Thomas Walde, der die notwendigen [Stasi-]Kontakte in die DDR hatte – er wurde übrigens im Gegensatz zu Heidemann später nicht gerichtlich belangt, sondern zur Belohnung, dass er im Prozess gegen letzteren aussagte, zum Geschäftsführer des Staatssenders "Radio Hamburg" befördert), vergewisserte sich, dass der Flugzeugabsturz 1945 tatsächlich stattgefunden hatte, und hielt es danach für möglich, dass die Tagebücher echt waren - wollte es vielleicht auch schon glauben. In diesem Sinne berichtete er seinem Arbeitgeber.

Wirklich seinem Arbeitgeber? Nicht ganz, denn das wäre ja eigentlich der Stern gewesen. Aber Heidemann und Walde (der wieder die richtigen "Kontakte" hatte) setzten eine Stufe höher an, nämlich beim Chef des Verlags Gruner & Jahr, dem der Stern gehörte. Im Film ist das durchgehend der dämliche "Dr. Wieland", der das Ganze mit den beiden "hinter dem Rücken der Chef-Redaktion" durchzieht.

Tatsächlich gab es aber zwei Personen: 1980, als Heidemann und Walde die Tagebuch-Story anleierten, saß auf dem Chef-Sessel noch Dr. Manfred Fischer – bis ihn Mitte 1981 Gerd Schulte Hillen ablöste, der sich später damit heraus redete, er habe sich darauf verlassen, dass sein Vorgänger alles sorgfältig geprüft habe. Und das hatte der auch, denn er hatte ja allen Grund, bei derartigen Geschichten misstrauisch zu sein: Hatte nicht schon der notorische Lügenbold und Verleumder Luis Trenker (der noch heute als "der nette Bergsteiger-Opa von nebenan" durch manch unwissendes Gehirn geistert) in den fünfziger Jahren die so genannten Eva-Braun-Tagebücher gefälscht? Und die Schwestern Panvini aus Vercelli in den sechziger Jahren die so genannten Mussolini-Tagebücher? Und waren aus der Zeit des "Dritten Reiches" nicht noch eine Reihe anderer dreister Fälschungen im Umlauf, vom so genannten "Wannseekonferenz-Protokoll" bis zum so genannten "Tagebuch der Anne Frank"? Hatte nicht gerade erst zwei Jahre zuvor, im Dezember 1980, der Bundesgerichtshof in höchster Instanz rechtskräftig festgestellt (freilich in einem Urteil, das selbst von den juristischen Fachzeitschriften und erst recht von den Massenmedien so gut wie tot geschwiegen wurde), dass das angebliche "Tagebuch der Anne Frank" mit einer Kugelschreiber-Tinte geschrieben war, die es vor 1951 noch nicht gab und dazu noch in einer Handschrift, die nicht die geringste Ähnlichkeit mit der echten Handschrift der Anne Frank aus dem selben Jahr hatte?

Oder das so genannte "Hoßbach-Protokoll", das schon sein angeblicher Verfasser, der - als Widerstandskämpfer etwaiger Sympathien für die Nazis sicher unverdächtige - Fritz Hoßbach als Zeuge der "Nürnberger Prozesse" unter Eid als Fälschung bezeichnet hatte? Was freilich nicht gehindert hatte, die deutschen Angeklagten dennoch wegen "Planung und Vorbereitung eines Angriffs-Krieges", wie sie jenes Protokoll vermerkte, zu verurteilen. Das war indes nur ausgleichende Gerechtigkeit, denn auch von Rechts wegen hätten diese Leute verurteilt werden müssen, nämlich wegen nicht ausreichender Vorbereitung eines Verteidigungs-Krieges - aber das ist eine andere Geschichte. Nun, direkt nach dem Krieg war es erklärlich, dass die Fälschung des "Hoßbach-Protokolls" nicht erkannt bzw. nicht zur Kenntnis genommen wurde; weshalb sich aber manche deutsche "Historiker" bis heute nicht entblöden, es für echt zu halten, ist dem Autor ein Rätsel. Und hatte nicht ein Jahr zuvor ausgerechnet die Konkurrenz in Person des ZEIT-Redakteurs Karl-Heinz Janßen nachgewiesen, dass der Stern schon mit seiner Artikelreihe "Unternehmen Reichstagsbrand" den Fälschungen eines dreisten Schmierfinken und seiner Helfershelfer aufgesessen war? (Auf jenen Erich Kuby hätte der "Hermann Willié" aus Schtonk eigentlich viel besser gepasst als auf den armen Gerd Heidemann, und auf seinen Hintermann, den falschen Doktor Edouard Calic der falsche Professor "Fritz Knobel" viel besser als auf den eher harmlosen Falsifikaten-Händler und Gelegenheits-Maler Konrad Kujau; aber auch das ist eine andere Geschichte.) Und waren nicht diese Fälle womöglich nur die Spitze vom Eisberg?

