The Blue Diamond

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The Blue Diamond
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The Blue Diamond
Der Weg zum Glück

Band 1

Roman

Sandra Molnar

Impressum

Texte: © Copyright by Sandra Molnar

Umschlag: Fotos © pixabay.com

Bildbearbeitung: Sandra Molnar

Kontakt: Sandra Molnar – Fellerstr. 3 – 83064 Raubling

Smolnar1988@aol.com

http://the-blue-diamond.de

Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Printed in Germany

Jegliche Ähnlichkeit zu Real existierenden Personen oder Gebäuden ist rein zufällig und ist nicht beabsichtigt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Vorwort

Als ich mit dem Konzept des Blue Diamond in Berührung kam, sah alles noch ganz anders aus und hatte mehr etwas von einem Host Club. Zudem war es nur eine Randerscheinung und eigentlich nicht weiter von Belang.

Als ich dann mit einer neuen (Kurz-)Geschichte anfing und am zweiten Kapitel schrieb, entwickelte die Figur "Sōsuke" bereits ein Eigenleben und hauchte dem Blue Diamond sein Leben ein – und damit auch dem heutigen Konzept.

Aber ich bereue es nicht, diesen Weg eingeschlagen zu haben. Denn nicht nur Sōsuke und seine Freunde sind mir regelrecht ans Herz gewachsen. Gäbe es einen Laden wie das Blue Diamond, dann wäre ich dort vielleicht auch Kunde.

Und damit, liebe Leser, wünsche ich viel Spaß mit Sōsuke, seinen Freunden und einem ganz besonderem Laden.

Glossar

Da diese Geschichte in Japan spielt, möchte ich an dieser Stelle noch ein paar öfter auftauchende Begriffe erklären.

Im fernen Osten verwendet man bei der Namensanrede sogenannte Suffixe.

Die wären:

-san = geschlechtsneutrale Anrede. Wie das Herr/Frau bei uns

-chan = verniedlichende Anrede für Kinder und Mädchen oder gute Freunde

-kun = Anrede für Jungen und junge Männer

-senpai = Anrede für ältere Mitschüler oder Kommilitonen (Kann auch Einzeln benutzt werden (Senpai))

-sensei = Anrede für Ärzte, Lehrer, Professoren (Kann auch Einzeln benutzt werden (Sensei))

Nii-chan = vertrauliche Anrede für "Bruder" (auch "Bruderherz")

Nee-san = höfliche Anrede für "Schwester"

Des Weiteren hier eine Hilfestellung zur Aussprache der fremd klingenden Namen:

Allgemein gilt:

ei = ey

ch = tsch

ō = langes o

suke = s'ke

ji = Tschi

Beispiele:

Sōsuke = Soos'ke

Keisuke = Keys'ke (wie beim »Hey«)

Michida = Mitschida

Chihiro = Tschihiro

Funfact:

In Japan benutzt man Schriftzeichen (Kanji). Und für Namen werden auch gerne Kombinationen genutzt, um etwas auszudrücken.

Beispiel »Keisuke«: Kei = Respekt / suke = vermitteln

Fußnoten werden am Ende eines Kapitels gelistet und erklärt.

Prolog
Erkenntnis.

»Mein Traum ist es, einen Laden zu eröffnen, in dem alle ihre Sorgen loswerden können!«

Jeden von uns Plagen manchmal Sorgen, Ängste, Nöte. Manche von uns haben jemanden an ihrer Seite, denen sie alles anvertrauen können. Wieder andere haben dieses Glück nicht. Sie leben alleine, haben keine Vertrauten oder nicht den Mut, sich denen anzuvertrauen, die sie lieben. Doch wenn dir etwas auf dem Herzen liegt, sollten diese Gefühle ausgesprochen werden. Nur so kann man zum Glück finden, nachdem ein jeder von uns sich sehnt.

In einer Gesellschaft wie dieser ist es oft wichtiger, den Anschein zu wahren. Seine Gefühle und Gedanken zu äußern kommt einem Tabu gleich.

Sōsuke erkannte bereits früh, dass sich vor allem die Erwachsenen nur selten ihrem Gefühlsleben stellten und lieber alle Sorgen herunterschluckten, als darüber zu reden. Dass man dadurch nicht nur sich selbst belog, sondern auch sein direktes Umfeld, tat dem Jugendlichen im Herzen weh. Aus Sorge um seinen Vater dachte er über einen Ort nach, an welchem er diesen Menschen helfen könnte.

So entstand der Gedanke zum Blue Diamond.

Und damit diese Geschichte.

