Die zwölf Jünger Jesu

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Die zwölf Jünger Jesu
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Viktor Löwen

Die zwölf Jünger Jesu

Exegetische Untersuchungen zum Kreis der zwölf Jünger im Matthäusevangelium

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen


Zugleich von der Fakultät Humanwissenschaften und Theologie der Technischen Universität Dortmund angenommene Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Doctor Philosophiae (Dr. phil.).

© 2021 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

www.narr.de • info@narr.de

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-7720-8724-0 (Print)

ISBN 978-3-7720-0138-3 (ePub)

Inhalt

  Vorwort

 EINFÜHRUNG1 Thema, Ziel und Vorgehensweise2 Legitimation und Notwendigkeit3 Relevanz und Auswirkungen4 Aufbau

  ERSTER HAUPTTEIL (I): Forschungsüberblick und Verhältnisbestimmung Jünger – Zwölf (Jünger)

 1 Forschungsüberblick: Die zwölf Jünger Jesu in der Mt-Forschung ab 19211.1 Formkritik1.1.1 Rudolf Bultmann1.1.2 Kritische Anfragen an Bultmanns formkritische Deutung der zwölf Jünger1.2 Redaktionskritik1.2.1 „Klassische“ redaktionskritische Studien1.2.2 Drei „besondere“ Studien von Seán Freyne, Michael J. Wilkins und Joel Willitts1.2.3 Kritische Anfragen an die redaktionskritischen Deutungen der zwölf Jünger1.3 Narrative Kritik1.3.1 Narrativkritische Studien1.3.2 Kritische Anfragen an die narrativkritischen Deutungen der zwölf Jünger

 2 Verhältnisbestimmung „Jünger“ – „Zwölf (Jünger)“ und Schlussfolgerungen2.1 Paradigmatische Relationen2.2 Eine kurze Wortstudie zu μαθητής und μαθητεύω im MtEv2.2.1 Lexikalische Bedeutungen von μαθητής und μαθητεύω2.2.2 Bestimmung der Referenten von μαθητής und μαθητεύω im MtEv2.3 Ergebnis und Schlussfolgerungen2.4 Das Vorkommen der zwölf Jünger im MtEv und eine erste Stellenauswahl

  ZWEITER HAUPTTEIL (II): Auslegung

 1 Die zwölf Jünger Jesu in Mt 9,36-10,421.1 Einleitung zu Mt 9,36-10,421.1.1 Vorkommen des Zwölferkreises1.1.2 Passagenabgrenzung1.1.3 Literarischer Kontext1.1.4 Kurzer Aufbau1.2 Auslegung von Mt 9,36-10,421.2.1 Mt 9,36: Die zwölf Jünger und Jesu Mitleid mit der hilfsbedürftigen Schafherde1.2.2 Mt 9,37-38: Die zwölf Jünger und das Gebet um mehr Erntearbeiter1.2.3 Mt 10,1-5b: Die zwölf Jünger, ihre Berufung, Bevollmächtigung und Aussendung1.2.4 Mt 10,5c-8d: Die zwölf Jünger und ihr heilvolles Wirken1.2.5 Mt 10,8e-10b: Die zwölf Jünger und ihr „minimalistischer“ Umgang mit materiellen Dingen1.2.6 Mt 10,11-15: Die zwölf Jünger als Überbringer des Friedens und des Strafgerichts1.2.7 Mt 10,16-23: Die zwölf Jünger und ihre „kluge“ und „unverdorbene“ Reaktion auf drohende Verfolgungen1.2.8 Mt 10,24-25: Die zwölf Jünger, ihr Verhältnis zu Jesus und der Beelzebul-Vorwurf1.2.9 Mt 10,26-31: Die zwölf Jünger, ihre Furchtlosigkeit vor Menschen und ihre Furcht vor Gott1.2.10 Mt 10,32-33: Die zwölf Jünger und die folgenreiche Stellungnahme zu Jesus1.2.11 Mt 10,34-39: Die zwölf Jünger und die „zerstörerische“, bedingungslose Liebe zu Jesu1.2.12 Mt 10,40-42: Die zwölf Jünger und ihre „Identitäten“, als Grund für den Lohn, sie aufzunehmen1.2.13 Zusammenfassung der Auslegung von Mt 9,36-10,42

