Das gefallene Imperium 10: Um jeden Preis

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From the series: Das gefallene Imperium #9
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»Aber er sollte sich wirklich ausruhen.«

Die Ärztin deutete mit einer Bewegung ihres Kinns auf den XO. »Sagen Sie ihm das. Der Kerl hat Hummeln im Arsch, wenn Sie mich fragen. Ich habe ihm jetzt noch etwas Stärkendes gegeben sowie einen Vitamincocktail und etwas Aufputschendes. Aber wenn er weiter derart viel Gas gibt, wird er uns noch aus den Latschen kippen.« Die Ärztin warf Sorokin einen berechnenden Blick zu. »Sie könnten ihm befehlen, sich auf die Krankenstation zu begeben.«

Der Commodore dachte ernsthaft über diese Möglichkeit nach. Doch er schüttelte den Kopf. »Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann ist es schwer, ihn ruhig zu halten. Der Mann will sich nützlich machen und das respektiere ich. Behalten Sie ihn im Auge. Wenn sich sein Zustand verschlechtert, geben Sie mir Bescheid. Dann werde ich ihn auf die Krankenstation beordern. Notfalls lasse ich ihn von den Marines dorthin schleifen.«

Die Ärztin war über den Verlauf des Gesprächs nicht glücklich, doch sie war Profi genug, um zu wissen, wann sie auf verlorenem Posten kämpfte.

»Wie sieht es in Ihrer Abteilung aus?«, wechselte Sorokin das Thema.

»Jedes freie Bett ist belegt. Vierunddreißig Leute liegen flach. Die meisten immer noch mit Unterkühlungen von unserem Marsch durch diese Eiswüste dort draußen. Einige haben Finger oder Zehen verloren. Ein paar Leute wie unser XO dort drüben kämpfen immer noch mit Verletzungen, die sie sich während der Evakuierung zugezogen haben.« Sie schnaubte. »Wenigstens hat jetzt jeder eine Rüstung, falls wir wieder da raus müssen. Dadurch wird es zukünftig keine Erfrierungen mehr geben.«

Sorokin machte ein besorgtes Gesicht. »Falls wir tatsächlich wieder da raus müssen, werden wir alle draufgehen. Sollten Sie religiös sein, wäre ein Gebet nicht schlecht.«

»Und wofür soll ich beten? Für Rettung?«

Sorokin grinste. »Im Moment wäre ich dafür dankbar, dass uns der Feind nicht findet.«

Die kleine Frau zuckte schelmisch die Achseln. »Ich weiß zwar nicht, ob er mir zuhört, aber versuchen kann ich es ja mal.«

Sorokin wurde erneut ernst. »Wir brauchen jede Hand, die zupacken kann. Sobald die Leute wieder fähig sind zu arbeiten, werfen Sie sie aus dem Bett.«

»Sie können sicher sein, dass ich niemanden länger als nötig dabehalte.«

Kruger neigte kurz den Kopf zur Seite und griff sich ans Ohr, als ihm eine Nachricht über Headset zugestellt wurde. Er bat Sorokin durch einen Blick wortlos um dessen Aufmerksamkeit.

Der Commodore entschuldigte sich bei der Ärztin und trat zu seinem ranghöchsten Marine. Dieser senkte die Stimme. »Eines unserer Beobachtungsteams hat etwas entdeckt.«

Ohne weitere Erklärung eilte Kruger durch die Korridore des havarierten Schiffes und ließ Sorokin keine andere Wahl, als ihm zu folgen. Der Sprint endete in einem der Backbordtürme, der zur Feuerkoordination diente. Dort erwartete sie einer von Krugers Lance Corporals. Der Mann brauchte gar nichts zu sagen. Er deutete einfach wortlos nach Norden. Sorokin blieb vor Staunen der Mund offen stehen.

Das Wrackteil der Sevastopol hatte sich in eine Schneedüne von fast fünfzig Metern Höhe gebohrt und war halb unter dieser begraben. Dahinter befand sich eine weitere noch höhere Schneedüne und hinter dieser erhob sich der Obelisk, der immer noch störungsfrei arbeitete und der Republik mit Bestimmtheit einiges an Kopfzerbrechen bereitete.

