Theater und Ethnologie

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From the series: Forum Modernes Theater #46
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Theater und Ethnologie
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Theater und Ethnologie

Beiträge zu einer produktiven Beziehung

Natalie Bloch / Dieter Heimböckel

A. Francke Verlag Tübingen

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Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb/dnb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Clemens Concept & Design, Trier

© 2016 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

www.francke.de • info@francke.de

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E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen

ePub-ISBN 978-3-7720-0012-0

Inhalt

  Vorwort

  Ethnologie – Theater – Interkulturalität 1. Interkulturalität (und Theater) 2. Ethnologie (und Interkulturalität) 3. Ethnologie – Interkulturalität – Theater

  Dichte Aufführungen Rimini Protokoll: Das Feld in der Ferne Hunger for Trade: Multisituiertes Theater Fazit: zur Konvergenz von Theater und Ethnologie

  C’est du Chinois Edit Kaldor C’est du Chinois Das Theater des unwissenden Lehrmeisters

  ‚Zigeuner‘ als Maske des Fremden I. Die Erfindung der ‚Zigeuner‘ II. Alterität als Maske III. Verstetigung der Maske

  Hautfarbe im deutschen Theaterdiskurs der Gegenwart Der fremde Blick auf das Eigene Weiß-Sein als Norm im deutschsprachigen Repertoiretheater: Kritik an Institution und Ästhetik Alternative Perspektiven für das Repertoiretheater der Gegenwart

  Wie das Fremde zum Eigenen wurde Am Anfang war die Revolution Zwischen Verwurzelung und Nomadentum: théâtre populaire und décentralisation Avantgarde und théâtre populaire – Einheit oder Antagonismus? Nationalistische und antisemitische Abgründe des théâtre populaire Vom théâtre de la révolution zur révolution théâtrale Fazit

  Vom Avantgardetheater zum Welttheater Am Anfang war das Avantgardetheater Auf dem Weg zum ‚Welttheater‘ … Como el musguito en la piedra, ay si, si, si… Inklusionen des Fremden Auf dem Weg zu einer universellen Tanzsprache: „hier Folter, da Vögelchen“

  Schlingensief, das Operndorf und Afrika Das Operndorf – Soziales Projekt oder abgedrehte Künstlerphantasie? Primitivismus und interkulturelles Theater im 20. Jahrhundert Schlingensiefs Selbstinszenierung als ‚Kulturklauer‘ Das Scheitern des erweiterten Kunstbegriffs am Leben Schlingensiefs Afrika-Imaginationen Schlingensiefs theatrale Afrika-Inszenierungen Schlingensiefs Selbstinszenierung als ‚Kulturbringer‘

  Das Bild des ‚Muslims‘ als des ‚Anderen‘ auf dem Theater und in der Bildenden Kunst nach 9/11 1. Humanistische Ethik versus öffentliche Konstruktion des ‚Muslims‘ als des ‚Anderen‘ nach 9/11 2. Die Erfindung der Zentralperspektive als westliche Blickordnung 3. Die Absage von Bühnenaufführungen und ihre mediale Rezeption 4. Milo Raus The Civil Wars als interkulturelles Theater 5. Schlussfolgerungen

  Menschen, Fremde, Tiere 1. Die großen Trennungen 2. Rimini Protokolls Tiere und Labore 3. Natur und Gesellschaft in Heuschrecken

  Ethnologie auf der Bühne? 1. Vorüberlegungen 2. Literarisierte Ethnologie? Ethnologische Praktiken in der Literatur? 3. Literarisierte Ethnologie und Hubert Fichte 4. Literarisierte und dramatisierte Ethnologie?

 „I always look for groups that challenge each other“1. Einleitende GedankenKollektive Arbeitsprozesse im TheaterImprovisationInterkulturalität2. Zwei Beispiele aus der TheaterpraxisArabqueen oder Das andere Leben (2010)Hakoah Wien (2012)3. Zur besonderen Funktion des Komischen4. Schluss

  Ich bin ich und bin der andere Eine künstlerische Reflexion zu den Projekten Faust-Exhausted und Ich bin ich und bin der andere Das Projekt Faust-Exhausted Das Unbehagen an der Mehrsprachigkeit Übertitel als Hindernis Vom Vortrag zur Lecture Performance Ich bin ich und bin der andere als künstlerische Forschung Ausblicke