 2 Die zwölf Jünger Jesu in Mt 19,27-20,282.1 Einleitung zu Mt 19,27-20,282.1.1 Passagenabgrenzung2.1.2 Literarischer Kontext2.2 Auslegung von Mt 19,27-20,282.2.1 Mt 19,27-29: Die zwölf Jünger und die eschatologischen Throne als Lohn ihrer radikalen Nachfolge2.2.2 Mt 19,30-20,16: Die zwölf Jünger, die „Ersten“ und „Letzten“ sowie die Arbeiter im Weinberg2.2.3 Mt 20,17-19: Die zwölf Jünger und ihr Wissen um Jesu bevorstehendes Sterben und Auferstehen2.2.4 Mt 20,20-28: Die zwölf Jünger und ihr Streit um Macht und Ehre2.2.5 Zusammenfassung der Auslegung von Mt 19,27-20,28.

 3 Die zwölf Jünger Jesu in Mt 26,20-35.563.1 Einleitung zu Mt 26,20-35.563.1.1 Vorkommen des Zwölferkreises3.1.2 Personenkonstellation3.1.3 Passagenabgrenzung3.1.4 Literarischer Kontext3.1.5 Kurzer Aufbau3.1.6 Vorgehensweise3.2 Charakterisierungen des Mahls in Mt 26,20-303.2.1 Tischgemeinschaft: Die zwölf Jünger und ihre Gemeinschaft mit dem Messias3.2.2 Abschiedsmahl: Die zwölf Jünger und Jesu „Vermächtnis“3.2.3 Passahmahl: Die zwölf Jünger und ihre Feier der Befreiung Israels aus der Gefangenschaft3.3 Auslegung von Mt 26,20-35.563.3.1 Mt 26,20-25: Die zwölf Jünger und ihre Bestürzung über den Verräter3.3.2 Mt 26,26-30: Die zwölf Jünger, der neue Bund und die Vergebung der Sünden3.3.3 Mt 26,31-35.56c-d: Die zwölf Jünger und der angekündigte Bruch mit Jesus3.3.4 Zusammenfassung der Auslegung von Mt 26,20-35.56

 4 Die elf Jünger Jesu in Mt 28,16-204.1 Einleitung zu Mt 28,16-204.1.1 Personenkonstellation4.1.2 Literarischer Kontext4.1.3 Aufbau4.1.4 Gattung4.2 Auslegung von Mt 28,16-204.2.1 Mt 28,16: Die elf Jünger und ihr Gang nach Galiläa4.2.2 Mt 28,17: Die elf Jünger, ihre Anbetung und Zweifel4.2.3 Mt 28,18: Die elf Jünger und ihre Vereinigung mit dem Herrscher über Himmel und Erde4.2.4 Mt 28,19-20: Die elf Jünger, ihr Missionsauftrag und Jesu Mit-Sein4.2.5 Zusammenfassung der Auslegung von Mt 28,16-20

  SCHLUSS: Eine kurze Zusammenfassung

 LITERATURVERZEICHNIS1 Textausgaben2 Hilfsmittel3 Kommentare4 Monographien, Aufsätze, Artikel, Sammelbände

 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS1 Allgemeine2 Bibelübersetzungen3 Bibelstellen4 Lexika, Serien, Zeitschriften etc.

Vorwort

Bei diesem Buch handelt es sich um die leicht überarbeitete Version meiner Dissertation, die ich im Sommer 2018 an der Fakultät für Humanwissenschaften und Theologie der TU Dortmund eingereicht und im Januar 2019 mündlich verteidigt habe. Es ist das Ergebnis eines langen Weges. Am Anfang beschäftigte ich mich mit Aussagen des Matthäusevangeliums über die Jünger Jesu, die sich aus soziologischer Perspektive mit „Macht- und Machtlosigkeit“ beschreiben lassen. Später verschob ich den thematischen Fokus auf das Konzept Zwölferkreis, also die zwölf Jünger Jesu als eine fest umrissene Personengruppe, und entschied mich für eine textlinguistisch ausgerichtete Exegese.

