Leistungen von Funktionsverbgefügen im Text

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Susanne Kabatnik

Leistungen von Funktionsverbgefügen im Text

Eine korpusbasierte quantitativ-qualitative Untersuchung am Beispiel des Deutschen und des Polnischen

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

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Die Veröffentlichung beruht auf einer Dissertation der Philosophischen Fakultät der Universität Mannheim.

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsfonds Wissenschaft der VG WORT.

© 2020 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

www.narr.de • info@narr.de

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen

ISSN 1860-7373

Print-ISBN 978-3-8233-8421-2

ePub-ISBN 978-3-8233-0245-2

Inhalt

 1. Einleitung1.1. Untersuchungsgegenstand und Terminologie1.2. Positionierungen zu Funktionsverbgefügen2.1. 1. Wie sich Stilratgeber Funktionsverbgefügen gegenüber positionieren2.2. 1. Wie Funktionsverbgefüge in DaF-Lehrwerken behandelt werden2.3. 1. Funktionsverbgefüge in der linguistischen Forschungsliteratur3 1. Textlinguistischer Hintergrund4 1. Forschungsfragen und Ziele

  2. Daten und Methode 2.1. Generierung von Funktionsverbgefügen 2.2. Wahl der Korpora 2.3. Datenerhebung und Vorgehensweise

 3. Zur Extraktion textgrammatischer und -semantischer Analysekategorien3.1. Erweiterung der Nominalphrase3.1.1. Artikelwörter3.1.2. Adjektive3.1.3. Funktionsverb-Partizipien3.1.4. Funktionsnomen-Komposita3.1.5. Genitivphrasen3.1.6. Präpositionalphrasen3.1.7. Satzförmige Erweiterungen3.2. Valenz3.2.1. Valenzverschiebung3.3. Position des Funktionsnomens3.4. Referenz3.5. Zusammenfassung

 4. Analyse4.1. Quantitative Analyse nach textgrammatischen und -semantischen Kategorien4.1.1. Frage stellen und zada(wa)ć pytanie4.1.2. Antwort geben und da(wa)ć odpowiedź4.1.3. Entscheidung treffen und podjąć/podejmować decyzję4.1.4. Zusammenfassung4.2. Qualitative Analyse: Leistungen von Funktionsverbgefügen im Text4.2.1. Informationsanreicherung4.2.2. Informationsverdichtung4.2.3. Informationsperspektivierung4.2.4. Informationsgewichtung4.2.5. Wiederaufnahme von Informationen

  5. Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

  6. Fazit und Ausblick

  Literaturverzeichnis Online-Datenbanken & Ressourcen

  Anhang

  Korpusabfragen

  Wortliste Funktionsverbgefüge – Kookkurrenzanalyse und Zuordnung polnischer Konstruktionen

  Danksagung

1. Einleitung

„Seitdem ich denken kann

Will ich dem Schicksal diese eine Frage stellen, ob man es lenken kann

Als ich sechs war

Mussten wir unsre Sachen packen und unendlich weit wegfahr’n“

KC Rebell: Leer; Album: Abstand, 2016 (Hervorhebung S.K.)