War es nicht mehr als peinlich, jetzt herum eiern zu müssen mit blumigen Umschreibungen für offenkundige Fälschungen wie "nachträglich aus dem Gedächtnis rekonstruierte Kopien der leider verloren gegangenen Originale"? [Nicht dass Ihr glaubt, liebe Leser, solche Fälschungen gäbe es nur in der deutschen Geschichte oder nur in der des 20. Jahrhunderts: Wie wir heute wissen, sind auch die meisten der so genannten "Washington Papers" und der so genannten "Lincoln Papers" gefälscht und sogar viele der - ursprünglich deutsch geschriebenen - Tagebücher der Queen Victoria: Deren jüngste Tochter Beatrice hat erst die Originale vernichtet und dann ein paar Märchenbücher - auf Englisch - geschrieben, pardon "rekonstruiert", was ihre Mutter angeblich so gewünscht hatte.

Und dann war da noch ein peinlicher Fall aus dem Jahre 1967, in den der Stern direkt verwickelt war, nämlich die Behauptung, der damalige Bundespräsident Heinrich Lübke sei ein "KZ-Baumeister" und "Kriegsverbrecher" gewesen. Die Stasi hatte dem Stern Unterlagen zugespielt, wonach unter Lübkes Leitung Baracken für KZ-Häftlinge gebaut wurden. Ja, Lübke hatte die Baracken bauen lassen – als Unterkünfte für Rüstungsarbeiter; und später, als die Rüstungsproduktion infolge der alliierten Luftangriffe unter die Erde verlagert wurde, zogen dort tatsächlich KZ-Häftlinge ein. Aber die Stasi hatte noch ein paar Unterlagen hinzu gefälscht, um die - an sich echten - Unterschriften herum; und so kam es zu genau den Szenen, die als Vorbild für den Film Schtonk gedient haben: Der Stern schaltete mehrere Schriftsachverständige ein, u.a. den Schweizer Kriminologen Dr. Frei-Sulzer und den New Yorker Gerichts-Keksperten Howard Haring (eine schillernde Figur; er hatte mit seinem Schriftgutachten schon den Grundstein zu dem berühmt-berüchtigen Justizmord an Bruno Richard Hauptmann, dem vermeintlichen Kidnapper und Mörder des Lindbergh-Babys, gelegt). Da die Stasi ihre Fälschung um zwei echte Handschriftproben Lübkes herum aufgebaut hatte, kamen die Sachverständigen zu dem einhelligen Urteil: Jawohl, das Material ist echt. (Wobei die Expertise Frei-Sulzers auf Druck der Bundesregierung hin nicht veröffentlicht werden durfte.)

