Kommunikationswissenschaft als Sozialwissenschaft

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utb 4260

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Heinz Pürer (Hg.)

Kommunikationswissenschaft als Sozialwissenschaft

Unter Mitarbeit von Philip Baugut, Wolfgang Eichhorn, Nayla Fawzi, Rudi Renger, Jeffrey Wimmer, Susanne Wolf und Thomas Zerback

UVK Verlagsgesellschft mbH · Konstanz mit UVK/Lucius · München

Prof. Dr. Heinz Pürer lehrte 1986–2012 Kommunikationswissenschaft an der Universität München.

Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de.

Im Buch werden bei Berufsbezeichnungen nur die männlichen Formen verwendet. Selbstverständlich sind die weiblichen Formen jeweils mit gemeint.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dn-b.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

© UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2015

Einband: Atelier Reichert, Stuttgart

Einbandfoto: © Vladgrin/Shutterstock.com

Satz: Klose Textmanagement, Berlin

UVK Verlagsgesellschaft mbH

Schützenstr. 24 · D-78462 Konstanz

Tel.: 07531-9053-0 · Fax: 07531-9053-98

www.uvk.de

UTB-Nr. 4260

ISBN 978-3-8463-4260-2

eBook-Herstellung und Auslieferung:

Brockhaus Commission, Kornwestheim

www.brocom.de

Inhalt

Vorwort

Einführung

1Politologische Aspekte der Kommunikationswissenschaft

1.1Themenfeld Kommunikationspolitik

1.1.1Kommunikationspolitik, Medienpolitik, Media Governance

1.1.2Typologien von Mediensystemen

1.1.3Organisationsformen von Massenmedien

1.1.4Die Kommunikationsgrundrechte

1.1.5Funktionen der Massenmedien

1.2Themenfeld politische Kommunikation (Philip Baugut, Nayla Fawzi, Thomas Zerback)

1.2.1Zum Begriff politische Kommunikation

1.2.2Relevanz politischer Kommunikation in Demokratien

1.2.3Akteure politischer Kommunikation

1.2.4Zum Verhältnis von Politik und Medien

1.2.5Medienwirkungen auf die Bevölkerung

1.2.6Medialisierung politischer Akteure

Literatur

2Psychologische Aspekte der Kommunikationswissenschaft

2.1Relevante Begriffe (Heinz Pürer, Wolfgang Eichhorn)

2.1.1Einstellungen

2.1.2Stereotyp

2.1.3Vorurteil

2.1.4Einstellungsänderungen

2.2Kommunikation und Persuasion (Heinz Pürer, Wolfgang Eichhorn)

2.3Konsistenztheoretische Ansätze (Susanne Wolf)

2.3.1Das Balance-Modell

2.3.2Das Kongruenz-Modell

2.3.3Die Theorie der kognitiven Dissonanz

2.4Mediating Factors

2.5Kognitive Psychologie (Wolfgang Eichhorn)

2.5.1Schematheorie

2.5.2Framing

2.5.3Priming

2.6Emotionspsychologie (Wolfgang Eichhorn)

2.6.1Emotionen bei der Zuwendung zu Medien

2.6.2Emotionen bei der Medienrezeption

2.7Konformitätsdruck – die Theorie der Schweigespirale

2.7.1Das Grundkonzept

2.7.2Empirische Überprüfung

2.7.3Diskussion

Literatur

3Soziologische Aspekte der Kommunikationswissenschaft

3.1Sozialisation durch Massenkommunikation

3.1.1Begriffliche Grundlagen

3.1.2Zur Bedeutung familiärer Sozialisation

3.1.3Medien als Sozialisationsinstanzen

3.1.4Kinder und Fernsehen

3.1.5Jugend und Medien

3.1.6Politische Sozialisation und Massenmedien (Heinz Pürer, Philip Baugut)

