Layla

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From the series: Elijah Leblanc #2
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Stephan Lake

Layla

Elijah Leblanc - Zweiter Fall

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Inhaltsverzeichnis

Titel

1

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6

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Impressum neobooks

1

Der Tag, an dem Georg Michael Snydr in die Zelle gebracht wurde, war der glücklichste Tag in seinem Leben.

Die Metalltür hinter ihm fiel ins Schloss.

Der Schlüssel wurde gedreht. Hart. Zwei Mal.

Snydr lächelte.

Er war am Ziel.

Endlich am Ziel.

Zwei Schritte: Snydr ließ sein Paket mit Bettzeug und Wäsche, Rasierer und Zahnbürste neben dem Bettgestell auf den Boden fallen. Zwei Pritschen übereinander. Aufgerissene Matratzen.

Drei weitere Schritte: Snydr blieb vor dem Fenster stehen, hoch oben über der Schüssel und vergittert. Die Luft roch nach Urin.

Kein Problem. Snydr sah ein kleines Stück vom Himmel. Ein kleines Stück Blau. Das würde reichen für seine Zeit. Er schaute nach unten. Die Schüssel würde er sauber machen. Kein Problem.

Snydr drehte sich um und fixierte den Kerl auf der unteren Pritsche.

Der Kerl hielt die Augen geschlossen.

Snydr lächelte.

Amadeus.

Endlich.

Endlich.

Die obere Pritsche frei. Für ihn. Den Neuen.

Snydr warf das Wäschepaket darauf. Die Eisenfedern quietschten.

Der Kerl hielt immer noch die Augen geschlossen. Aber er schlief nicht, da war Snydr sicher. Die Hände hinter dem kahlgeschorenen Kopf verschränkt, Beine angewinkelt, geschnürte Schuhe auf dem Laken? Der Kerl wusste von ihm. Wusste von einem neuen Zellengenossen, den er heute bekommen würde. Er war vorbereitet. Seit Stunden vermutlich. Der Kerl kannte die Regeln. Selbstverständlich. Viele Jahre Erfahrung. Seit seiner Jugend mehr drinnen als draußen. Er kannte die Regeln. Wusste, die erste Begegnung mit dem Neuen klärte die Rangfolge und entschied, wer Hammer war und wer Amboss.

Was der Kerl nicht wusste: wer der Neue war. Dass Snydr kein Gewöhnlicher war. Keiner, der seine Zeit absaß und dann rauskam bevor er wieder einfuhr.

Der Kerl wusste nicht, warum Snydr wirklich hier war. Wusste nicht, dass Snydr ihn kannte.

Ihn jahrelang gesucht hatte.

Jahrzehntelang.

Dass der pensionierte Kripomann Georg Michael Snydr von seinen Taten wusste.

Von allen seinen Taten.

Amadeus.

Snydr ließ ihn nicht länger warten. Er stieß seinen Fuß gegen den Pfosten.

Der Kerl öffnete die Augen.

„Was?“

Leise. Ohne sich zu bewegen. Ohne die geringste Andeutung von Besorgnis.

Eines seiner Augen war blau. Fast wie der Himmel draußen. Das andere war grün. Sehr selten, ein blaues Auge, ein grünes Auge. Sehr ungewöhnlich. Snydr war überrascht. Er hatte so etwas noch nie gesehen. Dazu das Tattoo. Geschlängelt. Wie die Wurzeln eines Baumes. Von der Mitte des Schädels über die Stirn um das blaue Auge herum und über die Wange mit den Aknenarben bis hinunter zum Hals. Wo es unter dem verschwitzten Shirt verschwand. Das gleiche Tattoo auf der anderen Seite. Vom Schädel über die Stirn um das grüne Auge herum und über die Wange zum Hals und unter das Shirt. Fette, schwarze, billige Tinte. Knasttinte.

Snydr lächelte. Lächelte und schwieg.

„Ich hab gefragt, Was?“

Lauter. Immer noch ohne eine Bewegung. Selbst seine Lippen rührten sich nicht.

