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Der rote Komet

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Romulus Futurus hätte kein so großer Psychologe sein müssen, um nicht die Empfindung, die sich in den Mienen des Einzelnen in dem Moment der photographischen Aufnahme ausgeprägt hatte, lesen zu können.

»Es ist ein Wunder! Ein unnennbares Wunder!« murmelte Frau Fabia, die immer noch nicht die Kraft besaß, sich zu erheben, und mit einer Miene wahnsinnigen Entsetzens auf ihren Gatten blickte. »Ich habe deutlich gesehen, dass aller Augen auf den photographischen Apparat gerichtet waren. Und doch blickt jetzt auf der entwickelten Fotografie jeder nach einer anderen Seite!«

»So groß ist die Beweglichkeit des menschlichen Auges, so enorm die Verwandlungsmöglichkeit der Iris!« stieß Romulus Futurus zwischen den Zähnen hervor. Plötzlich beugte er sich zu Frau Fabia nieder.

»Siehst du dein Gesicht? Siehst du deine Mienen? Siehst du, wie du zu John Crofton hinüberblickst? Ah, nicht genug, dass ich nur einen einzigen Freund besitze! Du willst ihn mir noch rauben! Der starre Blick, mit dem du ihn betrachtest, beweist mir alles! Warum denkst du immer an ihn? Warum beschäftigten sich deine Gedanken in dem Augenblick, da ich die photographische Aufnahme machte, einzig nur mit ihm?«

»Ich liebe ihn ja nicht, ich hasse und verabscheue ihn!« rief Fabia verzweifelt. Aber Romulus Futurus hörte nicht auf sie. Er fuhr fort, den Blick in die Fotografie förmlich vergrabend:

»Miss Head-Divina sieht zu dem reichen Krösus hinüber. Ihre Miene ist schrecklich, halb Wahnsinn, halb diabolische Grausamkeit und Schlechtigkeit. Wie sie Ralph Jonathan Wieland anblickt! Ihr Auge taucht förmlich in das seine! Ihr Gesicht, das im Moment der Aufnahme ernst und starr gewesen wie Stein, ihr Gesicht lächelt, und um ihre Mundwinkel ringeln sich abscheuliche Schlangen. Soll ich dir sagen, was sie denkt? Hier steht es geschrieben! Hier steht es! Seid ihr nicht alle gleich, ihr Frauen?«

»Ja, ich bin geneigt, Ihren Antrag zu erhören, Ralph Jonathan Wieland«, sagt sie. »Aber – Siehst du, Fabia, wie sie sich zu gleicher Zeit halb zu meinem Freunde John Crofton hinüberwendet? Und da! Da!« —

Romulus Futurus schüttelte sich und heftete den Nagel des rechten Zeigefingers auf das Gesicht Ralph Jonathan Wielands.

»Siehst du die scheußliche Grimasse des Krösus? Siehst du, wie er meinen Freund John Crofton anstarrt? Die Lippen Wielands sind halb geöffnet. Ich sehe förmlich die gefletschten Zähne! Die Nasenflügel sind hinaufgezogen, wie man dies bei wilden Tieren im Augenblick des Angriffs bemerken kann. Die Augen sind zusammengekniffen, und strahlenförmig spannen sich die Falten um seine Schläfen!«

Romulus Futurus schwieg. Seine Augen öffneten sich unnatürlich weit, denn er las, las deutlich auf diesem bis zur Scheußlichkeit verzerrten Gesicht den furchtbaren Gedanken, der Ralph Jonathan Wieland im Augenblick der Aufnahme beherrschte.

