Liebe an der Endstation

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Liebe an der Endstation

1  Liebe an der Endstation

Liebe an der Endstation
Von:
Thomas Kappel

Impressum

Texte: © Copyright by Thomas Kappel

Umschlag:© Copyright by Christian Thäter

Verlag:Thomas Kappel

Postfach 1411

73404 Aalen

buch@thomas-kappel.de

Printed in Germany

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Liebe an der Endstation

Jetzt muss ich mich auch noch mit so einer Partnerbörse rumärgern. Nur weil die Jungs, allen voran Ralf, glauben, dass ich dringend eine neue Partnerin brauche. Meine Beziehung mit Kordula ist jetzt schon drei Jahre vorbei und seither hatte ich nichts Festes mehr. Besonders nervig ist, dass mich die Jungs dauernd damit aufziehen, dass es nicht gut sei, wenn man so lange keinen Sex hat. Dabei gibt es doch genügend Studien die belegen, dass Singles sogar mehr Sex haben als verheiratete Paare. Gut, meistens halt eben alleine, aber warum sollte das nicht zählen? Als die Jungs mich dann überredet haben und mir die Zugangsberechtigung bei so einer Partnervermittlung im Internet eingerichtet hatten, haben wir uns noch einen gemütlichen Abend gemacht und uns gefreut, dass bereits nach etwa einer Stunde, die ersten Antworten auf meine Kontaktanzeige eingetroffen sind. Ich hätte gar nicht damit gerechnet, dass das so schnell geht. Aber gut, das will ja noch nichts heißen. Ich dachte mir jedenfalls, dass es besser ist, wenn ich mir die Partnerin aussuche und nicht umgekehrt. Jetzt heißt es also zuerst einmal die Zuschriften grob aussortieren. Wobei ich ja schon mal gespannt bin, was die so alles schreiben und wie sie sich ‘anpreisen‘. Gut, die erste Zuschrift kommt von einem Mann, na da fällt das Aussortieren natürlich leicht. Am Anfang habe ich es überhaupt nicht kapiert, warum sich alle, die hinter mir stehen und mir über die Schulter schauen, kaputtlachen. Erst jetzt fiel mir auf, dass sich ausschließlich Männer auf meine Kontaktanzeige gemeldet hatten und dann, dass die Kontaktanzeige bei GayRomeo war, also einer Kontaktbörse, die von Schwulen benutzt wird. Wirklich sehr witzig, na da werde ich sicher keine neue Frau kennenlernen. Okay, die Jungs hatten ihren Spaß und wir hatten ansonsten doch noch einen netten Abend.

Als ich mal in Ruhe darüber nachgedacht habe, musste ich mir eingestehen, dass die Jungs vielleicht gar nicht so unrecht haben. Gut, ich hätte jetzt keine Lust, so wie früher, zu ‘High Life‘ zu gehen und eine scharfe Frau für die Matratze klar zu machen. ‘High Life‘ war so eine mobile Disco, bei der wir früher immer waren. Da ging natürlich immer wieder mal was, aber nur so für eine Nacht, würde mich jetzt nicht mehr reizen. Ich kann mich noch erinnern wie Dieter, ein Kumpel von damals, mal ein Mädel hinter der Veranstaltungshalle vernascht hat. Da es Winter war, meinten wir später noch, ob das nicht arg kalt gewesen sei, er jedoch winkte ab und meinte nur, dass er halt kalte Knie bekommen hat. Ja, das war schon eine verrückte Zeit. Ich möchte ja aber schon eher etwas für länger, also für Heim und Herd. Wobei, für den Herd natürlich nicht, weiß doch jeder, dass Frauen nicht kochen können. Doch natürlich, so ist das. Wenn Frauen richtig kochen könnten und nicht nur Essen warm machen, dann würde es doch auch viel mehr Frauen geben, die in guten Restaurants als Köchin arbeiten. Aber nein, es gibt nur extrem wenige Frauen, die auch am Herd ihren Mann stehen. Höchstens noch in irgendwelchen Schnell-restaurants.