Der Kerl machte alles richtig. Keine Angst zeigen, sondern Angst verbreiten. Einschüchtern. Dem Neuen zeigen, Ich bin der Boss.

Was bei Snydr nicht funktionierte. Snydr hatte keine Angst. Nicht vor einem kahlen Schädel und nicht vor schwarzer Tinte und nicht vor einem gezischten Wasss.

Nicht vor einem Kerl, von dem er wusste, dass er ein Mörder war.

Snydr lächelte.

Der glücklichste Tag in seinem Leben.

„Ich bin gekommen, um dich zu töten, Amadeus.“

Jetzt drehte der Kerl den Kopf. Seine Augen suchten in Snydrs Gesicht.

„Was sagste?“

Snydr lächelte.

„Zu wem sagste Amadeus?“

„Zu dir natürlich. Amadeus.“

Der Kerl stand auf. Langsam. Kraftvoll. Selbstbewusst. Schaute auf Snydr herab.

Snydr blieb stehen. Schaute hoch. Lächelte. Er war völlig gelassen. Und warum nicht. Snydr war achtundsechzig Jahre alt, und er war am Ziel. Was danach kam, spielte keine Rolle mehr.

Amadeus.

Gleich.

Snydr steckte die Hand in die Hosentasche.

Er spürte die Klinge.

Snydr lächelte.

Jetzt, Amadeus.

Der Kerl verschränkte die Arme. Muskeln wölbten sich. Adern traten hervor. „Okay, du Wichser, jetz hör du zu. Du bis hier bei mir zuhaus. My home. My rules. Hier sind mein Regeln. Nur mein. My fucking rules. You got it? Du tus, was ich sag. Erstes, du hörs auf, mich so zu nennen. Amadeus. What a shitty name. Shitty name, Amadeus. Ich heiß Nevada. Cat Nevada. I’m a Marine. United States Marine Corps. Got it, you sucker? Huh?“ Der Kerl grinste. „Du darfs jetz Yessir sagen. Yessir, Nevada, Sir.“

Snydr guckte.

Nevada?

 

Marine Corps?

Yessir?

Sein Lächeln versank.

Oh, nein. Nein. Nein. Nein.

2

„Elijah, warum hast du die noch nicht zurückgerufen?“

Elijah Leblanc, seit diesem Morgen neuer Leiter der Operativen Fallanalyse beim BKA und nicht wirklich froh darüber, sah zu Barbara hoch.

„Wen?“

Seine Sekretärin stand auf der anderen Seite des Schreibtischs, die Brille nach oben in ihr graues Haar geschoben. Das Perlenkettchen um ihren Hals schaukelte vor ihrer Brust hin und her, weil sie sich mit beiden Händen abstützen musste. Der Rücken.

„Wen, oh Elijah, wen. Diese Anwältin. Sie hat schon wieder angerufen. Vor einer Minute. Das dritte Mal heute Morgen. Drei Mal, Elijah. Kannst du die denn bitte jetzt mal endlich zurückrufen? Damit ich meine Arbeit machen kann?“

Elijah streckte den Arm aus.

„Was willst du jetzt?“

„Na, die Telefonnummer. Damit ich endlich zurückrufen kann.“

„Vor dir auf dem Haufen dort. Habe ich dir nach dem ersten Anruf schon hingelegt.“

Elijah guckte auf seinen Tisch voller Papiere. „Wo?“

„Weiß ich doch-“ Barbara stieß sich mit einem Seufzen vom Tisch ab und marschierte um ihn herum und hob Papiere hoch und Akten und schob den leeren Kaffeebecher mit FBI darauf zur Seite und hob mehr Akten hoch und mehr Papiere und seufzte wieder, marschierte hinaus ins Vorzimmer und kam zurück.

