Baltrumer Dünensingen

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Ein Bier im Käpt’n BRASS? Das wäre es doch. Es war nicht weit. Nichts war eigentlich weit auf dieser Insel.

Schon aus der Ferne hörte er fröhliches Gelächter. Es schien gut etwas los zu sein. Aber wie sollte es auch anders. Es war wunderbares Wetter und die Insel voller Gäste. Als er sich näherte, stellte er jedoch fest, dass die Stimmen nicht aus der Kneipe kamen, die er von früher so gut kannte. Die gab es nicht mehr. Dort war alles dunkel. Aber ein Haus weiter, wo sich das Lebensmittelgeschäft befunden hatte, standen nun Stühle vor der Tür, und ein buntes Schild zeigte an, dass sich dort das Sturmeck befand. Nun gut, dann eben hier. Er stieg die paar Stufen hoch und drängte sich an einem Mann vorbei, der beinahe den ganzen Eingang versperrte. »Entschuldigung, wenn ich mal bitte …« Verblüfft blieb er stehen. Das gab es nicht. »Freddy? Bist du es wirklich?«

Der Mann zögerte kurz, dann nickte er. »Ich weiß, wer du bist. Auch wenn du in den letzten Jahren ein paar Kilo zugenommen hast.« Freddy nahm einen tiefen Zug von der Zigarette und ließ sie fallen.

»Ey, hier stehen genug Aschenbecher rum«, rief jemand erbost.

»Ist ja gut.« Freddy bückte sich, nahm den Stummel und drückte ihn im Aschenbecher aus. »War nur ein Versehen.«

»Das mit den Kilos ist den vielen Jahre auf dem Bürostuhl geschuldet«, erklärte Sigmar, »aber ansonsten bin ich ganz der Alte.«

»Na prima. Dann können wir beide morgen ordentlich abtanzen, wenn die Emilys spielen. Aber dass du mir nicht wieder das Mischpult umwirfst!«

»Daran kannst du dich erinnern?«, fragte Sigmar ungläubig.

»Ich kann mich sehr genau an dich erinnern. Vielleicht liegt es daran, dass ich seitdem beinahe jeden Tag an dich und den schönsten Sommer meines Lebens gedacht habe. Komm her, lass dich drücken. Eine geile Woche kann beginnen.« Gleich darauf lagen sie sich in den Armen. Sigmar merkte nicht, dass jemand die Situation genau beobachtete, sich dann umdrehte und verschwand.

8

»Meine Güte, so spät war es gar nicht.« Sandra goss sich eine Tasse Kaffee ein und stellte die Kanne energisch zurück auf die Korkunterlage.

Nein, war es nicht. Röder musste seiner Frau zustimmen. Trotzdem war er hundemüde und das zu recht, wie er fand. Brinkmann und Haltegrund waren erst nach genauer Inaugenscheinnahme der Galerie und des Zimmers von Wurzellage am späten Nachmittag abgefahren. Der Abtransport der Leiche zur Obduktion nach Oldenburg hatte sich hingezogen, und die Befragung der beiden Männer hatte nichts Neues ergeben, jedoch viel Zeit gekostet. Nur eine Sache war ihm aufgefallen. Nämlich dass der eine, Martens, offensichtlich seinem Gatten, dem Benedikt, nicht über den Weg traute. Beziehungsweise immer Erklärungen losließ, die Benedikt nicht unbedingt ins beste Licht rückten. Wenigstens hatten sie zugesagt, auf der Insel zu bleiben. Sollten sie nun doch abhauen, wusste die Polizei, wo sie suchen musste.

Erst spät hatten sie ein schnelles Abendessen zu sich genommen. Sandra hatte ständig auf die Uhr geschaut. Er hatte es kaum geschafft, seine Uniform aus- und die Zivilklamotten anzuziehen, dann mussten sie auch schon los. Der Tanzkurs sollte nicht ohne sie anfangen. Das zumindest war Sandras Wunsch. Ihm blieb keine Wahl. Bei dem Gedanken an die schnellen Bewegungen taten ihm schon auf der Fahrt zum Hotel Strandhof die Gelenke weh.

