VARIATIONslinguistik trifft TEXTlinguistik

Text
Read preview
Mark as finished
How to read the book after purchase
VARIATIONslinguistik trifft TEXTlinguistik
Font:Smaller АаLarger Aa

VARIATIONslinguistik trifft TEXTlinguistik

Kirsten Adamzik / Mateusz Maselko

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

[bad img format]

© 2019 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

www.narr.de • info@narr.de

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ePub-ISBN 978-3-8233-0092-2

Inhalt

 Kirsten Adamzik / Mateusz ...VorwortBericht zur Tagung Variationslinguistik trifft Textlinguistik (Ascona 2017)

 I Theoretische Perspektiven auf Variation(sforschung)Derselbe Text, aber anders1 Einleitung2 Variations- und Textlinguistik vs. Systemlinguistik?3 Die Notwendigkeit von Abstraktionen4 Virtuelle Einheiten auf der Textebene5 FazitLiteraturverzeichnisTextsortenspezifische sprachliche Variation ermitteln1 Einleitung2 Die Musterhaftigkeit von Textsorten korpuslinguistisch ermitteln3 Bezüge zur Textlinguistik4 Bezüge zur Stilistik5 Induktiv korpuslinguistisch ermittelte Muster als Grundlage der Text- und Stilanalyse6 ZusammenfassungLiteraturverzeichnis

 II Regionale VariationSüdmittelbairische Verbalflexion in alltagssprachlicher Verwendung im Stadt-Land-Vergleich1 Einleitung2 Der urbane Raum als Sprachlandschaft3 Untersuchungsgebiet und Korpus4 Ergebnisse – Konjunktiv II-Bildung5 Fazit6 ZusammenfassungLiteraturverzeichnisUnternehmenssprache: regional – national – global?1 Einleitung2 Unternehmenssprache3 Die Lufthansa Group und ihr (Sprach-)Konzept4 Austrian Airlines5 ConclusioQuellenverzeichnisLiteraturverzeichnis

 III Variation in Internet-AuftrittenDi Alemannischi Wikipedia – Di frei Enzyklopedi, wo alli chöi mitschaffe1 Einleitung2 Sprachliche Vielfalt und Variation im Social Web3 Datenstruktur, Textsortenüberlegungen und Korpuserstellung4 Theoretischer Rahmen: Kohärenz in Hypertexten5 Empirische Analyse6 Diskussion und FazitLiteraturverzeichnisBehördensprache im E-Government1 Einleitung2 E-Government3 Das E-Government in der Schweiz4 Die Verwaltungskommunikation in der Schweiz5 Fallstudie: Die Einbürgerung in der Schweiz6 FazitLiteraturverzeichnis

 IV Historische Variation in institutionellen KontextenZur Beschreibung und Analyse historischer Textsorten am Beispiel des Kommunikationsbereichs Medizin1 Einleitung2 Bisherige Ansätze3 Das Modell4 Schluss5 LiteraturverzeichnisSystemgebundene Rolleninszenierungen der Lehrenden des Höheren Schulwesens anhand der Textsorte ‚Schulprogramm‘1 Ausgangspunkt2 Zum beruflichen Selbstbild bzw. Rollenverständnis der Lehrenden im 19. Jahrhundert3 Theoretisch-methodische Grundlagen und Charakterisierung des vorliegenden Korpus4 Auswertung4.1.4 Inhaltsanalyse der wissenschaftssystemischen Abhandlungen5 SchlussbemerkungenLiteraturverzeichnis