  Die Tragödie und das Fremde 1. Mania Thebaia 2. Struktur: Differenz und Gemeinsamkeit 3. Eignung der Tragödien 4. Die Tragödie und das Fremde

  Autorinnen und Autoren

Vorwort

Natalie Bloch, Dieter Heimböckel (Luxemburg)

Mit dem Verhältnis von Theater und Ethnologie nimmt dieser Tagungsband ein vielschichtiges und komplexes Gefüge in den Blick, das in disziplinübergreifenden Beiträgen und in Hinblick auf das Gegenwartstheater untersucht wird. Dabei wird zum einen die Frage gestellt, inwieweit die Ethnologie theoretisch und analytisch zu einem erweiterten Verständnis aktueller Internationalisierungs- und Interkulturalitätsprozesse im zeitgenössischen Theater beizutragen vermag; zum anderen werden theatrale Arbeiten untersucht, die selber einen ethnologischen, d.h. verfremdenden, Blick auf das Eigene werfen. Denn das Theater des 21. Jahrhunderts weitet den Blick in die Welt: Verschiedenste Spielarten internationaler Koproduktionen und Theaterfestivals zeugen von einem Internationalisierungstrend, der im Zuge der Globalisierung alle gesellschaftlichen Bereiche erfasst. Mit dieser (veränderten) strukturellen Ausrichtung nehmen allerdings nicht nur interkulturelle Kulturkontakte zu, sie wirken sich auch auf den Produktionsprozess und die theatrale Ästhetik aus und rücken damit den Aspekt der Interkulturalität, wie die vorliegenden Beiträge dokumentieren, zusätzlich in den Fokus der Auseinandersetzung. In dieser Entwicklung ist jedoch nur unter Vorbehalt ein Fortschritt in Hinblick auf interkulturelle Verständigung oder Kompetenz zu sehen. So ist die Frage, wie Andere oder Fremde im Theater vorkommen, repräsentiert und damit interpretiert werden, von größter Brisanz und beinhaltet politische und ethische Dimensionen, wie beispielsweise die aktuelle Debatte um das Black-Facing oder die Kritik postkolonialer Theoretiker an einer unreflektierten Form des Interkulturalismus vorführen. Wie schon andernorts betont wurde, sind Fremdheitsdarstellungen jedoch auch „Bestandteil einer reziproken Beziehung“,1 die weit über die kulturelle Andersartigkeit hinausweist. Somit sind sie immer auch eine Darstellung des Eigenen, die sowohl ganze Nationen wie auch einzelne Subjekte für ihre Selbstvergewisserung benötigen. Das Ineinandergreifen von kulturellen, ästhetischen und ethnischen Aspekten in Theaterproduktionen mit einer interkulturellen Ausrichtung lässt insofern eine Verknüpfung von theaterwissenschaftlicher und ethnologischer Perspektive hinsichtlich der Untersuchung dieser Theaterformen sinnvoll erscheinen. Darüber hinaus ist die Erforschung interkultureller Phänomene im Theater mit ähnlichen Schwierigkeiten wie die Ethnologie konfrontiert, nämlich mit der Suche nach einem adäquaten Kulturbegriff, der für den Umgang mit dem Fremden grundlegend ist. Denn in Anbetracht der kulturellen Vielfalt und der Hybridität der Kulturen ist der klassische Dualismus von Eigenem und Fremdem kaum aufrechtzuerhalten. Dementsprechend hat man sich in der ethnologisch, kulturanthropologisch und postkolonial fundierten Kulturtheorie von einem ‚Containermodell‘ der Kultur verabschiedet – unter anderem mit der Konsequenz, dass die Beschäftigung mit dem, was als kulturell fremd gilt, nicht mehr unbedingt an einen fremden Ort gebunden ist, sondern bereits „vor der eigenen Haustür“2 beginnen kann.