Röder rieb sich die Schulter. Einmal hätte er sie beinahe ausgerenkt. Aber auch da hatte Sandra keine Gnade gekannt. Wieder gähnte er.

Sandra schüttelte nur den Kopf. »Dein Job muss gestern ja ungemein anstrengend gewesen sein.«

Er berichtete, was sich in der Galerie zugetragen hatte und dass sie bis jetzt keinen Anhaltspunkt hatten, ob der Künstler eines natürlichen Todes gestorben war.

»Hat Johannes wieder zugeschlagen?«, fragte sie.

»Nein. Der ist erst seit gestern Abend wieder auf der Insel«, sagte Röder.

Sandra überlegte. »Das stimmt nicht. Den habe ich gestern Morgen bereits gesehen. Ich habe für den Laden ein paar Sachen vom Hafen geholt. Die Baltrum I legte gerade an, und Johannes kam von Bord. Da bin ich mir ganz sicher.«

Was war das? Hatte Meta den Jungen nicht erst mit der Abendfähre erwartet? Hatte sie gar nicht mitbekommen, dass Johannes bereits auf der Insel war? Aber wo hatte er gesteckt, als sie den Laden auf den Kopf gestellt hatten? Der Sache musste er unbedingt nachgehen.

»Arndt und Wiebke kommen übrigens bereits am Donnerstag. Sie wohnen bei Henning. Wir treffen uns am Freitag mit Wiebke im Laden, wegen neuer Lieferungen.« Sandra schnitt ein Brötchen auf und musterte das Innenleben kritisch, dann roch sie daran. »Eine neue Sorte. Zum Aufbacken. Mal sehen, wie das läuft.«

Sandra betrieb seit zwei Jahren mit ihrer Freundin einen Bioladen, der sehr gut angenommen wurde. Obst und Gemüse bekamen sie von Kleemanns Hof, dem Zuhause von Arndt und Wiebke in der Krummhörn. Arndt war sein bester Freund und auch Kommissar in Aurich. Zwischenzeitlich hatte er sich für ein Jahr eine Auszeit genommen und sich um den Hof gekümmert, doch dann war er wieder in seinen alten Beruf eingestiegen. »Aber sie haben nichts davon erzählt, dass sie hier Party im Festzelt machen wollen?«

»Was denn wohl sonst? Du weißt genau, dass das der Grund ihres Kommens ist!« Sandra schob ihren Stuhl zurück und stand auf.

Er grinste. Wusste er doch genau, womit er seine Frau ärgern konnte.

»Und dass das klar ist: Wir gehen auch zum Dünensingen, und Karten für die Wahl der Miss Baltrum im Strandhotel habe ich ebenfalls besorgt.«

Schon war seine Frau aus der Küche verschwunden. Amir schaute ihr bedauernd hinterher. Röder räumte die restlichen Dinge vom Tisch, dann ging er hinüber zur Wache. Daniel erwartete ihn schon. »Was gibt es Neues?«, fragten sie fast gleichzeitig.

Daniel lachte. »Vom Festland haben wir bis jetzt keine Erkenntnisse erhalten. Ich schätze, die Obduktionsergebnisse werden gegen Mittag hier auflaufen. Und bei dir?«

»Ich merke meine Knochen vom Tanztraining, aber sonst geht es mir gut. Ich will gleich mal zu den Damen Paulsen.« Er erzählte seinem Hilfssheriff, dass Ännes Sohn wohl doch schon länger auf der Insel weilte. »Außerdem will ich die beiden fragen, ob sie inzwischen wissen, wer die Pferdekacke ans Galeriefenster geschmiert hat. Und dann war da noch etwas: Als ich Meta fragte, ob sie Wurzellage schon vor seinem Erscheinen hier auf der Insel gekannt habe, war ihr ›nein‹ etwas zu spontan. Ich mag mich täuschen, aber da werde ich nachhaken.«

»Gut. Ich drehe mal eine Runde und schaue, ob jemand mit einem sehr unerzogenen Kampfhund unterwegs ist. Ich meine, dass ich gestern Abend bei einem Strandspaziergang so etwas gehört habe. Angeleint soll der auch nicht gewesen sein«, sagte Daniel.

