Rotverschiebung

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Rotverschiebung
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Rotverschiebung

4 x queer crime mit Nel Arta

Texte:© copyright by Ria Klug

Umschlaggestaltung:© copyright by Ria Klug

Verlag:

Ria Klug

Suchlandstraße 9

12167 Berlin

riaklug@web.de

Vertrieb: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Einführung zum Sammelband Rotverschiebung-4 x queer crime mit Nel Arta

Sorry, das muss sein, aber man kann es auch überspringen.

Als mich 2008 die unüberwindbare Idee, ich könnte einen Krimi schreiben, anfiel, hatte ich noch keine Ahnung, wo die Reise hinführen würde.

Ich schrieb drauflos und je mehr Seiten dazukamen, desto besoffener war ich von meinem eigenen Text.

Auf Einwendungen von Freund:innen, es handele sich um ein Spartenthema, erwiderte ich lapidar, im Fernsehen liefen Krimis, in denen der Kommissar nur einen Arm hat und die meisten Zuschauer:innen dagegen mindestens zwei. Oder in Krimis träten Polizist:innen mit Liebeskummer und Alkoholproblemen auf und das läsen oder schauten auch beziehungsferne Misantrop:innen und überzeugte Abstinenzler:innen.

Aber machen wirs kurz. Erst nachdem ich mir ein Online-Seminar zum Krimischreiben leistete, erkannte ich, dass Schreiben ein zu erlernendes Handwerk ist und ich bis dato keinen erdenklichen Anfänger:innenfehler ausgelassen hatte. So wurde der zweite Roman mit Nel Arta vor dem ersten fertig, viel besser war er aber noch nicht.

Schließlich waren alle drei Nel-Arta-Geschichten in der richtigen Reihenfolge von 2011 bis 2013 erschienen, eine vierte in Teilen geschrieben, aber sie dümpelten unter der Wahrnehmungsschwelle des Buchmarktes.

Eine mutige Neuedition des Debuts Kleine Betriebsstörung von Dead Soft floppte 2016 leider ebenfalls.

Da ich aber stur und immer noch von der Figur und den Stories überzeugt bin, habe ich mich daran gemacht die Reihe nochmal als eBook herauszugeben und um den 2019 fertiggestellten vierten Band Nachts Zündeln zu ergänzen.

Beim neuerlichen Lesen fiel mir auf, wie viel ich inzwischen dazugelernt habe und, peinlicherweise, wie hölzern und ungelenk die Schreibe in Teilen war.

Beim Überarbeiten habe ich mich bemüht den Charakter zu erhalten und trotzdem den Text aufzubrezeln, um so etwas von den dreizehn Jahren Schreiberfahrung einzubringen.

Ganz nebenbei ergab sich dadurch die Gelegenheit dem dritten Band mit Popelige Mauscheleien wieder seinen ursprünglichen Titel zurückzugeben, der vom damaligen Verleger unter tätiger Beihilfe des ehemaligen Chefredakteurs der Leipziger Volkszeitung als »zu ekelhaft« abgelehnt worden war.

Ob ein fünfter und abschließender Band folgen wird, weiß ich nicht. Ideen dazu gibt es, aber die reichen ja bekanntlich nicht.

Nel Arta kann man auch in anderen Geschichten begegnen. Manchmal läuft sie nur wie Alfred Hitchcock in seinen Filmen durchs Bild. So in Die Zärtlichkeit der Hubschrauber (2013 als Edi LaGurki veröffentlicht) und in Zehntausend Kilometer. In Gefährliche Vergangenheit und Urinstinkt hat sie Co-Hauptrollen. Auch Isabel, ihrer brasilianischen Freundin und Karla, der Berliner Taxifahrerin, kann man da und dort begegnen.

Diese wunderbar inspirierende Idee, die einige meiner Bücher verbindet und sicher noch verbinden wird, habe ich mir von dem südafrikanischen Autor Deon Meyer abgeschaut.

Im ersten Band, Kleine Betriebsstörung, gibt es etliche Passagen mit Einsprengseln in Portugiesisch. Es ist eben so, dass man in einem fremden Land mit fremder Sprache häufig nichts versteht. Man kann also wie Nel durch Brasilien radebrechen und stolpern.

Für diejenigen, die das nicht ertragen, gibt es anhängend ein Glossar, zu dem man über die Endnoten gelangt, wenn man nicht wie Nel rätseln und nach und nach lernen mag, was da gesagt wird.