Inzwischen blickte Frau Fabia mit nicht minder entsetzten Augen auf das Gesicht der jungen Fürstin Angelika, die Romulus Futurus ansah. Auch ihre Gedanken waren mit unverkennbarer Deutlichkeit fotografiert, und Frau Fabia las, las mit blutendem Herzen die Gedanken der Fürstin:

»Romulus Futurus, ich liebe dich in Ewigkeit!«

Und neben der Fürstin saß Dr. Diabel und starrte sie an und dachte:

»Ich werde dich zu Tode martern, wenn du mich nicht erhörst!«

Romulus Futurus schrie plötzlich auf und starrte mit fiebernden Augen hinaus in die Nacht.

»Er will meinen Freund John Crofton töten! Jawohl, so ist es! In dieser Nacht noch! Ralph Jonathan Wieland dachte darüber nach, wie er John Crofton aus dem Wege räumen konnte, um sich selbst in den Besitz seiner Geliebten, der Schauspielerin Happy Head-Divina zu setzen!«

Und in einer Anwandlung von Abscheu und Verzweiflung warf Romulus Futurus die kostbare Platte zu Boden, zertrat sie mit den Füßen und zerriss die Fotografie in tausend Fetzen, so dass er nicht mehr die Gedanken der Fürstin Angelika lesen konnte, nicht mehr das, was der Student dachte, während Frau Fabia im letzten Augenblick noch deutlich von den Lippen Happy Head-Divina den Gedanken abgeschaut hatte:

»Ich muss versuchen, alles von dem General zu erfahren, denn die englische Regierung verlangt die Pläne des Kriegshafens von Kiel!«

Wie gesagt, die Entdeckung, welche Frau Fabia gemacht hatte, kannte Romulus Futurus nicht. Ihn beherrschte nicht nur die Erkenntnis, dass Ralph Jonathan Wieland in dieser Nacht seinen Freund John Crofton töten wollte; und während er darüber nachsann, wie er den Freund retten könnte, kam er auf eine bizarre Idee.

* * *

III

Die Sternwarte des Romulus Futurus lag gerade im Tiergarten, etwa dort, wo vor einigen hundert Jahren der »Große Stern« gewesen. Von hier aus beherrschte die Sternwarte ganz Berlin. Die neue Stadt war nämlich in einem großen Halbkreis gebaut worden und gruppierte sich, etwa von der ehemaligen Jungfernheide angefangen, in einem Bogen, der allerdings viele, viele Stunden weit über den Gesundbrunnen, die Schönhauser Allee, Neu-Weißensee, Rummelsburg, Stralau, Rixdorf, Schöneberg und Wilmersdorf hinausreichte, um den Tiergarten.

Von seiner Sternwarte aus konnte also Romulus Futurus ganz Berlin, übersehen und beobachten. Ja, er konnte noch mehr! Er erinnerte sich, dass Ralph Jonathan Wieland in der ehemaligen Königgrätzerstraße Wohnung genommen hatte. Diese war die erste Straße, die, von der Sternwarte an gerechnet, jenseits des Tiergartens überhaupt bewohnt werden durfte. Dort standen denn auch die Paläste der reichsten Millionäre von Berlin, darunter das Riesenhaus Ralph Jonathan Wielands.

Schon oft hatte Romulus Futurus nach jener Richtung geblickt und mit dem Glase den Nabob beobachten können.

»Ich habe keine Zeit zu verlieren!« murmelte er.

Ohne sich um Frau Fabia zu bekümmern, die ihn mit vorgestrecktem Hals beobachtete und plötzlich von dunklem, unbewusstem Grauen ergriffen, aus der Sternwarte floh, setzte Romulus Futurus den Riesenscheinwerfer in Tätigkeit. Er schraubte die Linse so zu, dass der Lichtschein keinen größeren Umfang hatte als höchstens 1 Meter. Diesen schmalen, spitzen Lichtstrahl ließ er geradeaus nach dem Schlafzimmer des Ralph Jonathan Wieland gleiten.