1
Nach einer Idee sollten Taten folgen.

Sōsuke war gerade in die erste Klasse der Mittelschule1 gekommen, als seine Mutter beschloss auf Weltreise zu gehen. Ihren Mann und die beiden Kinder ließ sie dabei allein zurück. Sein Vater hatte ihm erklärt, dass manche Menschen ihren Freiraum bräuchten und sie deswegen gegangen war. Sōsuke, zu diesem Zeitpunkt erst dreizehn Jahre alt, verstand das Ganze nicht wirklich. Aber anzusehen, welche Mühe der Vater nun hatte – schließlich musste er zwei Kinder ernähren –, stimmten ihn nachdenklich. Zwar nahm sein Vater die Situation mit Fassung, aber wirklich glücklich sah er nicht aus. Und Freunde zum Reden, das wusste Sōsuke, hatte er auch nicht. Doch irgendwas wollte er tun; ihm helfen; zur Seite stehen.

Nur wie?

Mit vierzehn begann Sōsuke damit, ein paar Yen dazuzuverdienen. Wenigstens finanziell wollte er seinem Vater helfen. Auch passte er nun öfter auf seine knapp fünf Jahre jüngere Schwester Miyako auf.

»Was wollen wir heute essen?«, fragte Sōsuke und krempelte sich die Ärmel hoch.

Das Mädchen überlegte kurz und grinste breit. »Nudeln!« Miyako war ein liebes, fröhliches Mädchen mit viel Temperament. Sie kam sehr nach ihrer Mutter.

Der Teenager nickte und sah sich in der kleinen Küche um. »Einmal Nudeln. Kommt sofort.«

Das Kochen mit seiner Schwester hatte sich der Junge angewöhnt, nachdem ihr Vater oft spät nach Hause kam. Zwar war er nicht der beste Koch, dafür steckte umso mehr Liebe darin. Und solange es genießbar war, das sagte er immer, würde er weitermachen.

Ein Jahr verging und bald würde er auf die Oberschule kommen. Die Situation zu Hause hatte sich nicht groß verändert. Noch immer wartete Sōsukes Vater auf die Rückkehr seiner Frau. Manches Mal hatte Sōsuke, der nun etwas reifer geworden war, versucht, mit ihm zu reden, doch blockte der Familienvater immer wieder ab. Enttäuscht darüber war der Jugendliche meist gegangen. Er fragte sich, ob es vielleicht an ihm lag. Daran, dass er noch ein Kind war; noch nicht genug Lebenserfahrung hatte ...

»Wenn er doch wenigstens jemanden zum Reden hätte«, murmelte Sōsuke resignierend.

Bereits jetzt hatte er schon oft ein Bild vor Augen. Das Bild eines Ladens, aus welchem glückliche Menschen kamen. Menschen, die sich darin alles von der Seele reden konnten. Zu diesem Zeitpunkt war es nur eine Fantasterei gewesen. Doch bald schon sollte es zu seinem festen Ziel werden.

Der erste Tag an der Oberschule prägte Sōsukes weiteres Leben. Während der Willkommensrede des Schülersprechers kam es unter zwei Schülern zu einem Streit, der durch kurzes Anrempeln entstand. Da Sōsuke direkt neben den beiden stand, versuchte er den Streit zu schlichten – mit mäßigem Erfolg. Schlussendlich gerieten noch zwei weitere Schüler hinein. Nachdem die Rauferei beendet war, wurden die beiden Verursacher direkt ins Büro des Rektors gebracht. Sōsuke und seine beiden Mitschüler brachte man, da sie ein paar Schläge abbekommen hatten, ins Krankenzimmer. Pflaster und Verbände bedeckten bald die betroffenen Stellen.

»Autsch!«, brummte Sōsuke. »So fest hätte er nicht zuschlagen müssen.«

Der dunkelblonde Junge neben ihm, dessen Haare eindeutig gefärbt waren, sah ihn musternd an. »Selbst Schuld! Was mischst du dich auch ein?« Er selbst war unfreiwillig in die Schusslinie geraten und ärgerte sich nun über seine durcheinander geratene Schuluniform.

»Na hör mal!«, schimpfte Sōsuke und strafte den etwa Gleichaltrigen mit einem verständnislosem Blick. »Man kann die doch nicht einfach weitermachen lassen.«

»Beruhigt euch doch ihr zwei«, meldete sich der Dritte zu Wort. »Auch wenn wir hineingerieten, war es im Endeffekt doch gut. Nicht?« Freundlich lächelte er, der seine schulterlangen, roten Haare zum Pferdeschwanz gebunden trug.

