Förderung des Sprechens im kompetenzorientierten Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe

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Förderung des Sprechens im kompetenzorientierten Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe
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Sebastian Miede

Förderung des Sprechens im kompetenzorientierten Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe

Eine qualitativ-empirische Studie

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

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© 2019 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

www.narr.de • info@narr.de

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ISBN 978-3-8233-8368-0 (Print)

ISBN 978-3-8233-0198-1 (ePub)

Inhalt

  Danksagung

 1 Einleitung1.1 Ausgangspunkt für die Forschung: Neue Perspektiven der Mündlichkeit im Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe1.2 Zielsetzung, Forschungsdesign und Aufbau der Arbeit

 2 Sprechkompetenz im Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe in Bildungspolitik und Forschung2.1 Historischer Abriss: Von der Grammatik-Übersetzungs-Methode zu kommunikativer Kompetenz2.2 Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen2.3 Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache2.4 Ausgestaltung der Vorgaben in den Bundesländern: Kerncurricula Englisch für die Oberstufe in Hessen und Niedersachsen2.5 Die Komplexität der Sprechkompetenz: kognitive und psycholinguistische Vorgänge2.5.1 Sprachproduktion aus psycholinguistischer Perspektive2.5.2 Fluency, accuracy & complexity – Dimensionen der fremdsprachlichen Sprechleistung2.6 Die Förderung der Sprechkompetenz in der gymnasialen Oberstufe2.6.1 Sprechzeit2.6.2 Differenzialpsychologische Determinanten & Lernerbiografien2.6.3 Zugänge zur Methodik des Sprechens2.6.4 Aufgabenorientierung und Inhalte2.6.5 Register und Genrebezug2.6.6 Sprechkompetenz messen und beurteilen2.7 Exkurs: Linguistische Zugänge zur Sprechkompetenz und ihre Limitationen

 3 Erkenntnisinteresse und Untersuchungsdesign3.1 Empirische Forschung im Fremdsprachenunterricht3.2 Fachdidaktisches Erkenntnisinteresse3.3 Untersuchungsdesign3.3.1 Genese des Sampling3.3.2 Datenerfassung und Dateninterpretation

 4 Kodierung, Analyse und Interpretation von Lehrer- und Schülerbeiträgen an zwei Beispielen4.1 Die Kodierungen der Unterrichtsbeiträge4.2 Kodierungssystem interaktive Aufgabenformate4.3 Kodierungssystem monologische Formate4.4 Dialogisches Sprechen: Talkshow zur Todesstrafe in den USA4.4.1 Institution, Lerngruppe und Lehrkraft4.4.2 Textgrundlage und Unterrichtskontext4.4.3 Analyse der Unterrichtsbeiträge4.4.4 Zwischenfazit dialogisches Sprechen4.5 Monologisches Sprechen: Referat zu To Kill a Mockingbird von Harper Lee4.5.1 Analyse der Unterrichtsbeiträge4.5.2 Zwischenfazit monologisches Sprechen4.6 Retrospektive Interviews mit den Lernenden (RiS)4.7 Retrospektives Interview mit der Lehrkraft (RiL)4.8 Zwischenfazit Pilotierung

 5 Analyse von Unterrichtsdaten aus einem Leistungskurs der 13. Klasse zum Thema Südafrika5.1 Institution, Lerngruppe und Lehrkraft5.2 Unterrichtskontext5.3 Dialogisches Sprechen: Analyse der Unterrichtsbeiträge5.4 Monologisches Sprechen: Referat zum Thema Political System of South Africa: Analyse der Unterrichtsbeiträge5.5 Retrospektive Interviews mit den Lernenden (RiS)5.6 Retrospektives Interview mit der Lehrkraft (RiL)5.7 Fazit der beiden Fallstudien

 6 Analyse von Unterrichtsdaten aus einem Grundkurs der Klasse 12 – Dialog mit Bildimpuls und Referat zur Harlem Renaissance6.1 Institution, Lerngruppe und Lehrkraft6.2 Textgrundlage und Unterrichtskontext6.3 Dialogisches Sprechen: Analyse der Unterrichtsbeiträge6.4 Monologisches Sprechen: Referat zur Harlem Renaissance: Analyse der Unterrichtsbeiträge6.5 Retrospektive Interviews mit den Lernenden (RiS)6.6 Retrospektives Interview mit der Lehrkraft (RiL)6.7 Fazit der beiden Fallstudien