Den Gegenstand der Untersuchung bilden in der vorliegenden Arbeit die deutschen und polnischen Funktionsverbgefüge Frage stellen, Antwort geben und Entscheidung treffen, zada(wa)ć pytanie, da(wa)ć odpowiedź und podjąć/podejmować decyzję (Kamber 2008, Klinger 1983). Die Konstruktionen bestehen aus einem Funktionsverb und -nomen und korrespondieren mit einem Basisverb, wie z.B. fragen. Zu Funktionsverbgefügen existieren jedoch unterschiedliche Auffassungen: In Stilratgebern finden sich seit über einem Jahrhundert abwertende Äußerungen – gegenwärtig auch auf Schreibblogs, in Universitätsrichtlinien für Abschlussarbeiten sowie in modernen Textanalysetools im WWW –, die Funktionsverbgefüge als schlechtes und unverständliches Behördendeutsch abtun und dazu raten, die Gefüge mit einfachen Verben zu ersetzen (vgl. Wustmann 1891: 416f.; Mackowiak 2011: 72; Textwende: Schreibtipps1; s. Kap. 1.2.1). In Lehrwerken für den DaF-Unterricht finden Funktionsverbgefüge keine oder nur wenig Beachtung (vgl. Giacoma 2017; s. Kap. 1.2.2). In der Forschungsliteratur zu Funktionsverbgefügen werden Konstruktionen, wie Frage stellen, in Gegenüberstellung mit dem Basisverb als bedeutungsgleich aufgefasst – die Substitution mit dem Basisverb, wie z.B. in Er stellt ihr eine Frage vs. Er fragt sie etwas, würde lediglich mit stilistischen Veränderungen einhergehen (vgl. Hoffmann 2017: 225). Das einführende Zitat des Rappers KC Rebell lässt jedoch bereits vermuten, dass Funktionsverbgefüge, wie Frage stellen, spezifische kommunikative Leistungen entfalten können: Mit diese eine Frage bezieht sich KC Rebell auf eine ganz bestimmte Frage, die in Anschluss mit ob man es lenken kann spezifiziert wird. Solche Gefüge weisen nämlich syntaktische Leistungen auf, zu denen die Möglichkeit zur Attribuierung, Änderungen der Valenz und der kommunikativen Struktur sowie die Referenzfähigkeit gehören (Żmigrodzki 2000; Hinderdael 1985). Auf der Textebene zeichnet sich ein Zusammenspiel der Konstruktionen mit anderen sprachlichen Einheiten, wie Artikelwörtern und Nebensätzen, ab und Informationen können so nicht nur unterschiedlich modifiziert und fokussiert, sondern auch anders in den Textverlauf eingebettet werden als mit dem Basisverb (vgl. Klinger 1983; Storrer 2013). Bislang fand die Textebene in der Forschungsliteratur zu Funktionsverbgefügen jedoch wenig Beachtung und es fehlt eine systematische Klassifikation nach textuellen Leistungen. Die Forschungsfragen beziehen sich in der vorliegenden Untersuchung auf die Verknüpfung von Funktionsverbgefügen mit anderen sprachlichen Einheiten sowie ihre Leistungen im Textzusammenhang und die Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Deutschen und im Polnischen.

In Kapitel 1 werden verschiedene Typen von Funktionsverbgefügen sowie unterschiedliche Zweige der germanistischen Forschungsliteratur der vergangenen sechzig Jahre zu Funktionsverbgefügen vorgestellt und mit den verschiedenen Auffassungen in Stilratgebern sowie dem gegenwärtigen und durch eine Lehrwerkanalyse ermittelten Stand zu Funktionsverbgefügen in DaF-Lehrwerken in Verbindung gebracht. Zudem wird der theoretische Hintergrund der vorliegenden Arbeit erläutert: Wesentliche Theorien und Konzepte aus der linguistischen Teildisziplin der Textlinguistik werden eingeführt und erklärt.

In Kapitel 2 gehe ich auf die Datengrundlage und die Untersuchungsmethoden der vorliegenden Arbeit ein. Der Untersuchungsgegenstand wurde mithilfe einer Kookkurrenzanalyse durch die automatische Generierung von statistisch signifikanten deutschen Funktionsverbgefügen eingegrenzt, die polnischen Funktionsverbgefügen zugeordnet wurden (s. Kap. 2.1). Die Untersuchung der generierten Funktionsverbgefüge auf ihre Leistungen im Textzusammenhang wird auf der Datengrundlage von polnischen und deutschen Artikeln aus den Wikipedia-Korpora des IDS durchgeführt. Methodisch geleitet wird die vorliegende Arbeit vom korpusbasierten, quantitativ-qualitativen Ansatz nach Lemnitzer/Zinsmeister (2015). Unter Anwendung des traditionellen Substitutionstests mit dem Basisverb werden die Leistungen von Funktionsverbgefügen im Textzusammenhang sichtbar gemacht.