Dieses Ergebnis wurde denn auch notariell beglaubigt - ebenso feierlich wie im Film die Ergebnisse der Handschrift-Gutachten -, freilich nicht in Hamburg, sondern in New York, bei Mrs. Eleanor P. DeVito. Erst die Gauck-Behörde sollte den Schwindel aufdecken, als Lübke schon lange unter der Erde weilte. Gleichwohl hält der damalige Ressortchef des Stern, Gerd E. Gründler, bis heute ebenso hartnäckig an seiner These fest, dass das Material echt und Lübke folglich ein "Kriegsverbrecher" gewesen sei, wie "Hermann Willié" in Schtonk daran, dass "Adolf Führer" den Krieg überlebt und die Tagebücher danach geschrieben hat - Gewissenmassen "aus dem Gedächtnis rekonstruiert".

Kurzum, es war also ein ganz normaler Vorgang, wenn die Stern-Verantwortlichen auf einer Untersuchung durch Schriftsachverständige bestanden. Was lag näher? Grafologie hat ja - wenn sie ernsthaft betrieben wird - nichts mit Sterndeuterei zu tun; vielmehr ging es um einen Schriftvergleich zur Ermittlung des Urhebers. Dafür brauchte man Vergleichsschriften, richtig. Aber nun setzt die Geschichtsfälschung des Helmut Dietl erst richtig massiv ein: Es war nicht so, dass Kujau dem Stern von ihm selber gefälschtes Vergleichsmaterial unter jubelte. Hätte er das getan, hätten die Richter ihm schwerlich die Einlassung geglaubt, er habe Heidemann von Anfang an gesagt, dass er Fälschungen liefern würde - aber halt gute Fälschungen, die auch ihren Preis haben -, und sie dürften unter keinen Umständen veröffentlicht, sondern nur an private Sammler verkauft werden. Aber ist diese Einlassung nicht lächerlich?

Allerdings unterläuft Dietl in einer der Anfangs-Szenen ein Lapsus, als er Knobel sagen lässt: "Der Hitler hat doch viel besser gemalt als der Toulouse-Lautrec..." Wohl wahr - alles ist relativ. Dennoch geben manche Verrückte für den letzteren (und viele andere, noch schlimmere) Schmierfinken, pardon moderne "Künstler" noch viel mehr Geld aus, Millionen, bisweilen gar 'zig Millionen - vor allem, wenn es nicht ihr eigenes Geld ist, sondern das der Steuerzahler. Ist das weniger lächerlich? [Nein, eigentlich ist das gar nicht zum Lachen, sondern vielmehr zum Heulen: In den meisten Fällen machen nämlich die korrupten Verschwender von Steuergeldern augenzwinkernd Halbe-Halbe mit den so genannten "Künstlern", mit deren Machwerken sie öffentliche Plätze und Gebäude verschandeln.

 

Warum sollte also nicht ein anderer Verrückter für ein paar Dutzend gut nachgemachter Hitler-Tagebücher ebenso viel auf den Tisch zu blättern bereit sein? Aber erstens behauptete Kujau ja, dass Heidemann nur einen Bruchteil jenes Geldes an ihn weiter gegeben habe, und zweitens darf man zugunsten seiner Richter unterstellen, dass sie nichts vom Kunstmarkt verstanden.

Zurück zu unserer Geschichte. Am 25. April 1983 trat Stern-Chefredakteur Peter Koch vor die versammelten Medien und erklärte: „Die Geschichte des Dritten Reiches wird in weiten Teilen neu geschrieben werden müssen“. Der Stern sei im Besitz von Hitlers geheimen Tagebüchern. Die Welt hielt einen Augenblick den Atem an.

„Stern“-Reporter Gerd Heidemann präsentierte am 25. April 1983 stolz auf einer Pressekonferenz die „Hitler-Tagebücher“, seinen „Sensationsfund“. „Hitlers Tagebücher entdeckt „ stand auf der Titelseite der Zeitschrift „Stern“, des 33. Jahrganges, Heft 5 vom 28. April 1983. In dieser Ausgabe wird der Öffentlichkeit der Fund der angeblichen Hitler-Tagebücher präsentiert.

Der „Stern“-Reporter Heidemann (Jahrgang 1931) gehört zu den seltsamen Zeitgenossen der Epoche.