  7 Erkenntnisse und Hypothesen 7.1 Bedeutung des Inputs und der Aufgabeninstruktion 7.2 Problemlösungsprozesse und Lehrersteuerung während der Bearbeitung der interaktiven Sprechaufgaben 7.3 Interaktive Formate: Erkenntnisse zur Aufgabenkonzeption und Durchführung 7.4 Erkenntnisse zu monologischen Aufgabenformaten 7.5 Aufarbeitung der Sprechleistungen, Reflexion und Feedback 7.6 Hypothesen

  8 Bibliografie

Danksagung

Diese Arbeit wäre ohne die Mithilfe vieler Menschen nicht in der vorliegenden Form entstanden.

Zuerst möchte ich an dieser Stelle meinen ganz besonderen Dank meiner Doktormutter Prof. Dr. Eva Burwitz-Melzer für die herausragende Betreuung meiner Dissertation entgegenbringen. Stets hatte sie für meine Fragen während der verschiedenen Etappen des Forschungsprozesses ein offenes Ohr. Ihre wertvollen Anregungen haben mich zum Nachdenken und Reflektieren angeregt und mir Alternativen aufgezeigt, wenn ich gedanklich festzustecken drohte. Auch nach Antritt meiner neuen Stelle an der Stiftung Universität Hildesheim war sie trotz der Distanz immer verfügbar, wenn ich eine Frage oder ein Problem hatte. Dafür möchte ich ihr herzlich danken, wie auch für meine Einbindung in das Doktorandenkolloquium des GCSC. Dort wurde es mir ermöglicht, mein Forschungsprojekt vorzustellen, gemeinsam Daten anzuschauen und mit anderen Doktoranden und Habilitanden in einen konstruktiven Austausch darüber zu treten. Diese Erfahrungen waren sehr wertvoll und haben meinen Forschungsprozess fortwährend unterstützt. In diesem Zusammenhang gilt mein aufrichtiger Dank Prof. Dr. Hélène Martinez, die im Rahmen des Kolloquiums großes Interesse an meinem Projekt zeigte und mich stets ermutigte, am Ball zu bleiben und mich durch die Datenmengen zu kämpfen. Ich freue mich daher sehr darüber, dass sie sich dazu bereit erklärt hat, die Aufgabe der Zweitgutachterin zu übernehmen. Auch möchte ich Prof. Dr. Michael K. Legutke danken, der mein Projekt im Kolloquium stets mit großer Begeisterung verfolgte und mich durch seine Rückfragen stets darin bestärkte, auf die Suche nach den „Goldschätzen“ in meinen Daten zu gehen. Prof. Dr. Jürgen Kurtz möchte ich ebenfalls danken, da er aufgrund seiner Expertise im Gebiet der Sprechkompetenzforschung ein kompetenter und kritischer Ansprechpartner für mein Thema war.

Allen beteiligten Schülerinnen und Schülern, Lehrkräften, Fach- und Schulleitungen möchte ich dafür danken, dass sie die Durchführung meines Forschungsprojekts ermöglicht haben und ihre Lehr- und Lernprozesse für mich transparent gemacht haben.

Desweiteren möchte ich Ruben Glasauer und Revert Klattenberg herzlich für ihre Unterstützung bei der Datenerhebung danken.

Ein großer Dank gilt auch meinen Kolleginnen und Kollegen an den Englischinstituten in Gießen und Hildesheim mit denen ich mich über verschiedene Fragestellungen meiner Arbeit austauschen konnte und wertvolles Feedback erhalten habe. In diesem Zusammenhang möchte ich nicht ausschließlich, aber besonders, Philipp Rüster, Juliane Witzenberger, Jan Simon Schäfer, Leonhard Krombach, Joanna Hirst-Plein und Alina Wegner danken.