Wenn sich im vierten Band Nachts Zündeln gelegentlich das Gefühl einschleicht, dieser oder jener Name einer Figur wäre aus einem anderen Zusammenhang bekannt, so ist das kein Zufall, sondern mit einem Augenzwinkern gewollt.

Mehr sei hier nicht verraten.

Geneigte Leserschaft, hier hältst du also die erste und einzige Krimiserie mit einer Transfrau als Hauptfigur in den Händen.

Ich wünsche gute Unterhaltung.

Ria Klug, Dezember 2021

Nel Arta 1

Kleine Betriebsstörung

Oktober 2006

»Du glaubst, du weißt immer alles besser.«

Sabrina beugte sich vor und stellte ihren prallen Busen auf den Tisch. Damit wollte sie ihren Worten Nachdruck verleihen.

Mit der großen Klappe und dem schrillen Getue drängelte sie sich immer in den Mittelpunkt.

Sie quoll fast aus ihren blümeligen Fetzen. Nicht nur mit dem rosa Lippenstift, den sie reichlich über ihre Schlauchbootlippen verteilte, war sie die Karikatur einer Frau.

Alles an ihr wirkte prall. Der Lockenkopf, das üppig bemalte Gesicht, die Fettpolster, die dicken Ringe an dicken Fingern, die Handgelenke mit den unzähligen Armreifen, der fette Hals eingewickelt in kilometerlange Halsketten.

Am prallsten war ihr Arsch, in den ich sie gerne getreten hätte.

Hey, ich konnte sie einfach nicht leiden. Seit ich sie mal auf einer Sexparty bei Pinkelspielen gesehen hatte, nannte ich sie insgeheim Latrina.

Mochte ja sein, dass sie recht hatte und ich eine verflixte Besserwisserin war, aber in diesem Fall hatte ich wirklich recht. Ich fand es unerträglich und falsch, dass Julie ihrer Krankenkasse in diesem jämmerlichen Ton schrieb. Sie sollte ihren Willen kundtun und aufhören so rumzukriechen, erst dann würden die sie ernst nehmen. Sie konnte doch verdammt noch mal verlangen, dass die sie nicht immer mit »Sehr geehrter Herr Tolksdorf …« anschrieben.

Julies Blick irrlichterte eingeschüchtert zwischen mir und Sabrina hin und her. Das war wieder typisch für TransForm, unsere Selbsthilfegruppe. Rat und Tat für Transgender.11

Oder Zank, Zwist und Doofheit für und von Transgendern, ganz wie es beliebt.

Jason zupfte mich am Ärmel.

»Dann schreibts halt so, wie ihr denkt, wenn ihr euch mit dem Gejammere besser fühlt«, sagte ich.

Sabrina verdrehte die Augen und schnaufte. Wenigstens hielt sie jetzt die Klappe.

»Lass die mal machen«, sagte Jason und gurgelte den Rest aus seiner Bierflasche. Er schloss einen dezenten Rülpser an und lehnte sich zurück, weil er etwas aus seiner Hosentasche ziehen wollte. Nicht so leicht, bei seinem Wanst. Er förderte einen verknüllten Wisch hervor und faltete ihn sorgfältig auseinander.

»Das hat Cristina heute Abend gemailt«, sagte er und rieb sich die stoppelige untere Gesichthälfte, dabei starrte er versonnen auf das Papier.

»Ja, was denn? Wie siehts aus? Komm ich auch ran? Gib doch mal her.«

Jason verzog den Mund. »Ich weiß nicht, ob ich dir das wirklich geben soll. Du bist auf einmal so scharf auf dieses Geschnippel. Ich frage mich wirklich, ob du dir das gut überlegt hast.«

»Los, gib her, Blödmann. Ich weiß was ich tue.«

Ich beugte mich zu ihm hinüber und wollte ihm den Zettel wegnehmen. Er hielt ihn blitzschnell weit entfernt von mir. Obwohl ich mich ganz lang machte, fiel ich nur auf ihn drauf. Jason umfasste mich mit dem anderen Arm, rückte mich zurecht und drückte mir einen Kuss auf die Stirn.

»Ich mache mir halt Sorgen um dich«, sagte er, während er mich losließ und mir den Zettel überreichte. »Du hast so ein Talent Unheil anzuziehen wie Kacke die Fliegen.«

Ich gab keine Antwort, denn Cristinas Mail hatte mich in ihren Bann gezogen.

Ihr putziges Deutsch war schwer zu verstehen, aber ich entdeckte sofort, was ich wissen wollte. Am neunten November konnte ich drankommen. Einen Tag nach ihr.