 V Variation bei einzelnen sprachlichen KategorienZur Indexikalisierung der Rektionsvarianten bei Präpositionen1 Einleitung2 Variierende Kasusrektion bei Präpositionen im Deutschen3 Onlinebefragung zur Indexikalisierung der Rektionsvarianten4 Resümee und AusblickLiteraturverzeichnisLinguistische Grundlagen einer textsortenbasierten Grammatikdidaktik am Beispiel der Adverbialien1 Textsortenbasierte Grammatikdidaktik: Anmerkungen zum linguistischen und didaktischen Hintergrund2 Methodik3 Didaktisches Potenzial einer textsortenbasierten Betrachtung der Adverbialien4 Fazit und AusblickLiteraturverzeichnisAutorInnen der BeiträgeAbstracts und KeywordsDerselbe Text, aber andersBehördensprache im E-GovernmentSüdmittelbairische Verbalflexion in alltagssprachlicher Verwendung im Stadt-Land-VergleichTextsortenspezifische sprachliche Variation ermittelnDi Alemannischi Wikipedia – Di frei Enzyklopedi, wo alli chöi mitschaffeLinguistische Grundlagen einer textsortenbasierten Grammatikdidaktik am Beispiel der AdverbialienZur Beschreibung und Analyse historischer Textsorten am Beispiel des Kommunikationsbereichs MedizinSystemgebundene Rolleninszenierungen der Lehrenden des Höheren Schulwesens anhand der Textsorte ‚Schulprogramm‘Unternehmenssprache: regional – national – global?Zur Indexikalisierung der Rektionsvarianten bei Präpositionen

Vorwort

Kirsten Adamzik / Mateusz Maselko

Die Beiträge dieses Bandes sind im Zusammenhang einer Tagung für den wissenschaftlichen Nachwuchs entstanden (s. dazu den Tagungsbericht von S. M. Moog in diesem Band). Der Schwerpunkt liegt auf dem unweigerlich heterogenen Charakter natürlicher Sprache(n), und zwar aus den Perspektiven der Variations- und Textlinguistik. Es geht also um Textvariation bzw. Variation in und von Texten: Einbezogen werden einerseits das ganze Spektrum sprachlicher Realisierungs- und Umsetzungsmöglichkeiten, andererseits die verschiedensten sozio-kulturellen, pragmatisch-funktionalen und medialen Bedingungen der Textproduktion und -verwendung. Dies entspricht der Entwicklung der beiden Forschungsrichtungen, die sich seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Subdisziplinen der angewandten Linguistik etabliert, ihre Fragestellungen und Ausrichtungen im Laufe der Zeit aber nicht unerheblich weiterentwickelt und verändert haben.

Sowohl die Variations- als auch Textlinguistik sind als interdisziplinär ausgerichtete, weltweit betriebene Wissenschaftszweige zu betrachten, die programmatisch einerseits Anregungen der linguistischen Subdisziplinen (wie etwa Medienlinguistik, Korpuslinguistik, Politolinguistik, Fachsprachforschung) und Nachbardisziplinen (wie etwa Soziologie, Psychologie, Geographie, Kommunikationswissenschaft, Theologie, Literaturwissenschaft) aufgreifen und andererseits selbst befruchtend auf diese einwirken. Daher werden sie oft als sog. Bindestrich-Disziplinen wahrgenommen. Festzuhalten ist jedoch, dass sie zwar eng mit anderen Wissenschaftszweigen zusammenarbeiten bzw. großteils den gleichen Gegenstandsbereich behandeln, sich aber Fragestellungen widmen, die jeweils eine spezielle sprachwissenschaftliche Ausrichtung implizieren.

Neuere Entwicklungen innerhalb der Textlinguistik stellen sich häufig in den Kontext des sog. cultural turn. Diese kulturwissenschaftliche Orientierung impliziert meist einen handlungstheoretischen Ansatz (im Sinne der sog. pragmatischen Wende), hebt aber inzwischen die Bedeutung anderer Medien/Modalitäten als der Sprache hervor, insbes. von Layout und Typografie, sprich Textdesign, Bild, Film (iconic turn) sowie Materialität von Texten (material turn). Dies betrifft auch die konkrete Lokalisierung von Texten (spatial turn), was einen Berührungspunkt zur Variationslinguistik konstituiert. Zugleich drohen dabei die sog. sprachinternen Merkmale ganz in den Hintergrund zu geraten bzw. auf textgrammatische Elementaria (Pronomina und Konnektoren) reduziert zu werden. Ferner besteht die deutliche Tendenz, mündlichen Sprachgebrauch (wieder) auszuklammern. Schließlich wird der Geprägtheit makrostruktureller Muster (Textsorten, Gattungen) durch Kulturen/Sprachen und damit auch der Normorientiertheit ein besonderes Gewicht beigemessen – mit dem Ergebnis, die intrakulturelle/-linguale Heterogenität zu vernachlässigen.

