Oberhausen: Eine Stadtgeschichte im Ruhrgebiet Bd. 3

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Der Ausbruch der Revolution

Oberbürgermeister Havenstein brachte noch am 4. November, als die Revolte in den Stützpunkten der deutschen Kriegsflotte schon begonnen hatte, in der Stadtverordnetenversammlung ein dreifaches Hoch auf Kaiser Wilhelm aus, in das die Versammlung einstimmte.14

In den großen Werken rumorte es. Seitdem das „▶ Vaterländische Hilfsdienstgesetz“ in Kraft war, gab es überall gewählte ▶ Arbeiterausschüsse, mit denen die Werksleitung zumindest reden musste, bevor Entscheidungen fielen. Drei Tage nach Havensteins Treueschwur im Rathaus trat der Arbeiterausschuss des Walzwerkes Neu-Oberhausen zusammen. Dieses Werk, daran sei hier noch einmal erinnert, war im Winter 1917/​18 eines der Streikzentren beim Kampf um eine humanere Gestaltung der Sonntags- und Nachtschichten gewesen. Am 7. November 1918 berieten dort elf Mitglieder der Werksleitung mit zehn Arbeitervertretern unter dem Vorsitz von Direktor Ernst Lueg zunächst über Lohnfragen. Besonders kennzeichnend für die ganz und gar nicht klassenkämpferische Einstellung der Arbeitervertreter war ein pathetischer Appell ihres wichtigsten Sprechers A. M. Oberdries an die Arbeitgeber, gemeinsam mit den Vertretern der Arbeiterschaft, das neue Deutschland aufzubauen. Betriebsleiter Lueg konnte sich direkt im Anschluss dazu kurz fassen: „Ich schließe mich dem voll und ganz an.“15

Wie überall im Rheinland – mit Ausnahme von Düsseldorf und Mülheim/​Ruhr – lief die Revolution auch in Oberhausen nach dem Kölner Muster ab: Soldaten aus Köln brachten die Revolution am 9. November mit der Eisenbahn nach Oberhausen. Auf dem Bahnhof wurde ein provisorischer ▶ Arbeiter- und Soldatenrat gegründet.16 Ein Augenzeuge, der Leiter des Verpflegungsdienstes am Bahnhof, beschrieb die dramatischen Vorgänge einige Wochen später so:

„Am Freitag, den 8. November, abends gegen halb 7 Uhr, zerschlug ein Matrose einige Gewehre, andere rissen den Soldaten die Achselklappen ab. […] Die Bahnhofswache von 10 Mann unter Führung eines Sergeanten hätte die wenigen Leute ohne weiteres festnehmen können, damit war aber der Ausbruch der Revolution nur aufgeschoben und zwar für wenige Stunden. Dem Sergeanten habe ich auf dessen Frage gesagt, er solle sich mit seinen Leuten in das Wachlokal zurückziehen und den Ereignissen freien Lauf lassen, er würde sonst mit seinen Leuten totgeschlagen, aufhalten könne er die Sache nicht. Die Sache war so gut eingeleitet, dass kurz nachher schon der AS. [Arbeiter- und Soldatenrat] zusammentrat.“17

Der Sterkrader Oberbürgermeister Dr. Most berichtet in seinen Memoiren:

