Read the book: «tali dignus amico», page 10
a) cena
Kritik an schlechten Gastgebern und Gästen bei Gastmählern ist ein „stock theme of satire“ (Howell 1980, 151), das man schon bei Ennius und Horaz findet. Einladungen zu und Teilnahme an einer cena stellen trotzdem einen sehr wichtigen Punkt besonders im patronus-cliens-Verhältnis dar, so dass der Leser oft an der Kritik an geizigen bzw. ungerechten Gastgebern die Rolle eines Patrons erkennen kann, sowie angesichts von Unrecht leidenden bzw. sich parasitär verhaltenden Eingeladenen wiederholt die Rolle der Klienten.
Bei Martial kommt die cena-Thematik am häufigsten in Buch 1 und 3 vor. Sie dient wohl vor allem dazu, geizige Patrone, die ihre Gäste schlecht behandeln, auf eine skoptische Weise zu präsentieren. Dabei spricht das Ich aus der Sicht des cliens, gelegentlich aus der des patronus. Häufige Situationen sind folgende: 1) Die Monophagie, d.h. der patronus isst allein, während die Gäste nur zusehen können und dabei kein Essen bekommen oder gar nicht anwesend sind (z.B. 1,20; 1,43; 7,59). 2) Das Servieren von ungleichem Essen bzw. ungleichem Wein für die Gäste (z.B. 1,18; 3,49; 3,60; 4,68). 3) Hintergedanken vonseiten der Gastgeber, was sich a) einerseits im Motiv der langweiligen recitationes niederschlägt (z.B. Ligurinus-Gruppe: 3,44; 3,45; 3,50); b) andererseits, wenn sich der Patron einen sozialen Vorteil bzw. körperlichen Lustgewinn von seinen Gästen erhofft (z.B. 6,48; 9,63), denn zweifelsohne dient die cena auch dazu, wie offenbar ebenso die sportula (dazu s.u.), dass sich der Patron eine Gegenleistung vonseiten der Klienten sichert (s.u.). 4) Die Verbreitung der Parasiten-Typen (z.B. Selius-Gruppe: 2,14; 2,27; 2,69), die als praktische Folge dieser Problematik dargestellt wird – inwieweit sich der Typ des cliens und der des Parasiten voneinander unterscheiden, ist allerdings zu beachten, denn auch wenn sich beide Typen überlappen, sind sie auf keinen Fall gleichzusetzen.1 Schließlich ist festzustellen, wie 5) der Sprecher als Gastgeber je nach Eingeladenen-Typ den Gast charakterisiert: als beinahe hemmungslosen Ausbeuter oder als aufrichtigen Freund, je nachdem, wie dieser die Bescheidenheit des Gastgebers würdigt (etwa die Epigrammreihe im Buch 5: 5,44; 5,47; 5,50; 5,78, sowie 10,48 und 11,52).
Die cena stellt eine literarisch feststehende Szenerie2 dar, wobei die verschiedenen daran teilnehmenden Figuren sich besonders profilieren können. Gastgeber zeigen z.B. öfter ihre Machtposition gegenüber den Gästen. Sie können sie aber auch als Gleichgestellte behandeln. Gäste können sich ihrerseits entweder schamlos erniedrigen lassen, um Profit daraus zu ziehen, oder sich widerwillig zeigen – sie können aber auch dem Gastgeber gegenüber freundlich und ebenbürtig auftreten. Häufig darf der Leser in den Gastgebern die Figur des patronus sehen, der seine clientes zu sich einlädt, um sein soziales Image und Prestige zu behaupten, denn die cena stellte nicht nur eine übliche Praxis dar, sondern war in der Kaiserzeit neben der salutatio der wichtigste Teil der patronus-cliens-Verpflichtungen.3
Gäste dürfen dennoch nur unter Vorbehalt mit den clientes gleichgesetzt werden, da es auch anderen Figuren gelang, sich eine Einladung zu erschleichen, die damit beinahe als Komödienparasiten erscheinen (dazu s.o.). Die Grenze zwischen clientes und Parasiten ist nicht immer klar: Bei Martial kommen verschiedene Figuren vor, die parasitäre Elemente wie offenes Schmeicheln, um eine Einladung zum Essen zu bekommen, zeigen, ohne in irgendeinem Klientelverhältnis zu stehen; es gibt aber auch diejenigen, die ausdrücklich Klientel-Pflichten erledigen. Schließlich gibt es aber auch diejenigen, die sich nicht eindeutig verhalten und Elemente von beiden Typen teilen. Eine klare Abgrenzung ist daher häufig nicht nur recht schwierig, sondern führt in den meisten Fällen zu enttäuschenden Ergebnissen. Daher werden hier diejenigen Epigramme Martials behandelt, die repräsentativ das Verhältnis zwischen Gastgeber und Gast bzw. Gästen bei einer cena thematisieren. Öfter ist es der Sprecher selbst, der ausdrücklich auf das patronus-cliens- bzw. das Parasit-Wirt- oder schließlich das amicus-Verhältnis hindeutet. In den meisten Fällen ist es allerdings die Ambiguität bzw. die Unerkennbarkeit, die der Problematik einen besonderen Charakter verleiht. Denn sie ermöglicht einen breiteren Gesamtüberblick.
