Förderung des Sprechens im kompetenzorientierten Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe

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2.5.2 Fluency, accuracy & complexity – Dimensionen der fremdsprachlichen Sprechleistung

Die Faktoren Flüssigkeit (fluency), Korrektheit (accuracy) und Komplexität (complexity) zählen zu den zentralen Kriterien bei der Beurteilung einer Sprechleistung. In diesem Zusammenhang sind sie für die fremdsprachendidaktische Forschung von herausragender Bedeutung und wurden in den letzten Dekaden multiperspektivisch untersucht (Laufer & Nation 1995, Foster & Skehan 1996, DeKeyser 1998, Skehan 1998, Segalowitz 2000, Derwing & Rossiter 2003, Yuan & Ellis 2003, Collentine 2004, Larsen-Freeman 2006, Mora 2006, Norris & Ortega 2009, Spada & Tomita 2010, Robinson 2011). Housen, Kuiken & Vedder heben hervor, dass der Begriff der Korrektheit derjenige sei, der die geringste definitorische Unschärfe aufweise (2012: 4). Hauptsächlich ließe sich mit accuracy der Grad bezeichnen, mit dem eine sprachliche Leistung von einer festgelegten Norm abweiche (ibid). Meist handelt es sich um Abweichungen von der Sprache des native speaker (Pallotti 2009).

Flüssigkeit (fluency) ist ein in der Literatur uneinheitlich gebrauchter Begriff1. Luoma (2004: 88) schreibt ihm eine allgemeine und eine technische Bedeutung zu und fügt an, dass sich die zweite Dimension noch in weitere aufgliedern ließe. So gehe es in einer engeren technischen Definition des Flüssigkeitsbegriffs um die Beschreibung von Lernersprache und die zugehörigen Determinanten wie pausing, hesitations und speech rates, wohingegen die weiter gefasste Definition annähernd synonym zum Begriff speaking proficiency sei (ibid).

Komplexität ist ein Begriff, der in der Literatur sehr ambivalent verwendet wird. Mitchell misst ihm viel Bedeutung zu, vermag es aber nicht, ihn klar zu definieren (Mitchell 2009). Buite und Housen zufolge, lässt er sich in zwei Gebrauchsdimensionen aufgliedern: einen relativen und einen absoluten Ansatz. Der relative Ansatz definiere Komplexität in engem Zusammenhang zum Sprecher und bezeichne Sprache als komplex, wenn sie kognitiv anspruchsvoll für den Lernenden sei (Buite & Housen 2012: 23). Dabei bleibe Interpretationsspielraum hinsichtlich dessen, was als kognitiv anspruchsvoll gelte. Schließlich sei dies vom individuellen Lerner abhängig (ibid). Es gibt aber auch Studien, die bestimmte sprachliche Strukturen als tendenziell kognitiv anspruchsvoller ausweisen wie beispielsweise Relativsätze und Passivkonstruktionen (vgl. Diessel 2004, Byrnes & Sinicrope 2008). Der absolute Ansatz sieht den Begriff hingegen losgelöst vom Sprecher und folgert, dass nicht zwangsläufig ein Zusammenhang zwischen der inhärenten Komplexität eines sprachlichen Phänomens und der Schwierigkeit, dieses nachzuvollziehen und korrekt verwenden zu können, bestehe (vgl. Buite & Housen 2012: 24).

Towell vernetzt die drei Variablen und betrachtet sie aus psycholinguistischer Perspektive. Er resümiert, dass eine in den verschiedenen Facetten erfolgreiche Sprechleistung maßgeblich davon abhänge, wie gut es den Sprechern gelinge, auf ihr sprachliches Wissen in einer Interaktion spontan zuzugreifen und wie schnell es in der Gesprächssituation gelinge, Informationen zu verarbeiten und zu vorhandenem Wissen in Beziehung zu setzen (vgl. Towell 2012: 66). Dabei korreliere jede Variable mit unterschiedlichen Faktoren: Korrektheit sei abhängig davon, dass richtige Informationen in den passenden Speichern abgelegt worden seien, Komplexität stütze sich auf das Vorhandensein von abrufbarem Wissen zur Syntax und Lexis der Zielsprache und Flüssigkeit sei das Produkt dessen, wie gut diese Faktoren zusammenwirken (ibid.).

