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Der rote Komet

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Sie klammerte sich mit beiden Armen an ihren Gatten und stieß hastig hervor:

»Was ist das, Romulus? Was ist das für ein Haus?«

Romulus Futurus ließ seinen Blick über das Gebäude gleiten.

»Es ist der Palast der Fürstin Angelika«, erwiderte er gleichmütig und wollte seinen Weg fortsetzen. Aber Frau Fabia hielt ihn zurück.

»Angelika« murmelte sie, »Angelika. – Der Name ist mir so bekannt.«

»Die Fürstin wurde dir doch damals vorgestellt, als wir mit Doktor Diabel und den andern in seinem Hause soupierten.«

Sie schüttelte den Kopf.

»Davon weiß ich nichts!«

Romulus Futurus machte eine Handbewegung.

»Verzeih’, ich vergaß, dass dir die Erinnerung an alles, was in der Vergangenheit liegt, geschwunden ist.«

Er sprach gleichgültig, als rede er mit einem völlig fremden Menschen, denn er liebte Frau Fabia schon lange nicht mehr. Sein Wunsch stand auf etwas anderes, auf ein Wesen, auf ein Idol gerichtet, das er nicht nennen konnte, das ihm nur vorschwebte, auf die schemenhafte Erscheinung, die er unter seinem Bilde kennen gelernt und die nun doch – das stand außer Zweifel – im Körper seiner Gattin Fabia wohnte.

Sie ließ sich von dem Hause nicht fortbringen.

»Es kommt mir so seltsam bekannt vor«, flüsterte sie unaufhörlich, während ihr Blick einen eigentümlichen Schimmer annahm. »Aber das ist ja mein Haus! Das ist ja mein Palais!« rief sie plötzlich, sich an Romulus Futurus klammernd. Im nächsten Moment stieß sie einen gellenden Schrei aus, sank in die Arme ihres Gatten und deutete zitternd, während ihre Zähne wie im Frost aufeinanderschlugen, zum Fensterkreuz des ersten Stockes empor.

Sowohl Romulus Futurus als auch John Crofton waren ihr mit den Augen gefolgt.

Dort oben stand Doktor Diabel und sah hohnlachend herab. Sein Gesicht hatte wahrhaftig die Fratze eines Teufels angenommen.

Die Welt und ihre Interessen hatten sich in den Stunden so geändert, dass John Crofton längst nicht mehr an sein Dokument dachte. Und Romulus Futurus wunderte sich nicht, den Gefangenen hier zu sehen, denn es war ja bekannt, dass die Revolutionäre alle Gefängnisse gestürmt hatten.

Obwohl das alles nur um Stunden zurücklag, schien es doch jedem, als ob Jahre, dazwischen liegen müssten. So furchtbar waren die letzten Erlebnisse.

Plötzlich erfüllte ein furchtbarer Donnerschlag die Luft. Der Himmel glühte, ein Regen von feurigem Dampf und siedendem Wasser spritzte vom Firmament auf die Erde nieder, und die Atmosphäre war förmlich geschwängert von Glut.

Es war unmöglich, sich noch länger auf der Straße zu halten, und Romulus Futurus, seine Gattin Fabia und John Crofton flüchteten sich in den Palast der Fürstin Angelika, der ihnen am nächsten lag, um dem Glutregen zu entkommen.

Große Lufthydranten füllten den Palast der Fürstin Angelika mit Sauerstoff. Romulus Futurus und John Crofton wollten sich im Vestibül aufhalten, aber Frau Fabia drängte auf die Treppe zu.

»Was willst du?« fragte ihr Gatte zornig. »Sollen wir uns aus dem Hause weisen lassen? Willst du die Fürstin beleidigen?«

Aber Frau Fabia schien plötzlich den Verstand verloren zu haben.

»Von welcher Fürstin sprichst du?« fragte sie mit irren, lohenden Blicken.

»Von der Fürstin Angelika.«

»Die Fürstin Angelika bin ich selbst!«

Romulus Futurus und John Crofton sahen sich an. John Crofton, der Frau Fabia immer noch mit gleicher Glut liebte, dachte nicht anders, als sie habe über all diesen Schrecken den Verstand verloren. Das wäre nichts Besonderes gewesen an diesem Tage, wo Tausende von Irrsinnigen durch die Straßen hetzten. Romulus Futurus aber öffnete plötzlich weit die Augen und sah seine Gattin mit einem seltsamen Blick an.