Mir wurde ein bisschen flau. Wie immer, wenn es ernst zu werden drohte.

Ich blickte zu den anderen rüber, die sich um Sabrina und Julie klumpten und die Köpfe zusammensteckten. Ein richtiger Haarauflauf, in allen Schattierungen. Einiges davon Horn, anderes Kunststoff. Von denen hatten das schon einige hinter sich und hockten trotzdem hier, um ihre Weisheiten zum Besten zu geben. Wieder mal fühlte ich mich fremd und fragte mich, ob die OP daran etwas ändern könnte.

Von Ärzten und Krankenhäusern bekam ich Panik. Mein ganzes Geld würde für die Aktion draufgehen. Vielleicht machten die mich dafür zum Krüppel. Ein Sozialfall war ich schon.

»Angst?« fragte Jason.

»Nö«, sagte ich, »oder vielleicht ein bisschen. Was willst du eigentlich? Du hast dir auch die Möpse absäbeln und die Quarktasche leermachen lassen.«

»Aber hier und nicht sonstwo. Casa da Beleza heißt der Laden. Ich habs nachgeschlagen. Das heißt Haus der Schönheit. Klingt nach Seifenoper«, sagte Jason.

Amanda-Chantal und Ronja kamen zu uns rüber. Sie schienen mit ihrem Getratsche und Geschmiere fertig zu sein, aber die Neugier lebte noch.

»Am Siebten flieg ich nach Brasilien und lass mich operieren«, sagte ich, als ich merkte, dass sie sich nicht abwimmeln ließen.

»Oktober?«, fragte Ronja.

Gott, die war ja fast so bescheuert wie Sabrinalatrina. Sah so aus, als fing auch bei ihr das Transen an, indem das Hirn auf die Hälfte eingedampft und mit rosa Watte aufgefüllt würde. Damit nicht so viel Gewicht auf die Stilettos drückte. Ich hatte mich sowieso schon gefragt, warum eine mit so einer Möbelpackerfigur sich so einen Mädchennamen aussuchte.

»Das war vor zwei Wochen, Herzchen, liest du denn wirklich nie Zeitung?« Ich seufzte.

 

»Ist das nicht gefährlich?« Amanda-Chantal kräuselte die Oberlippe, soweit es die Lippenstiftbeschichtung zuließ. Ihr gab ich auch noch einen mit.

»Zeitung lesen?«

»Nein, die OP22 in Brasilien natürlich.«

»Für euch ist doch alles gefährlich, was nicht mit Schminken und Klamotten zu tun hat.«

Amanda-Chantal wirkte eher besorgt als sauer. »Warum bist du in letzter Zeit so aggressiv? Mit dir ist ja kaum noch zu reden.«

»Bestimmt vergisst Nel dauernd die Hormone.«

Das sagte Sabrina, die sich ein neues Betätigungsfeld suchte. Mir blieb an dem Abend einfach nichts erspart. Dann fingen sie alle an zu quasseln, jede wusste natürlich was.

»… hab ich neulich gelesen über so eine Klinik in … glaube Costa Rica oder wo … so ein Pfusch, aber ganz billig … Straßenräuber … im Flughafen das ganze Geld weg … Hygienestandards einfach schlechter …«

Ich schaltete ab, nur ein paar Fetzen nahm ich sozusagen vegetativ wahr.

Auf einmal würde es ganz still. Alle gafften mich an. Ich suchte nach dem Echo der Frage.

»Ist doch kein Geheimnis, oder? Ich möchte schon gerne mal wissen, was das kostet.«

Ronja hatte sich offenbar ganz gut erholt.

Ich sah mich um und fühlte mich zurAuskunft genötigt.

»Viertausendfünfhundert …«

»Etwa Euro? Oder das brasilianische, wie heißt das noch …?«

»Dollar, Schätzchen. Cash Kralle.«

Für einen Moment blieben die Mäuler offen stehen, ungläubige Mienen, rundum. Ich wollte gerne über was anderes reden. Natürlich keine Chance.

»Bist du sicher? Das gibts doch nicht, das ist doch viel zu billig. Selbst in Thailand zahlst du mindestens zehntausend Euro. Viertausendfünfhundert, da stimmt doch was nicht. Warum lässt du es nicht hier machen?«

»Meinst du ich habe Lust in der Charité aufm Klo zu vergammeln?«

»Du übertreibst. Nel, überleg doch mal, Viertausendfünfhundert, das kann doch nur Metzgerei sein. Du bist verrückt.«

Sabrina trug die geballten Bedenken vor. Dahinter schnatterten die anderen durcheinander.