Auch in weiteren Studien wurden Synergieeffekte zwischen den Variablen nachgewiesen (Myles 2012, Kuiken & Vedder 2012, Skehan & Foster 2012). Die neurolinguistische Forschung kann in diesem Zusammenhang wertvolle Beiträge dazu leisten, die kognitiven Vorgänge der Lernenden beim Sprachgebrauch in authentischen Situationen nachzuvollziehen. Auch wenn die Perspektiven in diesem Bereich der Mündlichkeitsforschung in den letzten Jahren auch im deutschsprachigen Forschungsdiskurs intensiver ausgelotet wurden (Sambanis 2013, Böttger & Sambanis 2016, Sambanis & Böttger 2017, Sambanis & Arndt 2017, Böttger & Sambanis 2018), handelt es sich noch um eine vergleichsweise junge Disziplin.

Funk sieht zudem einen Zusammenhang zwischen den kognitiven Vorgängen beim Sprechen und dem Übungsgeschehen im Unterricht:

Mündliche Kompetenz in ihren beiden Komponenten Korrektheit und sprachliche Flüssigkeit, ist insgesamt das Ergebnis unbewusster Bahnung und nicht bewusster Regelanwendung. (Funk 2014: 43)

Er fordert daher eine stärkere Fokussierung von Übungsroutinen, die in Form von spielerischen Wiederholungen eine hohe auditive Repräsentanz der zu automatisierenden Strukturen ermöglichten und einen wichtigen Beitrag zur Bewusstmachungen von sprachlichen Mustern und Regelhaftigkeiten leisteten (vgl. Funk 2014: 45). Auf Grundlage bereits existierender Modelle von Nation und Newton (2009), Swain (2005), Gatbonton und Segalowitz (2005) und Murphy (2000) müsse die in der Übungstypologie vorherrschende Fixierung auf kognitiv-konstruktivistische und imitative Verfahren zugunsten eines alle Potenziale einbeziehenden Vorgehens aufgebrochen werden (ibid.). Wie im Englischunterricht, insbesondere der gymnasialen Oberstufe, das Sprechen geübt wird und so eine Grundlage zur Ausbildung zielsprachlicher Flüssigkeit geliefert wird, ist bisher noch zu wenig empirisch erforscht worden. Die vorliegende Arbeit will daher mit ihrer Zentrierung auf die von Lehrkräften verwendeten Formate zum Üben des Sprechens einen Beitrag in diesem Zusammenhang leisten.