»Mag sein, aber schau mich mal an! Alles durcheinander!«

»Wenn das deine einzige Sorge ist ...«, schmunzelte Sōsuke und stand von der Liege auf. »Ich bin übrigens Kitahara Sōsuke. Freut mich euch kennenzulernen.« Lächelnd sah er die beiden an und reichte ihnen die Hand.

»Hah«, seufzte der Dunkelblonde und erhob sich ebenfalls. »Fujii Keisuke.« Eher widerwillig schüttelte er die angebotene Hand.

»Michida Tamanosuke. Freut mich auch«, stellte sich nun der Rothaarige vor.

Ein erstaunter Blick lag nun auf Keisuke und Tamanosuke. »Das ist ja lustig ...«

»Was denn?«, fragte Keisuke murrend und erwiderte den Blick.

»Fällt es euch nicht auf? Ähm ... Wie schreibt man eure Namen?«

»Wie meinen? Mit den Zeichen für ›Respekt‹ (Kei) und« – sein Gesicht nahm einen missmutigen Ausdruck an – »für ›vermitteln‹ (suke).« Scheinbar gefiel ihm diese Schreibweise seines Namens nicht sonderlich.

»Was für ein Zufall ... Und bei dir, Michida-kun?« Beinahe hoffnungsvoll sah Sōsuke nun Tamanosuke an.

»Mit den Zeichen für ›Ball‹ (Tama) und für ›helfen‹ (suke)2. Wieso fragst du?« Neugierig sah Tamanosuke ihn an.

»Ah, entschuldigt. Ich hab nur schon wieder ... Vergesst es!« Ein schiefes Grinsen umspielte seine Lippen. Wieder einmal hatte er nur an seinen zukünftigen Laden und an zusammenhängendes gedacht. In diesem Fall, dass die Bedeutung ihrer Namen sehr ähnlich war – schließlich schrieb sich Sōsukes Name mit den Zeichen für ›Konzept‹ und ›helfen‹

 

Keisuke bedachte Sōsuke mit einem argwöhnischem Blick. »Wenn du schon damit anfängst, kannst du es auch ausspucken.«

Kurz schwieg Sōsuke und gerade als er zum Sprechen ansetzen wollte, erklang die Schulglocke. Ein wenig drehte sich der Jugendliche zur Seite und sah auf die Wanduhr. »Ich glaube, wir sollten los. War nett euch kennengelernt zu haben.« Er lächelte freundlich, verneigte sich ein wenig und verließ dann schnellen Schrittes das Zimmer.

Tamanosuke und Keisuke blieben noch einen Moment stehen. Sie sahen einander verwirrt an. Wovon auch immer Sōsuke gesprochen hatte, es schien einen Bezug zu ihren Namen zu haben.

»Wir sollten auch gehen ...«, bemerkte Tamanosuke und öffnete die Tür. Zustimmend nickend folgte Keisuke ihm.

Überrascht sah Keisuke drein, als er das Gesicht Sōsukes im selben Klassenzimmer erblickte. Die Schule war so groß und hatte so viele Klassen und doch waren sie zusammen eingeteilt? Ein komischer Zufall. Da er den anderen erst einmal meiden wollte, suchte er sich einen Platz in der ersten Reihe und hoffte, dass er nicht noch so ein merkwürdiges Gespräch mit ihm führen musste. Seine Hoffnung wurde jäh zerschlagen, als Sōsuke ihn in der kleinen Pause ansprach. Er grinste breit. »So ein Zufall, dass wir in derselben Klasse sind, was?«

Beinahe genervt sah Keisuke seinen Mitschüler an. »Ja ...«, murmelte er, wandte den Blick ab und zückte sein Handy.

Sōsuke beobachtete ihn dabei, wie er an einer Mail3 schrieb. »Sag mal«, begann er dann. Doch bevor er seinen Satz vollenden konnte, erklang erneut die Schulglocke; verkündete so, dass der Unterricht weitergehen sollte. Ein wenig ärgerte sich Sōsuke und beschloss daher, es später noch einmal zu versuchen. »Вis dann«, meinte er noch und begab sich wieder auf seinen Platz.

Drei Schulstunden vergingen. Schließlich war nur noch eine halbe Stunde bis Schulschluss.

»Damit hätten wir den ersten Tag fast überstanden«, gab der Klassenlehrer zu verstehen und legte den Tafelschwamm aus der Hand. »In den letzten Minuten möchte ich von euch noch erfahren, welche Berufswünsche ihr schon habt. Gehen wir dabei alphabetisch vor.« Sein Blick fiel auf die Schülerin Mie Aoto.