 

Die vorliegenden Beiträge diskutieren mit unterschiedlichen Ansätzen – wie den Postcolonial und Performance Studies, aber auch der Kulturanthropologie und soziologischen Theorien – interkulturelle Theaterproduktionen, Inszenierungen und -texte ebenso wie institutionelle und strukturelle Entwicklungen des Theaters und dokumentieren so aktuelle Forschungspositionen. Sie gehen insgesamt auf eine internationale Tagung zurück, die vom 26. bis zum 28. Juni 2014 an der Universität Luxemburg ausgerichtet wurde und dort Teil eines größeren Forschungsprojekts zum Thema Prozesse der Internationalisierung im Theater der Gegenwart ist. Zu danken ist in diesem Zusammenhang der Universität Luxemburg für die Förderung des Projekts und Christopher Balme dafür, dass er als Herausgeber von Forum Modernes Theater die Aufnahme dieses Bandes in die Reihe unterstützt hat.

Esch-sur-Alzette, im Mai 2016

Ethnologie – Theater – Interkulturalität

Ein Ausblick zur Einführung

Dieter Heimböckel (Luxemburg)

Der Annäherungsprozess zwischen Theater und Ethnologie, der sich in den 1960er Jahren angebahnt hat, stand von vornherein unter Fragestellungen, die bis heute von interkultureller Relevanz sind. Das hat zum einen mit dem disziplinären Selbstverständnis der Ethnologie als einer Wissenschaft zu tun, die traditionell ihre Aufgabe im Studium der Unterschiede zwischen den Kulturen sieht, und ist zum anderen auf eine Theaterentwicklung zurückzuführen, bei der die Überschreitung kultureller Grenzen zur Erschließung neuer ästhetischer Erfahrungen und Ausdrucksmittel seinerzeit eine Art „Theaterrebellion“ in Gang gesetzt hat.1 Wer über Ethnologie und Theater in diesen Jahren sprach, sprach zwangsläufig auch immer, wenngleich nicht unbedingt explizit, über Interkulturalität.

Angesichts der globalen Blickrichtung des Theaters seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert verwundert es nicht, dass sich Theater und Ethnologie in der Zwischenzeit weiter einander angenähert haben. Die Bedeutung, die im Bereich der Theaterwissenschaft der Performance-Theorie und -Ästhetik in der jüngeren Vergangenheit beigemessen wurde,2 zeugt vielmehr von der Nachdrücklichkeit, mit der sie den Austausch mit der Ethnologie vollzogen hat. Der Reflexion über Interkulturalität ist dieser Austausch allerdings nicht unbedingt zugutegekommen. Woran das liegt, in welcher Form Ethnologie und Theater dieses Defizit befördert haben und inwieweit neuere Ansätze der Interkulturalitätsforschung zur (theoretischen) Fundierung der Grundlagen beider Felder und ihrer ‚Kooperation‘ beitragen können, soll im Zentrum der nachfolgenden Ausführungen stehen. Dabei entspricht es ihrem einführenden Charakter, dass sie den Zusammenhang von Ethnologie, Theater und Interkulturalität allenfalls kursorisch in den Blick nehmen. Sie sollen einerseits als eine Art begrifflich-heuristischer Referenzrahmen für die in dem vorliegenden Band versammelten Beiträge dienen, andererseits aber auch weitere Denkanstöße zur Komplexitätserweiterung der Interkulturalitätsforschung vermitteln.3

1. Interkulturalität (und Theater)

Im öffentlichen wie im wissenschaftlichen Diskurs hat sich die Rede über Interkulturalität als eine zentrale Größe der Auseinandersetzung mit Themen, Problemen und Phänomenen, die sich aus dem Zusammentreffen und der Interaktion unterschiedlicher Kulturen ergeben, mittlerweile fest etabliert. Es wird sogar behauptet, wir lebten im „Zeitalter der Interkulturalität“.1 Vielleicht müsste man eher sagen, unser Zeitalter sei so interkulturell wie nie, denn anders als interkulturell lässt sich die Geschichte der Menschheit wohl nicht vorstellen.