Sorokin stützte sich auf den Rahmen eines der großen Fenster mit beiden Händen ab und betrachtete den Obelisken mit einer Mischung aus Abscheu und Faszination. Das Ziel, deswegen sie dermaßen viel Strapazen und Schmerzen auf sich genommen hatten, schien fast zum Greifen nah. Genauso gut hätte es aber auch auf der anderen Seite des Universum sein können.

»Kruger?«, fragte Sorokin halb über die Schulter. »Was schätzen Sie, wie weit er entfernt ist?«

Der Sergeant kratzte sich über das unrasierte Kinn. »In einer solchen Umgebung ist das schwer zu sagen. Fünf Klicks maximal, würde ich annehmen.«

Sorokin nickte leicht. »Nur fünf Kilometer. Das ist eine lächerlich kurze Distanz.«

»Was unternehmen wir jetzt?«, wollte der Lance Corporal wissen.

»Wir können gar nichts machen«, gab Sorokin zurück. »Nicht jetzt und nicht allein.« Der Commodore öffnete einen Kanal seines Komgerätes. »Weber?«, sprach er einen der Ingenieure an.

»Ja, Sir?«, meldete sich dieser augenblicklich.

»Die Kommunikation hat ab sofort Priorität. Es ist mir egal, wie Sie es anstellen, aber ich muss mit jemandem sprechen, der ein paar Soldstufen über mir steht.« Er wollte die Verbindung schon unterbrechen, hielt aber noch einmal inne. »Und Weber? Die Sensoren wieder zur Verfügung zu haben, wäre auch keine schlechte Sache. Wir müssen unbedingt wissen, was dort draußen vor sich geht. Im Augenblick sind wir taub und blind.« Er kappte die Verbindung, bevor Weber antworten konnte. Es war ohnehin alles gesagt.

Sorokin seufzte. »Fünf Kilometer«, meinte er. Er wandte sich den beiden Marines zu. »Wissen Sie eigentlich, was das heißt?«

Krugers Mimik nach wusste er es. Der Lance Corporal hatte es noch nicht ganz erfasst, also sah sich Sorokin zu einer Erklärung genötigt. »Wenn die Hinrady ihrer üblichen Taktik folgen, dann ziehen sie eine tiefengestaffelte Verteidigung rund um ein Ziel von hoher Wichtigkeit.« Sorokin deutete über die Schulter auf den Obelisken. »Dieses Netzwerk aus Verteidigungsanlagen ist bis zu zehn Kilometer tief.« Der Commodore sah von einem zum anderen. Dem Lance Corporal dämmerte langsam, worauf es Sorokin ankam. Dieser stieß einen Schwall Luft aus. »Wir sind mitten in ihrem Verteidigungsgperimeter runtergegangen. Wahrscheinlich ist ihnen unser Marsch hierher wegen des Schneesturms entgangen. Ansonsten hätten sie uns längst entdeckt und erledigt.« Sorokin machte eine verkniffene Miene. »Am besten, wir verhalten uns so still wie nur möglich. Sonst holen unsere Primatenfreunde dieses Versäumnis nach.«

7

Flottenadmiral Corben Baker war nicht wirklich glücklich über sein derzeitiges Kommando. Er wäre viel lieber mit Garner am Riss gewesen oder auch mit Wagner bei Tau’irin.

Stattdessen befand er sich mit seinem Dreadnought Revenge über Vector Prime, um das wichtigste System in Frontnähe zu schützen. Baker sah ein, dass es unumgänglich war, nicht alle höheren Offiziere der Gefahr der Frontkämpfe auszusetzen. Irgendjemand musste zurückbleiben. Falls alles den Bach runterging, war es wichtig, dass jemand das Ruder ergriff. Außerdem befand sich Präsident Mason Ackland auf Vector Prime. Und dessen Anwesenheit rechtfertigte bereits besondere Vorsichtsmaßnahmen.

Baker strich nachdenklich über den Datenträger, der vor ihm auf dem Tisch seines Arbeitszimmers an Bord der Revenge lag. Die Daten darauf hatte er in den vergangenen Wochen immer und immer wieder durchgelesen, doch er konnte sich mit den damit einhergehenden Implikationen nicht recht anfreunden.

Der Datenträger behandelte einen Plan, dem zufolge Baker so viele Menschen wie nur möglich auf Schiffe packen und in die Weiten des Weltraums fliehen sollte, falls es den Streitkräften der Nefraltiri gelang, Garner und dessen Verbündeten zu schlagen.