In Kapitel 3 wird auf Basis der Forschungsliteratur für die quantitative und qualitative Analyse der Treffer(kon)texte ein mehrdimensionales, textgrammatisches und -semantisches Kategoriensystem entwickelt. Ausgehend vom Deutschen übertrage ich die Annahmen in der Analyse der Daten auf das Polnische. Die textuellen Analyseebenen beziehen sich auf Erweiterungen, Valenz, Position und die Referenz der Funktionsverbgefüge, für die weitere Subklassifizierungen im Zusammenhang mit der Ebene des Textes vorgestellt werden.

 

In Kapitel 4 werden die quantitativen Ergebnisse zur Korpusuntersuchung vorgestellt. Ich gehe dabei auf die Bereinigung der Treffer sowie die einzelnen textgrammatischen und -semantischen Analyseebenen der Funktionsverbgefüge-Paare ein. Hierbei werden anhand von empirischen Ergebnissen kommunikative Leistungen von Funktionsverbgefügen überprüft. Im qualitativen Ergebnisteil der vorliegenden Arbeit werden die Funktionsverbgefüge unter Anwendung des Substitutionstests auf ihre Leistungen im Textzusammenhang untersucht, nämlich auf die Anreicherung, Verdichtung, Perspektivierung, Gewichtung und Wiederaufnahme von Informationen im Text.

Im fünften und letzen Kapitel der Arbeit werden die Ergebnisse der Untersuchung zusammengefasst, diskutiert sowie Schlussfolgerungen sowohl für die linguistische Forschung an Funktionsverbgefügen als auch die didaktische und schulpraktische Aufarbeitung der Gefüge abgeleitet. Die Erkenntnisse werden in den gegenwärtigen Forschungskontext gesetzt. Die vorliegende Arbeit ist relevant für die empirische Auseinandersetzung mit Funktionsverbgefügen in der Polonistik, der kontrastiven Linguistik, für die Textlinguistik und für DaF-Verlage. Die Arbeit richtet sich an Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sowie Studierende dieser Bereiche, als auch an Stilkritiker*innen und auch Software-Entwickler*innen im texttechnologischen Bereich, da sich wiederholende Forderungen aus Schreib- und Stilratgebern in modernen Tools zur automatischen Analyse und Korrektur von Texten wiederfinden (s. Kap. 1.2.1).

1.1. Untersuchungsgegenstand und Terminologie

Den Gegenstand der Untersuchung bilden in der vorliegenden Arbeit die Konstruktionen Frage stellen, Antwort geben und Entscheidung treffen sowie ihre Äquivalente im Polnischen. Die Konstruktionen bestehen aus einem verbalen – stellen, geben, treffen – und einem nominalen Element – Frage, Antwort, Entscheidung – und bilden gemeinsam eine semantische Einheit, die mit einem korrespondierenden Basisverb zusammengefasst werden kann, wie fragen, antworten und entscheiden (vgl. Kamber 2008; Heine 2006: 49, Hermann 2019). Derartige Verbindungen aus einem Nomen und einem Verb – häufig als Funktionsverbgefüge bezeichnet (Kamber 2008) – zu definieren, gestaltet sich insgesamt jedoch problematisch und ist Ágel (2017: 315) zufolge „eine der undankbarsten grammatischen Aufgaben“. Der Gegenstand müsste nach Ágel (2017: 315) einerseits von angrenzenden Disziplinen, wie der Phraseologie- und Kollokationsforschung, abgegrenzt werden. Und andererseits ergeben sich durch die Abgrenzungsproblematik unterschiedliche Auffassungen darüber, welche Konstruktionen zum Untersuchungsgegenstand Funktionsverbgefüge gerechnet werden können und welche nicht. Denn es existieren verschiedene Typen von Gefügen, die sich nicht nur semantisch, morphologisch und (morpho)syntaktisch, sondern auch pragmatisch voneinander unterscheiden (vgl. Helbig/Buscha 2011: 83ff.).