Er selbst bewaffnete seine Augen mit einem scharfen Vergrößerungsglas. Es hatte die Form einer Automobilbrille. Die kleinen Gläser saßen auf hohen, runden, schwarzen Einfassungen, die wieder hohl auf den Augen lagen. So stellte er sich an das Fenster und beobachtete. In dem Bruchteil einer Minute, bevor Ralph Jonathan Wieland auf die Störung durch den weißen Strahl aufmerksam gemacht wurde, sah Romulus Futurus durch das geöffnete Fenster, dass der Krösus eben damit beschäftigt war, eine kleine schwarze Kugel mit Acetylen zu füllen. Er begriff sofort den schändlichen Mordplan dieses von Leidenschaften ganz und gar irre geführten Millionärs.

Acetylen war nämlich das neueste, furchtbarste Sprengmittel, das man im dritten Jahrtausend kannte und Acetylengranaten waren bereits bei allen schweren Geschützen eingeführt. Diese Geschosse bestanden aus Holzbüchsen mit Eisenkern, die mit Calcium Carbid gefüllt waren. Unter dem Calcium Carbid lag eine Schicht Phosphatkalium, die, sobald Wasser eindrang, Phosphorwasserstoff bildete, während das Calcium Carbid das Acetylen entwickelte. Sowie der Phosphorwasserstoff mit Luft in Berührung kam, entzündete er sich von selbst und setzte das Acetylen in Brand, das eine furchtbare Flamme entwickelte, dass die größten Wassermassen nicht hinreichen konnten, sie zu löschen.

Ohne Zweifel wollte Ralph Jonathan Wieland das Haus Croftons auf diese Weise in Brand setzen und in die Luft sprengen. Ein teuflischer Plan, den Romulus Futurus in jener Nacht zunichtemachte.

Der Millionär drehte sich plötzlich um, erschreckt und verblüfft durch die schmale Lichtflut, die in sein Zimmer drang. Als er mit den Augen ihrer Richtung folgte, da begriff er, dass sie von der Sternwarte ausging.

»Romulus Futurus!« flüsterte er in höchster Angst und versuchte, die Acetylenbombe zu verstecken und das Zimmer zu verlassen.

Aber er konnte nicht. Grenzenloses Grauen packte ihn.

Ralph Jonathan Wieland sah diese Lichtflut wie ein weißes Band, das kerzengerade von dem Leuchtturm zu ihm herüber glitt. Die Spitze des Scheines bohrte sich in seine Brust und verursachte ihm einen wahnsinnigen Schmerz.

Gerade über dem weißen Band aber, das die rot durchleuchtete Nacht wie ein Dolch durchdrang, lagen die Augen des Erfinders, von schwarzen Rändern umgeben, spitz, drohend, mit einem furchtbaren Glanz ausgestattet. Sie machten den Eindruck von zwei quallenartigen, schlüpfrigen Sternen, die über der milchigen Flüssigkeit schimmerten.

Jonathan Wieland schüttelte sich vor Grauen. Er machte die verzweifeltsten Anstrengungen, sich von diesem furchtbaren Anblick loszureißen. Aber er war nicht imstande, auch nur die geringste Bewegung zu machen.

Inzwischen beobachtete ihn Romulus Futurus mit einem teuflischen Lächeln. Er nahm seine ganze Willenskraft zusammen, legte sie in seine Augen und fesselte Jonathan Wieland in seinen Bann.

Dieser stand in der Mitte seines Zimmers, die furchtbare Bombe in Händen, die durch die geringste ungeschickte Bewegung allein schon zur Entzündung gebracht werden konnte, grün vor Entsetzen, während der schmale Lichtstreifen sich immer tiefer in seinen Körper bohrte und die Schmerzen immer gewaltiger wurden.