„Am 9. November morgens öffnete sich in meinem Dienstzimmer auf dem Rathaus, kaum dass meine neue Sekretärin eine kurze Meldung anbringen konnte, die Tür, und sieben, mir großenteils unbekannte Männer traten ein. An ihrer Spitze war ein ortsfremder von Kiel her gekommener junger Matrose, der, mit irgendwelchen ‚Vollmachten‘ ausgestattet, den Sterkradern mit dem Revolver imponiert hatte und sich dementsprechend selbstbewusst gab. Er führte sich mit der Versicherung ein, dass sie, die Revolutionäre von Kiel, den Frieden brächten und für Deutschland die Rettung, denn es sei ihm verbürgt, dass noch heute oder morgen in der englischen, französischen und amerikanischen Flotte ebenfalls Revolution ausbrechen würde zur Herbeiführung einer allgemeinen Verbrüderung. Auf mein Zweifeln sagte er wörtlich: ‚Wir wären ja Schufte, wenn wir Revolution gemacht hätten, ohne dessen ganz gewiss zu sein!‘ Man teilte mir weiter mit, dass sich der Arbeiter- und Soldatenrat für Sterkrade gebildet habe. Ob außer dem Matrosen, der nie im Kampf gewesen war, auch nur ein einziger gewesener Soldat dabei war, ist mir zweifelhaft. Der A.- und S. -Rat, so hieß es weiter, sei die höchste Autorität der Stadt, der Oberbürgermeister habe sich ihm unterzuordnen; in jede Abteilung der Verwaltung müsse ein Vertrauensmann des Rates eingesetzt werden und was der Forderungen mehr waren. Ich nahm das alles mit der äußeren Kühle gewaltsamer Selbstbeherrschung entgegen, verteilte die sieben sogleich als Vertrauensleute auf die verschiedenen Abteilungen der Verwaltung.“18

In den nächsten Tagen wurden die Ortsfremden durch gestandene Sterkrader umrahmt bzw. verdrängt – mit der erklärten Absicht, „die Bewegung in ruhige und geordnete Bahnen zu leiten“.19 Oberbürgermeister Most konnte dem Regierungspräsidenten (es musste alles seine Ordnung haben!) Ende November folgende Zusammensetzung des Sterkrader Arbeiter- und Soldatenrates melden: SPD vier, ein freier Gewerkschaftler, drei christliche Gewerkschaftler. Oberbürgermeister Most, zunächst schockiert über den Umsturz, arrangierte sich schnell mit dem Arbeiter- und Soldatenrat. Es gelang ihm, die Kontrolle über die Stadtverwaltung zu behalten, ohne dem „A.- und S. -Rat dies so recht bewusst werden zu lassen“.20 Ab Anfang Dezember galt die Absprache, dass alle Kontakte des revolutionären Rates mit der Stadtverwaltung von Sterkrade über die Person des Oberbürgermeisters laufen sollten.

In der Stadtverordnetenversammlung Ende November legte Most natürlich seine taktischen Überlegungen nicht offen. Er bescheinigte dem Arbeiter- und Soldatenrat öffentlich den ehrlichen Willen zu sachlicher Zusammenarbeit:

„Es hat mich mit tiefem Schmerz erfüllt, als ich auf dem Rathaus über meinem Amtszimmer zum ersten Mal eine andere Fahne wie die altgewohnte sehen musste. Ich will und kann das nicht verschweigen. Auch das nicht, dass es mir schmerzlich war, als der Arbeiter- und Soldatenrat zuerst in Erscheinung trat. Aber der Arbeiter- und Soldatenrat hat sein bestes eingesetzt, die Verantwortlichkeit, die er sich selbst geschaffen hat, mit Ernst zu erfüllen. Er ist auch dort, wo es ihm schwer werden musste, vor dem äußersten nicht zurückgeschreckt, um Ordnung und Ruhe zu sichern. Eine Tat, die ich ihm nie vergessen werde, die auch die Bürger nicht vergessen werden.“

Anschließend schlug Most selbst vor, die Kosten für den Arbeiter- und Soldatenrat und für dessen Sicherheitswehr zu bewilligen. Während dieses Tagesordnungspunktes waren mehrere Vertreter des Rates anwesend.21

In der Nachbarstadt Oberhausen nahm Oberbürgermeister Havenstein sofort am 9. November Gespräche mit dem auf dem Bahnhof gegründeten Arbeiter- und Soldatenrat auf. Man vereinbarte Zusammenarbeit. Ob es dabei so ganz ohne Hintergedanken war, dass der Oberbürgermeister einem Mitglied des Rates sogleich die Zuständigkeit für das schwierigste Problem übergab, nämlich die Lebensmittelversorgung? Havenstein drängte darauf, das auf dem Bahnhof gegründete Gremium durch Oberhausener Arbeitervertreter zu erweitern. Auch in öffentlichen Versammlungen wurde eine solche „Verstärkung“ des Rates gefordert.22