»Wenn das möglich wäre —«, murmelte er; und um John Crofton eine Erklärung zu geben, sagte er, von einem entsetzlichen Fieber gepackt, das hektisch auf seinen Wangen glühte: »Gehe voraus, Fabia!«

Auch ohne die Erlaubnis ihres Gatten hatte Frau Fabia bereits den Fuß auf die Treppe gesetzt und eilte nun mit leichten Schritten über die teppichbelegten Stufen empor. Im ersten Stockwerk angekommen, stieß sie die Tür eines Zimmers auf. Von neuem aber ließ sie jenen Schrei hören, den Romulus Futurus und John Crofton bereits zweimal schon von ihr gehört. Sie lehnte sich zitternd in die Ecke des Zimmers, streckte beide Arme halb abwehrend, halb beschwörend von sich und regte sich nicht; nur in den großen Augen lag ein Grauen, das wie Irrsinn funkelte. –

Inzwischen waren Romulus Futurus und John Crofton ihr gefolgt. Der erste Mensch, den sie erblickten, war Doktor Diabel, der sich am Fenster umgewandt hatte und ihnen nun mit verschränkten Armen entgegensah, während Blitze aus seinen Augen schossen.

»Was wollen Sie hier?« schrie er. »Wie können Sie es wagen, in dieses Haus einzudringen? Ich verlange Achtung vor der Fürstin Angelika, vor ihrer schweren Krankheit! Sie ringt mit dem Tode!«

Romulus Futurus hatte die Brauen zusammengezogen, dass sie eine einzige dunkle Linie über den Augen bildeten.

»Es ist unnötig, dass Sie uns Verhaltungsmaßregeln geben«, entgegnete er. »Noch bin ich Kultusminister und oberster Polizeibeamter von Berlin! Noch steht mir der Eintritt in jedes Haus frei! Die Fürstin Angelika scheint mir jedenfalls am schlechtesten aufgehoben zu sein unter Ihrer Pflege.«

Doktor Diabel stürzte Romulus Futurus entgegen und hob den Arm, als wolle er sich an ihm vergreifen. Der aber packte die erhobene Hand und presste sie mit solcher Kraft nieder, dass Doktor Diabel ein leises Stöhnen entfloh.

Dann wandten sich Romulus Futurus und John Crofton nach der Seite, wo ein großes Himmelbett stand. Ein blauseidener Baldachin spannte sich darüber. Es erweckte gerade jetzt, da die Purpurglut mit furchtbarer Kraft durch die Fenster hereinflutete, in den Männern ein eigentümlich frommes Gefühl, da ihre Blicke sich an diesem blauen Atlas weiden konnten, der die ehemalige Farbe des Himmels hatte.

Unter diesem Baldachin lag in weißen Kissen eine abgezehrte, bleiche Gestalt. Man sah, dass sie schon Monate hier ruhte. Und in der Tat lag die Fürstin Angelika seit dieser Zeit in einem todesähnlichen Schlaf, aus dem sie nicht ein einziges Mal erwacht war.

Sie bildete ein Phänomen für die Wissenschaft, die sie nicht zu erwecken vermochte, obwohl die Verwandten riesige Summen aufgeboten. Die Fürstin Angelika war nicht gestorben. Sie schien aber auch nicht mehr zu leben. Sie lag regungslos da, bleich wie ein Wachsbild. Aber diese mysteriöse Krankheit hatte ihre Schönheit trotz allem nicht töten können. Im Gegenteil: dieser Körper schien nichts Irdisches mehr an sich zu haben. Er glich dem eines Engels, und wenn es eine Ähnlichkeit zwischen Seele und Körper gibt, so hätte man in diesem Augenblick sicher beide nicht unterscheiden können, denn die schlafende Fürstin sah aus wie ein überirdisches Wesen.

Romulus Futurus hatte kaum einen Blick auf das Lager geworfen, hatte kaum mit den Augen die Gestalt dieses Engels umfasst, als seine Brust in tiefen Atemzügen sich hob und senkte. Seine Fäuste ballten sich zusammen und die Nägel der Finger fuhren in sein Fleisch, seine Augen rollten. Er wurde so bleich wie das Marmorsims des Kamins; selbst John Crofton wechselte die Farbe und starrte entsetzt bald auf Romulus Futurus, bald auf die Fürstin Angelika.

»Sie ist es, sie ist es!« stieß der Gelehrte endlich zwischen den Zähnen hervor. »Allmächtiger, sie ist die Erscheinung aus meiner Galerie, sie ist das Wesen, das mich in seinem Bann hält seit vier Monden!«

Und wie ein gefällter Baum stürzte er an dem Bett der Fürstin Angelika nieder, umschlang den Körper mit seinen starken Armen und bedeckte, einem Wahnsinnigen gleich, die kalten, bleichen Lippen mit rasenden Küssen.