Und Romulus Futurus sagte in seiner Sternwarte laut, während er den Kopf zwischen die Schultern steckte und die furchtbaren Augen immer noch unbeweglich über der Lichtflut glitzern ließ:

»Ich will, dass du die Acetylen-Bombe zu Boden fallen lassest!«

Nicht sofort wirkte der auf diese Weise übertragene Wille. Obgleich Jonathan Wieland sich ganz und gar im Banne der Hypnose befand, besaß er doch selbst so viel gesunde Kraft, dass er sich zu wehren vermochte, dass er dem furchtbaren Willen seines entfernten Feindes Wiederstand entgegen setzen konnte.

 

Der aber ließ nicht nach.

»Ich will, dass du die Acetylen-Bombe zu Boden fallen lassest!« wiederholte er noch einmal eintönig, biss die Zähne aufeinander und bohrte seine Augen in die des Jonathan Wieland. Jener begann zu zittern, während diese furchtbaren schwarzen Quallen über der Lichtflut, vergrößert durch die Gläser, seine Blicke förmlich in sich einsogen, während diese entsetzlichen, gierigen Spinnenaugen des Romulus Futurus den letzten Willen aus dem Körper Wielands bannten und seine letzten Kräfte fraßen.

Und plötzlich stieß der Millionär einen furchtbaren, gellenden Schrei aus und ließ die Bombe fallen.

Die Folge war schrecklich. Das Haus des Krösus stürzte ein und begrub ihn und seine zahlreiche Dienerschaft unter seinen Trümmern. Eine ungeheure Flammensäule schoss augenblicklich in die Höhe und hätte vielleicht halb Berlin eingeäschert, würde nicht das Tekton, ein unverbrennbarer Baustoff, mit dem fast alle Häuser überzogen waren, selbst diesen furchtbaren Flammen einen energischen Widerstand entgegengesetzt haben.

Es gelang der rasch herbeigeeilten Feuerwehr, nach unendlichen Anstrengungen, den Brand zu löschen und die übrigen Häuser vor der Vernichtung zu bewahren.

Von Ralph Jonathan Wieland wurde nichts, aber auch nichts mehr gefunden. Sein Körper war dermaßen zu Asche verbrannt, dass auch nicht die Knochen eines Gliedes übrig geblieben waren.

Und niemals erfuhr man, auf welche Weise dieses entsetzliche Unglück zustande gekommen war.

Die Aufmerksamkeit der Berliner wurde übrigens rasch wieder durch den roten Kometen abgelenkt. Dieser hatte sich nämlich jetzt der Erde soweit genähert, dass man deutlich seine Form und Gestaltung erkennen konnte.

Die Deutschen aber hatten kaum mehr Zeit, sich mit dem neuen Gestirn zu beschäftigen; denn der Krieg zwischen der deutschen Nation einerseits und den Engländern und Franzosen andererseits stand bevor. Eifrig wurde gerüstet. Und ungeheure Mengen von Munition wurden an den großen Kriegshäfen Wilhelmshafen und Kiel aufgestapelt.

Die Armee trat unter Waffen.

Romulus Futurus nahm an diesen Vorgängen wenig Anteil. Er erkannte sehr richtig, dass die plötzliche Kriegsleidenschaft zwischen den Nationen ebenfalls nichts weiter als eine Folge des roten Lichtes war, das dieser Unglückskomet ausstrahlte. Und doch wollte es Romulus Futurus scheinen, als ob die Schnelligkeit, mit der der Komet sich bisher der Erde genähert hatte, abnahm. So arbeitete der große Astronom in aller Ruhe an seinen Problemen weiter. Er empfand nicht die geringsten Gewissensbisse über sein nächtliches Verbrechen und kam mit Frau Fabia kaum mehr in Berührung. Und doch war es eigentlich nur der rote Komet, der das Schicksal des Romulus Futurus in die seltsamsten Bahnen trieb.

In sein Leben trat nämlich ein neues, merkwürdiges Ereignis. In dem Hause befand sich ein großer Saal, in dem die Bilder seiner Ahnen hingen. Dieser Raum, der mit einer riesigen Bibliothek in Verbindung stand, war der Lieblingsaufenthalt des Astronomen; hier hing auch in der Mitte der Wand in goldenem Rahmen sein Jugendbildnis, das ihn als dreißigjährigen Mann darstellte, als er Fabia zur Gattin genommen hatte.

