Sonnentanz

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7.

Drake

Drake war sauer. Total sauer! Auf sich selber, auch auf Emily, aber vor allem auf sich selber. Er hätte eher mit ihr sprechen müssen, bevor . . . vor diesem Desaster jedenfalls. Aber wann, fragte er sich.

„Lass mich in Ruhe!“, knurrte Drake. Obwohl er keinen sah, wusste er, dass einer seiner Jungs da war. Heute war es Tristan.

Zum Glück für ihn lag Emilys Wohnung außerhalb der City in einem der Vororte. Hinten raus war fast sofort der Rhein. Hier gab es lange Wiesen und Wege, wo er laufen konnte. Und nur ein paar Hundert Meter weiter gab es Wald. Er verfiel in einen schnellen Lauf und Soleigh rannte neben ihm her. Je näher sie dem Wald kamen, desto leichter fühlte sich Drake. Als sie den Wald erreichten, fühlte sich Drake besser. Hier fühlte er sich wohler. Hier konnte er mehr er selbst sein. Hier lief er mit Soleigh um die Wette. Und Tristan durfte mitlaufen.

Der Abend hatte so gut angefangen. Wenn er nur daran dachte, wurde er schon wieder heiß. Nun war er nicht sicher, ob er sie schon verloren hatte, bevor es überhaupt angefangen hatte.

Emily

‚Seit Tagen.‘

‚Die letzten Tage.‘

‚So viel hatte er die letzten Tage nicht geredet.‘

Emily saß mit dem letzten Rest aus der Rotweinflasche in der Küche. Ihre eigenen Gedanken gingen ihr nicht mehr aus dem Kopf. Irgendwas war falsch daran. Aber was? Dann fiel es ihr auf.

Gestern! Es war erst gestern gewesen, als er in der Bar aufgetaucht war. Freitag! Am Freitagabend. Heute war erst Samstag. Es war Samstagabend, gerade halb Elf. Sie kannte ihn noch nicht mal 24 Stunden. Oder gerade erst. Oder vielleicht auch nicht. Oder schon fast ein Jahr? Nein. Nein! Es war gestern gewesen. GESTERN! Er hatte Recht. So ein Mist aber auch. Aber er hatte Recht. Sie lernten sich gerade erst kennen. Was wusste sie überhaupt von ihm? Nichts. Gar nichts. Er könnte ein Triebtäter oder Serienmörder sein!

Serienmörder? Serienmörder!? Das Déjà-vu-Gefühl war wieder da. Ihr Herz, das gerade erst langsamer geworden war, klopfte wieder hart in ihrer Brust. In ihrem Kopf ratterte es. Und dann wusste sie es. Erschrocken stieß sie die Luft aus! Sie musste an diesen Typen denken, den, den sie nachts auf der Straße umgerannt hatte. Auch zu ihm hatte sie soweit aufsehen müssen. Genau, wie gestern Abend in der Bar, als Drake neben ihr stand. Sein Freund hatte seinen Namen gerufen. Drake! Entsetzen machte sich in ihr breit. Einige seiner Worte gingen ihr wieder durch den Kopf. Emily drückte sich die Hände auf die Brust und begann zu zittern. Er war ein Stalker. Ein Stalker! Und er wusste, wo sie wohnte. Er war hier in der Wohnung gewesen. Und sie war mit ihm im Bett gewesen. Fast hätte sie mit ihm geschlafen! Emily schüttelte sich. Und jetzt war er mit Soleigh unterwegs! Hoffentlich brachte er sie wieder! Gesund und lebendig und heile!

Emily rannte aufgeregt durch die Wohnung. Sie suchte und fand seine Tasche. Woher hatte er die Tasche?

Wann hatte er sie in ihre Wohnung gebracht? Sie wurde immer panischer. Sie atmete zu schnell, zu flach. Sie hyperventilierte fast. Alle Sachen, die sie von ihm fand, schmiss sie in die Tasche. Dann holte sie ihr Handy und wählte Sues Nummer. Schon nach dem zweiten Klingeln ging sie ran.

„Em, meine Liebe, wie geht es Dir?“, fragte Sue tröstend.

„Sue, bist Du zu Hause?“, fragte Emily aufgeregt.

„Ja, bin ich.“

„Ist Bastian bei Dir?“

„Ja, natürlich. Emily, was ist los?“

„Ich glaub, er ist ein Stalker!“ Emily war total aufgebracht. „Ein Stalker! Und ich hab ihn mit nach Hause genommen!“ Sie schrie fast.

Es klingelte. Einmal, zweimal.