„Gut, dass ich mir alles zweimal aufschreibe. Hier.“

„Du bist die Beste.“ Elijah nahm den Zettel. „Die ruft aus Trier an?“

„Keine Ahnung. Hat sie nicht gesagt.“

„Die Vorwahl. 0651. Das ist Trier.“

„Na, dann Trier halt. Bitte, Elijah, ruf da an. Endlich. Ja?“

„Ich rufe an, Barbara.“

Was Elijah tat, als Barbara wieder draußen war.

Er sagte seinen Namen und BKA und, „Eine Frau Vianne hat-“

„Ja, Doktor Vianne erwartet bereits Ihren Anruf. Ich stelle Sie durch. Sie bleiben dran, ja? Moment.“

Er hörte drei Takte einer Musik, die er nicht kannte, Violinen, irgendetwas Klassisches, und dachte noch, Warum sollte ich nicht dranbleiben, da sagte eine kräftige, weibliche Stimme, „Vianne.“

„Leblanc, BKA. Ich bin noch dran.“

„Herr Leblanc, ja ... Sie sind noch dran? Was ...?“

„Sie haben angerufen, Frau Vianne?“

„Ja, dann, danke für den Rückruf. Drei Mal bereits.“

„Um was gehts?“

Sie sagte, „Um Herrn Snydr.“

Elijah musste nicht überlegen. „Und wer ist das?“

„Sie kennen Herrn Snydr.“

„Nein.“

„Meine Information ist, Sie kennen Herrn Snydr. Georg Michael Snydr?“

„Frau Vianne, wer ist das? Und warum ist er für das BKA wichtig?“

„Herr Snydr ist nicht für das BKA wichtig.“

Elijah wartete.

„Sondern für Sie, Herr Leblanc. Herr Snydr ist mein Mandant. Er möchte, dass Sie ihn besuchen. Noch heute.“

„Möchte?“

„Verlangt.“

Elijah sagte, „Besuchen wo?“

„Hier in Trier. JVA.“

„Und warum sollte ich das tun?“

„Ich kann Ihnen keine Ratschläge erteilen, Herr Leblanc. Ich bin hier nur ein ... sagen wir: Bote. Die Überbringerin schlechter Nachrichten.“

„Und damit meinen Sie: Überbingerin schlechter Nachrichten an mich?“

„Herr Snydr hat mich angewiesen, Ihnen mitzuteilen, dass er ein Schriftstück verfasst hat. Dieses Schriftstück liegt mir vor. Darin geht es um Sie. Sollten Sie ihn nicht besuchen, noch heute, bin ich angewiesen, das Schriftstück an die zuständigen Behörden weiterzuleiten. Auch heute.“

Elijah schüttelte den Kopf. Ein Schriftstück über ihn an die Behörden? Was sollte das?

Er sagte, „An die zuständigen Behörden. Welche Behörden wären denn zuständig?“

„Die Staatsanwaltschaft natürlich.“

Elijah guckte auf die Uhr an seinem Bildschirm. Kurz vor neun. Für zehn Uhr hatte er die Dienstbesprechung angesetzt. Seine erste als neuer Leiter der OFA.

Die Staatsanwaltschaft natürlich.

Es gab Schlimmeres, als die erste Dienstbesprechung zu verpassen.

„Und um was es geht, das dürfen Sie mir nicht sagen? Oder sollen Sie mir nicht sagen.“

„Nicht im Detail.“

Elijah wartete. „Aber im Groben? Frau Vianne, ich brauche hier schon etwas von Ihnen, um die Fahrt zu machen. Mein Wagen ist alt, ich möchte ihm jeden unnützen Kilometer ersparen.“

„Ich soll Ihnen eine Einzelheit sagen. Ein Datum.“

„Ein Datum. Na, dann mal los.“

„19. März 1983.“

Sie sagte, „Sind Sie noch dran, Herr Leblanc?“

3

„Na, keine Schule heute?“

Elijah blieb stehen. Er guckte auf den Mann hinter dem Gartenzaun, wechselte seine Sporttasche in die andere Hand und schüttelte den Kopf.