»Das sind ja in Euro … was für ein Zimmer … wie lange … aber der Flug noch … aber in Thailand … hör mir auf mit Thailand … würd ich nie … die Kasse … hör bloß auf mit der Kasse.«

»Ich hab da neulich son Bericht im Fernsehen gesehen, wie die in Brasilien Leute entführen und Nieren oder so klauen, manchmal Kinder, die verschwinden …« Julie hing eindeutig zu viel vor der Glotze.

Ronja fiel ihr ins Wort. »Ja, das hab ich auch gesehen, gruselig, da machen ganz renommierte Ärzte und Kliniken mit.«

»Habt ihr turistas gesehen?«, fragte Amanda-Chantal. »Der lief doch neulich in der Brauerei. Da wird in Brasilien sone Gruppe Rucksacktouristen erst ausgeraubt, dann schnappt sie son Menschenhändler und sperrt sie ein, wie so Stalltiere. Der will die Organe verkaufen. Ey, das war voll eklig.«

Ich wollte das nicht ernst nehmen. Davon habe ich auch gelesen. Beim googeln nach Brasilien fand sich ja praktisch nichts anderes als Korruption und Gewaltverbrechen. Und uns gruselte es ja gerne, wenn wir etwas über fremde Länder hörten. Dann konnten wir uns in der Sessel kuscheln und denken, ach haben wirs in Deutschland gut. Aber turistas war doch nur ein scheißverdammter Film, oder?

Dass an den billigen Preis Bedingungen geknüpft waren, verriet ich nicht. Ich hatte keine Lust, darüber auch noch zu diskutieren.

Cristina hatte mir diese Gelegenheit vermittelt. Sie wollte sich auch dort operieren lassen. Wir würden uns ein Zimmer teilen. Die brasilianische Klinik bildete Ärzte in den gängigen OP–Methoden aus, weil sich ab zweitausendzehn transsexuelle Brasilianerinnen auf Kosten der Gesundheitsfürsorge operieren lassen könnten.

Natürlich erst nach dem ganzen Psychobrimborium, fast wie bei uns.

Die verbilligten OPs dienten als Lehrmaterial. Zuschauer würden dabei sein, dazu musste ich meine Einwilligung geben. Wenn ich genug Knete gehabt hätte, wäre mir das im Traum nicht eingefallen. Aber für umgerechnet achttausend Euro fing selbst ich an Kompromisse zu machen.

Eigentlich glaubte ich, die Mädels waren nur neidisch, weil ich eine Abkürzung nahm und dem sogenannten Transsexuellengesetz33 und der Krankenkasse eine Nase drehte. Das Geld dafür hatte ich noch von dem Anteil über, den mir meine Mama aus der Lebensversicherung meines Papas gegeben hatte. Wenn er geahnt hätte, was ich mit der Kohle machen würde, wäre er bestimmt am Leben geblieben, aus reinem Starrsinn.

Die Mädels übten sich immer noch im Rumunken, aber nur weil Jason ihnen den Gefallen tat und zuhörte. Da störte es nicht, dass ich den Wisch las, den Julie vom Medizinischen Dienst ihrer Krankenkasse bekommen hatte.

»Sehr geehrter Herr Tolksdorf … Sie haben beantragt, dass … Ihrem Wunsch können wir daher nicht entsprechen, solange die Gutachten …«

Vielleicht hätte ich Gutachterin werden sollen, dann hätte ich mich jedes Jahr zweimal operieren lassen können. Beim Begutachten würde das nicht stören, die Textbausteine lagen ja gemütlich auf dem Rechner. Ich müsste jedes Mal nur ein paar neue Namen und Daten eingeben. Solange die Hand die Maus bewegen konnte, würde das Geld niemals knapp werden.

Sabrinas Handy schmetterte die Ode an die Freude. Das passte wie Arsch auf Eimer. Gerettet, der Redeschwall versiegte.

Ich sah auf die Uhr. Wir konnten langsam nach Hause gehen, statt uns gegenseitig zu nerven.

Unser Treffpunkt war ein Nebenzimmer der Kultur- und Bildungsinitiative Kuhle Wampe. Insgesamt eine höchst linke Angelegenheit. Deren stinklangweilige Abendveranstaltung war vorbeit und wir konnten durch den Saal ins Freie.