2.6 Die Förderung der Sprechkompetenz in der gymnasialen Oberstufe
2.6.1 Sprechzeit

Die recht detaillierte Darstellung der Komplexität der beim Sprechen beteiligten kognitiven Vorgänge macht deutlich, dass Sprechkompetenzförderung Zeit benötigt und den Lernern entsprechend Möglichkeiten zum Sprachgebrauch gegeben werden müssen. Gnutzmann (vgl. 2014: 51ff.) betont, dass der Faktor Sprechzeit zu den größten didaktischen Herausforderungen zählt, die mit der Förderung von Sprechkompetenz einhergehen. Dies gilt sowohl für Lernerinnen und Lerner, die gerade erst mit dem Erlernen einer Fremdsprache beginnen, als auch für bereits fortgeschrittene Lerner. Die Schulleistungsstudie DESI stellte 2006 auf Basis videogestützter Daten heraus, dass in deutschen Klassenzimmern eine alarmierende „Sprachlosigkeit“ (Taubenböck 2007: 3) herrscht. In einer durchschnittlichen Unterrichtsstunde spreche die Lehrkraft mit einem Zeitanteil von 51 % mehr als doppelt so häufig wie alle Lerner zusammen (23 %). Die verbleibenden 26 % seien Aktivitäten wie Einzelarbeit zuzuordnen oder gehen auf Faktoren wie Unterrichtsübergänge und Vorbereitung von Medien zurück (vgl. Helmke et al. 2007: 40-41). Auch eine differenziertere Betrachtung der Schülerbeiträge erscheint in diesem Zusammenhang lohnenswert, denn der mithin bereits geringe Sprechanteil der Schüler/innen bestehe zu 6,1 % aus freien Äußerungen in der Muttersprache, zu 19,1 % aus Nachsprechen von Lehreraussagen, zu 26,8 % aus Ablesen von Sprache aus Lehrbuch oder Heft und zu 47,9 % aus freien Äußerungen in der Zielsprache (hier Englisch). Von dem Anteil an freien Äußerungen sei lediglich ein Drittel komplexerer Natur als Ein-Wort-Sätze oder unvollständiger Fragmente (vgl. Taubenböck 2007: 3). Erschwerend kommt hinzu, dass die 23 % Zeitanteil, der auf die Lerner/innen entfällt, nicht alle abdeckt, sondern nur diejenigen, die sich aktiv am Unterrichtsgeschehen beteiligt haben, sei es aus freien Stücken oder aber nach Aufforderung durch die Lehrkraft. Ein nicht unerheblicher Anteil an Lernerinnen und Lernern verwendet während einer durchschnittlichen Unterrichtsstunde die Zielsprache überhaupt nicht in mündlicher Form (DESI-Konsortium 2006).

Die im Zusammenhang mit der DESI-Studie veröffentlichten Daten erscheinen tatsächlich alarmierend, wenn man sie als repräsentativen Spiegel der unterrichtlichen Praxis betrachten wollte. In diesem Zusammenhang ist aber anzumerken, dass die Studie zwar sehr flächendeckend angelegt ist, jedoch bei der Interpretation der Ergebnisse bedacht werden sollte, dass keine interaktiven Formate (wie beispielsweise Gruppenarbeiten) untersucht wurden (Helmke et al. 2007: 38). Folglich bedeutet dies nicht, dass es in der Unterrichtspraxis keine gab, sondern lediglich, dass sie in den untersuchten Fällen nicht vorkamen. Für den kompetenzorientierten Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe, der erwartungsgemäß schülerzentrierter und kommunikativer ist, mangelt es an Daten. Diese Studie möchte Erkenntnisse darüber liefern, wie Sprechaufgaben im authentischen Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe konzipiert sind und wie viel qualitative Sprechzeit, und somit Möglichkeiten zur Kompetenzentwicklung, sie den Lernenden ermöglichen.

2.6.2 Differenzialpsychologische Determinanten & Lernerbiografien

Es kann viele Gründe für Sprachlosigkeit im Fremdsprachenunterricht geben, aber zumeist lässt sich diese auf drei Faktoren zurückführen: die Schüler/innen, die Lehrer/innen sowie die Aufgaben, die im Unterricht gestellt werden. Auf Seiten der Schüler/innen ist zunächst der Faktor Angst (anxiety) zu nennen. Viele Schüler/innen trauen sich aus verschiedensten Gründen nicht, sich an Unterrichtsgesprächen zu beteiligen oder sich generell produktiv in der Zielsprache zu äußern (Lightbown/Spada 2012, Ellis/Shintani 2014, Loewen 2015). Dies korreliert stark mit differenzialpsychologischen Determinanten wie beispielsweise dem Fähigkeitsselbstkonzept. Unter diesem Begriff wird in der pädagogischen Psychologie „die Gesamtheit der kognitiven Repräsentationen eigener Fähigkeiten“ (Stiensmeier-Pelster/Schöne 2008: 63) verstanden, wobei auch Vorstellungen über Ausprägung, Struktur und Stabilität dieser eingeschlossen werden, nicht aber affektiv-evaluierende Bewertungen der eigenen Fähigkeiten.