»Dann sehen wir uns später wieder hier.« Röder holte sein Rad aus dem Gartenhäuschen. Es war nur ein kurzer Weg zum Haus der beiden Schwestern, doch es war gut was los auf den Straßen. Wie üblich um diese Jahreszeit. Er stellte sein Rad vor dem großen Schaufenster ab. Im Inneren sah er Meta mit einem Bild im Büro verschwinden. Er klopfte. Gleich darauf öffnete sie.

»Es ist keine 10 Uhr«, sagte sie freundlich. »Aber bitte, komm rein.«

»Ich bin nicht als Kunde hier«, erwiderte Röder, »sondern, weil ich ein paar weitere Fragen habe. Zunächst …«

»Warte«, unterbrach sie ihn, »falls du fragen willst, ob schon wieder jemand etwas gegen die Scheibe geschmiert hat – ja, da waren dunkle Streifen drauf, als ich heute Morgen in den Laden kam. Leider konnte ich niemanden erwischen.« Meta nahm ein weiteres Bild und stellte es nach hinten.

»Wir kümmern uns«, versprach Röder. »Aber nun zu den anderen Punkten: Ihr sagtet, dass Johannes mit der Abendfähre auf die Insel kommen würde. Allerdings wurde er schon morgens gesehen. Wie erklärst du dir das?«

Meta zuckte mit den Schultern. »Ich habe keine Ahnung. Johannes war abends da und nicht morgens. Oder habt ihr ihn etwa gesehen, als ihr hier die Bude auf den Kopf gestellt habt?« Ihre Stimme klang schneidend.

Röder überlegte kurz, ließ es jedoch bei der Aussage. Er würde Sandra fragen, wie sicher sie sich mit ihrer Beobachtung war. Oder ob eine mögliche Verwechselung mit einem anderen jungen Mann infrage kam. »Gut, nächster Punkt: Hast du Wurzellage vor seinem Erscheinen hier gekannt? Ich weiß, dass ich diese Frage schon einmal gestellt habe«, winkte er ab. Er sah, wie sich kleine rote Flecken in Metas Gesicht bildeten.

»Das hast du. Und ich habe diese Frage beantwortet. Ich kannte den Mann vorher nur von Telefonaten und E-Mails. Das war es. Und wenn du sonst nichts mehr hast, möchte ich gerne weiterarbeiten. Schließlich muss ich die Bilder des Toten nach hinten schaffen.«

»Was ist hier los?« Jetzt stand auch Änne im Raum. »Kann ich helfen?«

»Du kannst Michael bestätigen, dass Johannes erst abends auf die Insel gekommen ist«, rief Meta aus dem Büro.

»Natürlich. Aber warum ist das wichtig?«, fragte sie. »Wenn du meinst, er hat etwas mit dem Tod des Malers zu tun – Johannes war nicht da!«

Röder sah ein, dass er momentan nicht gegen die geballte Schwesternmacht ankam, und verabschiedete sich. Als er sein Fahrrad nahm, sah er, wie Änne ihrer Schwester etwas ins Ohr raunte. Zu gerne hätte er gewusst, worum es ging. Er fuhr zum Bioladen. Sandra bestätigte, dass sie ganz sicher sei, Johannes auf dem Landgang erkannt zu haben, dann bat sie ihn, zum Strandhof zu fahren, um eine Jacke abzuholen, die sie am Abend zuvor dort vergessen hatte. Er versprach es, doch vorher fuhr er zur Wache. Es war möglich, dass ein Ergebnis der Obduktion vorlag.

9

Dort angekommen, sah er einen Mann und eine Frau auf den Stufen vor der Eingangstür sitzen. »Brauchen Sie Hilfe?«

 

»Wir möchten uns nach Herrn Wurzellage erkundigen«, erklärte die Frau.

»Bitte kommen Sie herein.« Er schloss die Tür zur Wache auf und bat die beiden, Platz zu nehmen. »Worum geht es genau?«

»Dieser Mann ist ein guter Bekannter von uns. Was ist passiert?«, sagte der Mann und strich sich über das Gesicht.

»Darf ich um Ihre Namen bitten?«, fragte Röder.