Das lag acht Jahre zurück. Oftmals dachte Romulus Futurus, der ein Philosoph war, darüber nach, ob es wohl Liebe gewesen, was ihn damals zu Fabia getrieben; um sich darüber Aufklärung zu verschaffen, kam er auf die phantastische Idee, durch die ›Lumen‹-Platte sein eigenes Bild aus damaliger Zeit zu fotografieren.

Zu diesem Zwecke also stellte er, um ein möglichst genaues Bildnis zu erhalten, den Apparat nachts in dem großen Ahnensaale auf, gerade seinem Bilde gegenüber, und entfernte am nächsten Morgen die Platte, um sie zu entwickeln.

Da wischte er sich mit der Hand über die Augen, fuhr sich von neuem über die Stirn, als wollte er die Gedanken verscheuchen; ja, er nahm einen Spiegel und hielt ihn über die Fotografie, um sich zu überzeugen, ob die Augen ihn nicht trogen.

Aber auch der zeigte dasselbe:

Sein Bild. Es sah nicht viel anders aus, wie das Portrait an der Wand; denn Romulus Futurus hatte damals wirklich einen vornehmen Charakter besessen und keine Hintergedanken gehabt. Doch sein Bild interessierte ihn jetzt nicht weiter. Was ihn zu gleicher Zeit erschreckte und in grenzenloses Erstaunen versetzte, war ein ganz anderer Umstand:

Vor dem Bildnis stand nämlich eine Gestalt.

Es wäre schwer gewesen, sie zu beschreiben, überhaupt genauer anzugeben, wer sie war, wie sie aussah, was sie trug.

Es war ein Weib, das stand fest. Vielleicht sah man es nicht. Aber Romulus Futurus fühlte es. Ihre Gestalt kam nicht über eine nebelhafte Unsicherheit hinaus, und es wäre ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, mehr über die Züge dieser Erscheinung zu sagen. Und doch war sie da, hatte unzweifelhaft lange Zeit vor dem Bildnis Romulus Futurus’ gestanden und mit einer gewissen Andacht zu ihm emporgeblickt.

Der Astronom wusste nicht, was er davon denken und halten sollte. Schließlich schrieb er das Ganze seiner überhitzten Phantasie zu, vielleicht auch einem Fehler der Platte selbst, die vorher nicht genügend gegen das Licht geschützt worden war. Um sich Sicherheit zu verschaffen, ließ er es in der zweiten Nacht auf einen neuen Versuch ankommen. Als er aber am Morgen die Platte entwickelte, da zeigte sich das gleiche Phänomen: eine weibliche Gestalt, etwas stärker ausgeprägt, als am Tage vorher, eine Frau von wundervoller Reinheit, mit einem Antlitz von außerordentlicher Schönheit, das Ganze so durchsichtig wie Kristall, unfassbar, unbeschreiblich.

Romulus Futurus wurde nun von einer quälenden Unruhe erfasst, die ihn nicht mehr verließ. Da er in seinen Freund John Crofton vollstes Vertrauen setzte, umso mehr, als dieser ihm die Rettung seines Lebens verdankte, so rief er ihn zu sich, bat ihn hinauf in die Sternwarte und zeigte ihm das Bild. Dann weihte er ihn in die Vorgeschichte ein.

John Crofton blickte die Fotografie lange an.

»Siehst du dasselbe wie ich?« fragte Romulus Futurus.

»Ohne Zweifel, mein Freund! Ich sehe eine lichte Gestalt vor deinem Bilde!«

»Ist das nicht sonderbar? Ist das nicht, um verrückt zu werden? Eine Gestalt, die man mit bloßem Auge nicht erkennen kann?«

John Crofton lächelte.