Ich habe mir dann aber am nächsten Tag doch mal die Mühe gemacht und mich bei einer anderen Partnerbörse angemeldet und jetzt bin ich dabei, mich mit den kontaktfreudigen Frauen zu unterhalten. Wobei, unterhalten ist eigentlich nicht das richtige Wort, wir chatten erst mal. Ich finde das total bescheuert, denn man benötigt einfach viel mehr Zeit zum Tippen, wie wenn man sich anrufen würde. Aber Telefonnummern werden hier erst getauscht, nachdem man sich die Finger wund geschrieben hat. Naja, was soll‘s. Das Gute ist, dass ich meinen Klapprechner mitnehmen kann und so auch draußen im Park oder bei einer Tasse Kaffee, nebenher chatten kann. Da ich ja beim Chatten auch immer wieder warten muss, bis mein gegenüber fertig getippt hat, habe ich auch Zeit um rumzusitzen, mich von der Sonne verwöhnen zu lassen oder einfach andere Menschen zu beobachten. Gerade Letzteres macht mir immer wieder viel Spaß, da man die tollsten Dinge sehen kann, die so absurd sind, auf solche Ideen würde auch der gewiefteste Buchautor im Leben nicht kommen. So wie jetzt gerade. Neben mir sitzt eine, zugegebenermaßen, sehr attraktive Frau und versucht ein Telefongespräch auf ihrem Taschentelefon anzunehmen. Sie drückt immer wieder wie wild auf die grüne ‘Taste‘. In der letzten Stunde hat sie zwei oder drei Anrufe bekommen und immer war es dasselbe, sie drückt und drückt und drückt und irgendwann legt der Anrufer auf, da sie nicht abgenommen hat und dann ruft sie ihn zurück. Schließlich fasse ich mir ein Herz und helfe ihr. Nachdem sie das Telefonat beendet hat, sage ich zu ihr „du musst dein Handy schon ein bisschen liebhaben und ein bisschen streicheln, dann klappt das auch mit dem Annehmen von Gesprächen.“

Sie schaut mich irritiert an, so als ob ich nicht mehr alle Tassen im Schrank hätte, und meint nach einer kurzen Denkpause „hören Sie mal, entweder Sie können mir helfen oder Sie lassen es, verarschen kann ich mich selber!“

„Das glaube ich dir gerne,“ antworte ich ihr lachend, „aber ich meine es ernst. Du drückst immer auf dein Handy, so wie man das früher gemacht hat, aber du musst es jetzt stattdessen streicheln, also so eine Wischbewegung machen.“ Antworte ich ihr und demonstriere es auf meinem Handy. „Verstehst du, so in etwa?“

„Wieso sollte das funktionieren, wozu soll das denn gut sein?“, fragt sie mich, jetzt schon etwas milder gestimmt und mit weniger Ärger in der Stimme.

„Das, mit dieser Wischbewegung, kommt daher, dass man dann nicht so leicht ausversehen das Gespräch annimmt. Wenn du zum Beispiel nur schauen willst, wer dich da anruft und versehentlich aufs Display kommst, dann hättest du das Gespräch unter Umständen schon angenommen, obwohl du es eigentlich gar nicht wolltest. Wenn du aber diese Wischbewegung machen musst, dann kann das nicht so leicht passieren.“ Erkläre ich ihr.

Sie denkt kurz nach und meint schließlich „stimmt, da könnte was dran sein. Das werde ich beim nächste Mal gleich ausprobieren. Vielen Dank für den Tipp.“

Das ist schon merkwürdig, dass mir das nie aufgefallen ist mit dem Telefongespräch annehmen. Jetzt im Nachhinein, erkenne ich dieses Pfeilsymbol auf dem Display auch als solches und kann es entsprechend deuten, aber vorher habe ich mir da gar nichts dabei gedacht.

Egal, jetzt muss ich erst mal meinen Zug erwischen, sonst komme ich heute nicht mehr nach Hause. Aber dieses Café in dem ich gerade noch sitze, hat schon was. Es sieht aus, wie der ‘Frosch‘ früher in Ellwangen. Der ‘Frosch‘ war eine alte Kneipe gegenüber vom Bahnhof, in der überwiegend junge Leute waren. Dort lief viel Rockmusik, aber nicht so arg laut, so, dass man sich gut unterhalten konnte, und man konnte Tischfußball oder Darts spielen. Diese alten massiven Holzmöbel haben einfach ihren ganz eigenen Zauber. Und ob die Fenster jetzt vom Zigarettenqualm so gelb gefärbt sind, oder so gekauft wurden, wird wohl ein Rätsel bleiben. Könnte durchaus sein, dass das alles schon etwas älter ist und aus einer Zeit stammt, in der man noch drinnen rauchen durfte. Vielleicht sind das ja auch die Original Möbel aus dem Frosch von früher, denn der musste ja schon vor vielen Jahren einem Hotel weichen. Für ein Café ist das ganze zwar eher etwas untypisch, aber das ist der Name ja auch, es heißt ‘zum Milchkaffee‘. Als ich reinkam, stellte ich fest, dass hier die ganze Zeit Heavy Metal im Hintergrund läuft. Das habe ich seit meiner Jugend nicht mehr gehört. Ein Wunder, dass mein Kopf noch drauf ist, so wild wie wir uns damals immer beim Headbangen verausgabt haben. Da ich ja öfter mit dem Zug fahre, gehe ich hier nächstes Mal einfach wieder her und nehme dann den nächsten Zug heimwärts, denn ich muss sagen, es ist irgendwie toll hier drin, man fühlt sich gleich 10 Jahre jünger.