Doktor Diabel schien nicht zu begreifen, was sich hier abspielte. Er selbst war so verblüfft, dass er nicht den Mut fand, ein Wort zu sprechen, während Frau Fabia, die von einem unnatürlichen Schrecken vor Doktor Diabel ergriffen zu sein schien, immer noch in die Ecke gekauert lag und nur von Zeit zu Zeit flüchtig, wie ein scheuer Vogel, den Blick zu dem Arzte hinüberflattern ließ.

Ein einziger von den Menschen, die sich in dem Zimmer befanden, begriff außer Romulus Futurus, was hier vorging: John Crofton.

Auch er hatte auf den ersten Blick erkannt, dass zwischen der Fürstin Angelika, die hier im tiefen Schlafe lag, und jener nebelhaften Erscheinung, die die lichtempfindliche Platte in der Galerie festgehalten hatte, eine solche Ähnlichkeit herrschte, dass man beide für ein und dieselbe Person halten musste.

Er verstand allerdings nicht, wie dieses Rätsel sich lösen sollte, bis Romulus Futurus, der vergeblich versucht hatte, den Körper der Fürstin zum Leben zu erwecken, plötzlich aufsprang.

»Sie ist kalt, eiskalt!« schrie er wie ein Rasender. Und Doktor Diabel, der es nicht glauben wollte, stürzte herbei, betastete ihre Hände, ihre Arme, ihr Gesicht, sprang dann zum Fenster zurück und begann, ohne auf die anderen zu achten, eine Beschwörung, die höchst merkwürdig war.

Er beschrieb über dem Kopfe der Leblosen magische Zeichen. Man sah, wie er seinen ganzen Willen konzentrierte. Er schrumpfte zusammen vor ungeheurer Aufregung, seine Augen wurden starr wie schwarze Perlen; mit gepresster Stimme sagte er:

»Ich befehle dir, Angelika, zu erwachen! Du sollst erwachen! Du musst erwachen!«

Das wiederholte er in einem fort wie ein Verrückter, während seine Augen irr an der Leblosen hingen. Plötzlich stieß er einen Schrei aus, fiel, von der übermenschlichen Anstrengung erschöpft, zu Boden und schrie:

»Es ist zu spät, zu spät! Die Seele kehrt nicht mehr in den Körper zurück!«

Jetzt schien Romulus Futurus zu fassen, was hier vorgefallen war. Halb vornübergebeugt, wie ein Riese, die Arme vorgestreckt, die Fäuste geballt näherte er sich Doktor Diabel, packte ihn mit beiden Händen an der Brust, schleuderte ihn hin und her und schrie:

 

»Du hast sie hypnotisiert, Elender, gestehe! – — Du hast vor vier Monaten diese Unglückliche in einen magnetischen Schlaf versetzt und hast sie nicht mehr daraus erweckt! Schurke, Hund, Scheusal, gestehe! Gestehe, oder ich zerquetsche dich unter meinen Fäusten!«

Dieses Toben eines Mannes, der bis zur Stunde nie seine überlegene Ruhe verloren hatte, gewährte einen schrecklichen Anblick. Unter diesen Fäusten, kraftlos gemacht durch die Hitze und Flammen, die den Horizont erfüllten, sank Doktor Diabel in die Knie. Kalter Schweiß stand auf seiner Stirn, und schlotternd, im Zerrbild von Angst und Feigheit, gestand er:

»Ja, ja, es ist wahr! Ich habe sie in magnetischen Schlaf versetzt, ich habe ihr befohlen, zu schlafen, immer zu schlafen und nichts mehr zu wissen, und nun – nun ist es zu spät – ich habe den rechten Augenblick versäumt – sie ist tot, tot!«

Romulus Futurus schüttelte den Schwächling, dass sein Kopf hin und her gegen die Wand schlug.

»Warum?« schrie er mit furchtbarer Stimme, während der Wahnsinn aus seinen eigenen Augen brach, »warum?«

»Weil ich sie liebte, und weil sie gestand, dass ihr Herz einem anderen gehörte, an den sie immerfort dächte, dass sie nur einen lieben könne, nur einen –«

»Wen? Wen? Sprich!«

»Sie sprach von Romulus Futurus«, ächzte Doktor Diabel.

Romulus Futurus reckte und dehnte sich wie ein Gigant. Er war furchtbar anzusehen, und John Crofton erkannte mit Angst und Schrecken, dass sein Freund irrsinnig geworden war.