„Nur alle zwei Wochen is Samstag Schule. Heute nicht, Herr Lamberty. Nächsten Samstag wieder.“

„Aber du gehs noch zur Schule, gell?“

„Sicher geh ich.“

„Nit wie die andern, die sich nur rumtreiben.“

„Ich geh zur Schule.“

„Du solltest dich von denen fernhalten. Besonders von dem Tschaikowsky. Von dem hört man Sachen. Keine guten. Und von dem Großen, Schweren, der immer bei dem is auch nit.“

Elijah war still.

Herr Lamberty stützte sich schwer auf die Schaufel und nickte. „Wenn heute keine Schule is, dann hättest du ja Zeit. Oder?“

„Zeit? Wofür?“

„Am Montag krieg ich Bäume, zweiundzwanzig Stück. Ich will hier dichtmachen“ – Herr Lamberty deutete mit der Hand den Zaun entlang – „damit uns nit jeder in unser Wohnzimmer gucken kann. Tannen sind dafür am besten. Immergrün, also auch im Winter. Ich hab noch zwanzig Löcher. Zwanzig. Der Boden is ziemlich hart, weißte?“ Als Elijah nicht antwortete, „Ich geb dir für jedes Loch zwei Mark, Elijah. Zwei Mark und ne Limo. Wat meinste?“

„Ich kann nicht zwanzig Limo trinken, Herr Lamberty. Da bekomm ich Bauchweh.“ Über Elijahs Gesicht flog ein Lächeln.

„Wie? Nee, eine Limo, eine insgesamt. Aber für jedes Loch zwei Mark.“

Herr Lamberty hatte eine Glatze und einen dicken Bauch und trug die braune Polyesterweste, die er jeden Tag trug. Sommer, Winter, kalt, warm, Regen, Sonnenschein, Elijah hatte ihn nie anders gesehen als in seiner braunen Polyesterweste. Fünfzig war er vielleicht oder sechzig oder vierzig, jedenfalls über dreißig. Elijah konnte das Alter von Erwachsenen nicht gut schätzen. Aber er sah alt aus und nicht gesund. Seine Frau hatte auch einen dicken Bauch, die Frau Lamberty, aber viele Haare und eine Brille. Beide waren echt nett. Sie waren keine von denen. Nur Elijahs Humor verstanden sie nicht.

Zwanzig Löcher. Der Herr Lamberty könnte einen Infarkt von zwanzig Löchern bekommen. Von zehn. Er rauchte viel. Auch jetzt. Rauchen und Übergewicht und dann dieses Alter, jeder wusste das. Kam im Fernsehen und im Radio, überall, ständig, und Aerobic machte Herr Lamberty bestimmt auch nicht.

Elijah sagte, „Wie tief und wie breit?“

„Na ja, ‘n Meter etwa. Tief. Einer breit. Die Bäum sind schon größer und die Wurzeln dann auch, aber der Boden hier is ja richtig hacht. Gewachsener Boden, weißte? Auf jeden Fall muss ich Mutterboden dazu schütten. Obendrauf. Kommt heut Nachmittag. Also ein auf ein Meter, so ein auf ein, ungefähr. Vielleicht wat weniger. Ich mess nit nach. Oder haste wat vor? Fußball oder so?“

Herr Lamberty nickte auf die Sporttasche.

Elijah schüttelte den Kopf.

Er überlegte. Ein auf ein Meter. Ein Kubikmeter. Mal zwanzig. Zwanzig Kubik Erde.

Zwanzig mal zwei Mark. Vierzig Mark. Und ne Limo.

Er hatte keine Schule, und er spielte kein Fußball, aber er hatte tatsächlich etwas vor. Wenn er die Wohnung bekam, und seine Chancen standen gut, hat Herr Adams gesagt, dann hatte er es geschafft. Der Herr Adams war okay, der wollte ihm helfen. Elijah musste aber den Termin einhalten, er musste pünktlich sein, auf jeden Fall. Zwanzig Löcher, das dauerte zu lange.