Bemerkenswert ist dabei die Position des Sprechers: Während er sich öfter unter den Gästen selber als Gast oder als externer Beobachter inszeniert, stellt er sich jedoch gelegentlich auch als Gastgeber dar, so dass verschiedene Aspekte des patronus-cliens-Verhältnisses immer anders betrachtet werden.
i) Monophagie
Die monophagia1 stellt seit der griechischen Komödie ein besonderes Motiv der Skoptik dar: Ein wohlhabender, doch geiziger Mann, der μονοφάγος, behält eine kostbare Mahlzeit für sich allein und wird daher seines schäbigen Verhaltens wegen verspottet. In der römischen Satire wird sie insbesondere bei Martial und bei Juvenal thematisiert.2 Bei Martial findet der Leser v.a. zwei Figuren, die den Monophagen-Typus abbilden: Caecilianus und Mancinus. Der Sprecher zeigt sich ihnen gegenüber humorvoll-kritisch. Kritisch, weil das Negative an ihnen dadurch betont wird, dass sie solches Handeln gewollt zur Erniedrigung ausnutzen (sie laden gerne Gäste zur cena ein, um sich bloß zu inszenieren: Die cena wird zu einem Spektakel, bei dem die Gäste nur zusehen dürfen, wie der Gastgeber genussvoll isst bzw. Wein trinkt, während sie hungern); humorvoll, weil der Sprecher stets durch die für das Epigramm typische Pointe die Situation darstellt.
Wenn Martials Sprecher eine empörte Beschwerde gegen Caecilianus3 erhebt (1,20), der eine Gästeschar zum Abendessen einlädt (turba… vocata), nur um ihr zu zeigen, was für kostbare Delikatessen er allein (solus) essen will, wird es ersichtlich, dass es sich hierbei um einen avarus patronus handelt, der seine clientes erniedrigt. Im vorherigen Epigramm (1,19) hat der Sprecher über die hustende Aelia gespottet, die dabei Zähne verliert. Sie wirkt hilflos, da sie nichts dafür kann, was mit ihr passiert. Dagegen ist sich Caecilianus seines Fehlverhaltens bewusst, so dass seine Darstellung lebhaft als Kontrast zu Aelia wirkt (1,20):Martial1,20
Dic mihi, quis furor est? turba spectante vocata
solus boletos, Caeciliane, voras.
quid dignum tanto tibi ventre gulaque precabor?
boletum qualem Claudius edit, edas.