Der Reihe nach erzählten die jungen Oberschüler, was sie einmal machen wollten. Wie die Meisten innerhalb der Klasse hatte auch Keisuke noch keine genauen Pläne. ›Eine Freundin zu haben‹ war sein nächstes Ziel. Als Elfter war dann Sōsuke an der Reihe. Er stand auf und blickte entschlossen nach vorn. »Mein Ziel ist es, einen Laden zu eröffnen, in welchem sich jeder alle Sorgen von der Seele reden kann. Die Sorgen des Alltags sollen vergessen werden. Glücklich und zufrieden soll man das Blue Diamond verlassen. Und ich werde alles dafür tun, was nötig ist, um diesen Traum zu verwirklichen!«

Die Blicke der ganzen Klasse ruhten auf ihm; ein Raunen ging durch die Reihen.

»Ein interessantes Konzept«, bemerkte der Lehrer lächelnd. »Viel Erfolg dabei.«

»Danke!«

Nachdem er sich wieder gesetzt hatte, ging es weiter. Bald darauf ertönte die Klingel, die den ersten Schultag damit beendete.

Gemütlich machte sich Sōsuke fertig und begab sich dann nach draußen. Kurz bevor er das Schultor erreichte, hörte er Rufe, die immer näher kamen. Daraufhin drehte sich Sōsuke um und erblickte seinen Klassenkameraden. »Fujii-kun?«

Keisuke kam vor ihm zum Stehen. »Kitahara. Was war das eben?« Skeptisch sah er ihn an, stemmte die rechte Hand gegen die Hüfte.

»Das eben?«, wiederholte Sōsuke fragend. »Du meinst in der Klasse?«

»Genau. Was denkst du dir dabei?« Skepsis schlug sichtbar in Neugierde um.

»Was ich mir dabei denke?«

»Was denkt er sich wobei?«, fragte nun eine weitere Stimme, woraufhin sich die beiden Jungen umdrehten.

»Michida-kun?«, kam es erstaunt von Sōsuke.

Lächelnd kam Tamanosuke näher. »Ja. So trifft man sich also wieder. Wovon redet ihr gerade?«

»Er hier«, und dabei zeigte Keisuke auf seinen Mitschüler, »hat 'nen echt eigenartigen Traum.«

»Einen Traum?«

Wieder richteten sich die Blicke auf den jungen Mann. Sōsuke atmete tief ein und lächelte sicher. »Ganz richtig. In ein paar Jahren wird es so weit sein! Dann wird das Blue Diamond in aller Munde sein und die Menschen freier!«

Große Augen musterten ihn. »Und was ist das Blue Diamond?«, fragte Tamanosuke neugierig. Da er in einer anderen Klasse war, hatte er die kleine Rede Sōsukes nicht mitbekommen.

»Hm, wie erkläre ich das am besten?« Kurz dachte Sōsuke nach. »Stellt euch mal folgendes vor: ihr seid erwachsen, habt Familie und einen anstrengenden Job. Dazu Geldnot und niemanden, dem ihre eure Sorgen anvertrauen könnt. Weder Familie noch Freunde, weil ihr sie nicht belasten wollt.«

Gespannt darauf was nun folgen würde, lauschten Keisuke und Tamanosuke seinen Worten.

»Wenn es so sein sollte, wird euer Ziel das Blue Diamond sein! Entspannt euch, fühlt euch wohl und sprecht aus, was euch bedrückt. Euer Gegenüber ist jemand wie du und ich. Kein Psychologe oder dergleichen. Und nur ihr beide werdet davon erfahren – was auch immer ihr ihm sagt.« Man konnte ein Leuchten in seinen Augen erkennen, als er so enthusiastisch davon sprach.

Seine Schulkameraden staunten. Das also war sein Traum; sein Ziel. »Wow«, kommentierte Keisuke die Erzählung, eher in ruhigem Tonfall. Tamanosuke nickte zustimmend. »Ein großes Vorhaben. Und wie willst du das umsetzen? Wie soll es, deiner Meinung nach, aussehen?«.

»Ich denke da schon lange darüber nach«, antwortete Sōsuke. »Mindestens zwei Räume für die Gespräche, dazu eine gemütliche Lounge mit Bar. Gerne würde ich auch in Richtung Wellness gehen. Also Massagen und Entspannungsbäder. Und seit kurzem denke ich auch über ein Restaurant nach.«

»Du hast dir also schon richtig Gedanken gemacht«, brachte sich Tamanosuke ein. Er wusste bereits, was er später machen wollte, doch so außergewöhnlich war das wirklich nicht.