„Hast Du das gehört?“, flüsterte Emily ins Handy.

„Ja!“ flüsterte Sue zurück.

„Das ist er!“

„Dann mach die Tür nicht auf! Bastian, Bastian! Du musst sofort zu Emily fahren! Ich erklär’s Dir unterwegs!“

„Leg nicht auf Sue!“ Emily weinte fast.

„NEIN, aber Du, mach nicht die Türe auf! Wir sind unterwegs.“

„Ich muss aber.“ Emily schluchzte. „Er hat Soleigh!“

Es klingelte wieder. Einmal, zweimal.

„Sue, ihr seid unterwegs?“

„Ja! Ich hab Deinen Schlüssel dabei!“

„Bleib bloß dran, hörst Du! Und Sue?“

„Ja?“

„Ich hab Dich lieb.“

„Ich dich auch.“

Emily holte tief Luft. Sie drückte auf den Türöffner. Dann machte sie am Handy den Lautsprecher an und stellte das Handy auf die Ablage, direkt neben der Tür.

„Hörst Du mich?“

„Ja!“

Drake

Als sie die Tür öffnete, erkannte er sofort, dass was nicht stimmte. Sie sah . . . aufgebracht aus und er roch Angst an ihr. Seine Tasche stand neben ihr.

„Was ist passiert?“, in seiner Stimme schwang Sorge mit.

Emily hob die Hand und sagte nur: „Stop!“. Drake blieb irritiert stehen.

„Emily, bitte sag es mir, was ist passiert?“

Sie ignorierte Drake, rief Soleigh zu sich und vergewisserte sich, dass es ihr gut ging. Soleigh lief gleich in die Küche und Emily hörte sie trinken.

„Ich will nur eins von Dir wissen.“, sagte Emily laut und bestimmt. „Und sag mir die Wahrheit: Bist Du ein Stalker?“

Drake war nun völlig irritiert. „Ich? Ein Stalker? Nein, nun wirklich nicht.“ Er lachte.

„Ok.“, sagte Emily. „Im Januar irgendwann, da hab ich nach der Bar 'nen Typen auf der Straße angerempelt. Sag ehrlich, warst Du das?“

Drake sah erst überrascht, dann zerknittert aus. „Ja.“ Seine Stimme war leise.

„WAS? Ich kann Dich nicht hören.“

„Ja. Das war ich.“ Drake stellte sich aufrecht hin und sah ihr geradewegs in die Augen. „Ja, Emily, das war ich. Aber nur weil ich Dich gesucht und gefunden hatte. Ich bin kein Stalker!“

Sue rief „Oh nein! Bastian, fahr schneller. Beeil Dich! Wir sind gleich da!“

„Seit wann verfolgst Du mich?“ Emily wurde immer ruhiger.

„Ich verfolge Dich nicht!“

„SEIT WANN?“

„Ich habe Dich gesucht, seit letztem Jahr, auf der Kirmes. Und dann hab ich Dich gefunden. Bitte, Emily, kann ich nicht reinkommen und wir reden in Ruhe darüber?“ Drake machte einen Schritt auf sie zu.

„STOP!“, sagte Emily laut und Drake blieb stehen.

„Du warst laufen?“, fragte sie.

„Ja!“

„So?“

Drake sah an sich herunter. Er trug nur seine Jeans. Kein Shirt, keine Schuhe. Noch nicht mal Socken. Kein Mensch würde so laufen gehen. Richtig, kein Mensch.

Die Fahrstuhltüren öffneten sich. Bastian trat als erster in den Flur, dann Sue. Soleigh kam angelaufen und rannte zu Sue, begrüßte Bastian und blieb dann bei Drake stehen und sah ihn mit ihren großen Kulleraugen an.

„Soleigh mag mich.“, flüsterte er.

„Ich hasse Dich!“ Emily schrie ihn fast an.

Sue nahm Soleigh und ging mit ihr in die Wohnung. Bastian blieb breitbeinig neben Emily stehen und verschränkte die Arme. Er war Boxer und gar nicht mal so schlecht.

Emily kickte mit dem Fuß die Tasche raus. Sie holte tief Luft.

„Ich will Dich nie mehr sehen. Lass mich in Ruhe. Wenn Du mir noch einmal zu nah kommst, verklage ich Dich und hetze Dir die Bullen auf den Hals.“ Dann knallte sie die Türe zu.

Fassungslos stand Drake im Flur. Er hatte nur einen Gedanken: „Ich hab sie verloren!“

8.