Der empörte Ton macht deutlich, dass sich der Sprecher mit den eingeladenen Gästen identifiziert; die für das Epigramm typische Pointe zeigt ihrerseits seine ironische Haltung, da der scheinbar positive Wunsch ein Todesurteil ist. Die namenlose Menge (turba, 1) ist bei Martial, wie noch gezeigt wird, eine häufige Darstellungsweise für die schlecht behandelten Eingeladenen und wird auch in anderen Epigrammen eindeutig für die clientes eingesetzt. Das demütigende Verhalten des Caecilianus als Gastgeber/patronus wird offen furor genannt: Er frisst (voras, 2) köstliche Edelpilze und lässt dabei seine Gäste bloß zusehen (turba spectante vocata, 1: metrisch wird das Pathos betont)4 – er isst also in der Tat allein (solus, 2). Das einzige dignum, was daher der Sprecher Caecilianus wünschen könne, sei, dass dieser an den „kaiserlichen“ Pilzen sterbe, indem er einen Giftpilz5 isst. Finale Todeswünsche sind übrigens ein zu erwartender Abschluss für solche Situationen.6
An dieses Epigramm knüpfen andere Epigramme an, die eine ähnliche Situation vorstellen.7 Im selben Buch findet der Leser nämlich noch einen weiteren geizigen und bösen Gastgeber, Mancinus, und eine hilflose, erniedrigte Schar von Eingeladenen vor (1,43):Martial1,43
Bis tibi triceni fuimus, Mancine, vocati | ||
et positum est nobis nil here praeter aprum, | ||
non quae de tardis servantur vitibus uvae | ||
dulcibus aut certant quae melimela favis, | ||
non pira quae longa pendent religata genesta | 5 | |
aut imitata brevis Punica grana rosas, | ||
rustica lactantis nec misit Sassina metas | ||
nec de Picenis venit oliva cadis: | ||
nudus aper, sed et hic minimus qualisque necari | ||
a non armato pumilione potest. | 10 | |
et nihil inde datum est; tantum spectavimus omnes: | ||
ponere aprum nobis sic et harena solet. | ||
ponatur tibi nullus aper post talia facta, | ||
sed tu ponaris cui Charidemus apro. |
Ausführlicher als im vorherigen Epigramm8 gibt der Sprecher hier an, wie groß die turba vocata ist: 60 Eingeladene (wobei solche Zahlen öfter eine unquantifizierbare Menge andeuten9), zu denen sich der Sprecher ausdrücklich selbst zählt (fuimus; spectavimus). Anders als Caecilianus, der allein die kostbaren Edelpilze isst, wird Mancinus hier charakterisiert, indem er den Gästen bloß ein ungarniertes, noch dazu winziges Wildschwein (nudus aper, sed et hic minimus, 9) nicht einmal servierte, sondern nur zur Schau stellte (11) – und sonst nichts. Die Eingeladenen können nichts tun als ihm bloß beim Speisen zuzusehen (tantum spectavimus omnes, 11) – dabei wirken sie hilflos10. Der Witz basiert auf den durch Präteritio parodistisch präsentierten Elementen der cena, die gefehlt haben (3‑8; dazu vgl. Citroni 1975, 140) und der Beschreibung des lächerlichen Wildschweines. Die Pointe (13f.) deutet dann, wie in 1,20,11 auf einen Todeswunsch für den avarus patronus hin: Durch ein semantisches Spiel mit dem Verb ponere-poni12 betont der Sprecher, Mancinus solle nie wieder ein Wildschwein zum Essen bekommen, vielmehr solle er selbst einem Wildschwein (in der Arena) vorgeworfen werden, wie es mit Charidemus geschehen sei.13 Dass der Sprecher Mancinus’ Verhalten negativ charakterisiert, ist evident: Er bezieht sich auf das präsentierte Geschehen mit dem zwar wohl umgangssprachlichen,14 doch prägnanten Demonstrativen talia facta (13). Am parodistischen, empörten Ton ersieht der Leser, wie die eingeladene turba nur passiv ihre Erniedrigung durch den patronus feststellen kann.
Eine weitere Variation dieses Themas findet man im Buch 7, wo Caecilianus wiederum bei seiner Monophagie dargestellt wird (7,59):Martial7,59
Non cenat sine apro noster, Tite, Caecilianus.
bellum convivam Caecilianus habet!
Anders als in den vorherigen Epigrammen wurden hier keine Gäste eingeladen. Einziger conviva, was schon bei Horaz als Stichwort für das patronus-cliens-Verhältnis dient, ist bei Caecilianus das Hauptgericht selbst, nämlich das Wildschwein.15 Sarkastisch präsentiert der Sprecher mit diesem semantischen Spiel das Alleinessen des Gastgebers als Pointe, was die tatsächliche Abwesenheit von Gästen überhaupt betont.16 Caecilianus ist dem Sprecher nah (noster Caecilianus, 1);17 er verdient sich aber dessen Ironie.