 

Das fremdsprachenspezifische Fähigkeitsselbstkonzept generiert sich auf Basis eigener Erfahrungen im Umgang mit der Zielsprache (z.B. bei der Lösung verschiedener Aufgaben) sowie aufgrund von Rückmeldungen direkter oder indirekter Art von relevanten Bezugspersonen (z.B. Lehrern) (vgl. Stiensmeier-Pelster/Schöne 2008: 66). Es hat einen bedeutenden Einfluss auf die Schulleistung betreffender Lerner/innen und weitreichende Konsequenzen für deren Sprachlernbiografien. Mit einem hoch ausgeprägten Fähigkeitsselbstkonzept wird Erfolg meist auf internal-stabile Faktoren wie beispielsweise die hohe eigene Kompetenz und Misserfolg auf variable Ursachen wie Pech oder mangelnde Anstrengung attribuiert (vgl. ibid.: 69). Entsprechend positiv sind die Konsequenzen für das effektive Sprachenlernen. Wenn die Schüler/innen die Zielsprache angstfrei und selbstbewusst verwenden und kommunikative Erfolge entsprechend wahrnehmen, tritt langfristig ein Kompetenzzuwachs ein und die Motivation bleibt erhalten. Anders gestaltet sich die Situation hingegen, falls sich ein negatives Fähigkeitsselbstkonzept ausgebildet hat. Die Schüler/innen haben bei der Bearbeitung von (Sprech-)Aufgaben sinkende Erfolgserwartungen und es treten vermehrt handlungsirrelevante Gedanken auf (Angst vor Fehlern/kommunikativem Misserfolg, Angst ausgelacht zu werden, Angst vor negativen Rückmeldungen). Im schlechtesten Fall bildet sich eine Hilflosigkeit heraus, die wiederum zur Reduzierung der Anstrengung und zu Motivationsverlust führen kann. Diese Hypothese wurde bereits in den 1980er-Jahren von Krashen im Rahmen seines monitor models aufgestellt, wenn er von einem affektiven Filter spricht, der sich aus aus internalen Faktoren wie z.B. Motivation speise und, wenn er zu stark ausgeprägt sei, Spracherwerb limitiere (Krashen 1982: 30ff.).

Fremdsprachenlehrer/innen müssen sich dieser komplexen Determinanten bewusst sein und Konsequenzen für das eigene Unterrichten ableiten. Dies betrifft einerseits die Art und Weise der Rückmeldung auf Schüleräußerungen und andererseits die Wahl des Unterrichtsmaterials sowie der Aufgaben und Methoden. Schüler/innen müssen sprechen, um ihre Kompetenz weiterzuentwickeln, auch wenn sie Fehler befürchten. Die verwendeten Aufgaben und Materialien bzw. Medien müssen dieser Tatsache Rechnung tragen und sollten die Schüler/innen darin unterstützen, die Zielsprache in einer angstfreien Situation kommunikativ zu verwenden, und ihnen entsprechende Rückmeldung geben. Es ist daher unabdingbar, in der empirischen Fremdsprachenforschung auch Lernerbiografien1 zu betrachten, um Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie sich diese auf díe Einstellung zum Sprachenlernen und folglich auf die Beteiligung am Unterricht und die Wahrnehmung von Lerngelegenheiten auswirken. Dies impliziert auch, dass Forschung in diesem Bereich die Einstellungen der Lerner einbeziehen sollte und sich nicht nur auf die Untersuchung von Unterrichtssprache beschränken kann. In der vorliegenden Studie sollen daher die Erkenntnisse aus der Analyse von Unterrichtssequenzen zu den Positionen der Lerner in Beziehung gesetzt werden. Dies erfordert ein triangulierendes methodologisches Verfahren, das die Perspektiven der beforschten Subjekte einbezieht2.