Baker lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sah durch ein breites Panoramafenster hinaus ins All. Falls Garner unterlag und die Nefraltiri die Oberhand gewannen, war der Krieg vorbei. Es würde keine Möglichkeit mehr geben, die Nefraltiri zu überwinden. Baker verfügte bei Vector Prime über weniger als dreihundert Schiffe, in der Mehrzahl kleinere Kaliber von einem Angriffskreuzer abwärts.

Einen gewissen Prozentsatz der Menschheit in Sicherheit zu bringen, schien in der Tat die letzte Hoffnung, die menschliche Rasse vor der Ausrottung zu bewahren. Und trotzdem behagte Baker es nicht, den Schwanz einzukneifen und davonzulaufen. Es war schlichtweg nicht seine Art zu denken. Als Feigling schaffte man es nicht an die Spitze der mächtigsten Raumflotte des bekannten Weltraums.

In aller Stille hatten bereits die Vorbereitungen begonnen. Legionäre eilten des Nachts durch die Straßen von Cibola und weiteren Städten Vector Primes und trieben Wissenschaftler sowie anderes für den Aufbau einer Zivilisation unentbehrliches Personal und deren Familien zusammen und verfrachteten diese ohne viel Federlesens auf Transportschiffe. Diese starteten, sobald ihre Passagierlisten komplett waren, und steuerten einen streng geheimen Sammelpunkt an. Dabei handelte es sich um ein unbewohntes System in der Nähe von Cosa Tauri. Dort sammelte sich in aller Heimlichkeit eine Flotte von Schiffen aus dem ganzen republikanischen Raum, deren Passagierlisten alle nach demselben Vorbild zusammengestellt worden waren. Dies stellte einen Querschnitt durch den menschlichen Genpool dar. Vom Sammelpunkt aus war lediglich ein weiterer Sprung nötig und man befand sich bereits in nicht kartografiertem Weltraum.

Ein solcher Schritt schien zunächst sehr extrem. Aber wenn man erst mit der Evakuierung begann, sobald sich die Nefraltiri auf dem Vormarsch befanden, war es längst zu spät. Bei diesem Plan handelte es sich um eine reine Vorsichtsmaßnahme. Sollte Garner erfolgreich sein, konnte man diese Menschen wieder zurück auf ihre Planeten bringen.

Ein weiterer Konvoi aus Transportschiffen durchbrach die äußere Atmosphäre von Vector Prime und beschleunigte rasch, um Sprunggeschwindigkeit aufzubauen. Er beherbergte weitere zwanzigtausend Menschen für den Exodus, der hoffentlich gar nicht notwendig sein würde.

Baker kniff die Augen zusammen. Ein Lichtblitz flammte über der Atmosphäre von Vector Prime auf. Lediglich für eine Sekunde. Eigentlich kaum wahrnehmbar, hätte der Admiral nicht ausgerechnet in diesem Moment durch das Fenster ins All geblickt. Abermals flammte ein Blitz aus. Es folgten weitere, so schnell, dass Baker ihnen kaum zu folgen imstande war.

 

Noch während sein Gehirn verarbeitete, was er da sah, schrillten die Alarmsirenen durch die Korridore und Quartiere der Revenge und riefen die Besatzungsmitglieder auf die Gefechtsstationen.

Baker schnellte von seinem Stuhl hoch und rannte durch die Tür. Als er die Kommandoebene des Dreadnoughts betrat, herrschte bereits eine Atmosphäre professionellen Chaos. Sein XO stand schon abwartend neben dem Kommandosessel.

Baker ließ sich in den Sessel fallen und schnallte sich fest. Der Bordcomputer reagierte auf die Anwesenheit des Admirals, indem sich das taktische Hologramm automatisch aktivierte.

»Geben Sie mir die Kurzfassung«, wies er seinen Ersten Offizier an.