3.2Gewalt und Massenmedien

3.2.1Theorienvielfalt der Mediengewaltforschung

3.2.2Methoden der Mediengewaltforschung

3.2.3Schlüsselvariablen für Mediengewalteffekte

3.2.4Ausgewählte empirische Studien

3.2.5Anforderungen an künftige Mediengewaltforschung

3.3Theorie und Praxis der Cultural Studies (Rudi Renger, Jeffrey Wimmer)

Literatur

Autoren

Personenindex

Sachindex

Vorwort

Die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft befasst sich als Sozialwissenschaft mit allen Formen öffentlicher Kommunikation, insbesondere mit klassischer Massenkommunikation (Print, Radio, Fernsehen) sowie mit öffentlicher und teil-öffentlicher Kommunikation in und mittels Onlinemedien. Im Zentrum des Lehr- und Forschungsfeldes stehen dem Ablauf publizistischer bzw. massenkommunikativer Prozesse folgend die Kommunikator- bzw. Journalismusforschung, die Aussagen-, die Medien(struktur)- sowie die Rezipientenforschung. Diesen Feldern kann man sich aus unterschiedlichen Fachperspektiven nähern wie etwa aus einer politologischen, psychologischen oder soziologischen Perspektive. Die Kommunikationswissenschaft versteht sich folglich als interdisziplinäre Sozialwissenschaft, die sich zur Klärung wissenschaftlicher Fragestellungen quantitativer und qualitativer empirischer Forschungsmethoden bedient.

 

In meinem 2003 erstmals publizierten sowie 2014 umfassend überarbeiteten und erweiterten Lehrbuch »Publizistik- und Kommunikationswissenschaft« habe ich, teils unter Mitwirkung weiterer Autoren, das Lehr- und Forschungsfeld dieser Disziplin inhaltlich strukturiert und umfassend aufbereitet. Es erscheint nun, neu konfektioniert, auch in Teilbänden. Der vorliegende Band »Kommunikationswissenschaft als Sozialwissenschaft« enthält die Abschnitte über politologische, soziologische und psychologische Aspekte der Kommunikationswissenschaft. An seiner Erarbeitung haben außer mir Philip Baugut, Wolfgang Eichhorn, Nayla Fawzi, Rudi Renger, Jeffrey Wimmer, Susanne Wolf sowie Thomas Zerback mitgewirkt. Ihre Namen sind dem Inhaltsverzeichnis sowie den von ihnen erarbeiteten Beiträgen bzw. Kapiteln zu entnehmen, ihr derzeitiges berufliches Wirken dem Autorenverzeichnis. Sämtliche nicht namentlich ausgewiesenen Abschnitte wurden von mir als Herausgeber verfasst.

Weitere Teilbände sind wichtigen Grundbegriffen der Kommunikationswissenschaft, der Kommunikator- bzw. Journalismusforschung, der Medienforschung (bzw. den Medienstrukturen in Deutschland), der Rezipientenforschung mit ihren Teilgebieten Mediennutzung, Medienrezeption und Medienwirkung gewidmet. Ebenso gibt es einen Band zu den empirischen Forschungstechniken der Disziplin. Die Bände erscheinen auch als E-Books. Mit diesem Publikationsprogramm sollen Interessenten angesprochen werden, die sich ein Teilgebiet der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft einführend erschließen wollen.

Ich danke den Autorinnen und Autoren für die Mitarbeit an dieser Publikation sowie Rüdiger Steiner, Verlagslektor von UVK, für die gute Zusammenarbeit bei der Entstehung dieses Buches.

München, im März 2015

Heinz Pürer

Einführung

Wie im Vorwort erwähnt, wird die Kommunikationswissenschaft auch im deutschen Sprachraum aus einem sozialwissenschaftlichen Verständnis heraus trans- und interdisziplinär betrieben. Zugänge an Gegenstände der Kommunikationswissenschaft aus unterschiedlichen fachlichen Perspektiven sind damit aber nicht grundsätzlich neu. Bereits im Vor- und Umfeld der Etablierung der wissenschaftlichen Zeitungskunde haben sich Staatswissenschaftler, Nationalökonomen, Historiker, Soziologen, Germanisten, Juristen, Theologen etc. mit Fragen und Themen des Zeitungswesens sowie des Journalismus befasst (vgl. Pürer 2014, S. 34–38).