Als Heidemann erfolgreicher „Stern“-Reporter war, kaufte er eine Yacht, die „Carin II“, die einst Hermann Göring gehört hatte. Das Boot wurde Schauplatz für gesellige Treffen ehemaliger Nazis, mit Heidemann als fasziniertem Gastgeber. Auch Kujau war fasziniert von NS-Veteranen und Neonazis. Dazu gehörten Hitlers Fahrer Erich Kempka und Mitglieder der HIAG, der „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Soldaten der ehemaligen Waffen-SS“. Mit der Zeit scharte er eine Gruppe von Sammlern um sich, die sich in seinem Ausstellungsraum in Stuttgart trafen. Unter ihnen waren mehrere höhere Polizeibeamte und Fritz Stiefel, ein 53-jähriger Selfmademan aus Stuttgart.

Im Juni 1979 rief Kujau Stiefel an und teilte ihm mit, er habe von seiner letzten Reise nach Ostdeutschland etwas ganz Besonderes mitgebracht, nämlich ein handschriftliches Tagebuch Hitlers. Tags darauf wurde ihm in Kujaus Laden eine dünne Kladde gezeigt, mit der Aufschrift „Jahrbuch der Partei“. Der Text bezog sich auf die ersten sechs Monate des Jahres 1935.

Kujau sagt in seinem Geständnis, dass es zu diesem Zeitpunkt noch keine weiteren Tagebücher gab. Er habe bis dahin nur eines geschrieben. Das ist eine Lüge. Sowohl sein früherer Anwalt in Stuttgart, Peter Stöckicht, als auch sein „Gönner“, ein heute in Florida lebender, in Deutschland gebürtiger US-Bürger, Wolfgang Schulze, haben bestätigt, dass sie sie in der Hand gehabt haben. Vermutlich hatte Kujau bereits mindestens sieben Tagebücher für den Verkauf an Privatsammler fertig gestellt.

Besitzer von Görings Schiff „Carin II“ mit Edda Göring als Borddame und mit Trauzeugen wie den ehemaligen SS-Generälen Mohnke und Wolf, wollte nichts mehr als mit der Vergangenheit des III. Reichs Karriere zu machen. Die Chefredakteure des „Stern“, Koch, Schmidt und Gillhausen unterstützten dieses mehr oder weniger.

Dr. Manfred Fischer, der Vorstandschef des Verlages wollte zur Thematik „Stern“- Bücher herausbringen. Also Arbeitsauftrag für Heidemann und mit „Stern“-Arbeitseifer ging es ans Werk. Der Partner für dieses Vorhaben war schnell gefunden. Ein gewisser Fischer alias Kujau, mit einem Vorstrafenregister wegen Diebstahl, Waffenbesitz und Fälschung und, wie der Zufall so will, mit einem DDR-General als Bruder, konnte Tagebücher des Führers beschaffen.

Wer war Konrad Kujau? Am 27. Juni 1938 wurde er in Löbau / Sachsen geboren. Seine Kindheit und frühe Jugend verbrachte der spätere Meisterfälscher im Waisenhaus Ruppersdorf, da sich seine Familienmitglieder beim großen Bombenangriff auf Dresden aus den Augen verloren hatten und erst 1951 wieder zueinander fanden. In Löbau besuchte der junge Kujau Volks- und Oberschule und legte dort 1956 das Abitur ab. Bis zum Juli 1957 war er an der Kunstakademie Dresden eingeschrieben. Danach verließ er die DDR auf illegalem Wege und flüchtete in das damalige West-Berlin. Die Zentrale Studienvergabe schickte den Künstler 1958 nach Stuttgart zum Studium, wo er bis 1961 auch als ordentlich Studierender eingeschrieben war. 1963 drängte es Kujau ins pralle Leben, in die Welt vor den Toren der Universität: Er machte sich mit Hilfe seiner Lebensgefährtin Edith Lieblang auf dem Kunstsektor selbstständig. Schon während des Studiums ging er Kunstmalern und Restauratoren zur Hand. Auch während der Schulzeit zeigte sich Genie und Talent des Jungen: Schon früh veröffentlichte er Karikaturen und Zeichnungen für Zeitungen wie „Junge Welt“, „Sächsische Zeitung“, „Fröhlichsein und Singen“ und den „Eulenspiegel“. Richtig bekannt wurde Kujau jedoch zunächst nicht als Maler und Aktionskünstler, sondern als hervorragender Fälscher.