Ich frage mich gerade, ob der Herr von eben mich denn gar nicht erkannt hat? Kommt ja nicht oft vor, aber mir soll es recht sein, ich habe von den Leuten, die einen anquatschen, nur, weil man berühmt ist, die Nase gestrichen voll. Echte Freundschaften entstehen so jedenfalls nicht.

Ich liebe das Zugfahren. Man kann lesen, sich die Landschaft anschauen oder ein kleines Nickerchen halten. Und genau das werde ich jetzt tun, mir fallen nämlich schon die Augen zu. Zum Glück muss ich bis zur Endstation, so verpasse ich zumindest meine Haltestelle nicht. Das ist mir einmal passiert, aber wenigstens war es Tagsüber, so dass ich einfach den nächsten Zug zurück in die andere Richtung nehmen konnte, um dann doch noch an mein Ziel zu kommen.

*

Nanu, das ist ja schon ewig nicht mehr vorgekommen. Also, dass die Leute irgendwelche Sachen im Zug liegenlassen, das kommt schon mal vor, aber dass jemand so fest schläft und nicht mitbekommt, dass der Zug schon lange nicht mehr fährt, das ist doch sehr selten.

„Hallo, aufwachen. Mit diesem Zug kommst du heute nicht mehr weiter, du musst aussteigen“, sage ich zu der Frau, die es sich hier gemütlich gemacht hat. Sie liegt bequem auf der Bank und hat die Füße oben, aber wenigstens hat sie ihre Schuhe vorher ausgezogen, sonst könnte sie jetzt ein Donnerwetter erleben.

 

„Huch, haben Sie mich erschreckt. Wo bin ich und was tun Sie hier?“

„Du bist im Zug, aber der ist schon seit Stunden auf dem Abstellgleis und fährt erst morgen Nachmittag wieder weiter. Ich schaue manchmal noch durch die Züge ob etwas liegengeblieben ist. Das Reinigungspersonal ist leider oft nicht besonders aufmerksam und sie gehen auch nicht jeden Tag durch die Züge. Komm, ich helfe dir beim Aussteigen, denn hier hat es keinen Bahnsteig, da geht es ganz schön weit runter.“

Zum Glück habe ich kein großes Gepäck dabei, sondern nur eine kleine Tasche. Ich folge dem Herrn und mit seiner Hilfe komme ich relativ gut aus dem Zug. Leider ist es hier nicht besonders hell, wir sind wohl ein ganzes Stück vom eigentlichen Bahnhof entfernt. Man sieht, dank des Vollmondes, nur Unmengen an Gleisen und viele Züge.

„Vielen Dank, dass Sie mir geholfen haben. Können Sie mir bitte ein Taxi rufen, damit ich heimkomme?“, frage ich den netten Herrn.

„Ich fürchte, dass dir das nichts bringen wird. Die Taxis kommen hier nicht her, ist zu abgelegen und es führt auch nur ein kleiner nicht geteerter Feldweg hier her. Ich könnte dir zwar den Weg beschreiben, aber jetzt im Dunkeln ist das nicht ungefährlich und wenn dich die Bahnpolizei erwischt, bekommst du eine Menge Ärger. Jetzt gehen wir erst mal zu mir, ich wohne gleich da hinten“, sagt er und marschiert, ohne eine Antwort abzuwarten, vorne weg. „Es gibt hier keine richtige Straße, die nächste ist gut zwanzig Minuten zu Fuß entfernt.“

Als wir bei seiner ‘Wohnung‘ ankommen, traue ich meinen Augen nicht. Es ist gar kein ‘richtiges‘ Haus, sondern eher so eine Art Schuppen mit Fenstern. Es sieht ziemlich alt und auch ein bisschen baufällig aus. Als wir eintreten bin ich dann jedoch positiv überrascht, der ganze Raum strahlt eine angenehme Wohnlichkeit aus, die man hinter dem alten Äußeren nicht vermutet hätte. Es gibt einen offenen Kamin und einige wenige massive alte Holzmöbel, dazu ist der Raum noch, fast wie in einem Museum, mit allerlei altem Eisenbahnerzeug ausgestattet. Ein paar alte Petroleumlampen, eine Schaffnerkelle, Schilder wie sie früher außen an den Waggons angebracht waren und man ablesen konnte, wohin der Zug fährt, alte Fahrpläne und noch unzähliges mehr. Echt herrlich.