Emily

Dies war nun fast 5 Wochen her. Seitdem war sie nicht einen Tag allein gewesen. Niki hatte sich bei ihr einquartiert. Sue und Bastian waren fast täglich da. Chris und Rafe kümmerten sich um sie. Und Henni kochte fast täglich für sie.

Die ersten Tage, nachdem sie Drake rausgeschmissen hatte, hatte sie nichts mehr von ihm gehört. Doch am Donnerstagabend mussten sie auftreten. Emily hatte sich umgeschaut, doch der Tisch war leer. Aber an der Bar stand Jared.

Die Bar war schon gut gefüllt, doch das war Emily egal. Wutentbrannt ging sie zu ihm hin.

„Hau ab!“

„Emily, es tut ihm leid. Wirklich. Er ist kein Stalker.“, versuchte er einzulenken.

„Jared, das ist mir egal, Hau ab und sag ihm, er soll mich in Ruhe lassen!“

„Das kann ich nicht. Ich kann nicht gehen.“

„Warum?“

„Ich passe auf Dich auf.“, sagte Jared leise.

„Auf mich aufpassen? Was soll das heißen? Die einzigen, die für mich eine Gefahr darstellen, seid ihr. Geh, oder ich lass Dich rauswerfen.“

Jared sah sie noch einmal an. „Es tut ihm wirklich leid.“ Dann ging er. Doch sowohl am Freitag, als auch am Samstag und am Sonntagabend war Jared wieder da.

Emily ignorierte ihn.

2. Woche, Donnerstag

Die Woche danach war es dasselbe Spiel. Nur war diesmal Maddox da.

„Maddox,“ Emily war genervt. „Was willst Du hier?“

„Es tut ihm leid. Wirklich.“

„Das ist mir scheißegal. Geh! Geh weg!“

Montag

Ein Bote brachte 20 weiße Lilien. In der Karte stand „Kennst Du die Bedeutung von weißen Lilien? ‚Nichts kann reiner und edler sein als unsere Liebe.‘ – Außerdem riechen sie wie Du. Drake“

Fast zeitgleich klingelte ihr Handy. Eine WhatsApp von einer Nummer, die sie nicht kannte. Es war nur eine Musikdatei. Sie drückte auf Start und „Olly Murs“ sang:

Mein Liebling, bitte entschuldige meine Schrift. Meine Hände hören nicht auf zu zittern, weil mir kalt ist und ich allein bin heute Nacht. Ich vermisse dich und nichts tut so weh, wie ohne Dich zu sein. Niemand versteht, was wir durchgemacht haben. Es war kurz, es war süß. ´

Ihre Hände zitterten und ihr standen Tränen in den Augen. Die Lilien warf sie ungespitzt in den Mülleimer. Dann rannte sie auf die Terrasse und schrie „Lass mich in Ruhe! Hau ab! Ich hasse Dich!“ Danach ging es ihr besser. Sie konnte nicht ahnen, dass Maddox unten stand und sie hörte. Später nahm sie dann doch die Lilien aus dem Eimer und in eine Vase. Schließlich konnten die Blumen nichts dafür und sie liebte Lilien.

 

3. Woche, Donnerstag

Als Emily mit Niki in die Bar kam, waren erst ein paar Gäste da. Doch an der Bar stand wieder einer von seinen Freunden. Diesen kannte sie nur vom Sehen. Sie wollte einfach an ihm vorbei gehen, doch der Typ stellte sich ihr in den Weg. Er streckte die Hand aus, als ob er ihr die Hand schütteln wollte. Abschätzend blickte Emily erst auf seine Hand, dann in sein Gesicht und verschränkte demonstrativ ihre Arme voreinander.

„Oh, ok. Hey, ich bin Tristan. Ich bin diese Woche für Dich da.“

Völlig genervt blicke Emily Niki an, dann wollte sie weitergehen.

„Emily.“, sagte Tristan. „Es tut ihm leid. Es geht ihm schlecht. Er ist total durch den Wind. Er möchte mit Dir reden. Er möchte sich erklären.“

Emily drehte sich wortlos um und ließ ihn stehen.

Montag

Abends um 19.00 Uhr stand der Bote vor ihrer Tür. Diesmal brachte er 20 weiße Narzissen mit einer Karte. ‚Meine Liebe zu dir scheint aussichtslos. Meine Sehnsucht nach dir ist unvergänglich.‘ Ihr Handy klingelte und Emily stöhnte auf. Niki riss ihr das Handy aus der Hand.

„Lass das!“, schimpfte Emily, doch Niki hatte schon den Playknopf gedrückt. Die ersten Töne erklangen und Emily wusste sofort, es war „Hurts“ mit „Stay‘“.