Diese bildet nun gerade den Hauptgenstand der Variationslinguistik, wobei selbstverständlich mikrostrukturelle Phänomene im Vordergrund stehen. Lag der Fokus zunächst auf der lautlichen (phonetisch-phonologischen) Ebene, so richtet sich das Interesse längst auch auf höhere Ebenen, insbes. Morphologie und Syntax. Die Textebene in Gestalt von komplexeren Sprachformen wird allerdings noch immer nur wenig berücksichtigt. Dass man heute von Variationslinguistik als einer Subdisziplin sprechen kann, erklärt sich daraus, dass hier diverse Spezialdisziplinen gewissermaßen zusammengewachsen sind, v. a. die auf areale Variation bezogene Dialektologie mit einer sehr alten Tradition und die seit den 1960er Jahren entstandene Soziolinguistik, die sich zunächst schichtenspezifischem Sprachgebrauch, dann allgemeiner Substandardvarietäten zuwandte. Eine weitere Quelle stellen die ebenfalls seit den 1960er Jahren entwickelten Ansätze zur Untersuchung gesprochener (Standard-)Sprache dar. In der neueren Variationslinguistik geht es um die Variation in allen ihren Dimensionen, d. h. unter Einbeziehung des gesamten Varietätenspektrums, von kleinräumigen Dialekten über (regionale) Substandards bis hin zu ‚(supra-)nationalen‘ Standardvarietäten, wobei selbstverständlich auch Faktoren wie Alter, Geschlecht, Mobilität, politische Orientierung usw. systematisch Berücksichtigung finden.

Im Vordergrund der Variationslinguistik steht mündlicher Sprachgebrauch, während die Textlinguistik sich inzwischen wieder auf Schrifttexte konzentriert. Einen ‚natürlichen Treffpunkt‘ stellt die informelle Schriftlichkeit im Internet dar. Dieses Phänomen zieht derzeit so viel Forschungsenergie auf sich, dass bereits eine neue Subdisziplin, die Internetlinguistik, ausgerufen wurde, ebenso wie das spezielle Interesse an der Visualität sich in einer Bildlinguistik manifestieren soll. Gegenüber dieser Tendenz der Vermehrung von Subdisziplinen und einer damit notwendigerweise einhergehenden Überspezialisierung hatte die Tagung zum Ziel, Gemeinsamkeiten der Ansätze in den Vordergrund zu stellen und den gegenseitigen Austausch zu intensivieren.

 

Beide Disziplinen erfassen verschiedene Aspekte sprachlicher Vielfalt, für die mit spezifischen Schwerpunkten, Methoden und Zielsetzungen Korrelationen und Erklärungen gesucht werden. In der jüngeren Forschung lassen sich mehrere Schnittstellen zwischen beiden Bereichen finden. Dazu gehören die Fokussierung auf den tatsächlichen je nach Ort, Situation, Intention, Medium usw. variierenden Sprachgebrauch (auch aus sprachgeschichtlicher Sicht), die Erstellung und Auswertung von Korpora, situativ-funktionale und stilistisch-kontextuelle Fragestellungen, die Gegenüberstellung von Soll- und Ist-Normen sowie der Bezug auf die Prototypentheorie. Anwendungsbezüge sind vielfältig und betreffen Übersetzung(swissenschaft) inkl. innersprachlicher Adressatenorientierung (Fachsprachen und Popularisierung) und Textoptimierung, Sprachtechnologie, mutter- und fremdsprachlichen Unterricht, Sprachkultivierung usw.