 

Ein besonderer Dank gilt auch Prof. Dr. Kristin Kersten, die es mir ermöglicht hat, mich im letzten Jahr der Arbeit an meiner Dissertation intensiv und mit voller Arbeitskraft dem Abschluss des Projekts zu widmen. Für ihre wertvollen Anmerkungen und für die Anbindung an ihr Research Colloquium bin ich sehr dankbar.

Abschließend möchte ich meiner Familie, insbesondere Markus, danken, die mir in den letzten Jahren durch Gelassenheit, guten Zuspruch und Zuversicht stets Kraft gegeben haben, mein Projekt zu verwirklichen.

1 Einleitung
1.1 Ausgangspunkt für die Forschung: Neue Perspektiven der Mündlichkeit im Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe

Sprechkompetenzförderung gilt als eines der Schlagworte im aktuellen fremdsprachendidaktischen Forschungsdiskurs. Es ist eines der übergeordneten Ziele fremdsprachlichen Unterrichts, Schülerinnen und Schüler anzuleiten, ihre kommunikativen Fertigkeiten stetig weiterzuentwickeln. Die gängige Unterrichtspraxis demonstriert jedoch bisher häufig, auch wenn die Studien dazu mit Vorsicht zu rezipieren und interpretieren sind1, dass der Redeanteil der Schülerinnen und Schüler im Vergleich zu dem der Lehrkraft signifikant zu niedrig ist (vgl. Taubenböck 2007, Helmke 2007, DESI Studie 2006). Auch durch die Implementierung kompetenzorientierter bildungspolitischer Dokumente und neuer Abiturprüfungsordnungen gewinnt Mündlichkeit mehr und mehr an Bedeutung (Europarat 2001, KMK 2012, NiBiS 2017). Wenn die neuen Abiturprüfungen mündliche Komponenten enthalten sollen, müssen die Lernenden auf diese Formate vorbereitet werden. Dies hat zwangsläufig eine Zentrierung von Aufgaben im Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe zur Folge, die die Weiterentwicklung der Kompetenzen Lernender in den Bereichen monologisches und interaktives Sprechen gestatten. Lehrkräfte müssen sich nun verstärkt mit der Frage auseinandersetzen, wie sie die Sprechkompetenz ihrer Lerner bestmöglich fördern können. Sie müssen didaktisch-methodisch angemessene und psycholinguistisch gepasste Aufgabenformate kreieren, die es den Lernern ermöglichen, eine zielsprachliche Diskurskompetenz auszubilden.

Der Begriff Mündlichkeit ist in den vergangenen Jahren auch immer mehr in das Blickfeld der deutschsprachigen Fremdsprachenforschung gerückt. Die 2014 veröffentlichten Arbeitspapiere der 34. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts (Burwitz-Melzer et al. 2014) widmen den verschiedenen Perspektiven der Mündlichkeit einen gesamten Band und liefern einen breit gefächerten Eindruck von der Komplexität des Forschungsfeldes, aber auch von den Forschungsdesideraten in ebendiesem. Bei der Rezeption der aktuellen Forschungsbeiträge im Bereich Mündlichkeit wird transparent, dass bereits viele Hypothesen existieren und diese sich hauptsächlich auf drei Aspekte beziehen: (1) die Gestaltung effektiver und psycholinguistisch gepasster Sprechaufgaben, (2) die Bewertung und Evaluation von mündlichen Schülerleistungen sowie (3) den Einfluss bildungspolitischer Standards und Richtlinien auf die Unterrichtsgestaltung und konkreter auf die Förderung von Sprechkompetenz.

An empirischen Studien zu dieser Thematik mangelt es sowohl für die Sekundarstufe I als auch für die Sekundarstufe II. Dies gilt für den Englischunterricht ebenso wie für den Unterricht romanischer Sprachen, slawischer Sprachen oder Deutsch als Fremdsprache/Zweitsprache.