Mein Leben lang wart’ ich auf den richtigen Moment und darauf, Dir zu sagen, was ich fühle. Ich weiß, ich versuche Dir zu sagen, dass ich Dich brauche und hier bin ich, ohne Dich. Ich fühle mich so verloren, doch was kann ich tun? Denn ich weiß, diese Liebe scheint echt, aber ich bin mir nicht sicher. Obwohl ich sagte, dass ich Dich brauche, bin ich trotzdem alleine hier. Ich fühl mich verlor’n, doch was kann ich tun?

Tränen liefen Emily die Wangen entlang.

Also ändere Deine Meinung und sag, du bist die Meine. Geh nicht heute Nacht. Bleib.

Bleib bei mir.

4. Woche, Donnerstag

Schon von weitem konnte sie ihn sehen. Sam stand vor der Türe zur Bar.

„Ok, du bist jetzt der Vierte.“, sagte Emily. „Seid ihr jetzt durch oder fehlt noch einer? Lasst ihr mich dann ab nächster Woche in Ruhe?“

„Nein, das glaube ich nicht. Tut mir leid. Ich bin übrigens Sam. Wenn Du mich brauchst, ich bin hier.“ Dann drehte Sam sich um und stapfte in die Bar.

„Wie? War das alles?“, rief Emily hinter ihm her. „Kein ‚Es tut ihm leid‘ heute?“

„Nein.“, sagte Sam, setzte sich an die Theke und bestellte bei Jens ein Bier.

„Es tut ihm also nicht mehr leid?!“

Sam

„Doch Emily. Es tut ihm leid. Aber das weißt Du doch mittlerweile und willst es nicht hören.“ Sam klang ärgerlich. „Also, was hast Du für ein Problem? Er möchte sich entschuldigen. Er möchte mir Dir reden. Er möchte erklären, was gewesen ist. Ich find das zwar keine gute Idee, aber was soll’s. Du gehörst zu ihm, nicht zu mir. Aber Du gibst ihm keine Chance. Also, was soll ich sagen, was Du wahrscheinlich noch nicht weißt?“ Sam drehte sich zur Bar und schnappte sich sein Bier. Er ließ Emily einfach stehen und nahm einen großen Schluck.

„Arschloch!“, murmelte Emily, als sie an ihm vorbei zur Bühne ging.

Sam lachte und schüttelte den Kopf. Da soll mir doch einer die Frauen verstehen. Erst wollte sie wochenlang nichts hören, mit keinem von ihnen reden. Und jetzt war sie beleidigt, weil er ihr nichts sagen wollte? Frauen!

*****

Emily

Ihr Problem war, dass sie – nach 4 Wochen Nachdenken und ausführlichen Gesprächen mit ihren Freunden, in denen sie immer wieder wiederholen musste, wer was wann gesagt hatte und was er gemacht hatte – nicht mehr zu 100% davon überzeugt war, dass er ein Stalker war. Vielleicht gab es doch eine andere Erklärung. Sicher half ihr dabei nicht, dass auch alle ihre Freunde nicht mehr davon überzeugt waren. Doch jetzt war sie bereit, mit ihm zu reden, ihm zuzuhören.

An diesem Wochenende sang sie zuerst Lieder wie „Rolling in the deep“ von „Adele“ oder „So what“ von „Pink“. Doch je weiter das Wochenende fortschritt, desto weicher wurden auch die Lieder. Bis sie zum Schluss „One and Only“ von „Adele“, „Who knew“ von „Pink“ oder Titel von „Roxette“ spielten.

Als am Sonntag “Just give me a reason” von “Pink und Nate Ruess“ erklang, waren viele erstaunt. Das war neu. Sie hatten noch nie Duetts vorgetragen, aber Chris übernahm den männlichen Teil und das war super. Als Chris Zeilen begannen, ging Emily mit ihrem Mikro zum Schlagzeug. An diesem Abend sangen sie viele Duette und den Gästen der Bar schien es zu gefallen.

Zum Schluss sang Emily noch ein Lied von „Adele“. „Hello“ klang durch den Raum und sie sah dabei Sam an. Nach den ersten Tönen stand auf einmal Drake neben Sam. Wo – um alles in der Welt – kam der jetzt her? Wie immer hatte sie das Gefühl, in seinen Augen zu versinken und sie sang jede Strophe nur für ihn. Doch als die letzten Töne verklangen, drehte Drake sich um und ging hinaus.

„Eins noch!“, rief Emily. „Das letzte Lied des Abends.“ Drake blieb in der Türe stehen. „Set fire to the rain“. Dann war er weg.