»Mich hat sie geliebt! Mich! Verstehst du, John? Crofton? Begreifst du alles? Dieser Schurke hat die Fürstin in einen magnetischen Schlaf versetzt, und ihre Seele wandelte frei umher und flüchtete zu dem, den sie liebte, während der Körper hier in den Fesseln des Magnetismus lag. Ihre Seele habe ich gesehen, und so habe ich mich in sie verliebt! Ich kann nicht mehr leben ohne sie!«

Er wandte sich um. Mit seinem breiten Körper versperrte er den Ausgang. Dann riss er den Leichnam der Fürstin Angelika aus den Kissen, hob sie in die Luft, dass das weiße, seidene Nachtkleid an ihrem Körper auf den Teppich niederfloss, und rief:

»Du sollst erwachen, du sollst erwachen! Ich liebe dich ja! Ich liebe dich bis zum Wahnsinn!«

Aber die Fürstin Angelika erwachte nicht mehr. Zu lange hatte die Seele gezögert, wieder in den Körper zurückzukehren. Jetzt, da die Fürstin entschlafen war, da der Körper seine Beziehungen zur Seele verloren hatte und verfiel, jetzt gehorchte jene der magnetischen Gewalt des Doktor Diabel nicht mehr, und der Tod des Leibes war damit unwiderruflich besiegelt.

Romulus Futurus hieß den leblosen Körper in die Kissen zurückgleiten, stellte sich breit hin und heftete sein von Wahnsinn erfülltes Auge auf Frau Fabia, die, von Furcht geknebelt, mit halb geöffneten Lippen all diesen Vorgängen gelauscht hatte.

»Was gebe ich mich der Verzweiflung hin?« murmelte er, während die Gluthitze des roten Kometen das Zimmer durchsengte, während das Todesgeschrei der Menschen von den Straßen herauftönte und Beten, Flüche und Verwünschungen durch die Luft hallten.

»Was zögere ich noch? Du – du«, er wandte sich an Frau Fabia, – »du bist es und bist es nicht! In deinem Körper lebt die Seele Angelikas, und darum kann sie nicht zurückkehren in den Leib, den ich anbete!« – — —

Er richtete sich höher auf, erfasste mit seinen starken Fäusten Frau Fabia, die leise, verzweifelte Angstrufe hören ließ, schleifte sie zu sich hin und schrie:

»Gib die Seele zurück, die nicht dir gehört! Angelika soll leben! Ich will es! Hörst du?«

Und als ihm nichts antwortete als das stumme Entsetzen der Menschen, die sich in dem Zimmer befanden, ließ er Frau Fabia plötzlich los, stürzte sich von neuem auf Doktor Diabel, zerrte ihn zu ihr hin und schrie:

»Töte sie, töte sie, dass ihre Seele in den Körper Angelikas zurückkehren kann!«

Doktor Diabel sank unter der furchtbaren Faust, die ihn zu Boden drückte, in die Knie. Er hätte nicht die Kraft gefunden, einen Arm zu erheben, geschweige denn, den entsetzlichen Befehl des Romulus Futurus auszuführen.

Der aber, von wahnwitziger Wut gepackt, weil Dr. Diabel nicht sofort seinem Befehl folgte, riss ihn in die Höhe, hielt ihn einige Augenblicke in der Luft und schleuderte ihn mit so entsetzlicher Kraft gegen die Wand, dass der Kopf des Arztes zerschellte.

John Crofton wurde von namenlosem Grauen ergriffen. Er versuchte vergeblich, die Tür frei zu machen. Romulus Futurus hatte seine Absicht erkannt und füllte den Ausgang wieder mit seinem gigantischen Körper aus.

»Habe ich nicht recht, John?« rief er mit schauerlichem Lachen. »Habe ich nicht Recht? Endlich, endlich bin ich am Ziele.«

Und er beugte sich blitzschnell nieder, ergriff die Unglückliche, die vor Entsetzen und Todesgrauen die Besinnung verloren hatte, und presste mit seinen Fingern ihren Hals zusammen.

Das war zu viel für John Crofton, in dem längst aller Hass gegen Frau Fabia gestorben, in dem die alte Liebe mit neuer Kraft emporgeloht war. Das konnte er nicht mit ansehen. Er wurde von rasender Wut gegen Romulus Futurus gepackt; brüllend warf er sich auf den Freund, entriss ihm die Ohnmächtige und schlug ihm mit der geballten Faust ins Gesicht.