„Willst du etwas trinken? Ich habe Mineralwasser oder ich könnte auch einen Kaffee machen oder einen Tee aufsetzten.“

„Ein Tee wäre jetzt toll, aber ich will Ihnen keine Umstände machen.“

„Kein Problem“, sagt er und während er den Tee zubereitet, erklärt er mir, dass es sich hierbei um ein altes bahneigenes Haus handelt. Früher hätte die Bahn noch viele Wohnungen für ihre Mitarbeiter gehabt, aber heutzutage muss sie mehr Profit erwirtschaften, da müssen wohl die Interessen der Mitarbeiter zurückstehen. Er wohne sehr gerne hier, auch oder besser gesagt, gerade weil es so abgeschieden liegt. „So, der Tee ist fertig“, sagt er und reicht mir eine große dampfende Tasse. Alleine die Tasse ist schon ein echter Hingucker. Sie ist nicht einfach nur bemalt, nein, man kann es auch ertasten, das Motiv ist ein alter gelb-weißer VW-Bus mit geteilter Frontscheibe. Die Tasse steht richtig auf den vier ‘Rädern‘ des VW-Busses, der Tassenboden ist also etwa einen halben Zentimeter in der Luft und Scheinwerfer, Fenster und so weiter sind richtig plastisch dargestellt. Echt Klasse.

„Also, du kannst es dir aussuchen, entweder du schläfst auf dem Sofa, oder bei mir im Bett, groß genug ist es ja, so, dass wir uns da nicht stören sollten. Und morgen früh, bringe ich dich zur Stadt zurück.“

Ich verschlucke mich und muss husten.„Also im Film wäre es jetzt so, dass Sie mir das Bett anbieten und Sie selber auf dem Sofa schlafen.“ Er schaut mich verständnislos an, vermutlich schaut er nicht so oft Filme.

„Naja, das ist halt Film,“ sagt er schließlich „das hat mit dem wirklichen Leben nichts zu tun und außerdem solltest du noch aufhören, mich zu siezen. Wir sind doch beide etwa gleich alt, da duzt man sich doch. Ich heiße Tiberius.“

„Ich bin Toni“, sage ich lächelnd und reiche ihm die Hand.

Er schaut mich verwundert an und meint schließlich „Toni, das ist doch eher ein Jungenname, oder?“

„Also das ist mir neu. Kennst du denn irgendwelche berühmten Männer die Toni heißen?“, frage ich Tiberius deshalb.

„Na aber hallo, natürlich. Da gibt es eine ganze Menge. Als da wären Toni Micelli aus der Fernsehserie ‘Wer ist hier der Boss?‘ oder natürlich auch der Toni Schuhmacher. Um nur mal ein paar wenige zu nennen.“

„Aha. Hieß, oder besser gesagt heißt, der Schumacher nicht Michael?“, frage ich Tiberius verwundert.

„Michael? Du meinst den der immer im Kreis rumfährt. Den gibt es schon auch, ja, aber Toni war schon berühmt als es den Michael noch gar nicht gab und außerdem ist ja im Kreis fahren auch keine Beschäftigung für einen richtigen Mann.“

Ich bin erstaunt und meine schließlich zu Tiberius „du kennst dich ja gut aus mit Prominenten.“

„Ja logisch, muss ich doch. Stell dir mal vor wie peinlich das wäre, wenn ich zufällig einen Prominenten treffen und diesen dann nicht erkennen würde? Das geht ja gar nicht. Nein, da muss man schon ein bisschen auf Zack sein.“