»Ich wüsste nicht, warum das wichtig wäre. Aber dennoch – mein Name ist Eschbach. Knut. Das ist meine Frau Vera«, erklärte Eschbach. »Wir möchten wissen, ob es stimmt, dass der Künstler zur Obduktion ans Festland gebracht wurde. Waren Sie dazu befugt? Haben Sie seine Tochter benachrichtigt?«

Nein, das hatten sie nicht. Sowohl Daniel und er als auch die Kollegen vom Festland hatten keine Tochter ausfindig machen können. Aber das würde er diesem seltsamen Paar nicht mitteilen. Und wieso stellten die die Befugnis der Polizei infrage?

»Wenn Sie angeblich mit ihm befreundet sind, sollten Sie erst recht daran interessiert sein, dass die Umstände seines Todes aufgeklärt werden.«

»Das sind wir. Sonst wären wir nicht hier. Wurzellage war ein großartiger Künstler, der wusste, was er wollte. Er hatte kein Problem damit, sich mit Stellen anzulegen, die im Unrecht waren. Und Hilfe von der Polizei ist ihm oft genug versagt geblieben.« Eschbach war aufgestanden und beugte sich zu Röder. »Er würde sich im Grabe umdrehen, wenn er wüsste, dass Sie jetzt das Sagen über ihn haben.«

»Zurück!«, sagte Röder scharf.

Der Mann winkte ab und setzte sich wieder. »Keine Sorge, wir sind friedliche Menschen.«

Die Frau nahm ein Kärtchen aus der Hosentasche. »Hier ist meine Visitenkarte. Wir wohnen im Haus Nonnengans. Dort haben wir eine Eigentumswohnung. Es war unsere Idee, Herrn Wurzellage mit dieser Insel bekanntzumachen.«

»Wissen Sie etwas über Familienangehörige von Herrn Wurzellage?«, fragte Röder.

Vera Eschbach schüttelte den Kopf. »Nein. Wir wissen nur, dass seine Tochter Heike heißt und auch in Brake wohnt. Sie hat Kinder, allerdings wissen wir nicht, ob sie verheiratet ist und ob sie einen anderen Namen trägt. Eine Ehefrau hat Peter nie erwähnt. Peter Wurzellage und wir haben so manchen Abend mit politischen und weltanschaulichen Diskussionen verbracht. Dabei habe ich immer wieder festgestellt, dass er so gut wie nie von seiner einmal gefassten Meinung abwich, diese jedoch immer gut begründen konnte. Auch wenn mir oftmals zu weit ging, wie er seine eigenen Anschauungen gegen Recht und Gesetz stellte.«

»Aber ich gebe zu, dass er mich in vielen Dingen überzeugt hat. Daher war ich so entsetzt, dass er mit seinem Tod plötzlich der Ordnungsmacht unterstellt war, der er gerne mal misstraut hat«, fügte Knut Eschbach hinzu. »Darum frage ich erneut: Können Sie mir den Grund nennen, warum Sie sich um den Tod des Mannes kümmern?«

Röder schüttelte den Kopf. »Bis jetzt gibt es keine Erkenntnisse über die genauen Umstände. Und wenn ich sie hätte, dürfte ich sie Ihnen, wie Sie verstehen werden, sicher nicht bekanntgeben. Aber kurz zu Ihnen: Bleiben Sie länger? Falls sich Fragen ergeben.«

»Ja. Es ist ein wunderbarer Ort zum Leben. Wir kommen aus der Großstadt mit all ihren Negativseiten. Zu viele Autos, zu viel Lärm, zu wenig Grün. So nehmen wir hier unsere Auszeit«, sagte Frau Eschbach. »Wir sind beide Zahnärzte. Da sind unsere Tage restlos ausgefüllt.«

»Und wenn es nur unsere Arbeit wäre, ginge es, aber der ganze Papierkram ist fürchterlich. Das heißt, Papierkram ist es kaum, sondern die Arbeit am PC. Was das Finanzamt wissen will, welche neuen Gesetze beachtet werden müssen, welche Gelder an welche Kammern abgeführt werden müssen, Stress mit den Krankenkassen … Wir sind froh, dass wir hier einen Ort zum Ausruhen haben.«

»Knut, wir sollten gehen«, unterbrach ihn seine Frau. »Ich denke nicht, dass das Herrn Röder interessiert.«

Röder stand auf. »Gegebenenfalls komme ich auf Sie zurück. Sollte Ihnen etwas einfallen, das uns bei der Klärung der Umstände von Wurzellages Tod weiterhilft, melden Sie sich bitte.«

Vera Eschbach und ihr Mann erhoben sich ebenfalls. »Das werden wir.« Gleich darauf waren sie verschwunden.