Während sich der Sprecher in 1,20 und 1,43 als Teil der Menge der Eingeladenen präsentiert und dadurch seinen Ärger über den Gastgeber zwar ironisch, aber trotzdem offen und direkt mit einem Todeswunsch zum Ausdruck bringt, bleibt er in 7,59 ein abwesender Betrachter, der mit einem Dritten die Unverschämtheit des patronus ironisiert.18
ii) Ungleiche Bewirtung
Häufig werden auch Patrone dargestellt, die zwar keine Monophagie im strikten Sinne betreiben, doch ihre Gäste anders erniedrigen, indem sie ihren eingeladenen Klienten schlechteren Wein bzw. schlechteres Essen anbieten. Dies ist vor allem in Buch 3 vorzufinden. Das mag auf tatsächliche Phänomene zurückzuführen sein, denn es ist thematisch nicht nur in der Dichtung präsent (neben den folgenden Epigrammen Martials vor allem in Juvenals 1. und 5. Satire, dazu s.u.), sondern auch in anderen Quellen belegt, wie z.B. bei beiden Plinii,1 stellt aber trotzdem einen literarischen Topos dar. Wichtig für diese Arbeit ist vielmehr, wie dieses Motiv im Zusammenhang mit dem patronus-cliens-Verhältnis und dessen Problematisierung in der satirischen Dichtung (d.h. bei Martial und Juvenal) ausgestaltet wird. Bei Martial präsentiert sich der Sprecher, wie in der vorigen Epigrammgruppe, aus der Perspektive des „Ich“ bzw. des „Wir“ und identifiziert sich damit mit den schlecht bedienten Gästen/Klienten.2
In philosophisch-mahnendem Tonfall stellt der Sprecher in 2,43 den Kontrast zwischen Wort und Tat unter patroni und clientes heraus. Der Adressat Candidus prahlt mit amicitia/φιλία-Begriffen gegenüber dem Sprecher, indem er die griechische Redensart „Freunde teilen sich alles“ (zum Spruch s.u. amicitia-Abschnitt) im Mund führt. Dies entpuppt sich als Lüge, denn der patronus, der auch auch in der Position des Gastgebers dargestellt wird, betont immer wieder in erniedrigender Weise den Unterschied zu seinem Gast/Klienten. Das Epigramm wird noch unten im Rahmen der amicitia-Aspekte behandelt; wichtig für diesen Kapitelabschnitt ist allerdings der Bezug zur cena und zum ungleichem Essen zwischen amici bzw. sodales – und damit zwischen Gast/cliens und Gastgeber/patronus (2,43, hier Verse 1‑2; 11‑12 und 15‑16):Martial2,43
Κοινὰ φίλων haec sunt, haec sunt tua, Candide, κοινά. | ||
quae tu magnilocus nocte dieque sonas? | 2 | |
(…) | ||
inmodici tibi flava tegunt chrysendeta mulli: | 11 | |
concolor in nostra, cammare, lance rubes. | ||
(…) | ||
ex opibus tantis veteri fidoque sodali | 15 | |
das nihil et dicis, Candide, κοινὰ φίλων? |
In Vers 11 beschreibt der Sprecher das auf aurea vasa servierte kostbare Gericht des Candidus:3 Eine riesige Meerbarbe auf vergoldetem Geschirr ([vasa] chrysendeta). Als Kontrast wird dann das Gericht des Sprechers vorgestellt, und zwar episch-parodistisch durch eine Apostrophe an die Speise: eine billige und rötliche Garnele auf einem ebenso billigen und rötlichen Tonteller (12). Für den Sprecher stellt dies eines von mehreren Elementen dar, die als opes tantae (15) betrachtet werden, und die das patronus-cliens-Verhältnis andeuten. Der patronus handelt widersprüchlich, indem er seinen Klienten an solch großen opes nicht teilhaben lässt. Die Bedeutungslosigkeit dieses vorgeblichen Freundschaftsbunds wird mit einer empörten Frage aufgedeckt: das nihil et dicis, Candide, κοινὰ φίλων?4
Mitten im dritten Epigrammbuch findet der Leser folgendes Distichon-Paar (3,48; 3,49). Im ersten wird der reiche Olus vorgestellt, der sich zum Zeitvertreib eine cella pauperis bauen ließ.5 Nach dem unerwarteten Verlust seines Vermögens blieb ihm nur noch die kleine cella übrig, die nun tatsächlich einem pauper gehört. Der nachteilige Kontrast zwischen Arm und Reich wird dann im zweiten Epigramm über das Motiv des Ausschenkens von schlechterem Wein variiert. Doch hier dient es als Erniedrigungsszenario vonseiten des reichen Gastgebers. Ein namenloser Wirt bedient seinen armen Gast schlecht, indem er ihm einen minderen Wein serviert (3,49):Martial3,49
Veientana mihi misces, ubi Massica potas:
olfacere haec malo pocula quam bibere.