Das Konzept der Tagung, zwei Forschungsrichtungen zusammenzubringen, die oft wenig Kenntnis voneinander nehmen, hat sich durchgängig bewährt, zumal es der Überwindung von Einseitigkeiten entgegenkommt, die, wie eingangs angedeutet, auch innerhalb der beiden Bereiche mitunter als solche erkannt wurden: Dazu gehört die scharfe Entgegenstellung von erstens quantitativem und qualitativem Ansatz sowie zweitens von Kommunikationsbereichen und -formen. Die verschiedenen Zugänge auf Variation(sforschung), die sich letzten Endes ohnehin nur analytisch klar unterscheiden lassen, sind im vorliegenden Band nach den jeweiligen Schwerpunkten geordnet.

Im ersten Block geht es um Theoretische Perspektiven (K. Adamzik, S. Brommer), wobei auch disziplingeschichtliche Aspekte und die Korpuslinguistik zur Sprache kommen. Die empirischen Beiträge setzen im Prinzip bei der Variationsdimension mit der längsten Forschungstradition an: Regionale Variation (N. Bercko, M. Maselko). Gleichwohl behandeln die Aufsätze Themenfelder, die nicht gerade zum Kerngebiet der (traditionellen) Dialektologie gehören, sondern sich der (modernen) (interdisziplinären) Regionalsprachenforschung zuordnen. Zugleich kommt hier neben der mündlichen Interaktion schon die (betriebliche) Internetkommunikation in den Blick, der der dritte Teil, Variation in Internet-Auftritten, gewidmet ist (E. Gredel, A. Alghisi). Der erste Beitrag dieses Themenbereichs weist auf die substandardliche Dimension zurück, während der zweite überleitet zu institutionellen Kontexten, die im Vordergrund der nächsten Sektion stehen. Hier kommt auch die diachrone Perspektive ins Spiel: Historische Variation in institutionellen Kontexten (B. Lindner, F. Markewitz). Dies führt wiederum auf theoretische Fragestellungen zurück. Der abschließende Block befasst sich mit sprachlichen Phänomenen im grammatischen Bereich: Variation bei einzelnen sprachlichen Kategorien (A. Vieregge, D. M. Helsper). Die beiden Beiträge erweitern das thematische Spektrum nochmals, und zwar um aktuellen Sprachwandel und Normativität sowie didaktische Potenzen der Variationsforschung.

Es hat sich ergeben, dass in diesem Band (anders als auf der Tagung) ausschließlich der deutsche Sprachraum thematisiert wird. Bei der Folgeveranstaltung VARIATIONist Linguistics meets CONTACT Linguistics (20.–23. Mai 2018) trafen Forscherinnen und Forscher sowie Forschungsprojekte zu unterschiedlichsten Sprach(varietät)en zusammen. Hierzu ist ein thematischer Band geplant, der 2019 erscheinen soll (hg. von M. Maselko und A. N. Lenz).

Sowohl Vorschläge für Präsentationen als auch die diese erweiternden Aufsätze unterlagen einem double-blind review und wurden jeweils von zwei einschlägigen Expertinnen und Experten begutachtet. Dem wissenschaftlichen Komitee gehörten außer den Veranstaltenden die folgenden Personen an:

 Noah Bubenhofer (Universität Zürich, Schweiz)

 Helen Christen (Universität Freiburg, Schweiz)

 Christian Efing (Bergische Universität Wuppertal, Deutschland)

 Nicole Eller-Wildfeuer (Universität Regensburg, Deutschland)

 Daniel Elmiger (Université de Genève, Schweiz)

 Stephan Elspaß (Universität Salzburg, Österreich)

 Jan Engberg (Aarhus Universitet, Dänemark)

 Ingeborg Geyer (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Österreich)

 Manfred Glauninger (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Österreich)

 Eric Haeberli (Université de Genève, Schweiz)