Es standen noch mehrere Grüppchen herum, die sich noch nicht genug über die herrschenden Verhältnisse ausgekotzt hatten. Die sahen immer gleich aus: Kleine, dicke Frauen in Bequemschuhen, die Baskenmützen keck auf die burschikosen Frisuren geschoben, Männer mit Hängebäuchen in karierten Hemden und Bundfaltenjeans.

Klar, da gabs auch Jüngere dabei, die waren aber auf dem Weg genauso zu werden. Weltverbesserer eben.

Ein paar von denen hefteten ihre Stielaugen auf mich. Ich wackelte ein bisschen mit dem Arsch, dann drehte ich mich um.

»Maul zu, der Sabber läuft raus.«

Natürlich hatte das den gegenteiligen Effekt. Ich verkrümelte mich, bevor die Pfütze zu groß wurde.

Draußen holte mich Sabrina ein.

»Wenn die uns den Raum wegnehmen, bist du schuld. Das war doch jetzt völlig unnötig.«

»Ich habe einfach die Schnauze voll davon so bescheuert angestiert zu werden. Du kannst ja wieder reingehen und brav Pfötchen geben.«

Sabrina holte tief Luft, aber Julie zog sie am Ärmel.

»Ich habe noch mal überlegt, ob ich nicht lieber doch so schreiben …«

Ich hakte mich schnell bei Jason ein. Wir schlenderten ein paar Schritte die Kopenhagener entlang, natürlich immer mit Hundescheißesonar auf voller Leistung. Die Stadt sparte am Licht.

Jason stoppte. Ich blendete noch mal voll auf, ob ich was übersehen hatte. »Na, war bei dir mal wieder Rotverschiebung angesagt?«, fragte er. So bezeichnete Jason meine unkontrollierten Wutanfälle, es war ein Begriff aus der Astronomie. Rotverschiebung oder Redshift, bei mir blitzartiges Anschwellen von negativer Schwingung.

»Was soll ich machen? Die nerven alle ohne Ende.«

»Kommst du mit ins Kings&Queens? Wird gut für deine Laune sein. Ich bin verabredet. Nick hat gesagt, ich soll dich mitbringen«, erwiderte er.

Das war eine heftige Versuchung für mich. Dann spürte ich aber, dass ich nicht die Kraft aufbrachte, ihr nachzugeben.

»Ach Jason, du weißt doch wies läuft. Ich saufe Schampus bis ich rausgekehrt werde und versuche in jeden Ausschnitt zu krabbeln, der mir zu nahe kommt. Für die OP muss ich mein Sparschwein killen. Ich gehe besser nach Hause und suche nochmal nach billigen Flügen.«

Das war fast schon ein Zipfelchen Weisheit.

Jason schnallte es nicht. »Wenigstens passt Cristina auf dich auf. Wenn ich dich schon nicht davon abbringen kann.«

Manchmal ist er ne echte Nervensäge.

2

Ich schluckte und schluckte. Der Druck ließ nicht nach. Langsam musste die Kiste doch endlich oben sein. Soviel geschluckt hatte ich seit dem Folsom Europe44 im September nicht mehr. Da gings mir aber bedeutend besser.

Fliegen fand ich schon immer ätzend. Erstens machte ich mir ins Höschen vor Angst und zweitens hatte ich kein Sitzfleisch. Ich musste stets mit dem Leben vorläufig abgeschlossen haben, sonst hielt ich sicher nicht durch.

Es gab Seminare von den Fluggesellschaften zur Bekämpfung der Flugangst. Aber da war doch was faul, wenn Firmen extra Aufwand trieben, damit ihr Krempel verdaulich wurde.

Elf Stunden Rumhocken und Grübeln, das war Vorhölle. Mit Umsteigen in Amsterdam summierte es sich sogar auf fünfzehn Stunden. Zum Glück hatte die Passkontrolle keine Zicken gemacht, konnte sein, die gewöhnten sich langsam an Trans.

Zu Hause hatte ich alles geregelt. Jason versprach das Backoffice zu machen. Ab Ankunft in Sorocaba jeden Tag Mailkontakt zwischen halb sechs und sechs, es sei denn eine meldete sich ab. Direkt nach der OP konnte ich vom Mailen sicher nur träumen.

Jason dachte auch daran, dass halb sechs in Sorocaba im Winter halb neun in Berlin ist. Auf ihn konnte ich mich eigentlich immer verlassen. Er war Handelsklasse A. Wenn ich hetero gewesen wäre. Und Jason nicht schwul.

Er hatte Cristina geheiratet und ihr den Aufenthalt legalisiert, damit sie zurückkommen konnte nach ihrem Besuch in der alten Heimat.