Aber stärkere Männer als John Crofton hätten diesen Rasenden nicht mehr bändigen können. Er griff nun den Freund an, warf ihn zurück, packte ihn von neuem, und zwischen den beiden Männern entspann sich ein Ringen auf Leben und Tod, ein qualvoller, entsetzlicher Kampf, der das ganze Zimmer erfüllte, der nahezu zehn Minuten währte, bis Romulus Futurus den Gegner endlich niedergezwungen hatte, bis es ihm glückte, das Messer aus der Tasche zu ziehen.

Er stieß es wohl ein dutzendmal dem Erschöpften in die Brust, bis dieser die Glieder streckte und regungslos lag in einer Lache von Blut.

Einem Tiere gleich, warf sich darauf Romulus Futurus von neuem auf Frau Fabia und tötete sie mit eigener Hand.

So stand er stieren Blicks zwischen den beiden Leichnamen und befahl mit lallender Stimme, dass die Seele Angelikas wieder in den Körper zurückkehre.

Aber diesmal glückte das Experiment nicht.

Dieses ätherische Wesen, von dem man bis zu den Tagen des Romulus Futurus nur einen unbestimmten Begriff gehabt hatte, konnte nicht in einen toten Körper übergehen, nachdem er schon einmal in eine fremde Materie gebannt worden war.

Die Fürstin Angelika blieb tot, und Romulus Futurus stand mit gebeugten Schultern zwischen vier Leichnamen. Inzwischen brütete draußen auf den Straßen der Tod. Purpurne Blitze zuckten nieder, die Donner rollten über den einstürzenden Häusern, die Luft war erfüllt von dem Todesgeschrei Tausender von Menschen, bis die Nacht vorüberging und der Tag anbrach. Da ließ die Hitze nach, und von Stunde zu Stunde wurde es kühler in den Straßen. Hinter fahlen Nebeln verschwand der Komet mehr und mehr, und die, welche nach jener entsetzlichen Nacht noch am Leben geblieben waren, erkannten, dass der Zusammenstoß zwischen dem Gestirn und der Erde nicht erfolgt war.

Der furchtbare Stern war vorübergeglitten, vielleicht nur durch einige Millionen von Kilometern noch von der Erde getrennt, und nun setzte er seine Bahn fort, weiter in den unendlichen Weltenraum.

Die Erde war gerettet. Mit der Stunde, da die Gefahr vorüber war, da die Hitze nachließ und die zurückgebliebenen Menschen sich mehr auf sich selbst besannen, mit diesem Augenblick wurden sie wieder ruhig, selbstbewusst, und erinnerten sich ihrer Zivilisation und Kultur.

Der rote Komet war erloschen für immer. Die Menschen machten sich daran, die Folgen dieser entsetzlichen Katastrophe zu beseitigen.

Soldaten und Feuerwehrleute eilten durch die Straßen, sammelten die Leichen, packten sie in Särge und Tücher und beerdigten sie. Man drang in die Häuser, rettete die, welche noch zu retten waren, und säuberte die Gebäude von Leichen.

Das Leben begann wieder seinen gewohnten Gang zu nehmen, der Pulsschlag der Arbeit hämmerte wieder in dem Körper Berlins. Da drangen Soldaten und Offiziere auch in das Palais der Fürstin Angelika ein und fanden die Opfer der entsetzlichen Katastrophe, die sich dort abgespielt hatte.

Sie fanden einen Wahnsinnigen zwischen vier Leichen. Als sie in das Zimmer traten, da wies er mit der Hand zur Decke empor: »Seht ihr die kleine rote Flamme, die gerade über meinem Haupte steht und flackert? Seht ihr sie?«

Niemand sah sie. Romulus Futurus aber erblickte sie, dieses kleine, purpurrote Flämmchen, das gerade über ihm stand, und er wusste, dass das die Seele der Fürstin Angelika war. – Die andern aber sahen es nicht. Sie führten den Wahnsinnigen gefesselt durch die Straßen und brachten ihn in eine kleine, einsame Zelle. Dort brütete der ehemalige berühmte Astronom mehrere Tage schweigend vor sich hin. Von Zeit zu Zeit sprang er auf und versuchte, das kleine, rote Flämmchen, das niemand sah außer ihm, einzufangen. –

Wenn ihm dies nicht gelang, dann warf er sich auf den Boden hin und schluchzte und tobte, bis die Wärter kamen und ihn in Fesseln legten.

»Er sieht eben immer noch die Purpurfarbe des roten Kometen«, meinte der Oberarzt der Irrenanstalt. »Was ist da zu machen? Er wird nie mehr gesund werden.«

So war es auch. Romulus Futurus kam nicht mehr zu sich; vier Wochen später trug man ihn zu Grabe, als letztes Opfer des roten Kometen, dessen Erscheinen er als Erster verkündet hatte. —

Ende
* * *

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