Die (…) illustrierte Komplexität des Sprechens ist bisher nahezu unerforscht. Die Forschungsdesiderata zum Kompetenzbereich des Sprechens sind deshalb vor allem empirischer Art. Was wirklich im Unterricht geschieht, wenn Schülerinnen und Schüler eine Sprechabsicht in der Zielsprache realisieren, wie diese von anderen Lernenden aufgegriffen, ergänzt oder kommentiert, wie in Gruppenphasen in der Zielsprache kommuniziert wird, wie Lehrerinnen mit Zustimmung, Zurückweisung oder Korrektur darauf reagieren – darüber fehlen uns verlässliche Daten aus allen Jahrgangsstufen. (…) Zur Beantwortung dieser Forschungsfragen sind Forschungsdesigns, die Videoanalysen im Unterricht vorsehen, unerlässlich. (Burwitz-Melzer 2014: 25)

Vor dem Hintergrund des Mangels an Empirie im Feld und der erwartbaren Ausrichtung des Englischunterrichts in der gymnasialen Oberstufe zur Kompetenzorientierung ist dieses Forschungsprojekt verortet.

1.2 Zielsetzung, Forschungsdesign und Aufbau der Arbeit

Die Zielsetzung der Studie besteht darin, den Ist-Zustand der schulischen Arbeit mit Lernaufgaben zu dialogischem und monologischem Sprechen in der gymnasialen Oberstufe zu beschreiben, Lerner und Lehrende zu beobachten, Stärken und Schwächen der Unterrichtspraxis aufzuzeigen, Hypothesen über lernförderliche und lernhinderliche Bedingungen für die Förderung von Sprechkompetenz aufzustellen, die aktuelle bildungspolitische Ausrichtung des Englischunterrichts der gymnasialen Oberstufe zu reflektieren und neue Impulse für weitere Forschung, Lehrerprofessionalisierung und Aufgabenkonstruktion zu liefern.

In Kapitel 2 erfolgt zunächst ein historischer Abriss. Es wird ausgeführt, wie sich der Stellenwert kommunikativer Kompetenzen im Lichte verschiedener Forschungserkenntnisse und bildungspolitischer Einschnitte in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt hat. Dabei wird ein Schwerpunkt auf der Betrachtung verschiedener Referenzdokumente wie des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (Europarat 2001), der Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache Englisch/Französisch (KMK 2012) sowie der Kerncurricula einzelner Bundesländer (HKM 2016, NiBiS 2017) hinsichtlich der Bedeutung von Sprechkompetenz liegen. Danach wird ein Überblick über den aktuellen Forschungsdiskurs zum Thema Sprechkompetenz gegeben. Dabei geht es um die Darstellung der Komplexität der Sprechkompetenz mit ihren kognitiven und psycholinguistischen Dimensionen. Außerdem wird die Methodik sowie die Evaluation und Bewertung von Sprechleistungen in den Fokus gerückt.

Kapitel 3 skizziert das fachdidaktische Erkenntnisinteresse und das forschungsmethodologische Vorgehen. Es werden die Forschungsfragen vorgestellt und das Ineinandergreifen der qualitativen Inhaltsanalyse (Burwitz-Melzer/Steininger 2016, Kuckartz 2016, Mayring 2015) mit diskursanalytischen Verfahren ausgeführt. Auch die in der vorliegenden Studie eingesetzte Daten- und Perspektiventriangulation wird hier erläutert.

Die Kapitel 4 bis 6 bilden das Herzstück der Arbeit. Es handelt sich um sechs Fallstudien, drei zu monologischen und drei zu interaktiven Sprechformaten, aus drei verschiedenen Lerngruppen an hessischen und niedersächsischen Gymnasien. In den Fallstudien wird analysiert und diskutiert, wie Lernende die gestellten Sprechaufgaben lösen, welche Probleme auftreten und welche Rückmeldungen sie von der Lehrkraft erhalten. Überdies wird nachvollzogen, welchen Einfluss die lehrerseitige Aufgabenerteilung und die Erarbeitungsphase auf den Erfolg/Misserfolg der Lernenden bei verschiedenen Sprechaufgaben haben. In retrospektiven Interviews wird den beforschten Subjekten (Lehrkräften und Lernenden) die Möglichkeit gegeben, das Unterrichtsgeschehen im Anschluss zu reflektieren und zu kommentieren. Die Fallstudien generieren somit authentische Einblicke in die schulische Praxis zur Durchführung von Sprechaufgaben im Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe und dienen als Grundlage für das Ableiten empirisch fundierter Hypothesen. Mit diesen werden Erkenntnisse gewonnen, die auch auf die Lehrerbildung und schließlich auf den Unterricht zurückwirken können.