Er nahm Kontakt mit den Festlandskollegen auf und gab den Namen Heike durch. Vielleicht half das weiter auf der Suche nach Angehörigen. Dann fuhr er zum Strandhof, um, wie versprochen, Sandras Jacke zu holen. Ob er Amir mitnehmen sollte? Ein kleiner Ausflug tat dem Heidewachtel gut. Davon war Amir offensichtlich auch überzeugt, denn der Hund holte ihn mit einem kräftigen Ruck beinahe vom Fahrrad, als er über den Marktplatz fuhr. Es war richtig was los. Alle Bänke waren von Gästen belegt, die sich die Sonne auf die Nasen scheinen ließen. In Höhe des Rathauses sah er Andrea Burgat stehen. Er winkte ihr zu, und sie zeigte an, dass er anhalten möge. »Moin. Was gibt es?«, fragte er freundlich.

»Ich habe von dem Todesfall gehört«, sagte sie. »Es stört aber nicht, dass wir in unserem Programm fortfahren?«

»Ich denke nicht«, erwiderte er. »Zumal wir die genauen Todesumstände nicht kennen. Es sterben immer Menschen. Trotzdem geht das Leben der anderen weiter.«

»Das ist wohl so«, stimmte sie zu und deutete auf das Haus des Gastes. »Unsere Leute nehmen gerade die Stühle raus, und die Emilys proben. Heute Abend geht da richtig die Post ab.«

Röder hatte das Gefühl, dass er diesen Satz jetzt nicht unbedingt gebraucht hätte, aber was nützte es. Gute Miene zum bösen Spiel, oder wie es so nett hieß. »Ja, Sandra und ich werden auch erscheinen.«

»Wunderbar. Fete unter Polizeischutz, was kann es Besseres geben«, lachte sie, »dann pass mal auf, dass du dir nicht die Beine verrenkst und arbeitsunfähig bist.«

Wenn die Frau wüsste, wie nahe sie mit diesem Satz seinen innersten Wünschen gekommen war. Aber er würde ihr nicht die Genugtuung gönnen, davon zu erzählen. »Nix da, wir haben unseren Rock’n’ Roll Kurs erfolgreich hinter uns. Wir werden abtanzen bis in den frühen Morgen.«

»Prima. Dann bis heute Abend.« Sie winkte ihm zu und verschwand im Rathaus.

Sollte er bei den Emilys reinschauen? Warum nicht? Er kannte Max seit dem letzten Jahr. Da hatten sie ihren ersten Auftritt auf der Insel gehabt. Er stellte sein Rad ab und knotete Amirs Leine an den weißen Holzzaun. Schon beim Öffnen der Tür hörte er laute Musik, und, er konnte es kaum fassen, seine Beine fingen an zu zucken und er verspürte den Wunsch loszutanzen. Die Halle war bereits von Stühlen befreit, aber die Mitarbeiter des Bauhofes standen noch vor der Bühne und lauschten der Musik. Hotel California von The Eagles. Röder wartete, bis die Band das Stück beendet hatte, klatschte laut und begrüßte den Bandleader. »Hallo, Herr Liebermann, wie schön, Sie hier wieder zu sehen. Und die anderen natürlich auch.«

»Billy, bitte. Sie wissen doch: Ich heiße Billy Blackwell, und meine Fans nennen mich Billy. Einfach nur Billy.«

»Alles klar, Billy. Wir hören voneinander.«

»Herr Ahlers sagte, der Klubraum sei frei für uns. Stimmt doch, oder? Ich habe gehört …«

»Der Raum ist frei«, erwiderte Röder. »Wenn wir ihn brauchen, finden wir eine Lösung.«

»Klar«, rief Billy hinter ihm her, »wir machen Mucke, während Sie ermitteln. Das passt doch prächtig.«