Was passiert aber eigentlich im Theater, wenn es sich für Interkulturalität interessiert? Strebt es interkulturelle Verständigung an, oder stellt es sie nur aus? Erstreckt sich Interkulturalität lediglich auf das inszenierte Stück, oder schließt es auch das Personal – Schauspieler, Regisseure, Dramaturgen, Beleuchter etc. unterschiedlicher nationaler oder ethnischer Abstammung – mit ein? Erfüllt es einen Vermittlungsauftrag, und/oder geht – gewollt oder nicht gewollt – mit Interkulturalität eine Form der Vereinnahmung einher? Und wenn das Theater sich für Interkulturalität interessiert, ist es dann zwangsläufig auch ein interkulturelles Theater? Gibt es womöglich ein Ideal des interkulturellen Theaters? Diese Fragen sind so ohne Weiteres nicht zu beantworten, und es ist auch nicht mein Ziel, dies hier zu leisten. Interessant ist freilich der Umstand, dass die Problematik der Beantwortung unter anderem dem Sachverhalt zugeschrieben wurde, dass wir es mit einem vergleichsweise offenen Theorie- und Arbeitsfeld zu tun haben, das angesichts des beschleunigten Globalisierungsprozesses zu einer „große[n] Unübersichtlichkeit“ beigetragen habe.2 Am Ende mag es ein wenig einfach sein, die Globalisierung, wie es so häufig geschieht, für alle Probleme verantwortlich zu machen, die aufgrund einer nicht mehr eindeutigen bzw. schwieriger gewordenen Verständigung über Gegenstände, Sachverhalte usw. entstanden sind. In unserem Fall liegt einer der Gründe für die angesprochene Einschätzung womöglich im Begriff der Interkulturalität selbst. Zwar ist von einer „unentbehrlichen Denknotwendigkeit unserer Zeit“ die Rede,3 aber im gleichen Atemzug wird zugegeben, dass kaum Klarheit darüber bestehe, was Interkulturalität bedeute,4 was sie „eigentlich ist bzw. sein soll“, wie es noch vor Kurzem in einem Grundlagenartikel zur „Black Box ‚Interkulturalitat‘“ schlagwortartig formuliert wurde.5 Wenn solche Unkenrufe aus dem Revier der Interkulturalitätsforschung in die Welt gesendet werden, dann mag es wenig verwundern, warum Theater und Theaterwissenschaft, wenn sie sich mit dem Thema beschäftigen, einen gewissen Eindruck der Orientierungslosigkeit hinterlassen. Aber mir scheint hier weniger eine Orientierungslosigkeit bestimmend zu sein, sondern genau das Gegenteil: – eine Art – sagen wir – Voreingenommenheit bezüglich dessen, was Interkulturalität ist, so als wäre es keiner weiteren Erwägung mehr wert, darüber jenseits der Vorstellung nachzudenken, dass es sich um eine Begegnungskonstellation zwischen zwei voneinander deutlich abgrenzbaren Kulturen und/oder ihren Repräsentanten handeln würde.

Das Nachdenken über Interkulturalität im Zusammenhang mit dem Theater hat etwa Mitte der 1970er Jahre eingesetzt und seinen vorläufigen Höhepunkt in den 1990er Jahren erreicht. Inzwischen ist es geradezu ein Topos, davon auszugehen, dass ohne das Interkulturelle die Theatergeschichte gar nicht denkbar wäre.6 „Theatre has always been intercultural“.7 Im Zuge solcher Festschreibungen sind weitere Auseinandersetzungen und Vertiefungen mit diesem Thema weitgehend zu den Akten gelegt worden. Es wird vielmehr, wenn von Interkulturalität die Rede ist, regelmäßig allem Anschein nach davon ausgegangen, dass Klarheit über ihren begrifflichen Horizont besteht. „Die Auseinandersetzung mit anderen Kulturen und dem Fremden hat eine lange Tradition im europäischen Theater, Nathan der Weise und Andorra sind Dauerbrenner im Theater“,8 lautet es noch kürzlich in einem Vortrag, der sich dem interkulturellen Theater widmete. Wenn es sich bei „Nathan der Weise“ um ein interkulturelles Theaterstück handelt, wie verträgt sich damit die Diagnose, dass, zumindest in der deutschen Theaterlandschaft, „Interkulturalität […] wie ein Fremdwort“ wirke?9 Offenkundig sind hier jedoch unterschiedliche Interkulturalitätsbegriffe am Werk, denn im Falle „Nathans“ wird Interkulturalität als eine religiöse Dreiecks- und Austausch-Beziehung inszeniert, von der die formale Gestaltung dieses Dramas weitgehend unberührt bleibt. Anders verhält es sich dagegen, wenn es um den durch Einwanderer aus Korea im 8. Jh. geprägten japanischen Hoftanz bugaku geht oder aber um die in Mexiko ab dem 16. Jahrhundert um sich greifenden Autos sacramentales, „die die katholischen Zeremonien der spanischen Kolonialherren mit indianischen Ritualen vermischten“,10 um die Rezeption der Commedia dell’arte in der französischen Klassik oder um die westlichen Avantgarden des 20. Jahrhunderts von Artaud, Brecht und Craig bis Wilson. In diesen Fällen handelt es sich um Formen der Rezeption, Aneignung und Vermischung, die in Auseinandersetzung mit einem Theater stehen, das in kulturell anders geprägten Kontexten entstanden ist, und die sich sowohl auf den Inhalt als auch auf Struktur, Inszenierung und Sprache des jeweiligen Stücks auswirken können. Damit wird allerdings eine differentia specifica in das Verhältnis von Theater und Interkulturalität eingezogen, die auf ein Theater hinausläuft, „bei dem sich Individuen unterschiedlicher ethnischer Identität begegnen oder Elemente sich völlig fremder Theatertraditionen aufeinander stoßen.“ Der Konvention entsprechend soll also dann von interkulturellem Theater die Rede sein, „wenn es sich um verschiedene ethnische Kulturen handelt und unterschiedliche Einzelsprachen gesprochen werden.“11