»Die Erklärung, meine ich, ist sehr einfach, Romulus. Diese Gestalt ist kein gewöhnliches Lebewesen, das steht fest. Sonst würde es ihr nicht möglich sein, durch verschlossene Türen und Fenster in den Ahnensaal einzudringen. Ebenso sicher ist es aber, dass sie eine besondere Vorliebe für dich besitzt, sonst würde sie nicht die Nächte vor deinem Bilde zubringen.«

Romulus Futurus, durch diese Auskunft, die seine eigenen Empfindungen und Hoffnungen bestätigte, aufs höchste erregt, ging mit großen Schritten in dem Raume auf und nieder.

»Aber, was ist da zu tun?« rief er, verzweifelt die Hände ringend.

»Was ist da zu tun, John? Diese Erscheinung erschreckt mich im höchsten Grade, während sie zugleich in den Tiefen meiner Seele etwas aufwühlt, das mich in die größte Unruhe versetzt. Ich muss dieses Phänomen sehen! Willst du mir behilflich sein, John, dass ich einen Zeugen habe und meinen eigenen Augen nicht misstrauen muss?«

Der Freund nickte.

»Mit Vergnügen, Romulus!«

Die beiden verabredeten also, dass sie in der nächsten Nacht in dem großen Ahnensaale wachen wollten, während Romulus Futurus zu gleicher Zeit wieder seine lichtempfindliche Platte in dem Apparat dem Bilde gegenüber in Bereitschaft setzte.

Sie warteten die ganze Nacht hinter einem schweren Brokatvorhang. Sämtliche Eichentüren waren verschlossen worden. Alle Fenster waren zu; nur das rote Licht des Kometen verbreitete eine traumhafte Helligkeit in dem Saale. Romulus Futurus und sein Freund John Crofton warteten die ganze Nacht bis zum Morgen. Sie sahen nichts, hörten nichts und bemerkten nichts; und Romulus Futurus meinte seufzend:

»Sicherlich haben wir sie durch unsere Gegenwart vertrieben.« Dann besah er die photographische Platte, während seine Hände in fieberhafter Ungeduld zitterten.

Das Bild zeigte die gleiche Erscheinung wie am vergangenen Tage, nur noch ausgeprägter, so dass man selbst das lange, fließende Haar, das bis auf die Hüften wallte, die feinen Linien des Körpers, der in ein durchsichtiges Gewand gehüllt war, erkennen konnte.

Der Astronom rannte in dem astronomischen Saale auf und nieder.

»Ich muss sie kennen lernen!« rief er ein über das andere Mal. »Ich muss! Diese Erscheinung gewinnt, ich gestehe es, von Tag zu Tag einen größeren Einfluss auf mich, und ich möchte beinahe behaupten, ich sei von einer rasenden, leidenschaftlichen, entsetzlichen Liebe zu ihr erfüllt!«

John Crofton, der das heimliche Schaudern, das ihm dieses Phänomen verursachte, hinter Frivolitäten zu verbergen suchte, entgegnete:

»Nun, bei einem Manne, der gegen Fleisch und Blut so unempfindlich ist wie du, ist’s nichts Wundersames, wenn er sich in Geister verliebt!«

Das Wort fesselte Romulus Futurus Aufmerksamkeit.

»Geister –«, wiederholte er. »Das ist sicherlich nicht das richtige Wort, John. Es handelt sich um keinen Geist, und ich glaube auch nicht, dass die Seelen Verstorbener sich uns auf diese Weise bemerkbar machen können.«

»Wie willst du es dann erklären?« entgegnete John Crofton verwundert. »Auf alle Fälle ist das eine Erscheinung, die ohne Materie, das heißt ohne Fleisch und Blut ist, sonst müssten wir sie doch mit unseren Augen erkennen. Nur die fabelhaft empfindliche Platte war imstande, das Unsichtbare sichtbar zu machen.«

Das war eine Erklärung, die Romulus Futurus weder befriedigen noch beruhigen konnte.