Die gegenwärtige sozialwissenschaftliche Ausrichtung ist in der deutschsprachigen Kommunikationswissenschaft seit den 1960er-Jahren vorzufinden (wiewohl es bereits in den 1950er-Jahren empirische Forschung gab – vgl. Löblich 2009). Damals kam es zur empirisch-sozialwissenschaftlichen Wende und es begannen weitgehend aus dem angloamerikanischen Raum kommende soziologische, psychologische sowie politologische Konzepte und sozialwissenschaftliche Methoden in die deutschsprachige Publizistikwissenschaft einzufließen (Löblich 2010a, b; Löblich/Pfaff-Rüdiger 2009). So reiht sich die deutschsprachige Kommunikationswissenschaft gemeinsam mit der Politikwissenschaft, der Soziologie und der Psychologie in den Kanon der Sozialwissenschaften ein; sie bedient sich zur Klärung ihrer Fragestellungen mehrheitlich auch empirischer Methoden.

Nachfolgend sind einige ausgewählte, wichtige Aspekte der Kommunikationswissenschaft aus politologischer, psychologischer und soziologischer Perspektive Gegenstand der Ausführungen.

1Politologische Aspekte der Kommunikationswissenschaft

Unter politologischen Aspekten beschäftigt sich die Kommunikationswissenschaft mit Kommunikationspolitik sowie mit Politischer Kommunikation. Beim Thema Kommunikationspolitik geht es vorwiegend um politische und rechtliche sowie – etwa im Zusammenhang mit Presse- und Medienkonzentration – auch um wirtschaftliche Themen der Massenmedien, Gegenstand sind aber etwa auch funktionale Fragen der Massenmedien und des Journalismus. Das Fach bedient sich zur Klärung dieser Themen- und Fragestellungen v. a. der Politikwissenschaft, der Rechtswissenschaft und der Wirtschaftswissenschaften (vgl. Tonnemacher 2003, S. 15). Auf dem Forschungsgebiet Politische Kommunikation geht es u. a. um die Relevanz politischer Kommunikation in Demokratien, um die Akteure politischer Kommunikation, um das Verhältnis von Politik und Medien, um politische Medienwirkungen sowie um das Thema Medialisierung politischer Akteure.

1.1Themenfeld Kommunikationspolitik

Zunächst zum Thema Kommunikationspolitik ganz allgemein als Teilforschungsfeld der Kommunikationswissenschaft. In dessen Zentrum stehen Aspekte, die mit der rechtlich-politischen Ausgestaltung von gesellschaftlicher Kommunikation, insbesondere von klassischen Massenmedien und Onlinemedien zu tun haben. Dazu gehören neben der Klärung wichtiger Begriffe u. a. folgende Themen: Typologien vorfindbarer Mediensysteme, Kommunikationsgrundrechte, Organisationsformen von Massenmedien sowie Funktionen der Massenmedien.

1.1.1Kommunikationspolitik, Medienpolitik, Media Governance

Im Zusammenhang mit dem allgemeinen, noch nicht näher bestimmten Fachterminus Kommunikationspolitik sollen eingangs drei Begriffe kurz erörtert werden, die um dieses Thema konfigurieren, nämlich: Kommunikationspolitik, Medienpolitik und Media Governance aus einer kommunikationswissenschaftlichen Perspektive.