Die Hochzeit war mein persönlicher Höhepunkt des Sommers gewesen. Die Tante vom Standesamt verhaspelte sich dauernd.

»Und Sie Herr äh Fenner … äh FrauähHerr Ribeiro …«

Sie wusste auch nicht, welche wem den Ring anstecken sollte.

Mir tat die Seite weh vor unterdrücktem Lachen. Ich sah schon die MoPo-Schlagzeile vor mir.

VERKEHRTE WELT! TRANSVESTITEN BEI DER TRAUUNG!

So weit ist es schon gekommen: Jose Luis Ribeiro, 28, Transvestit aus Brasilien, der sich Cristina nennt und Jana Fenner, 31, Mannweib aus Schwerin, das sich Jason nennt, gaben sich auf dem Standesamt F'hain–Kreuzberg das Jawort.

So etwas habe ich noch nicht erlebt, sagte die Standesbeamtin Frauke B., 43 …

Mein Sitznachbar kickte mich ständig mit Ellenbogen und Schulter an. Er war der breitbeinige Teil eines Heteroehepaars neben mir. Ich fragte mich, ob er Anschluss suchte oder nur um die Armlehne kämpfen wollte. Beim Einsteigen hatten sie mich neugierig gemustert. Jedes Mal, wenn ich nach rechts blickte, ertappte ich sie, wie sie mich beobachteten.

Sie waren im sogenannten besten Alter. Ihn hinderte das nicht am Zappen nach Cartoons.

Ab und zu rempelte mich die Flugbegleiterin mit dem Serviercontainer an. Während ich ihre bestrumpften Waden anhimmelte, vergaß ich für Momente wo ich war. Ich hatte Lust ihr ein Bein zu stellen. Vielleicht hätte ich unter ihren Rock linsen können, wenn sie strauchelte.

Sie musste es gespürt haben, denn als sie wieder vorbei kam, platzierte sie den Container so, dass ich höchstens gegen das Blech treten konnte. Sie fragte, was ich zum Essen trinken wollte. Dabei kräuselte sie die Nasenflügel. Ein schmales Gesicht mit breitem Mund und vollen Lippen, fast schon ein wenig herb.

Ich orderte einen Rotwein und ein Mineralwasser. Beides wurde in einer Art Zahnputzbecher serviert. Der Fingerkontakt klappte nicht.

Zum Abräumen kam schließlich eine andere.

Mein Nachbar zappte immer noch. Bugs Bunny schob sich eine Riesenmöhre rein.

»Darf ich Sie mal was fragen?«

Ich zuckte zusammen. Mein Nachbar trank Bier, das verlieh ihm offenbar Mut.

»Nein.«

Es half nicht. Seine Frau lachte und sagte: »Na Udo, hast du kein Glück?«

Er lachte ebenfalls und setzte nach. »Meine Frau und ich, also wir haben uns gefragt … Also ich bin der Udo und das ist Gerlinde, meine Frau. Wir sind aus Köln.«

Ich merkte schon, dass er nicht locker lassen würde.

»Wenns sein muss, fragen Sie schon.«

»Ach, eigentlich nur … ob Sie schon mal im Fernsehen waren. Gerlinde meint, sie hätte Sie schon mal …«

»Nein.«

Da griff Gerlinde ein. Sie streckte ihre Hand aus.

»Wie war noch mal ihr Name?«

 

»Nel.« Die Hand übersah ich einfach.

»Aha. Angenehm. Als wir eingestiegen sind, sagt mein Mann, willst du dich neben die Frau setzen? Und ich sag zu Udo, das ist doch ein Mann. Und dann haben wir gewettet. Ich hab doch Recht nicht wahr? Mein Mann guckt nicht so genau hin.«

Eigentlich hatte ich nur Angst vor Abstürzen oder Bomben gehabt. Doch es gab andere Arten von Terrorismus.

»Wahrscheinlich hat ihr Mann auf meinen Busen gestiert.«

Damit beeindruckte ich Gerlinde nicht.

»Ja, das macht der dauernd. Ich sag immer, Udo, das gehört sich nicht, aber er ist halt ein Mann. Der kann nicht anders. Aber er meints nicht böse. Nicht wahr, Udo?«

Udo trank einen großen Schluck. »Siehst du? Ich hab Recht«, sagte er dann zu seiner Frau.

»Aber Ihre Stimme«, sagte Gerlinde zu mir, »und Ihre Hände. Und wenn ich die Augen zumache und Sie reden …«

»Genau«, meinte Udo, »wie Lilo Wanders. Die kennen Sie doch, die von Wa(h)re Liebe.«55

Da wollten sie also hin. Womit hatte ich das verdient?