Kapitel 7 führt abschließend die Ergebnisse der einzelnen Fallstudien zusammen und setzt diese in Relation zu den in den Kapiteln 2 und 3 ausgeführten, bereits existierenden Forschungserkenntnissen.

2 Sprechkompetenz im Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe in Bildungspolitik und Forschung
2.1 Historischer Abriss: Von der Grammatik-Übersetzungs-Methode zu kommunikativer Kompetenz

Mündlichkeit meint das Verstehen und Produzieren von sprachlichen Äußerungen und bezeichnet in einem schulischen Kontext hauptsächlich ein – häufig spontanes – situationsgebundenes Mitteilen in der Zielsprache, das an einen oder mehrere Zuhörer gerichtet ist (vgl. Ahrens 2014: 9). Der Stellenwert der mündlichen Sprachverwendung im Englischunterricht unterliegt, historisch betrachtet, einem starken Wandel. Diese Entwicklungsprozesse spiegeln sich in den Methoden wider, die den Weg in den Unterricht finden und diesen determinieren. Es soll zunächst ein Einblick in diese Entwicklungen gewährt werden, bevor die aktuelle Unterrichtspraxis in den Blick genommen wird.

Noch im 19. Jahrhundert ist Englischunterricht stark von deduktiven Ansätzen bestimmt. Ausgerichtet an der Methodik des Vermittelns alter Sprachen wie Latein oder Altgriechisch wird auch Englisch sehr grammatikorientiert gelehrt. Die sogenannte Grammatik-Übersetzungsmethode ist gängige Unterrichtspraxis und fordert die Lernenden dazu auf, Texte aus der Zielsprache unter korrekter Anwendung von Regelhaftigkeiten in die Muttersprache zu übersetzen und auf diese Weise die Zielsprache zu durchdringen (vgl. Larsen-Freeman 2007: 11). Gegen diese Art der Gestaltung fremdsprachlichen Unterrichts regt sich noch vor Beginn des 20. Jahrhunderts Widerstand. Vor allem Viëtor spricht sich gegen eine Überbetonung deduktiven Grammatikunterrichts aus und fordert eine Umkehr des Fremdsprachenunterrichts, welche eine zielsprachliche Unterrichtsführung sowie eine Fokussierung von mündlichen Elementen wie Aussprache und Betonung einschließt (vgl. Gnutzmann/Salden 2010: 18, Gnutzmann 2014: 51). Gnutzmann (2014) betont, dass sich eine solche Forderung lange nicht durchsetzen konnte und dass eine Orientierung zu mehr Mündlichkeit erst mit der Einführung der audiolingualen Methode in den 1960er Jahren vollzogen wird (vgl. ibid.: 51). Die audiolinguale Methode ist ein Resultat behavioristischer Ansätze zur Vermittlung von Fremdsprachen und fußt auf der Annahme, eine Fremdsprache lasse sich auf ähnliche Weise erlernen wie anderes menschliches Verhalten (vgl. Larsen-Freeman 2007: 35, Lightbown/Spada 2013, Ellis/Shintani 2014). Es wird auf Methoden der operanten Konditionierung zurückgegriffen, mit dem Ziel, korrekte Sprachverwendung als positives Verhalten zu habitualisieren. Durch entsprechende Stimuli werden Reaktionen der Lernenden hervorgerufen; der Lehrer dient als Sprachmodell und verwendet zudem negative Verstärkung im Falle eines falschen Sprachgebrauches, um die Memorisierung falscher Sprachstrukturen zu verhindern.