So toll die Musik auch war, das war keine Option, die erstrebenswert war. Er stieg wieder auf sein Rad, holte die Jacke und kam fast gleichzeitig mit Daniel auf der Wache an. Er brachte Amir zurück in sein Körbchen und warf den PC an. Jetzt gab es eine neue Nachricht. Die Obduktion wies Herzversagen auf. Ebenfalls war die Nase gebrochen und es gab Abschürfungen im Gesicht. Ob die Verletzungen vor oder nach seinem Tod entstanden waren, wurde noch untersucht. Röders Telefon meldete sich. »Hallo Arndt«, begrüßte er seinen Freund. »Ich weiß bereits, dass ihr übermorgen anreist.«

»Das ist nur zum Teil richtig«, hörte Röder seinen Freund, »ich komme früher. Da gibt es diesen etwas mysteriösen Todesfall, und unser aller Chef Müller hat mich gebeten, euch zu unterstützen. Darum bin ich ab heute bereits auf der Insel.« Und nach einer kurzen Pause: »Wenn ich darf.«

Röder lachte. »Immer gerne.« Er erzählte von Billys Plänen der Zusammenarbeit.

»Ich denke, zu dritt halten wir es auf der kleinen Wache gerade so zusammen aus. Wenn die Emilys weg sind, können wir immer noch umziehen«, schlug Arndt vor. »Henning wird nichts dagegen haben. Ein Zimmer für mich habe ich bereits bestellt.«

»Na prima, ich hole dich am späten Nachmittag von der Fähre ab. Abends geht es dann zum Abtanzen in das Haus des Gastes.«

»Natürlich, was sonst?«, erwiderte sein Freund.

Röder war in diesem Moment klar, dass er aus der Sache nicht wieder rauskam. Aber immerhin konnte er sich das Tanzaufkommen des Abends mit seinem Freund teilen. Sandra würde begeistert sein. Und wenn er ehrlich war, freute er sich auf den Abend. »Wie war es bei dir?«, fragte er seinen Kollegen, der wieder einmal unermüdlich sein Kaugummi von einer Backe in die andere schob.

»Ich habe Frauchen und Hund tatsächlich gefunden. Zumindest, wenn ich der Beschreibung der wütenden Bürger Glauben schenken darf. Ich habe die Frau eindringlich ermahnt, ihre Töle anzubinden. Sie ist meiner Bitte nach einigem Zögern gefolgt, als sie hörte, welche Konsequenzen Nichteinhaltung nach sich ziehen würde. Ich habe die beiden eine gewisse Zeit beobachtet, sie hat den Hund aber nicht wieder frei laufen lassen. Außerdem sind wir die wohl bald los. Sie sprach von einem hundefeindlichen Flecken Erde und dass man am Neßmersieler Strand viel freundlicher mit Vierbeinern umginge.«

»Na wunderbar. Dann brauchen wir uns darum nicht mehr kümmern.«

»Sehr gut. Dann hätte ich eine neue Aufgabe. Mir lässt Johannes Paulsen keine Ruhe. Kümmerst du dich um die Frage, wann der Mann wirklich angereist ist?«, bat Röder. »Sandra ist sich ganz sicher, dass er bereits morgens auf der Insel war, und ich möchte gerne wissen, warum die Schwestern das so vehement abstreiten.«

Daniel lachte. »Du traust dich wohl nicht, oder? Dir ist klar, dass du mit den beiden Frauen hier leben musst, wenn ich schon längst wieder abgereist bin. Gib es zu!«

Röder antwortete nicht, konnte sich ein leichtes Grinsen jedoch kaum verkneifen.

Als sein Kollege die Wache verlassen hatte, ließ er sich die ganze Situation wieder und wieder durch den Kopf gehen. Was war mit diesem Benedikt? Hätten sie ihn sich energischer zur Brust nehmen sollen? Immerhin hatte sein Gatte ihn mit Blut an den Händen neben der Leiche gefunden. Oder war Wurzellage durch Umstände, von denen sie bis jetzt nichts ahnten, ums Leben gekommen? Ein Unfall vielleicht? Er war froh, dass Arndt bald da sein würde.

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