Montag

Pünktlich wie immer stand der Bote vor der Türe. Er hatte noch nicht wirklich geklingelt, da hatte Niki schon die Tür aufgerissen.

„Was gibt es heute?“, fragte Niki aufgeregt.

„20 rote Rosen. Aber nicht für Sie!“

„Oh, rote Rosen. Emily, komm her, rote Rosen für Dich.” rief Niki.

Emily nahm die Rosen entgegen. „Sind das etwa . . . ?“, fragend sah sie den Boten an.

„Ja.“ Vorsichtig legte er ihr 20 langstielige dunkelrote Baccara Rosen in den Arm.

„Die müssen ja ein halbes Vermögen gekostet haben.“ Emily schüttelte den Kopf.

„Oh ja!“, bestätigte der Bote. „Das haben sie!“.

Niki las die Karte vor: „Du hast mein Herz gewonnen. Ich bin verrückt nach Dir. Drake“ Niki lachte „Oh wie romantisch! Wo ist Dein Handy? Es muss gleich klingeln! Ich bin gespannt, was er diesmal schickt!“

*****

Donnerstag

Es war ihr freies Wochenende und Emily saß mit ihren Freunden auf der Terrasse. Die Sonne ging langsam unter und sie diskutierten darüber, wie es mit Emily und Drake weitergehen sollte.

„Ich finde, du solltest ihn anrufen. Seine Handynummer hast Du ja.“, meinte Rafe.

„Nein, auf keinen Fall!“, warf Sue ein.

„Der Meinung bin ich auch.“ Niki nickte. „Er muss sich melden.“

„Aber dann, Emily, musst Du ihm auch 'ne Chance geben!“, warf Chris ein. „Kein Rückzieher!“

„Ich weiß gar nicht, was ich ihm sagen soll.“ Emily holte tief Luft. „Ich will mich nicht bei ihm entschuldigen. Er hat sich doch wohl falsch verhalten!“

„Ja. Ja, das hat er.“ Alle stimmten ihr zu.

„Außerdem gehe ich nirgends mit ihm allein hin. Ihr müsst mich alle begleiten.“ Alle lachten.

„Also, wenn er jetzt anrufen würde, dann spreche ich mit ihm!“ Niki war sehr bestimmt.

Prompt klingelte Emilys Handy. Alle schauten sich an. Niki sprang auf und rannte ins Wohnzimmer, wo das Handy auf dem Tisch lag.

„Er ist es!“, rief sie.

„Ey, wie kann das sein? Hat der hier Wanzen versteckt?“ Bastian lachte.

Sue boxte ihn auf die Schulter. „Sag das nicht, sonst ist er doch ein Stalker!“

Emily hörte kaum zu, sie stand schon in der Türe und beobachtete Niki.

„Privatsekretärin von Emily und außerdem die Wand, an der DU erst mal vorbei musst! Was gibt’s?“ Niki hörte zu. „Nein, kannst Du nicht, Du musst schon mit mir sprechen.“ Pause. „Ok, warte.“ Sie hielt das Handy an ihren Bauch. „Emily, morgen Abend schon was vor?“ Emily schüttelte den Kopf. „Ja!“ Niki sprach wieder ins Handy. „Das geht. Wo?“ Pause. „Nein, auf keinen Fall! Wir kommen.“ Pause. „Ok, sieben Uhr?“ Pause. „Und Drake? Keine Fehltritte! Und – wir kommen ALLE mit, nur dass Du es weißt. Also reserviere einen großen Tisch. Wir sind . . .“ Niki zählte durch: „Eins, zwei, drei . . . sechs.“ Damit legte sie auf.

9.

Drake

Drake hatte bei dem kleinen Italiener den ganzen Wintergarten angemietet. Geld spielte keine Rolle, er musste sie zurückgewinnen. Irgendwie. Was er ihr sagen wollte, wusste er immer noch nicht genau.

„Sie kommt.“ Er hob die Nase in die Luft. Er roch . . . Lilien, Wald, Sie. Aufregung, Schweiß. Aber auch Angst. Wenn sie ihn doch nur so wahrnehmen könnte wie er sie, dann wüsste sie, dass auch er Angst hatte.

Emily

„Emily.“ Jared empfing sie und bot ihr seinen Arm an. „Schön, dass Du da bist.“

„Jared.“ An der Tür standen die anderen. Klar, als würde er alleine kommen. „Seid ihr eigentlich siamesische Fünflinge?“, wunderte sich Emily.

„Nein. Hallo Emily.“, sagte Maddox und hielt ihr die Hand hin. „Du zitterst. Emily, er hat auch Angst, genau wie Du. Du bist ihm sehr wichtig.“ Jared brachte sie zu Drake.