Diese „Verstärkung“ kam nach wenigen Tagen aus einer Gruppe Oberhausener Bürger, die – auch am 9. November – auf Veranlassung der Stadtverwaltung zur Wahl eines „Vertrauensausschusses zur Beratung der Stadtverwaltung“ im Haideblümchen zusammengetreten war. „Nach eingehender Beratung wurde beschlossen, sich auf den Boden der Tatsachen zu stellen, und wurden 5 Herren gewählt, welche dem Arbeiter- und Soldatenrat beitreten sollten, um darin das Interesse der Bürgerschaft nach Kräften zu wahren.“ Die fünf Gewählten, darunter der Gewerkschaftssekretär Jochmann, fuhren gegen Mitternacht auf den Bahnhof. Sie wurden in den Arbeiter- und Soldatenrat zunächst mit beratender Stimme aufgenommen. Man wollte vor einer Vollmitgliedschaft erst bei den Revolutionären in Köln nachfragen. An den folgenden Tagen drängten vor allem die christlichen Gewerkschaften darauf, dass noch mehr Oberhausener in den Arbeiter- und Soldatenrat eintreten sollten.23

Szenenwechsel zu einem weiteren Schauplatz: An diesem ereignisreichen 9. November berief der Konzernherr Paul Reusch persönlich die „Obmänner“ der ▶ Arbeiterausschüsse zu einer Besprechung mit den Direktoren in die Hauptverwaltung der GHH an der Essener Straße, ein Vorgang, der in der Vergangenheit so nicht vorstellbar gewesen wäre: Der allmächtige Konzernherr setzte sich mit Arbeitervertretern an einen Tisch.24

Die Direktoren ebenso wie auch einige Arbeitervertreter beriefen sich in den Wochen nach dem 9. November 1918 wiederholt auf Reuschs Versprechungen in der Sitzung an diesem denkwürdigen Tag, vor allem auf die feste Zusage, dass so schnell wie möglich, spätestens aber zum 1. Januar 1919, der Acht-Stunden-Tag eingeführt werden würde. Als Zeichen des guten Willens verkürzte die Konzernleitung sofort die Arbeitszeit am Samstag.25

Die Mitglieder des Oberhausener ▶ Arbeiter- und Soldatenrates stellten sich am folgenden Tag, dem 10. November, in einer Volksversammlung auf dem Altmarkt vor. Das Programm hieß „Ruhe und Ordnung“: „Jede Ausschreitung werde aufs strengste, Plünderungen mit dem Tode bestraft werden.“26 Die von Anfang an geforderte Erweiterung des Arbeiter- und Soldatenrates wurde nach wenigen Tagen Wirklichkeit. Die Soldaten vom Bahnhof hatten offenbar nichts dagegen, ihre Auftraggeber im revolutionären Rat von Köln gaben ursprüngliche Bedenken schnell auf, so dass Mitte November die Oberhausener Vertreter in einer Versammlung im evangelischen Gemeindehaus gewählt werden konnten.27 Der Oberhausener Arbeiter- und Soldatenrat bestand danach aus 60 Mitgliedern mit etwa folgenden „Fraktions“-stärken: zehn linksorientierte Vertreter der „Unabhängigen“ SPD, zehn gemäßigte Vertreter der „Mehrheits“-SPD, zehn Vertreter der freien Gewerkschaften und weitere Vertreter des städtischen Bürgertums, schließlich waren zehn Soldaten im Gremium vertreten. Dieser erweiterte Rat war als reines Beschlussfassungsgremium gedacht. Vorsitzender wurde der Sekretär des Metallarbeiterverbandes Heinrich Apenborn. Sechzehn Mitglieder sollten zum engeren Rat gehören und in zehn Abteilungen eng mit der Stadtverwaltung zusammenarbeiten.28

 