Semantische Besonderheiten weisen beispielsweise Nomen-Verb-Verbindungen, wie in Kontakt kommen und in Gang bringen, auf, denn in Kontakt kommen im Sinne von ‚jemand kommt mit etwas in Kontakt‘ unterscheidet sich von kontaktieren durch den Ausdruck von Passivität (vgl. Eroms 2000: 168f.) und in Gang bringen von gehen durch die Anzeige von Kausativität (vgl. Helbig/Buscha 2011: 84) im Sinne von ‚jemand bewirkt, dass etwas in Gang gebracht wird‘. In anderen Gefügen, wie z.B. Antwort geben oder Entscheidung treffen, ist der Ausdruck von Passivität oder Kausativität in Gegenüberstellung mit den Basisverben antworten und entscheiden nicht zu verzeichnen (vgl. Hoffmann 2017: 225; Heringer 2014: 115; Storrer 2013: 198). Morphologische Unterschiede zu Nomen-Verb-Verbindungen, wie in Kontakt kommen und Entscheidung treffen, finden sich in Gefügen, wie Angst haben und Dienst leisten: Denn Angst haben steht nicht mit einem Verb in einem Ableitungsverhältnis, wie bei Kontaktkontaktieren und Entscheidungentscheiden, sondern mit einem Adjektiv (vgl. Welke 2007: 219; Helbig 1979: 274; Kamber 2008: 22), d.h. Angst steht mit ängstlich in Relation, und außer Kraft setzen weist kein korrespondierendes Basisverb auf (vgl. Helbig/Buscha 2011: 70ff.), vgl. *kraften. Morphosyntaktisch können die Gefüge aus einem Verb und einer Nominalphrase bestehen, wie z.B. Arbeit und Hilfe leisten, oder aus einem Verb und einer Präpositionalphrase, wie z.B. zum Staunen oder Laufen bringen (vgl. Helbig/Buscha 2011: 68; Hinderdael 1985; Heidolph et al. 1984: 440). Zudem weisen einige Nomen der Gefüge die Fähigkeit zur freien Artikelwahl und zur Pluralbildung sowie die Möglichkeit zur Attribuierung auf, andere dagegen nicht (vgl. Helbig/Buscha 2011: 89f.; Heidolph et al. 1984: 441f.), vgl. z.B. die richtigen Entscheidungen treffen vs. *in die richtigen Fahrten kommen.

Engelen (1968) beispielsweise zählt nur präpositionale Verbindungen, wie zur Entscheidung kommen oder in Vergessenheit geraten, zum Gegenstandsbereich der Funktionsverbgefüge. Dagegen finden sich bei von Polenz (1963), Daniels (1963), Schmidt (1968) und Popadić (1971) sowohl präpositionale Gefüge als auch akkusativische, wie in Ordnung und zur Aufführung bringen oder Entscheidung treffen und Antwort geben. Welke (2007: 219), Helbig (1979: 274) und Kamber (2008: 22) rechnen zu Nomen-Verb-Verbindungen sowohl Verbalsubstantive, wie in Fahrt kommen von fahren, als auch Adjektivableitungen, wie in Gefahr sein von gefährlich. Die Definitionsproblematik ist jedoch nicht nur der Grund für die unterschiedlichen Ein- und Abgrenzungskriterien der Gefüge, sondern auch für die terminologische Vielfalt in Bezug auf den Untersuchungsgegenstand:

 Funktionsverbformel (von Polenz 1963)

 Nominale Umschreibung (Daniels 1963)

 Streckform (Schmidt 1968)

 Funktionsverbgefüge (Engelen 1968, Herrlitz 1973, Persson 1975, Helbig 1979/1984, von Polenz 1987, Gautier 1998, Pottelberge 2001, Heringer 1988, Seifert 2004, Heine 2006, Storrer 2006a, Storrer 2006b, Storrer 2013, Kamber 2008, Zifonun et al. 1997, Burger 2015, grammis 2019: Elementare Prädikate1, Ágel 2017, Taborek 2018)

 Funktionsverbfügung (Heringer 1968, Bahr 1977)

 Analytische Verbalverbindung (Popadić 1971)

 Nominalisierungsverbgefüge (von Polenz 1987, Storrer 2006a, Storrer 2006b, Zifonun et al. 1997, grammis 2019: Elementare Prädikate2, Ágel 2017)

 Verbonominale Konstruktionen (Pottelberge 2001)

 Streckverbindungen (Heringer 1988)

 Streckverbgefüge (Storrer 2006b, Storrer 2013)