„Zehn Löcher heute, zehn morgen.“

Elijah beobachtete, wie Herr Lamberty auf die Kippe zwischen seinen gelben Fingern guckte und sie dann hinter sich in seinen Garten schnippte. Eine geübte Bewegung.

„Gut. Zehn heute. Wann?“

Elijah stellte die Tasche ab und zog seine Jacke aus. „Jetzt.“

Da wusste er noch nicht, dass er die zweiten zehn Löcher niemals graben würde.

4

Leiter der Operativen Fallanalyse beim BKA Elijah Leblanc saß in seinem nicht mehr ganz neuen Geländewagen, als über das Tuckern des Achtzylinders hinweg Whitesnake einen Anruf meldete. I don‘t know, where I’m goin‘, but I sure know-

Er guckte von der Straße weg auf die Nummer und drückte die Taste. „Hi Jo.“

„Hi Baby. Wo bist du?“

„Eifel, in der Nähe von-“ Elijah sah das Schild. „Gerade Abfahrt Daun vorbei.“

„Du hast deine erste Dienstbesprechung als unser neuer Chef, statt deiner kommt aber Wibke rein und fragt nach Kaffee und Schnittchen und fängt an zu reden. Und du fährst in die Eifel. Was gibts in der Eifel, Baby?“

Sie waren noch in der allerersten Phase als Paar, und Elijah war von einem Kosenamen für Jo noch einige Monate und viele Nächte entfernt. Jo war da deutlich schneller. Baby. Elijah war beim ersten Mal irritiert, als sie es sagte, und er war es jetzt. Keine hatte bis dahin Baby zu ihm gesagt. Immer nur Elijah. Oder Leblanc. Manchmal auch Arschloch.

Eine Einzige hatte ihn Eli genannt.

1983.

Der 19. März war-

„Baby, was gibt es in der Eifel?“

-ein Samstag. Zunächst war alles gut. Sehr gut sogar. Dann nicht mehr.

„Elijah?“

Elijah atmete ein und aus, leise, damit Jo es nicht hörte. Er wollte nichts erklären. Nicht jetzt. „Eine Autobahn, die nach Trier führt. Von da habe ich einen Anruf bekommen, eine Anwältin. Dem muss ich mal nachgehen. Wieso fragt Wibke nach Schnittchen? Wir haben nie Schnittchen.“

„Neuer Fall? Ich hätte mitfahren können.“

Jo war gut für ihn, und er, so versicherte Jo ihm ständig, war gut für sie. Darüber hinaus war Jo König eine wirklich gute Polizistin.

Aber das hier war persönlich. Er hatte niemandem davon erzählt. Jemals.

„Weiß nicht, obs ein neuer Fall wird. Vermutlich nein. Hört sich nicht danach an.“

„Wonach hört es sich an?“

Elijah atmete wieder leise ein und aus und sah von der Straße weg auf Hügel, Felder, Wald. Verdorrtes Grün hinter einem dünnen Regenschleier.

Er hatte zehn Löcher gegraben.

Es hatte-

„Elijah, wonach-“

„Jemand hat was zu erzählen, Jo. Sitzt in der JVA. Du weißt, wie die sind, die tun alles, um rauszukommen. Erzählen eine Menge Blödsinn, der uns Zeit kostet. Ich berichte, wenn ich zurück bin, okay? Wie hat sich Wibke angestellt? Außer Schnittchen?“

„Wibke? Was fragst du nach ihr? Sie war vorbereitet wie immer, war ja nicht ihre erste Besprechung. Wann kommst du zurück? Ich könnte uns was kochen. Lukas ist ab heute Abend auch da.“

Lukas, Jos Sohn, der abwechselnd eine Woche bei ihr und eine Woche bei seinem Vater – und Jos zukünftigem Exmann – Thomas wohnte. Jo und Thomas waren sicher, das wäre das Beste für ihren Jungen, der mit seinen fünfzehn Lenzen mitten in seinem persönlichen Umbruch steckte.

Elijah war da anderer Ansicht, aber er hielt sich raus. Thomas war Lehrer.