Auch in Osterfeld wurde ein Arbeiter- und Soldatenrat gegründet29. Wie „die Revolution“ in dieser Stadt – oder genauer: auf den beiden großen Zechen – vonstatten ging, schildern sehr anschauliche Berichte von Augenzeugen. Dabei wird besonders deutlich, wie stark die Einflüsse aus den Nachbarstädten waren. Zunächst machten sich die Revolutionäre aus dem unruhigen Bottrop auf der GHH-Zeche Jacobi bemerkbar. Am 11. November präsentierten Abgesandte des Bottroper Rates einen Beschluss mit neun Forderungen zur Arbeitszeit und zu anderen praktischen Fragen der Betriebsorganisation. Die Betriebsleitung ließ sich auf Verhandlungen ein – obwohl die Bottroper Revolutionäre für die Osterfelder Zeche Jacobi nicht „zuständig“ waren – und genehmigte am folgenden Tag die Wahl von „Schachtordnungsmännern“. Einer der gewählten Ordnungsmänner, ein Abteilungssteiger, fühlte sich so unwohl in dieser Rolle, dass er sofort seinem Chef über die Vorgänge auf der Zeche und über alle Details der Sitzung des Arbeiter- und Soldatenrats berichtete. Die Zechenleitung ihrerseits informierte postwendend die Konzernspitze, Paul Reusch persönlich.30

Gleichzeitig an diesem 11. November wurde auch die Zeche Osterfeld für einen Tag stillgelegt. Ein interner Bericht schildert die Vorgänge sehr anschaulich: „Als etwa vier Förderkörbe besetzt eingefahren waren, hielt ein von Mülheim kommender Straßenbahnwagen vor dem Eingang der Zeche. Diesem Wagen entstiegen etwa 50 Personen, welche sämtlich zur Belegschaft der Zeche gehörten.“ Angeführt wurden sie von einem Mülheimer Stadtrat und Mitglied des dortigen Arbeiter- und Soldatenrats. Der wiegelte die Arbeiter in der Waschkaue auf und bedrohte die Vertreter des ▶ Arbeiterausschusses, als sie die „erhitzten Gemüter“ beruhigen wollten, mit einem Revolver. Aber auch die „sofort einschreitenden Beamten der Zeche“, konnten nicht verhindern, dass die Belegschaft die Arbeit niederlegte und sich auf dem Zechenplatz versammelte. Die Direktion bat darauf den Amtmann von Osterfeld, Vertreter des Arbeiter- und Soldatenrates zu dieser Versammlung zu entsenden. „Der Amtmann erwiderte hierauf, dass ein Arbeiter- und Soldaten-Rat in Osterfeld noch nicht existiere und er deshalb kein Mittel habe, der Zeche behülflich zu sein.“ Die aus der Nachbarstadt Oberhausen deshalb angeforderten Vertreter des dortigen Arbeiter- und Soldatenrats erschienen aber nicht auf der pünktlich um 9.00 Uhr beginnenden Versammlung.31


Abb. 2: Lage der Zechen in Groß-Oberhausen

Die auf dem Zechenplatz versammelten Arbeiter stellten, in 13 Punkte unterteilt, die folgenden Forderungen auf: Die Acht-Stunden-Schicht einschließlich der Seilfahrt (Punkte 1 bis 3); Mindestlöhne, gestaffelt nach Schwere der Arbeit (4 und 9); ein Beschwerderecht (5 bis 8 und 11); die volle Bezahlung von „Feierschichten“ (10); die Absetzung von vier namentlich genannten Vorgesetzten (11 und 12) sowie die formelle Feststellung des „Einvernehmens“ mit dem Arbeiter- und Soldatenrat. Es fällt auf, welch großes Gewicht einerseits die Arbeitszeitfrage und andererseits der Unmut über das Verhalten bestimmter Vorgesetzter hatte.32 Der bei der Versammlung anwesende Beamte erklärte sich für nicht „befugt“, irgendwelche Zusagen zu machen, er müsse die Forderungen „der Direktion der Hütte zur Entscheidung vorlegen“. Daraufhin wurde eine Delegation, der auch Mitglieder des ▶ Arbeiterausschusses angehörten, ins „Amtshaus“ von Osterfeld entsandt, damit „ihre zu Papier gebrachten Beschlüsse mit dem Siegel des Amtsmannes versehen und alsdann auf der Zeche durch Anschlag bekannt gemacht“ werden konnten. Der Bericht schloss mit den Sätzen: „Am folgenden Morgen herrschte wieder vollkommene Ruhe auf der Zeche. Die ganze Belegschaft ist wieder angefahren. Seitdem ist die Ruhe nicht wieder gestört worden.“33