Mein großer Dank geht an meinen Doktorvater Prof. Dr. Rainer Riesner, der mich in der Entstehung dieser Arbeit über die Jahre hinweg zuverlässig, ermutigend und fachlich anregend begleitet hat. Für die Übernahme des Zweitgutachtens möchte ich Prof. Dr. Karl-Heinrich Ostmeyer danken. Neben Prof. Dr. Rainer Riesner und Prof. Dr. Karl-Heinrich Ostmeyer engagierte sich auch Prof. Dr. Michael Basse als Mitglied der Prüfungskommission. Dankbar bin ich auch für die Rückmeldungen, die ich bei mehreren Doktorandenkolloquien erhalten habe, erstens des Instituts für Evangelische Theologie an der TU Dortmund und zweitens des Arbeitskreises für evangelikale Theologie (AfeT). Darüber hinaus sind mir Gespräche mit Jonas Kissel, Dr. Emmanuel Rehfeld und Matthias Ruf in positiver Erinnerung, weil sie zur Schärfung meiner Fragestellung und Methodik beigetragen haben. Sehr gerne denke ich auch an die Zeit bei Seda und Thomas Symank, bei denen ich etliche produktive Wochenenden verbracht habe. Ich bin froh, seit 2015 am Theologischen Seminar Rheinland als Dozent für Neues Testament zu arbeiten, wo ich den Freiraum erhalten habe, zeitweise an der Dissertation zu arbeiten. Meine dortige Kollegin Kristina Grupe hat viele Stunden ihrer Freizeit dafür geopfert, das Manuskript für die Veröffentlichung vorzubereiten. Dass meine Dissertation in der Reihe Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter (TANZ) erscheinen kann, verdanke ich sowohl der freundlichen Aufnahme durch die Herausgeber der Reihe, insbesondere Prof. Dr. Günter Röhser, als auch der professionellen Betreuung durch den Narr Francke Attempto Verlag, namentlich Dr. Valeska Lembke und Corina Popp im Lektorat sowie Barbara Landwehr in der Herstellung. Für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses danke ich dem Vorstand des Arbeitskreises für evangelikale Theologie (AfeT). Zu guter Letzt möchte ich sagen, dass ich meiner Frau Christina unendlich dankbar bin für ihre Unterstützung bei diesem langjährigen und kräftezehrenden Projekt.

 

Ein Hauptgrund für meine intensive Beschäftigung mit den zwölf Jüngern Jesu liegt in meinem Interesse am Thema Kirche. Ich erinnere mich, bereits als Jugendlicher über die Rolle der Kirche in der Welt, die ihr die Autoren des Neuen Testaments zuweisen, fasziniert, irritiert und erschrocken gewesen zu sein. Dass Jesus seine Jünger zurücklässt (vgl. Joh 14-17), dass die Kirche als „Leib“ Christi gilt (vgl. 1Kor), erscheint mir einerseits als eine ehrenvolle Auszeichnung und andererseits als eine (zu) große Verantwortung, auch angesichts der Licht- und Schattenseiten der Kirche im Allgemeinen und der konkreten Ortsgemeinden im Speziellen. Ich empfinde es als ein großes Geschenk, Eltern zu haben, die diese beiden Seiten auf vorbildhafte Weise zusammenhalten. Ihre anhaltende und Krisen überdauernde Wertschätzung der ganzen Gemeinde und einzelner Menschen betrachte ich als eine Frucht des Geistes. Diese Ambivalenz der heilig-unheiligen Kirche ist übrigens auch im Matthäusevangelium bei Jesu Zwölferkreis erkennbar. Die zwölf Jünger erscheinen sowohl positiv als auch negativ, sie sind bevollmächtigt, aber unvollkommen, manches ist „wiederholbar“, anderes nicht. In gewisser Weise hat sich bei mir in den letzten Jahren wiederholt, was der Auferstandene den elf Jüngern zuallerletzt zusagt: „Ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende des Zeitalters!“ (Mt 28,20)