 Verbale Phraseme und singuläre Kollokation (Burger 2015)

 Kollokativgefüge (Ágel 2017)

Nach der Einteilung der Autoren und Autorinnen handelt es sich bei den in der vorliegenden Arbeit untersuchten Gefügen Frage stellen, Antwort geben und Entscheidung treffen (s. Kap. 2.1) nach Storrer (2006b, 2013, Taborek 2018) um Streckverbgefüge, nach Heringer (1988) um Streckverbindungen, nach Zifonun et al. (1999) um Nominalisierungsverbgefüge, nach Ágel (2017) um Kollokativgefüge und nach Kamber (2008) um Funktionsverbgefüge im weiteren Sinn. Die verschiedenen Termini können sich dabei auf den gesamten Gegenstandsbereich beziehen oder sie fokussieren einen bestimmten Subtyp der Nomen-Verb-Verbindungen.

Trotz der verschiedenen Herangehensweisen der Autoren und Autorinnen haben sich v.a. drei Definitionsansätze durchgesetzt: Erstens bezieht sich der Terminus ‚Funktionsverbgefüge‘ als Oberbegriff auf verschiedene Nomen-Verb-Verbindungen (vgl. z.B. Gautier 1998, Helbig/Buscha 2001/2011, Seifert 2004, Heine 2006, Kamber 2008), d.h. sowohl in Gang kommen, in Kontakt treten, in Frage stellen und in Kauf nehmen als auch Frage stellen, Schaden nehmen und Anwendung finden werden als Funktionsverbgefüge bezeichnet, auch wenn sie sich syntaktisch, semantisch und funktional voneinander unterscheiden (Abbildung 1). Zweitens wird in Anlehnung an von Polenz (1987) sowohl der Terminus ‚Nominalisierungsverbgefüge‘ als auch ‚Funktionsverbgefüge‘ verwendet (vgl. von Polenz 1987, Zifonun et al. 1997, Storrer 2006a, grammis 2018: Elementare Prädikate3, Ágel 2017). Als ‚Funktionsverbgefüge‘ werden lediglich die Konstruktionen bezeichnet, die sich durch den Ausdruck einer bestimmten Aktionsart vom entsprechenden Verb unterscheiden – Kontakt halten unterscheidet sich von kontaktieren durch den Ausdruck von Durativität (Abbildung 2). Mit ‚Nominalisierungsverbgefüge‘ werden dagegen verschiedene Nomen-Verb-Verbindungen als Oberbegriff zusammengefasst, also z.B. Antwort geben oder in Wegfall kommen. Drittens wird diese Unterscheidung mit ‚Nominalisierungsverbgefügen‘ als Oberbegriff und ‚Funktionsverbgefügen‘ als Terminus für einen bestimmten Subtyp durch einen weiteren Subtyp ergänzt: Funktionsverbgefügen, wie in Gang bringen oder in Wegfall kommen, werden Streckverbgefüge, wie Frage stellen oder Entscheidung treffen, gegenübergestellt (vgl. Storrer 2006b, 2013; Taborek 2018; Abbildung 3).4

Abbildung 1:

‚Funktionsverbgefüge‘ als Oberbegriff für Nomen-Verb-Verbindungen

Abbildung 2:

‚Funktionsverbgefüge‘ als Teilmenge von Nominalisierungsverbgefügen

Abbildung 3:

‚Funktionsverbgefüge‘ und Streckverbgefüge als Subtypen von Nominalisierungsverbgefügen

Die Gegenüberstellung von Gefügen, wie in Gang bringen oder in Wegfall kommen, einerseits und Nomen-Verb-Verbindungen, wie Frage stellen, Antwort geben und Entscheidung treffen, andererseits (Abbildung 3) basiert v.a. auf morphosyntaktischen und semantischen Unterschieden in Bezug auf den Grad der Festigkeit und Lexikalisierung des jeweiligen Konstruktionstyps, der sich beispielsweise a) in der Attribuierungsfähigkeit, b) der freien Artikelwahl, c) der Möglichkeit zur Pluralbildung und d) der Referenzfähigkeit der Gefüge manifestiert (vgl. Heidolph et al. 1984: 441f.; Helbig/Buscha 2011: 87ff.; s. Kap. 3; 4.2.1):5