Im Jahr 1972 prägt Hymes den Begriff der communicative competence als Reaktion auf strukturalistische Kompetenzmodelle, die ihm zu limitiert erscheinen. Kommunikative Kompetenz in ihrer ersten Definition von 1972 bezeichnet die Fähigkeit zur interpersonalen Übermittlung und Interpretation von Meinungen in sozialen Kontexten (vgl. Hymes 1972; Brown 2007; Steininger 2014). Eine erste Modellierung kommunikativer Kompetenz nehmen Canale und Swain (1980) vor; sie umfasst vier Kategorien: grammatical competence, discourse competence, sociolinguistic competence und strategic competence (vgl. Canale und Swain 1980: 29-31). In diesen Kategorien werden sowohl sprachliche als auch soziale Komponenten der mündlichen Kommunikation abgedeckt. Es zeichnet sich ein neues Verständnis von Sprechkompetenz ab, was sich auch in den Leitzielen der Fremdsprachendidaktik spiegelt. Viel stärker als zuvor werden Ansätze zur Ausbildung fremdsprachlicher Diskurskompetenz gefordert. Im deutschsprachigen Raum gilt Hans-Eberhard Piepho als Initiator der ‚kommunikativen Wende‘, die jene soziolinguistischen Fragestellungen, mit denen der britische und angloamerikanische Forschungsdiskurs sich auseinandersetzt, auf den Englischunterricht in Deutschland überträgt.

Im Fremdsprachenunterricht, der auf kommunikative Kompetenz ausgerichtet ist, sind diskursive und kursive Faktoren stets gekoppelt. Ein nur imitativ-mechanisches Sprechen und automatisierte Verhaltensweisen bleiben, Piepho zufolge, selbst in schlichten Verständigungen wirkungslos und nicht verfügbar, wenn der Schüler nicht auch eine distanzierte Kenntnis der Verständigungsvorgänge überhaupt erworben hat (Piepho 1974: 14). Weitere Forderungen Piephos in diesem Zusammenhang betreffen eine notwendig werdende neue Methodik zur Vermittlung der englischen Sprache. Diese soll an dieser Stelle kurz thesenartig zusammengefasst werden (vgl. Piepho 1974: 14-21):

 

1 Lernziele müssen konkretisiert werden und die Lernenden müssen lernen, das eigensprachliche Diskursverhalten kritisch zu reflektieren im Lichte kontrastiver Regelhaftigkeiten im Verhaltens- und Diskurssystem von Gesprächspartnern anderer Sprach- und Kulturkreise.

2 Die erfolgreiche Umsetzung einer Sprechabsicht sollte im Unterricht höher gewichtet werden als die korrekte Verwendung sprachlicher Mittel.

3 Statt einer Schulgrammatik sollten die Lernenden eine Grammatik kommunikativer Absichten, Register und Ausdrucksqualitäten aufbauen und diese stets reflektieren.

4 Lernende sollen nicht Mustertexte für ideale Kommunikation lernen, sondern stattdessen Räume für den angstfreien Gebrauch der Fremdsprache erhalten.

Ansätze zur Umsetzung der Erkenntnisse über die Wichtigkeit von Mündlichkeit im Fremdsprachenunterricht entwickeln sich vor allem in den 1980er Jahren. Communicative Language Teaching (CLT) ist ein solcher Ansatz, der hauptsächlich die Ausbildung kommunikativer Kompetenz zum Ziel hat und nicht auf grammatikalische oder sprachliche Strukturen beschränkt ist. Brown (2007) gibt eine prägnante Zusammenfassung der didaktischen Ausrichtung von CLT:

Classroom goals are focused on all components of CC and not restricted to grammatical or linguistic competence. Language techniques are designed to engage learners in the pragmatic, authentic, functional use of language for meaningful purposes. Organizational language forms are not the central focus but rather aspects of language that enable the learner to accomplish those purposes. Fluency and accuracy are seen as complementary communicative techniques. At times fluency may have to take on more importance than accuracy in order to keep learners meaningfully engaged in language use. In the communicative classroom, students ultimately have to use the language, productively and receptively, in unrehearsed contexts. (Brown 2007: 241)