»Auf diese Weise kommen wir zu keinem Resultate!« rief er. »Ich will aber wissen, John, wer sie ist! Gib mir einen Rat. Du weißt nicht, welches große Opfer ich für dich gebracht, dass ich dir sogar das Leben gerettet habe. Du staunst? Nun, nimm es an! Jetzt ist der Augenblick gekommen, wo ich von dir einen Gegendienst verlange! Ja, ich bin verliebt! Das ist nicht das rechte Wort! Ich habe ein rasendes, wildes Verlangen nach jenem Wesen, das Nacht für Nacht sich vor meinem Bilde zeigt. Ich muss sie besitzen! Also gib mir ein Mittel! Ein Mittel, John Crofton!« Und der sonst so vernünftige, ruhige, kühle und gemessene Mann rannte in der Sternwarte auf und nieder, packte seinen Freund Crofton und schüttelte ihn, als wollte er ihn töten.

»Lass’ mir einige Augenblicke Zeit!« murmelte John Crofton und ließ sich in einen Sessel nieder. Ihm war ein elender Gedanke gekommen. – —

Seitdem Frau Fabia seine Liebeswerbung so schnell abgewiesen, hatte er einen tiefen und unauslöschlichen Hass gegen die schöne Frau mit sich herum getragen. Von Natur aus ein schlechter, verdorbener Charakter, war seine Leidenschaft für das schöne Weib zu teuflischer Bosheit geworden, und Tag und Nacht dachte er darüber nach, wie er ihr Furchtbares antun könnte.

Aber er fürchtete Romulus Futurus zu gleicher Zeit! Er fürchtete diesen mächtigen, in seinen Leidenschaften unberechenbaren Mann und hatte bislang nicht gewagt, irgendetwas gegen sein Weib zu unternehmen.

Und jetzt gab sich Romulus Futurus in seine Hände! Jetzt verlangte er ein Mittel von ihm, das ihm kein Mensch verraten konnte! John Crofton vergaß vollständig, dass sowohl er wie Romulus Futurus vor einem phänomenalen Rätsel standen. Er dachte nur mehr an Frau Fabia, an seinen Hass, an die Möglichkeit, sich zu rächen, ohne sich selbst strafbar zu machen. Und er hob das bleiche Gesicht mit den dunkel umränderten Augen zu Romulus Futurus, der ihn erwartungsvoll ansah, und sagte:

»Ich wüsste wohl ein Mittel!«

Der Astronom war Feuer und Flamme.

»So sprich denn! Sprich! Mein Gehirn ist zu verwirrt, um selbst einen klaren Gedanken zu fassen. Was ist zu tun?«

John Crofton ließ sich drängen. Er wiegte den Kopf hin und her und tat, als getraue er sich nicht, zu sprechen. Bis Romulus Futurus ihn beschwor, bis er ihm zusicherte, dass er jede Verantwortung tragen würde.

Dann begann John Crofton:

»So viel steht fest: die Platte, die an und für sich eine wunderbare Erfindung bedeutet, hat dir und der ganzen Menschheit neue Wege gewiesen; ungeheuerliche Entdeckungen werden gemacht werden. Nun, diese Gestalt vor deinem Bilde existiert, das ist sicher. Und ohne Zweifel ist es die Seele, der Geist, das vom Körper losgelöste Wesen eines jungen Weibes, das dich leidenschaftlich liebt. Willst du sie gewinnen und besitzen, so musst du dieses Wesen in einen neuen Körper bannen. Ob das Experiment gelingen wird, weiß ich nicht. Aber es sollte glücken! Du verfügst über fabelhafte Kräfte! Dein Wille ist unermesslich! Versuche, sage ich!«

 

Futurus stand von seinem Sessel auf und rannte hin und her.