Mit dem Begriff Kommunikationspolitik werden im übergreifenden Sinne alle Aktivitäten staatlicher Institutionen bezeichnet, die sich auf die Regelung des Prozesses der gesellschaftlichen Kommunikation richten (vgl. Glotz/Pruys 1981, S. 117; Schreiber 1983, S. 419; Tonnemacher 2003, S. 19–21). Kommunikationspolitik versucht, das Verhältnis von Staat, Gesellschaft, Telekommunikation und Massenkommunikation rechtsverbindlich zu regeln (vgl. Kepplinger 1994, S. 116). In demokratischen Systemen ist Kommunikationspolitik neben der Regelung von Telekommunikation primär auf Medienkommunikation bezogen. In totalitären Systemen wie etwa dem Nationalsozialismus oder dem Kommunismus bezog sich Kommunikationspolitik neben Massenmedien und Telekommunikation auch auf die Observation zwischenmenschlicher Kommunikation durch Spitzelsysteme und Denunziation. In der DDR etwa war das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) mit Aufgaben der Observation befasst, im nationalsozialistischen Dritten Reich war es die Geheime Staatspolizei (Gestapo). Kommunikationspolitik stellt also alles zielgerichtete und normbestimmte Handeln im Hinblick auf ein bestehendes oder zu schaffendes Ordnungsgefüge im Bereich der Information und Kommunikation dar (vgl. Tonnemacher 2003, S. 21). Mit Blick auf die »Konvergenz von Massenmedien und Telekommunikation, und damit auch [die] Herausforderungen durch Internet und Mobilkommunikation« erscheint es sinnvoll, diesen Begriff (wieder – vgl. w. u.) als übergeordneten Terminus zu verwenden (vgl. Puppis et al. 2010, S. 274). Im Zeitalter von grenzüberschreitender Medienkommunikation wie Satellitenrundfunk, Multimedia, Onlinekommunikation, Digitalisierung und Konvergenz erweist sich Kommunikationspolitik national wie international als zunehmend schwieriger zu regelnde, komplexe Materie.

Den Begriff Kommunikationspolitik gibt es als Fachterminus auch in der Betriebswirtschaft. Er wird dort allerdings in einem ganz anderen Sinn verstanden und verwendet: Im Bereich des Marketings versteht man unter Kommunikationspolitik »die Gestaltung sämtlicher auf den Markt zielender Kommunikationsbeziehungen eines Unternehmens« (vgl. Kepplinger 1994, S. 117). Dazu gehören Absatzwerbung, Direktmarketing, Sponsoring, Product-Placement, Verkaufsförderung und Public Relations für Produkte und Dienstleistungen.

Unter Medienpolitik versteht man zweierlei. Zum einen ist in Medienpolitik jener Teilaspekt von allgemeiner Kommunikationspolitik zu sehen, der sich speziell und konkret mit der Rechtsstellung, den Organisationsformen, den Funktionen sowie mit der personellen und materiellen Ausstattung von Presse, Rundfunk und anderen Massenmedien im klassischen Sinne befasst(e) (vgl. Roegele 1973; Ronneberger 1986). Medienpolitik als Teilbereich der Kommunikationspolitik »bezieht sich sowohl auf Strukturen und Anbieter als auch auf Prozesse und Inhalte öffentlicher Kommunikation« (Puppis/Jarren 2005, S. 239). Konkrete Bereiche bzw. Formen der Medienpolitik können sein (vgl. Puppis/Jarren 2005, S. 239f): Medienordnungspolitik (z. B. duale Rundfunkordnung), Medieninfrastrukturpolitik (z. B. Förderprogramme für Verbreitungstechnologien wie Kabel, Satellit, DVB; aber auch etwa die öffentliche Subvention des Zeitungsvertriebs); Medienorganisationspolitik (Rundfunk- und Telekommunikationsbehörden); Personalpolitik (Besetzung von Positionen in Aufsichtsgremien und Regulierungsbehörden); sowie schließlich Programm- und Informationspolitik (z. B. Aufgabenteilung im dualen Rundfunksystem).

Zum anderen versteht man unter Medienpolitik aber auch die Bemühungen von Regierungen, Verbänden, gesellschaftlichen Institutionen, (wirtschaftlichen) Organisationen sowie politischen und kulturellen Lobbys, Einfluss auf die Massenmedien auszuüben (vgl. Roegele 1973; Ronneberger 1986; Schreiber 1983; Kepplinger 1994, S. 116f). Als ein Beispiel unter anderen können hier immer noch die Einflussversuche von politischen Kräften, gesellschaftlichen Institutionen und Interessensgruppen sowie anderen Akteuren auf die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten genannt werden. Solche Versuche erfolgen in aller Regel über deren pluralistisch zusammengesetzte Kontrollorgane: In den Rundfunk- und Verwaltungsräten wird seitens deren Mitglieder immer wieder versucht, v. a. auf Personal-, aber auch auf Programm-, Technik- und wirtschaftliche Entscheidungen interessenspolitisch einzuwirken.