Commander Nagumi Hiroshi holte tief Luft. »Es sind zwei separat operierende Verbände«, erklärte der Offizier. »Sie sind plötzlich über dem Hauptplaneten und bei den Monden aufgetaucht. Wir haben über fünfhundert Schiffe gezählt. Aber ihre genaue Anzahl zu verifizieren ist schwer. Einige von ihnen führen am laufenden Band Dimensionssprünge aus. Es verschwinden ein paar, dafür tauchen wieder andere auf. Der Vorgang ist derart schnell, dass wir ihre Einheiten oftmals nicht voneinander unterscheiden können.«

»Sie versuchen, uns zu verwirren«, stellte Baker fest. »Die Flohteppiche verschleiern dadurch ihre genaue Anzahl. Ist die Zahl von fünfhundert akkurat?« Hiroshi nickte. Baker lag ein derber Fluch auf den Lippen. Falls sie es tatsächlich mit einer solch starken Streitmacht zu tun hatten, dann steckten sie bereits jetzt tierisch in der Scheiße. Erst jetzt wurde dem Admiral richtig bewusst, was sein XO gesagt hatte.

»Die Monde? Sie greifen die Monde an?« Sein Herz setzte für einen Schlag aus. Er rief eine vergrößerte Darstellung der Monde und dortigen Schiffswerften auf. Flottenadmiral Corben Baker bekam einen Logenplatz bei der Zerstörung der zweitgrößten Schiffswerftanlage der Republik und aller sechsunddreißig Dockplätze.

Die Hinrady griffen Welle um Welle an und die Werften wurden Opfer eines Flächenbombardements. Die Verteidigungsanlagen leisteten Übermenschliches. Mehrere feindliche Kampfschiffe und haufenweise Jäger wurden beim Anflug zerstört, doch am Endergebnis machte dies keinen Unterschied.

Acht noch im Bau befindliche Dreadnoughts, von denen sich über die Hälfte in der letzten Phase der Fertigung befand und achtundzwanzig weitere nahezu fertiggestellte Großkampfschiffe wurden vor seinen Augen in Stücke geschossen. Von dem Verlust an Leben, Rohstoffen und Produktionsmaterial ganz zu schweigen. Die zum Schutz der Werft abgestellten Wachgeschwader kämpften tapfer und wehrten sich mit dem Mut der Verzweiflung. Sie wurden jedoch von der Wucht des vorgetragenen Angriffs beiseitegefegt.

Der erste Impuls des Admirals bestand darin, Hilfe zu entsenden und den Angriff zurückzuschlagen. Doch die analytische Seite seines Verstandes wusste, es war bereits zu spät. Er konnte dort nichts mehr tun.

»Weitere Schiffe materialisieren über der Atmosphäre des Hauptplaneten«, informierte ihn sein XO. Der Mann sah mit großen Augen auf. »Sie haben es auf die Raumstation abgesehen.«

»Auf mein Hologramm!«, befahl Baker.

Ein Livebild wurde eingespeist. Die Raumstation stand unter schweren Beschuss. Die Navigationsfähigkeiten der Hinrady waren wahrlich beeindruckend. Sie sprangen in den Nahkampfbereich der Station und ließen der Besatzung damit kaum Reaktionszeit. Obwohl die Station mit mehreren der seltenen Kategorie-7-Laser ausgestattet war, die sogar einen Dreadnought kurzerhand in Stücke schießen konnten, gelang ihnen nur ein paar gute Treffer, bevor es den Flohteppichen gelang, die Stationsabwehr quasi im Handstreich auszuschalten. Die Hauptbewaffnung der Raumstation verstummte und es blieb nur die Sekundärbewaffnung übrig, um die Feinde abzuwehren. Dieser Erfolg hatte die Hinrady gerade einmal vier Jagdkreuzer gekostet.

Bodengestützte Abwehrwaffen eröffneten das Feuer und die Hinrady erlebten zum ersten Mal seit Beginn der Schlacht ernste Rückschläge. Sie verloren innerhalb weniger Minuten mehr als dreißig Schiffe.

Bakers Augenmerk richtete sich auf zwei Dinge: Die Schiffsrouten aus und in das System mussten geschützt werden sowie Vector Prime selbst.

Baker kämpfte die aufkommende Panik nieder. Der Feind hatte ihnen einen schweren Schlag versetzt und die Verteidigung von Vector Prime zum Taumeln gebracht. Das war aber auch alles.