»Ja, das ist eine Idee! Das ist glänzend! Das ist großartig!«

Plötzlich brach er ab. Er begriff, dass der Vorschlag John Croftons scheinbar unüberwindliche Schwierigkeiten aufwies.

»Aber woher diesen Körper bekommen, John? Was meine Gewalt über dieses Wesen anbetrifft, verzweifle ich nicht. Es wird mir gelingen, die Unsichtbare zum Gehorsam zu bringen! Aber in welchen Körper soll ich sie bannen? Es muss der Leib eines Weibes sein, dessen äußerliche Schönheit mit diesem Wesen harmonieren würde! Ein Weib, das ich anbeten, vor dem ich mich auf die Knie werfen könnte —«

Er brach erschöpft ab. Und John Crofton sagte so ruhig, als handle es sich um, die einfachste Sache der Welt, während in seine Augen ein furchtbarer Schimmer trat:

»Deine Frau!«

Romulus Futurus blieb wie zur Statue erstarrt stehen, seine Augen weiteten sich, seine Lippen bebten.

»Meine Frau –«, wiederholte er tonlos.

»Natürlich!« fuhr John Crofton fort, indem er mit einem eisernen Willen sofort auf das eine Ziel losging, Frau Fabia zu vernichten; denn er glaubte in Wirklichkeit nicht daran, dass Romulus Futurus, den er für einen Narren hielt, in Wahrheit ein so ungeheuerliches Werk vollbringen konnte. »Natürlich deine Frau! Kein anderer Mensch auf Erden würde sich für dieses Experiment eignen! Du liebst sie nicht – du hast es mir ja selbst bereits gestanden, hast oftmals mir dein Leid geklagt! Du fliehst sie und sie grämt sich darüber! Töte sie und banne dieses Wesen in ihren Leib, so wirst du sie lieben können, wie nie ein Weib von einem Manne geliebt wurde!«

Romulus Futurus sprach lange Zeit kein Wort. Er ging auf und nieder, von Zeit zu Zeit vor dem Freunde stehen bleibend und ihn mit furchtbaren Blicken messend. Es dämmerte noch, und der purpurne Schimmer des Kometen flutete durch die Sternwarte.

»Und warum sollte ich es nicht tun?« schrie der Gelehrte plötzlich hinaus, sich selbst die schreckliche Frage beantwortend. »Sage selbst, warum nicht? Es ist kein Verbrechen! Fabia ist unglücklich, sagst du? Ja, ja, sie ist es! Ich weiß es, ich habe es unzählige Male gefühlt! Ich liebe sie nicht! Aber ich liebe dieses Weib, das ich nicht kenne, das ich nur fühle, bis zum Wahnsinn! Und ich werde Fabia bis zur Raserei verehren, wenn dieses Wesen in ihrem Leibe wohnt!«

»Also!« entgegnete John Crofton und warf seine Zigarette weg, während seine Augen vor Mordlust glühten. –

Romulus Futurus streckte sich in einen Sessel. Er kreuzte die Beine übereinander, vergrub die Hände in die Taschen und zog den Kopf zwischen die Schultern, während ein feiger Zug sein männlich schönes Gesicht entstellte.

»Ich kann es aber nicht tun!« flüsterte er.

»Was, Romulus?«

»Ich kann sie nicht töten! Denn es ist klar, dass ich sie erwürgen muss, wenn ich die wesenlose Gestalt in ihren Körper bannen will!«

»Freilich!« entgegnete John Crofton brutal. »Du wirst sie töten müssen!«

»Nein, nein!« wehrte Romulus Futurus ängstlich ab. »Ich kann es nicht! Ich bringe es nicht über mich! Aber vielleicht – könntest du —«

John Crofton stand auf. Über sein Gesicht huschte ein phosphoreszierendes Leuchten. Seine Augen sanken förmlich in die Höhlen zurück, und seine Lippen bebten vor verhaltener Freude.

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