 Stefan Hauser (Pädagogische Hochschule Zug, Schweiz)

 Michail L. Kotin (Uniwersytet Zielonogórski, Polen)

 Alexandra N. Lenz (Universität Wien, Österreich)

 Martin Luginbühl (Universität Basel, Schweiz)

 Stefan Michael Newerkla (Universität Wien, Österreich)

 Damaris Nübling (Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Deutschland)

 Gertjan Postma (Meertens Instituut, Niederlande)

 Stefaniya Ptashnyk (Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Deutschland)

 Christoph Purschke (Université du Luxembourg, Luxemburg)

 Regula Schmidlin (Universität Freiburg, Schweiz)

 Elena Smirnova (Université de Neuchâtel, Schweiz)

 Alfred Wildfeuer (Universität Augsburg, Deutschland)

Wir danken den Kolleginnen und Kollegen herzlichst für ihre wertvolle Mitarbeit und die hilfreichen Anregungen, die in die Bearbeitungen der publizierten Beiträge eingeflossen sind, und den Begutachteten dafür, die Änderungs­wünsche auch tatsächlich berücksichtigt bzw. generell an diesem Sammelband mitgewirkt zu haben. Selbstverständlich geht unser Dank auch an alle Vortragenden, die nicht in diesem Band vertreten sind, für die wirklich variantenreichen Präsentationen und die regen Diskussionen. Ein herzliches Dankeschön sagen wir zudem unseren Hilfskräften Simona Devito und Virginie Gremaud, die nicht nur selbst Poster präsentiert haben, sondern auch rundum für das gute Gelingen gesorgt haben.

Ferner sind wir zu großem Dank den Sponsoren verpflichtet, die uns die Austragung der Tagung ermöglicht haben:

 Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) Zürich – Congressi Stefano Franscini (CSF)

 Gesellschaft für Angewandte Linguistik (GAL)

 Schweizerischer Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF)

 Vereinigung für Angewandte Linguistik in der Schweiz (VALS-ASLA)

 Conférence universitaire de Suisse occidentale (CUSO)

Die Veröffentlichung wurde von unserem Hauptsponsor ETH-CSF großzügig finanziell unterstützt, wofür wir einen besonders herzlichen Dank aussprechen möchten.

Infine, vorremmo ringraziare Chiara Cometta (CSF) e Liliana Cantoreggi (Fondazione Monte Verità) per la calorosa ospitalità e l’eccellente lavoro amministrativo.

Kirsten Adamzik & Mateusz Maselko Genf, im August 2018

Bericht zur Tagung Variationslinguistik trifft Textlinguistik (Ascona 2017)

Stefanie M. Moog

Vom 19. bis 22. März 2017 fand im Konferenzzentrum Monte Verità (Ascona, Schweiz) die Internationale Nachwuchstagung (CSF Workshop – GAL Research School) VARIATIONslinguistik trifft TEXTlinguistik statt (s. die Veranstaltungswebseite www.unige.ch/ascona2017). Dem Titel der Konferenz Rechnung tragend standen zwei linguistische Subdisziplinen im Fokus der Diskussion, deren Schnittstellen wie auch Gegensätze in der interdisziplinär angelegten Veranstaltung herausgearbeitet werden sollten und dank der Offenheit der TeilnehmerInnen auch offengelegt werden konnten. Organisiert wurde die Tagung von Mateusz Maselko und Kirsten Adamzik, beide von der Universität Genf und beide Experte bzw. Expertin der in Kontakt tretenden Subdisziplinen. Insgesamt nahmen 23 NachwuchwissenschaftlerInnen aus fünf verschiedenen Ländern teil. Die Qualität der Einreichungen wurde über ein mehrstufiges Begutachtungsverfahren gewährleistet, an dessen Durchführung ein zahlreiche ExpertInnen umfassendes internationales Komitee beteiligt war (s. Vorwort).