a) Attribuierung


Gruppe 1 Gruppe 2
*in guten Gang bringen *in richtigen Wegfall kommen ?in schneller Bewegung bleiben gute Fragen stellen die richtigen Antworten geben wichtige Entscheidungen treffen

b) Artikelwahl


Gruppe 1 Gruppe 2
?in einen/den/keinen Gang bringen *in einen/den/keinen Wegfall kommen ?in einer/der/keiner Bewegung bleiben eine/die/keine Frage stellen eine/die/keine Antwort geben eine/die/keine Entscheidung treffen

c) Pluralbildung


Gruppe 1 Gruppe 2
*in (die/viele) Gänge bringen *in (die/einige) Wegfälle kommen *in (den/zahlreiche) Bewegungen bleiben (viele) Fragen stellen (einige) Antwort(en) geben (zahlreiche) Entscheidungen treffen

d) Referenzfähigkeit


Gruppe 1 Gruppe 2
*Das Auto wurde in Gang gebracht. Er/Der Gang… *Vergünstigungen kommen in Wegfall. Er/Der Wegfall… ?Man sollte immer in Bewegung bleiben. Sie/Die Bewegung… Die Fragen wurden erneut gestellt. Sie/Die Fragen… Er hat ihm Antworten gegeben. Sie/Die Antworten… Die Entscheidungen wurden getroffen. Sie…

Die Gefüge der Gruppe 1 (in Gang bringen) drücken eine Aktionsart aus und verhalten sich syntaktisch wie Phraseologismen im engeren Sinn (vgl. Burger 2015: 57/161; Helbig/Buscha 2011: 69f.), d.h. die Gestalt der Konstruktionen ist in Bezug auf die Möglichkeit zur Attribuierung, Artikelwahl und Pluralbildung festgelegt und die Konstruktionen sind nicht referenzfähig.6 Die Verbindungen aus Gruppe 2 weisen eine starke Bedeutungsähnlichkeit zum Basisverb auf (vgl. grammis online 2018:7 Nominalisierungsverbgefüge; Hoffmann 2017: 225; Heringer 2014: 115) und verhalten sich im Satz wie freie Wortverbindungen aus Nomen und Verben (vgl. Helbig/Buscha 2011: 88ff.; Storrer 2006b: 286), d.h. sie sind attribuierbar, der Artikel ist frei wählbar, Pluralbildung ist möglich und die Nomen der Gefüge sind referenzfähig – sie können also je nach kontextuellen Gegebenheiten und Erfordernissen verändert und angepasst werden.

 

Durch die obigen Beispiele zu in Bewegung bleiben und der Bedeutungsveränderung in in einer/der Bewegung bleiben von unspezifischer zu spezifischer Lesart und der dadurch möglichen Referenzfähigkeit wird deutlich, dass auch Konstruktionen der Gruppe 1 einen geringeren Grad an Festigkeit und Lexikalisierung aufweisen können, d.h. auch Gefüge der Gruppe 1 – Funktionsverbgefüge im engeren Sinn – , können mehr oder weniger fest und lexikalisiert sein. Ich schlage deswegen eine skalare Betrachtungsweise der verschiedenen Konstruktionstypen nach ihrem Festigkeits- und Lexikalisierungsgrad vor, von links nach rechts mit absteigendem Grad:

Abbildung 4:

Mehrworteinheiten nach Grad der Festigkeit und Lexikalisierung

Den linken Endpunkt der Skala in Abbildung 4 bilden Phraseologismen, die sich durch ihre übertragene Bedeutung von Funktionsverbgefügen unterscheiden (vgl. Tao 1997: 26f.; Helbig/Buscha 2011: 69f./85), sie teilen aber mit einigen Gefügen Eigenschaften: In grün hinter den Ohren sein und in Gang bringen ist beispielsweise die Artikelwahl und die Möglichkeit zur Pluralbildung festgelegt und die Nomen sind nicht referentiell zu verstehen (vgl. Burger 2015: 17f.;/19ff.; Basarić/Petrič 2015: 183), vgl. ?in die Gänge bringen. Die Gänge… und ?grün hinter dem Ohr sein. Das Ohr… .8