»Mutest du dir da nicht zu viel zu?«, fragte Keisuke und wechselte sein Standbein.

»Sicher, leicht wird das nicht. Aber ich möchte es dennoch wenigstens versuchen.«

»Hm ...«

»Ich finde jedenfalls, dass die Idee gut ist. Und ich glaube, wenn du dich anstrengst, wird es schon werden.« Tamanosuke lächelte Sōsuke freundlich an.

»Danke, Michida-kun!«

»Ach, was soll's«, seufzte Keisuke. »Ich bin dabei.«

»Wie?« So ganz wusste Sōsuke nicht, was sein Gegenüber damit meinte. Irritiert sah er ihn an.

»Du hast es doch gehört? Ich habe ja noch keine Pläne für die Zukunft und dein Konzept – das muss ich zugeben – hat was.«

»Ich ... verstehe nicht ganz ...«

»Muss ich es dir buchstabieren? Ich werde dir bei deinem Laden da helfen. Wenn du Unterstützung brauchst.«

»Fujii-kun ...« Sichtlich überrascht, aber doch erfreut, sah Sōsuke Keisuke nun an. »Das hätte ich nie von dir erwartet. Danke! Die Hilfe nehme ich gerne an.«

»Na, wenn das so ist«, unterbrach Tamanosuke die beiden. »Wenn du damit einverstanden bist, helfe ich auch mit.«

Ein breites Lächeln stahl sich auf Sōsukes Lippen. »Danke! Ich freue mich wirklich sehr darüber!«

Ohne es zu ahnen, hatte Sōsuke bereits an seinem ersten neuen Schultag wichtige Freundschaften geschlossen.

»Und wie machst du mit, Michida?«, kam es neugierig von Keisuke.

»Wie gesagt, finde ich die Idee gut und sicher kann ich später zur Hand gehen, sobald ich meine Ausbildung beendet habe.«

Dass Keisuke nun noch verwirrter war, sah man ihm deutlich an. Auch Sōsuke war nicht ganz klar, was der Gleichaltrige meinte. »Was für eine Ausbildung willst du denn machen?«

»Eine Kochlehre. Das liegt bei uns praktisch in der Familie.«

»Koch also«, murmelte Keisuke.

»Das hört sich toll an«, gab Sōsuke zu verstehen und warf einen Blick auf sein Handydisplay. »Oh, so spät schon? Tut mir leid, aber ich muss los! Wir können uns ja morgen weiter unterhalten. Bis dann!« Schneller als sie gucken konnten, war Sōsuke schon außer Sichtweite.

»Komischer Kauz.«

»Ja. Aber ein Ziel zu verfolgen ist doch nicht schlecht? Darf ich dich noch etwas fragen, Fujii-san?«

Überrascht sah Keisuke Tamanosuke an. »Wir sind doch gleich alt, also lass das ›san‹ weg. Dann darfst du fragen.«

»Oh, okay. Fujii-kun?« Zwar schien Keisuke auch das ›kun‹ etwas zu stören, doch nickte er zustimmend. »Ich wüsste gerne deinen Beweggrund. Wie kommt es, dass du dich Kitahara-san anschließt, obwohl du ihn anfangs ... nicht mochtest? Du kennst ihn doch auch erst seit heute, oder?« Dass Tamanosuke damit ins Schwarze getroffen hatte, war ihm nicht bewusst.

»Tja, nun ...«, begann Keisuke. »Ich weiß auch nicht. Stimmt schon. Am Anfang war er mir wirklich nicht geheuer. Aber ... Der Typ hat was ... Wie soll ich sagen? Etwas Fesselndes an sich. Ich dachte ja auch: Was ist das für einer? Aber als er dann von diesem Laden erzählte und dabei so eifrig schien ...«

»Dasselbe dachte ich mir auch«, gab Tamanosuke ehrlich zu.

»Echt verrückt.«

»Ja. Mal sehen was daraus wird.«

Wenig später machten sich die Oberschüler auf den Heimweg. Noch ahnten sie nicht, welche Bedeutung das Blue Diamond in ihrem Leben haben würde.

Während der nächsten Wochen erläuterte Sōsuke seinen beiden neuen Freunden, was er sich bereits für das Blue Diamond überlegt hatte. Von der Einrichtung bis hin zum angebotenen Service. Keisuke und Tamanosuke waren erstaunt darüber, wie viel er bereits in Betracht gezogen hatte.