EINFÜHRUNG
1 Thema, Ziel und Vorgehensweise

Diese Studie untersucht die Bedeutung der zwölf Jünger Jesu im Matthäusevangelium. Die textuelle Grundlage dieser Untersuchung bildet das MtEv als Gesamt- und Endtext, wie er uns in der 28. Auflage von Nestle-Aland vorliegt. Diese Konzentration auf das MtEv als Gesamt- und Endtext bedeutet, dass sich diese Untersuchung einerseits nicht auf einige ausgewählte Textstellen innerhalb des MtEv beschränkt, und andererseits nicht auf Textcorpora außerhalb des MtEv ausdehnt. Der inhaltliche Fokus richtet sich auf den sogenannten „Zwölferkreis“, d.h. auf die zwölf Jünger Jesu als eine fest umrissene Personengruppe.1 Diese Fokussierung auf den Zwölferkreis als Gesamtgröße impliziert, dass weder die zwölf Jünger als Einzelpersonen noch Aspekte des allgemeineren Themas „Jüngerschaft“, die über den Zwölferkreis hinausgehen, im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Demzufolge sollen alle eindeutig vom Zwölferkreis handelnden Textstellen des MtEv identifiziert und daraufhin befragt werden, was sie direkt oder indirekt über den Zwölferkreis aussagen, d.h. was er inhaltlich bedeute. Das Ziel ist also eine möglichst vollständige Beschreibung des Zwölferkreises auf der Grundlage der in den Fokus genommenen Textstellen. Die Antwort der jeweiligen Textstelle auf die Frage nach der Bedeutung der zwölf Jünger wird durch die Exegese erarbeitet. Die Exegese ist textlinguistisch ausgerichtet. Dabei übernimmt die Analyse von Syntax und Semantik eine entscheidende Rolle. Außerdem führt die Konzentration auf das MtEv als Gesamt- und Endtext dazu, bei der Exegese jeder einzelnen Textstelle den textuellen Mikro- und Makrokontext zu berücksichtigen.