Während der patronus für sich guten Wein einschenken lässt, bekommt der Sprecher einen von niedriger Qualität,6 so dass er sich ironisch beschwert: Er rieche lieber an dem Becher (des Patrons) als (seinen eigenen) Wein zu trinken.7
In einem auch noch weiter unten zu betrachtenden Epigramm stellt der Sprecher den Kontrast zwischen dem Essen des Gastgebers und dem des Gastes sowie dessen Folge noch explizierter heraus (3,60,1‑9):Martial3,60
Cum vocer ad cenam non iam venalis ut ante, | ||
cur mihi non eadem, quae tibi, cena datur? | ||
ostrea tu sumis stagno saturata Lucrino, | ||
sugitur inciso mitulus ore mihi; | ||
sunt tibi boleti, fungos ego sumo suillos; | 5 | |
res tibi cum rhombo est, at mihi cum sparulo; | ||
aureus inmodicis turtur te clunibus implet, | ||
ponitur in cavea mortua pica mihi. | ||
cur sine te ceno, cum tecum, Pontice, cenem? | ||
(…) |
Mit non eadem cena wird im Text direkt die Problematik vorgestellt. Die kostbaren Gerichte, die Ponticus, der ungerechte Patronus, erhält, werden denjenigen entgegengesetzt, die der Gast bekommt, der in Ich-Form klagt: Austern aus dem berühmten Lukriner See – billige Miesmuscheln; Edelpilze – wertlose Steinpilze; ein Steinbutt – eine minderwertige Brachse; goldgefärbte Turteltaubenschlegel – eine tote Elster in einem Käfig. Der Sprecher stellt sich mit dem Oxymoron sine te ceno, … tecum (9), das den Widersinn der Situation betont, als deutlich vom Gastgeber ausgegrenzt dar. Der patronus lädt zwar formell den Klienten zur cena, lässt ihn aber anders bewirten als sich selbst, so dass der Gast den Eindruck gewinnt, er nehme nicht einmal an derselben cena teil wie sein Patron.8 Stellte für den patronus die Monophagie ein tadelnswürdiges Verhalten dar, so wird dieses Monophagie-Verhalten dadurch gesteigert, dass der Gastgeber sich vor seinen Gästen als Zuschauern isoliert und faktisch durch die Zweiklassen-Bewirtung Monophagie betreibt.
Im Buch 11 kommt das Motiv des Allein-Essens sowohl vonseiten des Gastgebers als auch vonseiten des Sprechers wieder vor, allerdings hat jetzt der Eingeladene aus der Erfahrung gelernt und lehnt dankend ab (11,35):Martial11,35
Ignotos mihi cum voces trecentos,
quare non veniam vocatus ad te,
miraris quererisque litigasque.
solus ceno, Fabulle, non libenter.
Hier hält der Gastgeber Massen-cenae ab: Dreihundert9 Eingeladene, von denen der Sprecher in der cliens-Position keinen kennt (ignotos mihi). Er entscheidet sich folglich dafür, zur cena nicht zu erscheinen, denn für ihn hieße es im Endeffekt, allein (solus, 4) zu sein. Seine Abwesenheit wird damit nicht nur dem zornigen und beleidigten Patron gegenüber entschuldigt, sondern auch gerechtfertigt – meint der Sprecher explizit. War Caecilianus in 1,20 oder 7,56 deswegen tadelnswert, weil er als Wirt/Patron solus (in An- oder Abwesenheit der Gäste) aß, so meint der Sprecher nun, es störe einen als Gast, gezwungen zu sein, letztendlich auch solus zu essen10 – ein Motiv, das häufig vorkommen wird, dazu s.u. So wird es klar, dass die cena dem Patron dazu dient, seine Machtposition zu zeigen und zu behaupten;11 eine Gelegenheit, die er jedoch gerne auch dazu nutzt, um sich über seine clientes lustig zu machen, indem er offen kein persönliches Interesse für sie zeigt – sei es durch einen unpersönlichen Empfang wie in 11,35 oder durch ungleiches Essen wie in 1,20; 1,43; 3,49; 3,60 oder 7,59.