Vom Tagungshotel aus wurde bereits am Ankunftstag ein Stadtrundgang angeboten. Anschließend trafen sich die TeilnehmerInnen zum Beisammensein und Kennenlernen im Hoteleigenen Restaurant, wo ein gemeinsames, mehrgängiges Menü eingenommen wurde.

Das wissenschaftliche Tagungsprogramm verteilte sich auf drei Tage und wurde durch den Vortrag von Kirsten Adamzik eröffnet, in dessen Fokus ‚Allotexte‘ – Varianten von Texten/Texttypen – als Ausgangspunkt für potentielle Berührungspunkte zwischen Variations- und Textlinguistik diskutiert wurden. Der von ihr eingeleitete und vor allem textlinguistische Aspekte umfassende thematische Block beinhaltete Vorträge zu historischen Textsorten (Thomas Sebastian Bertram, Bettina Lindner). Den zweiten thematischen Block des Tages bildeten drei Vorträge zum Thema grammatische Variation und der Frage nach dem Einfluss kontextuell-medialer Steuerungsfaktoren auf den Sprachgebrauch bzw. die Akzeptabilität grammatischer Varianten. Während der Hauptvortrag von Christian Efing, Bergische Universität Wuppertal, dieser Frage mehr allgemein-theoretisch nachging, analysierten Annika Vieregge und Adam Tomas mit der Kasusvariation bei Sekundärpräpositionen im Deutschen bzw. mit dem am-Progressiv im Pennsylvaniadeutschen konkrete grammatische Phänomenbereiche.

Welche Texte, Daten, Materialien sich für welche variations- bzw. soziolinguistische Fragestellungen eignen, wurde im ersten Themenblock des zweiten Konferenztages diskutiert, zunächst im Hauptvortrag von Alexandra N. Lenz, Universität Wien, mit Bezug auf den von ihr geleiteten, aktuell laufenden Spezialforschungsbereich zur deutschen Sprache in Österreich (Variation, Kontakt, Perzeption). Es folgten – ebenfalls vor dem soziolinguistischen Hintergrund Österreichs – Vorträge zur Verbal- und Nominalflexion (Nina Bercko, Christina Schrödl). Im nächsten Block zu Fachsprachen an der Schnittstelle von variations- und textlinguistischer Forschung wurden jene der Verwaltungssprache (Alessandra Alghisi) und des Wintersports (Rinat Jafarov) behandelt. Im dritten Themenblock des Tages wurden text- und variationslinguistische Analysen der alemannischen Sprachversion der Wikipedia (Eva Gredel) sowie diskursiv verhandelte Varianten als Mittel zur Konstruktion sozial(räumlich)er Identität diskutiert (Alexandra Schiesser). Inwiefern auch dialektale Printtexte als Datenbasis für die Erforschung syntaktischer Variation in ‚Sprachinselvarietäten‘ dienen können, wurde abschließend in einer Art Werkstatteinheit durch die gemeinsame Analyse an einer hunsrückischen Textversion des Kleinen Prinzen erarbeitet (initiiert und moderiert durch Mateusz Maselko).

Der dritte Tag wurde durch den vierten und letzten Hauptvortrag der Konferenz von Noah Bubenhofer, Universität Zürich, eingeleitet, der sich mit korpuslinguistischen Zugängen zur Varietätenlinguistik beschäftigte. Ihm schloss sich ein ebenfalls korpuslinguistisch ausgerichteter Beitrag zu textsortenspezifischer Variation und ihrer Ermittlung auf Basis korpuslinguistischer Zugänge an (Sarah Brommer). Welche Bedeutung textlinguistische Zugänge im Bereich der Grammatikdidaktik haben können und sollten, ist eine Frage, mit der sich den letzten Vormittag abschließend Daniel Mischa Helsper befasste. Die Vielfalt und Komplexität der interdisziplinären Bezüge zwischen Variations- und Textlinguistik wurde auch in den beiden letzten Präsentationen der Konferenz deutlich, die sich mit Themen der Schriftsprachkompetenz bei Kindern (Pascale Schaller) bzw. textsemantischen Analysen mehrsprachiger Literatur (Jana-Katharina Mende) auseinandersetzten.