„Aha. Kommt Eve auch?“

Eve war Lukas‘ Freundin. Noch so eine komplizierte Sache. Denn Eve war die Tochter von Christina, und Christina war die Freundin von Thomas. Christina war im übrigen Lehrerin. Kein Zufall.

„Eve ist Vergangenheit. Eine Neue ist auch noch nicht in Sicht, soweit ich weiß. Lukas hat zumindest noch nichts gesagt. Wie siehts aus, kommst du heute Abend?“

Das würde also wieder auf einen Abend zu Dritt hinauslaufen. Elijah mochte Lukas, hatte ihn sogar ein paar Mal zum Training mitgenommen, aber seiner Meinung nach sollte ein Fünfzehnjähriger nicht die Abende mit seiner Mutter und deren Freund verbringen. Und der Freund der Mutter, ganz ehrlich, hatte dazu auch nicht die richtige Lust. Solche Abende zu Dritt hatte es bereits zu oft gegeben.

 

Elijah antwortete nicht.

Er hatte zehn Löcher gegraben, und es hatte zu regnen begonnen. Genau wie jetzt, nur stärker. Danach seine eigene Wohnung und ... Alles war gut. Aber irgendwann waren Tschako und die anderen um die Ecke gekommen. Und ab da war alles-

„Elijah?“

-schief gegangen. Eine verdammte-

„Herr Leblanc? Hallo?“

-Katastrophe. „Was, Jo?“

Er musste sich ungehalten angehört haben, denn Jo sagte, „Ob du kommst heute Abend. Sag mal, was ist los mit dir?“

„Ja, ich weiß ... Vielleicht, was meinst du, wärs nicht tatsächlich besser, wenn ihr beiden mal wieder einen Mutter-Sohn-Abend macht? Du könntest Lukas fragen, ob er eine neue Freundin hat. Und wie es mit Eve weitergeht, das wird ihn auch beschäftigen. Und ich bin mir sicher, Lukas will mich bei so einem Gespräch nicht dabei haben. Er-“

„Eve ist Vergangenheit, Elijah.“

„Das habe ich gehört, aber ihre Mutter ist mit deinem zukünftigen Exmann zusammen, und, na ja, Lukas wird also immer wieder Eve sehen. Zwangsläufig jede zweite Woche, wenn er bei seinem Vater ist. Nicht einfach für ihn, oder? Allein schon, weil Christina ja auch in seiner Schule-“

„Lukas ist nicht mehr mit Eve zusammen und, tja, die neueste Neuigkeit, Thomas nicht mehr mit Christina. Ich meinte natürlich mit Chrissi.“

„Oh.“

„Jetzt sag mal, alles in Ordnung mit dir?“

„Ja. Wieso?“

„Du hörst dich anders an. Als würde dich etwas beschäftigen. Ich meine, mehr beschäftigen als sonst.“

„Nichts weiter. Nur Wibke und die Schnittchen. Wir haben nie Schnittchen. Was soll das? Und Trier natürlich, du weißt ja.“

War das jetzt schon gelogen? Also, richtig gelogen? Die Schnittchen schon, ja. Aber er wollte Jo nicht erklären, was los war. Er wusste es ja selbst nicht genau. Und er hatte gelesen, dass Menschen sich jeden Tag ein Dutzend Mal anlügen oder zwei Dutzend Mal oder sogar noch öfter, nur so könnten sie miteinander leben. Andererseits, wäre er richtig eng und vertraut mit Jo, so, wie Jo mit ihm, dann hätte er ihr jetzt schon mehr erzählt.

Oder?

Sie sagte, „Na gut. Du kommst also nicht heute Abend?“

„Sprich du mal in Ruhe mit Lukas, Jo. Wir sehen uns morgen.“

„Okay, Baby ... Bis morgen dann.“

„Ja, dann.“

Elijah drückte die rote Taste.

Er schaltete den Scheibenwischer aus. Es hatte aufgehört zu regnen.

Was Tschako wohl heute machte.