Da auf den Oberhausener ▶ Arbeiter- und Soldatenrat kein Verlass war – jedenfalls aus der Sicht der revolutionären Arbeiter –, bildete sich schleunigst auch in Osterfeld ein Arbeiter- und Soldatenrat. Sofort wurde nach einem Weg gesucht, seine Basis zu verbreitern: In einer Volksversammlung im Saale des katholischen Arbeitervereinshauses wurde einstimmig ein Beirat für den Arbeiter- und Soldatenrat gewählt, und zwar mit je einem Vertreter der Grundbesitzer und Landwirte, der Beamten und der Lehrerschaft (drei Vertreter), der Kaufleute, der Akademiker (zwei Vertreter), der Metallarbeiter, der Eisenbahnarbeiter und der Steiger der Zeche.34 Es ist sicherlich auch auf den Einfluss dieses Beirats zurückzuführen, wenn der Osterfelder Arbeiter- und Soldatenrat sich peinlichst bemüht zeigte, die vorhandene Rechtsordnung möglichst überhaupt nicht anzutasten.35

Eine lange Reihe – wenig revolutionärer – Bekanntmachungen ließ die Oberhausener Öffentlichkeit erkennen, woran der Rat in den folgenden Wochen arbeitete. Es war eine ordentliche Revolution mit Stempeln, Quittungen, Ausweisen und Armbinden – und man war vor allem sehr besorgt um die Moral der heimkehrenden Soldaten, denn der Besuch der Bordelle in der Eintrachtstraße (heute Flaßhofstraße) wurde strikt verboten.36

Alle waren sich einig, dass die Heimkehrer wieder an ihrem alten Arbeitsplatz eingestellt werden sollten. Aber jenseits der Deklamationen führte dies zwangsläufig zu Konflikten in den Werken, denn die während des Krieges eingestellten auswärtigen Arbeiter mussten weichen. S. setzte das Werk Sterkrade der GHH Mitte November sofort 300 Arbeiter aus dem Kreis Wesel vor die Tür. Der Weseler Arbeiter- und Soldatenrat intervenierte dagegen ohne Erfolg.37 Das Werk Sterkrade war vom Kriegsende unmittelbarer betroffen als andere Fabriken, weil über Nacht dem Maschinenbau und den Granatenpresswerken die Aufträge fehlten. Für Einheimische wurden deshalb umfangreiche Versetzungen in Oberhausener GHH-Werke angekündigt.38

Entlassen wurden auch die unzähligen in der Rüstungsindustrie beschäftigten Frauen. Die Männer, Werksleitungen und überwiegend auch die Arbeitervertreter, sahen deren Tätigkeit in der Industrie, obwohl lebenswichtig während des Krieges, nur als vorübergehend an. An Gleichbehandlung mit den Männern war nicht zu denken: Als z. B. im Walzwerk Neu-Oberhausen Anfang November eine bescheidene Lohnerhöhung angekündigt wurde und ein einzelner Arbeitervertreter die Einbeziehung der Frauen und Lehrlinge vorschlug, nahm Direktor Ernst Lueg die Frauen ausdrücklich aus. Von Seiten der Arbeitervertreter gab es nach diesem Machtwort keinen Widerstand mehr; im GHH-Werk Sterkrade wurde sogar bedauert, dass die Frauen „immer noch nicht recht heran [wollten], die Arbeit zu verlassen.“39


Abb. 3: „Dienstmädchen gesucht!“ GA vom 28. November 1918

Aus der Sicht bürgerlicher Kreise war die Entlassung der Frauen nur zu begrüßen, beseitigte sie doch mit einem Schlag die „Dienstmädchennot“; nach jahrelangen erfolglosen Anzeigen während des Krieges, löste jetzt jede Anzeige einen Ansturm von Bewerberinnen aus.40

Nach drei Wochen zog Havenstein in der ersten Stadtverordnetensitzung nach dem Umsturz eine erste Bilanz. Vertreter des Arbeiter- und Soldatenrates waren bei der öffentlichen Sitzung anwesend.