Ich grinse und freue mich, endlich mal jemanden kennengelernt zu haben, der nicht weiß wer ich bin. Gut, so wie es aussieht, hat er keinen Fernseher, da kann er mich ja eigentlich gar nicht kennen. Es scheint, dass er überhaupt wenig Geld hat, wenn ich mir das ‘Haus‘ und die Einrichtung so anschaue, aber er macht trotzdem, oder vielleicht auch gerade deshalb, einen glücklichen und zufriedenen Eindruck. Wir trinken noch einen Tee und quatschen ein bisschen, ehe uns beiden die Augen zufallen und wir uns schlafen legen. Ich habe mich natürlich für das Sofa entschieden, auch wenn es wahrscheinlich nicht besonders bequem ist. Jetzt sieht Tiberius zwar nicht wie einer aus, der die Situation ausnützen würde, aber mir ist es lieber so. Leider stellte sich heraus, dass das Sofa noch unbequemer ist, als es aussieht. Deshalb habe ich mich dann nach einigen Stunden, in denen ich versucht habe, eine halbwegs brauchbare Schlafposition auf dem Sofa zu finden, doch noch entschlossen, zu Tiberius ins Bett zu schlüpfen.

Am nächsten Morgen überrascht er mich mit einem tollen Frühstück. Er hat gebratenen Speck und Eier gemacht und dazu gibt es den besten Kaffee, den ich jemals getrunken habe. Er hat keine ‘normale‘ Kaffeemaschine, sondern so einen Espressokocher in den man Wasser und den, selbstverständlich frisch gemahlenen, Kaffee einfüllt und ihn dann auf dem Herd zubereitet. Ich hatte das auch mal selber probiert, da eine Zeitlang alle davon sprachen, aber mir war das dann doch zu aufwendig, auch wenn der Kaffee damit um Klassen besser schmeckt. Ich habe wohl so tief und fest geschlafen, dass ich gar nichts von seinen Frühstücksvorbereitungen mitbekommen habe. Kein Wunder, so lange wie ich gestern auf den Beinen war. Nach diesem tollen Frühstück bringt er mich zum Bahnhof. Also alleine hätte ich das nachts nie geschafft. Hier hat es unzählige Gleise und Weichen und ein Betrieb herrscht hier, unglaublich. Bevor wir uns verabschieden, frage ich Tiberius noch, ob ich ihn am Wochenende zum Essen einladen darf, als Dank für seine Gastfreundschaft. Wir verabreden, dass ich ihn hier am Bahnhof abhole, bevor er sich wieder auf den Rückweg zu seinem kleinen Häuschen macht. Ich schaue ihm noch eine Weile nach, ehe auch ich mich auf den Heimweg mache. Ein Außergewöhnlicher Mann, dieser Tiberius.

*

Bin erneut im ‘Milchkaffee‘ und sitze obendrein wieder am gleichen Platz wie letztes Mal. Kaum dass ich sitze, kommt auch wieder der nette Herr, der mir neulich erklärt hat, wie man Telefongespräche auf dem Handy annimmt, und setzt sich ebenfalls an den gleichen Platz wie letztes Mal, also an den Tisch neben mich. Ich bedanke mich nochmal bei ihm, als auch schon die Bedienung kommt und meine Bestellung aufnehmen möchte. „Ich hätte gerne einen Latte Macchiato“, sage ich zu ihr.

„Latte gibt es hier nicht“, antwortet sie mir mürrisch.

„Wie, es gibt keine Latte?“, frage ich erstaunt. „Aber das ist doch hier ein Café, oder?“

„Ja schon, aber hier gibt es dieses neumodische Zeug nicht. Ich kann Ihnen einen Milchkaffee bringen, wenn Sie möchten.“

Ich schaue die Bedienung verwundert an, denn im Grunde ist das doch das Gleiche, oder? Egal, ich habe jetzt keine Lust auf Streitereien und so sage ich zu ihr „ja bitte, dann bringen Sie mir einen Milchkaffee.“

„Und für dich auch einen, wie immer?“, fragt sie den Herrn neben mir und dieser nickt ihr nur kurz zu.

Als kurz später die Bedienung unsere Milchkaffees bringt, möchte ich noch etwas und sage zu ihr „bitte bringen Sie mir auch noch eine Nussschnecke.“Sie antwortet mir unfreundlich, dass sie keine mehr hat. Schade. Da meldet sich der Herr neben mir zu Wort.

„Ja wie, sind die Alle alle?“, fragt er und sie nickt nur. Daraufhin trinkt er schnell seinen Milchkaffee aus, steht auf und geht. Im vorbeiweg ruft er der Bedienung noch zu „ich geh nur kurz zum Bäcker, bin gleich wieder da.“

Ich fasse es nicht, sie lässt ihn einfach gehen. Deshalb sage ich zu ihr „Sie können ihn doch nicht einfach so gehen lassen, der kommt doch nie wieder! Glauben Sie ja nicht, dass ich seinen Kaffee bezahle, wir kennen uns schließlich kaum.“

Sie aber zuckt nur mit den Schultern und macht wie immer weiter, als wenn es das Normalste auf der Welt wäre. Na mir soll es egal sein, aber so eine Angestellte ist doch schlecht fürs Geschäft, was wohl der Inhaber dazu sagt? Aber wahrscheinlich weiß er es gar nicht und wenn er mal da ist, wird sie ihn und die Kunden regelrecht anschleimen. Widerlich solche Leute.