Versucht man dennoch, zwischen Kommunikationspolitik und Medienpolitik zu unterscheiden, so meint Kommunikationspolitik eher abstraktes staatliches Einwirken durch Gesetze, Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsurteile, Verordnungen etc.; Medienpolitik meint die konkrete, bisweilen von Partikularinteressen geprägte praktische Umsetzung kommunikationspolitischer Zielvorstellungen wie z. B. in Deutschland die Errichtung und Ausgestaltung öffentlich-rechtlicher und privater Rundfunkveranstalter und deren Nebeneinander in Form von Medien- und Rundfunkstaatsverträgen oder auch die Liberalisierung des Telekommunikationssektors ab Mitte der 1990er-Jahre. Weitere (Grundsatz-) Entscheidungen mit Blick auf Presse, Rundfunk, Onlinemedien, publizistische Infrastruktur und institutionelle Rahmen werden übersichtlich von Gerhard Vowe dargestellt (2007) und auch im Rahmen der Ausführungen über Medienstrukturen in Deutschland angesprochen (vgl. Pürer 2015; Beck 2012). Mit Medienregulierung in Deutschland, ihren Zielen und Konzepten sowie mit medienspezifischen Regulierungsmaßnahmen befassen sich ausführlich Wolfgang Seufert und Hardy Gundlach (2012). Demokratische Kommunikationspolitik dient dem Schutz, der Erhaltung und der Weiterentwicklung der Kommunikations- und Medienfreiheit, um ein konkurrierendes Angebot von Informationen und Meinungen im Wettbewerb der Massenmedien zu fördern und zu gewährleisten. Dabei wird die Kommunikationsfreiheit als Individualrecht mit Sozialwirkung gesehen und – wie alle anderen Grundrechte – als Abwehrrecht des Bürgers gegen den Staat (vgl. Maaßen/Decker 1983).

Die Regelung gesellschaftlicher Sachverhalte, egal ob es sich um politische, ökonomische, kulturelle oder soziale Phänomene handelt, erweist sich in komplex ausdifferenzierten, modernen Gesellschaften als zunehmend schwierig. Das politische System erreicht mit Formen herkömmlicher staatlich-hierarchischer Regulierung eher nur noch bedingt seine Ziele. Dies hat zur Suche nach alternativen Regulierungsmechanismen geführt (vgl. Puppis/Jarren 2005, S. 254). Möglichkeiten dazu eröffnet der Governance-Ansatz. Darunter ist »ganz allgemein der Prozess der Aushandlung und die Form der Ausübung von Macht in der Gesellschaft zu verstehen« (Trappel 2007, S. 254). Das Konzept »beschreibt eine Form des Regierens, die eine große Anzahl von Betroffenen in der Entscheidungsfindung anhört und deren Anliegen nach Massgabe auch berücksichtigt« (ebd.). Die »staatszentrierte Perspektive«, so Otfried Jarren, »wird aufgegeben« (Jarren 2007, S. 284). Renate Mayntz zufolge meint Governance »das Gesamt aller nebeneinander stehenden Formen der kollektiven Regelung gesellschaftlicher Sachverhalte: von der institutionalisierten zivilgesellschaftlichen Selbstregulierung über verschiedene Formen des Zusammenwirkens staatlicher und privater Akteure bis hin zu hoheitlichem Handeln staatlicher Akteure« (Mayntz 2005, S. 15).