»Kommandobrücke sichern!«, ordnete er mit fester Stimme an. Die gepanzerten Lamellen schoben sich über die durchsichtige Kuppel und trafen schließlich aufeinander. »Schicken Sie eine Nachricht an Taran Stuullonor, Admiral Garner und Admiral Wagner. Informieren Sie sie über unsere Lage und dass Vector Prime ab sofort Frontsystem ist. Anschließend ziehen Sie alle verbliebenen mobilen Kräfte im System über dem Hauptplaneten zusammen. Sammelstelle ist die Revenge.« Bakers Blick fokussierte sich auf die angreifenden Schiffe, die sich im Orbit sammelten. Einige waren bereits dabei, Angriffe auf Bodenziele durchzuführen. Der unterstützende Beschuss der republikanischen Stellungen auf der Oberfläche ließ merklich nach, als feindliche Jäger Präzisionsangriffe flogen. Baker war dabei, seinen einzigen Vorteil zu verlieren. »Und lassen Sie den Präsidenten in Sicherheit bringen«, knurrte Baker. »Sagen Sie ihm, wir werden Vector Prime bis zum letzten Mann verteidigen.«

In Cibola war es bereits ein Uhr nachts, als die Tür zu Präsident Mason Acklands Hotelzimmer aufgerissen wurde. Der Präsident schreckte aus ohnehin unruhigem Schlaf hoch. Vier Mitglieder der 11. Gardelegion standen plötzlich in voller Rüstung und unter Waffen in seinem Schlafzimmer.

Einer von ihnen machte sich nicht einmal die Mühe einer Erklärung. Der Mann schnappte sich den Präsidenten, warf dem verdutzten Staatsoberhaupt einen Morgenmantel zu, den sich dieser verwirrt über den Pyjama zog, und schleppte ihn aus dem Hotelzimmer hinaus auf den Flur.

Dort herrschte rege Betriebsamkeit. Weitere Legionäre mehrerer verschiedener Gardeeinheiten standen dort bereit. Sie nahmen den Präsidenten in die Mitte und eilten durch die Korridore davon.

Aus Gewohnheit wollte Mason den Aufzug ansteuern. Aber der Legionär, der ihn unsanft aus dem Bett bugsiert hatte, schüttelte den Kopf. »Zu gefährlich. Wir nehmen die Treppe.«

Mason leistete keinen Widerstand und gab keine Widerworte. In einer Krisensituation hatten seine Personenschützer das Sagen.

Pures Adrenalin schoss durch seine Adern, als er sich von den Legionären ins Treppenhaus führen ließ. Für die Dauer von Acklands Aufenthalt war das ganze Hotel für den Stab des Präsidenten gebucht worden. Und dabei handelte es sich um umfangreiches Personal. Und jeder Einzelne von ihnen schien auf den Beinen zu sein.

Die Legionäre gingen auf ihrem Weg nicht gerade sanft zu Werke. Wer nicht schnell genug aus dem Weg springen konnte, dem machten sie unter Einsatz ihrer Ellbogen und mitunter sogar der Gewehrkolben Beine. Der Schutz des Präsidenten hatte unter allen Umständen Vorrang.

Masons Atem ging inzwischen nur noch stoßweise vor Anstrengung. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten sie endlich die Straße. Eine gepanzerte Limousine eingerahmt von Militärfahrzeugen wartete auf ihn und seine Eskorte. Der Präsident wollte endlich wissen, was denn nun eigentlich vor sich ging. Doch jegliche Frage blieb ihm im Hals stecken.

Dröhnende Sirenen hallten durch die Straßen und über die Dächer. Sie warnten die Bevölkerung vor einem bevorstehenden Luftangriff. Die Menschen rannten aus ihren Häusern, um einen der Zivilschutzbunker zu erreichen. Kaum einer besaß mehr an Habseligkeiten als das, was er gerade am Leib trug.

»Sir? Wir haben keine Zeit mehr«, drängte der Gardelegionär an seiner Seite. »Wir müssen los.«

Mason eilte auf die geöffnete Tür der Limousine zu. In diesem Moment setzte das Abwehrfeuer ein. Leuchtspurmunition und Energiestrahlen erhellten den Nachthimmel. In einem der aufglimmenden Blitze erkannte Mason, womit sie es zu tun hatten. Die Umrisse eines Jagdkreuzers der Hinrady zeichneten sich vor dem grellen Gelb und Orange unzähliger Explosionen ab. Das feindliche Kampfschiff öffnete seine Hangars und entließ Dutzende Kampfjäger in die Schlacht, die sich sofort daranmachten, die Verteidigungsanlagen am Boden zu attackieren.