Der Wintergarten, in den Jared sie brachte, war mit hunderten von Kerzen geschmückt. Hinten links stand ein kleiner runder Tisch, an dem Drake stand. In der Hand hatte er eine einzelne rote Rose. Jared ließ Emily los und schubste sie regelrecht in den Raum.

Drake kam mit ausgestrecktem Arm auf sie zu. „Emily.“ Sie legte ihre Hand in seine. Ihr Herz klopfte allein bei seinem Anblick einen Takt zu schnell und sie musste schlucken. Es war total bescheuert, aber wenn sie in seine Augen sah, vergaß sie alles um sich herum. Sie sah nur noch ihn. Sie versank in seinen Augen, als würde sie in einem warmen Meer baden. Emily wusste es nicht, aber für Drake war es ähnlich. Nur dass er ‚nach Hause kam‘, wenn er sie ansah.

Nun saßen sie an dem kleinen Tisch, tranken Rotwein und ihre Vorspeise hatten sie aufgegessen. Am anderen Ende des Wintergartens saßen ihre Freunde zusammen an einem großen Tisch und dort wurde schon gelacht. Sie verstanden sich gut.

*****

Drake

„Puh.“ Drake rieb seine Handflächen über seine Beine. „Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Ich . . .“ er holte tief Luft. „Ich fang einfach an, wahrscheinlich wird’s durcheinander.“

„Du bist nervös?“, bemerkte Emily erstaunt.

„Ähm, ehrlich gesagt, ja. Total.“

„Ok, pass auf. Du kannst mir alles sagen. Ich will hören, was Du mir zu sagen hast. Also, alles was Du bereit bist, mir zu erzählen. Ich hoffe sehr, dass Du mich nicht anlügst. Aber ich bin hier, um Dir zuzuhören. Du musst mir nur eines versprechen, Du musst mir die Wahrheit sagen.“ Emilys Stimme zitterte leicht.

„Mmh, gut. Ich verspreche es. Wobei, ich hab Dir schon immer die Wahrheit gesagt. Aber egal. Also, als Erstes: Ich bin kein Stalker! Obwohl ich gestehen muss, dass es sich wahrscheinlich für Dich so anfühlt. Ich kann Dir einiges noch nicht erklären – noch nicht! – aber das liegt daran, dass ich mir über einiges selbst erst mal sicher sein muss. Es liegt also nicht an Dir! Ich habe mich lange mit den Jungs unterhalten und mit meinem Vater fast zerstritten, bis meine Mutter eingriff. Als ich Dich im letzten Jahr gero . . .“ Er unterbrach sich selber. „. . . gesehen habe, als ich Dich gesehen habe – ich kann es nicht erklären, aber ich fühlte mich sofort zu Dir hingezogen. Und dann habe ich Dich gesucht und nicht gefunden. Fast drei Monate lang. Mein Vater hat Ärger gemacht und die Jungs wollten weiter. Aber ich konnte nicht. Ich wollte nicht. Ich wollte erst Dich finden. Und dann hab ich Dich gefunden, in der Bar. Schon letztes Jahr. Aber ich konnte mich Dir einfach noch nicht vorstellen. Und ja, seitdem versuche ich, Dir nahe zu sein. Und wenn ich nicht konnte, hab ich einen von ihnen . . .“, Drakes Kopf ging nach links, „. . . geschickt. Damit sie auf Dich aufpassen.“

„Also doch.“, flüsterte Emily atemlos.

„Warte! Verurteile mich nicht. Bitte. Es ist so, ich komm aus Montana, Amerika. Das hört man wohl.“ Emily lächelte und nickte mit dem Kopf. „Ich musste dann also erst einmal einigermaßen Deutsch lernen. Ich habe mir eine Wohnung gesucht am Bodensee. Wir haben in Reichenau ein Haus gefunden. Die Insel liegt im westlichen Teil des Bodensees, dem Untersee, zwischen Konstanz und Radolfzell und ist die größte Insel im Bodensee. Wusstest Du, dass sie seit 2000 mit dem Kloster Reichenau sogar auf der UNESCO-Liste des Welterbes verzeichnet ist? Na ja, jedenfalls musste ich auch zurück. Mit meinem Vater reden, er hatte schon Ärger gemacht. Es ist so, Emily, ich bin zwar kein richtiger Indianer, aber wir stammen irgendwie von den Blackfeet ab. Und wir leben in so was Ähnlichem wie in einem . . . Stamm oder Clan. Mein Vater ist sozusagen der Häuptling, also der Clanführer und ich sein ältester Sohn. Ich hab nur eine jüngere Schwester, Migina Rozene Mirani, was so viel heißt wie ‚Rückkehrender Mond ist schön wie eine Rose und Dein Schicksal‘. Wir sagen aber alle Mira zu ihr. Ich werde also irgendwann die Rolle meines Vaters übernehmen müssen. Wir sind ein alter Stamm und haben eher selten Kontakt zu der Außenwelt. Nicht, dass wir hinter dem Mond leben. Viele von uns haben Häuser und Autos, Strom und fließend Wasser, Internet und Handys. Und wir haben auch Freunde außerhalb. Trotzdem versuchen wir unter uns zu bleiben. Unser . . . Stamm ist sehr groß und auch sehr alt. Wir haben viele Traditionen und Rieten.“ Er nahm einen Schluck aus seinem Glas. Sein Essen war fast kalt geworden.