In 4,68 spricht der cliens in einem Distichon den Patron an. Sextus habe den Sprecher zu einer cena eingeladen. Dennoch sind die Gerichte wiederum recht ungleich: Während der Gast eine billige cena bekommt, die dem geringen Betrag entspricht, welche eine sportula ausmachte,12 nämlich hundert Quadranten,13 isst Sextus köstlich (bene cenas). Im zweiten Vers formuliert der Sprecher die rhetorische Frage, ob er die Einladung erhalte, um tatsächlich ein (richtiges) Abendessen zu bekommen, oder doch um den Wirt zu beneiden (4,68):Martial4,68
Invitas centum quadrantibus et bene cenas.
ut cenem invitor, Sexte, an ut invideam?
Im ersten Vers wird die zweite Person betont (invitas, cenas), d.h. das Handeln des Gastgebers. Dagegen wird im zweiten Vers die erste Person hervorgehoben (cenem, invitor, invideam), das heißt die inszenierte Realität des eingeladenen Sprechers. Die Kontrastierung wird dazu durch die paronomastischen und chiastisch positionierten Verben, d.h. durch das Verbalpolyptoton, im Epigramm akzentuiert: invitas-cenas/cenem-invideam. Mit dem Stichwort invidere ist auch zum Teil an die Rolle der invidia in der horazischen Darstellung des patronus-cliens-Verhältnisses zu denken. Dort wird das Beneidet-Werden bei der Selbstinszenierung des Dichters als amicus mächtiger Männer als konstante Gefahr dargestellt14: Habe der cliens Erfolg bei seinem patronus, so werde er den Neid vieler Menschen erwecken. Nun liest man dagegen unerwartet, wie gerade der patronus den Neid des Klienten erweckt (und erwecken will), indem er ihn an seinem Erfolg, den hier das bene cenare darstellt, nicht teilhaben lässt – ein auf Humor zielendes Mittel.
Einen ähnlichen Gastgeber trifft der Leser in 2,19 in Gestalt des Zoilus – nur dass, anders als in 4,68, nicht invidia im Mittelpunkt steht, sondern spürbare Feindseligkeit. Zoilus ist außerdem bei Martial immer eine negativ charakterisierte Figur15 und hat die Gastgeberrolle neben dem Epigramm 2,19 auch in 3,82 und 5,79 inne. In 2,19 wird er drei Mal apostrophiert:Martial2,19
Felicem fieri credis me, Zoile, cena?
felicem cena, Zoile, deinde tua?
debet Aricino conviva recumbere clivo,
quem tua felicem, Zoile, cena facit.
Der Ich-Sprecher wirft Zoilus vor, den Eingeladenen eine derart dürftige cenae zu bieten, dass nur die bekannten Bettler an der Via Appia bei Aricia16 damit zufrieden sein könnten. Zoilus aber glaubt, dass er seinen Eingeladenen (conviva) durch die Einladung beglücke (felix fieri bzw. felicem facere).
Für Barwick (1958, 302f.) ist es nicht das spärliche Essen an sich, sondern „der geschmacklose Prunk, den Zoilus bei einem Gastmahl entfaltet“, der dem Sprecher widerwärtig ist. Er knüpft nämlich vor allem an die Rolle des Zoilus als geschmacklosen Gastgebers in 3,82 und 5,79Martial3,82Martial5,79 an. Williams (2004, 90) bemerkt allerdings m.E. zu Recht, dass in 2,19 die Thematik der cena und des felix fieri eine zentralere Rolle spielen als die Geschmacklosigkeit des Zoilus. Dies zeigt sich v.a. angesichts des vorangehenden Epigramms 2,18; dazu s.u.