Abstufungen finden sich z.B. in der Attribuierung von in schnelle Vergessenheit geraten oder große Anstrengungen unternehmen. Rechts in der Skala stehen Konstruktionen mit einem niedrigen Grad an Festigkeit und Lexikalisierung. Den rechten Endpunkt bilden Kollokationen (vgl. Burger 2015: 38), wie Zähne putzen, die sich von Funktionsverbgefügen dadurch unterscheiden, dass es sich bei den Lexemen Zähne und putzen im Saussure’schen Zeichenbegriff um mehrere Signifikate und Signifikanten handelt (vgl. Saussure 1967), die nicht mit einem bedeutungsverwandten Lexem in Relation stehen, wie z.B. *zähnen im Sinne von ‚Zähne putzen‘. Dagegen korrespondieren Frage stellen, Anstrengungen unternehmen und in Vergessenheit geraten beispielsweise mit fragen, sich anstrengen und vergessen (vgl. Helbig/Buscha 2011: 69; Tao 1997: 12ff.).

Wie ich im Ergebnisteil der vorliegenden Arbeit zeigen werde, können weniger lexikalisierte und feste Gefüge, wie Frage stellen, Antwort geben und Entscheidung treffen verschiedene Verknüpfungsrelationen im Text herstellen, wie z.B. die Wiederaufnahme von oder den Verweis auf vorerwähnte oder nachstehende Informationen im Text: Sie haben die Frage gestellt, sie wurde aber nicht beantwortet (s. Burger 2015: 161; Gautier 1998). Es wäre jedoch denkbar, dass auch die linkspositionierten und festeren Gefüge, bestimmte Leistungen im Textzusammenhang entfalten können, wie z.B. in:

Die Maschine wurde in Gang gebracht – das In-Gang-bringen hat lange gedauert;

Die Opfer sind in Vergessenheit geraten – das Vergessen schreitet schnell voran;

Sie sind miteinander in Kontakt getreten – Der Kontakt hielt lange an.

In (1) bezieht sich das In-Gang-bringen rückwärtsgewandt auf in Gang bringen, das Vergessen auf Vergessenheit in (2) und Kontakt auf das Nomen des Gefüges in Kontakt kommen in (3). Da sich die Gefüge durch eine starke Heterogenität auszeichnen, ist die in Abbildung 4 präsentierte skalare Betrachtungsweise von unterschiedlichen Typen von Funktionsverbgefügen in Bezug auf ihren Grad der Lexikalisierung und Festigkeit nicht in regelmäßigen Abstufungen aufzufassen, sondern vielmehr mit sich kreuzenden Merkmalen, wie z.B. der Möglichkeit zur Attribuierung von bspw. große Anstrengungen unternehmen oder in lange Vergessenheit geraten trotz ungrammatischer Singular- bzw. Pluralform bspw. in *eine Anstrengung unternehmen oder *in Vergessenheiten geraten. Und weil sich textuelle Leistungen womöglich gar nicht nur auf einen spezifischen Typus von Nomen-Verb-Verbindungen beziehen können, sondern auch auf andere Arten von Gefügen, wähle ich für die Zwecke der Untersuchung von Nomen-Verb-Verbindungen auf ihre Leistungen im Textzusammenhang die weite Definition nach Kamber (2008: 22ff.; s. Abbildung 1).

Im Folgenden bezeichne ich die Gefüge Frage stellen, Antwort geben und Entscheidung treffen als Funktionsverbgefüge, die sich aus den Funktionsverben stellen, geben und treffen und den nominalen Komponenten Frage, Antwort und Entscheidung zusammensetzen. Analog zu ‚Funktionsverb‘ verwende ich den Terminus ‚Funktionsnomen‘ (Wotjak/Heine 2007, Basarić/Petrič 2015). Der semantisch-funktionale Vergleich von Funktionsverbgefügen und ihren Basisverben bildet die Basis für verschiedene Forschungsarbeiten und Positionierungen sowohl von Laien als auch Expert*innen, die im folgenden Abschnitt vorgestellt werden.