»Uns stört das ja gar nicht«, sagte Udo.

»Wir fahren ja öfter mal nach Thailand«, sagte Gerlinde, »da haben wir mal eine Show gesehen. Zuerst wussten wir nicht, das das Transvestiten sind. Erst als die sich ausgezogen haben. Naja, und natürlich die Stimmen.«

»Und die sind ganz nah rangekommen und haben uns alles gezeigt«, sagte Udo, »und dann haben sie sich gegenseitig …«

Aus Bugs Bunny hing inzwischen nur noch der grüne Püschel raus.

»Na, das hätte ich nicht unbedingt sehen müssen«, sagte Gerlinde, »aber wir sind ja aus Köln und da ist jedes Jahr die Parade und da gehen wir gerne hin, nicht wahr, Udo?«

»Ja«, sagte Udo, »soll jeder machen wie er will.«

»Ja«, fiel Gerlinde ein, »und da kann ich richtig neidisch werden, wie sich manche zurecht machen können. Zum Beispiel Mary und Gordy, also so was. Sie machen das gar nicht, oder?«

»Nein.«

»Aber dann würde sich niemand fragen, was Sie sind. Für ihre Eltern war dat sicher schwer?«

Einmal jammerte mir meine Mama vor »Wenn ich das gewusst hätt, dann hätt ich das doch nich zugelassen, du zu Fasching als Rotkäppchen. Aber ich konnts ja nicht wissen und der Vati hat sich nich drum gekümmert und das hab ich jetzt davon.«

Musste mich diese blöde Kuh daran erinnern? Leider war sie mit dem Ausgießen von Mitgefühl noch nicht fertig.

»Unsere Kinder, die sind ja schon groß, aber alle ganz normal. Aber wenn ich mir vorstelle …, das wär schon schwer.«

»Sind nicht alle so frei wie wir. Was sagen denn ihre Eltern dazu?«, fragte Udo.

Vor dem Abflug hatte ich meine Mutter angerufen. Das tat ich nur selten, denn vorher musste ich viel Kraft sammeln. Es kribbelte mich schon, wenn Mama in diesem Jammerton »Artmann« in den Hörer knödelte, gerade so, als erwartete sie, dass irgendein Nachbar ihr Vorhaltungen machen wollte, weil ihr Junge eine Tunte war.

Jedenfalls damals war es so, dass sie mir immer das Gefühl gab, ich tue ihr etwas an. Dass ich nach Brasilien gehen würde wegen der OP, kommentierte sie mit »Bin ich froh, dass Vati das nicht mehr erleben muss.«

»Die frage ich nicht danach …«

Gerlinde kroch fast über Udo drüber und senkte die Stimme.

»Mütter machen sich schon Gedanken, ob die Kinder glücklich sind. Ist für Sie bestimmt nicht einfach einen Freund zu finden, nicht wahr?«

»Ich bin Lesbe.«

Beide rissen die Augen auf. Udo fingt sich zuerst wieder. Er zwinkerte mir zu.

»Ich auch.«

»Udo, lass doch mal die dummen Witze«, sagte Gerlinde, »du machst ihn doch ganz verlegen.« Sie robbte noch näher an mich ran. »Das ist doch bestimmt nicht einfach, so mit dem Körper. Und Kinder können Sie ja auch nie kriegen. Sind Sie denn noch … Ich meine, haben Sie schon …, ist da schon alles weg?«

»Der Verstand ist noch da.«

Der Rest auch. Vielleicht sollte ich es lassen, dachte ich. Vor solchen Situationen würde mich die OP nicht schützen.

Aber war ist wie eine hässliche Warze im Dekolleté, tat nicht weh und verbarg sich unterm Pullover. Aber wenn ich eine abgeschleppt hatte und wir uns auszogen, dann wurde sie mir wieder bewusst und ich schämte mich, fühle mich ungepflegt und dachte, die musste da doch dauernd draufstarren.

Noch schlimmer war, dass sich manche Lesben regelrecht vor dem Gemächt fürchteten, da half auch alles umdeuten nicht. Eine beschissene Ausgangslage, wenn man auf der Suche nach Sex und Liebe war und dafür eigentlich nur Lesben in Frage kamen. Dazu waberten dann stets die Grundsatzfragen ob hetero, schwul, lesbisch oder sonstwas durch die Hirne.