Na zum Glück ist morgen Wochenende, da treffe ich Tiberius wieder.

*

Ich weiß einfach nicht, was ich anziehen soll. Nicht dass ich nicht für jede Gelegenheit etwas Passendes habe, aber Tiberius hat ja wahrscheinlich gar keinen Anzug und wenn ich dann besonders schick angezogen bin, kommt er sich vielleicht blöd vor, da er nicht so viel Geld hat. Hm, nun gut, ich glaube der schwarze Hosenanzug ist dann wohl die beste Wahl. Wenn auch er etwas Schickes anhat, können wir in ein gutes Restaurant und wenn er nur in Jeans daherkommt, gehen wir einfach in ein bürgerliches Gasthaus. Jetzt aber nichts wie los, nicht, dass er noch denkt, ich würde ihn versetzten.

Als ich vor dem Bahnhof ankomme, erkenne ich ihn zuerst gar nicht. Er sieht umwerfend aus. Er hat einen perfekt sitzenden blauen Anzug, der ihm auch noch super steht. Ich hatte schon befürchtet, dass er seinen alten, viel zu kleinen Anzug, den er das erste und einzige Mal, bei seiner Konfirmation getragen hatte, anhat. Wir begrüßen uns mit Wangenküsschen. Natürlich frage ich ihn nicht, wo er denn den tollen Anzug herhat. Wahrscheinlich hat er ihn ja nur geliehen und dann würde ihn so eine Frage sicher in Verlegenheit bringen. Ich hatte mir zum Glück bereits vorher verschiedene Restaurants, die in Frage kommen, überlegt, je nachdem halt. Aber so wie er aussieht, können wir getrost in mein Lieblingsrestaurant gehen. Auf der Fahrt dorthin unterhalten wir uns ein bisschen über die vergangenen Tage und so vergeht die Fahrzeit schneller als gedacht.

Der Vorteil, wenn man berühmt ist, ist, dass man auch ohne Reservierung einen Tisch bekommt. Nach dem Gruß aus der Küche und der Vorspeise entschuldigt er sich auf die Toilette. Als nach etwa zehn Minuten der Kellner das Essen servieren will und Tiberius immer noch nicht da ist, bleibt mir wohl nichts Anderes übrig, als mal kurz nach ihm zu sehen. Deshalb gehe auch ich zur Toilette. Ich höre schon kurz vorher, dass er sich im Vorraum mit der Toilettenfrau unterhält, also bleibe ich einem Moment stehen und überlege, was ich jetzt tun soll. Vermutlich fühlt er sich hier, in einem so vornehmen Restaurant, einfach nicht wohl.

Nachdem ich die Tür öffne, strahle ich Tiberius an und sage „ach, hier bist du, ich dachte schon, dir sei schlecht geworden und jetzt wollte ich mal nach dir schauen. Das Essen wurde gerade serviert, aber wenn du möchtest, können wir auch einfach abhauen, wir müssen ja nicht hierbleiben.“

„Oh, hallo Toni. Tut mir leid, ich habe mich wohl verquatscht und die Zeit ganz aus den Augen verloren. Ich komme schon, so ein tolles Essen sollten wir uns auf gar keinen Fall entgehen lassen.“ Antwortet er mir und verabschiedet sich noch von der Toilettenfrau, bevor wir zusammen zurück an unseren Tisch gehen.

Es wurde dann doch noch ein richtig toller Abend, wir haben viel geredet und auch viel gelacht. Wir schwimmen auf der gleichen Wellenlänge und haben zu vielen Themen die gleichen Ansichten. Das hätte ich ehrlich gesagt nicht erwartet. Ich habe ihn ja im Grunde nur eingeladen um mich bei ihm zu bedanken, aber jetzt sieht das Ganze natürlich anders aus. Nach dem Essen sind wir noch ein bisschen am Fluss entlanggelaufen. Die Nacht war zum Verlieben, der Mond spiegelt sich auf dem Wasser und wir schlenderten Hand in Hand den Weg entlang, es fühlte sich unbeschreiblich toll an. Immer wieder bleiben wir stehen und lauschen dem Geräusch der Wellen, wenn diese am Ufer auslaufen. Als ich Tiberius dann wieder zurück zum Bahnhof gebracht habe, sind wir noch gut eine Stunde in meinem Auto gesessen und haben geredet. Bevor wir uns dann verabschieden und noch ein weiteres Treffen ausmachen, sagt er schließlich „und diesmal lade ich dich ein. Dein Auto brauchen wir dann nicht.“ Dann gibt er mir einen Kuss und will gerade die Autotür öffnen, da ziehe ich ihn noch mal her und wir knutschen minutenlang. Herrlich, wie unersättliche Teenager.