 

Erzählte er zu Anfang noch sehr langsam, strömten nun die Worte aus ihm raus.

„Mein indianischer Name ist Mingan Chowilawu Drakawe, was so viel wie ‚Wolf, vom Wasser zusammengefügter Drache‘ heißt.“ Er lachte. „Ja, frag mich nicht. Eltern. Aber wir jungen Leute tragen unsere Indianernamen nicht mehr wirklich, nur zu offiziellen Anlässen, wie z.B. zum Sonnentanz. Das ist ein großes Fest bei uns, bei dem ich dieses Jahr das erste Mal nicht dabei war. Das ist für meine Familie hart. Ich hab nämlich auch schon das Fest der heiligen Pfeife verpasst. Es hat also zu Hause mächtigen Ärger gegeben. Es ist nämlich sehr wichtig, dass ich immer dabei bin, um den mir zustehenden Platz zu verteidigen. Also wir kämpfen. Normalerweise ist das nur sowas wie ein Schaukampf, aber manchmal auch wirklich ernst. Und dieses Jahr hätten das entweder mein Vater oder meine Schwester für mich übernehmen müssen. Ich hatte Jared als meinen Vertreter ausgesucht. Aber auch das musste ich klären.

Die Jungs da hinten, die kenne ich schon mein Leben lang. Wir sind zusammen groß geworden und haben schon als Kinder miteinander gespielt. Und ja, Du hast Recht. Sie sind nicht nur meine Freunde, sondern tatsächlich sowas wie meine Leibwache. Sie dürfen mich gar nicht allein lassen.

Ok, also da haben wir Jared. Er heißt Wambli-Waste Jaredow, guter herabsteigender Adler. Maddox wird Ohanko Mahddolx – rücksichtsloser Königssohn genannt. Tristan ist blond, sehr ungewöhnlich bei uns, aber es kommt vor. Deshalb heißt er Muraco Triwatan – weißer stiller trauriger Mond und als letzter Sam. Er heißt Mojak Samuwok. Das bedeutet so viel wie Nie stiller Geist wurde erhört. Und das passt auch zu ihm.“

„Emily.“, seine Stimme wurde ganz sanft. „Manche von uns suchen ihr ganzes Leben danach, aber manche von uns finden einen . . . finden die eine Person, mit der sie ihr Leben lang verbunden bleiben. Und dann kann die beiden nichts auf der Welt mehr trennen. Und Frauen bei uns werden einfach immer noch gut beschützt, denn sie sind unser Leben.“ Drake sah ihr lange in die Augen. „Emily, verstehst Du, was ich Dir sagen will?“

Emily wandte den Blick ab. Mittlerweile stand Dessert vor ihnen und Emily stocherte in ihrer weißen Mouse. Sie sah ihn nicht einmal mehr an. Draußen war es nun fast ganz dunkel, es war spät geworden.

Drake holte tief Luft. „Also ja, ich habe Dich beobachtet. Wenn Du es so ausdrücken willst, Dich verfolgt. Aber in guter Absicht, nicht in böser. Du bist so klein und zart und weich. Ich wollte Dich nur beschützt wissen.“ Er griff über den Tisch und nahm ihre Hand. „Ich hätte Dir sicher einiges davon früher sagen müssen. Aber wann? Es ging alles so schnell! Wenn Du in meiner Nähe bist, vergesse ich alles. Ich vergesse, dass ich ein großer starker und böser . . . Krieger bin.“

„Böse?“, fragte Emily.

„Nicht bei Dir!“ antwortete Drake schnell „Nur bei unseren Feinden.“

„Ihr habt immer noch Feinde?“ Emily klang erstaunt.