Ein besonderes Highlight der Konferenz bildete die Postersession am Nachmittag des ersten Tages, in deren Rahmen sechs Dissertations- und Postdoc- wie zwei Master-Projekte zu unterschiedlichen variations- und textlinguistischen Aspekten präsentiert wurden, jeweils eingeleitet durch eine kurze mündliche Präsentation (Beitragende: Gerda Baumgartner, Simona Devito, Fabian Fleißner, Virginie Gremaud, Stefan Hartmann, Nesrin Limani, Friedrich Markewitz, Nicolas Wiedmer). Dank des traumhaften Wetters fand die Postersession im Freien, vor der wunderbaren Kulisse des Lago Maggiore statt.

 

Wie das beste Poster wurde auch die beste Präsentation mit einem CSF Award gewürdigt:

 Preisträger für den besten Nachwuchsvortrag: Daniel Mischa Helsper von der Universität Trier (Thema: Textsortenbasierte Grammatikdidaktik am Beispiel der Adverbialien),

 Preisträgerin für das beste Poster: Gerda Baumgartner von der Universität Freiburg im Üechtland (Thema: Variabler Genusgebrauch bei Rufnamen in Dialekten der Deutschschweiz).

Die Tagung wich in vielen Aspekten erfolgreich von üblichen Veranstaltungsformaten der Linguistik ab. Besonders positiv wirkten die durch die Programmstruktur bewusst großzügig eingeräumten Spielräume für Diskussionen. Zusätzlich zu einer sich sofort an jeden individuellen Vortrag anschließenden kurzen Diskussion gab es nach einem Block von zwei Vorträgen noch einmal eine längere Diskussionseinheit, in der insbesondere interdiszi­plinäre Aspekte der gehörten Inhalte zur Sprache kamen. Neben dieser programmbezogenen Besonderheit trugen aber gerade das gemeinsame Wohnen in geschichtsträchtigem Ambiente, wie das gemeinsame Essen und Leben im Tagungszentrum auf dem Monte Verità zu einem persönlichen Kennenlernen und einer Intensivierung des interdisziplinären Austauschs bei, was gerade für eine Nachwuchskonferenz sicher eine einmalige und besonders wertvolle Erfahrung darstellt. So gab es auch Raum und Muße für vielfältige Gespräche zwischen den NachwuchswisenschaftlerInnen, aber auch zwischen ihnen und den eingeladenen und schon etablierten Hauptvortragenden.

Wunderbarerweise wird die in mehrfacher Hinsicht sehr erfolgreiche Veranstaltung fortgeführt: Die Konferenz stellte den Auftakt einer neuen, von Mateusz Maselko initiierten Reihe zu VARIATIONist Linguistics meets … dar (für weitere Informationen s. Homepage des Begründers www.unige.ch/lettres/alman/de/enseignants/linguistique/maselko/konferenzen). Schon in der ersten Hälfte 2018 fand, wiederum auf dem einzigartigen Monte Verità, eine Folgeveranstaltung statt, die diesmal internationale WissenschaftlerInnen auf den Gebieten der Variations- und Kontaktlinguistik versammelte (s. Webseite der Tagung www.unige.ch/ascona2018).


Tagungsplakat (© UNIGE) und ausgewählte Tagungsbilder (© S. M. M. und A. T.): (von links oben) Gruppenfoto (Veranstalterin K. Adamzik in der zweiten Reihe von unten links), Konferenzzentrum und Bauhaushotel Monte Verità, Konferenzraum Eranos, Postersession auf der Terrasse, Preisträgerin für das beste Poster G. Baumgartner und Preisträger für den besten Vortrag D. M. Helsper jeweils mit Ch. Cometta (Congressi Stefano Franscini) und M. Maselko (Veranstalter)