2.6.3 Zugänge zur Methodik des Sprechens

Burns unterscheidet zwei Zugänge zur Methodik des Sprechens: Einerseits solche, die Sprechkompetenz isoliert betrachten und formfokussiert und lehrerzentriert einzelne Teilkompetenzen schulen und jene, die auf Sprachproduktion innerhalb kommunikativer Akte abzielen (vgl. Burns 1998: 103, Richards 1992). Goh und Burns stellen, unter Bezugnahme auf Studien von Burns (1998) und Bygate (2001), heraus, dass keiner der Zugänge für sich alleine genommen eine umfassende Sprechkompetenzentwicklung garantiere. Eine reine Fokussierung auf sprachliche Richtigkeit und korrekte Aussprache ließe die soziale Dimension des Sprechens außer Acht, wenngleich eine soziale Aushandlung von Bedeutung nur dann möglich sei, wenn zugleich Kenntnisse über sprachliche Strukturen, Gesprächsführung und ein angemessener Wortschatz vorhanden seien1 (vgl. Goh/Burns 2012: 135). Es haben sich mittlerweile methodologische Konzepte durchgesetzt, die beide Zugänge vernetzen. Dies beruht auf Erkenntnissen, die Sprachhandeln als soziales Handeln begreifen und den Sprachenlerner als sozialen Interaktanten (vgl. Martin 1992, Riggenbach 1999, Thornbury 2005) und geht auch mit einem gewandelten Verständnis der Wichtigkeit sprachlicher Strukturen einher. Noch immer gelten diese als unverzichtbar für die gelingende Kommunikation, allerdings werden sie nicht mehr als zentrale Unterrichtsinhalte betrachtet, sondern haben vielmehr dienende Funktion (vgl. Burns 1998: 107).

Dies reflektiert sich, wie in vorherigen Unterkapiteln dargestellt, auch im kompetenzorientierten Englischunterricht im deutschen Bildungssystem und seinen zugrundeliegenden Referenzpapieren. Eine theoriegeleitete Annäherung an die Methodik des Sprechens liefern Goh und Burns (2012: 139) anhand eines Modells. Dieses sieht die bereits diskutierten Faktoren fluency, accuracy & complexity als erwünschten Ertrag der institutionalisierten Sprechkompetenzförderung und ordnet sie daher zentral als erste Dimension an. Zur zweiten Dimension zählen rahmende Faktoren der Sprechkompetenz, nämlich Wissen über Sprache und Diskurs, Fähigkeiten zur Sprachproduktion und kommunikative Strategien. Die dritte Dimension berücksichtigt metakognitive Faktoren wie das Reflektieren über Sprache und weitere kognitive Prozesse der Sprachproduktion und Rezeption (vgl. dazu auch Flavell 1976, Wenden 1998, Wenden 2001, Chamot 2005). Diese lässt sich vergleichen mit dem Begriff der Sprachbewusstheit und den zugehörigen Teilkompetenzen, der aus dem Strukturmodell der KMK-Standards bekannt ist. Zuletzt bezieht sich die vierte Dimension des Modells auf geeignete Methoden2 zur unterrichtlichen Realisierung des Ertrags. Ein in diesem Zusammenhang auch von Goh und Burns vorgeschlagener Ansatz ist die Aufgabenorientierung (vgl. Goh/Burns 2012: 142).

2.6.4 Aufgabenorientierung und Inhalte

Die Sprechkompetenzförderung entlang kommunikativer Aufgaben ist eine Ausdifferenzierung des Communicative Language Teaching und hat seine Wurzeln in den 1980er Jahren (vgl. Neuner/Krüger/Grewer 1981, Nunan 1989). Gleich auf zwei Ebenen wirkt sich Aufgabenorientierung positiv auf den Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe aus: Sie schafft ein schüleraktivierendes, kooperatives und motivierendes Lernklima im Allgemeinen (vgl. Piepho 2000: 33) und orientiert sich an realweltlichen Sprechsituationen und Anforderungen (vgl. Legutke/Schocker-v.-Ditfurth 2003: 4). Müller-Hartmann und Schocker-von-Ditfurth stellen heraus, dass Aufgaben im Englischunterricht der Sekundarstufe I tendenziell eher als Beiwerk zum sonst an linguistischer Progression orientierten Unterricht verwendet werden. Dabei handele es sich dann eher um einzelne Projektaufgaben statt um aufgabenbasiertes Lernen (vgl. Müller-Hartmann/Schocker-von-Ditfurth 2010: 203). Dies lässt sich auch auf eine starke Lehrwerkbindung zurückführen, die den Fremdsprachenunterricht der Sekundarstufe I kennzeichnet1. Für den Oberstufenunterricht, der weitgehend losgelöst vom Lehrwerk vollzogen wird, gilt dies umso weniger.