 

*

Ein paar Tage später sitze ich wieder im ‘Milchkaffee‘, lese gerade ein gutes Buch und erschrecke mich sehr, als ich angeschnauzt werde.

„Du sitzt auf meinem Platz!“

Es ist der nette Herr, der mir neulich das mit dem Handy erklärt hat, wobei, heute ist er überhaupt nicht nett. Ich schaue zu ihm auf und will schließlich von ihm wissen „was meinen Sie mit ‘ihr Platz‘? Steht da Ihr Name drauf, oder ist der irgendwie anders reserviert?“

„Ja, das ist mein Platz, das weiß hier jeder. Aber ich will heute mal eine Ausnahme für dich machen, da ich gerade sehe, dass du ein gutes Buch liest. Wie gefällt es dir denn?“

Will er nur ablenken, oder was soll das mit dem Buch? „Nun, ich muss sagen, es gefällt mir sehr gut. Kennen Sie es etwa?“, frage ich ihn, wobei ich mir eigentlich nicht vorstellen kann, dass er überhaupt Bücher liest, höchstens vielleicht Comics.

„Sag mal, warum siezt du mich eigentlich so hartnäckig? Ich bin Erik mit K.“

„Mitka, der Name kommt mir irgendwie bekannt vor. Ist das nicht eine Schauspielerin? Oder hieß eine Mitschülerin von mir so? Ich weiß es nicht mehr.“

„Nein, nicht Mitka, mein Vorname ist Erik und der schreibt sich mit K.“

„In Erich ist doch gar kein K?“, entgegne ich ihm erstaunt.

„Das stimmt, in Erich nicht, aber in Erik schon, wie der Wikinger.“

„Oh, Entschuldigung,“ das kommt mir irgendwie bekannt vor, denke ich so bei mir, dann sage ich lächelnd „ich bin Toni“ und strecke ihm die Hand hin.

Erik schüttelt mir die Hand, schaut jedoch kritisch und meint dann „Toni, das ist ja eigentlich eher der Name für einen Jungen und nicht für ein Mädchen.“

„Hm, das habe ich neulich schon mal gehört. Kennst du denn irgendwelche berühmten Männer die Toni heißen?“, frage ich Erik deshalb.

„Ja aber hallo, logisch. Da gibt es viele. Als da wären Toni Micelli aus der Fernsehserie ‘Wer ist hier der Boss?‘ oder natürlich auch Toni Schuhmacher. Um nur mal ein paar wenige zu nennen.“

Diesmal bin ich vorbereitet, da ich mir, nachdem Tiberius auch von diesen Tonis sprach, diese mal im Internet angeschaut habe. Deshalb sage ich zu Erik „ja, aber sag mal, dieser Tony Micelli schreibt sich doch mit y und nicht mit i, oder? Der zählt da ja praktisch gar nicht dazu. Und heißt der Schumacher denn nicht Michael?“

„Ja, das ist teilweiße richtig. Dieser Micelli schreibt sich zwar mit y, aber das ist nur diese merkwürdige amerikanische Schreibweise, deshalb zählt er schon.“ Hätte nicht gedacht, dass sie das weiß, denke ich so bei mir und sage dann noch „und welchen sagtest du noch, Michael? Du meinst den Typen mit dem langen Kinn, der immer im Kreis fährt. Den gibt es zwar schon, ja, aber Toni war schon berühmt als es deinen Michael noch gar nicht gab und außerdem ist ja im Kreis fahren auch keine Beschäftigung für einen richtigen Mann.“

Genau wie Tiberius, hier muss irgendwo ein Nest sein. Deshalb tue ich überrascht und meine schließlich „du kennst dich mit Prominenten ja richtig gut aus, was?“

„Klar doch. Das wäre ja wohl auch voll peinlich, wenn ich zufällig einen Prominenten träfe, vielleicht sogar hier im Café, und diesen dann nicht erkennen würde? Das geht ja schon mal gar nicht. Nein, da muss man schon ein bisschen auf Zack sein.“