Nur eine Querstraße weiter erhob sich mit einem Mal eine Explosionswolke über die Dächer der Großstadt. Die Legionäre wandten sich gleichzeitig mit ihrem Präsidenten in die entsprechende Richtung.

Der Legionär, der zuvor mit ihm gesprochen hatte, schubste den Präsidenten einfach in die Limousine mit den Worten: »Das war ein Bunker mit einem Raumabwehrlaser. Dieser Teil von Cibola ist nicht mehr uneingeschränkt geschützt. Wir müssen hier weg. Sofort!«

Die Soldaten verteilten sich auf die anderen Fahrzeuge und die Fahrer gaben auch sofort Gas. Während der Legionär am Steuer wie der Teufel fuhr, schien die Hölle Cibola heimzusuchen. Mehrmals entgingen sie nur knapp den Auswirkungen feindlicher Bombardements. Und die ganze Zeit über dachte Mason daran, dass Garner hoffentlich nicht so dämlich sein würde, Verstärkung nach Vector Prime zu schicken.

Die 217. Legion gehörte ganz sicher nicht zur Créme de la Crème der Streitkräfte. Wäre sie es gewesen, dann hätte sie sich an der Front befunden.

Die Zwo-eins-sieben bestand zum überwiegenden Teil aus Reservisten und noch einsatzfähigen Kriegsversehrten. Die Legion war zum Dienst an der Heimatfront formiert worden, während die Elitelegionen der Republik sich aufmachten, die Nefraltiri auf eigenem Boden zu stellen und zu vernichten.

Wenn man die Sache schonungslos aussprach, dann bestand die Zwo-eins-sieben aus bestenfalls zweitklassigem Material. Genauso wie der überwiegende Teil der in der Republik zurückgebliebenen Verbände. Irgendjemand musste schließlich den Garnisonsdienst übernehmen, während richtige Soldaten richtige Arbeit leisteten. Niemand hatte erwartet, dass diese Einheit jemals würde kämpfen müssen. Nicht, wenn Garner seinen Job erledigte. Fast alle Soldaten der Zwo-eins-sieben waren Einheimische von Vector Prime, wie es bei reinen Garnisonseinheiten gemeinhin üblich war.

Sirenen dröhnten plötzlich durch die Korridore der Kaserne und niemand war überraschter darüber als Sergeant Gabriel Brewster vom Feuertrupp Pranke des Drachen. Brewster stand von einem Augenblick zum nächsten aufrecht im Bett.

Der Sergeant benötigte einige kostbare Sekunden, um sich zu orientieren und dann noch einmal dieselbe Zeitspanne, um sich zu vergegenwärtigen, dass er weder träumte noch dies eine Übung sein konnte.

Brewster sprang von der Pritsche. Es kam hektische Bewegung in die Unterkünfte der Zwo-eins-sieben. Die Legionäre zogen ihre Schutzkleidung über und schoben ihren Körper in die bereitstehenden Rüstungen. Diese schlossen sich hinter ihnen entlang des Rückgrats. Die Kampfpanzerungen hatten im Bereitschaftsmodus verharrt. Das war so ziemlich das Einzige, was die Soldaten richtig gemacht hatten.

Einheiten wie die 5. FAL, die 18. Gardelegion oder die 7. Legion des 12. Korps wären in einem Bruchteil der Zeit einsatzbereit gewesen.

Die Legionäre stürmten aus ihrer Unterkunft und formierten sich auf dem großen Platz davor. Es stießen dann auch noch die 210. sowie die 185. dazu. Beide sogar mit deutlich mehr Verspätung als Brewsters Einheit. Es war ein unwürdiges Gefühl, aber er spürte Schadenfreude in sich aufsteigen. Wenigstens gehörten seine Leute nicht zu den schlechtesten.

Es knackte in seinem Ohr. »Gabe?«, fragte Amy Crasnowski, die Nummer zwei seines Trupps. »Was zum Teufel ist denn los?«

»Sieht so aus, als kommen die Flohteppiche zu einer kleinen Begrüßungsrunde.«

»Ist das dein Ernst? Wir sollen es mit denen aufnehmen? Die Herren Offiziere werden uns doch wohl nicht wirklich in den Kampf schicken wollen?«

»Ich sehe nicht, dass wir eine große Wahl haben«, antwortete Brewster.