Inmitten der kommunikativen Ansätze bilden sich in den 1980er Jahren ebenfalls aufgabenorientierte Herangehensweisen an die Vermittlung von Fremdsprachen heraus. Besonders erwachsene Lerner finden ihre Interessen im fremdsprachlichen Unterricht schlecht vertreten. Sie erwarten, die Befähigung zum Gebrauch der Fremdsprache außerhalb des Klassenzimmers zu erwerben, müssen aber feststellen, dass die Aktivitäten, mit denen sie im Unterricht konfrontiert werden, sich zumeist stark von denjenigen Aufgaben unterscheiden, für die sie im alltäglichen Umgang mit der Fremdsprache gewappnet sein sollen (vgl. Müller-Hartmann/Schocker v.-Ditfurth 2005: 2). Es bedarf neuer Ansätze und vor allem neuer Aufgaben, die sich an denen orientierten, die die Lerner auch außerhalb des Klassenzimmers in der Fremdsprache bewältigen müssen. Viele Publikationen befassen sich mit der Genese eines, dem Gegenstandsbereich Fremdsprachendidaktik angemessenen, Aufgabenbegriffes (vgl. Long 1985; Prabhu 1987; Nunan 1989), wohingegen spätere Veröffentlichungen sich mit einer praktikablen Methodik (vgl. Willis 1996, Skehan 1998, Nunan 2004, Willis und Willis 2005, Long 2015) beschäftigen. Die Charakteristika einer Aufgabe stellt Ellis (2003: 3) komprimiert zusammen und kombiniert dabei theoretische und methodische Ansätze:

1 Reichweite: Eine Aufgabe ist ein Arbeitsplan.

2 Perspektive: Eine Aufgabe legt ihren Schwerpunkt auf den Inhalt einer Äußerung, nicht auf eine sprachliche Form.

3 Authentizität: Eine Aufgabe ermöglicht eine realitätsbezogene Sprachverwendung.

4 Sprachliche Fertigkeiten: Eine Aufgabe kann sich auf alle sprachlichen Fertigkeiten beziehen, beinhaltet jedoch im Idealfall einen interaktiven Teil und einen oder mehrere Adressaten.

5 Kognitive Prozesse: Eine Aufgabe löst bei den Lernern kognitive Prozesse aus.

6 Ergebnisse: Eine Aufgabe hat ein klar definiertes kommunikatives Ergebnis. (vgl. ibid.)

An den aufgezeigten Eigenschaften einer Aufgabe im fremdsprachendidaktischen Kontext lassen sich auch Erkenntnisse bezüglich der Förderung von Mündlichkeit im Unterricht ableiten. Aufgaben zielen auf einen realweltlichen Sprachgebrauch ab und verknüpfen Form- und Inhaltsorientierung. Sie initiieren kognitive Prozesse und somit auch Kompetenzzuwachs, zudem haben sie zwar ein klar definiertes kommunikatives Ziel, jedoch ist dieses derart formuliert und offen gestaltet, dass es den Lernern, die sich durch ihre Heterogenität im Kompetenzstand kennzeichnen, ermöglicht wird, dieses individuell zu erreichen (vgl. Müller-Hartmann/Schocker/Pant 2013: 37; Hallet 2012: 91-147). Abschließend zeichnet sich aufgabenorientierter Unterricht durch eine Abkehr von der häufig kritisierten Lehrerzentrierung aus (vgl. Taubenböck 2007). Dies wird in Kapitel 2.3.2 noch vertieft. Die Tendenz zur Aufgabenorientierung spiegelt sich auch in den aktuellen bildungspolitischen Richtlinien für die Gestaltung kommunikativen Fremdsprachenunterrichts. Ein in diesem Zusammenhang bedeutendes Dokument ist der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen, der vom Europarat im Jahr 2001 veröffentlicht wurde. Im folgenden Unterkapitel soll dieser daher näher betrachtet werden. Ziel ist es, zunächst einen kondensierten Einblick in die Gestaltung und Ausrichtung dieses Dokuments zu geben und dann konkret herauszustellen, welche Auswirkungen sich für die Förderung des Sprechens und das Verständnis von Sprechkompetenz ableiten lassen.