Da ich nicht gerne über meinen Vornamen rede, wechsle ich schnell das Thema und sage zu Erik „also ich hätte ja nicht gedacht, dass du hier überhaupt noch mal auftauchst.“ Er schaut mich verwundert an, weshalb ich ihm erkläre „na, nachdem du neulich einfach so, ohne zu bezahlen, gegangen bist. Du sagtest, dass du zum Bäcker gehst und gleich wiederkommst. Also ich hätte dir das nicht geglaubt. Der Bedienung war es egal, sie zuckte nur mit den Schultern als ich sie darauf ansprach.“

Er sieht mich überrascht an und meint schließlich „ja aber warum hätte ich denn nicht wiederkommen sollen, wenn ich es doch gesagt habe? Ich glaube du willst nur davon ablenken, dass du auf meinen Platz sitzt. Jetzt zeig doch mal, was liest du denn da gerade für ein Buch?“

Ich lege mein Lesezeichen rein, klappe es zu und zeige es Erik, wobei ich nicht glaube, dass er es kennt. „Es heißt ‘Liebe mit der zweiten Frau‘ und handelt von einer außergewöhnlichen Frau, die auf dem Höhepunkt ihrer Karriere einen krassen Schnitt in ihrem Leben vollzogen hat und dann kommt auch noch raus, dass sie lesbisch ist. Kann ich nur empfehlen, ich lese es bestimmt schon zum vierten Mal.“

Natürlich hatte ich das Buch schon von weitem erkannt, aber noch spiele ich das Spielchen mit und frage sie ganz unschuldig „und welche Szene findest du am besten?“

Toni schaute mich überrascht an und sagt schließlich „kennst du es etwa? Also der Anfang war zwar ganz nett, aber mir hat der Abschnitt wo sie erzählt, was nach der Siegesfeier im Zelt, beziehungsweise davor, gewesen ist, am besten gefallen. Und welches ist deine Lieblingsszene?“

„Ja, da hast du recht Toni, die mit der Siegesfeier ist klasse. Aber mein Favorit ist der Teil mit dem Video ‘kitzeln bis der Arzt kommt‘“, antworte ich ihr.

„Stimmt“, nicke ich zustimmend „die Stelle ist auch sehr gut. Ich muss zugeben, ich bin doch etwas überrascht, dass du das Buch kennst. Aus meinem Bekanntenkreis kannte es keiner. Und wie bist du dazu gekommen das Buch zu lesen, lass mich raten, du hast es von deiner Freundin geschenkt bekommen und musstest es quasi lesen?“

Ich grinse Toni an und antworte ihr schließlich „nein, so war es nicht ganz. Ich habe das Buch geschrieben.“

Sie schaut mich misstrauisch an „du hast das Buch geschrieben? Das gibt’s doch gar nicht. Das glaubt mir keiner, wenn ich erzähle, dass ich einen berühmten Buchautor kenne. Moment mal, dann bist du dieser Erik aus dem Buch, ist dir das etwa alles so passiert?“

„Ja und nein. Es gibt in dem Buch zwar Dinge die mir so passiert sind, aber das Meiste ist meiner Fantasie entsprungen.“

*

Es war gestern noch ein richtig netter Nachmittag mit Erik, ich kann es immer noch nicht fassen, dass er das Buch geschrieben hat. Aber jetzt freue ich mich auf das Essen mit Tiberius. Ich bin schon ganz gespannt, wo wir landen werden. Als ich ihn am Bahnhofseingang stehen sehe, winke ich ihm und auch er entdeckt mich daraufhin und winkt zurück. Zur Begrüßung umarmt er mich erstmal und wir küssen uns. Diesmal ist er nicht so aufgedonnert wie letztes Mal. Er hat eine dunkle Jeans an und ein rotes T-Shirt, steht ihm aber beides sehr gut.

„Hallo Toni, komm, lass uns zum Bahnsteig gehen, der nächste Zug geht in ein paar Minuten.“

„Klar“, antworte ich Tiberius und frage auch noch „wohin willst du mich denn entführen?“

„Das verrate ich dir doch jetzt noch nicht.“ Sagt er mir lachend. „Wirst sehen, es ist bestimmt etwas das du schon länger nicht mehr gegessen hast und alleine deshalb lohnt es sich hinzugehen, aber selbst falls ich mit meiner Vermutung falsch liege, schmeckt es einfach nur genial.“

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