Burwitz-Melzer und Caspari (2017) charakterisieren einen effektiven aufgabenbasierten Unterricht als einen, der nicht von isolierten Fertigkeiten ausgehe, sondern auf komplexen integrativen Lernaufgaben aufbaue, die Lernende herausfordern und zum Sprachhandeln mobilisieren (vgl. Burwitz-Melzer/Caspari 2017: 245-246). Dies sollte aber nicht missverstanden werden, denn

eine komplexe Lernaufgabe, deren Ziel es ist, die fremdsprachliche Diskursfähigkeit der Schülerinnen und Schüler als oberstes Bildungsziel zu fördern, muss – ausgehend von ihrem jeweiligen Kompetenzstand – eine schrittweise Weiterentwicklung von Einzelkompetenzen und von integrierten Kompetenzen anstreben. (Burwitz-Melzer/Caspari 2017: 254)

Somit können sich Lernaufgaben sowohl auf die Förderung von Einzelkompetenzen als auch auf die Entwicklung mehrerer Kompetenzen in Kombination beziehen. Dennoch sind sie immer handlungsorientiert, auf die Lebenswelt der Lernenden bezogen, und somit authentisch (vgl. Burwitz-Melzer/Caspari 2017: 257, Wäckerle/Martinez 2017: 275).

Gnutzmann zufolge ist eine zentrale Frage der Fremdsprachenforschung im Bereich Mündlichkeit, die nach der konkreten Umsetzung. Es stehe außer Frage, dass schulischer Unterricht auf „außerschulische soziokulturelle Begegnungssituationen“ (2014: 53) vorbereiten solle, es fehle aber noch an Erkenntnissen darüber, auf welche Weise dies geschehen könne. Ein solches Verständnis vom Fremdsprachenlerner als sozialen Aktanten wird auch in weiteren Publikationen aufgegriffen. So entwirft beispielsweise Hallet einen theoretisches Modell für komplexe Kompetenzaufgaben2 mit welchem er auf soziokulturelle Partizipation der Lernenden abzielt und zugleich einen Versuch unternimmt, eine Aufgabentypologie zu entwickeln, in der Kompetenzen nicht auf Fertigkeiten reduziert werden (vgl. Hallet 2012: 8ff.). Noch immer herrscht aber Uneinigkeit darüber, wie Kompetenz- und Lernaufgaben aussehen sollen und welche Inhalte ihnen zugrunde liegen sollen3.