2 Legitimation und Notwendigkeit

Die Legitimation und Notwendigkeit dieser Studie ergibt sich aus der schlichten Tatsache, dass der Zwölferkreis ein Bestandteil des MtEv ist. Nichtsdestoweniger wurde der Zwölferkreis für sich genommen in den letzten Jahrzehnten der Mt-Forschung entweder gar nicht oder nicht mit der erforderlichen Gründlichkeit untersucht (vgl. dazu I,1). Die vorliegende Studie soll diese Lücke schließen. Die letzte große Forschungsarbeit, die dieses Thema im Rahmen einer etwas breiter angelegten synoptischen Studie gründlich behandelt hatte, hat 1968 Seán Freyne vorgelegt.1 Und zuletzt hat sich im Jahr 2011 Joel Willitts in einem kurzen Artikel mit der theologischen Bedeutung der zwölf Jünger im MtEv befasst.2 Abgesehen von diesen beiden Arbeiten von Freyne und Willitts (vgl. I,1.2.2), die sich auf die theologische Deutung der Zwölf im MtEv konzentrieren, gibt es durchaus weitere ähnliche Arbeiten, die aber genau genommen nur benachbarte Themen behandeln. So gibt es zwar mehrere Forschungsarbeiten zu den historischen zwölf Jesusjüngern, aber deren thematischer Fokus liegt auf der Frage nach der Historizität des Zwölferkreises.3 Mit diesem Fokus auf der Historizität hängt zusammen, dass diese Arbeiten die besondere Rolle der historischen Zwölf im verkündigten Reich Gottes des historischen Jesus auf der Basis aller vier Evangelien (und teilweise der Apostelgeschichte) bestimmen. Allerdings wird dabei dem MtEv und seiner eigenen Darstellung der Zwölf wenig Platz eingeräumt und zudem seiner Bedeutsamkeit für die historische Frage wenig Gewicht beigemessen. Neben den historisch orientierten Studien gibt es auch exegetisch-theologische Studien zu einzelnen Passagen des MtEv, in denen die zwölf Jesusjünger eine wichtige Rolle spielen.4 Aber es fehlt bei diesen Studien entweder der jeweilige Bezug zu anderen Passagen des MtEv, wo die zwölf Jesusjünger ebenfalls eine wichtige Rolle spielen, oder die hergestellten Bezüge werden nicht ausreichend ausgewertet. Schließlich gibt es diverse Studien zu verschiedenen Einzelfiguren und Figurengruppen im MtEv, abgesehen von solchen zu Jesus: zum Volk, zu den Frauen, zu Jesu Gegnern, zu Jesu Jüngern, zu Petrus, usw.5 Jedoch gibt es m.W. bislang keine Einzelstudie mit dem spezifischen thematischen Schwerpunkt auf dem Zwölferkreis. Man könnte nun einwenden, dass dieser Eindruck täusche: die Lücke sei nur konstruiert und existiere in Wirklichkeit gar nicht, da Mt-Forscher die „Zwölf“ im Zusammenhang mit dem Thema „Jünger im MtEv“ behandelt hätten. Dieser Einwand ist nur teilweise zutreffend. Das Thema „Jünger im MtEv“ wurde tatsächlich in diversen Veröffentlichungen zu Genüge bearbeitet (vgl. I,1). Allerdings gingen die meisten Mt-Forscher dabei – ob explizit oder implizit – von der These aus, dass der Evangelist Matthäus6 die Gruppen bzw. Gruppenbezeichnungen „die Jünger“ (οἱ μαθηταί) und „die zwölf (Jünger)“ (οἱ δώδεκα [μαθηταί]) grundsätzlich als identische Größen betrachte. D.h.: es gebe bei Mt keine inhaltlich-sachliche Differenz zwischen beiden Größen. Wenn man aber auf eine Differenzierung zwischen beiden Größen verzichtet und zudem allein und allgemein die Größe „Jüngerkreis“ untersucht, dann wird offenbar die andere Größe „Zwölferkreis“ als subsumierend mit abgehandelt verstanden.7 Folglich gebe es an dieser Stelle keine Forschungslücke. Der Ansatzpunkt dieser Studie ist eine (kritische) Überprüfung einer solchen üblichen – und häufig stillschweigend vorausgesetzten – Subsumierung des Themas „Zwölf (Jünger) im MtEv“ unter dem Thema „Jünger im MtEv“. Demgegenüber resultiert die Argumentation unter I,2 in der These, dass Mt die „Zwölf“ und die „Jünger“ durchaus unterscheide. Und obwohl Mt auch die Zwölf als „Jünger“ bezeichnet, ist es legitim und notwendig, in erster Linie diejenigen Textstellen auszulegen, die eindeutig auf die „Zwölf (Jünger)“ verweisen (vgl. I,2.4). Kurz: Die Zwölf sollten nicht nur als eine eigenständige Größe des MtEv wahrgenommen, sondern auch in einer eigenen Studie untersucht werden.

3 Relevanz und Auswirkungen

Als eines von vielen inhaltlichen Elementen des MtEv sind die zwölf Jünger eingebunden in ein komplexes Beziehungsgeflecht. Sie stehen in mehr oder weniger direkter Beziehung zu anderen Personen (-gruppen): zu Jesus, zum Volk Israel, zu den Anführern des Volkes Israel, usw.1 Außerdem sind mit den zwölf Jüngern viele (theologische) Themen verbunden. Es seien beispielhaft drei theologische Topoi herausgegriffen. Erstens: Welche Rolle kommt dem Zwölferkreis zu im gegenwärtigen und zukünftigen „Himmelreich“, dessen Anbruch Jesus proklamiert (Eschatologie)? Zweitens: In welchem Verhältnis stehen die Zwölf zu Jesu Person und seinem Handeln und wie wirkt sich das Zwölfer-Verständnis auf das Jesusbild aus (Christologie)? Drittens: Haben die Zwölf eine besondere Funktion für die Gemeinde Jesu? Gehören sie (nur) zu einer historisch vergangenen Zeitepoche oder sind sie (auch) für die nachösterliche Gemeinde von Bedeutung (Ekklesiologie)? Aufgrund dieses personellen und thematischen Beziehungsgeflechts hat eine bestimmte Interpretation des Zwölferkreises direkte Auswirkungen auf das Verständnis der anderen Personen und Themen. Die konkreten inhaltlichen Implikationen können in dieser Studie jedoch höchstens angedeutet, aber nicht weiter untersucht werden. Nichtsdestoweniger bietet diese Studie vielfältige Ansatzpunkte für weitere Arbeiten.