»Aber … aber wir sind auf so was nicht vorbereitet.« Amys Stimme klang entschieden nach einem Anfall bevorstehender Panik.

Brewster rief sich in Erinnerung, dass kaum jemand von ihnen große Kampferfahrung besaß. Dieses Gefühl von Hilflosigkeit, gepaart mit Angst und Panik, würden viele seiner Leute spüren. Wenn er ganz ehrlich war, dann war er davor auch nicht gefeit.

»Ganz ruhig, Amy. Besinne dich auf deine Ausbildung. Dann schaffen wir das. Halt dich dicht bei mir.«

 

Seine Nummer zwei antwortete nicht, was ein schlechtes Zeichen darstellte. Er nahm sich vor, die Frau im Auge zu behalten. Wenn einer anfing wegzurennen, dann zog er zwangsläufig andere mit. Und Brewster hatte keine Lust draufzugehen, weil ein paar Außenseiter nicht wussten, wie man sich als Legionär während einer Schlacht verhielt.

Ein Brigadegeneral, den Brewster nicht kannte, trat vor die versammelten drei Legionen und erhob die Stimme. Die Worte des Generals wurden über das Komgerät einer jeden Rüstung übertragen. Brewster glaubte jedoch nicht, dass dem Kerl besonders viele Leute zuhörten, denn in diesem Moment wurde der Himmel über Vector Prime von einem gleichzeitig schönen und tödlichen Schauspiel erhellt. Die unverwechselbaren Zeichen einer Raumschlacht zogen über ihnen dahin und übten auf die anwesenden Legionäre einen gleichzeitig faszinierenden wie erschreckenden Bann aus.

Brewster löste sich als einer der Ersten wieder davon und richtete sein Augenmerk auf den Brigadegeneral. Der Sergeant erkannte, dass er wenig bis gar nichts verpasst hatte. Der General hatte wohl eine flammende Ansprache gehalten, in der er die Verteidiger von Cibola auf den bevorstehenden Kampf einschwor. Brewster verzog die Miene. Die Ansprache hätte sich der Mann schenken können. Worte waren schön und gut, aber der Sergeant hätte sie jederzeit gegen eine Schwadron Panzerschleicher eingetauscht.

Der Brigadegeneral kam nun endlich zum Wesentlichen. »Legion Eins-acht-fünf begibt sich ins Stadtzentrum und bezieht dort Stellung. Ihre vorrangige Aufgabe wird es zunächst sein, die Zivilisten dieses Abschnitts in die Schutzbunker zu eskortieren. Die Zwo-eins-null wird an der nördlichen Stadtgrenze Position beziehen und sich dort einer Artilleriekohorte anschließen. Wir vermuten, dass in diesem Bereich einer der ersten ernst zu nehmenden Vorstöße stattfinden wird.« Der General räusperte sich. »Nun zur Zwo-eins-sieben.« Brewster war von einer Sekunde zu nächsten hellwach und spitzte die Ohren. »Ihre Einheit marschiert umgehend zum Raumhafen und wird diesen sichern.« Der General verharrte für einen Augenblick regungslos. »Das wäre alles«, schloss er das Briefing schließlich.

Die Legionäre lösten sich aus der erzwungenen Starre und formierten sich um ihre Kommandeure. Gefechtstaxis brausten herbei, um die Soldaten zu ihren Einsatzzielen zu bringen.

Die Ausnahme hierbei bildete die Zwo-eins-sieben. Die Kasernen befanden sich unmittelbar neben dem Raumhafengelände. Wenigstens mussten sie nicht weit laufen, ging es Brewster durch den Kopf, als die 217. Legion die Sicherung des Geländes übernahm. Sein Blick glitt nach oben, als er die hoch über ihm stattfindende Schlacht angestrengt musterte. Er hoffte, die Flotte würde die Landung verhindern können. Aber irgendwie glaubte er nicht recht daran.

Zwei Transporter voller Flüchtlinge, die eigentlich für den Exodus gedacht waren, gerieten ins Kreuzfeuer und wurden von den Hinrady in Stücke geschossen.

Nun fluchte Baker wirklich. Die Revenge schob ihren riesigen, von Waffen gespickten Rumpf zwischen den Gegner und die hilflosen Menschen eingepfercht in etwas, das man lediglich als fliegenden Sarg bezeichnen konnte.