Sind wir mit Blick auf die eingangs gestellte Frage, was denn eigentlich passiert, wenn sich das Theater für Interkulturalität interessiert, ihrer Beantwortung einen Schritt näher gekommen? Nimmt man die allgemeine Diskussion zum Maßstab, so lässt sich zumindest festhalten, dass von dem Befund einer interkulturellen Konstellation im theatralen Raum in concreto nicht notwendigerweise auf ein interkulturelles Theaterstück geschlossen werden kann. Umgekehrt haben wir es beim interkulturellen Theater mit einem für das Verhältnis von Interkulturalität und Theater spezifischen Fall zu tun, der es uns ermöglichen soll, aus ihm wiederum Schlussfolgerungen für das Verhältnis selbst zu ziehen. Bei der begrifflichen Einschränkung auf solche Inszenierungen, in denen Elemente aus mehr oder weniger deutlich zu unterscheidenden Kulturen verarbeitet werden, stellt sich allerdings der Verdacht ein, dass damit Differenzen markiert werden, durch die das Fremde gleichsam sicht- und fassbar gemacht werden soll. Anders lässt sich nicht erklären, warum in der Theaterwissenschaft und nicht nur hier die Tendenz vorherrscht, dann von interkulturellem Theater zu sprechen, wenn sich westliche – europäische oder europäisch-amerikanische – Elemente mit außereuropäischen verbinden. Der dahinter stehende Wille, die europäische Theatertradition nicht dominant werden zu lassen, um solchermaßen dem Vorwurf des Eurozentrismus zu entgehen, wird nicht nur durch die Überbetonung der Differenz und damit durch das offenkundige Wissen über das, was das Eigene und Fremde ist, partiell zurückgenommen; er führt auch – wenn auch nicht unbedingt beabsichtigt – zur Stärkung eines Containermodells von Kultur zu Lasten eines Verständnisses von Kultur als plurale tantum.12 Problematisch ist dabei nicht, dass es Differenzen gibt, sondern dass vermeintlich gewusst wird, was dies- und jenseits der Grenze liegt, die die Differenzen bloßlegt. Dahinter verbirgt sich eine Verstehensbemühung, die immer schon und auch heute, wenn von interkultureller Kommunikation und ihren Zielen die Rede ist, auf die Herstellung von Eindeutigkeit ausgerichtet ist. Interkulturalität sollte es jedoch nicht um die Herstellung von Eindeutigkeit, sondern um deren Infragestellung gehen. Sie schließt Verstehen zwar nicht aus, aber es ist nicht ihr primäres Anliegen. Denn ein solches Anliegen zielt darauf, das, was verstanden werden soll, den Voraussetzungen eines ,Denkens-wie-üblich‘ (im Sinne von Alfred Schütz) anzupassen.13 Insofern geht nach meinem Verständnis mit Interkulturalität der (kultur-)anthropologische Ausbruch aus diesem Denken-wie-üblich einher. Darauf wird im weiteren Verlauf noch einmal einzugehen sein.