Da sich die drei meist zur Pause in der Mensa trafen und so manche Diskussion auch etwas lauter ausfiel, waren sie bald Schulgespräch. Nicht lange dauerte es, bis das Trio einen Spitznamen erhielt: ›Triple Ke's‹.

Einige Male hatte Keisuke den Vorschlag vorgebracht, sich nach der Schule zu treffen. Auch Tamanosuke wäre damit einverstanden gewesen. Doch hatte Sōsuke immer wieder abgelehnt. »Geht nicht, die Arbeit ruft! Und am Wochenende muss ich auf meine Schwester aufpassen.«

»Dann kommen wir halt zu dir«, schlug Keisuke vor.

»Sie bekommt aber Besuch«, meinte Sōsuke und konzentrierte sich wieder auf seine Notizzettel, die er vor sich ausgebreitet hatte.

»So?«, fragte Keisuke skeptisch und warf einen Blick auf die Blätter. »Und was ist das alles?«

Sōsuke sah auf. »Meine Ersparnisse und die Unkosten der letzten Monate. Abrechnungen, Einkünfte ...«

»Wofür?«, unterbrach Tamanosuke und sah auf seine Armbanduhr. Ein paar Minuten blieben ihnen von der Pause noch.

»Für jetzt? Und natürlich überschlage ich, was mir so bleibt.«

»Du sprichst in Rätseln, Sōsuke!«

Um ihre Freundschaft zu vertiefen, waren sich die ›Triple Ke's‹ bald einig gewesen, sich nur noch mit Vornamen anzureden. Mehr noch führte Sōsuke die Spitznamen ›Kei‹ und ›Tama‹ ein.

»Ich hab euch doch von meiner Lebenssituation erzählt? Mein Vater hat so viel zu tun, dass ich mich um die Finanzen kümmere. Und wenn's mal knapp wird, gebe ich etwas von meinem Ersparten dazu. Und eben das versuche ich gerade irgendwie auszurechnen ...« Wieder vertiefte er sich in die Menge an Zahlen. Man sah ihm an, dass ihm der Kopf rauchte.

Schweigen.

Doch das Klingeln der Schulglocke beendete es rasch. Gerade legte Sōsuke das Papier zusammen, da zeigte Keisuke mit dem Finger auf eines davon. »Da hast du dich verrechnet.«

Sōsuke sah von Keisuke, der bereits ging, zurück auf das Blatt. »Echt?«, fragte er sich, machte sich dann aber mit Tamanosuke auf den Weg – wenn auch nicht in dasselbe Klassenzimmer.

Bisher war es Sōsuke nicht aufgefallen, aber sein Freund war im Mathematikunterricht sogar der Klassenbeste. Er staunte nicht schlecht, als er das bemerkte. Lange kannte er Keisuke noch nicht, wusste aber bereits, dass dieser viel Wert auf sein Aussehen und Image legte. Bei den Mädchen war er auch kein unbeschriebenes Blatt mehr.

»Sag mir mal ...«, begann Sōsuke und nahm neben Keisuke Platz – sie hatten gerade eine kurze Pause zwischen zweier Unterrichtsstunden. »... warum du noch keine Pläne hast, wenn du in Mathe doch so gut bist?«

Keisuke sah langsam auf. »Habe ich das damals nicht gesagt? Bevor ich mich auf einen Beruf festlege, will ich eine Freundin. Außerdem kommt nicht viel infrage, nur weil ich mit Zahlen umgehen kann.« Sein genervter Blick war unübersehbar.

 

Sōsuke sah seinen Freund lange an. »Du hast meine Rechnung ganz einfach korrigiert. Dir hat nur ein flüchtiger Blick gereicht, um ihn zu sehen. Und du hilfst mir beim Blue Diamond ...«

Das plötzliche Schweigen ließ Keisuke aufhorchen. »Ja. Und?«

Ein breites Grinsen stahl sich auf Sōsukes Lippen. »Hast du schon einmal darüber nachgedacht, vielleicht in die Buchhaltung zu gehen?«

»Buchhaltung?« Skepsis lag in der Stimme des Oberschülers.

»Ja. Wenn dir das Rechnen so leicht fällt, wäre das doch eine Idee. Oder?«

Bevor Keisuke allerdings darauf antworten konnte, betrat der Klassenlehrer wieder das Zimmer. Nachher ..., dachte sich Keisuke, muss ich noch einmal mit ihm reden.

Kurz nach Schulschluss wollte Keisuke seinen Kollegen auf das vorige Gespräch ansprechen, doch war dieser wieder in Eile. Sōsuke hatte nur gesagt, dass sie ein anderes Mal reden könnten und verschwand.