Die Geschütze des Dreadnoughts spuckten Speere aus Licht gegen den anrückenden Feind und zwangen mehrere Hinradyschiffe zum Ausweichen. Zwei der Feindschiffe gerieten unter Beschuss und der Rumpf des einen wurde auf breiter Front aufgerissen. Der Antrieb explodierte und das Wrack geriet in die Anziehungskraft des Planeten. Sich um die eigene Längsachse drehend, stürzte es trudelnd ab.

Das zweite Schiff wurde vom Bug bis zum Heck perforiert. Dennoch konnte es sich um ein Haar absetzen. Ein Schlachtkreuzer preschte jedoch plötzlich vor und nahm den angeschlagenen Jagdkreuzer unter Beschuss. Mehrere kohärente Energiestrahlen schnitten durch die bereits arg geschwächte Panzerung und zerteilten den Kreuzer in mehrere fast gleichgroße Teile, die nacheinander von Sekundär- und Tertiärexplosionen verzehrt wurden.

»Hiroshi, ich brauche einen Statusbericht!«, forderte Baker.

»Alle mobilen Kräfte sind um unseren Standort versammelt«, gab der XO der Revenge gepresst zurück und übertrug gleichzeitig die aktuelle Aufstellung der Verteidigungskräfte auf das taktische Hologramm des Admirals.

Baker schluckte und biss sich anschließend auf die Zunge. Es waren wesentlich weniger, als er gehofft hatte. Knapp zweihundertdreißig Schiffe hatten sich um Vector Prime versammelt. Dazu zählten aber auch einige uralte Torpedoboote, die eigentlich längst nicht mehr kampftauglich waren. Sie wurden inzwischen bis zu ihrer Ausmusterung als Lotsen eingesetzt, um den Verkehr über die Schiffsrouten zu regeln und auf diese Weise Unfälle zu vermeiden.

»Das sollten wesentlich mehr sein?«, bellte Baker. »Wo zum Geier ist der Rest?«

»Zerstört oder kampfunfähig geschossen«, antwortetet Hiroshi und deutete auf Bakers Hologramm. Der Admiral folgte dem Wink und verstand. Die Monde von Vector Prime waren praktisch zerstört mit allen dort befindlichen Werftanlagen und fast einem Viertel seiner Kampfkraft. Sie waren bei dem vergeblichen Versuch, die im Bau befindlichen Schiffe zu schützen, untergegangen. Baker verfluchte sich im Stillen selbst. Beim ersten Anzeichen eines Angriffs hätte er seine Kräfte zusammenziehen müssen. Aber er hatte gezögert und dadurch kostbare Ressourcen und Leben verloren. Das hätte nicht passieren dürfen.

Ungewollt kam ihm das Zitat Wer alles verteidigt, verteidigt nichts in den Sinn. Wer hatte das noch mal gesagt? Friedrich II., meinte er sich zu erinnern.

Baker bemerkte, dass Hiroshi etwas sagen wollte, und drehte seinen Kommandosessel um neunzig Grad, um den XO zu Wort kommen zu lassen.

»Das Abwehrfeuer vom Planeten wird schwächer«, fuhr der Mann mit seinem Bericht fort. »Die Hinrady schalten nach und nach die Verteidigung aus. Die Flohteppiche hatten Verluste, sind uns aber immer noch zahlenmäßig überlegen.«

»Wie hoch sind ihre Verluste ungefähr?«

»Seit Beginn des Angriffs um die hundert Schiffe.«

Baker rümpfte die Nase. »Dann stehen wir mit weniger als zweihundertdreißig Schiffen gegen vierhundert feindliche.« Seine Mundwinkel zuckten. »Dann ist der Kampf fair.« Das war natürlich maßlos übertrieben, aber der kleine sarkastische Scherz rief tatsächlich amüsiertes Kichern unter seiner Brückencrew hervor. Baker spürte, wie die Anspannung schlagartig wich und grimmiger Entschlossenheit Platz machte.

Der Kopf des Admirals hob sich und er starrte die Panzerlamellen der Brückenkuppel an, als könne er durch den zentimeterdicken Stahl hindurch die Hinradyschiffe mit bloßem Auge erkennen. Seine Hände verkrampften sich um die Lehnen des Kommandosessels. »Alle Einheiten zum Vorrücken formieren«, verkündete er mit tiefer Stimme. »Wir greifen an.«

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