„Ja, leider. Aber das ist eine andere Geschichte, Emily, die ich Dir später mal erzählen werde. Hast Du Fragen?“

„Eigentlich nicht. Aber, wenn ich ehrlich bin, verstehe ich immer noch nicht, wieso Du mich seit – seit wann? Einem Jahr? – mehr oder weniger beschatten lässt. Nein, entschuldige, Du ‚beschützt‘ mich ja. Was, glaubst Du, ist das Problem? Das Du halber Indianer bist? Ich versteh’s einfach nicht.“

Hilfesuchend drehte Drake den Kopf und sah Jared an. Wieso war es nur so schwer, es zu sagen? Weil er es sich dann selber eingestehen musste? Er war sich doch schon so gut wie zu 100% sicher.

„Emily, Du machst es mir wirklich nicht leicht. Muss ich es wirklich aussprechen? Ich . . .“, fahrig fuhr er sich mit der freien Hand über das Gesicht und durch die Haare.

„Wenn Du noch was zu sagen hast, dann sag es. Erkläre es mir, dass ich es verstehe, Dein Verhalten, sonst will ich jetzt gehen.“ Emily legte den Löffel hin. Es sah aus, als würden sich Tränen in ihren Augen bilden. Sie blinzelte sie weg. Sie würde nicht weinen. Nicht vor ihm.

Drake schüttelte den Kopf. „Also gut. Damit offenbare ich Dir mein Herz. Ich lege es in Deine Hände, Emily, und Du kannst mich töten. Sieh mich an.“ Drake ahnte nicht, dass es für Emily schwer war, in seine Augen zu sehen und sich dann auf etwas anderes zu konzentrieren, wie z.B. zuhören. Aber sie hob den Blick und sah ihn an. Drake schluckte „Emily, ich würde Dir nie weh tun. Ich würde Dich niemals absichtlich verletzten. Emily, ich glaube, dass Du ‚DIE EINE‘ für mich bist. Die Eine, nach der ich mein Leben lang gesucht habe. Die eine, mit der ich für den Rest meines Lebens zusammen sein werde. Das heißt auch, wenn ich Dich verliere, dann sterbe ich und das mein ich Ernst. Das ist keine Floskel. Wieso ich das weiß? Ich kann es Dir nicht sagen. Das ist der Grund, warum ich Dich beschützen will und muss. Dir darf nichts passieren. Du bist mein Leben.“

„Lass ihr Zeit.“, sagte Bastian zu ihm, als sie das Lokal verließen. Was sollte er auch sonst tun? Nun hatte sie den Spielball und war am Zug.

*****

Emily

Nachdem Emily versuchte hatte, sich an alles zu erinnern, was Drake ihr erzählt hatte und ihren Freunden ausführlich berichten musste, lag sie nun in ihrem Bett. Allein. Wach. Sie hatte immer noch seine Stimme im Ohr. „Verstehst Du, was ich Dir damit sagen will? Du bist mein Leben. Du bist die Eine für mich. ‚Die Eine.‘ DIE Eine. ‚Zusammen sein werde‘ hatte er gesagt, nicht ‚Zusammen sein möchte“. Sie schlief ein.

Und träumte. Von ihm. Wie er sie ansah, seine Augen verwandelten sich in ein Meer, in das sie hinein lief und dann fast ertrank. Jemand rettete sie. Ein Indianer mit langen schwarzen Haaren und Federkopfschmuck, bunt bemalt. Aber er hatte seine Augen. Er hielt sie im Wasser fest, dann standen sie am Strand. Er küsste sie. Er ließ sie los und sie wurde von ihm weggezogen. Nun stand sie in einem Tipi. Riesengroß und brechendvoll. Sie sah nur halbnackte Indianer. Ihre Blicke suchten ihn, doch sie fand ihn nicht. Als sie sich umdrehte, stand sie vor einer Art Arena. In der Mitte waren zwei Männer. Drake. Sie hatten beide Speere in der Hand. Der andere Indianer lag auf dem Boden und Drake beugte sich über ihn. Da stieß der, der am Boden lag, Drake den Speer in die Brust und Drake brach zusammen. Sie schrie auf, schrie seinen Namen, wollte zu ihm. Doch sie war umringt von Indianern. „Du bist keine von uns!“, sagten sie. „Du bist keine von uns!“ Es klang wie eine Formel. Sie rief nach ihm, rief seinen Namen. Dann stand sie vor dem Zelt, es gab keinen Weg zurück.

Zitternd und weinend erwachte sie. Sie erkannte, sie war auf dem besten Wege sich in ihn zu verlieben.