„Mit dem Arbeiter- und Soldatenrat arbeitet die Verwaltung auf gutem Fuß. In allen wichtigen Fragen haben wir uns verständigt und sind gut miteinander ausgekommen, und das wird auch für die Zukunft so sein. Beide sind darauf bedacht, Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten. Hierzu ist noch eine Einrichtung nach dem Muster anderer Städte erforderlich: eine Bürgerwehr von etwa 200 Köpfen. Auch damit sind sehr erhebliche Kosten verbunden.“41

Nach dem Strickmuster des Dreiklassenwahlrechts sollten in November 1918 wieder Stadtverordnetenwahlen stattfinden.42 Großzügig sollten erstmals auch der Sozialdemokratie zwei Sitze zugeteilt werden; wohlgemerkt: das sollte schon feststehen, bevor ein einziger Wähler seine Stimme abgegeben hatte!43 Der Beigeordnete Uhlenbruck erläuterte in einer öffentlichen Versammlung, dass dieses Zugeständnis natürlich nur für die dritte Klasse gelte; jedoch solle „die erste und zweite Abteilung in ihrer jetzigen Zusammensetzung bestehen bleiben“.44 Dazu kam es aber nicht mehr; am 15. November wurde die Wahl abgesagt, offiziell mit der Begründung, dass Wahlen nach dem preußischen Drei-Klassen-Wahlrecht nicht mehr zulässig seien, in Wirklichkeit wohl eher aus Furcht vor der öffentlichen Unruhe eines Wahlkampfes und wegen der Empörung, die die Anwendung des Drei-Klassen-Wahlrechts bei der Arbeiterschaft ausgelöst hätte.

Mitte November wurde zwischen Unternehmern und Gewerkschaften das Abkommen über die ▶ „Zentralarbeitsgemeinschaft“ geschlossen, das sogenannte Stinnes-Legien-Abkommen. Der Konzernherr der GHH, Paul Reusch, war ein Gegner dieser Verständigung mit den Gewerkschaften, weil das Abkommen u. a. vorsah, dass die Unternehmer die Unterstützung der ▶ „gelben“ Werkvereine beendeten. Diese wirtschaftsfriedlichen, d. h. nicht streikbereiten Verbände lagen Reusch seit Jahren besonders am Herzen, sie wurden vom GHH-Konzern mit viel Geld unterstützt und waren bei den Gewerkschaften, wo die Masse der Arbeiter organisiert war, besonders verhasst. Im Stinnes-Legien-Abkommen war den Gewerkschaften ein Durchbruch gelungen. Zum ersten Mal wurden sie über alle Industriezweige hinweg als Verhandlungspartner anerkannt. Dieser Geist der Zusammenarbeit, bei latent fortbestehenden Spannungen zwischen Direktoren und Arbeitern, war im November 1918 auch an der Basis, in den Betrieben zu spüren. In den ▶ Arbeiterausschüssen aller großen Werke in Oberhausen ging es vor allem um die Einführung des Acht-Stunden-Tages, die wichtigste soziale Errungenschaft der Revolution. Das Dilemma der ▶ Obleute in den Betrieben brachte der Arbeiter Gläser bei der Sitzung im Walzwerk Oberhausen mit seinem Stoßseufzer über „andere Elemente […], die vieles verderben“, zum Ausdruck. Von der Gegenseite machte Werks-Direktor Schmidt Druck. Die paar Quertreiber“ müssten die organisierten Arbeiter doch ausschalten können.45 Nichts illustriert besser als dieser Wortwechsel, in welcher Zwickmühle sich die gemäßigten Arbeitervertreter befanden.