Was verbirgt sich hinter dem begabten Fälschergenie? Konrad Kujau – landesweit bekannt als Meisterfälscher - fühlt sich gut. Ein bisschen Robin Hood muss sein, ein bisschen Robin Hood ist er gern. Ein Schlitzohr mit Herz gewissermaßen. So ganz einfach ist er nicht zu nehmen, dieser Konrad Kujau. Zu viele haben schon versucht auf seine Kosten ihr Schäfchen ins Trockene zu bringen. Und ein bisschen eitel ist er ja auch - wenn da einer kommt, und ihn versucht nachzuahmen, fühlt er sich schon persönlich beleidigt.

Wie sehen sie aus, seine Erinnerungen? Nicht mal so sehr die an die Hitlertagebücher - das war sein Coup, das hat ihn aber auch einige Jahre seines Lebens gekostet, die er hinter Gittern verbringen musste. Vielmehr die an seine Jugend in Löbau. Damals, als er sich Postkarten von Ulbricht und Pieck besorgte, ihre Unterschriften fälschte und diese „Originale“ an Leichtgläubige verscherbelte.

„Hätten die nachgedacht, hätten sie wissen müssen, dass bei dieser Anzahl von Autogrammen was nicht stimmen konnte. Da hätten die in Berlin ja sagen müssen „He, heute schließen wir, lassen die Politik mal sein und unterschreiben dem Kujau ein paar Karten“, das war unmöglich“ sagte er einmal und lehnt sich zufrieden zurück. Oder wie er die Trottel ausgetrickst hat mit seinen Westfahrrädern: gebrauchte gekauft, Aufkleber in Berlin besorgt, aufgepeppt mit neuen Teilen aus Görlitzer Läden, verziert mit Originalaufklebern aus der Westzone und das ganze Stück für 300 Mark weitergegeben. Wer sich das leisten konnte – so seine Überlegung - der hatte es nicht anders verdient. Fälschen kann eine hohe Kunst sein. Das wissen Liebhaber des Schönen, Guten und Wahren spätestens seit 1983, als der kolossale Kopist Konrad Kujau Deutschland einen der folgenreichsten Fälscher-Skandal seiner an Klitterungen ohnedies reichen Geschichte bescherte.

Kurz vor seinem Tod wollte Kujau übrigens noch als Bürgermeister in seiner Heimatsatdt Löbau kandidieren. Gewählt hätten ihn sicherlich viele der braven Sachsen.

Zurück zu den Tagebüchern. Heidemann hatte diese also vom damaligen Militariahändler und Kunstmaler Konrad Kujau bekommen. Der hatte erzählt, dass DDR-Generäle die Kladden gegen harte West-Mark verkauften. Sie wären in Sachsen gefunden worden, wo die letzte „JU“ abgestürzt sei, die u. a. mit Hitlers Diener 1945 aus dem eingekesselten Berlin gestartet sei... Heidemann und führende „Stern“-Herren bissen an. Kujau machte - sich mit Spucke‚ Asche, Schleifpapier und seiner phänomenalen Fälscher-Begabung ans Werk: „Ich habe einfach drauf zu geschrieben.“ Das war der Illustrierten für eine lange Serie insgesamt 9,34 Millionen Mark wert. Oberflächliche Gutachten hatten die Kladden mit den seltsamen Initialen „FH“ (Führer Hitler) für echt befunden. So der britische Historiker Hugh Trevor-Roper,