In der fremdsprachendidaktischen Forschung wird die Rolle des Inputs, der Sprechaufgaben zugrunde liegt, bereits seit vielen Jahren diskutiert. Die dabei eingenommen Perspektiven sind überaus vielfältig, eint jedoch alle die Erkenntnis, dass dieser von herausragender Bedeutung für den Kompetenzerwerb ist. Gass & Mackey (2015) beschreiben ihn sogar als bedeutendste Determinante des Spracherwerbs. Schon Krashens Comprehensible Input Hypothesis stellt den sprachlichen Input einer Aufgabe als ihren zentralen Ankerpunkt dar (Krashen 1985). Auch wenn spätere Ansätze den Fokus richtigerweise auch auf die die Interaktion als solche sowie den outcome/output einer Aufgabe richten, wird auch in diesen die Wichtigkeit des Inputs und der Inhalte nicht gemindert (Swain 1995, Long 1996). Der Input soll den Lernenden Möglichkeiten geben, Bedeutung auszuhandeln und mit Sprache zu experimentieren. Dadurch, wie auch durch gezielte Rückmeldungen durch die Lehrkraft (Lyster & Saito 2010), entwickele sich die Sprechkompetenz auch bei erfahrenen Lernern wie in der Oberstufe kumulativ weiter. Inhalte für Sprechaufgaben müssen entsprechend so gewählt sein, dass sie die Lernenden zu Sprachhandlungen motivieren. Sie müssen so aufbereitet werden, dass die Lernenden, unter Rückgriff auf verschiedene Hilfestellungen und durch eine klare und verständliche Instruktion, einen Zugang zur Aufgabe erhalten, ihr kommunikatives Ziel antizipieren und die Wege zur Erreichung desselbigen, alleine aber auch kooperativ, einschlagen können (Vygotski 1978, van de Pol et al. 2010, Ellis & Shintani 2014). Auch in diesem Zusammenhang fehlt es an Empirie, die den Ist-Stand der schulischen Praxis abbildet, Stärken und Schwächen aufzeigt, und Impulse für Forschung und Lehrerbildung liefert. Welche Inhalte verwenden Lehrer für die Sprechkompetenzförderung in der gymnasialen Oberstufe? Wie stellen sie die Aufgaben? Welches Scaffolding stellen sie bereit und wie nutzen Lernende den Input bei der kommunikativen Bewältigung der Aufgaben? Ermöglicht der Input das Erreichen des kommunikativen Ziels? Zur Beantwortung dieser und weiterer Fragen möchte die vorliegende Studie einen Beitrag leisten4.

Ein weiteres Spannungsfeld stellt in diesem Kontext die Frage nach dem Verhältnis von Inhalts- und Formorientierung dar5. Im Zusammenhang mit dem Konzept der Aufgabenorientierung wird auch aktuell kontrovers diskutiert, welches Verhältnis zwischen focus on meaning, focus on form und focus on forms besteht bzw. bestehen sollte (vgl. Ellis/Shintani 2014, Long 2015, Loewen 2015). Auch Kurtz führt an, dass auf Lernerorientierung, Mitteilungsbezug und Fehlertoleranz ausgerichtete Mündlichkeit an ihre Grenzen stoße, wenn sie mit Kriterien wie Sprachrichtigkeit, Flüssigkeit, Komplexität und kontextueller Angemessenheit vereinbart werden müsse (vgl. Kurtz 2014: 119-120). Es müsse daher in der Forschung darum gehen, herauszufinden, wie Lehrende in der Praxis mit diesem Umstand umgehen. Auch sei die Frage zu beantworten, wie in der konkreten Unterrichtsgestaltung Struktur und Interaktion zusammenwirken (vgl. Kurtz 2001, Kurtz 2011, Kurtz 2014).

 

Martinez (2014: 160) stellt, unter Bezugnahme auf Henrici et al (2003) heraus, dass die Relevanz empirischer Zugänge für den Erkenntnisgewinn zwar methodisch herausfordernd, aber unbestreitbar sei. Sie plädiert daher für eine Wirkungsforschung, die Lernaufgaben zum Sprechen in den Fokus rückt und Auskunft über die Entwicklung der sprachlichen Kompetenzen der Lernenden geben könne (vgl. Martinez 2014: 161). Die vorliegende Studie will, anders als bereits existierende Arbeiten (vgl. Eckerth 2003), keine Aufgaben selbst entwickeln und untersuchen, sondern ist an einer Beschreibung der authentischen Unterrichtspraxis interessiert. Es wird deutlich, dass gerade in der aktuellen Mündlichkeitsforschung qualitative Studien fehlen, die Erkenntnisse über unterrichtliche Sprechformate liefern. Dabei müssen verschiedene Aufgabenformate (Dialoge, Gruppendiskussionen, Präsentationen etc.) dezidiert in den Blick genommen werden. Die Fokussierung von lerner- und schülerseitigen Aktionen während der verschiedenen Phasen einer Sprechaufgabe (Erteilung, Durchführung, Präsentation, Feedback) ist dabei ebenso wichtig wie eine Betrachtung und Analyse des zugrundeliegenden Inputs.