 

Die Governance-Perspektive ist auch in der Kommunikationswissenschaft vorzufinden. Hier umfasst Media Governance Formen der Regulierung von Medienorganisationen und massenmedialer öffentlicher Kommunikation durch das Zusammenwirken staatlicher Akteure mit öffentlichen Akteuren, gesellschaftlichen Organen, Einrichtungen der Zivilgesellschaft und auch privaten Akteuren (vgl. Polenz 2007, S. 161). Hinzu kommen Akteure auf europäischer Ebene (z. B. EU, Europarat) sowie internationale bzw. globale. »Damit erweitert Governance staatliche Regulierung sowohl horizontal als auch vertikal« (Puppis 2010, S. 60; siehe dazu auch Donges 2007).

Eine horizontale Erweiterung der Medienregulierung i. S. von Media Governance ist z. B. gegeben, wenn private Akteure wie etwa Medienorganisationen anstelle des Staates regulieren, also eine Form der Selbstregulierung vorliegt. Dies bedeutet, dass private Akteure Regeln für die eigene Branche setzen, deren Einhaltung durchsetzen und Regelungsverstöße auch sanktionieren (vgl. Puppis 2010, S. 62). Beispiele dafür sind (nationale) Presse- und Medienräte wie der Deutsche Presserat oder weitere Selbstkontrolleinrichtungen wie etwa die Freiwillige Selbstkontrolle Film (FSK), die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) oder auch die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM) u. a. m. Alle hier erwähnten Selbstkontrolleinrichtungen verfügen über Onlineauftritte, denen wichtige Informationen über diese Institutionen und ihr Wirken zu entnehmen sind (z. B. www.fsk.de). Von Co-Regulierung wird gesprochen, wenn staatliche Akteure Rahmenbedingungen vorgeben und die betroffene Branche verpflichten, sich innerhalb des Rahmens selbst zu regulieren (vgl. Puppis 2010, S. 61). Ein Beispiel dafür in Deutschland ist in der Regelung des Jugendmedienschutzes zu sehen, bei dem auch von »regulierter Selbstregulierung« die Rede ist (Bosch 2007).

Eine vertikale Erweiterung von Media Governance ist gegeben, wenn neben (national-)staatliche Medienregulierung weitere Akteure wie etwa die Europäische Union, der Europarat, die OSZE u. a. m. treten. Den Wandel von rein staatlich-hierarchischer Regulierung (Government) zum Nebeneinander bzw. Miteinander staatlich-hierarchischer, öffentlicher und nichtstaatlicher Regelung (Governance) kann man mit Renate Mayntz »allgemein als Wandel vom Interventionsstaat zum ›kooperativen‹ Staat« interpretieren (Mayntz 2009, S. 11). In herkömmlichen Verfahren wurden Regulierungsentscheidungen »von einzelnen dazu legitimierten Personen oder Institutionen getroffen«, in Governance-Verfahren erarbeiten »die Betroffenen entweder gemeinsam Regulierungsentscheidungen oder sie werden von den Entscheidungsverantwortlichen in den Prozess einbezogen« (vgl. Trappel 2007, S. 256).

Einen kompakt gehaltenen Überblick über Akteure der Medienregulierung vermittelt Manuel Puppis (2010) in seinem Lehrbuch »Einführung in die Medienpolitik«. Ein idealtypisches Media-Governance-Modell ist Hannes Haas und Cornelia Wallner (2007) zu entnehmen, die bezüglich der Ziele von Governance drei Ebenen ansprechen: die Gegenstandsebene (Regulierungsgegenstand), die Strukturebene (Akteurskonstellationen) sowie die prozedurale Ebene (Umsetzung). Josef Trappel (2007) schließlich fasst zusammen, was unterschiedlichen Governance-Ansätzen gemein ist: die Mitwirkung gesellschaftlicher Gruppen und partizipative Formen der Entscheidungsfindung; die Berücksichtigung des öffentlichen Interesses; die Transparenz der Entscheidungsfindung; die Rechenschaftspflicht (Wahrnehmung der Verantwortung) sowie Berichtspflichten gegenüber Anspruchsberechtigten (Trappel 2007, S. 255f).