Für Damon (1997, 150ff.) ist dagegen die Parasiten-Problematik am wichtigsten. Dazu zieht sie Epigramm 9,14 heran.17 Dort beobachtet der Sprecher das schmarotzerhafte Verhalten zwischen patroni und clientes aus einer distanzierten Position, während der Sprecher in 2,19 dagegen „the untrustworthy friend himself (and proud of it)“ verkörpere. Aus diesem Kontrast ergebe es sich, dass der Sprecher von 2,19 genau dem Schmarotzer-Typus gleiche, den das Epigramm 9,14 dem Leser vorstellt.18Martial9,14 Darüber hinaus argumentiert sie für eine Verbindung zum Calaber-Witz in Hor. epist. 1,7,14-24,Horazepist. 1,7,14-24 indem sie eine Parallele zwischen dem Martial-Sprecher in 2,19 und dem horazischen Gastgeber in der Epistel herstellt: „Like the Calabrian host, Zoilus thinks that a trivial beneficium (a meager dinner; a gift of pears that will otherwise be fed to the pigs) ought to produce real obligation in a cliens“ (150). Trotzdem überzeugt letztere Verbindung eher wenig, da der Gastgeber bei Horaz dem Gast die Birnen aufdrängt, da diese sonst den Schweinen vorzuwerfen wären (14‑19). D.h., es es geht dem Schenkenden nicht darum, den Beschenkten zu beglücken, weil das Geschenk von ihm auf dem Niveau von Abfall eingestuft wird, was sich an folgendem Vers zeigt: prodigus et stultus donat quae spernit et odit, Hor. epist. 1,7,20.Horazepist. 1,7,20 Dabei handelt er nicht geizig wie Zoilus, sondern nur geringschätzig (dazu s.o.). Dagegen geht es Zoilus genau darum, seinen Gast zu beglücken (felicem facere) – und zwar ohne irgendeine „obligation“ zu erzwingen, d.h. er zeigt damit ein Interesse für seinen Gast. Der Martial-Sprecher lehnt es spöttisch ab, weil eine solche dürftige cena nur die Bettler glücklich machen kann – er offenbart damit zwar sein schmarotzerhaftes Verhalten, macht aber v.a. Zoilus’ Geiz (aus seiner Perspektive) offensichtlich.
Doch zu Recht bemerkt Damon (1997, 151) den Zusammenhang zwischen 2,19 und dem vorangehenden 2,18, das noch mit einem „disgruntled guest“ anfängt.Martial2,18 Williams (2004, 89) fokussiert den Zusammenhang zwischen beiden Epigrammen (2,18 und 2,19) direkter auf das Anfangsthema der cena, doch er bemerkt richtig, dass es in 2,18 um eine andere Thematik geht,19 denn zwar gesteht der Sprecher dort, nach Einladungen zur cena bei seinem Patron zu jagen (capto… cenam, 1), dennoch ist dabei aber die soziale Position des Patrons, der sich als cliens eines anderen herausstellt, das zentrale Thema (dazu s.u.).
Williams (2004, 90) sieht allerdings auch eine direkte Verbindung zwischen dem Sprecher in Epigramm 2,19 und Juvenals Sprecher in der 11. Satire:20 Ein überaus wählerischer Gast (superbum convivam) sei vom Sprecher unerwünscht. Damit verhalte sich der Sprecher im Martial-Epigramm 2,19 ähnlich wie der unerwünschte Gast bei Juvenal (Juv. 11,129‑131):Juvenal11,129-131
ergo superbum | ||
convivam caveo, qui me sibi comparat et res | 130 | |
despicit exiguas. |
Der Juvenal-Sprecher setzt sich als Gastgeber von denjenigen ab, die mit ihren Delikatessen prahlen, und verlangt deshalb auch von seinem Gast Persicus,21 keinen Luxus zu erwarten, sondern mit guter Qualität zufrieden zu sein, nämlich mit dem bescheidenen Mahl (res exiguae), das in den nächsten Versen beschrieben wird. Dass der Martalische Zoilus wie der Juvenal-Sprecher eine ebenso bescheidene cena, die sich aber trotzdem in einer freundlichen und vertraulichen Atmosphäre abspielt und die an die Vorteile der vita rustica anknüpft, im Sinne hat, ist m.E. unwahrscheinlich, v.a. wenn man sich das Epigramm 3,82Martial3,82 vor Augen hält: Dort findet der Leser nämlich eine lange Inszenierung einer grotesken cena bei Zoilus vor, in der sogar Hündchen und Narren erheblich besser bedient werden als die eingeladenen convivae (18‑28).
Somit ist es m.E. offensichtlich, dass sich die Kritik an Zoilus’ cena in 2,19 v.a. gegen deren dürftige Quantität richtet.22 Der Sprecher inszeniert sich dabei aus der Perspektive des Gastes, der zwar schmarotzerhaft wirkt, der sich aber nicht um jeden Preis erniedrigen lässt. Vielmehr erinnert das Epigramm an Juvenals 5. Satire, wo Trebius vom Sprecher spöttisch gemahnt wird, sich lieber das Essen als Bettler zu besorgen, als sich zum Gespött eines schlechten Patrons zu machen, der ihn kaum bewirten will (6ff.), dazu jedoch s.u. Juvenal-Kapitel. Somit wirkt Zoilus eher wie ein protziger, rüpelhafter und geiziger Gastgeber (und patronus), der seine Gäste durch eine dürftige cena erniedrigt.