»Und wieder legt er so ein komisches Verhalten an den Tag«, murmelte Keisuke verstimmt vor sich hin und verließ das Klassenzimmer. Kaum dass er das Schulgebäude verlassen hatte, traf er auf Tamanosuke – der ebenfalls Schulschluss hatte.

»Du guckst so komisch. Ist was passiert? Stress mit den Mädchen?« Er grinste dabei, da auch ihm die ›Frauengeschichten‹ nicht entgangen waren.

»Nein. Die Mädels lieben mich! Ich versteh' nur diesen Kerl nicht ...«

Einen kurzen Moment dachte Tamanosuke darüber nach, wen Keisuke meinen könnte. »Du sprichst von Sōsuke, oder?«

»Von wem denn sonst?«, antwortete er genervt. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass er wirklich so viel zu tun hat, wie er immer sagt. Heute auch wieder. Ich glaube, der verarscht uns!«

»Das kann ich mir nicht vorstellen. Er ...«

»Ach ja? Und wer beweist uns das?«, unterbrach Keisuke den Satz Tamanosukes mit lauter Stimme. Man sah ihm an, dass es ihm gegen den Strich ging.

So ganz konnte er den Ärger seines Freundes nicht nachvollziehen, verstand aber dessen Standpunkt. »Beruhig' dich erst mal. Ich bin sicher, wenn wir ihn fragen, wird Sōsuke uns alles erklären.«

Leise brummte Keisuke vor sich hin, als sein Handy just in dem Augenblick vibrierte. Nach einem kurzem Blick auf das Display wandte er sich wieder Tamanosuke zu. »Aya-chan hat heute keine Zeit. Wie wäre es also, wenn wir ihn besuchen gehen?«

Seit sich die Drei kannten, hatte es noch keine Gelegenheit gegeben, Sōsuke einen Besuch abzustatten. Zumindest gab er keine Möglichkeit dazu. Es wirkte beinahe so, als ob er etwas verheimlichen wollte.

»Er wird sicher wieder arbeiten«, warf Tamanosuke ein. »Was ist, wenn er nicht da ist?«

»Dann haben wir es wenigstens versucht. Also was ist? Kommst du mit oder nicht?« Mit fragendem, herausforderndem Blick sah er Tamanosuke an.

Der Angesprochene überlegte einige Augenblicke. Eigentlich hatte er heute lernen wollen. Andererseits war er schon neugierig. »Und du meinst, dass es eine gute Idee ist?«

»Selbst wenn nicht. Haben wir etwas zu verlieren?«

Auf die Frage hin schüttelte Tamanosuke den Kopf.

»Gut. Dann ist das also geklärt. Gehen wir!«

Ein leiser Seufzer entwich Tamanosuke, ehe er Keisuke folgte.

Nach einem etwa zehn minütigen Spaziergang kamen Tamanosuke und Keisuke beim Haus der Familie Kitahara an. Das Gebäude hatte zwei Stockwerke und einen einladenden, kleinen Garten. Zielstrebig ging Keisuke auf die Eingangstür zu und betätigte alsbald die Klingel. Tamanosuke stand hinter ihm und sah sich um. Nicht lange mussten die beiden Oberschüler warten, bis ihnen die Tür geöffnet wurde.

»Guten Tag«, grüßte ein Mann mittleren Alters und lächelte die Besucher freundlich an.

»Hallo. Wir sind Michida Tamanosuke und Fujii Keisuke, Freunde von Sōsuke«, stellte Keisuke seinen Begleiter und sich vor.

»Oh. Hallo ihr beiden. Ihr wollt sicher zu Sōsuke? Er ist gerade noch unterwegs. Aber bitte, kommt doch rein.« Der Mann lächelte weiterhin und trat etwas beiseite.

»Gern. Vielen Dank«, sagte Keisuke und betrat das Haus. Tamanosuke folgte schweigend.

»Möchtet ihr etwas trinken? Wasser, Saft, Limonade?« Der Mann führte die Oberschüler in ein geräumiges Wohnzimmer, ausgestattet mit einer großen, L-förmigen Ledercouch, einem ovalen Glastisch sowie einer Wohnwand, an welche ein breites Bücherregal angrenzte.