»Wollen Sie auch eins?«, fragte Udo. Gerlinde wedelte die Flugbegleiterin herbei und bestellte Bier. Dadurch ließen sie vorerst von mir ab. Aber zu spät.

Ich musste an Sabrinas Frage denken, warum ich wegen der OP nach Brasilien fliegen wollte. Das könnte ich auch in Deutschland haben. Das stimmte schon, es würde auch nichts kosten, aber dafür musste es bei der Krankenkasse beantragt werden. Die wollte dafür Gutachten sehen, welche bestätigten, dass dieser Wunsch nicht wegtherapiert werden konnte. Die Gutachter waren Psychologen und die wollten einen Praxistest haben. Dafür hätte ich so rumlaufen und mit Fistelstimme Unsinn reden müssen wie Sabrina.

Einen Transweglebenslauf wollten die sehen. Mit dusseligen Fragen wollten die prüfen, ob mir das Frausein überhaupt zustünde und ob ich das richtig könnte. Aber nicht mit mir, auf so was hättte ich kotzen können.

Ehrlich, ich hatte es probiert. Ich hätte vielleicht den Gutachter nicht fragen sollen, wie er an sein Diplom gekommen war, das an der Wand hing. Aber ich wusste doch genau wie leicht es war, sich irgendeinen Wisch zu besorgen. Da brauchte er nur Beziehungen zu haben und schwupps, hatte er ein Diplom und ne Couch und bohrte sich in der Nase, wenn eine da lag und ihm was vorheulte.

Auf den Transweglebenslauf hätte er sich anschließend noch einen runtergeholt. Die sollten sich den Finger ins eigene Arschloch stecken, das war meine Haltung dazu.

Der Heini hatte mich rausgeschmissen und bei der Kasse verpetzt. Bei meiner Sachbearbeiterin musste ich dann antichambrieren. Die hatte mir klipp und klar gesagt, dass ich vor Allem nen Irrenarzt brauchte und keine OP, zumindest solange sie den Fall bearbeiten würde und sie sei ja noch jung und habe nicht vor den Job zu wechseln.

Garantiert hatte die am meisten gestört, dass ich keine Schleimspur auf ihrem Teppich hinterlassen hatte.

Udo und Gerlinde diskutierten über die Qualität des Bieres im Vergleich zu Kölsch. Diese Gelegenheit nutzte ich. Außerdem hatte ich die schnuckelige Stewardess länger nicht mehr gesehen.

Ich entdeckte sie in der Bordküche. Mit müden Augen räumte sie an einem Container mit Softdrinks zur Selbstbedienung. Ich mixte mir was zurecht. Dabei ließ ich mir viel Zeit und beobachtete sie aus den Augenwinkeln.

Danach trank langsam, bis sich ein anderer Passagier näherte. Es war weder genug Platz, noch mochte ich Publikum bei meinen Bemühungen.

Fraglich, ob ich mich getraut hätte. Hinterher dachte ich meistens, ich hätte es getan, wenn noch Gelegenheit gewesen wäre.

Auf dem Sitz wickelte ich mich in den Lappen, der dort als Kuscheldecke bereit lag.

»Schon schlafen?«, fragte Udo. Er verbreitete eine Bierfahne.

»Ja, wenns geht.«

»Machen Sie denn auch mit bei der Parade? Aber Sie sind nicht aus Köln, was?«

»Udo, lass ihn mal in Ruhe. Du siehst doch, dass er schlafen will.« Zu mir sagte Gerlinde: »Mein Mann ist manchmal schrecklich.«

Ich drehte mich weg. Zum Kotzen, alle wollten nur helfen. Als ob das helfen würde. Außerdem wehte auch ihre Fahne. Bier im Flugzeug, einfach ekelhaft.

Das Nervpotenzial meiner Mutter war auch nicht kleiner.

Ich lud sie nicht zu mir nach Berlin ein. Sie würde den ganzen Tag in der Kittelschürze mit einem Wischlappen rumhampeln und auf mich einreden.

»Corni, bei dir muss aber mal sauber gemacht werden. Du hast ja gar keinen Kleiderschrank, ach, wenn die ganzen Sachen so offen hängen, das staubt doch so ein. Na, ich wasch dir das mal. Ich hab doch noch den Kleiderschrank von Onkel Fritz und Tante Elfi. Der ist noch wie neu. Den kannste doch haben. Ich frag mal den Henner Albrecht, der fährt doch Spedition bei Wilkens, der kann dir den bestimmt mal mitbringen. Ich bezahl das auch, du hast ja kein Geld. Musst dann nur mal helfen hochtragen.«