4 Aufbau

Auf diese Einführung folgt der erste Hauptteil (I). Hier wird im ersten Kapitel (I,1) ein Überblick über die ntl Forschung der letzten etwa 100 Jahre vermittelt. Dabei werden die für das Thema „Die zwölf Jünger Jesu im MtEv“ relevanten Mt-Forscher, ihre form- (I,1.1), redaktions- (I,1.2) oder narrativkritischen (I,1.3) Methoden sowie die daraus folgenden inhaltlichen Positionen jeweils zuerst ausführlich vorgestellt und danach kritisch bewertet. Das zweite Kapitel des ersten Hauptteils (I,2) baut auf dieser kritischen Bewertung auf: hier wird eine alternative Bestimmung des Verhältnisses zwischen „Jünger“ und „Zwölf (Jünger)“ im MtEv präsentiert. Diese Verhältnisbestimmung wiederum ermöglicht die Identifizierung derjenigen Verse des MtEv, in denen der Zwölferkreis thematisiert wird. Die themenrelevanten Verse wiederum bilden den Ausgangspunkt für die Auslegung im zweiten Hauptteil.

Im zweiten Hauptteil (II) erfolgt in vier Kapiteln eine ausführliche Auslegung der vier Textpassagen Mt 9,36-10,42 (II,1); 19,27-20,28 (II,2); 26,20-35.56 (II,3) und 28,16-20 (II,4). Jedes dieser vier Kapitel besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil wird die jeweilige Textpassage eingeleitet. Dazu gehören meistens: Vorkommen des Zwölferkreises, Personenkonstellation, Abgrenzung der Textpassage, Literarischer Kontext sowie Aufbau. Im zweiten Teil des jeweiligen Kapitels werden die Textabschnitte, die beim Aufbau der Passage festgestellt worden sind, nacheinander ausgelegt. Die Auslegung des jeweiligen Textabschnitts enthält meistens folgende Elemente (jedoch nicht immer einheitlich): Rohübersetzung, Literarischer Kontext, Aufbau, Kommentar und Analyse, Zusammenfassung der Auslegung. Das dritte Kapitel zu Mt 26,20-35.56 hat abgesehen von diesen beiden Teilen einen dritten Teil, in dem der Charakter des Mahls in 26,20-30 besprochen wird (II,3.2).

In allen Kapiteln liegt der Schwerpunkt auf der Kommentierung bzw. Analyse des Textabschnitts. Diese orientiert sich meistens an der Versabfolge innerhalb des Textabschnitts. Die Analyse richtet sich grundsätzlich am Thema Zwölferkreis aus. D.h., dass sämtliche Aspekte des mt Textes berücksichtigt werden, die eine inhaltliche Aussage über den „Gegenstand“ Zwölferkreis treffen (könnten). In diesem Zuge werden häufig zum Versinhalt passende Fragen formuliert und an den Text gestellt. Nach der jeweiligen Antwort wird meistens (da von der Fragestellung abhängig) mithilfe der lexikalisch-grammatikalischen und semantisch-kommunikativen Analyse gesucht.1 Dies geschieht grundsätzlich unter Berücksichtigung des textuellen Mikro- und Makrokontextes des MtEv. Die Ausführungen haben einen argumentativen Stil: es werden Forschungspositionen und Auslegungsoptionen vorgestellt und diskutiert, und schließlich wird – wenn notwendig und möglich – einer bestimmten Auslegung der Vorzug gegeben. Die eigenständige Analyse sowie der große Umfang der auszulegenden Textstellen nötigt dazu, Schwerpunkte zu setzen. So ist z.B. Mt 28,16-20 aus theologischen und forschungsgeschichtlichen Gründen verhältnismäßig ausführlich.

Im Schlussteil werden einige wichtige Ergebnisse dieser Studie kurz zusammengefasst. Es schließen sich ein Literaturverzeichnis und ein Abkürzungsverzeichnis an. Besonderer Erwähnung bedarf der Anhang mit 16 Exkursen, der online zu finden ist, unter www.meta.narr.de/9783772087240/Anhang.pdf.