»Ein Wasser genügt. Danke«, meldete sich nun Tamanosuke zu Wort. »Schön haben Sie es hier.«

»Haha. Danke. Ich hole euch schnell etwas. Setzt euch, macht es euch gemütlich.« Der Mann drehte sich um und verschwand für einige Augenblicke in der Küche. Zurück kam er mit zwei Gläsern Wasser. »Dann will ich mich mal vorstellen. Ich heiße Kitahara Eiji und bin der Vater von Sōsuke und Miyako. Ich freue mich, euch endlich kennenzulernen. Sōsuke hat mir schon viel von euch erzählt. Benimmt sich mein Junge denn auch?«

Auf die schnelle Sprechweise waren weder Keisuke noch Tamanosuke gefasst gewesen, weswegen sie ihn erstaunt ansahen. Als Erster fand Keisuke seine Stimme wieder: »Er versucht es. Aber er ist auch echt hektisch.«

»Kei!«, mahnte Tamanosuke seinen Freund und strafte diesen mit einem tadelndem Blick, ehe er sich wieder Eiji zudrehte. »Sōsuke ist sehr bemüht seinen Traum zu verwirklichen.«

»Bemüht nennst du das? Ich würde eher sagen besessen«, unterbrach Keisuke seinen Freund mit sarkastischem Blick. »Meiner Meinung nach übertreibt er es.«

»Ich habe gehört, ihr beiden unterstützt ihn kräftig. Ich kenne Sōsuke gut und weiß nur zu genau, dass er es gerne mal übertreibt«, gab Eiji zu verstehen und nippte an seinem Kaffee, der bereits dagestanden hatte. »Aber wie ich sehe, brauche ich mir keine Sorgen zu machen, wenn er so gute Freunde wie euch hat.« Er lächelte.

Übertreibung ist noch untertrieben, dachte sich Keisuke und nahm einen Schluck seines Wassers.

»Seid so gut und ...«, begann Eiji, bis das Öffnen einer Tür seine Aufmerksamkeit erregte.

»Bin wieder da, Papa«, hörte man eine Mädchenstimme rufen und nur kurz darauf die Tür wieder schließen.

»Wartet bitte kurz«, gab der Vater zu verstehen, stand auf und verließ das Zimmer. Aus dem Flur heraus hörten die Gäste einen freudigen Geburtstagsgruß, ehe Eiji mit dem Mädchen zusammen wieder ins Wohnzimmer kam. »Michida-kun, Fujii-kun. Das ist Miyako, unser Geburtstagskind.«

»Herzlichen Glückwunsch, Miyako-chan«, gratulierte Tamanosuke sogleich, stand auf und reichte der Kleinen die Hand.

»Danke«, bedankte sie sich freudestrahlend.

»Glückwunsch, Kleine.« Keisuke hatte sich zu dem Mädchen hingekniet und hielt ihr nun ein Bonbon in roter Verpackung hin.

Zuerst wollte Miyako protestieren – der schroffen Anrede wegen – doch war der Ärger schnell verflogen, nachdem sie Keisuke lächeln sah. »Danke! Seid ihr Freund von Nii-chan?«

»Ja, ganz genau«, antwortete Keisuke, wuschelte Miyako durch die Haare und setzte sich wieder auf die Couch.

»Tut uns leid, Kitahara-san. Wir wollten nicht stören«, gab Tamanosuke wieder und wandte sich Eiji zu.

»Nicht doch. Mich hat es gefreut, euch endlich einmal kennenzulernen und Miyako freut sich sicher auch über diesen Besuch, nicht?« Auf seine letzten Worte hin sah er zu seiner Tochter, die die Frage nickend bestätigte. »Sōsuke müsste auch gleich wieder da sein. Am besten setzen wir uns schon mal in die Küche.«

Nur wenig später – gerade hatten sich alle in der Küche niedergelassen – ging erneut die Haustür auf.

»Nii-chan!«, rief Miyako freudig, sprang auf und lief ihrem Bruder entgegen.

»Nicht so stürmisch, Miyako.« Zwei große Schachteln trug Sōsuke auf den Armen, weswegen er Mühe hatte seine Schwester abzufangen. »Du willst doch nicht hinfallen?«

»Entschuldigung ...«, murmelte sie kleinlaut, den Kopf etwas senkend. Im nächsten Augenblick sah sie wieder auf, den Blick auf die Schachteln gerichtet. »Ist da mein Geschenk drin?«

»Wer weiß? Lass uns schnell nachsehen.«

»Jaaaa!«

Gemeinsam gingen die Geschwister wieder in die Küche. Noch bevor Sōsuke sein Gepäck abgestellt hatte, sah er überrascht auf die unerwarteten Besucher. »Huch? Tama, Kei. Was macht ihr denn hier?«